Die Prinzipien der Kriegspropaganda

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In seiner Rede vor dem Reichstag rechtfertigte Hitler die Invasion Polens mit denselben Argumenten als legitimen Gegenschlag: »Danzig war und ist eine deutsche Stadt! Der Korridor war und ist deutsch! Alle diese Gebiete verdanken ihre kulturelle Erschließung ausschließlich dem deutschen Volk . Danzig wurde von uns getrennt! Der Korridor von Polen annektiert! Die dort lebenden deutschen Minderheiten in der qualvollsten Weise misshandelt. Über eine Million Menschen deutschen Blutes mußten ihre Heimat verlassen.« Erneut behauptete er, Polen habe seine Vorschläge mit Mobilmachungen beantwortet, »mit verstärktem Terror. Ich habe mich daher nun entschlossen, mit Polen in der gleichen Sprache zu reden, die Polen seit Monaten uns gegenüber anwendet«. Hitler wies also Polen die alleinige Kriegsschuld zu.



Am 1. September 1939 rechtfertigte v. Ribbentrop den Einmarsch der deutschen Truppen in Polen und beteuerte, die polnischen Truppen hätten zuvor Angriffe auf deutsches Territorium verübt, Polen habe Deutschland provoziert und er habe vergeblich auf einen polnischen Unterhändler gewartet. Erneut versicherte v. Ribbentrop, der Führer wolle keinen Krieg und würde sich nur widerstrebend dazu entschließen. Die Entscheidung für Krieg oder Frieden hänge jedoch nicht vom »Führer« ab, sondern von Polen. Bei gewissen Fragen, die von lebenswichtigem Interesse für das Reich seien, müsse Polen nachgeben und Forderungen erfüllen, die für Deutschland unverzichtbar seien. Bei einer Weigerung Polens würde die Verantwortung für einen Konflikt bei Polen liegen und nicht bei Deutschland.

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Am 3. September 1939 erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Was die deutsche Sicht der Dinge – daß nämlich diese beiden Mächte den Krieg begonnen hätten – bestätigte. Deutschland habe ja nur

reagiert

, zunächst auf die polnischen Übergriffe, dann auf die französisch-britische Kriegserklärung. Ein weiteres Argument, das von Deutschland 1939 und 1940 zur Rechtfertigung des Krieges vorgebracht wurde, war die Behauptung, die Engländer und Franzosen sowie ihre Verbündeten würden das III. Reich umzingeln und es zum Krieg zwingen, um diese Umzingelung aufzubrechen. Damit war der Krieg aus deutscher Sicht ein Präventiv- und Verteidigungskrieg. Ein Thema, das übrigens in den Wochenschauen vom Mai 1940 immer wieder auftauchte: Mit Hilfe von Karten wurde die Verantwortung für diese »Umzingelung« den Mächten zugesprochen, die sich nach dem Versailler Vertrag jeder friedlichen Revision dieser feindseligen Vereinbarungen widersetzt hatten.



Auch die Vereinigten Staaten rechtfertigten ihren Eintritt in den Zweiten Weltkrieg mit dem Argument einer »Umzingelung« des Landes durch die Achsenmächte, welche die USA einem Zustand permanenter Gefahr aussetze. Als es zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA kam, gab Hitler selbstverständlich Roosevelt die Schuld, in dem er eine Marionette der internationalen Finanzwelt und der Juden sah.



Nach Ansicht Hitlers habe der amerikanische Präsident sein Land nur deshalb in den Krieg gezogen, um die Bevölkerung von der mißratenen Innenpolitik und dem Scheitern des New Deal abzulenken. Außerdem habe sich Roosevelt »seit Kriegsbeginn in steigendem Maße völkerrechtswidrige Verbrechen zuschulden kommen lassen. Dadurch ist das aufrichtige und von beispielloser Langmut zeugende Bestreben Deutschlands und Italiens, trotz der seit Jahren erfolgten unerträglichen Provokationen durch den Präsidenten Roosevelt eine Erweiterung des Krieges zu verhüten und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufrechtzuerhalten, zum Scheitern gebracht worden. Deutschland und Italien haben demgegenüber sich nunmehr endlich

gezwungen

  gesehen, getreu den Bestimmungen des Dreimächtepaktes vom 27. September 1940 Seite an Seite mit Japan den Kampf zur Verteidigung und damit die Erhaltung der Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Völker und Reiche gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und England gemeinsam zu führen.«

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Die Note mit Hitlers Kriegserklärung an die USA, die der Beauftragte des deutschen Außenministeriums dem amerikanischen State Department übergab, schob den USA die volle Verantwortung für die Konfliktsituation zu. Die Vereinigten Staaten hätten mehrfach ihre neutrale Haltung aufgegeben, seit am 3. September 1939 Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg erklärt hatten, ja sogar Befehl gegeben, auf sichtbare deutsche U-Boote zu schießen und deutsche Handelsschiffe zu kapern: »Obwohl sich Deutschland seinerseits gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika während des ganzen gegenwärtigen Krieges streng an die Regeln des Völkerrechts gehalten hat, ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika von anfänglichen Neutralitätsbrüchen endlich zu offenen Kriegshandlungen gegen Deutschland übergegangen. Sie hat damit praktisch den Kriegszustand geschaffen. Die Reichsregierung hebt deshalb die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika auf und erklärt, daß sich unter diesen durch den Präsidenten Roosevelt

veranlaßten

  Umständen auch Deutschland von heute ab im Kriegszustand mit den Vereinigten Staaten von Amerika befindlich betrachtet.«



Die verbissensten Kriegshetzer gaben sich demnach den Anschein von Unschuldslämmern und wälzten die gesamte Verantwortung für den Krieg auf den Feind ab. Meistens gelang es ihnen auch, der Bevölkerung ihres jeweiligen Landes (und sich selbst womöglich nicht weniger) glaubhaft einzureden, daß sie aus Notwehr zum Handeln gezwungen seien.



Dabei möchte ich nocheinmal betonen, daß es mir keineswegs darum geht, Angreifer und Angegriffene auf eine Ebene zu stellen. Ich möchte nur zeigen, daß in den Lagern der verschiedenen Kriegsparteien stets dieselbe Sprache gesprochen wird. Im Moment des eigentlichen Kriegsausbruchs ist es meist unmöglich festzustellen, welche Seite die Kriegshandlungen tatsächlich ausgelöst hat, denn zu diesem Zeitpunkt stehen weder alle zur Beurteilung wichtigen Quellen noch die Archive der gegnerischen Partei zur Verfügung.



Das zweite Prinzip der Kriegspropaganda wurde nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich noch etliche Male benutzt. Hier einige Beispiele:



Das Bild von der feindlichen »Schlange«, die »unser unglückliches Land umzingelt«, wurde während des Kalten Krieges von der amerikanischen Propaganda häufig verwendet. Zur Illustration eigens entworfene Karten sollten den amerikanischen Bürgern »beweisen«, daß die USA von kommunistischen Feinden eingekreist waren. Somit rechtfertigten diese Karten die Schaffung eines Kriegszustandes, der, natürlich, rein »defensiv« war. Auf der anderen Seite gelang es auch der UdSSR, sich als von den USA und ihren militärischen Verbündeten umzingelt darzustellen.

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Kürzlich schlug ein französischer Abgeordneter im Auftrag der parlamentarischen Verteidigungskommission vor, daß Frankreich sich aus

Verteidigungsgründen

 ernsthafter mit der Erforschung bakteriologischer und chemischer Kriegsführung beschäftigen solle, um

gewappnet zu sein gegen

 den Bioterrorismus, den Saddam Hussein, Nordkorea, Lybien oder der Iran mit Einverständnis Rußlands

auslösen

 könnte . Natürlich erwähnte er mit keinem Wort, daß der Westen auf diesem Gebiet schon lange aktiv ist, er behauptete sogar, die Länder des Westens seien im Gegenteil »bemüht, jegliche Aktivität auf diesem Gebiet inklusive Forschungsprojekte zu beenden.«

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Im Krieg der NATO gegen Jugoslawien im Jahre 1999 wurde in der Propaganda der europäischen Regierungen ebenfalls immer wieder das Argument herangezogen, Europa sei

verpflichtet

, sich diesem Krieg anzuschließen. Das Argument der

Pflicht

 zum Mitmachen war deshalb so wichtig, weil sich die Regierungen der Unterstützung durch die öffentliche Meinung in ihren Ländern nicht sicher sein konnten, denn kein europäisches Parlament war im Vorfeld zu Rate gezogen worden, obwohl das die Verfassung mehrerer Staaten vorschreibt. Als etwa Christian Lambert, der Kabinettschef des belgischen Verteidigungsministers, von Studenten gefragt wurde, warum Belgien sich an den Bombardierungen gegen Jugoslawien beteilige, gab er die Auskunft, Belgien sei durch seine Mitgliedschaft in der NATO dazu

verpflichtet

.

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 Eine in diesem Moment geradezu klassische Reaktion, die aber nicht der Realität entsprach.



Die europäischen Länder wären zwar beim

Angriff

 auf einen NATO-Staat tatsächlich zum Eingreifen verpflichtet, doch das war beim Krieg gegen Jugoslawien keineswegs der Fall. Eine serbische Aggression gegen einen NATO-Mitgliedstaat hatte nicht stattgefunden. Die Militäraktion der NATO gegen einen souveränen Staat war weder durch ein UNO-Mandat legitimiert, noch war die Zustimmung der Parlamente der an der Militäroperation beteiligten Länder eingeholt worden.

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Gerade bei diesem Krieg wurde das Prinizp des »anderen, der angefangen hat« durch die westliche Propaganda in breitem Umfang verwendet, und zwar in einer besonderen Form, die bereits Arthur Ponsonby aufgefallen war: Weil der Feind unsere Stärke verachtet und unterschätzt, können wir uns nicht länger abwartend verhalten, sondern sind gezwungen, ihm unsere Macht zu demonstrieren.



Dieses Argument war vorher schon mit aller Deutlichkeit gegen Saddam Hussein ins Feld geführt worden: 1990 hatte dieser die internationale Gemeinschaft

herausgefordert

 (das Wort verlangt natürlich nach einer Analyse!) indem er in Kuweit

einmarschierte

 (oder, je nach Sichtweise, Kuweit dem Irak zurückgab!). Als die französische Tageszeitung

Le Soir

 am 2. August 2000 an den zehnten Jahrestag dieses Ereignisses erinnerte, das Anfang 1991 den ersten Golfkrieg ausgelöst hatte, war auf der Titelseite zu lesen: »Am 2. August 1990

forderte

 Saddam in Kuweit die Welt

heraus

«.

 



Auf die gleiche Art behauptete die westliche Propaganda 1999, Jugoslawien habe die NATO

herausgefordert

 und sie dazu gezwungen, mit militärischer Gewalt zu reagieren. Am 18. Januar 1999 schrieb

Le Soir

: »Jugoslawien hat die NATO mit unglaublichem Zynismus herausgefordert: Wird die weltweit größte Armee

ihre abwartende Haltung

 noch lange rechtfertigen können?« Und

Le Monde

 titelte am 6. und 7. August 2000: »Die neuen

Provokationen

  des Slobodan Milosevic«.



Die NATO behauptete damals, auf eine serbische Kampagne »ethnischer Säuberungen« gegen Kosovo-Albaner reagieren zu müssen. Rückblickend jedoch bestätigen internationale OSZE-Gutachten interne Dokumente der deutschen Bundesregierung: Als die NATO am 24. März Jugoslawien zu bombardieren begann, regaierte Belgrad mit einer systematischen Kampagne von Gewalt gegen die albanische Mehrheit im Kosovo. Vor diesem 24. März hatten sporadisch Ausschreitungen der Polizei gegen die Albaner im Kosovo stattgefunden, bei denen man jedoch keineswegs von »ethnischen Säuberungen« sprechen konnte.

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 Um jedoch die Bevölkerungen im Westen von der Rechtmäßigkeit des militärischen Vorgehens gegen Jugoslawien zu überzeugen, brauchte man das Argument eines Gegenschlags.



Dem Feind also, festgemacht in der Person des feindlichen Staatsführers, sollte die gesamte Kriegsschuld angelastet werden.



Schuld am Krieg ist Saddam Hussein, »der verbrecherische Diktator der das Scheitern der Verhandlungen in Djeddah selbst

herbeigeführt

 hat, indem er internationales Recht gebrochen und provoziert hat.«

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 Schuld am Krieg ist Slobodan Milosevic, der überdies in seiner Kompromißlosigkeit die westlichen

Friedensvorschläge

 in Rambouillet abgelehnt hat.

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Le Vif-L’Express

 titelte am 7. Mai 1999: »Dem Diktator von Belgrad kommt eine erdrückende

Verantwortung

 zu für das Elend des serbischen und albanischen Volkes«.



Auch auf die jüngsten Konflikte nach dem 11. September 2001 läßt sich dieses Propagandaprinzip anwenden. Diese Kriege waren ebenfalls auf beiden Seiten von Kampagnen begleitet, in denen betont wurde, daß die jeweils andere Seite den Krieg bewußt herbeigeführt habe. So versicherte zum Beispiel Colin Powell während des zweiten Irakkrieges: »Wir Amerikaner sind nicht kriegslüstern. Einen Krieg zu führen, widerstrebt uns zutiefst.«

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 Und Tony Blair argumentierte: »Wir haben diesen Krieg nicht gewollt. Doch durch seine Weigerung, die Produktion seiner Massenvernichtungswaffen aufzugeben, läßt uns Saddam keine andere Wahl als zu handeln.«

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Wenn ein Angriff wie eine »Antwort« aussehen soll, muß der Feind uns »provoziert« haben. Schon ein banaler Vorwand oder ein Ereignis ohne wirklichen Bezug zum Konflikt kann als Anlaß zur Kriegserklärung fungieren. Eine Woche vor der Bombardierung Afghanistans titelte

Le Soir

: »Die Taliban und Bin Laden fordern die Vereinigten Staaten heraus«

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, was unweigerlich den Gedanken an »Erwiderung« aufkommen läßt, Erwiderung auf den Angriff gegen das World Trade Center, auch wenn unklar ist, inwiefern die »Befreiung« Kabuls (oder später Bagdads) weitere Attentate wie das in New York, Bali oder Mombasa verhindern sollte. Um einen militärischen »Gegenschlag« rechtfertigen zu können, wurde ein Terrorakt kurzerhand zum Kriegsakt erklärt. So gesehen kam der Angriff auf das WTC einer Kriegserklärung gleich. Und um den zweiten Irakkrieg rechtfertigen zu können, benutzte man als Vorwand die Nachricht– die sich später als falsch herausstellte –, daß der Irak in Niger angereichertes Uran bestellt habe. Man brauchte den »Beweis«, daß die nukleare Bedrohung von Seiten Iraks eine reale Gefahr darstellt.

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 Der Aggressor konnte seinen Angriff somit als legitime Notwehr rechtfertigen.



Selbst der einseitige Angriff auf Basra im Süden Iraks im März 2003 wurde im britischen Radiosender

Sky News

 mit dem Satz kommentiert: »Unsere Artillerie hat zum

Gegenschlag

 ausgeholt«. . Unter Bezug auf militärische Quellen hatte

Sky News

 dieser Ankündigung Informationen vorausgeschickt (die natürlich später dementiert werden mußten), in denen es hieß, daß »ein Volksaufstand ausgebrochen ist, der von der irakischen Artillerie niedergeschlagen wurde.«

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 Die Koalitionstruppen hätten damit also einfach nur eine ganz legitime Revolte unterstützt. Darüber hinaus ist ein Angriff manchmal unvermeidlich, wenn es gilt, die drohende Verletzung des eigenen Territoriums zu verhindern.



Kriege brechen also aus, weil Milosevic, Bin Laden oder Saddam Hussein sie bewußt herbeigeführt und provoziert haben. Letzterer ist für die Medien inzwischen nur noch kurz und bündig »Saddam«, ein Name wie ein Slogan.



Daß der Regierungschef des feindlichen Lagers so stilisiert wird, ist kein Zufall. Denn das dritte von Ponsonby herausgearbeitete Prinzip unterstreicht die Notwendigkeit, den Feind zu personifizieren. Und das geht am besten mit dem Führer des feindlichen Lagers.






3. Der Feind hat dämonische Züge (oder: »Der Teufel vom Dienst«)





Für eine Gruppe von Menschen in ihrer Gesamtheit kann man nicht wirklich Haß empfinden, selbst wenn sie immer wieder als »der Feind« präsentiert wird. Viel effizienter ist es, negative Gefühle auf den Führer des feindlichen Landes zu konzentrieren. Mit ihm erhält der Feind ein Gesicht, und zwar eins, das natürlich hassenswerte Züge trägt. Kriege werden demnach weniger gegen die »Boches« oder die »Japsen« geführt, sondern vielmehr gegen Napoleon, gegen den Kaiser, gegen Mussolini, Hitler, Nasser, Gaddhafi, Khomeini, Saddam Hussein oder Milosevic.



Die verhaßte Fratze des gegnerischen Führers macht es leicht, individuelle Unterschiede innerhalb des von ihm regierten Volkes einzuebnen, wo der einfache Bürger sonst zu leicht sein Alter ego finden könnte.



Wenn man den Feind schwächen will, dann muß man zunächst seinen Führer als unfähig darstellen und seine Vertrauenswürdigkeit und Integrität in Zweifel ziehen. Eine einfache Methode besteht darin, bei der Erwähnung feindlicher Staatsführer die Bezeichnungen »Präsident« oder »General« in Anführungsstriche zu setzen, was die Rechtmäßigkeit ihrer Funktion sofort schmälert: »Präsident« Karadjic, »General« Mladic.



Dann darf keine Chance verpaßt werden, dem feindlichen Führer dämonische Züge zu verleihen, ihn als Schandfleck darzustellen, den es auszumerzen gilt, als letzten Dinosaurier, Verrückten, Barbaren, als durchtriebenen Kriminellen, Schlächter, Unruhestifter, Feind des Menschengeschlechts, Monster. Als Monster, von dem alles Übel seinen Ausgang genommen hat. Damit besteht das Ziel des Krieges darin, dieses Monster gefangen zu nehmen, was wiederum die sofortige Rückkehr von Moral und Zivilisation nach sich ziehen würde.



Auch wenn uns diese Schilderung des Feindes zuweilen gerechtfertigt erscheinen mag, sollte man nicht vergessen, daß dieses Monster vor dem Konflikt häufig ein gern gesehener Gesprächspartner war, den man manchmal auch nach dem Krieg wieder umschmeichelt, gleichviel ob der Krieg mit Sieg oder Niederlage beendet wurde.



So stand zum Beispiel die österreichische Kaiserfamilie kurz vor dem Ersten Weltkrieg in bestem Einvernehmen mit der belgischen Königsfamilie

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 und der deutsche Kaiser wurde in Großbritannien überaus geschätzt. Nur wenige Monate vor Ausbruch des Krieges wurde Wilhelm II. von den

Evening News

 (17. Oktober 1913) als perfekter Gentleman beschrieben: »Wir alle betrachten den Kaiser als äußerst ehrenhaften Gentleman, dessen Wort uns mehr bedeutet als die Tat manch eines anderen. Er ist uns ein hochwillkommener Gast, den wir mit Bedauern wieder abreisen sehen, ein Herrscher, dessen Ziele für sein Volk auf demselben Recht basieren wie unsere eigenen.«



Doch kaum war der Krieg ausgebrochen, hagelte es die absurdesten Kritiken sowohl am Kronprinzen (von dem es hieß, er sei ein Taschendieb und habe seinen Vater geohrfeigt) als auch am Kaiser, den man schnell als Irren, Mörder und Schlächter beschimpfte, wie der Brief von Sir W. B. Richmond zeigt, der in der

Daily Mail

 vom 22. September 1914 abgedruckt wurde: »Wilhelm, der

Geisteskranke,

 wird weder England, noch das zivilisierte Europa, noch Asien erzittern lassen, auch wenn auf seinen Befehl hin die Kathedrale von Reims zerstört wurde. Dieser letzte Akt des

barbarischen

 Führers wird uns nur enger zusammenrücken lassen, damit wir uns von einer

Geißel

 befreien, wie sie die zivilisierte Welt noch nicht gesehen hat. Dieser

Verrückte

 ist dabei, das Holz für seinen eigenen Scheiterhaufen zusammenzutragen. Das

Monster

 wird uns jedoch keinen Schrecken einjagen können; denn wir beißen die Zähne zusammen im sicheren Wissen, daß, selbst wenn wir bis auf den letzten Mann sterben sollten, dieser moderne Judas samt seiner Teufelsbrut hinweggefegt wird. Um dieses gerechte Ziel zu erreichen, braucht es Geduld, harte Arbeit und Energie. Unser großes England wird sein Blut gerne vergießen, um die zivilisierte Welt von einem

kriminellen

 Monarchen und seinem kriminellen Gefolge zu befreien, denen es gelungen ist, ein fügsames Volk in eine Bande Wilder zu verwandeln. Wie hat Sir James Crichton Dumfries zugerufen: ›Den Strick für den Kaiser‹; ihn zu erschießen würde bedeuten, ihm den ehrenhaften Tod eines Soldaten zu gewähren. Die einzig mögliche Strafe für diesen Verbrecher ist der Galgen .«



Und in

The Times

 vom 15. Mai 1915 konnte man lesen: »Wie Lord Robert Cecil festgestellt hat, sind die Führer Deutschlands die wahrhaft Schuldigen an den von den Deutschen begangenen schrecklichen Verbrechen, den wiederholten Gesetzesbrüchen und Verletzungen aller Sitten des zivilisierten Krieges, das heißt der Kaiser und seine unmittelbaren Berater, und auf sie müssen wir im Rahmen des Möglichen unseren Zorn und unsere Strafe konzentrieren.«

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 Zur Untermauerung seiner Forderung nach Ausschluß des Kaisers aus dem Hosenbandorden beteuerte ein Leitartikel des

Daily Express

: »Städte wurden in Brand gesteckt, Greise und Kinder ermordet, Frauen und junge Mädchen vergewaltigt, harmlose Fischer sind auf Befehl dieses gekrönten

Verbrechers

 ertrunken . Er wird sich ›an jenem großen Tag, an dem über die ganze Welt gerichtet wird‹, für die Opfer der ›Falaba‹ und der ›Lusitania‹ verantworten müssen.«

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Als gegen Ende des Krieges der amerikanische Präsident Wilson das deutsche Volk aufrief, sich seiner Regierung zu entledigen, wenn es wolle, daß der Krieg ein Ende hat, floh der Kaiser in die Niederlande. Die Alliierten verlangten nach dem Krieg offiziell seine Auslieferung, doch die Holländer lehnten ab. Woraufhin die Alliierten vorgaben, sich der holländischen Weigerung zu beugen, aber nur mit Mühe ihre Erleichterung über diese Ablehnung verbergen konnten.



In Artikel 227 des Versailler Vertrags war stipuliert, daß der ehemalige deutsche Kaiser Wilhelm II. von Hohenzollern »wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Verträge«

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 öffentlich angeklagt werden solle. Doch die Alliierten besaßen die Klugheit, darauf zu verzichten, denn ein Prozeß hätte nur die Haltlosigkeit der »Beweise« seiner Schuld offenbart. Als eines der »überzeugendsten Beweisstücke«, daß der Kaiser persönlich die Verantwortung für die Verbrechen der deutschen Armee trüge, galt ein Brief, den Wilhelm II. in den ersten Kriegstagen angeblich an den österreichischen Kaiser geschrieben hatte: »Auch wenn es mir das Herz zerreißt, werden wir alles in Schutt und Asche legen, Männern und Kindern, Frauen und Greisen die Kehle durchschneiden müssen, kein Baum, kein Haus soll verschont werden! Nur mit Terrormethoden wie diesen wird es uns gelingen, ein so entartetes Volk wie das französische zu schlagen, nur so wird der Krieg noch vor Ablauf von zwei Monaten beendet sein. Wenn ich jedoch humanitäre Rücksichten nehmen muß, wird er sich jahrelang hinziehen.« Dieses »Dokument«, das zweifellos den Schluß zuließe, der Kaiser persönlich sei schuld am Ausbruch des Krieges gewesen, wurde durch die Professoren Larnaude (allgemeines öffentliches Recht) und de Lapradelle (Menschenrechte) von der juristischen Fakultät der Universität Paris präsentiert. Die Professoren gaben als Quelle lediglich an, daß dieser Brief in Nummer 138 des von Monseigneur Charmetant herausgegebenen

Bulletin de l’oeuvre des écoles d’Orient

 veröffentlicht worden sei. Niemand jedoch konnte genauere Details über die Quelle dieser Veröffentlichung in Erfahrung bringen.

 



Woher hatten die Herren Professoren diesen Brief? Wo und wann war er geschrieben worden? Wo befand sich das Original? Welchen Beweis gab es für seine Authentizität? Obwohl diese Fragen sich sofort aufdrängen, wurde dieses Schreiben – dessen Existenz formell im

Berliner Tageblatt

 vom 22. November 1921 dementiert wurde und das sehr wahrscheinlich apokryph ist – in der französischen Presse endlos zitiert als

der

 definitive Beweis für die persönliche Kriegsschuld des Kaisers.



Nach dem Krieg waren diese schrecklichen Anschuldigungen über die unheilvolle Rolle, die der Kaiser persönlich gespielt haben sollte, schnell vergessen. Auch erhielt dieser »Verbrecher«, dem man im Krieg den Beinamen »Attila« verpaßt hatte, von den Alliierten die Erlaubnis, seine Tage friedlich in Holland zu beenden. Das Monster hatte sich wieder zum Alter ego der anderen Staatschefs gewandelt, ähnlich wie später die anderen Monster »auf Zeit« wie Yassir Arafat, der lange von den westlichen Medien diabolisiert worden war (als Mörder oder Terrorist), bevor westliche Staatschefs und selbst der Papst ihn als achtbaren Gesprächspartner wieder freundschaftlich empfingen und Toasts auf ihn ausbrachten.



Es gilt also, den Führer des gegnerischen Lagers, gleichviel wie unmenschlich er sich tatsächlich verhält, als grausam, monströs oder geistesgestört darzustellen. Daß Hitler mehr als beunruhigende psychologische Züge offenbarte, stimmt zweifellos. Im Juni 1940 aber brachten die Alliierten einen kleinen Trickfilm in Umlauf, der bei der Unterzeichnung der französischen Kapitulation in Compiègne gedreht worden war und der Hitler als einen geistig Verwirrten zeigt. Die wenigen Aufnahmen, auf denen er lächelnd und selbstzufrieden die Hacken zusammenschlägt und dabei ein Knie hebt, wurden mehrfach hintereinandergeschnitten, um die Illusion zu erzeugen, er führe einen Freudentanz auf! Dieses hitlersche »Tänzchen« sollte in den nicht besetzten alliierten Staaten, in denen der Film gezeigt wurde, den Eindruck erwecken, als sei der deutsche Führer in Wirklichkeit ein gestörter Hampelmann, den man ruhig stellen müsse.



Seit dem Zweiten Weltkrieg gilt Hitler als die Inkarnation des Bösen schlechthin. Jedem Regierungschef des feindlichen Lagers wird daher sogleich unterstellt, sein direkter Erbe oder Doppelgänger zu sein – zumindest solange der Konflikt andauert, denn die Propaganda kreiert immer wieder kleine Hitlers, die vor dem Konflikt als ehrenhaft galten und dann zuweilen rehabilitiert werden, kaum daß der Krieg zu Ende ist. Beispiele sind Stalin, Mao, Kim Il Sung oder Ceaucescu. Von ihnen gibt es Fotos, die sie immerhin in so ehrenwerter Gesellschaft zeigen wie dem belgischen König Baudouin, Charles de Gaulle, dem amerikanischen Präsidenten Nixon. Auch in jüngster Zeit wurde kein »Teufel vom Dienst« mit diesem Vergleich verschont.



Im ersten Golfkrieg wurde Saddam Hussein, der vorher noch als unser bester »säkularer« Verbündeter gegen den Iran der Ayatollahs galt, sogar in Bezug auf sein Äußeres mit dem Nazidiktator verglichen. Das amerikanische Wochenmagazin

Newsweek

 etwa retuschierte ein Bild Husseins, verkürzte seinen Schnurrbart

,

 um ihn auf dem Titelblatt als Hitlers Doppelgänger zu präsentieren. Das Cover der Wochenzeitschrift

Vif-L’Express

 vom 14. Februar 1991 zeigte den finsteren Iraker in ebenso beängstigender Weise vor schwarzem Hintergrund und beschrieb sein Programm wie folgt: »Was Saddam noch im Schilde führt: nuklearisieren, destabilisieren, überfallen, terrorisieren, opfern, ?«



Genauso verfuhr man mit Milosevic. Das italienische Magazin

L’Espresso

 bildete ihn am 9. April 1999 auf dem Titelblatt ab und bezeichnete ihn als »Hitlerosevic«, die eine Hälfte seines Gesichts trug die Züge Hitlers, die andere die Milosevics. Auch

Le Vif-L’Express

 veröffentlichte am 2. April 1999, zu Beginn der Bombardierungen Jugoslawiens, ein sehr düsteres Titelblatt, das auf der linken Seite die Hälfte des Gesichts von Milosevic zeigte und auf der rechten die Worte: »Der schreckliche Milosevic«. Im Innenteil dieses Wochenmagazins erfahren wir, untermauert von düsteren und verstörenden Fotos des jugoslawischen Präsidenten, daß Milosevics »Möglichkeiten, Schreckliches anzurichten, noch lange nicht erschöpft sind«.



Der Mann, der drei Jahre zuvor in Paris bei den Bosnien-Friedensverhandlungen

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 mit Chirac und Clinton sein Glas erhoben hatte, war nun ein Neurotiker, dessen beide Eltern sowie ein Onkel mütterlicherseits Selbstmord begangen hatten, was ohne Zweifel auf eine erbliche psychische Labilität schließen läßt.

Le Vif-L’Express

 zitierte keine einzige Rede, kein einziges Dokument des »Tyrannen von Belgrad«

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, sondern hob seine angeblichen anomalen Stimmungsumschwünge, seine krankhaften und brutalen Wutausbrüche hervor: »Wenn er wütend war, verzerrte sich sein Gesicht. Und im nächsten Moment schon war er wieder völlig beherrscht.«



In

Le Monde

 vom 8. April 1999 werden wir darüber aufgeklärt, daß der Bruder von Milosevic ein Zigarettenschmuggler ist, seine Ehefrau ein Emporkömmling, krankhaft ehrgeizig und sehr labil, eine Frau, deren psychische Probleme auf der Tatsache beruhen, daß sie erst spät von ihrem Vater anerkannt wurde.

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 Woraus

Le Vif

 die Schlußfolgerung zieht: »Slobo und Mira sind kein Paar, sondern eine Verbrecherbande.« Ebenfalls in

Le Monde

 rechtfertigte Pierre Hassner

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 die Bombardierungen Jugoslawiens mit dem Argument, daß sie »auf den primär Schuldigen am Elend Ex-Jugoslawiens abzielen – den letzten Tyrannen des Balkans – und ihn mit Wort und Tat als Gegner definieren.«



Die Technik der Diabolisierung des feindlichen Führers ist sehr effizient und wird sicherlich noch lange Anwendung finden. Bürger und Mediennutzer brauchen offensichtlich »Gute« und »Böse«, die sie klar identifizieren können. Am einfachsten wird diese Identifikation erreicht, indem man den jeweiligen »Teufel vom Dienst« als

neuen Hitler

 präsentiert. Wer es wagt, auch nur Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung anzumelden, daß der jeweilige Gegner die Inkarnation des Bösen sei, oder sich gar erdreistet, ihn zu verteidigen, der wird sofort disqualifiziert.



Ohne jemals zu erklären, wer ihm diesen Spitznamen verliehen hat, verwendete die französische Tageszeitung

Libération

 (17. Juli 2000) die Bezeichnung »Hitler« für den Anführer der Schwarzen, die in Zimbabwe Land besetzten und titelte: »Zimbabwe unter hitlerscher Durchhaltepolitik«. Dasselbe Blatt schrieb, daß »Chenjerai ›Hitler‹ Hunzvi« von einem Sondergericht für schuldig befunden worden sei, zu den illegalen Landbesetzungen angestiftet zu haben und fügt hinzu (26. April 2000): »Wie die BBC berichtet, sagt der ›nom de guerre‹ dieses Führers alles über seine Auffassung von Humanismus«. Auch

Vif-L’Express

 ergriff für die weißen Bauern von Zimbabwe

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 Partei (die, was allzuoft vergessen wird, Großgrundbesitzer sind und britische Siedler, die sich weigern, die Nationalität des Landes anzunehmen) und gegen die Anhänger von Präsident Mugabe (die, auch dies wird nur zu gern vergessen, sehr arme Bauern sind). Um die Erhebung der schwarzen Bauern zu disqualifizieren, wurden in einem Artikel die lokalen Stammesfürsten angeprangert, vor allem aber die Galionsfigur der ehemaligen Kämpfer, Chenjerai Hunzvi. Der erhalte »seine Befehle direkt aus dem

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