Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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3 ‚Kürze‘ und kurze Formen in Max Wilhelm Götzingers Die deutsche Sprache (1836–1839)

Wie Hempel integriert Götzinger die zeitgenössische Diskussion in seine Analysen, wobei er seinem Sprachbegriff das um die Jahrhundertwende bei Humboldt und Schelling entstandene organizistische Konzept zu Grunde legt und eine Art integrativ-kommunikativen Ansatz entwickelt (vgl. Knobloch 2000). Seine Analysen stützen sich systematisch auf literarische Texte und oft auf mündliche Sprache, oder genauer, auf imitierte Mündlichkeit, wie sie in Dramentexten zu finden ist.

Im Gegensatz zu Hempels Grammatik begegnet hier eine theoretische Ausdifferenzierung verschiedener kurzer Formen:

 „grammatische“ oder „offene“ Ellipse; „versteckte“ Ellipse

 „Abkürzung“

 „Weglassung des schon Gesagten“

 „Zusammenziehung“

 „Auslassung“

Wir werden sehen, dass diese Formen hier mit einem grundsätzlichen Bedürfnis der Sprecher nach Kürze begründet werden und mit pragmatisch-kommunikativen Argumenten, u.a. ihrer Funktion der „Hervorhebung“. Darüber hinaus geht Götzinger organizistisch auch von einem sprachinhärenten Prinzip zur Kürze und Kürzung aus, das in der Diachronie zum Tragen komme, auf das aber nur ansatzweise eingegangen werden kann (s.u.).

3.1 „Offene“ Ellipsen und „versteckte“ Ellipsen

„Offene“ und „versteckte“ Ellipsen werden formal über Rektion und Akzent definiert: Ellipsen entsprechen der Nichtrealisierung / Abwesenheit eines regierenden und dadurch auch unbetonten Satzteils, sodass die Präsenz einer regierten und einer betonten Form, ohne ihr regierendes Element, das grammatisch-morphologische und phonologische Indiz für die Präsenz einer Ellipse darstellt. Ausgehend von einem verbozentrischen Ansatz (vgl. Forsgren 1998) sind daher für Götzinger verblose Sätze prinzipiell „grammatische“ oder „offene“ Ellipsen, da „gar kein Träger vorhanden ist, an welchen die regierte Form sich anschließen könnte […]“ (Götzinger 1839: 226, im Folgenden G II), z.B.:

 (1) Heute roth, morgen todt (G II: 50)

 (2) die Kinderlein ängstlich nach Hause so schnell (G II: 225)

 (3) Mein ganzes Glück in Scherben G II: 226)

 (4) Fort mit ihm! (G II: 227)

 (5) Ich dich ehren? (G II: 227)

Um eine „versteckte“ Ellipse handelt es sich dagegen, wenn ein Element als regierend erscheint, es aber in der Struktur nicht ist, z.B.

 (6) ich will nach Paris (G II: 226)

wo will grammatisch einen Infinitiv regieren würde, von dem seinerseits nach Paris abhängig ist; oder in dem Beispiel

 (7) Fast bin ich so verlassen wieder, als da ich einst vom Fürstentage gieng (G II: 371)

wo der Vergleichssatz als abhängig von einem Temporalsatz analysiert wird, nämlich wo als ich vormals war, da ich.

Wichtig ist historiographisch gesehen, dass Götzinger bei all diesen verblosen Sätzen im Allgemeinen zwar eine grammatische Ellipse annimmt, jedoch keinerlei Mangel in der semantischen Vollständigkeit und kommunikativen Leistung; im Gegenteil, er stellt einerseits hinsichtlich der Semantik dieser Sätze fest: „Man kann sich dabei oft gar kein bestimmtes Verbum weggelassen denken; man denkt wenigstens an kein besondres […].“ Kommunikativ sieht er diese Sätze als normalen Ausdruck von „aufgeregte[r] Stimmung, […]“ und von einer „Hast, die das nicht schnell genug sagen kann, was die Erinnerung belebt, die Seele erfüllt, oder den Antheil erregt“ (G II: 227). Daraus schließt er, dass die meisten Ellipsen Fragen, Ausrufe, Wünsche, Gebote sind, mit denen der Sprecher „Commandowörter, alle Grüße, Verwünschungen, Betheurungen, Verwunderungen, Segnungen“ (G II: 227) realisiert. Zeitgenössisch ist ein derartiger Verweis auf eine bestimmte sprecherpsychologische Disposition verbunden mit der Aufzählung bestimmter Satzmodi und verschiedener ‚Sprechakte‘ neu. Schließlich werden verblose Sätze auch mit bestimmten Textsorten in Zusammenhang gebracht: Ellipsen seien Bestandteile literarischer Texte sowie der „lebendige[n] Sprache“, die „keineswegs so [verfährt], daß sie immer alles nennte, was in den grammatischen Verband des Satzes gehörte; sie macht vielmehr oft Sprünge […].“ Inhaltlich betreffen diese „Sprünge“ also hier Informationen, die sich aus dem Ko- oder Kontext ergeben oder vom Hörer / Leser eigenständig erschlossen werden können oder die vom Sprecher als wichtig empfunden werden (s. auch unten 3.4, 3.5).

So erklärt Götzinger auch die häufigen Ellipsen semantisch generischer Verben, z.B. Modalverben und „Verben der Bewegung und des Sprechens“ (s. oben die Bsp. (2), (5)) und verweist hier besonders auch u.a. auf Bühnenanweisungen dramaturgischer Texte.

Derartige Ellipsen können sich nun auch auf die Syntax und das ‚Valenz‘-Verhalten von Verben auswirken.

3.2 Veränderungen von ‚Valenz‘-Eigenschaften durch elliptische Prozesse in der Diachronie und Synchronie

Die Verwendung des Terminus ‚Valenz‘ mag überraschen, aber verschiedene Untersuchungen haben aufgezeigt, dass Götzinger ein ausgebautes verbzentriertes Satzmodell entwickelt, in dem die syntaktischen und semantischen Eigenschaften des Verbs als Grundlage der syntaktischen Konfiguration analysiert werden. Dies wird auch deutlich in Überlegungen, die die Effekte von Verbellipsen in der Diachronie betreffen. Dort können laut Götzinger Elidierungs- und Übertragungsprozesse zu neuen Valenz-Eigenschaften führen, z.B. könnten sie die redeeinleitende Verwendung von lächeln erklären:

‚er sprach lächelnd: es sey Friede zwischen uns!‘ elliptisch ausgedrückt würde er heißen: ‚Er darauf lächelnd: es sey Friede zwischen uns!‘ Jetzt rückt lächeln in die leere Stelle, und ich habe: ‚er lächelte: es sey Friede zwischen uns!‘ (G II: 233–234)

Vergleichbare Prozesse liegen auch ad-hoc-Bildungen, Götzinger spricht hier von „Uebertragungen“, zu Grunde, wie

 (8) er schluchzte sein Leiden mir vor (erzählte mir schluchzend sein Leiden) (G II: 234)

und ausgehend von der Semantik eines Bewegungsverbs:

 (9) Er geht trotzend zur Thür hinaus – Er trotzte zur Thür hinaus (G II: 233)

Götzinger beschreibt hier also einen Prozess ‚lexikalisch-semantischer Verdichtung‘ (vgl. Eichinger 2000: 104): Die genannten Verben nehmen die Semantik von Verben des Sagens und der Bewegung sowie die entsprechenden Valenzeigenschaften in sich auf und tragen damit zur Kürze im Ausdruck bei.

3.3 „Weglassung des schon Gesagten“

Eine von der Ellipse unterschiedene kurze Form ist bei Götzinger die „Weglassung des schon Gesagten“. Damit sind syntaktische Konfigurationen gemeint, wo das regierende Element einmal realisiert ist, dann aber nicht wieder aufgenommen wird, z.B. Seemacht in:

 (10) Englands Seemacht ist bedeutender als Frankreichs (G II: 225)

und das Kopulaverb plus die syntaktische Basis des Subjekts in

 (11) Göthe’s Kritik über sich selbst war immer die triftigste, weil die schärffste (G II: 325)

Götzinger nennt auch satzübergreifende Beispiele, wie:

 (12) Völker folgen auf Völker. Reiche auf Reiche. (G II: 231)

Und er stellt hier ebenfalls Verbindungen zu bestimmten Textsorten her und betont, dass derartige Weglassungen besonders häufig sind im „Gespräch, wo immer kurz an das Vorhergehende angeknüpft wird, ohne daß man sich die unnütze Mühe macht, vollkommne [sic] […] Sätze zu bilden“, z.B.:

 (13) Woher kommst du, und wozu? (G II: 231)

oder als Reaktion auf Gesagtes

 (14) wahr, schön, recht […] (G II: 365)

Zwar stammen die Beispiele, die hier als gesprochene Sprache dargestellt werden, aus schriftlichen Dramentexten (z.B. J.G. Jacobi, Lessing, Schiller), doch ist der explizite Bezug auf besondere Eigenschaften gesprochener Sprache, für die gewisse normative Vorstellungen der ‚Vollständigkeit‘ von Sätzen nicht gelten, zeitgenössisch neu.

Die Vorstellung, dass in gewissen Kontexten die Bildung ‚vollkommner Sätze‘ „unnütze Mühe“ sei (s.o.), schreibt sich bei Götzinger auch in die Hypothese ein, dass der Hörer / Leser selbst aktiv an dem Kommunikationsprozess beteiligt ist und aus dem Kontext Informationen zieht, die daher nicht expliziert werden müssen. Dies wird deutlich in seiner Abgrenzung von eigentlichen Ellipsen und „logischen“ Ellipsen.

3.4 „Logische Ellipsen“

Götzinger bezeichnet mit ‚logischer Ellipse‘ die Abwesenheit eines grammatisch regierten Elements, die seines Erachtens keine echte Ellipse ist, denn: „Es gilt beim Sprechen überall eine stillschweigende Uebereinkunft, daß der Hörer oder Leser auch seinerseits etwas denke […]“ (G II: 232). So liege in

 (15) die Stadt gieng über, der Feind zog ein (G II: 231)

keine Ellipse vor, da für den Hörer klar ist, dass die Stadt an den Feind übergeht, und dieser in die Stadt einzieht. Die kurze Form, in der – modern gesprochen – in die Verbvalenz eingeschriebene Komplemente nicht realisiert werden, wird also von Götzinger als semantisch vollständig angesehen, da sie kommunikativ vollständig ausreichend ist, um Zugang zu dem gesamten vom Sprecher intendierten Sinn zu geben. Götzinger macht diese Überlegung zu einem allgemeinen Prinzip in den Überlegungen zu Ellipsen.

 

Es sei hinzugefügt, dass ähnliche Überlegungen allgemein im Kontext verfügbare Informationen betreffen. Götzinger betont nämlich, dass nicht immer, wenn etwas ‚hinzugedacht‘ werden muss, dies auf die Präsenz einer Ellipse verweise: Der „Naturforscher“ z.B. spreche einfach von „Kreislauf“, der „Theolog“ von „Abendmahl“, und dies ohne weitere Präzisionen: „Schwerlich kann man dies Ellipsen nennen, sondern nur Verschweigungen; denn wo sollten sonst die Ellipsen ein Ende nehmen?“ (G II: 232). Damit zeigt er, dass er sich der Diskussion um die ‚Ellipsenreiterei‘ bewusst ist, die einen ersten Höhepunkt im 17. Jh. erreicht hatte, aber zeitgenössisch noch virulent ist (vgl. Spitzl-Dupic 2016: 65–67).

Neben den verschiedenen bisher behandelten kurzen Formen, die alle auf der Abwesenheit eines oder mehrerer Elemente in der Konfiguration eines Satzes basieren und die Götzinger auf – im weiten Sinn – kontextuelle Bedingungen zurückführt, werden auch Formen der „Zusammenziehung“ und „Verschmelzung“ angenommen, in denen die Kürzungen zu unterschiedlichen mentalen Vorstellungsinhalten führt.

3.5 „Zusammenziehung“ und „Verschmelzung“

Den Begriff Zusammenziehung verwendet Götzinger u.a. in Hinblick auf Koordination und Sätze. Hier ist interessant, dass er für kürzere und längere Formen unterschiedliche Konzeptualisierungen postuliert. Götzinger verweist z.B. auf folgende Kürzungsmöglichkeiten bei koordinierten Präpositionalgruppen:

 (16) Mit dem Ritterstande und mit dem Bauernstande

 (17) Mit dem Ritterstande und dem Bauernstande

 (18) Mit dem Ritterstande und Bauernstande

 (19) Mit dem Ritter= und Bauernstande (G II: 201)

Während Götzinger hier morphosyntaktisch von einer „Zusammenziehung“ spricht, verwendet er für die konzeptuell-semantische Wirkung den Terminus „Verschmelzung“: In den Beispielen (16)–(19) handele es sich um eine ‚fortschreitende Verschmelzung‘ der beiden Nominalbegriffe, wobei die längste Form (16) dem Ausdruck einer maximalen „Sonderung“ der Begriffe in der Vorstellung entspreche, die kürzeste ihrer Quasi-Verschmelzung.

Derartige Zusammenziehungen sind auch auf Satzebene möglich. Die – modern gesprochen – Rechtsversetzung in

 (20) Sturm überfiel uns und Gewitter (G II: 338).

bewirkt laut Götzinger eine Sonderung der Begriffe Sturm und Gewitter, sodass beide hervorgehoben werden; die Koordination der Nebensätze in (21) ohne Wiederaufnahme der Konjunktion bewirke dagegen eine konzeptuelle Verschmelzung:

 (21) Ich vergesse, dass ich in der Fremde bin und [daß] kein Recht zum Befehlen habe (G II: 366)

Moderne Untersuchungen untermauern Götzingers Hypothese für (20) (vgl. z.B. Altmann 1981, Vinckel 2006); (16)–(19) sowie (21) sind meines Wissens in Hinblick auf ihre konzeptuelle Leistung noch nicht untersucht, doch scheint auch hier Götzingers Hypothese durchaus plausibel.

3.6 Auslassung, Verschmelzung und Ellipsen in Komposita

Die Bildung von Komposita entspricht laut Autor ebenfalls dem allgemeinen Bedürfnis der Sprecher nach Kürze und Bestimmtheit in Ausdruck (Götzinger 1836: 778, im Folgenden G I). So ermöglichen es auch Komposita, unnötige Informationen nicht zu nennen, sodass nur die wichtigsten durch ihre explizite Realisierung hervorgehoben werden. Gleichzeitig gilt aber auch für Komposita das ‚Gesetz‘ der Kürze, denn Götzinger führt aus, dass Komposita sich nicht aus mehr als zwei Formativen zusammensetzen sollten, da ein deutsches Wort nur einen Akzent trage. Komplexere Komposita entsprächen nicht dem deutschen Sprachcharakter und seien auch verwirrend, da Sprecher / Hörer kaum wissen könnten, wo der Wortakzent zu realisieren sei.

Götzinger unterscheidet unterschiedliche Typen von Komposita,

1 „unächte Zusammensetzungen“

2 Komposita mit „Auslassung“

3 „echte“ Komposita

4 „elliptische“ Komposita

Ad 1. In „unächten Zusammensetzungen“ bleibt die Flexionsmarkierung erhalten, und ihr Sinn ist über eine Dekomposition direkt zugänglich, z.B.:

 (22) Landesverräther; Lebensart

die direkt in Verräther des Landes, Art des Lebens (G I: 751) auflösbar sind.

Ad 2. In Komposita mit „Auslassung“ werden Formative nicht realisiert, die einen Sinn explizieren würden, der für das Verständnis als unnötig empfunden wird, z.B.

 (23) Fußweg statt Fußgängerweg

 (24) Spritzenhaus statt Feuerlöschgeräthschaftenmagazin (G I: 756)

Ad 3. Bei „echten“ Komposita nimmt Götzinger wiederum einen semantischen „Verschmelzungsprozess“ an, der darauf beruht, dass die Formative für die Sprecher eine „Innigkeit des Sinns“ darstellen, der einem einzigen Konzept entspricht. Der Sinn dieser Komposita lässt sich daher nur noch schwer oder gar nicht mehr aus der Komposition erschließen, z.B.:

 (25) Handschuh

 (26) Meerschwein (G I: 751)

Ad 4. Elliptische Komposita entsprechen Adjektiv-Nomen-Komposita, die heute auch als exozentrisch bezeichnet werden, da das Basisformativ nicht der bezeichneten Entität entspricht. Götzinger nennt sie elliptisch, da „das tragende Wort“ nicht explizit sei. Typischerweise handelt es sich um Komposita, die Tiere oder Menschen über eine bestimmte Eigenschaft identifizieren oder qualifizieren, z.B.:

 (27) Rotkehlchen

 (28) Dickbauch

 (29) Stumpfnase

 (30) Langhand (G I: 769)

Man kann so verstehen, wieso Götzinger in einem Kapitel zur Ellipse als rhetorischer Figur schließlich ihre Funktion der Hervorhebung betont, die aber auch auf die anderen oben vorgestellten kurzen Formen hier übertragbar zu sein scheint. Kurze Formen ermöglichen es den Sprechern, nur explizit zu realisieren, was ihre Aussagen tatsächlich motiviert und informativ Sekundäres, Uninteressantes, vom Hörer / Leser Erschließbares oder im Kontext Vorhandenes nicht zu realisieren.

So heißt es auch bei Götzinger (1836: 776) in Bezug auf Komposita: Mit diesen kurzen Formen vermeiden wir „unnöthige Deutlichkeit“, die eine gelungene Kommunikation behindern würde.1

4 Schluss

Wenn man nun beide Werke miteinander vergleicht, wird deutlich, dass sich die Behandlung kurzer Formen und die Bewertung ihrer diskursiv-kommunikativen Funktionen sehr unterscheiden: Bei Hempel spiegeln sich die zeitgenössischen Topoi der Deutlichkeit und Bestimmtheit in einer hyperkorrektiven Forderung nach maximaler Expliziertheit, die relativ gut die zeitgenössischen Positionen deutscher Grammatiker widerspiegelt (vgl. Spitzl-Dupic 2016), die hier jedoch außergewöhnlich detailliert entwickelt wird. Götzingers Ansatz dagegen, der Sprecher- und Hörerperspektive integriert, kommunikative Funktionen unterschiedlicher kurzer bzw. kürzerer Formen zu identifizieren versucht, die Rolle des Kontextes einbezieht und eine Varietät grammatischer Strukturen für kurze Formen aufgrund relativ stringenter formaler Kriterien unterscheidet, ist der Höhepunkt einer pragmatischen Ausrichtung, die in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzt. Sie spiegelt aber, im Gegensatz zu Hempels Ausführungen, nur einen Ausschnitt des zeitgenössischen Sprachdenkens wider, der besonders von der historischen Grammatik bald „übertönt“ wird und erst zur Jahrhundertwende wieder Bedeutung erlangt (vgl. Spitzl-Dupic 2016).

Literatur

Aichinger, Carl Friedrich, 1754. Versuch einer teutschen Sprachlehre […]. Frankfurt / Leipzig: Kraus.

Altmann, Hans, 1981. Formen der ‚Herausstellung‘ im Deutschen. Rechtsversetzung, Linksversetzung, freies Thema und verwandte Konstruktionen. Tübingen: Niemeyer.

Bödiker, Johann, 1690. Grundsätze der Teutschen Sprache. Cölln an der Spree: In Verlegung des Verfassers, Druck Ulrich Liebpert.

— [zuerst 1690] 1746. Grundsätze der Teutschen Sprache, überarbeitet von Johann Jacob Wippel. Berlin: Nicolai.

Eichinger, Ludwig M., 2000. Deutsche Wortbildung – Eine Einführung. (= Narr Studienbücher). Tübingen: Narr.

Forsgren, Kjell-Åke, 1998. „On ‘Valency Theory’ in 19th Century German Grammar.“ In: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft, 8, 55–68.

Gottsched, Johann Christoph, 21749 [zuerst 1748]. Grundlegung einer deutschen Sprachkunst […]. Zweyte vermehrte und verbesserte Aufl. Leipzig: B.C. Breitkopf.

Götzinger, Max Wilhelm, 1836–1839. Die deutsche Sprache. Band 1, Theil 1 u. Theil 2. Stuttgart: Hoffmann.

Hempel, Christian Friedrich, 1754. Erleichterte Hoch=Teutsche Sprach-Lehre […]. Frankfurt / Leipzig: Johann Gottlieb Garben.

Knobloch, Clemens, 2000. „Die Deutsche Sprache. Max Wilhelm Götzinger.“ In: Corpus de textes linguistiques fondamentaux, Equipe CTLF (CID, ENS-LSH) (Hrsg.), http://ctlf.ens-lyon.fr/n_fiche.asp?num=3529, letzter Zugriff 12.01.2019.

Kramer, Matthias, 1680. Neues hoch=nützliches Tractätlein von der Derivatione & Compositione […]. Nürnberg: W. Moritz Endters & J.A. Endters Sel. Söhne.

Lecointre, Claire, 1990. „Zum Begriff der brevitas in der Grammatik (16.–17. Jh.).“ In: Niederehe, Hans-Joseph / Koerner, E.F.K. (Hrsg.). History and Historiography of Linguistics. […]. vol. 1. Amsterdam: Benjamin’s, 250–259.

Polenz, Peter von, 1994. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. II: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin / Boston Mass.: de Gruyter.

Schottelius, Justus Georg, 1663. Ausführliche Arbeit von der teutschen HaubtSprache. Braunschweig: Zilliger.

Spitzl-Dupic, Friederike, 2016. „Zur Analyse der Ellipse: eine historiographische Untersuchung (18.–19. Jahrhundert).“ In: Marillier, Jean-François / Vargas, Elodie (Hrsg.). Fragmentarische Äußerungen. (= Eurogermanistik, 32). Tübingen: Stauffenburg, 57–78.

— 2018. „Der sprachtheoretische Diskurs zur Innovation in der Literatursprache und in literarischen Übersetzungen im 18. Jahrhundert.“ In: Platelle, Fanny / Viet, Nora. Innovation – Révolution. Discours sur la nouveauté littéraire et artistique dans les pays germaniques. Clermont-Ferrand: PUBP, 41–56.

Vinckel, Hélène, 2006. Die diskursstrategische Bedeutung des Nachfeldes im Deutschen. Eine Untersuchung anhand politischer Reden der Gegenwartssprache. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

Infinite, afinite und verblose Sätze aus diachroner und typologischer Sicht

Michail L. Kotin & Monika Schönherr

1 Problemstellung

Die verbozentrischen Syntaxkonzepte, welche insbesondere seit dem Etablieren der Valenztheorie (vgl. Tesnière 1959 / 21976) in der europäischen Linguistik favorisiert werden, behandeln das Verb gemeinhin als strukturellen Kern einer Proposition, der darin eine hierarchisch übergeordnete Stellung einnimmt. Die Standardgrammatiken der deutschen Gegenwartssprache weisen dem Verb im Allgemeinen und dem formalen Merkmal der Finitheit im Besonderen satzkonstituierenden Status zu. Dies bedeutet u.a., dass lediglich Strukturen mit Verbum finitum als echte Sätze im eigentlichen Sinn dieses Begriffs eingeordnet werden müssen, während Syntagmen ohne Finitum und erst recht ohne jede Verbform lediglich als kommunikative Minimaläußerungen einzustufen sind (vgl. u.a. Heringer 1996: 16, Zifonun 1997: 34–64, Zifonun et al. 1997 Bd.1: 91, Darski 2010: 95–98). Worin besteht aber der postulierte grundsätzliche Unterschied zwischen Sätzen und satzförmigen Syntagmen mit satzgleichem propositionalem Gehalt? Wieso gibt es so viele Sequenzen ohne Finitum oder aber ohne jegliche overte Verbalität, die sich dennoch problemlos als volle Satzsyntagmen einordnen lassen? Handelt es sich dabei in toto um Ellipsen? Wieso gibt es dann aber verblose Syntagmen mit propositionalem Wert, die nicht dermaßen „ausbaufähig“ sind, dass sie einen propositional volläquivalenten Satz mit einem Verbum finitum bilden?

 

Diese Fragestellung ist einer der wichtigsten Forschungsschwerpunkte der Geehrten (vgl. u.v.a. ihre Ausführungen zu diesem Problemkreis in Behr 2013; Behr / Quintin 1996; Behr / Quintin 1998). Die theoretische Grundlage bildet dabei das logisch-semantische Herangehen, dessen Wurzeln grosso modo auf die Thesen des französischen Rationalismus im weitesten Sinn dieses philosophischen Begriffs zurückgehen. Die Verblosigkeit, speziell Ellipse und sonstige Formen ohne Verbum finitum oder aber andere nonverbale Fügungen, darunter verblose prototypische Kopulakonstruktionen, sog. „kurze Sätze“ etc. werden von Irmtraud Behr als Sprachformen behandelt, welche eine dahinter stehende Eigenlogik spiegeln, ohne sich dabei auf bloße Ellipsen reduzieren zu lassen.

Im vorliegenden Beitrag wird versucht, an einigen konkreten Beispielen verbloser, in- und afiniter Sätze die ihnen zu Grunde liegenden „logischen Paraphrasen“ zu rekonstruieren, wobei das Phänomen der Verbauslassung als Ergebnis overter oder coverter syntaktischer bzw. logisch-semantischer Prozeduren aufgefasst wird. Ferner wird versucht, die Verblosigkeit synchron wie diachron in den Diskurs der Textsorten und somit in die Makrosyntax einzubetten. Als infinite Sätze werden hierbei satzwertige Syntagmen ohne Finitum (wie z.B. syntaktisch autonome Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen) verstanden, während afinite Sätze – gemäß ihrer Einordnung in der Fachliteratur (vgl. Ebert 1993: 440, Riecke 2012) – Satzsyntagmen mit ausgelassenem finitem Verb (am häufigsten Auxiliar) bei Beibehaltung der im Partizip bzw. Infinitiv steckenden Verbalität darstellen. Sonstige Syntagmen mit propositionalem Gehalt, aber ohne jegliche Verbformen in ihrem Bestand werden grundsätzlich als verblose Sätze behandelt. Nun sind Ursachen für Aussparen finiter Verben und / oder anderer Kodierungsformen der „Verbalität“ im Satzverbund sehr unterschiedlich und oft sprachspezifisch. Diese recht triviale Feststellung darf jedoch keinesfalls eine typologisch gültige, übereinzelsprachige Dimension des Phänomens der Verblosigkeit in Frage stellen. Im vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass selbst äußerlich radikal divergente Oberflächenstrukturen mit und ohne verbale Prädikat(steil)e in verschiedenen Sprachen weitestgehend auf einen gemeinsamen Nenner zurückführbar sind, und daher der Verzicht auf einen Vergleich vermeintlich „unvergleichbarer“ Erscheinungen zu einer unberechtigten Überbetonung des sprachlichen Relativismus zu Ungunsten des universaltypologischen Anspruchs führen würde.