Ius Publicum Europaeum

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa
3. Stellung in der Gerichtsbarkeit

a) Positionierung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit

51

Das deutsche Rechtsschutzsystem ist konzeptionell durch die deutliche Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht vorgeprägt. Maßgeblicher Abgrenzungsgesichtspunkt ist die Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. § 40 Abs. 1 VwGO trifft zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs folgende Festlegung: „Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.“

52

Durch die Verfassung ist für Fragen der Entschädigung bei Enteignung der ordentliche Rechtsweg vorgegeben.[96] Nach Art. 14 Abs. 3 GG steht im Falle einer Enteignung „[w]egen der Höhe der Entschädigung [. . .] im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen“. § 40 Abs. 2 VwGO versucht, Staatshaftungsfragen an dieser Vorgabe zu orientieren: „Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.“ Der Gesetzeswortlaut lässt erkennen, dass die Zuständigkeit im Einzelfall doch schwieriger zu bestimmen ist, als es Art. 14 Abs. 3 GG bei oberflächlicher Betrachtung suggeriert. Hier spiegelt sich die historisch gewachsene Mehrgleisigkeit des deutschen Staatshaftungsrechts wider. Nicht selten hängt von der Einordnung der geltend gemachten Entschädigung der Rechtsweg ab, sie muss entsprechend vorab erfolgen. So kann bei einem Entschädigungsanspruch zweifelhaft sein, ob es sich um einen Aufopferungsanspruch oder einen Anspruch auf Ausgleich für eine Inhalts- und Schrankenbestimmung handelt, wobei für ersteren der ordentliche Rechtsweg, für letzteren der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist.[97]

53

Der Regierungsentwurf zur VwGO sah noch eine Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, was aber aufgrund „massiver Lobbyarbeit führender Repräsentanten der Zivilgerichtsbarkeit“ verhindert wurde.[98] Die heute etablierte und konsolidierte Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtfertigt eine solche Rechtswegaufspaltung an sich nicht mehr. Als Erklärung für ihren gleichwohl gegebenen und mit der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für das Vergaberecht und das Regulierungs- und Kartellverwaltungsrecht sogar eher noch ausgebauten Fortbestand erscheint ein Misstrauen der Politik gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit am Wahrscheinlichsten.

b) Positionierung zur Verfassungsgerichtsbarkeit

54

Die Abgrenzung zur Verfassungsgerichtsbarkeit auf der Zuständigkeitsebene erfolgt zunächst einmal anhand des gesetzlich niedergelegten Kriteriums der „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art“ (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblich ist dabei für die Annahme einer Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art die doppelte Verfassungsunmittelbarkeit. Danach geht es um unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte, die um Rechte oder Pflichten unmittelbar aus der Verfassung streiten. Daneben nimmt Art. 93 GG ausdrückliche Zuweisungen an das BVerfG vor.

55

Die Verwaltungsgerichte sind demnach für die nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten zuständig. Diese Abgrenzung und die formale Zuständigkeitsbeschreibung und ‑gegenüberstellung als Verwaltungs- bzw. Verfassungsgericht[99] lässt indessen nicht erkennen, dass auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit in erheblichem Umfang mit Verfassungsrecht „hantiert“.

56

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit darf alle verfassungsrechtlichen Fragen stellen und sogar die Verfassungsmäßigkeit eines Parlamentsgesetzes am Maßstab der Verfassung prüfen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Verwaltungsgerichte alles staatliche Handeln auch verwerfen könnten. Für Gesetze (erst recht verfassungsändernde Gesetze) verfügt das BVerfG über das Verwerfungsmonopol. Falls ein Verwaltungsgericht – die Regelung gilt freilich für alle Gerichte in Deutschland – ein Gesetz für verfassungswidrig hält, sieht Art. 100 Abs. 1 GG zwingend die Richtervorlage vor, mit der die Frage unter Aussetzung des Ausgangsverfahrens zum BVerfG gelangt, das dann auch Gesetze für verfassungswidrig und nichtig erklären kann.

57

Wird verfassungswidriges Verwaltungshandeln von den Verwaltungsgerichten zu Unrecht nicht beanstandet, wird auch das verwaltungsgerichtliche Handeln verfassungswidrig. In einem solchen Fall richtet der Einzelne seine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG an das BVerfG sowohl gegen das ursprüngliche Verwaltungshandeln wie auch gegen das dieses – zu Unrecht – bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil.

58

Insoweit steht das BVerfG über den Verwaltungsgerichten, auch über dem BVerwG. Das mit diesem Über-/Unterordnungsverhältnis verbundene Spannungspotenzial[100] hat sich nicht sonderlich häufig realisiert.[101] Das Verhältnis der Gerichte zueinander erscheint heute als geklärt und konsolidiert.[102] Dabei mag eine Rolle spielen, dass es auch einen kontinuierlichen personalen Austausch dadurch gibt, dass regelmäßig Richter des BVerwG in das BVerfG berufen werden und in der Folge gelegentlich auch wieder den Weg zurück zum BVerwG gehen.[103]

c) Verfassungsdimension der Verwaltungsgerichte

59

Die Verwaltungsgerichte prüfen das Verwaltungshandeln am Maßstab von Gesetz und Verfassung. Inzident stellt sich dabei auch die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der als Maßstab herangezogenen Gesetze. So wie nach einem berühmten Diktum Fritz Werners Verwaltungsrecht konkretisiertes Verfassungsrecht ist,[104] so lässt sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit in vielerlei Hinsicht als konkretisierte Verfassungsgerichtsbarkeit interpretieren. Die materiellen Anknüpfungspunkte sind dabei vor allem die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip.

60

Die Grundrechte kommen bereits im Konzept der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Ausdruck. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG begründet bereits die Erforderlichkeit einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Verwaltung. Wo immer das einfache Gesetzesrecht Lücken aufweist, kann Art. 19 Abs. 4 GG herangezogen werden, um diese zugunsten des Bürgers zu schließen. Gäbe es beispielsweise in der VwGO keine Regelungen zum Eilrechtsschutz, so würde ein solcher sich gleichwohl alleine aus dem Gedanken des effektiven Rechtsschutzes konstruieren lassen.

61

Daneben fließen die Grundrechte abhängig vom Rechtsgebiet in vielfältiger Form in die verwaltungsgerichtliche Prüfung des Verwaltungshandelns ein. Im Bereich des Versammlungsrechts steht natürlich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG im Vordergrund, im Bereich des Baurechts die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG usf.[105]

62

Über das „Auffanggrundrecht“ der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie es vom BVerfG der Sache nach in Art. 2 Abs. 1 GG hineingelesen wird,[106] ergibt sich jedenfalls stets ein verfassungsrechtliches Argument, wenn keine spezielleren Gesichtspunkte eingreifen. Damit kann jedes den Einzelnen belastende Verwaltungshandeln als verfassungsrechtliche Frage geprüft werden, selbst wenn es um von der Verfassung nicht gesondert ausgewiesene Aktivitäten geht, wie etwa das Reiten im Walde.[107] Ferner können damit selbst die den Deutschen vorbehaltenen Grundrechte, wie beispielsweise die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), von ausländischen Staatsangehörigen geltend gemacht werden, wenn auch nur in dem über Art. 2 Abs. 1 GG gewährten Umfang.[108]

63

Zwei zentrale Gehalte des Rechtsstaatsprinzips, wie es insbesondere in Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist, prägen daneben die Verwaltungsgerichtsbarkeit: Gesetzesvorbehalt und Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsprinzip).

64

Die Verwaltungsgerichte werden bei belastenden Maßnahmen der Verwaltung stets als erstes die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage im Gesetz stellen. Es besteht zwar kein Totalvorbehalt in dem Sinne, dass jegliches Verwaltungshandeln sich auf ein Gesetz stützen lassen müsste. Sobald jedoch in Grundrechte eingegriffen wird, bedarf es einer ihrerseits verfassungskonformen gesetzlichen Grundlage. Der Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalt wurzelt im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und lässt sich im Sinne eines hierarchisch verstandenen Gewaltenteilungsgrundsatzes als Überordnung des Parlaments gegenüber der Verwaltung deuten. Da die Verwaltungsgerichte jedoch auch das in Rede stehende Parlamentsgesetz auf seine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht – insbesondere der Verfassung – überprüfen, enthält der Gesetzesvorbehalt jedenfalls nur zum Teil eine Unterordnung der rechtsprechenden Gewalt unter die rechtsetzende Gewalt. Möglicherweise ist das Verhältnis der Gewalten zueinander ohnehin besser mit „checks and balances“ beschrieben als mit hierarchisch angelegten Über-Unterordnungsvorstellungen. Jedenfalls ist die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage im Gesetz in aller Regel die maßgebliche Leitfrage für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

 

65

Ferner wird jegliches Verwaltungshandeln im Bereich der Eingriffsverwaltung am Verhältnismäßigkeitsprinzip gemessen. Es geht dabei im Kern um die Frage nach einer Zweck-Mittel-Relation. Das von der Verwaltung eingesetzte Mittel darf nicht außer Verhältnis zum Zweck einer Verwaltungsmaßnahme sein. Die hierzu entwickelte Struktur ermöglicht eine kleinteilige Überprüfung des Verwaltungshandelns, indem nach der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Verwaltungshandelns im Verhältnis zum seinerseits rechtmäßigen Zweck gefragt wird.[109]

66

Mit Blick auf die weite Konzeption eines Auffanggrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG kann das BVerfG jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung zur Superrevisionsinstanz mutieren, weil jede unzutreffende Rechtsanwendung durch die Fachgerichte zugleich auch das Grundgesetz verletzt. Durch verschiedene Mechanismen versucht das BVerfG indessen, eine Grenzlinie zwischen der spezifischen Verletzung des Grundgesetzes und der richtigen Interpretation des einfachen Rechts zu ziehen.[110]

d) Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichtsbarkeiten
und ihre Lösungsformen

67

Für alle Gerichte in Deutschland legt das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) übergreifende Grundsätze fest.[111] So ist beispielsweise nach § 184 GVG die Gerichtssprache deutsch.[112] § 17a Abs. 1 GVG trifft für Zuständigkeitskonflikte die Festlegung, dass wenn ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt hat, andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden sind. Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, so hat nach § 17a Abs. 2 GVG ein Gericht dies von Amts wegen auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

68

Eine institutionelle Lösung, wie sie beispielsweise im französischen Recht seit 1848[113] mit dem Tribunal des conflits für Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht,[114] kennt das deutsche Recht damit nicht (mehr[115]). Zwar besteht mit dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) eine Institution, die übergreifend Gegensätze zwischen den Gerichten klären soll.[116] Vertreten sind darin neben dem Bundesgerichtshof (Zivil- und Strafsachen) und dem Bundesarbeitsgericht mit dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundessozialgericht und dem Bundesfinanzhof gleich drei Verwaltungsgerichte,[117] das BVerfG ist nicht vertreten. Der außerordentlich selten aktivierte Gemeinsame Senat dient jedoch in erster Linie der Klärung sich übergreifend stellender materieller Fragen mit dem Ziel der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.[118]

e) Funktionale Äquivalente der Verwaltungsgerichtsbarkeit

69

Verwaltungsgerichtliche Funktionen und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind nicht zwingend deckungsgleich. Bestimmte verwaltungsgerichtliche Funktionen können durch die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder durch ein Verfassungsgericht wahrgenommen werden.

aa) Verwaltungsgerichtliche Funktionen und ordentliche Gerichtsbarkeit

70

In Deutschland besteht auf Ebene des Grundgesetzes eine wichtige Weichenstellung zu einem nicht unbedeutenden Aspekt von Rechtsschutz gegen die Verwaltung. Die Verfassung trifft in Art. 14 Abs. 3 GG seit 1949 die Festlegung, dass bei Enteignungen Streitigkeiten über die Höhe der Enteignung (Entschädigungsstreitigkeiten) vor den ordentlichen Gerichten auszutragen sind. Dadurch wird – an sich systemfremd – eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit den Zivilgerichten zugewiesen. Die Aufspaltung des Rechtswegs ist einer der Gründe für die Komplexität des deutschen Staatshaftungsrechts.

71

Die Gründe für die Zuweisung in Art. 14 Abs. 3 GG mögen in einer 1949 noch bestehenden Unsicherheit über die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsgerichte liegen, die sich bis dahin ja noch nicht umfänglich bewährt hatten und gegenüber der ordentlichen (sic!)[119] Gerichtsbarkeit weniger etabliert waren. Die Formulierung ist ansonsten auch historisch erklärbar,[120] sie ist an die Vorläuferbestimmung in der WRV angelehnt, die bereits den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im Zusammenhang mit Enteignungen vorsah (Art. 153 WRV).[121] Als Begründung für die Befassung der Zivilgerichte mag im Übrigen gelten, dass Schadensersatzfragen und die damit verbundenen Kausalitäts- und Berechnungsprobleme zum Alltagsgeschäft der Zivilgerichte gehören.[122] Gegen die Zuweisung an die ordentlichen Gerichte spricht freilich die komplikationsträchtige Doppelspurigkeit des Rechtswegs.[123] In Italien hat man nicht zuletzt deswegen im Jahre 2000 die bis dahin bestehende mit Deutschland vergleichbare Doppelspurigkeit in Staatshaftungsfragen zugunsten einer Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte aufgegeben.[124]

72

Thematisch verwandt ist die einfachgesetzliche Zuweisung in § 40 Abs. 2 VwGO. Danach ist der ordentliche Rechtsweg für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, gegeben, ferner auch für Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung. Diese Zuweisung ist in Teilen wiederum verfassungsrechtlich durch das Grundgesetz seit 1949 vorgegeben. Art. 34 Satz 3 GG legt für Amtshaftungsansprüche fest: „Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.“ Die Zuweisung erklärt sich ursprünglich wohl auch aus der Nähe der fraglichen Ansprüche zu typischen privatrechtlichen Ansprüchen im Bürger-Bürger-Verhältnis, dieses Motiv ist mittlerweile indessen überholt. In das Themenfeld des Enteignungs- und Staatshaftungsrechts gehören auch speziellere einfachgesetzliche Zuweisungen wie bundesrechtlich in § 21 Abs. 4 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), der bei Streitigkeiten über die Entschädigung nach Widerruf einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auf den ordentlichen Rechtsweg verweist, oder auf landesrechtlicher Ebene die jeweiligen Bestimmungen im Polizei- und Ordnungsrecht zu Entschädigungen bei Maßnahmen der Polizei- oder Ordnungsbehörden.[125]

73

Im Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) legt § 23 EGGVG fest, dass das Handeln von Justizbehörden auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege durch die ordentlichen Gerichte überprüft wird. Das Gleiche gilt für Handlungen der Vollzugsbehörden im Vollzug der Untersuchungshaft sowie derjenigen Freiheitsstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, die außerhalb des Justizvollzuges angesiedelt sind. Wird beispielsweise die Polizei, in aller Regel Teil der Landesverwaltung, im Bereich der Strafverfolgung tätig, so ist dafür nach § 23 EGGVG die ordentliche Gerichtsbarkeit (hier: die Strafgerichte) zuständig.

74

Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts findet sich ebenfalls die Besonderheit, dass Verwaltungshandeln von der ordentlichen Gerichtsbarkeit – wiederum den Strafgerichten – überprüft wird.[126] Hier wird letztlich an die Regelung des § 23 EGGVG von 1877 angeknüpft.[127] 1949 war dabei durchaus umstritten, ob die Verwaltungsgerichte oder die Strafgerichte für das „Verwaltungsunrecht“ zuständig sein sollten. Den Ausschlag für die Strafgerichte gaben letztlich die Ähnlichkeit zwischen Ordnungswidrigkeiten und strafrechtlichen Tatbeständen in ihrem Aufbau und in ihrer rechtlichen Behandlung. Den Verwaltungsgerichten sei die strafrechtsähnliche Materie wesensfremd, und die gefestigte strafrechtliche Rechtsprechung könne durch eine abweichende, vom Verwaltungsrecht beeinflusste Rechtsprechung auf dem Gebiet der Ordnungswidrigkeiten gefährdet werden. Und schließlich sei die Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit gar nicht in der Lage, die große Zahl der Bußgeldbescheide, die angefochten werden, zu bewältigen.[128]

75

Die Übernahme verwaltungsgerichtlicher Funktionen durch die ordentliche Gerichtsbarkeit ist in Deutschland kein lediglich historisch geprägtes Phänomen. Für die jüngere Zeit lässt sich fast schon von einem problematischen Trend sprechen,[129] Verfahren insbesondere im Bereich des Rechts der Regulierungs- und Infrastrukturverwaltung den Zivilgerichten zuzuweisen. Konkrete Beispiele für die Zuweisung originär verwaltungsrechtlicher Materien an die ordentlichen Gerichte sind Baulandsachen, dienstgerichtliche Verfahren und Energiewirtschaftsfälle. Auch das Kartellrecht und das Vergaberecht sind bei Lichte besehen verwaltungsrechtliche Materien, die insoweit unzutreffend bei den ordentlichen Gerichten verortet sind.[130]

bb) Verwaltungsgerichtliche Funktionen und Verfassungsgericht

76

Durch das BVerfG werden verwaltungsgerichtliche Funktionen, mit Ausnahme der eher hypothetischen Funktion als Dienstgericht im Falle des Entzugs des Richteramtes am BVerfG ohne Zustimmung des betroffenen Richters nach § 105 BVerfGG, nicht wahrgenommen.

77

Die Überschneidungen der Wirkungskreise von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit rühren von der Bedeutung des Verfassungsrechts für die Verwaltungsgerichte. Zwar insistiert das BVerfG, dass es sich – auch gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit – nicht als Superrevisionsinstanz versteht und auf spezifisches Verfassungsrecht beschränken will. Gerade im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Grenzlinie indessen undeutlich und das BVerfG de facto sehr wohl in der Rolle der letzten Instanz, weil das Verwaltungsrecht sich sehr stark grundrechtsgeprägt entwickelt hat.[131]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › II. Rollen und Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 4. Verwaltungsgerichtsbarkeit und neue Formen der Streitbeilegung