Handbuch E-Learning

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Bildung

Der Begriff Bildung, mit dem sowohl der Prozess der subjektiven Entwicklung, in dem der Mensch in eigenständigen und sozialen sowie in pädagogischen Prozessen und Verhältnissen sein humanes Selbst-, Welt- und Naturverhältnis kritisch-rational denk- und urteilsfähig herausbildet und seine persönliche Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit gewinnt, als auch deren Ergebnis, die gebildete und verantwortlich handlungsfähige Person selbst, benannt wird, hat in seiner langen Geschichte immer wieder einen Bedeutungswandel erfahren. Wir verstehen im Folgenden unter Bildung die individuelle und gemeinsame Entfaltung der subjektiven Potenziale bzw. Handlungsfähigkeiten eines Menschen sowohl „aus Erfahrungen im Umgang mit der Natur, mit außermenschlichen, außersozialen Dingen, Prozessen und Ereignissen“ (Nida-Rümelin 2013, 125) als auch in erkannten, gelebten und angestrebten gesellschaftlichen Zusammenhängen zur individuellen und gesellschaftlichen Lebensgewinnung in kooperativen und partizipativen demokratischen Prozessen. Dies schließt die Entwicklung der Erkenntnis-, Kritik-, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit bezogen sowohl auf die natürlichen und gesellschaftlichen Prozesse und Verhältnisse als auch auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung ebenso ein wie die Entwicklung der subjektiven Fähigkeiten für die Erkenntnis der natürlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und die Reflexion der eigenen wie auch der Erfahrungen anderer. Die Kritik- und Urteilsfähigkeit ist Voraussetzung für die Entwicklung allgemeiner und fachlicher Handlungsfähigkeiten zur aktiven Gestaltung der individuellen Tätigkeiten sowie für die aktive demokratische Teilhabe an der Entwicklung und Gestaltung aller Lebensbereiche. Bildung ist nicht die Formung restriktiver Handlungsfähigkeiten von Subjekten, um deren Verwendbarkeit in fremdbestimmten Verhältnissen herzustellen, sondern die Ermöglichung und der aktive eigenständige Vollzug der Entwicklung verallgemeinerter Handlungsfähigkeiten der Subjekte zum selbstbestimmten kooperativen Handeln in der Gesellschaft. Bildung kann nicht nur aus Büchern und anderen Medien erworben werden und findet nicht nur in pädagogischen Verhältnissen statt, sondern immer im Prozess des subjektiven Denkens und Handelns im Lebensverlauf, sie ist letztlich immer Selbstbildung des Subjekts. Bildung wird also von uns nicht als ein Prozess und Ergebnis der pädagogischen Vermittlung und des subjektiven Erwerbs von Wissen im Sinne einer lexikalischen Vielwisserei verstanden, das entsprechend fremdbestimmten Anforderungen aus dem Gedächtnis oder von Datenspeichern oder anderen Experten jeweils abgerufen und in den gesetzten Anwendungsfällen entsprechend den vorgegebenen Zielen kompetent eingesetzt werden kann. Bildung wird also auch nicht verstanden als Erwerb und Besitz von Kompetenzen im Sinne der Herstellung der Employability, der Beschäftigungsfähigkeit.

Kompetenz

Bildung ist vielmehr die aktive Herausbildung ganzheitlich integrierter Sach-, Sozial- und Selbstkompetenzen sowie von Zeit- und Raumkompetenzen als subjektives Potenzial des Denkens, Urteilens und Handelns einer Person zur Gewinnung verallgemeinerter Handlungsfähigkeit, die Mündigkeit im Denken, Urteilen und Handeln notwendig einschließt. „Mündigkeit“ wird von Heinrich Roth bereits 1971 bezogen auf die Praxisanforderungen und umstrittenen Bildungsreformen sachlich und begrifflich trennscharf als „Kompetenz“ interpretiert, „und zwar in einem dreifachen Sinne:


a. als Selbstkompetenz […], d. h. als Fähigkeit, für sich selbstverantwortlich handeln zu können,
b. als Sachkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für Sachbereiche urteils- und handlungsfähig und damit zuständig sein zu können, und
c. als Sozialkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für sozial, gesellschaftlich und politisch relevante Sach- und Sozialbereiche urteils- und handlungsfähig und also ebenfalls zuständig sein zu können“ (Roth 1971, 180).

Hinzuzufügen sind:


d. die Zeitkompetenz, d. h. die Fähigkeit, alle geistigen und körperlichen Handlungen in ihrem zeitlichen Ablauf planen und vollziehen zu können, und
e. die Raumkompetenz, d. h. die Fähigkeit, den verfügbaren Raum für alle zu vollziehenden Handlungen so auszuwählen und zu gestalten, dass die Handlungen effektiv und effizient und ohne negative Folgen vollzogen werden können; dies gilt insbesondere für den virtuellen Bildungsraum.

Das in der Bildungswissenschaft entwickelte Verständnis von Kompetenzen spiegelt sich auch im aktuell entwickelten und vereinbarten Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) unterteilt in Fachkompetenz (Wissen und Fertigkeiten) und personale Kompetenz (Sozialkompetenz und Selbstständigkeit) (siehe ausführlich Kap. 4.4.1).

Kompetenzen sind „der allgemeine Begriff, mit dem wir das besondere Handeln einer Person in seiner realen Gestalt wahrnehmen“ (Langemeyer 2015, 153). Sie werden durch allgemeine und spezielle Lernprozesse vom Subjekt aktiv in pädagogischen Verhältnissen, zeitlichen und räumlichen sozialen und gesellschaftlichen Kontexten, den „Kommunikationskulturen“ (Bauer 2006), bzw. im „Medienmodell der modernen Bildungsgesellschaft“ (Bauer 2009; vgl. auch Moser 2000; Fischbach 2005) herausgebildet. In diesen Zusammenhängen „entwickeln Menschen auch subjektive Gründe und verfügen über gemeinsame Maßstäbe, inwieweit diese vorhandenen Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für sie Bedeutung haben, warum sie auf sie Anziehungs- oder Abstoßungskräfte ausüben, weshalb sie sich etwas aneignen oder erschließen wollen und warum sie eventuell über diesen Stand sogar hinauszugehen versuchen. Mit jeder Veränderung an objektiven Handlungsmöglichkeiten und Ausgangspositionen der Menschen verändern sich auch ihre Gründe und Maßstäbe. In jedem Fall müssen Menschen dabei über Kriterien für ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Ergebnisse, ‚produktive‘ und ‚unproduktive‘ Arbeitsweisen, ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Lösungen verfügen, wenn sie ihr eigenes oder das Handeln anderer bewerten und unter den gewonnenen Einsichten verbessern und weiterentwickeln“ (Langemeyer 2015, 154, Hervorh. im Original).

Kompetenzentwicklung ist damit immer ein Prozess der Bildung der Persönlichkeit in Verhältnissen und Kontexten. Da Kompetenzen als ein ganzheitlich integriertes Potenzial eines mündigen Subjekts zu verstehen sind, kann der Kompetenzbegriff auch nicht, wie dies oft geschieht, allein auf die fremdbestimmte Selbstfunktionalisierung des Subjekts für die heutigen Arbeitsanforderungen reduziert werden. Der Kompetenzbegriff kann daher auch als ein modernes Synonym für den traditio­nellen Begriff der Bildung des Subjekts verstanden werden. Denn gerade die sub­jektive Entwicklung ganzheitlicher Kompetenzen oder eben ganzheitlicher Bildung entspricht den heutigen und zukünftigen Anforderungen in Arbeit, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und den daraus erwachsenden Anforderungen an ein lebenslanges Lernen und Lehren in kommunikativen und partizipativen pädagogischen Verhältnissen. Eine allein nach ökonomischen Kriterien funktional-methodische neue Steuerung der Lernprozesse im E-Learning entsprechend detailliert vorgegebenen Zielen, Inhalten, Strukturen, Handlungen und Lernzeiten verhindert dies.

Beschäftigungsfähigkeit

Der Europäische Rat hat in seiner Lissabon-Agenda im Jahr 2000 beschlossen, die Europäische Gemeinschaft zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu entwickeln. Dies soll durch eine enge Verknüpfung von Wirtschaft und Bildung in lebenslangen Lernprozessen erreicht werden. Dementsprechend soll das oberste Ziel aller Bildungsangebote der auf den Arbeitsmarkt bezogene Erwerb aller erforderlichen Kompetenzen für die Beschäftigungsfähigkeit (Employability) sein, die in nationalen Qualifikationsrahmen (z. B. dem Deutschen Qualifikationsrahmen, DQR) auf der Grundlage des European Qualification Framework (EQF; des Europäischen Qualifikationsrahmens, EQR) europa­weit vergleichbar auf acht Niveaus standardisiert ist. Auch alle akademischen Studien­gänge sollen durch deren Modularisierung und Akkreditierung die Studierenden für den Arbeitsmarkt auf den kompetenzorientierten Niveaus sechs (Bachelor), sieben (Master) und acht (Promotion) effizient qualifizieren (auch als Bologna-Prozess bezeichnet). Als entscheidend für die Beschäftigungsfähigkeit wird der Outcome angesehen, also die nachgewiesene Handlungskompetenz, standardisiert und gemessen nach den Deskriptoren im EQR bzw. DQR. Damit soll

 die Mobilität in Europa erhöht,

 die Gleichwertigkeit allgemeiner, beruflicher und akademischer Bildung sichtbar gemacht,

 die Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem ermöglicht und

 die Transparenz und Vergleichbarkeit der Qualifikationen und zwischen den verschiedenen Bildungssystemen in Europa hergestellt werden (ausführlich siehe z. B. Büchter/Dehnbostel/Hanf 2012).

Beschäftigungsfähigkeit ist „die Befähigung und Bereitschaft des Einzelnen, Kennt­nisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu nutzen und sich durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (AK DQR 2011, 4). Sie wird im DQR im Unterschied zum EQR als umfassende Handlungskompetenz verstanden, der ein weiter Bildungsbegriff entsprechend dem deutschen Bildungsverständnis zugrunde liegt (ebd.). Im Unterschied zum EQR, der die Beschäftigungsfähigkeit in den Kategorien Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen beschreibt, erfasst daher der DQR diese in den Kategorien Fachkompetenz, unterteilt in Wissen und Fertigkeiten, und personale Kompetenz, unterteilt in Sozialkompetenz und Selbstständigkeit (ebd.; Kap. 4.4.1).

 

Durch die Einführung des Qualifikationsrahmens wird eine Umwälzung der Steuerung der Bildungsprozesse von der bildungstheoretisch begründeten Kontextsteuerung, der Steuerung von Input, Prozess und Output, zur Outcome-Steuerung in Gang gesetzt (Sloane 2012, 165). Dies führt allerdings, wie u. a. in der Umsetzung der Bologna-Reformen der Studiengänge zu beobachten ist und auch häufig kritisiert wird, im Gegenteil dazu, dass zum effizienten Erwerb des jeweils vorgegebenen Outcome der dazu erforderliche Input, Prozess und Output, also die Kontextsteuerung, nach Zielen, Aufgaben, Inhalten, Methoden, Ergebnissen, Prüfungen, Zeitaufwand, Mitteln und Orten sehr detailliert und akkreditiert den Lehrenden und Lernenden vorgegeben werden. Dies kann allerdings in Widerspruch geraten zu dem ganzheitlichen Kompetenzbegriff, der insbesondere dem DQR als Leitbild zugrunde gelegt wurde, damit den lernenden Subjekten auf den jeweiligen Qualifikationsniveaus eine umfassende, reflektierte, motivierte und gesellschaftlich eingebundene und engagierte Bildung auf allen Niveaus angeboten und ermöglicht wird (zur Realisierung in digitalen Bildungsangeboten siehe Kap. 4.2.2).

Lehr- und Lernkultur, Didaktik

Die Bildung der Subjekte, das Lehren und Lernen, findet immer in formellen oder informellen pädagogischen Prozessen und Verhältnissen statt. Sie sind bestimmt durch die jeweiligen didaktisch, also inhaltlich und methodisch begründeten Anordnungen der aufeinander bezogenen Handlungen der Lehrenden und Lernenden. Diese didaktischen Handlungsanordnungen sind immer mehrfach bestimmt: zunächst durch die subjektiven Kompetenzdiskrepanzen zwischen den Lehrenden und den Lernenden, sodann durch die ökonomisch, sozial und kulturell bestimmten hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnisse und die darin angestrebte Kompetenzentwicklung der Lernenden zur gegenwärtigen und zukünftigen individuellen und gesellschaftlichen Lebensgewinnung sowie durch die verfügbaren Mittel und die institutionelle Organisation der Lehr- und Lernhandlungen. Lehren und Lernen sind ein gesellschaftlicher Prozess, in dem die digitalen Medien eine wichtige Funktion zur Wissensvermittlung, zur Bildung und zum Kompetenzerwerb sowie zur Kommunikation, Kooperation und Kolaboration haben (Bauer 2017, 15–48). Die gelebten didaktischen Handlungsanordnungen der Lehrenden und Lernenden bilden eine Kultur des Lehrens und Lernens, die heute insbesondere durch die zunehmende Nutzung von Computern, digitalen Bildungsmedien, Internet, Web-2.0-Anwendungen und virtuellen sozialen Netzwerken grundlegend verändert wird. Wie diese durch die informations- und kommunikationstechnischen Entwicklungen angestoßene und vorangetriebene Entwicklung des E-Teaching und E-Learning, also der computer- und internetbasierten Lehr- und Lernkultur, weiter verlaufen wird und zu welchen neuen Handlungsanordnungen im Lehren und Lernen sie führen wird, ist in Ansätzen erkennbar. Die weitere Entwicklung der neuen Lehr- und Lernkultur bedarf aber noch der bewussten kreativen Gestaltung, damit die Lernenden in ganzheitlichen Bildungsprozessen durch expansives Lernen in kooperativen Kontexten verallgemeinerte Handlungskompetenzen entwickeln können. Dafür ist die Entwicklung und Gestaltung einer die Ziele, Inhalte, Formen, Anforderungen und Bedingungen der Lehr- und Lernprozesse vollständig umfassenden differenziellen Didaktik notwendig. Dabei ist zu unterscheiden, ob nur mit Medien gelernt wird oder ob das Lernen mit Medien personal unterstützt wird oder ob die personale Lehre mit Medien unterstützt wird oder unabhängig von den Medien personal gelehrt wird und wie die digitalen Medien gestaltet sind (Ortner 2017, 49–80).

Inklusion

Mit dem Einzug von Informations- und Kommunikationstechnologien in den Bildungsbereich, dem E-Teaching und E-Learning, sind von Beginn an auch Hoffnungen auf neue und erweiterte Bildungszugänge verbunden worden – für Zielgruppen, deren Zugang zu formalen Bildungsinstitutionen bislang aus unterschiedlichsten Gründen erschwert war. Zum Beispiel können Menschen mit Behinderungen durch E-Learning und Assistenztechnologien an Bildungsprozessen partizipieren, die ihnen ehemals verschlossen blieben. Voraussetzung dafür ist, dass das E-Learning-Angebot entsprechend gestaltet ist (siehe Kap. 4.3.4 und Kap. 5.3). E-Teaching und E-Learning können somit Inklusion im Bildungsbereich unterstützen, verstanden als gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an Bildungsprozessen (Deutsche UNESCO-Kommission 2014).

Offene Bildung

Internetbasierte Studiengänge erleichtern darüber hinaus nicht traditionellen Studie­rendengruppen den Zugang zur Hochschulbildung (Arnold/Kumar 2014a, 2014b) und fördern damit eine Öffnung der Hochschulen, verstanden als Reduzierung von Zugangsbarrieren zur akademischen Bildung. So können z. B. Studieninteressierte in abgelegenen Regionen, die mit unterschiedlichsten Fürsorgeaufgaben oder Mobilitätseinschränkungen belastet sind, an akademischer Bildung teilhaben. Insbesondere berufsbegleitende Studienformate können durch E-Learning in vielfacher Weise sinnvoll unterstützt werden, und damit kann auch eine produktive Verbindung verschiedener Lernorte hergestellt werden.

Mit Open Educational Resources (OER) (UNESCO 2002, 2012) und Massive Open Online Courses (MOOCs) (vgl. Schulmeister 2013a) werden weiterhin Zugangsbarrieren zu Bildungsmaterialien und Kursen für alle reduziert und die Öffnung von Hochschulen, aber auch offene Bildung in allen Bildungsbereichen unter aktiver Beteiligung aller Interessierten unterstützt. Hochschulen und auch Bildungseinrichtungen müssen Orte neuer Ideen und deren kritischer Reflexion in der Entwicklung unserer Gesellschaft sein. Dies ist im Sinne einer erhöhten Durchlässigkeit von Bildungsinstitutionen sowie einer größeren Zugänglichkeit von Bildungsressourcen in offenen Bildungsräumen (siehe Kap. 3.5.1) für alle Menschen im Sinne des Menschenrechts auf Bildung. Die Teilnehmenden können kommunikativ vernetzt lernen und auch eigene Projekte zum selbstorganisierten, kooperativen und kolaborativen Lernen einrichten und in digitalen Medien allen präsentieren, z. B. in einer allen zugänglichen Bildungscloud (Meinel 2017). Bildungsmaterialien, die mit offenen Lizenzen versehen sind, die den kostenlosen Zugang und die kostenlose Nutzung der Materialien, ihre Bearbeitung oder Weitergabe ohne oder mit nur wenigen Beschränkungen erlau­ben, tragen zu einer größeren Teilhabe aller Menschen an Bildung bei und damit zu einer wachsenden Bildungsgerechtigkeit (Deutsche UNESCO-Kommission 2014). MOOCs ermöglichen gegenwärtig weltweit die meist kostenlose Teilnahme an in­ternetbasierten Kursen amerikanischer Elite-Universitäten und zunehmend auch europäischer Hochschulen, unabhängig von einer Hochschulzugangsberechtigung oder anderer formaler Voraussetzungen (zu MOOCs siehe Kap. 4.3.3 und zu OER Kap. 5.5).

2.2 Anforderungen an virtuelle Bildungsangebote
Defizite bisheriger Bemühungen

Vor einigen Jahren wurde festgestellt (Carstensen 2009, 252 ff.), dass die entwickelten digitalen Bildungsmedien, trotz vieler Förderprojekte z. B. in Hochschulen, überwiegend nur zur Ergänzung der traditionellen Lehrveranstaltungen verwendet wurden. Eine Reorganisation z. B. der Hochschullehre erfolgte nur sehr selten (Bloh 2010, 7). E-Learning war zwar bereits ein ergänzender Bestandteil in Bildungsprozessen geworden, aber bestimmte noch nicht durchgängig den Alltag im Lehren und Lernen. Wie sich der gegenwärtige Hype um MOOCs (Massive Open Online Courses) langfristig z. B. auf die Hochschullehre auswirken wird, bleibt abzuwarten – eine revolutionäre Veränderung der Lehre ist eher unwahrscheinlich, vielleicht können damit im globalen Hochschulwettbewerb verstärkt Studierende aus anderen Ländern eingeworben und auf ein Studium in Deutschland vorbereitet werden, was auch für andere Bildungsangebote möglich ist. Bislang wurde weder der Aufwand für die erforderliche Professionalisierung der Lehre und des Studiums hinreichend beachtet, noch wurden die Arbeitsbedingungen der Lehrenden entsprechend angepasst und ihr Engagement hinreichend anerkannt. Denn E-Learning-Angebote und virtuelle Bildungsräume müssen von den Lehrenden gepflegt, aktualisiert und erweitert werden. Ebenso bedarf es speziell dafür eingerichteter Support-Strukturen, die mediendidaktische und technische Beratung für Lehrende anbieten können.

Auch fehlt oft eine ausführliche Dokumentation zur Unterstützung der Übertragung auf weitere Lehrangebote, weil dies zusätzliche Arbeit macht (Haug/Wedekind 2009, 30). Meist ist auch noch nicht begriffen worden, dass E-Learning einen grundlegenden kulturellen Umbruch im Lehren und Lernen zur Folge hat, der auf eine wachsende Eigenständigkeit der Lernenden hinausläuft. Dieser kulturelle Umbruch deutet sich bereits an in der breiten Nutzung von multimedialen Informationen, elektronischer Kommunikation und sozialen Gemeinschaften im Internet durch die Lernenden. Die durch Web-2.0-Anwendungen verfügbaren Dienste könnten sehr gut für die Gestaltung individueller und kooperativer Bildungsprozesse zur Entwicklung verallgemeinerter Handlungskompetenzen genutzt werden, und zwar unabhängig von der Bereitstellung virtueller Bildungsräume durch die Bildungsein­richtungen. Für diese offenen Anwendungen im Web 2.0 müssen allerdings auch entsprechende Lehr- und Lernkonzepte entwickelt werden. Beispielsweise durch eine Aufgaben- bzw. Projekt- und Produktorientierung von Lehren und Lernen im Web 2.0, die an praktischen und theoretischen Problemstellungen in der Gesellschaft ansetzt, könnten ganz neue Chancen für eine Verbindung von Praxis und Theorie im Lehren und Lernen eröffnet werden.