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Z serii: Killerkatzen #2
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Kapitel 2


Wir sitzen schließlich im Wohnzimmer mit vier Packungen Kartoffelchips und einer halbleeren Tüte karamellisiertem Popcorn.

„Es gibt also keine männlichen Succuben?“ frage ich zum zweiten Mal. Das will mir nicht in den Kopf.

„Nö, Succuben haben nur weibliche Nachkommen“, wiederholt Lily. „Wir bedienen uns der menschlichen Männer, um schwanger zu werden, aber dann werden die nicht mehr gebraucht, und den Rest erledigen die Frauen. Normalerweise leben mehrere Generationen von Succuben zusammen und helfen sich gegenseitig in der Betreuung ihrer Töchter.“

„Bedeutet das, du kennst deinen Vater nicht?“

„Keine Ahnung, wer das ist. Im Grunde genommen war er nur ein Samenspender. Ist mir eigentlich egal, wer das war, obwohl ich ihm für die guten Gene dankbar bin. Meine Mutter ist sehr klein, also muss ich meine körperliche Ausstattung wohl von ihm haben.“

„Und es gibt eine Akademie für Succuben?“, frage ich lachend. „Geht’s da hauptsächlich um Sex?“

Sie schüttelt den Kopf. „Sex ist nur der kleinste Teil. Wir müssen mit den Leuten, die wir konsumieren, nicht schlafen. Verführung kann da viel effizienter sein. Du kannst dir das wie den Hauptgang bei einem guten Essen vorstellen. Das Spiel mit ihren Gefühlen, Hoffnung erwecken, ein bisschen flirten, die Spannung erhöhen, und der Sex dann als Nachtisch.“

„Hört sich gut an.“

Sie grinst und erinnert mich dabei wieder an das in ihr schlummernde Raubtier. „Ist es auch. Ich bin zwar von deren Schule gegangen, bin aber trotzdem eine Expertin in der Kunst des Verführens. Bedauerlicherweise wirken diese Künste nur bei Menschen, sonst hätte ich diesen kleinen Urlaub bekommen können, ohne alle meine kleinen Geheimnisse preiszugeben.“ Sie zwinkert mir zu. „Kann ich gehen? Ist ja nur für ein paar Tage. Es sei denn, ich finde männliche Spielzeuge…. Ich denke da ein einen reichen Geldsack, der mir was geben könnte, damit ich mein Schlafzimmer neu streichen kann.“

„Schon wieder?“ Ich stöhne. „Du hast das doch in den letzten vier Monaten schon mehrmals gemacht“.

Lily zuckt mit den Schultern. „Ich mag halt kleine Veränderungen. Immer dieselbe Wandfarbe ist doch langweilig.“ Im Moment ist ihr Zimmer schwarz gestrichen, mit ein paar dunkelroten Vorhängen in den Ecken. Wäre nicht mein Stil. Bei mir müsste alles schwarz sein.

Unser Gespräch wird unterbrochen, als jemand zur Haustür reinkommt. Ich schnuppere. Griffon. Er ist leicht am Geruch zu erkennen. Voller Testosteron und unterdrückter Wut. Wie ein gespannter Bogen, der jeden Moment reißen kann. Wäre gut, wenn ich nicht dabei wäre, wenn das passiert. Er macht immer einen lustigen, jovialen Eindruck, wenn er sich mit mir unterhält, aber das täuscht meine Katzensinne nicht über die im Innern vorhandene Anspannung hinweg. Er verheimlicht mir was, und ich muss herausfinden, was.

Ich mag keine Geheimnisse, jedenfalls nicht die von anderen Leuten mir gegenüber. Ich selbst stecke voller Geheimnisse, und das ist gut so. Ist doch langweilig, anderen alles über dein Leben zu erzählen. Wozu soll das gut sein? Außerdem gibt es da ein paar Dinge, auf die ich nicht gerade stolz bin, vorsichtig ausgedrückt.

„Wer ist es?“, fragt Lily und erinnert mich daran, dass sie nicht mit demselben Geruchssinn ausgestattet ist wie ich. Ich muss sie später noch weiter zu den Succubus Fähigkeiten befragen. Ist das wirklich nur Verführung oder steckt noch mehr dahinter?

„Ich bin’s“.

Griffon betritt das Zimmer, bevor ich antworten kann. Er ist wie immer gänzlich schwarz gekleidet, hat aber seine dunklen Haare heute nicht zum Pferdeschwanz oder Knoten zusammengebunden, sondern trägt sie offen; sie gehen ihm bis zu den Schlüsselbeinen und umspielen seine Schultern. Das beantwortet auch die Frage, die ich mir seit unserem ersten Treffen immer wieder gestellt habe. Ja, sein Haar ist länger als meines. Beeindruckend. Es ist auch seidiger als meines. Das würde sicher auch mehr glänzen, wenn ich es regelmäßiger waschen würde. Aber Äußerlichkeiten sind mir nicht wichtig. Die Toten fragen nicht, ob ihr Killer geschminkt war oder zottelige Haare hatte.

„Dann überlasse ich euch mal das Feld.“

Lily schleicht sich aus dem Zimmer, noch bevor ich sie auffordern kann zu bleiben. Verdammt, ich wollte doch nicht mit Griffon alleine sein. Ich fühle mich in seiner Gegenwart nicht richtig wohl. Nicht, dass ich etwas Schlimmes erwarten würde. Ich weiß nur nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Ja, er verunsichert mich. Ich geb’s zu. Die Frage ist, wie damit umgehen. Bisher hat funktioniert, nicht mit ihm allein zu sein. Aber jetzt wo Lily gegangen ist, muss ich meine Frau stehen und ihm alleine entgegentreten.

Er setzt sich auf das Sofa mir gegenüber, steht dann kurz wieder auf und entfernt eine leere Chipstüte, auf die er sich gesetzt hatte. Hab nie behauptet, dass irgendjemand hier im Haus gern aufräumt…

„Warum bist du hier?“, frage ich und bin selbst überrascht, wie feindselig ich klinge.

„Ich war hier in der Gegend und dachte, ich schau mal vorbei“, sagt er mit entwaffnendem Grinsen. „Wie geht’s denn so?“

„Ich kann deine Lüge förmlich riechen“, erwidere ich mit starre ihn weiter unnachgiebig an. „Warum bist du wirklich hier?“

Er grinst noch breiter. „Ich hatte Langeweile“.

Ich seufze. „Du lügst schon wieder. Sag die Wahrheit, oder ich schmeiß dich raus. Ich hab eh genug zu tun.“

„Du bist nicht gerade eine nette Gastgeberin, das ist dir schon klar, oder?“

„Ich pflege keine besonders höflichen Umgangsformen“, fauche ich zurück. „Also hau besser ab, bevor ich meine Messerwurfkünste an dir ausprobiere.“

Griffon kichert. „Ganz schön empfindlich. Aber vielleicht bist du ja zufrieden, wenn ich dir sage, dass ich deine Hilfe brauche.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Du? Meine Hilfe?“

Griffon lacht. „Ja, ich. Du kannst mir glauben, das war nicht meine Idee, aber wo du die einzige Auftragsmörderin bist, die meinem Grad an Perfektion wenigstens nahe kommt –„

„Nahe?!“, unterbreche ich ihn. „Ich bin um Längen besser als du.“

Ich fange den Wurfpfeil, den er nach mir wirft, kurz bevor er mich an der Schulter trifft. Zum Glück ist er nicht so schnell wie ich, und mein Pfeil streift ihn am Kinn. Ein Blutstropfen fällt auf sein schwarzes Hemd. Bingo.

Dann fällt mir erst auf, dass wir die Pfeile im selben Moment geworfen haben. Als ob wir denselben Gedanken hatten. Nee, halt mal. Solche Gedanken will ich gar nicht erst aufkommen lassen. Ich habe so hart daran gearbeitet, anders als die anderen zu sein, auch als andere Killer. Nur so bleibt man undurchschaubar. Hoffentlich war das nur Zufall und nicht der Anfang einer Serie.

„War der vergiftet?“, fragt er und schnüffelt an dem Pfeil.

„Nein, dir wird nichts passieren.“ Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme hinter dem Kopf. „Wobei brauchst du meine Hilfe?“

Jetzt, wo ich ihn buchstäblich ausgestochen habe, fühle ich mich viel selbstsicherer. Er will was von mir, das gibt mir die Oberhand. Vielleicht lass ich ihn vor mir auf dem Boden rumrutschen und meine Füße küssen. Danach denkt er dann sicher nicht mehr, dass er besser ist als ich.

„Es geht um ein Mädchen“, fängt er an. Ich starre ihn ungläubig an.

„Du willst von mir einen Rat wegen nem Date?“

Er lacht. „Nee, nicht die Art von Mädchen. Die ist ganz sicher nicht mein Typ. Sie ist zu … unschuldig. Sie ist eine Nachbarin, und jemand hat ihre Halskette gestohlen.“

Ich schüttele den Kopf. „Ich mache keine Ermittlungen. Das war eine einmalige Sache, jetzt ist wieder nur noch Morden angesagt. Keine zu lösenden Fälle, keine Rätsel, kein Kopfzerbrechen.“

„Wenn du die Diebe findest, kannst du sie umbringen“, bietet er an.

Ich lache. „Das hat man mir letztes Mal auch gesagt. Wenn ich das getan hätte, wärst du jetzt tot.“

Er sieht etwas enttäuscht aus. „Ich kann bestimmt auch ein bisschen was Bares finden, wenn du auf eine Belohnung aus bist.“

„Hab im Moment genug Darems, danke. Ich bin wirklich nicht interessiert. Ich will einfach nur, dass alles so wird wie früher.“

„Gedankenloses Töten?“ Er lächelt wissend, aber die Enttäuschung schwingt in seiner Stimme noch mit.

„Genau das. Jemand sagt mir, wen ich umbringen soll, ich tu’s, werde bezahlt. Ganz einfach. Kein Rumsuchen nach irgendwelchen Hinweisen, keine Verhöre, keine Verschwörungen. Schau dir doch nur an, was für ein Chaos diese Untersuchung bei uns hinterlassen hat. Selbst jetzt haben wir noch mit den Folgen zu kämpfen. Nein, ich will das nicht nochmal. Tut mir leid“. Ich lächle ihn an, um meinen Worten die Schärfe zu nehmen. Das habe ich bei anderen beobachtet und will’s selber mal versuchen. Dabei ist mir nicht ganz klar, wieso es solchen Eindruck auf die Leute macht, wenn man seine Lippen nach oben verbiegt. Aber ich bin ja gewöhnt, dass ich nicht verstehe, warum sich andere ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen. In einer perfekten Welt würde jeder geradeheraus sagen, was er denkt und das ganze nicht hinter bedeutungslosen Gesten und Lächeln verbergen. „Du findest sicher jemand anderen, der sich darum kümmern wird.“

Er starrt mich durchdringend an, als wollte er herausfinden, ob das wirklich mein letztes Wort ist. Ich schaue ihm selbstbewusst in die Augen. Ich werde mich nicht erweichen lassen. Hab Lily schon Zugeständnisse mit dem Urlaub gemacht. Jetzt muss ich an mich denken. Ich hab mich in letzter Zeit zu sehr wie ein Mensch verhalten. Muss meine innere Katze wieder zum Vorschein bringen.

 

Griffon nickt kurz und steht auf. „Du weißt, wo du mich finden kannst, wenn du deine Meinung änderst.“

Da bleibt ein komisches Gefühl zurück, als er gegangen ist. Schuld? Nee, wieso denn. Warum sollte ich mich schuldig fühlen? Und nein, ich fühle mich auch nicht einsam. Ich will nicht, dass er bleibt und wir Freunde werden. Überhaupt nicht.

Glücklicherweise reißt mich ein Miau aus meinen Gedanken. Es ist Nyx mit ihrem schönen weißen Fell, das seidig glänzt. Wenn sie ein Mensch wäre, würde sie sicher jeder fragen, womit sie ihre Haare wäscht. Wo sie aber eine Katze ist ….muss es wohl ihre Spucke sein.

„Na, was gibt’s?“, frage ich sie während sie sich an meinen Beinen reibt und zufrieden schnurrt. „Hat man euch gefüttert`“

Sie schnurrt bejahend. Das überrascht mich. An ihrer Stelle hätte ich nein gesagt, um noch mehr Futter zu bekommen. Eine ehrliche Katze, was für eine Seltenheit!

Nyx miaut und springt auf das Sofa und sieht mich dabei erwartungsvoll an.

„Ryker?“, frage ich, und sie nickt. Mist. Ich hatte gehofft, noch ein bisschen Zeit zu haben. Seufzend stehe ich auf. Klar doch, Nyx nimmt sofort meinen Platz ein und streckt sich auf dem warmen Sofa aus. Katzen! Sie wissen, was ihnen guttut.


Ryker wartet hinten im Hof auf mich. Keine der anderen Katzen ist da, wir sind allein. Er sieht noch beeindruckender aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Das Fell um seinen Hals herum ist so buschig, dass es fast wie eine Löwenmähne aussieht. Seine gelben Augen starren mich mit einer Intensität an, die mir Schauer über den Rücken jagen. Es ist an der Zeit, reinen Tisch zu machen.

Ich seufze und beginne mit der Wandlung, wobei sich mein Körper auf total unnatürliche Art und Weise dehnt. Als die Schnurrbarthaare aus meinen Wangen springen, wische ich mit meinen übergroßen Pranken danach. Es kitzelt, obwohl ich eigentlich gern Barthaare habe. Die sind doch das gewisse Etwas.

„Man hat mir gesagt, du wolltest mich sprechen“, sagt Ryker mit seiner tiefen, melodischen Stimme. „Warum geht’s?“

Tut er nur so, als wüsste er das nicht? Ich war der Meinung, er wäre mir in den vergangenen Tagen aus dem Weg gegangen, aber jetzt, wo er mir gegenübersteht, sehe ich nichts Ausweichendes in seinen goldenen Augen. Im Gegenteil, er starrt mich an mit Respekt und Neugier im Blick.

„Du hast mich angelogen“, beginne ich, merke dann aber sofort, dass das so nicht stimmt, hat er nicht. „Zumindest hast du nicht die ganze Wahrheit gesagt.“

Seine Ohren zucken vor Verwirrung. „Wovon redest du? Ich behalte einige Geheimnisse für mich, um meine Familie zu schützen, aber keins davon betrifft dich so sehr, dass du dich darüber aufregen müsstest.“

Aufregen? Vielleicht tue ich das. Gestaltwandler sollten sich einander offenbaren. Sie sind leicht zu erkennen, wenn sie ihre menschliche Form haben, aber das ist viel schwieriger in ihrer tierischen Gestalt. Jetzt im Moment, wo ich gerade erst meine Panther-Gestalt angenommen habe, würde andere Wandler mich erkennen, weil ich noch den menschlichen Geruch habe, aber nach ein paar Stunden wäre der fast völlig verschwunden.

„Was ist denn los?“, fragt Ryker erneut. Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll. Zum ersten Mal im Leben kann ich nicht in Worte fassen, was ich sagen will. Ich möchte seine Unterstützung und seine Loyalität nicht verlieren, aber ich kann auch nicht einfach schweigen und darüber hinweggehen.

„Du hast mir nicht gesagt, wer du wirklich bist“, sage ich schließlich. „Es wäre schön gewesen, wenn du’s mir gesagt hättest.“

Er schüttelt den Kopf. „Ich weiß immer noch nicht, wovon du redest. Ich bin eine Katze. Ich dachte doch, das wäre mehr als offensichtlich. Schau mal, ich hab sogar einen Schwanz.“ Er bewegt ihn aufreizend hin und her. Ich verfluche mich innerlich, dass ich das jedenfalls so interpretiert habe.

Diesmal knurre ich, und der Laut wird von den uns umgebenden Hofmauern zurückgeworfen. „Du bist aber nicht nur eine Katze, oder?!“

Statt einer Antwort fängt er an zu lachen. Das ist ein schönes, selten gehörtes Geräusch, denn Katzen lachen fast nie. Ihre Leben ist dafür zu ernst.

„Ich bin eine Katze. Einfach nur eine Katze. Ich wurde als Katze geboren und werde als Katze sterben. Also – um der lauten Kätzchen Willen, erklär mir, was das alles soll.“

Lauten Kätzchen? Der ist sogar zu vornehm, um ordentlich zu fluchen. So sehr ist er Katze.

Anscheinend bleibt mir nichts weiter übrig – „Du bist ein Wandler“, werfe ich ihm anklagend entgegen. „Du bist wie ich, hast aber nie was gesagt.“

Er hört auf zu lachen und starrt mich an, öffnet und schließt dabei mehrmals die Augen. „Wie um alles in der Welt kommst du auf so was?“

„Dein Blut. Lily hat eine Probe untersucht und festgestellt, dass du das Wandler-Gen hast. Du bist wie ich. Also hör auf, es zu leugnen und ändere deine Gestalt. Ich will ein vernünftiges Gespräch mit dir führen, dieses Versteckspiel muss aufhören.“

Ryker weicht zurück. Sein Fell wird noch buschiger, er nimmt eine sprungbereite Haltung ein. „So bin ich nicht“, stammelt er, sein ganzer Mut scheint ihn verlassen zu haben. „Ich bin eine Katze“. Er schaut auf seine Pfoten und fährt die Krallen aus. „Siehst du? Ich bin eine Katze. Ich bin nicht wie du. Ich bin eine Katze. Ich bin eine Katze.“ Er wiederholt es wieder und wieder, und das überzeugt mich schließlich, dass er es wirklich nicht wusste. So gut kenne ich mich schließlich mit Menschen wie auch Katzen aus, dass ich echte Verwirrung erkennen kann.

„Du irrst dich“, murmelt er. „Das kann nicht sein. Das wüsste ich.“

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Von all den Möglichkeiten, die ich vorab durchgespielt hatte, ist dies eine, auf die ich nicht vorbereitet war. Ich war darauf gefasst, dass er es leugnen würde, aber nur, weil er nicht wollte, dass ich es wüsste, nicht, weil er selbst keinen Schimmer hatte.

„Blut lügt nicht“, sage ich sanft. „Wie kommt es, dass du davon nichts wusstest? Deine Eltern müssen Wandler gewesen sein, die müssen es dir doch gesagt haben?“

Er schaut mich mit einem Blick an, der plötzlich voller Traurigkeit ist. „Ich bin ein Streuner. Ich bin auf der Straße großgeworden, hab meine Eltern nie gekannt. Ich hatte noch nie was mit Menschen oder Gestaltwandlern zu tun, bis ich dich getroffen habe. Ich bin eine Katze, das musst du mir glauben. Nimm nochmal eine Blutprobe. Mach nochmal einen Test.“

Der Drang, mich ihm zu nähern, meinen Leib an seinem zu reiben um ihn zu trösten, wird stärker, aber ich widerstehe ihm. Er muss damit alleine fertig werden. Ich kann ihm dabei nicht helfen. Gut, ich sehe schon, dass er viel Hilfe brauchen wird, um tatsächlich seine Gestalt wandeln zu können, aber jetzt im Moment muss er sich mit den Tatsachen allein auseinandersetzen.

„Das können wir machen“, erwidere ich ruhig. „ Aber ich bezweifle, dass das irgendwas ändern wird. Ich hatte immer den Eindruck, dass du zu einsichtig, zu intelligent warst für eine Katze. Zu mitfühlend. Normale Katzen hätten keine Familie und würden sich auch nicht um verlassene junge Katzen kümmern. Dass du das tust, ist schon Beweis genug für deine menschliche Seite, die wir jetzt noch weiter ergründen müssen.“

„Wir?“, fragt er scharf, aber dann seufzt er. „Wahrscheinlich hast du recht. Es gab durchaus Zeiten, wo ich mich am falschen Platz gefühlt habe, als ob ich anders war als die anderen Katzen. Ich hab das meistens ignoriert, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke…“

Ohne Vorwarnung springt er hoch auf die Mauer.

„Ich brauche ein bisschen Zeit, um damit klarzukommen. Ich komme wieder.“

Damit lässt er mich stehen und allein mit allen meinen Fragen.

Wie zum Teufel soll ich aus einer Katze einen Gestaltwandler machen?

Kapitel 3


Das Leben ist so kompliziert. An manchen Tagen wünschte ich, ich wäre nur eine Katze. Ein Panther. Oder so. In der Sonne liegen, fressen, entspannen, durch den Tag dösen. Schmetterlinge jagen, mich an den Beinen von irgendeinem Fremden reiben, dann weiter schlafen.

Stattdessen gehe ich auf und ab und versuche, Herr meiner Gedanken zu werden. Ich bin allein im Haus und froh darüber. Ich will nicht, dass mich die anderen in diesem Zustand der totalen Verwirrung sehen. Sonst bin ich immer so beherrscht, nach außen hin kühl, aber jetzt …weiß ich gerade nicht, ob ich mit Dingen um mich werfen, jemanden umbringen oder Berge von Eiscreme essen soll. Am besten alles gleichzeitig. Jemandem das Eis an den Kopf werden, ihn so umbringen und es dann essen.

Ich werde noch verrückt. Bestes Zeichen – Eis als Mordwerkzeug verwenden. Da käme nicht mal ein blutiger Anfänger drauf, totaler Scheiß. Mit mir stimmt was ganz und gar nicht. Ich muss wieder in die Spur kommen, weg von diese ganzen wirren Gedanken und Gefühlen. Ich renne ins Büro und nehme die erste beste Akte vom Stapel. Ich muss jemanden umbringen.

Es handelt sich um einen einfachen Auftragsmord, ein Geschäftsmann, der sich mit den falschen Leuten eingelassen hat. Die zahlen gut, hört sich einfach an. Sie würden einen Giftmord bevorzugen, sind aber mit allem einverstanden, was nicht zu viel Schweinerei verursacht. Kein Problem. Ich öffne das Schränkchen hinter dem geschmacklosen Portrait einer schottischen Hochlandkuh (war schon im Haus, als ich’s gekauft habe) und nehme einige Messer und Pfeile heraus. Ich habe immer einige Giftpfeile dabei, die in meine Kleidung eingenäht sind, aber es ist immer gut, eher zu viele als zu wenige dabei zu haben. Man weiß nie, was man da draußen antrifft.

Ausgestattet mit einer größeren Zahl Messern, als die meisten Leute in ihrer Küche haben, gehe ich aus dem Haus und gleich hoch auf die Dächer. Es ist spät am Nachmittag und nicht der perfekte Tag für einen Anschlag, aber ich will nicht länger warten. Ich brauche den Adrenalinschub, das Gefühl absoluter Kontrolle und Körperbeherrschung, mit der ich von einem Dach zum nächsten springe und auf Giebeln balanciere, als hätte ich festen Boden unter den Füßen.

Die frische Luft beruhigt mich weiter. Es riecht nach Regen. Besser, ich bringe das schnell hinter mich und bin wieder zu Hause, bevor die Dächer zu nass und damit unsicher werden. Selbst mir sind Grenzen gesetzt. Um mich auf nassen Schindeln gut fortbewegen zu können, müsste ich wieder Panthergestalt annehmen, und das geht nicht am helllichten Tag. Die Leute mögen ja noch akzeptieren, dass ein Mensch über die Dächer rennt, aber ein Panther … das nähme wohl ein schlimmes Ende.

Meine Zielperson lebt in einiger Entfernung vom M.I.A.U. Hauptquartier und bis ich dort bin, fühle ich mich wieder viel besser. Dies hier ist Routine, etwas Vertrautes. Ich weiß, was ich in dieser Situation tun muss. Jetzt muss ich nur noch die Umgebung auf Verdächtiges absuchen, nachsehen, ob noch jemand im Haus ist und dann zuschlagen. Ganz einfach. Ich lecke meine Lippen, als der Panther in mir sich bemerkbar macht. Vielleicht werde ich doch etwas gewalttätiger vorgehen als geplant.

Ich kauere mich auf dem Dach gegenüber dem Haus der Zielperson nieder und konzentriere mich auf alle Sinneseindrücke. Es ist nur eine Person im Haus, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zielperson. Und auch wenn es jemand anderes sein sollte – ich bin in der Art von Stimmung, die mich keine Überlebenden zurücklassen lässt. Töten ist eine gute Art sich abzulenken. Nachdem ich sicher bin, dass alles ist, wie es sein soll, trete ich zurück, um mehr Raum zu haben. Ich atme tief ein, nehme Anlauf und springe vom Dach – direkt auf das andere Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Trotz aller schlimmen Erfahrungen, die mich mein Wandler-Dasein hat machen lassen, würde ich nicht anders sein wollen. Und wenn ich wählen müsste, würde ich lieber ein Panther als ein Mensch sein.

Das Dach ist in erbärmlichem Zustand, und ich muss aufpassen, dass die Schindeln mir nicht unter den Füßen wegrutschen. Also lieber wieder runter auf festen Boden. Ich will doch meine Zielperson nicht durch merkwürdige Geräusche an der Decke aufmerksam machen. Mit einem Salto rückwärts katapultiere ich mich vom Dach und lande auf allen vieren in einem kleinen Garten. Gänseblümchen wachsen im Gras, ihr Duft kitzelt meine Nase. Ich lächle. Auch das werden die meisten Menschen nie erfahren – wie herrlich Gänseblümchen duften.

 

Geräusche an der anderen Seite des Hauses geben mir die Sicherheit, mich aufzurichten und das Schloss an der rückseitigen Tür zu knacken. Das alte, rostige Schloss leistet nicht viel Widerstand. Die Tür öffnet sich mit einem leichten Quietschen, das selbst ich nicht verhindern kann. Nun gut. Wenn der Mann das hört, müsste ich ihm halt direkt entgegentreten. Wäre mir eigentlich lieber. Ein kleiner Kampf, ein bisschen Hilfe-Geschrei, dann ein zielsicherer Tritt gegen den Hals. Oder ein Messer zwischen die Rippen. Ich lache in mich hinein, als mir klar wird, wie blutgierig ich bin. Diese ganze Ermittlerei hat wohl diesen Blutdurst hervorgerufen.

„Hallo?“, ruft eine tiefe Stimme. Also hat er doch die Tür gehört. Hurra. Das ist doch viel spannender, als mich von hinten anzuschleichen und ihm mit einer schnellen, langweiligen Handbewegung die Kehle durchzuschneiden. Ich eile der Stimme entgegen. Er ist in der Küche und hält ein großes Brotmesser in der Hand. Noch mehr Spaß. Er macht dies zu einer Herausforderung.

Ich grinse raubtierhaft und ziehe zwei Dolche aus meinem Gürtel, werfe sie langsam von einer Hand in die andere. Er reißt die Augen auf.

„Bist du hier um mich zu töten?“ fragt er und hält das Messer fester. Die Fingerknöchel treten weiß hervor, ich kann den Schweiß riechen, der sich auf seiner Haut bildet. Armselig.

„Bitte nicht“, fleht er, taumelt nach hinten, aber die Tischplatte verhindert, dass er weiter zurückweichen kann. Er versucht ein paar hilflose Stöße mit dem Messer, zeigt aber nur, dass er noch nie im Leben ein Messer zu diesem Zweck in der Hand hatte. Das ist zu einfach. Ich hatte gehofft, er wüsste wenigstens mit dem Messer umzugehen.

Ich stürze vorwärts, berühre seine Wange mit dem Dolch und weiche dabei mit Leichtigkeit seinem Messer aus. Ich springe zurück und gebe ihm Zeit zu erkennen, dass ich ihn schon hätte töten können, es aber nicht getan habe. Er fasst sich an die Backe, seine Finger färben sich rot von Blut.

„Bitte“, wimmert er noch einmal mit zittriger Stimme.

Ich greife wieder an und verpasse diesmal der anderen Wange einen Schnitt. Er schreit auf vor Angst und Schmerz. Das macht Spaß. Mit der Beute spielen. Immer wieder treffe ich ihn, bis sein Körper übersät ist mit blutenden Schnitten. Nicht genug, um ihn zu töten, aber genug, mir Vergnügen zu bereiten.

Jemand kommt zur Hintertür herein. Ich sauge die Luft prüfend ein, ohne meinem Opfer anzudeuten, dass er vielleicht doch Glück hat. Ich grinse, als ich einen vertrauten Geruch wahrnehme. Und ziehe dann die Stirn in Falten. Was macht Lennox ausgerechnet hier?

„Bist du noch nicht fertig?“, fragt er, als er die Küche betritt. „Ich konnte die Schreie schon kilometerweit hören.“

Ich zucke mit den Schultern. „Gibt noch ein paar Stellen, die ich nicht erwischt habe. Was willst du hier?“

Der Mann glotzt Lennox an und gibt die Hoffnung auf Rettung wohl auf.

„Du warst nicht zu Hause, also bin ich deiner Spur gefolgt. Wir müssen reden.“

Ich seufze. „Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht wieder Detektiv spielen will. Und ich werde mich auch nicht gegen die Meute stellen.“

„Das ist es nicht. Es ist was Persönliches.“

Das bringt mich dazu, mich zu ihm umzudrehen. „Persönlich?“

Lennox ist niemand, der je über seine Gefühle spricht. Ich kenne ihn gut genug um sein Mienenspiel zu lesen, zu erkennen, wenn ihn etwas beunruhigt, aber die meisten anderen könnten das nicht.

Mein Opfer macht einen verzweifelten Fluchtversuch, aber ich werfe ein Messer nach ihm, ohne genau hinzusehen. Dem gurgelnden Laut nach zu urteilen, hat es sein Ziel nicht verfehlt. Er sackt auf dem Boden zusammen.

„Du hast mich bei der Arbeit gestört“, beschwere ich mich bei Lennox.

Er kichert. „Das sah mehr nach Spaß als nach Arbeit aus. Hat dir nie jemand gesagt, dass man mit Essen nicht spielt?“

Ich grinse ihn an. „Wahrscheinlich hast du das ein paar Mal erwähnt, als wir noch Kinder waren. Hast es dann aber selber getan.“ Ich öffne den Kühlschrank und nehme eine Flasche Orangensaft raus. Töten macht mich immer durstig. Ich finde im Kühlfach auch noch Eiscreme, die Lennox mir sofort abnimmt. Ich sitze auf der Kochinsel und nippe an dem Saft.

„Was ist denn so wichtig, dass du mich stören musstest?“, frage ich und bin gespannt. Es muss schon einen guten Grund geben. Killer mischen sich nie in die Arbeit von Kollegen ein, es sei denn, es ist wirklich wichtig. Das ist eine Art ungeschriebenes Gesetz.

„Wir müssen reden.“

Ich stöhne. „Wir reden doch gerade.“

Er zeigt mit dem Kopf in Richtung Leiche. „Das willst du hier in seiner Gegenwart tun?“

„Ist ja nicht so, dass er die Geheimnisse ausplaudern würde, die du mir vielleicht anvertraust.“

Lennox gluckst. „Das stimmt schon“. Er seufzt. „Ich hab Probleme mit meinem inneren Wolf.“

Ich bin es gewöhnt, dass Lennox über seine andere Gestalt spricht, als sei sie wirklich ein anderes Wesen als seine menschliche. Er hat mir ihr offenbar ein anderes Verhältnis als ich mit meinem inneren Panther. Wir sind eins, ich werde nur ein bisschen wilder, wenn ich mich verwandle. Bei ihm ist das eher wie zwei eigenständige Persönlichkeiten, die im selben Körper wohnen. Manchmal finde ich das ein bisschen unheimlich, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.

„Was für Probleme? Spuck’s schon aus.“

Lennox wendet den Blick ab. Ist ihm das peinlich? Das wäre was Neues.

„Er…er..“

Ich knurre ihn an.

„Er hat sich für jemanden entschieden.“ Er sagt das so schnell, dass ich es fast nicht verstehe. Mein Herz schlägt schneller, als ich die Tragweite des Gesagten erfasse. Lennox hat mir das vor langer Zeit schon erklärt. Wolfs-Wandler bleiben ihrem Partner ein Leben lang treu, und es ist nicht der menschliche Teil, der darüber entscheidet, wer dieser Partner ist. Lennox könnte zwar versuchen, dem inneren Wolf zu widerstehen und eine Partnerschaft mit jemand anderem einzugehen, aber der Wolf würde nie aufhören, sich nach dem von ihm gewünschten Gefährten zu sehnen. Manche Wandler werden verrückt, wenn sie sich ihrem Wolf widersetzen.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gibt Lennox ruhig zu. „Ich bin nicht bereit. Ich will mich nicht auf jemanden festlegen, den ich vielleicht noch nicht einmal kenne. Aber die Sehnsucht ist stark. Sie füllt meine Gedanken bei Tag und in der Nacht, es wird immer schwerer, ihr nicht nachzugeben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann.“

„Wer ist es denn?“, frage ich und habe fast Angst vor der Antwort. Über den Grund dafür will ich noch nicht einmal nachdenken.

„Ich weiß es nicht. Ich muss die Wolfsgestalt annehmen, um das herauszufinden, will das aber nicht. Was, wenn das eine fürchterliche Person ist? Was, wenn sie Mitglied der Meute ist? Oder jemand, der doppelt so alt ist wie ich? Es soll sogar vorgekommen sein, dass ausgewachsene Wölfe sich ein Kind ausgesucht haben und dann zehn Jahr warten mussten, bis sie tatsächlich zusammen sein konnten.“

„Was soll ich für dich tun?“ Es gibt schließlich einen Grund, warum er damit zu mir gekommen ist. Und ehrlich gesagt fühle ich mich auch ein bisschen geschmeichelt, dass er mir immer noch so weit vertraut, nach all den Jahren. Als ob wir nie getrennt gewesen wären.

„Ich möchte, dass du dabei bist, wenn ich mich verwandle. Folge mir, damit du siehst, wen sich der Wolf auserkoren hat. Wenn du denkst, dass es jemand ist, der mir nicht guttun würde, musst du mich wegziehen, mich stoppen. Es gibt Geschichten von Wölfen, die richtig ausrasten und liebestoll werden, wenn sie zum ersten Mal ihrem Partner begegnen. Ich will nicht, dass mir das passiert. Du musst dafür sorgen, dass ich bei Verstand bleibe.“

Ich nicke. „Ich werde mein Bestes tun, muss dich aber warnen. Ich könnte jemanden für ungeeignet halten, den du selber aber liebst.“

Er erschauert. „Ich glaube nicht, dass ich jemanden lieben könnte. Hab zu viel zu tun, um mich zu verlieben. Bin zu schwer geschädigt.“ Den letzten Satz flüstert er. Ich möchte ihn beinahe in den Arm nehmen, ihn an mich drücken, ihm sagen, mir geht es genauso, aber Gefühlsduselei geht bei mir nun mal nicht.

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