Rückkehr der Gerechtigkeit

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Währenddessen hatten Nathu und Daya den Lastwagen sicher versteckt. Ungefähr zweieinhalb Kilometer von der Höhle entfernt hatten sie ihn in einem Wald untergebracht und dort mit Zweigen Blättern und Ästen bedeckt. Nathu hatte das Nummernschild abgeschraubt und im Erdboden vergraben. Ein paar Sachen hatte er aus dem Lastwagen mitgenommen und in eine Tüte geworfen, die er nun mit sich trug. „Weißt Du, wie wir gehen müssen, um wieder zur Höhle zu kommen?“ fragte Daya ein wenig ängstlich, weil sie sich nicht so sicher war, daß sie den Weg finden würde. „Na klar. Bleib einfach bei mir, dann kann Dir nichts passieren“, antwortete Nathu. „Das mach ich. Du sag mal, was machen wir dann in Neu Delhi?“ „Gute Frage. Ich weiß es auch nicht so genau. Erst einmal ist es wichtig, daß wir nicht gefunden und zurückgebracht werden.“ „Stimmt. Aber glaubst Du wirklich, daß uns so etwas Schreckliches passieren könnte?“ „Wer weiß? Auf dieser Welt kann man sich auf nichts verlassen. Ich bin gespannt, ob die Anderen mit denen in der Höhle schon Freundschaft geschlossen haben.“ „Hoffentlich. Nicht, daß das auch solche Leute sind, die uns an Menschenhändler verkaufen.“ „Ach was! Shankar ist nicht dumm. Der merkt schon, wenn da etwas faul ist.“ „Du mußt es wissen. Nathu, ich habe Angst. Ich meine, in der Fabrik war es schon fürchterlich, aber jetzt sind wir in der Freiheit und sind doch nicht frei.“ „Wie meinst Du das?“ „Es gibt immer etwas, das wir brauchen. Ob das Wasser ist oder Nahrung, ganz egal. Dann noch einen Platz zum Schlafen. Es wird nie sein, daß wir einfach so leben können, ohne etwas zu benötigen.“ „So ist das halt mal auf dieser Welt. Damit mußten schon Milliarden Menschen vor uns fertig werden. Wir sollten froh sein, daß wir endlich aus dieser Fabrik weg sind, die uns unsere ganze Kindheit und Jugend geraubt hat.“ „Das ist wahr. Aber wir werden unser ganzes Leben lang Angst haben müssen, wieder an so einen Ort zu kommen.“ „Normal schon. Und genau deshalb ist es wichtig, daß Du lernst zu vergessen. Das wird am Anfang nicht so leicht und so schnell gehen, aber wenn Du es erst mal geschafft hast, dann ist das alles kein Problem mehr. Versuche, die Vergangenheit zu vergessen!“

Auch in der Höhle hatte man die Vergangenheit inzwischen abgehakt und widmete sich lieber der bevorstehenden Zukunft. „Es wird nicht leicht werden in Neu Delhi zu überleben“, vermutete Sardar. „Lieber in Freiheit sterben, als in Knechtschaft leben“, entgegnete Indira. Hochachtungsvoll blickten die Anderen auf sie. „Das waren weise Worte“, bemerkte Bharat. Shankar spürte, daß man einen Plan brauchte, um in Zukunft bestehen zu können. „Wir werden uns also heute Nacht auf den Weg machen. Vielleicht schaffen wir es sogar, bis nach Neu Delhi zu kommen. Wenn nicht, dann ist das auch nicht weiter schlimm. Ich muß jetzt einen Vorschlag machen, der verdammt blöd klingt, aber ich halte ihn trotzdem für richtig. Wir sollten in Neu Delhi unser Aussehen verändern“, schlug er vor. „Wozu soll das gut sein? Bei Deinem Gesicht verstehe ich es ja, aber bei uns“, scherzte Tejbin. Alle lachten, auch Shankar. „Nicht schlecht. Um Dich brauchen wir uns keine Sorgen machen, Du wirst problemlos beim Fernsehen unterkommen. Ihr wißt doch, daß der Fabrikchef unsere Ausweise hat. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, daß die davon ausgehen, daß wir nach Neu Delhi geflohen sind. Darum werden sie dort sicherlich Steckbriefe aushängen und vielleicht persönlich nach uns suchen. Deswegen sollten wir unser Aussehen verändern, damit sie uns nicht mehr erkennen“, erläuterte Shankar. Die Anderen nickten zustimmend. „Soll ich mir etwa eine Brust abnehmen lassen?“ spottete Indira. „Nein, aber so eine Einäugige wäre nicht schlecht“, erwähnte Shankar grinsend. „Oder wäre es vielleicht doch besser, nicht nach Neu Delhi zu gehen?“ überlegte Bharat laut. „Quatsch! Natürlich müssen wir dorthin. Oder willst Du Dein Leben lang in so einem Höhlenloch vegetieren?“ fragte Shankar provozierend. „Besser als die Fabrik ist es allemal.“ „Das ist unbestritten. Aber nur in Neu Delhi haben wir eine Überlebenschance auf längere Sicht hin. Im ganzen Land geht es den Menschen schlecht. Aber in Neu Delhi geht es den Menschen nicht ganz so schlecht. Zwar nicht gut, aber immerhin besser als an allen anderen Orten in Indien.“ „Schon klar. Weil in Neu Delhi die reichsten und mächtigsten Leute des Landes sitzen und, wenn sie gut gelaunt sind, auch mal für die Bettler was springen lassen.“ Interessiert hörten die Anderen dem Dialog von Shankar und Bharat zu. „So ist es, Bharat. Ich weiß nur noch nicht, wie wir unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Jedenfalls denke ich, daß ich Euch überzeugt habe, daß wir zunächst unser Aussehen verändern sollten.“ Alle nickten. Es war nicht hell in der Höhle, aber man konnte sich ziemlich gut sehen. „Wieso können wir nicht hier schon unser Ausehen verändern?“ forschte Parwez. „Ganz einfach: Weil uns die Sachen, die man dazu braucht, fehlen“, antwortete Raja. Auf einmal hörten sie vor der Höhle ein Geräusch. Sofort zogen sie sich in das Innere zurück. „Bleibt da, Leute! Wir sind’s!“ rief Nathu und natürlich erkannten sie ihn an seiner Stimme wieder. Man stellte sich gegenseitig vor und dann leerte Nathu die Tüte. „Was hast Du denn da mitgebracht?“ wunderte sich Sonia, die bisher noch fast nichts gesagt hatte. „Ein paar Sachen aus dem Lastwagen, die wir vielleicht brauchen können“, berichtete Nathu. „Cool. Ein Rasierapparat, ein paar Sonnenbrillen, eine Schere und was zu saufen und fressen. Nathu, Du bist ein Genie“, lobte ihn Sardar. Man begab sich in die Nähe des Eingangs, wo es mehr Licht gab. Dort begannen die flüchtigen Jugendlichen dann damit, sich zu verwandeln. Während Shankar und Nathu keine wesentlichen Änderungen an sich vornahmen, sondern beschlossen, sich einen Bart wachsen zu lassen, schnitten sich die Anderen ihre Haare. „Wenn wir jetzt noch Haarfarbe hätten, dann wäre es noch besser“, glaubte Hirabai. „Man kann nicht alles haben. Aber schaut mal in die Tüte. Ich glaube, da ist noch was für Euch“, mutmaßte Nathu. Sekunden später kamen sie mit Perücken auf dem Kopf zurück. „Wer hätte gedacht, daß männliche Aufseher Frauenperücken mit sich tragen?“ wunderte sich Indira, die man fast nicht wiedererkannte. „Tja, vielleicht wollen sie sich so an Lesben ranmachen“, mutmaßte Raja lachend. „Da bräuchten sie aber noch zwei ausgestopfte Gummibällchen“, fügte Tejbin hinzu. „Na ja, ein paar Tennisbälle habe ich auch gefunden und mitgenommen“, erinnerte sich Nathu.

Da waren nun also elf Jugendliche, die aus zwei Kinderfabriken geflohen waren, in einer Höhle zusammengetroffen und hatten sich entschieden, fortan einen gemeinsamen Weg zu gehen. Sie alle waren glücklich darüber, weil sie sich in einer größeren Gruppe doch stärker und sicherer fühlten. Und das war sehr wichtig in jener Zeit, in der Kinder verschleppt und zur Arbeit in Fabriken gezwungen wurden. Es wurde dunkel, aber erst als tiefste Nacht herrschte, machten sie sich auf den Weg. Schon recht schnell merkten Bharat, Sardar, Parwez, Tejbin, Sonia und Hirabai, daß Nathu einen stark ausgeprägten Orientierungssinn hatte, auf den man sich voll verlassen konnte. Als sie Durst hatten, führte er sie an den Fluß, als ein paar Autos zu hören waren, brachte er sie in Sicherheit und als sie am nächsten Morgen ein neues Versteck brauchten, fand er eines in kürzester Zeit. „Sag mal, warst Du schon mal hier gewesen?“ erkundigte sich Bharat bei Nathu. „Nein. Wieso?“ „Du läufst hier herum, als würdest Du diese Gegend wie Deine Westentasche kennen.“ „Das ist doch nicht schwer. Paß auf! Hörst Du den Vogel dort?“ „Ja. Was ist mit ihm?“ „Der verrät mir, daß hier in der Nähe ein Baum ist. Und wo ein Baum ist, da ist meistens auch ein Wald. Und in einem Wald kann man sich hervorragend verstecken.“ „Hört sich einfach an.“ „Ist es auch. Ich schlage vor, daß immer zwei von uns Wache halten, während sich die anderen Neun ausschlafen können.“ Damit waren alle einverstanden und so schliefen sie mitten im tiefen Wald, während zunächst Shankar und Nathu die Wache übernahmen. „Was meinst Du, Nathu? Wie weit ist es noch bis Neu Delhi?“ fragte Shankar. „Nicht mehr weit. Morgen sind wir da.“ „Hey, Dir wächst ja schon ein Bart.“ „Das ist auch gut so. Ich habe keine Lust an meinen kurzen Haaren erkannt zu werden.“ „Ich lasse meine jetzt wachsen. Einmal zur Sicherheit und weil es besser aussieht.“ „Hat das etwa Indira gesagt?“ „Wie kommst Du denn darauf?“ „Na komm, das sieht doch ein Blinder, daß es zwischen Euch gefunkt hat.“ „Findest Du?“ „Aber sicher. Ihr seid auch ein schönes Paar.“ „Erst einmal müssen wir in absoluter Sicherheit sein. Dann kann ich mich damit befassen.“ „Oh Shankar, dann wird es nie was mit Euch. Die absolute Sicherheit wird es für uns wohl nie geben. Es sei denn, Du kannst Dir fünf Leibwächter leisten.“ „Na klar, ich habe ja hier zehn zur Auswahl.“ Beide lachten. Sie waren gute Freunde und sie kannten sich gut. Doch die gemeinsame, bisher geglückte Flucht, schweißte sie mehr als alles Andere zusammen. Man war voneinander abhängig und man mußte einander vertrauen. „Du, Shankar, was machen wir in Neu Delhi?“ „Frag nicht solche Sachen. Wir werden schon etwas finden.“ „Sicher?“ „Ich denke schon. Sei optimistisch. Was haben wir zu verlieren?“ „Nichts. Weil wir nichts haben.“ „Siehst Du? Das ist die richtige Einstellung.“ „Ich bin froh, wenn ich in Neu Delhi bin. Hier ist es scheiße, weil man sich den ganzen Tag verstecken muß.“ „Das ist wahr. Mir wäre es auch lieber, in der Natur herumzulaufen, aber wir wissen ja Beide, wie schlecht Menschen sind.“ „Du sagst es. Aber diese Menschen wird es auch in der Hauptstadt geben.“ „Gewiß. Aber dort sind wir trotzdem sicherer. Vor allem wenn wir in der Gruppe zusammen bleiben.“ „Was hältst Du eigentlich von den sechs Anderen?“ „Die sind voll in Ordnung. Uns verbindet die Flucht. Wir haben alle schreckliche Erfahrungen gemacht und das hält zusammen. Hoffe ich zumindest.“ „Die Typen sind wirklich in Ordnung. Na gut, ich wäre schon gerne mit dem Lastwagen weiter gefahren, aber ...“ „Du hast doch angehalten.“ „Schon. Ich mußte einfach wissen, wer dieser Schatten ist. Sonst hätte ich mich nicht sicher gefühlt. Außerdem hätte man uns mit dem Lastwagen viel leichter gefunden und erkannt. Da hätte es auch nichts geholfen, wenn wir unser Aussehen verändert hätten.“ „Es war schon richtig, was wir gemacht haben. Sonst wären wir wohl jetzt schon im Knast wegen Diebstahls eines Lastwagens. Du kennst ja unsere tollen Gesetze.“

 

Während sie sich unterhielten merkten sie nicht, daß noch nicht alle Anderen schliefen. Es war halt einfach nicht so leicht, ruhig zu schlafen, wenn man sich auf der Flucht befand. Trotzdem mischte sich niemand in Shankars und Nathus Gespräch ein. „Aber wo schlafen wir in Neu Delhi?“ wollte Nathu wissen. „Neu Delhi ist groß. Da wird auch für uns ein Fleckchen dabei sein“, erwähnte Shankar. „Schon. Aber auf die Dauer ist das halt auch nichts. Von irgendwas müssen wir auch leben. Oder willst Du als Dieb in den Knast?“ „Nein, sicher nicht. Dann würde ich ja früher oder später wieder in eine Fabrik geschickt werden. Es gibt bestimmt irgendeine Sache, die wir gut können. Und genau von der müssen wir leben.“ „Und welche Sache wäre das?“ „Keine Ahnung. Das werden wir schon noch herausfinden.“ „Na hoffentlich. Sonst finden nämlich bald die Würmer nicht mehr aus uns heraus, wenn sie unsere Eingeweide verköstigen.“ „Alter Pessimist. Wir sind frei. Vergiß das nicht.“ „Freiheit kann manchmal auch Tod bedeuten.“ „Sterben müssen wir sowieso irgendwann.“ „Auch wieder wahr.“ „Na ja, gefallen würde sie mir schon.“ „Wovon redest Du?“ „Indira.“ „Sag ich doch. Ihr seid ein Traumpaar.“ „Übertreiben mußt Du auch wieder nicht. Erst einmal müssen wir uns richtig kennenlernen. Wir haben zwar in der selben Fabrik gearbeitet, aber eben nur gearbeitet.“ „Das wird schon. Fang einfach mal mit einem romantischen Abendessen in einem Nobelrestaurant in Neu Delhi an.“ „Du bist ein Spinner. Wer soll denn das zahlen?“ „Was meinst Du, wie froh die Leute sind, wenn sie für das Essen von zwei Verliebten spenden dürfen?“, kalauerte Nathu. Auf einmal hörten sie ein Kichern. „Wer hat denn da seinen Gute-Nacht-Brei nicht aufgegessen?“ wunderte sich Nathu. Kurz darauf stellte sich heraus, daß neben Shankar und Nathu auch noch Indira, Daya, Tejbin und Parwez wach waren. „Leute, wenn das so ist, dann könnt Ihr ja die Wache übernehmen. Ich brauche nämlich meinen Schlaf“, erklärte Shankar, dem es ein wenig peinlich war, daß Indira mitgehört hatte. Während er und Nathu sich aufs Ohr legten, blieben Daya und Indira wach. Sie wollten gerade zu reden beginnen, als sie in der Nähe Stimmen hörten. „Wacht auf! Wir müssen hier weg!“ flüsterte Indira, aber die Anderen schliefen fest. Da mußte sie zu härteren Methoden greifen. Jeder bekam zwei Schläge ins Gesicht und so wachten alle auf der Stelle auf. „Was ist denn?“ wunderte sich Bharat. „Wir müssen verschwinden! Hört Ihr nicht die Stimmen?“ zischte Indira. „Also ein Guten-Morgen-Kuß wäre mir lieber gewesen“, gestand Nathu und rieb sich das Gesicht. Plötzlich hörten sie laut und deutlich eine Stimme. „Los! Auf ins Dickicht! Dort sind sie bestimmt versteckt!“ Das waren keine Aufseher, sondern Jäger. Doch auch denen konnte man nicht trauen und darum verschwanden die elf Jugendlichen, bevor man sie entdeckte. Wenig später standen sie im Wald herum und wußten nicht so recht wohin. Zwar glaubte Nathu den Weg zu kennen, aber er war sich auch nicht so sicher wie sonst. „Wir brauchen schnell ein gutes Versteck. Am Tag ist es zu gefährlich. Wir könnten zu leicht entdeckt werden“, behauptete Sardar. Doch allzu viele Möglichkeiten gab es da nicht. So blieben sie also im Wald, bis sie dort einen geeigneten Unterschlupf fanden, der groß genug für sie alle war. „Ich habe Hunger“, klagte Hirabai. „Vor Dir liegt leckeres Gras“, teilte ihr Bharat grinsend mit. „Hey, bin ich ein Hase oder was?“ „Wenn Du einen Hasen willst, dann mußt Du Dir schon einen fangen. So wie den da“, machte Tejbin deutlich und zeigte auf einen Meister Lampe, der in geringer Entfernung hoppelte. Raja und Parwez wollten sich aufmachen, um ihn zu fangen, aber Sonia rief sie zurück. „Laßt das arme Tier am Leben! Wir werden es schon noch bis morgen durchhalten.“ Geschwisterlich teilten sie sich das Wasser. Es war zwar kühl im Wald, aber trotzdem hatten sie viel Durst. Deshalb machten sich wenig später Shankar, Daya und Parwez auf die Suche nach einer Quelle, um dort frisches Wasser zu holen und in die Flaschen zu füllen. Es dauerte eine Weile, bis sie endlich fündig wurden. Natürlich nutzten sie die Gelegenheit zu einem kleinen Bad, erfrischten sich und tranken, bis sie genug hatten.

Danach machten sie sich auf den Rückweg, auf dem Daya Shankar zur Seite nahm. „Indira und ich haben gehört, was Du mit Nathu besprochen hast“, begann sie. Er schwieg verlegen. „Sie fühlt genauso wie Du, aber sie will, daß alles nicht so schnell geht.“ „Das ist in Ordnung. Ich würde auf sie Jahre warten.“ „Na, ganz so lange muß es nicht sein. Gib ihr noch ein paar Tage und dann ist sie soweit.“ „Danke.“ „Schon gut. Vielleicht kannst Du Dich ja revanchieren.“ „Sag was ich tun soll!“ „Könntest Du herausbekommen, ob Nathu an mir interessiert ist?“ „Ich kann es versuchen, aber ich kann Dir nichts versprechen. Weißt Du, Nathu ist ein ganz besonderer Kerl. Bei dem weiß man nicht ganz so genau, ob er immer das denkt, was er sagt. Ich werde ihn mal fragen.“ „Aber nicht so direkt. Das klingt nämlich sonst aufdringlich.“ „Schon klar. Nein, nur so ganz nebenbei. Jedoch wirst Du Dich ein paar Stunden gedulden müssen.“ „Es eilt nicht. Liebe hat und Liebe gibt Zeit.“ „Ein schöner Satz.“ „Oh ja.“ Einige Minuten später kehrten die Drei mit frisch gefüllten Wasserflaschen zum Versteck zurück. „Irgendwie komme ich mir blöd vor. Da scheint die Sonne und wir müssen uns verstecken“, jammerte Sardar. „Vergiß nicht, daß wir früher auch nichts von den Tagen gehabt haben. Früh aufstehen, bis abends arbeiten und dann schlafen. Jetzt sind wir wenigstens frei“, warf Hirabai ein. „Stimmt. Aber wir sollten nicht zu euphorisch sein. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß uns die einfach so laufen lassen“, gestand Bharat. „Also ich an Deiner Stelle wäre vollkommen beruhigt. Ihr seid ja doch schon einige Zeit auf der Flucht. Bei uns Fünfen ist es gefährlicher. Wir sind nämlich noch nicht lange fort“, entgegnete Raja. „Aber durch das, daß Ihr Euren Jägern ihr Gefährt geklaut habt, habt Ihr Eure Chancen unentdeckt zu bleiben, um Einiges vergrößert“, glaubte Sardar. Damit hatte er natürlich Recht und dennoch fühlten sich die elf Flüchtigen keineswegs sicher. Vor allem solange es noch Tag war. Man hatte keinen großen Bewegungsfreiraum, weil man nicht entdeckt werden wollte und so setzte man sich zusammen und unterhielt sich über die Dinge, die man bisher so erlebt hatte. „Diese Aufseher sind keine Menschen, das sind Tiere. Einmal ist eine von uns umgefallen, weil sie total erschöpft war. Da haben zwei Aufseher auf sie eingeprügelt, bis sie wieder aufstand. Zwei Minuten später lag sie wieder da. „Die taugt nichts mehr“, hat ein Aufseher gesagt und dann haben sie sie draußen auf die Müllhalde geworfen. Dort haben sie das Mädchen angezündet und sie ist bei lebendigem Leibe verbrannt“, erzählte Tejbin. „Diese Aufseher hätten den Schlimmsten aller Tode verdient. Sie stehen nur daneben, schauen uns zu wenn wir uns abplagen und sobald wir eine Sekunde ausruhen, schlagen sie mit ihren Peitschen zu. Was glaubt Ihr wie gerne ich ihnen diese Peitsche abgenommen und damit auf sie eingeprügelt hätte“, lauteten Shankars Worte. „Da bist Du nicht allein. Irgendwie ist das schon frustrierend, wenn wir auf unser Leben zurückblicken. Nur Arbeit, sonst überhaupt nichts. Schlechte Bezahlung, wenig zu essen und überhaupt keine Freizeit. Nie wieder in eine Fabrik“, stellte Bharat klar. Alle Anderen nickten. Sie waren fest entschlossen, sich nie wieder demütigen zu lassen. „Ich bin müde. Irgendwer wird schon wach bleiben und aufpassen“, hoffte Sonia und schloß ihre Augen. Indira hatte inzwischen ihre Perücke in die Tüte zurückgelegt. „Gefällt sie Dir nicht?“ wunderte sich Shankar. „Ich sehe blöd damit aus“, antwortete sie. „Woher willst Du das wissen? Du hast doch gar keinen Spiegel.“ „So etwas spürt man.“ „Und Frau.“ „Genau.“ „Aber so wird man Dich problemlos wiedererkennen. Die paar Zentimeter Haare, die Du Dir abgeschnitten hast, die machen da überhaupt keinen Unterschied.“ „Wenn wir in Neu Delhi sind, dann werde ich mir die Haare färben.“ „Aber bitte nicht rot.“ „Warum denn nicht?“ „Dann habe ich Angst vor Dir.“ „Also am besten rot.“ Beide lachten. Sie lächelten sich an und doch wollten sie Beide noch warten. „Ich würde zu gerne wissen, ob unsere Jäger schon wieder in der Fabrik sind“, gab Nathu zu. „Aber sicherlich. Die werden schon wieder auf der Jagd nach uns sein“, vermutete Raja.

Jedoch irrte er sich mit jener Einschätzung gewaltig. Die Aufseher hatten sich mit ihrer Rückkehr zur Fabrik unglaublich viel Zeit gelassen. Sie dachten, sie würden so den Zorn des Chefs dämpfen können. Eben erst, als Raja an sie gedacht hatte, standen sie vor ihrem Boß. Einer der Aufseher erzählte: „Wir waren ihnen dicht auf den Fersen. Sie hatten vielleicht noch einen Vorsprung von einer Stunde. Da auf einmal ist dieser verdammte Lastwagen abgefreckt. Ich habe schon oft gesagt, daß wir einen neuen brauchen, aber auf mich hat ja noch nie jemand gehört. Jedenfalls sprang das Ding nicht mehr an und so mußten wir zu Fuß weiter. Dieses Handicap hat dafür gesorgt, daß sie entkommen konnten.“ Lange Zeit sagte der Fabrikchef nichts. Es schien, als würde er nachdenken. Dann fragte er: „Und wo ist der Lastwagen jetzt?“ Da wurde der Aufseher, der gesprochen hatte, rot. Was sollte er nun sagen? „Wir haben ihn zu einem Schrottplatz abschleppen lassen. Dort ist er gleich verschrottet worden“, berichtete er frech und seine Kollegen nickten beflissen. „Das glaube ich Euch nicht.“ Jene Worte ihres Chefs stürzten sie in Verlegenheit. Doch die ließ sich der Redner nicht anmerken. „Sie müssen uns glauben. Es ist die Wahrheit“, bekräftigte er energisch. Da zog sein Boß eine Peitsche hervor. „In diesem Teil steckt die Wahrheit. Wenn Ihr sie mir jetzt nicht auf der Stelle sagt, dann bekommt Ihr so eine Tracht Prügel, daß Ihr glaubt, Ihr würdet zu den arbeitenden Kindern hier gehören“, drohte er. Irgendwie war es schon komisch mit anzusehen. Da stand ein kleiner Mann mit einer Peitsche vor 20 weitaus größeren und stärkeren Männern und doch gelang es ihm, sie dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. „Also gut, also gut. Wir sind mit dem Lastwagen gefahren und haben Spuren entdeckt. Da sind wir ausgestiegen, um ihnen zu folgen. Auf einmal begann der Lastwagen davonzufahren. Den Rest mußt Du Dir von ihm erzählen lassen. Der war als Einziger länger dabei“, berichtete einer der Aufseher und deutete auf den Kollegen, der die Flüchtlinge fast zurückgebracht hätte. „Ich untersuchte gerade die Ladefläche des Lastwagens, als der losfuhr. Auf einmal sprangen ein paar Jugendliche auf. Es waren vier der Flüchtlinge, der Fünfte fuhr den Wagen. Ich zwang ihn anzuhalten und auszusteigen. Er stieg aus und lief davon. Ich lud meine Waffe und da blieb er stehen. Auf einmal bekam ich einen Schlag auf den Kopf und ging zu Boden. Doch als sie in den Lastwagen wollten, da packte ich den Stärksten von ihnen und hielt ihm ein Messer an den Kopf.“ „Was war mit Deiner Pistole?“ unterbrach ihn der Chef. „Die hatten sie mir ja weggenommen. Ich hielt dem also das Messer an den Kopf, doch plötzlich schlug mir der seinen Ellbogen in den Magen und ich fiel zu Boden. Dann verschwanden sie“, beendete der Mann seine Geschichte. „Ihr hirnlosen Idioten! Laßt Euch einfach den guten Lastwagen stehlen! Das wird von Eurem Gehalt abgezogen“, machte der Chef wütend deutlich. Verärgert schauten sich die Männer an. „Was glotzt Ihr denn so? Besorgt Euch einen neuen Lastwagen und macht Euch auf die Suche nach dem alten. Und laßt Euch nicht wieder übertölpeln!“ rief er. „Das macht doch keinen Sinn. Den alten Lastwagen können wir doch eh wegschmeißen. Außerdem sind die Flüchtigen alle schon fast 18 Jahre alt. Die hätten wir eh nicht mehr lange hier gehabt“, argumentierte einer der Aufseher, der sich eine Menge Arbeit sparen wollte. Etwas erstaunt schaute sein Chef ihn an. „Na ja, vielleicht ist die Idee gar nicht so dumm. Zwei von Euch kaufen morgen einen gebrauchten Lastwagen und der Rest bleibt hier. Nicht, daß die Kleinen einen Aufstand wagen“, meinte er spöttisch und seine Untergebenen lachten. „Haltet die Schnauze! Ich werde Euch den Arbeitsverlust anrechnen!“ versicherte er. „Aber wenn wir morgen ausreichenden Ersatz besorgen, dann nicht, oder?“ wollte ein Aufseher wissen. „Nicht morgen, heute. Wenn Ihr heute sechs neue Arbeiter herbringt, dann bekommt Ihr Euer Geld“, versprach der Chef. Da machten sich die Kinderfänger sofort auf den Weg. Das alles bedeutete, daß die Flüchtigen nichts mehr zu befürchten hatten. Doch sie wußten nichts von ihrem Glück und blieben deswegen sehr vorsichtig.

 

Ihnen wurde es mit der Zeit in ihrem Versteck langweilig und deshalb suchten sie sich eine Beschäftigung. Parwez zog sein Hemd aus und verknotete es, so daß daraus so etwas Ähnliches wie ein Ball wurde. Dann suchten sie sich jeweils zwei auseinander stehende Bäume aus, die sie zu ihren Toren umfunktionierten. Wenig später ging es los. Shankar, Raja, Nathu, Indira und Daya gegen Parwez, Bharat, Sardar, Tejbin und Hirabai. Sonia spielte nicht mit, sondern machte die Schiedsrichterin. Am Anfang war es ein fürchterliches Gestochere. Meistens trafen sie den Gegenspieler oder traten neben den „Ball“. Doch nach einiger Zeit zeigte sich, daß sie durchaus zu spielen verstanden. Mittlerweile war Nathu aufgefallen, daß es unsinnig war, daß sich alle auf den „Ball“ stürzten und darum verteilte er seine Mitspieler geschickt. Das machte die gegnerische Mannschaft auch und so entstand schon bald ein richtig schönes Spiel. Mit der Zeit bekamen alle Mitspieler den „Ball“ immer besser unter Kontrolle, so daß es wirklich ein Vergnügen war, ihnen zuzuschauen. Irgendwann hörten sie mit dem Zählen der Tore auf und spielten nur noch aus Spaß. Man versuchte etliche Tricks und es machte ihnen riesig Freude. Nach drei kurzweiligen Stunden saßen sie alle völlig erschöpft im Gras. „Ich hätte nie gedacht, daß das so schön sein kann“, gab Raja zu. „Es ist absolut geil. Mensch, wenn ich nur früher die Gelegenheit gehabt hätte“, ärgerte sich Shankar. „Noch ist es nicht zu spät. Auch wenn wir schon einige Jahre harter Arbeit auf dem Buckel haben, so sind wir trotzdem noch jung. Zwar kommt das Spiel von den Engländern, aber es muß nicht alles von denen schlecht sein“, fand Tejbin. „Wie hat es Dir gefallen?“ begehrte Shankar von Indira zu erfahren. „Es war schön“, antwortete sie. „Mehr nicht?“ „Es ist halt doch ein Männersport.“ „Ach was! Ihr könnt doch auch gut spielen.“ „Schon. Aber es gibt halt keine gemischten Mannschaften.“ „Das ist wahr. Aber zusammen sind wir genau elf. Und das reicht für eine Fußballmannschaft“, stellte Bharat fest. Das Hemd wurde wieder fest verknotet und nach der kurzen Pause ging es weiter. Inzwischen beherrschten sie alle ein wenig die Technik und das Zusammenspiel, so daß teilweise ganz ansehnliche Kombinationen zu sehen waren. Wenn man bedenkt, daß sie sich dabei im Wald befanden, dann war das schon sehr bemerkenswert. „Na gut. Jetzt reicht es. Schlafen wir noch ein wenig, bevor wir uns auf den Weg in die Stadt machen“, schlug Sardar nach weiteren zwei Stunden Fußball vor. Die Anderen nickten. Derweil merkte Shankar, daß Daya unruhige Blicke auf ihn warf. Ach ja! Da hätte er fast etwas vergessen. „Kann ich mal mit Dir reden?“ wollte er von Nathu wissen, der sich über jene Frage ein wenig wunderte. „Was ist denn mit Dir los? Du hast mit mir immer reden können, dann wirst Du das jetzt auch noch schaffen.“ Alle lachten. „Nein, ich meine unter vier Augen.“ „Gut, dann mußt Du Deine Augen zumachen. Ich habe nämlich zwei Hühneraugen, also sind es schon vier.“ „Kannst Du nicht einmal ernst bleiben?“ „Wieso sollte ich? So lebt es sich doch viel schöner.“ Sie zogen sich an einen Ort zurück, wo sie unter sich waren. „Wann kümmerst Du Dich eigentlich um eine Freundin?“ fragte Shankar. „Das hat Zeit. Vielleicht finde ich ja in Neu Delhi die Richtige.“ „Hast Du die etwa noch nicht gefunden?“ „Wie kommst Du denn darauf?“ „Na ja, was hältst Du denn von Daya?“ „Sie ist nett.“ „Ist das alles?“ „Was soll ich denn sonst noch sagen?“ „Das mußt Du wissen.“ „Hör mal, ich habe von der Liebe meine eigenen Vorstellungen. Wenn ich eine Frau treffe, die mir gefällt, ich ihr dann in die Augen schaue und darin das gleiche Feuer sehe, das in meinen Augen brennt, dann ist sie die Richtige.“ „Du bist kompliziert. Wenn Du eine Frau mit Feuer in den Augen haben willst, dann geh zu einer Urnenbeisetzung.“ „Hey Shankar, seit wann bist Du so ein Zyniker?“ „Wer mit Dir so lange zusammen ist und Deine Sprüche hört, der wird das ohne es zu wollen.“ „Daya will was von mir. Stimmt’s?“ „So ist es.“ „Und Du solltest mich fragen, wie ihre Chancen stehen?“ „Genau.“ „Hör zu! Sag ihr, daß ich, ach laß es, nein ich sag’s ihr selber, oh, das kann ich nicht, paß auf: Sag ihr, daß ich Zeit brauche. Viel Zeit. Sie soll sich keine zu großen Hoffnungen machen, weil sie nicht enttäuscht sein soll. Sag ihr, daß ich momentan die Freiheit einer festen Beziehung vorziehe. Das kann sich ändern, muß sich aber nicht ändern.“ „Willst Du ihr das nicht selbst sagen?“ „Das kann ich nicht. Weißt Du, es ist eine blöde Sache, wenn jemand was von Dir will, Du aber nichts von ihr. Da weiß man nie, was man machen soll, weil man ja auch keine Gefühle verletzen will.“ „Seit wann nimmst Du Rücksicht auf die Gefühle Anderer?“ „Jetzt hör mal! Ich war kein Aufseher, sondern ein Arbeiter. Bring da ja nichts durcheinander!“ „Schon gut, Nathu. Ich werde es ihr schonend beibringen.“ „Na hoffentlich.“ Sie gingen zu den Anderen zurück. „Na, habt Ihr ausgemacht, wer wieviel bekommt, wenn Ihr uns alle in Neu Delhi an eine Kinderfabrik verkauft?“ scherzte Bharat. „Nein, das lohnt sich nicht. Ihr seid viel zu faul. Sitzt den ganzen Tag nur rum. Mit Euch kann man kein Geschäft machen“, beklagte sich Nathu, der natürlich gern darauf einstieg.

Erst als die Anderen schliefen, nahm Shankar Daya zur Seite und teilte ihr mit, was Nathu gesagt hatte. „Also wird es nichts mit ihm und mir“, gestand sie sich traurig ein. „Gib nicht auf! Er braucht Zeit. Vielleicht wird es ja Liebe auf den zweiten Blick“, tröstete sie Shankar. Doch auch jene Worte konnten nicht verhindern, daß Tränen über Dayas Gesicht liefen. „Laß uns schlafen! Morgen sind wir in Neu Delhi und da sieht die Welt schon ganz anders aus“, glaubte Shankar, um danach die nächsten beiden Wächter zu wecken. Es war stockfinster, als sie sich alle auf den Weg in die Hauptstadt machten. Sie wußten, daß sie ihrem Ziel Schritt für Schritt näher kamen und deshalb fiel ihnen das Laufen auch nicht weiter schwer. Etliche Stunden später waren sie an den Außenbezirken der riesigen Stadt angelangt. „Wir sind da!“ jubelte Raja. Dort fühlten sie sich nun sicher und geborgen, doch schon bald sollten sie merken, daß der Schein trog. Als sie so durch die Straßen schlenderten, tauchten plötzlich fünf bewaffnete Jugendliche vor ihnen auf. „Halt! Stehenbleiben!“ befahl der Eine, der wohl der Chef war und lud seine Pistole. „Was wollt Ihr von uns?“ erkundigte sich Bharat. „Alles was Ihr habt. Und die vier Tussis laßt Ihr auch hier. Wir brauchen nämlich was für die Nacht“, erklärte der Anführer. „Was bildet Ihr Euch eigentlich ein wer Ihr seid? Ihr glaubt, Ihr könnt da in der Nacht rumlungern und fremde Leute blöd anquatschen!“ rief Shankar, der ziemlich wütend geworden war. „Da schau her! Ein Kläffer! Ich sag Dir eins, Freundchen: Es sind hier schon ein paar Leichen abtransportiert worden.“ „Du willst mir drohen. Du, der ein Kanonenrohr braucht, weil er sonst keins hat“, provozierte ihn Shankar. Seine Begleiter lachten und auch die Leute des Bewaffneten verzogen ihren Mund zu einem Grinsen. „Los, Schlange, gib’s ihm!“ forderte einer von denen seinen Boß auf. Der warf seine Pistole weg und zog ein Messer hervor. „Komm her Du feige Sau!“ brüllte er Shankar an, doch der dachte überhaupt nicht daran. „Du nennst mich eine feige Sau und traust Dich nur mit einem Messer gegen mich kämpfen? Du bist hier die feige Sau.“ „Also gut, dann halt ein Faustkampf.“ „Und keine Tricks. Wenn ich gewinne, dann laßt Ihr uns in Frieden durch und wenn nicht, dann kriegt Ihr was Ihr wollt“, schlug Shankar mit lauter Stimme vor. „Einverstanden.“ Sie gingen aufeinander zu. Shankars Begleiter waren wie gelähmt. Sie konnten nicht glauben, auf was für ein Wagnis sich der Junge eingelassen hatte. Sein Gegenüber war etwa zehn Zentimeter größer und um Einiges stärker als er. Wütend stürmte er auf Shankar zu. Der ging einen Schritt zur Seite, ließ seinen Fuß stehen, so daß der Angreifer darüber flog. Shankars Leute klatschten. „Hey Du Memme! So war das nicht ausgemacht!“ beschwerte sich der Sprücheklopfer. „Führ Dich nicht so auf. Man darf jedes Körperteil benutzen. Was kann ich dafür, wenn Du so blöd bist und über meine Füße stolperst?“ Sofort lief der Andere wieder auf ihn zu. Auch dieses Mal genügte Shankar ein großer Schritt, um seinen Gegner ins Leere laufen zu lassen. „Das erinnert mich doch ein wenig an einen Stierkampf“, gab Nathu von sich, der von so etwas schon mal gehört hatte. „Das ist kein Stier, das ist ein Ochse“, spottete Shankar, weshalb sein Gegner noch wütender wurde. Dieses Mal packte er sich Shankar und schlug auf ihn ein. Doch der ließ sich das nicht lange gefallen. Mit ein paar geschickten Armbewegungen brachte er den Chef der Bande zu Boden. „Hast Du jetzt endlich genug?“ fragte Shankar. Da sprang der Andere noch einmal auf und warf sich mit letzter Kraft auf Shankar. Der hatte damit gerechnet und einige Augenblicke später landete der vermeintlich Stärkere kopfüber in einer Mülltonne. „So, den hätten wir entsorgt. Da drin ist er gut aufgehoben. Wer ist der Nächste?“ fragte Shankar in die Runde. Da starrten ihn die vier Verbliebenen an, als ob er ein Außerirdischer wäre. Als die Elf an ihnen vorbeizogen, hob der Anführer seinen Kopf aus der Mülltonne und rief: „Halt! Sagt mir wenigstens wo Ihr herkommt?“ „Frisch aus der Kinderfabrik“, antwortete Shankar und daraufhin zog er mit seinen Kameraden von dannen. „Ich hätte nie gedacht, daß Du so stark bist“, wunderte sich Indira. „Ich auch nicht. Das war nur Technik. Scheiße, jetzt habe ich Euch Vier ja immer noch am Hals“, stänkerte er mit Blick auf die Mädchen. Da versetzte ihm Indira einen Stoß in die Rippen und versicherte: „Jetzt wirst Du uns auch nicht mehr los.“