Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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Die lange Geschichte der kurzen Formen



Frank Liedtke





Einleitung



Das Ideal eines Satzes im Allgemeinen wurde lange Zeit darin gesehen, dass er aus zwei Gliedern besteht – Subjekt und Prädikat – und dazu dient, einen möglichst zutreffenden Gedanken auszudrücken. Diese Bestimmung seiner Form wie auch seiner Funktion findet sich bei Aristoteles in der Schrift

Peri hermeneias

. In diesem frühen sprach- und zeichentheoretischen Entwurf geht es um die gegenseitige Zuordnung der Dinge sowie der Gedanken und der Laute eines Sprechenden im Behauptungssatz:



Die Gedanken in der Seele eines Sprechenden sind – als Abbilder der Dinge – weder wahr noch falsch, und die Laute, die ihnen zeichenhaft entsprechen, sind es in Gestalt isolierter Nomen oder Verben ebenfalls nicht. Erst wenn die Gedanken in der Seele miteinander verbunden werden, und entsprechend die Nomen und Verben in der Rede, kann Wahrheit oder Falschheit zugesprochen werden (

Peri hermeneias

, 1. Kap., 16a).



Seine Funktion kann der Behauptungssatz nur erfüllen, wenn er mindestens zweigliedrig ist und so die Verbindung der Gedanken anzeigen kann – zutreffend oder unzutreffend. Diese Grundauffassung der Zweigliedrigkeit wurde bis ins 19. Jahrhundert unhinterfragt übernommen. Kurze Formen sind demgegenüber durch das Fehlen eines der beiden Glieder ausgezeichnet, entweder des Subjekts oder des Prädikats.



Ob und inwiefern auch diese Formen die Funktion des Gedankenausdrucks erfüllen können, war Gegenstand einer Ende des 19. Jh. einsetzenden Debatte über die Eingliedrigkeit von Sätzen, die sich weit ins 20. Jh. hineinzog. In ihrem Verlauf etablierte sich allmählich die Auffassung, dass eingliedrige Sätze nicht unvollständig oder defizitär sind, sondern gleichrangig gegenüber zweigliedrigen Sätzen zu behandeln sind. Die Untersuchungen von Behr / Quintin (1996) über verblose Sätze, von Schwabe

et al.

 (2003) zu ‚Omitted Structures‘ sowie von Redder

et al.

 (2012) über unpersönliche Konstruktionen bilden rezente Beispiele für diesen Perspektivenwechsel.



Im Folgenden soll die Debatte um die Eingliedrigkeit von Sätzen in wissenschaftshistorischer Absicht nachgezeichnet werden, da hier schon wesentliche und sehr moderne Argumente für kurze Formen, verbunden mit Überlegungen zur Funktion von Sätzen, vorgebracht wurden. Grundsätzlich – soviel sei schon gesagt – geht es in dieser und den nachfolgenden Debatten um die Frage, ob ein aus der Logik übernommenes Muster der Satzbildung verbindlich ist, was für die Zweigliedrigkeit spricht, oder ein sprachnahes Kriterium gilt, was die Eingliedrigkeit von Sätzen durchaus zulässt. Näheres dazu im folgenden Abschnitt.



In einem zweiten Zugriff sollen darüber hinaus einige Auffassungen zu unpersönlichen Konstruktionen in der neueren Semantik- und Pragmatikdiskussion dargestellt und diskutiert werden, woran sich einige grundsätzliche Überlegungen zur Kontextbezogenheit von Satzäußerungen anschließen.





1 Die Debatte um die Eingliedrigkeit von Sätzen



Mit Franz Miklosichs Abhandlung über ‚Subjectlose Sätze‘, in zweiter Auflage 1883 erschienen, liegt ein Ansatz vor, der sehr früh in großer Klarheit und Entschiedenheit von der Auffassung der notwendigen Zweigliedrigkeit Abstand nimmt und ‚subjectlose‘ Sätze als vollständige Prädikationen akzeptiert. Maßstab ist dabei das ‚Bewusstsein des Sprechenden‘, letztlich also ein psychologisches Kriterium. Ein großer Teil der Schrift hat die Geschichte der Behandlung subjektloser Sätze im 18. und 19. Jahrhundert zum Gegenstand, wobei gleich zu Beginn eine dezidierte wissenschaftshistorische Position zum Tragen kommt:



der Theil der Abhandlung, der die Geschichte dieser Frage zum Gegenstande hat, dürfte namentlich dadurch von Interesse sein, dass daraus hervorgeht, welcher Scharfsinn vergeblich aufgeboten wurde um eine unhaltbare Theorie zur Geltung zu bringen. (Miklosich 1883: 1)



Dreißig Jahre später wird diese Diagnose von Theodor Siebs bestätigt, der über die Behandlung subjektloser Sätze durch Logiker wie Benno Erdmann schrieb:



Sie berücksichtigen mehr das, was ihrer Ansicht nach in der Sprache vorhanden sein sollte, als das, was wirklich vorhanden ist, und suchen mehr das, was nicht gesagt ist, zu erklären, als das, was gesagt ist. (Siebs 1910: 256)



Diese pessimistische Einschätzung hindert weder Miklosich noch späterhin Siebs daran, sich ausführlich mit den inkriminierten Theorien auseinanderzusetzen. Miklosich geht es dabei zunächst um das Vorbringen von Gründen, die gegen die etablierte Auffassung der Zweigliedrigkeit sprechen. Verbunden damit ist eine terminologische Entscheidung, die schon in sich programmatischen Stellenwert hat. Zur Auffassung der notwendigen Zweigliedrigkeit schreibt Miklosich: „Diese Ansicht ist in der Sprache nicht begründet, indem es Sätze gibt, denen das Subject fehlt. Dergleichen Sätze nennen wir subjectlos “ (

ebd.

). Der Begriff des ‚subjectlosen Satzes‘ wird gegenüber dem der ‚Impersonalia‘ bevorzugt, um auf diese Weise die mögliche Eingliedrigkeit noch einmal hervorzuheben.



Selbst wenn man sich versuchshalber auf die Sichtweise einlässt, subjektlose Sätze seien unvollständig und benötigten zur Vervollständigung ein weiteres Element, dann stellt sich sogleich die Relevanzfrage, denn die einzig mögliche Ergänzung ist eben das Subjekt. Daraus folgt: „Ist aber das mangelnde das Subject, so muss das vorhandene das Prädicat sein; man kann demnach dergleichen Sätze auch Prädicatsätze nennen“ (Miklosich 1883: 3).



In der Auseinandersetzung mit Anhängern der Zweigliedrigkeit geht Miklosich unter anderem auf Heyman Steinthal (1860) sowie Jacob und Wilhelm Grimm (1962) ein. Ersterer wendet gegen die Idee der Subjektlosigkeit ein, dass in der Personalform des Verbs grundsätzlich das Subjekt des Satzes aufgehoben sei. Dieser Auffassung stellt Miklosich ein Redundanzargument entgegen, indem er darauf hinweist, dass die mit einer Personalform versehenen Verben durchaus mit einem Subjekt verwendet werden können, woraus sich eine Doppelmarkierung ergäbe. Das Subjekt könne deshalb nicht inhärent im Verb liegen.



Jacob und Wilhelm Grimm plädieren in ihrem Wörterbuch dafür, das Neutrum des ‚es‘ in ‚es regnet‘ dafür verantwortlich zu machen, dass nur eine eingeschränkte Subjekthaftigkeit vorliegt. Hiermit werde nur eine unbestimmte Entität bezeichnet, die unserer Wahrnehmung nicht zugänglich sein muss:



darum sagt dafür ein leiser unpersönlicher Ausdruck zu, der ganz unterbleiben könnte und in anderen Sprachen unterbleibt. In dem „es“ ist kein leibhaftes Subjekt gegeben, nur der Schein oder das Bild davon. (Grimm / Grimm 1962, Bd. 3, 1112; zit. nach Miklosich 1883: 3)



Obwohl dies als ein Schritt hin zur Loslösung von der unbedingten Subjektvorstellung zu werten ist, plädiert Miklosich gegen die vom Genus Neutrum gestützte Unbestimmtheitsthese. In seinem Gegenargument bezieht er sich auf Sprachen, denen das Genus Neutrum fehlt oder in denen die Genuskategorie als solche nicht vorkommt. Auch diese Sprachen besitzen allerdings Impersonalia oder subjektlose Sätze, so dass diese Eigenschaft nicht auf den unbestimmten Charakter des Genus Neutrum zurückgeführt werden kann.



Eine auch das Terminologische stützende Position findet Miklosich in der von Steinthal posthum herausgegebenen Schrift ‚System der Sprachwissenschaft‘, verfasst von Karl Wilhelm Ludwig Heyse (Berlin 1856). Dieser plädiert vor Miklosich schon für den Terminus ‚subjectlose Verba‘ und begründet dies damit, dass es zeitliche Vorgänge oder Erscheinungen gebe, „ die ihrer Natur nach keinem Subjecte angehören: es regnet. Das „es“ nimmt hier nur die vacante Stelle des Subjectes ein, ohne einen wirklichen Gegenstand zu bezeichnen.“ (Heyse 1856: 401; zit. nach Miklosich 1883: 12).



Miklosichs formorientierte Sicht findet nicht überall Zustimmung. Eine Gegenposition zu dieser findet sich bei Wilhelm Wundt, der sowohl an die Grimmsche Unbestimmtheitsthese als auch an Steinthals Theorie der Subjekthaftigkeit der Personalendung anknüpft. Der vom Subjekt ausgedrückte Satzgegenstand ist demnach unzweifelhaft vorhanden, auch wenn er nicht buchstäblich ausgedrückt ist:



In der Endung des Verbums

pluit, tonat

, oder in unseren neueren Sprachen in dem unbestimmten Pronomen

es

, in

es regnet

,

es donnert

, ist unzweideutig ausgedrückt. So ist denn das Impersonale logisch betrachtet nichts anderes als ein ‚unbestimmtes Urteil‘, wenn wir diesen Ausdruck ‚unbestimmt‘ auf das Subjekt desselben beziehen. (Wundt 1904: 225)



Hebt Wundt in seinen Bemerkungen in der Völkerpsychologie noch auf das unpersönliche Pronomen und damit auf die semantische Unbestimmtheit ab, so argumentiert Hermann Paul stärker mit Blick auf den aktuell vollzogenen Sprachgebrauch. Im Sinne der synthetisierenden Funktion des Satzes stellt Paul zunächst einen scheinbaren Widerspruch fest zwischen der Zweigliedrigkeit von Sätzen einerseits und der offenkundigen Tatsache, dass es eingliedrige Sätze gibt, andererseits:



Der Widerspruch löst sich so, dass in diesem Falle das eine Glied, in der Regel das psychologische Subjekt, als selbstverständlich keinen sprachlichen Ausdruck gefunden hat. Insbesondere ist zu beachten, dass es in der Wechselrede sehr häufig den Worten des Anderen zu entnehmen ist. In anderen Fällen ist die Anschauung, die vor dem Sprechenden und Hörenden steht, die Situation das psychologische Subjekt, auf welches die Aufmerksamkeit noch durch Gebärden hingelenkt werden kann. (Paul 1920

P

: 129, § 90)

 



Den Einfluss des Situationsbezugs macht Paul auch in seiner Grammatik mehrfach geltend, so beispielsweise in folgender Bemerkung:



Wo keine Anknüpfung an eine vorhergehende sprachliche Äußerung stattfindet, kann ein einzelnes Glied nur dadurch zu einer Mitteilung werden, daß es an die Situation angeknüpft wird. (Paul 1920

G

: 375)



Am Beispiel des Ausrufs

Feuer

 sowie auch des grammatisch eingliedrigen

es brennt

 macht Hermann Paul klar, wie er sich die Funktion der Anknüpfung genauer vorstellt. Auch hier handelt es sich ja um die Verknüpfung zweier Vorstellungen, die man in diesem Falle als ein Subsumptionsverhältnis konzipieren muss. Die konkrete Erscheinung des Feuers wird unter die „schon in der Seele ruhende Vorstellung von Brennen oder Feuer“ untergeordnet (s. Paul 1920

P

: 132). Infolgedessen besteht die Aufgabe eingliedriger Sätze darin, „eine konkrete Anschauung mit einem allgemeinen Begriffe zu vermitteln“ (Paul 1920

P

: 133).



Positionen wie diejenige von Wilhelm Wundt und Hermann Paul werden von dem Sprachphilosophen Anton Marty wenig schmeichelhaft als „gewöhnliche Anschauung“ bezeichnet (s. Marty 1918: 4). Letztere besteht darin, dass jedes Urteil eine Verbindung von Vorstellungen, jede Aussage eine Verbindung von Prädikat und Subjekt sei. Auch Marty identifiziert unpersönliche Konstruktionen als solche, die diesem Bild widersprechen:



In den Sätzen „Es regnet“, „Es blitzt“, obschon sie wahrhafte Aussagen zu sein scheinen, ist aber, wenigstens auf den ersten Blick, keine Subjektsvorstellung gegeben, kein Gegenstand, welchem das „Regnen“ als Prädikat beigelegt würde. (

ebd.

)



Hieraus zieht er allerdings, auch auf den zweiten Blick, nicht die Konsequenz einer irgendwie gearteten Ergänzungsstrategie, sondern er nimmt diese Formklasse zum Anlass, sie einer eigenen Kategorie zuzuordnen. Der Gang seiner Argumentation entwickelt sich so, dass er zunächst gegen eine theoretische Täuschung plädiert:



Der Schein der Kategorie entsteht vielmehr lediglich, indem ein vollsinniges Verbum finitum in der dritten Person des Singulars die Täuschung erweckt, als ob es (mit oder ohne das Flickwörtchen es) sowohl ein pronominales Subjekt als ein verbales Prädikat involviere, während es in Wahrheit nur den Namen eines Vorganges nebst dem Zeichen der Anerkennung oder Verwerfung involviert (so bei „Es regnet“, „Es donnert“, pluit, tonat u.dgl.) . (Marty 1918: 272)



Im Anschluss an diese Argumentation trifft Marty sodann seine terminologische Entscheidung:



Wem es aber gezwungen erscheint, auch ihnen diesen Namen zu geben, der mag als universelle Bezeichnung für alle Aussagen, welche Ausdruck einfacher Urteile sind, den Terminus thetische Aussagen wählen. (Marty 1918: 280)



Durch diese kategoriale Entscheidung ist Marty in der Lage, unpersönliche Konstruktionen, Impersonalia oder subjektlose Sätze ihrer ursprünglichen Form entsprechend zu behandeln, ohne Zusatzannahmen auf der Ebene der Form oder des psychologischen Hintergrunds zu machen.



Schaut man sich eine zehn Jahre später erschienene Quelle an, so wird klar, dass um diese Zeit die Debatte um die Eingliedrigkeit abgeschlossen ist. So nimmt beispielsweise Otto Behaghel in seiner

Deutschen Syntax

 (1928) ohne größere Umschweife ein- und zweigliedrige Sätze an, wobei er von letzteren im § 1100 allerdings sagt, sie würden als ‚Vollsätzeʻ bezeichnet (s. Behaghel 1928: 435). Zu den eingliedrigen Sätzen rechnet er Interjektionen, Vokative, Anredepronomen und Imperative. Des weiteren zählen zu diesen – im § 1114 – auch unpersönliche Konstruktionen wie ‚es erträgt sich nicht, daß wir rauchenʻ und unpersönliche Verba ‚es donnerteʻ (s. Behaghel 1928: 444f.). Dass diese Formen als reguläre Einheiten der Syntax angesehen werden, wird auch dadurch klar, dass den genannten Beispielen das Prädikat der ursprünglich eingliedrigen Sätze zuerkannt wird, während demgegenüber die unursprünglich eingliedrigen Sätze abgebrochene Sätze oder durch „Ersparung aus zweigliedrigen Sätzen entstandene eingliedrige Sätze“ darstellen (s.

ebd

.).





2 Ambienz, versteckte Indexikalität und unartikulierte Konstituenten



Auch wenn man sagen kann, dass die Debatte um eingliedrige Sätze, die sich vor allem an Wetterverben entzündet hatte, in den zwanziger Jahren des 20. Jh. abgeschlossen ist, stellen Konstruktionen wie





 (1) Es regnet





und verwandte weiterhin eine sprachtheoretische Herausforderung dar. Dies ist nicht mehr auf die Form des Satzes zurückzuführen, der vermeintlich einem Vollständigkeitsideal widerspricht, sondern auf seine Verankerung in einem räumlichen Koordinatensystem. Es ist schlüssig zu erklären, wie eine Lesart zustande kommt, die eine Beschränkung auf einen mehr oder minder abgegrenzten Raum leistet. Denn es muss der offenkundigen Intuition Rechnung getragen werden, dass die Aussage, dass es regnet, nicht von jedem beliebigen Ort gemacht wird, womit der Satz trivialerweise wahr wäre und somit keinen Informationsgehalt tragen würde. Die standardisierte Interpretation bezieht den Satz auf einen spezifischen Ort, und dies ist in der Regel der Ort, an dem sich der Sprecher / die Sprecherin befindet. Sollte es ein anderer Ort sein, so muss dies explizit angegeben werden oder aus dem unmittelbaren Redekontext hervorgehen.



In einem Beitrag zu einem rezenten Sammelband über unpersönliche Konstruktionen verweist Irmtraud Behr auf die Einsicht Wallace Chafes, der Formen wie (1) den ambienten Konstruktionen zuweist. „Es handelt sich dabei um Zustände (

es ist heiß / spät, es ist Dienstag

) oder Ereignisse (

es regnet / schneit

), die als „allumfassend“ bezeichnet werden“ (Behr 2012: 132). Allumfassend, möchte man ergänzen, in Bezug auf einen umschriebenen Raum, in dem Sprecher_in und Hörer_in sich aufhalten. Chafe schreibt zu diesen Konstruktionen: „Die Bedeutung von Sätzen wie diesen scheint in nichts anderem als einer Aussage, aus einem Prädikat zu bestehen, in dem es kein „Ding“ gibt, worüber die Aussage gemacht würde“ (Chafe 1976: 102, zit. n. Behr 2012). Ambienz kann somit als die Eigenschaft eines Prädikats gelten, dass ein Agens von diesem

nicht

 abgetrennt werden kann – bei Marty hatten wir dieses Phänomen als thetischen Satz kennen gelernt. Mit Bezug auf ein Erklärungsmuster von Tosco / Mettouchi (2010) spricht Behr im Zusammenhang mit unpersönlichen Konstruktionen von Herabstufung oder Backgrounding einer Entität oder eines Ereignisses. Diese drückt sich in Konstruktionen wie (1) dadurch aus,



dass generische oder unspezifische Lexeme zur Verwendung kommen. Die Herabstufung des einen Elements bewirkt die Aufstufung oder Hervorhebung des anderen Elements. Dieses kann dann als situationell salient empfunden werden. (Behr 2012: 133)



Der Prozess des Backgrounding würde dann die Entität betreffen, die durch das unspezifische

es

 ausgedrückt wird.



Ambiente Konstruktionen stellen insofern eine Herausforderung dar, als in ihrer Beschreibung der systematische Bezug auf den umgebenden Raum berücksichtigt werden muss. Ich möchte mich im Folgenden mit einem Ansatz auseinandersetzen, der diesen Bezug in Form einer Konstituente des geäußerten Satzes, wenn auch einer unartikulierten Konstituente, auffasst. So ist der Mitbegründer der Situationssemantik, John Perry, bei der Behandlung von Sätzen wie

es regnet, es schneit, es donnert

, aber auch

es stinkt, es ist laut

 verfahren. Sie sind in seiner Sicht durch ein indexikalisches Element zu ergänzen, das mit

hier

 angegeben werden kann (s. Perry 1998). Wir sprechen es allerdings in der Regel nicht aus, weil es sich als selbstverständlich erweist. Perry fasst es so: „… we don’t articulate the objects we are talking about, when it is obvious what they are from the context“ (Perry 1998: 11). Ein

hier

 bei Wetterverben und anderen unpersönlichen Konstruktionen ist zwar für das Verständnis der Satzäußerung wirksam, aber nicht im Sinne eines artikulierten oder nur zufällig weggelassenen Elements. Es ist von Natur aus unartikuliert, es taucht auf keiner Repräsentationsebene des Satzes auf, weder auf der syntaktischen noch auf der semantischen. Vielmehr handelt es sich um eine interpretatorische Zutat, die sich rein aus dem situativen Wissen der Sprechenden ergibt, in diesem Fall aus der wechselseitigen Plausibilitätsunterstellung, dass eine triviale und daher uninformative Aussage keinesfalls beabsichtigt sei.



Dass eine Konstituente im Satzverständnis wirksam ist, die auf keiner seiner Repräsentationsebenen identifiziert werden kann, ist – nicht nur – für Semantiker eine schwer zu akzeptierende Auffassung. Entsprechend kritisch ist sie auch aufgenommen worden. Die Kritiker der Annahme unartikulierter Konstituenten sehen zwar auch, dass viele unpersönliche Konstruktionen durch einen deiktischen Verweis auf die Sprechsituation bezogen werden. Sie sind aber der Meinung, dass dies im Sinne einer versteckten Indexikalität geleistet wird, die durch eine nicht an der Oberfläche des Satzes sichtbare Variable realisiert ist – nämlich

hier

. Diese Auffassung ist im Wesentlichen von Jason Stanley und Zoltan Szabo vorgebracht worden (s. Stanley 2000; Stanley / Szabo 2000).



Die Plausibilität dieser Beschreibungsstrategie ist ebenfalls mit relativ starken Argumenten angezweifelt worden. Eines der stärksten Gegenargumente macht darauf aufmerksam, dass die Art und die Anzahl der versteckt indexikalischen Ausdrücke prinzipiell nicht begrenzt werden kann – so argumentieren die Relevanztheoretiker Dan Sperber und Deirdre Wilson (2004) sowie Robyn Carston (2002). Im Beispiel (1) ist nicht nur der Ort für die Charakterisierung des Regens relevant, sondern auch die Stärke (nieselt es oder gießt es?), die Dauer und viele weitere Eigenschaften. Wollte man für jeden dieser Parameter einen eigenen indexikalischen Ausdruck annehmen, noch dazu auf der nicht sichtbaren Ebene der semantischen Form, dann würde dies zu einem Gebilde führen, das kognitiv für Sprecher wie Hörer nicht mehr verarbeitbar wäre. Aufgrund dieses Einwands ist die Annahme versteckter Indexikalität abzulehnen.



Einen Ausweg aus dieser Situation sucht François Récanati, der ein Alternativmodell für unartikulierte Konstituenten entwirft (s. Récanati 2002; 2007). Ihm geht es darum, der Sprechsituation den Rang zu verleihen, der ihr gebührt – und damit die Situationssemantik von Perry und anderen gleichsam auf ihren Namen zu verpflichten. Zu diesem Zweck unterteilt er eine sprachliche Äußerung in zwei Komponenten, die sich in unterschiedlicher Weise auf die situative Umgebung der Äußerung beziehen. Da nun der Begriff der Umgebung sehr vage ist, hat Récanati den von Barwise entwickelten Begriff der Austinschen Proposition übernommen, um den Ort genauer zu kennzeichnen, an dem die unartikulierten Konstituenten lokalisiert sind (s. Barwise / Etchemendy 1987). Warum wird hier der Begriff der Austinschen Proposition gewählt? In Austins Wahrheitsdefinition werden nicht Aussagen zu Sachverhalten in Beziehung gesetzt; eine Aussage ist vielmehr dann wahr, wenn der entsprechende Sachverhalt einem Typ angehört, auf den sich die in der Aussage enthaltenen Wörter konventionsgemäß beziehen (s. Austin 1975). In Übertragung auf die unartikulierten Konstituenten hieße das, dass der Sachverhalt des Regnens einem Typ zugeordnet werden muss, auf den sich die Wörter der Aussage (1) konventionell beziehen; erst dann kann die Aussage selbst wahr sein – sofern der Sachverhalt als Einzelexemplar besteht. Dieser Typ könnte dann so beschrieben werden, dass er an einem festzulegenden Ort stattfindet, was für Regen ja in der Tat zutrifft.



Die Austinsche Proposition enthält – so drückt Récanati sich aus – die Umstände, unter denen eine Äußerung bewertet wird. Man kann sie als Bewertungsmaßstab bezeichnen. Der Bewertungsmaßstab für (1) ist der Ort, an dem sich der Sprecher / die Sprecherin befindet („hier“). Der Rest der Äußerung, der nicht den Bewertungsmaßstab enthält, wird als Lekton bezeichnet – dieser Begriff stammt aus der stoischen Logik. Das Lekton umfasst die lexikalische und syntaktische Ebene der Satzbedeutung sowie die obligatorischen pragmatischen Anreicherungen, wie sie beispielsweise mit artikulierten indexikalischen Ausdrücken verbunden sind.



Wie ist dieser neuere Ansatz zu unartikulierten Konstituenten zu beurteilen? Zunächst ist die Strategie, die Kontextkentnisse oder, wie Récanati sich ausdrückt, das Wissen um die situative Umgebung der Äußerung nicht mehr in der Semantik des geäußerten Satzes zu verankern, vielversprechend. Durch diesen Schritt wird das Problem der Multiplizierung von unartikulierten Konstituenten vermieden, auf das die Relevanztheoretiker hingewiesen hatten. Diese für das Äußerungsverstehen notwendigen Wissenselemente werden konsequent aus dem engeren Bereich der Satzbedeutung ausgelagert. Allerdings stellt sich die Frage, ob sie tatsächlich aus der Äußerung insgesamt ausgelagert sind. Ihr Vorkommen in der Austinschen Proposition spricht eher dafür, dass sie als Äußerungsbestandteil aufgefasst werden, wenn auch in dem pragmatischen, mit der Illokution verbundenen Anteil.

 



Wie fest oder lose diese