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ee) Funktion des Klägers im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

145

Der Kläger oder Antragsteller mit seiner subjektiven Berechtigung ist die zentrale Figur im deutschen Verwaltungsprozess. Eine Indienststellung des Einzelnen zur Ermöglichung einer Verwaltungskontrolle ist dabei kein zentrales Anliegen. Der Einzelne wird mit seiner Klage gegen die Verwaltung nicht im öffentlichen Interesse tätig. Dass eine Klage die Kontrolle der Verwaltung auslöst und ermöglicht und bei Stattgabe auch allgemeinere Effekte hat, weil die Rechtstreue der Verwaltung sich dadurch im Idealfall verbessert, stellt sich als Nebenerscheinung der Rechtsschutzkonzeption dar.[215]

b) Die wichtigsten Verfahrensarten

146

Das deutsche Verwaltungsprozessrecht unterscheidet allgemein zwischen Gestaltungs-, Leistungs- und Feststellungsklagen.

147

In der VwGO werden die Klage- und Verfahrensarten sehr stark um die zentrale Handlungsform der Verwaltung, den Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG), herum konstruiert. Seine Anfechtung im Falle einer Belastung durch Verwaltungsakt bzw. das Erstreiten eines begünstigenden Verwaltungsaktes stehen im Zentrum der VwGO. Die Möglichkeiten von Feststellungsklagen haben Auffangfunktion. Soweit die Verwaltung durch Normen handelt, besteht die Möglichkeit der Normenkontrolle. In dem Maße, in dem die Verwaltung nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Realakt handelt oder handeln müsste, hat die Praxis eine allgemeine Leistungsklage konzeptualisiert, die heute gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Die echte Verpflichtungsklage ist im europäischen Vergleich wenig verbreitet, die Anfechtung der versagenden Verfügung erscheint offenbar vielerorts besser mit Vorstellungen von Gewaltenteilung vereinbar zu sein.[216]

aa) Anfechtungsklage

148

Die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO ist die klassische Klageart, die sich am typischen Verwaltungshandeln der Eingriffsverwaltung orientiert. Sie bezieht sich ausdrücklich auf Verwaltungsakte als belastende Einzelakte der Verwaltung. Der Verwaltungsakt als zentrale Kategorie des Verwaltungsrechts wird in § 35 VwVfG definiert als „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“.[217]

149

Mit der Anfechtungsklage kann die Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsaktes durch das Gericht erreicht werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).[218] Bereits die Erhebung der Anfechtungsklage hat nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO eine aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt),[219] so dass die Belastung durch den angegriffenen Verwaltungsakt zunächst nicht eintritt. Die aufschiebende Wirkung muss also nicht – wie nicht selten in anderen Staaten[220] – gesondert beantragt und gerichtlich entschieden werden.

bb) Verpflichtungsklage

150

Die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO betrifft die Konstellation, in welcher der Einzelne einen (begünstigenden) Verwaltungsakt begehrt, die Verwaltung diesen aber verweigert oder schlicht nicht auf einen entsprechenden Antrag reagiert. Hier verurteilt das Verwaltungsgericht die Behörde entweder dazu, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen oder aber, soweit Ermessensspielräume bestehen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO).[221] Das Gericht trifft insoweit keine eigene Sachentscheidung anstelle der Behörde.[222]

cc) Fortsetzungsfeststellungsklage

151

In bestimmten Konstellationen hat der Einzelne ein Interesse an einer gleichsam nachträglichen Klärung, ob die Verwaltung so hätte handeln dürfen, wie sie es getan hat, auch wenn sich die fragliche Maßnahme inzwischen erledigt hat. Für diese Konstellationen, die im Ausgangspunkt wieder den Verwaltungsakt in den Blick nehmen,[223] besteht die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (je nach Erledigungszeitpunkt – vor oder nach Klageerhebung – und ursprünglich statthafter Klageart – Anfechtungsklage oder eine andere Klageart – in direkter, analoger oder doppelt-analoger Anwendung).

dd) Allgemeine Leistungsklage

152

Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage gehen ins Leere, wenn es gar nicht um einen Verwaltungsakt geht, sondern stattdessen ein schlichtes hoheitliches Handeln (Realakt) oder Unterlassen begehrt wird. Dafür findet sich in der VwGO keine ausdrückliche Regelung. Die Verpflichtungsklage der VwGO[224] ist eine spezielle, auf den Erlass eines Verwaltungsaktes begrenzte Leistungsklage. Die Lücke im Rechtsschutzsystem schließt die allgemeine Leistungsklage, die letztlich als ungeschriebene Klageart auf Gewohnheitsrecht beruht. Die Zulässigkeit einer solchen Rechtsfortbildung wird mit Blick auf die §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 111, 113 Abs. 4, 169 Abs. 2 und 170 VwGO bejaht, weil in diesen Bestimmungen das Bestehen einer Leistungsklage vorausgesetzt wird.

ee) Feststellungsklage

153

Wenn es dem Bürger darum geht, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zu klären oder er die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes festgestellt wissen will, kommt die Feststellungsklage nach § 43 VwGO in Betracht. Erforderlich ist dabei ein Feststellungsinteresse, auch hier bleibt es bei der subjektiv-rechtlichen Orientierung des Rechtsschutzes.[225]

ff) Normenkontrollverfahren

154

Die Verwaltungsgerichte haben die Möglichkeit, durch die Verwaltung gesetzte Normen (Verordnungen und Satzungen) zu kontrollieren. Im am Individualrechtsschutz orientierten Rechtsschutzsystem der VwGO wirkt das Normenkontrollverfahren etwas systemfremd, weil abstrakt-generelle Normen anzugreifen zwangsläufig Rechtsschutzeffekte über den Einzelnen hinaus bewirkt, auch wenn die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO die subjektive Beschwer ähnlich konstruiert wie die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Hier lockert das Rechtsschutzsystem also die Orientierung am subjektiven Recht des Einzelnen ein wenig. Entsprechend ist es bis auf die Normen des Baurechts optional ausgestaltet und eine Aktivierung den Ländern überlassen sowie vorsorglich den OVGs[226] anvertraut.

c) Die Verfahrensgrundsätze

aa) Unparteilichkeit

155

Die fast schon begrifflich mit dem Richterkonzept verbundene Unparteilichkeit sichert das deutsche Verwaltungsprozessrecht über die Regelungen zur Befangenheit (§ 42, § 43 ZPO oder § 48 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO). Neben den Ausschlussgründen des § 41 ZPO können eine Rolle spielen: die Beziehungen des Richters zu Personen, die am Verfahren beteiligt sind, die Beziehungen des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits, die Mitwirkung an früheren Verfahren, das Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des Verfahrens sowie Meinungsäußerungen und ein politisches oder weltanschauliches Bekenntnis.[227]

bb) Angemessene Frist

156

Rechtsschutz gegen die Verwaltung muss in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland schon aus verfassungsrechtlichen Gründen innerhalb einer angemessenen Frist gesichert sein. Dies gebietet Art. 19 Abs. 4 GG mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes sowie der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmende Justizgewährungsanspruch.[228]

157

Im Anwendungsbereich der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) gebietet daneben Art. 47 GRCh auch für mitgliedstaatliche Gerichte eine zeitnahe Entscheidung. Auf Ebene der EMRK bestehen mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK menschenrechtliche Verbürgungen.

158

Die Verfahrensdauer ist in Deutschland durchaus ein Thema, aber kein zentrales Problem des Rechtsschutzes gegen die Verwaltung.[229] Seit 2011[230] wird über den Verweis in § 55 VwGO der Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren im Verwaltungsprozessrecht durch § 198 GVG thematisiert. Diese Gesetzesänderung geht auf eine EGMR-Entscheidung zurück.[231] Im Zentrum steht hier ein Entschädigungsanspruch.

159

Soweit das Verwaltungsgericht durch angreifbare gerichtliche Prozesshandlungen wie die Aussetzung des Verfahrens oder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens eine überlange Dauer des Gerichtsverfahrens verursacht, ist die Beschwerde nach § 146 VwGO einschlägig. Diese Rechtsschutzmöglichkeit kann als Spezialregelung gegenüber § 198 GVG gelten.[232]

160

Die tatsächliche Verfahrensdauer variiert im Übrigen je nach Land und nach Verfahrensart.[233] Die durchschnittliche Verfahrensdauer im Eilrechtsschutz in der ersten Instanz bewegt sich zwischen 0,9 (Rheinland-Pfalz) und 4,2 Monaten (Brandenburg).[234] Die durchschnittliche Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren in der ersten Instanz liegt zwischen 6,2 (Rheinland-Pfalz) und 25,4 Monaten (Mecklenburg-Vorpommern), im Bundesdurchschnitt bei 11,4 Monaten.[235]

 

cc) Verfahrensherrschaft und Beweislast

161

Im deutschen Verwaltungsprozess gilt der Grundsatz der Dispositionsbefugnis. Den Beteiligten im Verwaltungsprozess kommt danach die Verfahrensherrschaft zu. Allein Kläger bzw. Antragsteller bestimmen, ob und in welchem Umfang ein Verfahren eingeleitet werden soll. Die Beteiligten können ihrerseits ein Verfahren auf verschiedene Arten beenden, so durch übereinstimmende Erledigungserklärung, Vergleich oder Klagerücknahme. Das Gericht darf nach § 88 VwGO über Anträge nicht hinausgehen. Der Staat unterbreitet also den Verwaltungsrechtsschutz gleichsam als Angebot, wenn die Beteiligten daran kein Interesse (mehr) haben, findet eine gerichtliche Prüfung von Verwaltungshandeln nicht statt. Der Dispositionsgrundsatz prägt auch den Zivilprozess. Grundlegend anders gründet der Strafprozess in Deutschland – von Ausnahmen abgesehen – auf die Offizialmaxime. Beim Strafprozess hat es der Einzelne grundsätzlich nicht in der Hand, ob und wie lange die Gerichte tätig werden.

162

Die Frage, wer die tatsächliche Tatsachenlage aufklären und belegen muss, betrifft eine zentrale Weichenstellung. Hier unterscheidet sich der deutsche Verwaltungsprozess grundlegend vom Zivilprozess und gleicht dem Strafprozess. Es gilt nämlich nach § 86 Abs. 1 VwGO der Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz und das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen.[236] Das Gericht ist daher an Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Untersuchungsgrundsatz hat Folgen für die Frage der Beweislast: Im Verwaltungsprozess gibt es grundsätzlich keine Behauptungs- bzw. Darlegungslast und prinzipiell keine Beweislast.[237] Der Untersuchungsgrundsatz liegt in der Logik der Rechtsschutzeffektivierung, wie sie aus Art. 19 Abs. 4 GG von der Verfassung gefordert wird. Weil sich im Verwaltungsprozess typischerweise der Bürger gegen den Staat wendet, kommt der Untersuchungsgrundsatz vor allem dem Einzelnen zugute.

163

Gleichwohl stellt sich die Frage, zu wessen Lasten Ungewissheiten im Sachverhalt sich auswirken („objektive oder materielle Beweislast“[238]). Hier wird in der Regel der allgemeine Grundsatz greifen, dass die Nichterweisbarkeit einer Tatsache (non liquet) sich zulasten desjenigen auswirkt, der aus dieser Tatsache eine für sich günstige Rechtfolge ableitet.[239] Für rechtsbegründende Tatsachen trägt der mögliche Anspruchsinhaber diese faktische Beweislast, für Tatsachen, die den Anspruch zunichte machen können, kommt diese dem Anspruchsgegner zu.[240] Der Gesetzgeber kann freilich zu diesen Tatsachen materiell-rechtliche Festlegungen treffen, er muss dabei das Machtgefälle zwischen Staat und Bürger berücksichtigen.[241] Prozessual spiegelt sich die Existenz einer objektiven Beweislast im Verwaltungsprozess in § 87b VwGO, wonach das Gericht im Einzelnen auffordern kann, bestimmte Dinge darzulegen und Beweismittel zu bezeichnen.

dd) Anhörungs-, Einsichts- und Informationsrechte

164

Nach § 100 VwGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Sie können sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle des Gerichts Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt auch die Mitnahme der Akten oder deren elektronische Übermittlung in Betracht. In die Entwürfe zu Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, die Arbeiten zu ihrer Vorbereitung und die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, wird keine Akteneinsicht gewährt.

ee) Einbeziehung Dritter in das Verfahren

165

Die Einbeziehung Dritter in das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erfolgt im deutschen Verwaltungsprozess nur in geringem Umfang. Dies ist nicht sonderlich überraschend. Mit der Konzentration auf den Individualrechtsschutz verbindet sich im Ausgangspunkt eher nicht das Anliegen, weitere nicht betroffene Akteure in irgendeiner Form am Verfahren zu beteiligen.

166

Die Figur des amicus curiae[242] ist dem deutschen Prozessrecht insgesamt fremd. Beiträge von Interessensgruppen, NGOs oder Bürgerinitiativen haben daher keine festgelegte formale Rolle als „Freunde des Gerichts“. Allenfalls im Umweltrecht haben sich über europarechtlich induzierte Verbandsklageinstrumente hier Einwirkungsmöglichkeiten ergeben.

167

Dritte können im Wege der Beiladung nach § 65 VwGO in ein Verfahren einbezogen werden. Die einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO stellt ein relativ flexibles Instrument dar. Das Gericht kann danach, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Das Filterkriterium sind dabei die „rechtlichen Interessen“, die durch die Entscheidung „berührt“ werden. Ein allgemeines politisches, faktisches oder nicht näher begründetes Interesse reicht demnach nicht aus.

168

Die notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO hat eine andere rechtliche Tragweite. Sind an dem im Prozess streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen.

169

Dritte können ferner als Sachverständige oder Zeugen am Verwaltungsprozess teilnehmen. Nach § 98 VwGO gelten dazu die Vorschriften der ZPO über die Beweisaufnahme entsprechend.

170

Das deutsche Verwaltungsprozessrecht sieht auch einen sog. „Vertreter des öffentlichen Interesses“[243] als Verfahrensbeteiligten vor, § 63 Nr. 4 VwGO. Der Vertreter des öffentlichen Interesses kann sich grundsätzlich an allen anhängigen Verfahren beteiligen. Als Verfahrensbeteiligter i.S.v. § 63 Nr. 4 VwGO hat der Vertreter des öffentlichen Interesses alle Rechte eines Beteiligten, kann also auch Anträge stellen oder nach den allgemeinen Voraussetzungen Rechtsmittel einlegen.[244]

ff) Öffentlichkeit des Verfahrens und Öffentlichkeit der Urteilsverkündung

171

Nach § 55 VwGO gelten die §§ 169, 171a bis 198 des GVG über die Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung auch im Verwaltungsprozess. In § 169 Satz 1 GVG ist der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht niedergelegt, der letztlich im Rechtsstaatsprinzip wurzelt. Eine Verletzung ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 138 VwGO).

gg) Kostenfairness

172

Es gelten über § 166 VwGO die allgemeinen Regelungen zur Prozesskostenhilfe, wie sie sich aus der Zivilprozessordnung (ZPO) ergeben. Die Kosten eines Prozesses werden ausgehend vom Streit- oder Verfahrenswert berechnet. Beim Rechtsstreit um eine Abrissverfügung gegen ein baurechtswidrig errichtetes Gebäude ist dieser Wert einfacher zu berechnen als bei immateriellen Streitgegenständen, etwa im Ausländer- oder Staatsangehörigkeitsrecht. Wenn der Streitwert nicht beziffert werden kann, gilt nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) ein Auffangstreitwert von 5.000 Euro.

173

Ein Kostenfaktor sind Anwaltskosten. Vor dem VG besteht kein Anwaltszwang.[245] Vor dem OVG/VGH und dem BVerwG müssen die Beteiligten sich hingegen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 67 VwGO).

hh) Begründungspflicht

174

Nach § 108 Abs. 1 VwGO sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Verpflichtung des Gerichts zur Begründung seiner Entscheidung folgt bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip.[246] Die schriftlichen Urteilsgründe sind im Grundsatz nicht später als fünf Monate nach der Verkündung des Urteils vorzulegen (§ 117 Abs. 4 VwGO).

d) Einstweiliger Rechtsschutz

175

Vielfach ist für den vom Einzelnen begehrten Rechtsschutz Eile geboten, die von der Verfassung zugesicherte Effektivität (Art. 19 Abs. 4 GG) soll nicht ins Leere gehen. Dem steht Rechtsprechung als begrenzte Ressource gegenüber. In diesem Spannungsfeld hat der Gesetzgeber eine Reihe von Mechanismen vorgesehen, mit denen einstweiliger Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache gewährleistet wird. In der Praxis hat dieser einstweilige Rechtsschutz erhebliche Bedeutung. Diese ist kontinuierlich gestiegen. Weitgehende Einigkeit besteht in der Einschätzung, dass der Hauptsacherechtsschutz mittlerweile auf vielen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts durch den vorläufigen Rechtsschutz ganz oder teilweise verdrängt wird.[247]

176

Auch der Eilrechtsschutz gruppiert sich um die in den Blick genommene Handlungsform der Verwaltung. Geht es um den Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte im Sinne von § 35 VwVfG, so wird der Eilrechtsschutz über die §§ 80 bzw. 80a VwGO geführt. In Fällen, in denen hingegen die Sicherung eines bestehenden Zustands oder eine vorläufige Regelung durch die Verwaltung begehrt wird, stellt § 123 Abs. 1 VwGO die Möglichkeit zur einstweiligen Anordnung zur Verfügung. Für die Normenkontrolle hält § 47 Abs. 6 VwGO eine Regelung bereit. Geprägt ist der im konkreten Einzelfall durchaus komplexe Eilrechtsschutz durch die Mindestanforderung einer summarischen Prüfung sowie eine Interessenabwägung, im Rahmen derer die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich mitberücksichtigt werden.[248] Die als verfassungsrechtliche Vorgabe in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes[249] bedeutet für den Eilrechtsschutz in Deutschland, dass dieser im Grundsatz den Rechtszustand beim Einzelnen erhalten soll und nicht etwa auf eine spätere Entschädigung gegen die rechtswidrig handelnde Behörde verwiesen werden soll.[250]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › III. Die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kontext › 4. Kontrolldichte und Entscheidung

4. Kontrolldichte und Entscheidung

a) Kontrolldichte

177

Die Frage der „Kontrolldichte“ der Verwaltungsgerichte gegenüber dem Verwaltungshandeln ist die zentrale Frage im Verhältnis der rechtsprechenden zur ausführenden Gewalt. Diese ist eng verbunden mit der Problematik administrativer Entscheidungsspielräume im Verwaltungsrecht, welche insbesondere die deutschsprachige Rechtswissenschaft bereits seit Langem beschäftigt.[251] Die Verfassungsgarantie eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) lässt eine Grundvermutung für eine hohe Kontrolldichte entstehen.[252] Zugleich legt der Gewaltenteilungsgrundsatz nahe, dass die ausführende Gewalt eine eigene Legitimität, Funktionalität und Sachkunde aufweist, die nicht durch die Gerichte vollumfänglich überspielt werden kann. Es geht bei der Frage nach der Kontrolldichte aber auch um eine Machtfrage und darum, wer das letzte Wort über konkrete Entscheidungen hat. Je höher die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte, desto geringer der Spielraum der Verwaltung. Je geringer die Kontrolldichte, desto eher bestehen endgültige Entscheidungen der Verwaltung, die der Bürger nicht mehr von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen kann. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur Rechtsschutzgarantie der Verfassung. Eine nicht unerhebliche Steuerung kann dabei der Gesetzgeber vornehmen, indem er mehr oder weniger detaillierte Vorgaben an die Verwaltung vorsieht, etwa indem er eingeschränkt überprüfbare Beurteilungsspielräume festlegt. Nach der normativen Ermächtigungslehre[253] ist dem Gesetzgeber nämlich der erste Zugriff auf die Machtverteilung zwischen Exekutive und Judikative zugewiesen. Damit geht es nicht nur um ein zweipoliges Verhältnis Verwaltungsgerichte – Verwaltung, sondern um ein dreipoliges Gefüge Gesetzgeber – Verwaltungsgerichte – Verwaltung. Die Kontrolldichte stellt sich dabei als akzessorisch zum Kontrollmaßstab dar, der durch das jeweilige materielle Recht und damit – jenseits verfassungsrechtlicher Vorgaben – maßgeblich durch den Gesetzgeber bestimmt wird.[254] Die gerichtliche Kontrolle kann demnach nicht über die gesetzlich vorgegebene Bindung der Verwaltung hinausgehen. Sie endet, wie es das BVerfG seit einiger Zeit formuliert, dort, wo das materielle Recht die Entscheidung „nicht vollständig determiniert“.[255] Zugleich geben gesetzliche Vorgaben dabei aber in aller Regel keine stets hundertprozentig konkret determinierten Instruktionen, sondern werden von den gerichtlichen Kontrolleuren interpretiert – dann kommt es für die Machtverteilung aber eben gerade doch vor allem auf die Gerichte an.

 

178

Eine Rolle spielt bei alldem möglicherweise auch die Grundkonfiguration des Rechtsschutzsystems in all ihren historischen und psychologischen Zusammenhängen. So ist für Großbritannien und Frankreich, wo die Funktionsfähigkeit der Verwaltung im Vordergrund steht, von einem „Vertrauensvorschuss“ zugunsten der Verwaltung gesprochen worden, wohingegen in Österreich oder in Deutschland im Vergleich ein eher geringes Vertrauen in die Verwaltung diagnostiziert wird, was durch die den Gerichten beigemessene wichtige Rolle „kompensiert“ werde.[256]

179

In der Langzeitentwicklung ist die Tendenz zu beobachten, dass einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugängliche Spielräume der Verwaltung zwar einerseits explizit mittels verschiedenster dogmatischer Einzelfiguren wie Beurteilungsspielräumen oder Ermessen durch die Gerichte anerkannt und respektiert werden. Zugleich nehmen die Freiheiten der Verwaltung innerhalb dieser Figuren aber eher ab, wobei sicherlich je nach Sachbereich Unterschiede bestehen. Die dogmatischen Figuren, die die Rechtsprechung hier verwendet, betonen im Ausgangspunkt den Unterschied zwischen der Tatbestandsseite und der Rechtsfolgenseite einer in Rede stehenden Norm. Anerkannt ist, dass vor den Gerichten abgeschirmte administrative Entscheidungsspielräume in unterschiedlichen Formen auftreten können, sei es als tatbestandliche Beurteilungs- oder als rechtsfolgenseitige Ermessensspielräume. Dahinter steht möglicherweise ein ganzheitliches Problem, das von der jeweiligen rechtsdogmatischen Einzelfigur unabhängig ist.[257] Die Spielraumlehren des Unionsrechts oder anderer Rechtsordnungen deuten in diese Richtung.[258] Für Rechtsprechung und Lehre in Deutschland aber ist der Unterschied zwischen der Tatbestandsseite und der Rechtsfolgenseite gleichwohl nach wie vor von großer Bedeutung. Während ein unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite nur ausnahmsweise einen unüberprüfbaren Beurteilungsspielraum der Verwaltung begründet, liegt bei Eröffnung von rechtsfolgenseitigem Ermessen stets ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer administrativer Entscheidungsspielraum vor (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).

180

In jüngerer Zeit verwischen dabei die Grenzen zwischen tatbestandlichem Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgenermessen in manchen Konstellationen, wie sich in der Diskussion um das „Regulierungsermessen“ zeigt. Dabei handelt es sich um einen administrativen Entscheidungsspielraum, den BVerwG und BVerfG im Bereich des Telekommunikationsrechts anerkannt haben und der sich sowohl auf die Tatbestands- als auch auf die Rechtsfolgenseite erstreckt.[259]