Der Graf

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- „Ihr tut gerade so, als hättet ihr noch nie ein ordentliches Mannsbild zu sehen bekommen!“ -

antwortete, wurde die allgemeine Heiterkeit noch größer. Der Graf ließ sich Brot und Schinken schmecken und die beiden Mägde schrubbten ihn derweil mit Seife ab, wuschen und schnitten ihm das Haar und massierten ihm den Rücken. Ohne Unterlass schütteten sie heißes Wasser nach, dass die ganze Küche bald im warmen Nebel lag. Der Graf gab sich der Fürsorge hin, bemerkte mit Schmunzeln, wie sich unter dieser Behandlung seine Manneskraft im warmen Wasser straffte, obwohl die schwarzen Zahnlücken und ausladenden Hinterteile der Weiber zu einer anderen Zeit wohl kaum seine Lust entfacht hätten. Zum Schluss versorgten sie ihn mit einem einfachen, aber sauberen Hemd aus Leinen und nötigten ihn, sich in einer der Kammern zur Ruhe zu legen.

Der Graf fand allerdings keinen Schlaf, denn seine Sorgen meldeten sich mit Macht wieder. Der Krieg, der wie ein Albtraum über sein Land gekommen war, das Unrecht, die Schande … , würde es ihm gelingen, ein Heer aufzustellen, das Lipperland zu befreien und noch rechtzeitig der Stadt Soest zu Hilfe zu eilen?

Und dann wieder - seit er einen Blick auf seine zukünftige Braut hatte werfen können - kreisten seine Gedanken um das Wohlergehen eines anderen Mädchens, für die er so sehr wünschte, dass sie wohlbehalten durch diese wirren Zeiten kam.

***

Er hatte sie nur einmal gesehen, und doch …

Auf dem Rückweg von Lippstadt war es gewesen, voller Glück und Stolz war er über das flache Land galoppiert. Diese Weite – der Himmel höher, blauer, viel klarer als über den Hügeln, die sandige Heide, kaum Häuser oder Menschen, weit hinten im Dunst die bewaldete Bergkette des Osning.

Er ritt nach Hause, um in Blomberg möglichst rasch eigene Truppen auszuheben und den damals schon vom Erzbischof von Köln bedrohten Bürgern der Stadt Soest zu Hilfe zu kommen. Kanzler Möllenbeck war direkt nach Schaumburg aufgebrochen, um auch den Grafen von Schaumburg als Bundesgenossen zu werben und gleichzeitig die lange geplante Hochzeit von Bernhard mit dessen Tochter vorzubereiten. Direkt nach der Befreiung der Stadt Soest sollte der Graf seine Braut heimführen.

Der Graf dachte aber nicht an die Hochzeit. Seine weitläufige Cousine Anna kannte er gar nicht. Er war voller Stolz, endlich der Regent seines eigenen Landes zu sein. Das Herz drohte zu zerspringen. Von jetzt an galt sein Wort, seine Entscheidung, auch wenn er noch jung war. Er beschloss hier auf dem Ritt durch den Sand, umgeben vom frühlingshaften Grün der Heide, sich die Macht nie wieder und von niemandem aus der Hand nehmen zu lassen, schon gar nicht von seinem verhassten Großonkel. Nun kam seine Zeit. Gemeinsam mit seinen neuen Verbündeten würde man den Erzbischof von Köln in seine Schranken weisen.

Er ließ die Zügel seines Pferdes schießen. Wie er die Freiheit und Ungebundenheit dieses sonnigen Tages genoss! Mitten im Galopp aber kam die Stute aus dem Rhythmus. Sie warf den Kopf zur Seite und lahmte. Bernhard sprang ab, beruhigte das Pferd, sah sich den Huf an. Ein spitzer Stein hatte sich unter das Hufeisen gebohrt, ohne ein Werkzeug bekam er ihn nicht heraus.

Bis Paderborn war es noch ein weiter Weg. Auf dem Sandweg kam er zu Fuß mit dem lahmenden Pferd nur sehr langsam voran. Er musste ein Haus finden! Er sprach dem Pferd gut zu und zog es hinter sich her.

Endlich sah er die Kate, hinter den Wiesen duckte sie sich unter einigen Bäumen. Ziemlich baufällig, aber wohl bewohnt. Einige Hühner scharrten im Sand und im Gärtchen hängte eine junge Frau die Wäsche zum Trocknen auf. Er bog in den ausgetretenen, holprigen Weg ein und je näher er kam, umso mehr sah er nur noch sie: sie war in seinem Alter, vielleicht 18 Jahre, sie trug keine Haube. Die goldblonden Zöpfe waren etwas unordentlich aufgesteckt, das blaue Kleid flatterte im Wind. Kurz bevor er den Hof erreichte, drehte sie sich um und ließ ihr Wäschestück in den Korb fallen. Es sah aus, als wenn sie tanzte. Sie ging ihm entgegen, er bemerkte irritiert, dass sein Herz schneller schlug und er feuchte Hände bekam, so war es ihm noch mit keinem Menschen ergangen! Er blieb stehen, um sich zu sammeln. Sie hatte Sommersprossen, bis an den Hals hinunter, das machte ihr Lächeln noch ansteckender. Ihr Gesicht war offen und freundlich mit strahlenden Augen und einem kirschroten Mund. Sie knickste artig vor ihm: „Zu Diensten, edler Herr, kann ich etwas für Euch tun?“

Im Nu war sie umringt von ein paar verdreckten kleinen Kindern, die sich mehr oder weniger schüchtern hinter ihrem Rockzipfel verschanzten.

Sie war wunderschön, von ebenmäßiger Gestalt. Das schmucklose Kleid war so geschnitten, dass der Ansatz ihrer Brüste eben zu sehen war, ein heimliches Versprechen, schön wie in einem Traum. Er sah sie lange an. Die Kinder grinsten.

„Wie ist dein Name?“

„Katharina“, sagte sie, „Katharina, Caspar Buddes älteste Tochter.“ Sie errötete leicht, sah ihn aber unverwandt an:

„Und wer seid Ihr?“

„Ich … ich bin der Graf zur Lippe … Bernhard …“, die Stimme gehorchte ihm nicht wie gewohnt. Er räusperte sich und fügte hinzu:

„Mein Pferd lahmt, ich bekomme den Stein unter dem Huf nicht heraus … , bis Paderborn ist es noch weit … , ich muss heute noch nach Blomberg!“

„Oh, Euer Gnaden, verzeiht!“

Sie versuchte etwas ungeschickt noch einen Knicks. Der Graf starrte auf ihr Dekolleté.

„Mein Vater ist nur … , er kommt sicher gleich und kann Euch behilflich sein. Wollt Ihr derweil von meinem selbstgebrauten Bier kosten?“

Sie deutete auf eine wacklige Bank vor dem Haus.

„Wie nennt sich die Gegend hier?“, fragte er.

„Die Höfe gehören zu Neuhaus von alters her, aber die Wasserburg ist noch weit, wir nennen den Weiler ‚Auf der Hoge‘.“

Ihre Stimme war heller Glockenklang, als begleite sie immer ein Lachen. Er hoffte, sie würde weitersprechen, obwohl er ihre Worte kaum erfasste.

„Das heißt, es gibt noch andere Höfe? Ich habe so lange nach einem Haus Ausschau gehalten, ich sah nur Sand, ein paar Wiesen und wieder Sand.“

Sie erklärte ihm, dass es vor der großen Pest drei Höfe auf der „Hoge“ gegeben habe, aber die anderen seien nun verlassen und wüst. Nur sie, ihr Vater und die kleinen Geschwister lebten noch hier in der Gegend. Die Kleinen kicherten und stoben in alle Richtungen davon.

Sie bat ihn, Platz zu nehmen, und als sie ins Haus ging, um einen Krug Bier zu holen, kam sie ihm so nahe, dass ihr Duft ihn umgab, ein Duft wie Apfelblüten und Zimt … so nah …

***

Vor dem Mittagsmahl bekam der Graf endlich Gelegenheit, seine zukünftige Braut zu begrüßen. Er entschuldigte seinen Auftritt am Morgen in galanten Worten, aber auch mit einem kleinen Scherz gelang es ihm nicht, ein Lächeln auf die Lippen der Anna von Schaumburg zu zaubern. Er konnte nicht einschätzen, was sie hinter ihrem strengen Gesicht und ihren höflich-nichtssagenden Worten versteckte. War es Missbilligung, Misstrauen, Abneigung oder hatte sie einfach nur Angst vor dem, was da auf sie zukam?

So war er erleichtert, als Graf Otto ihn und Kanzler Möllenbeck nach dem Essen zu einem Gespräch bat, in dem die Lage und das weitere Vorgehen erörtert werden sollten.

Der Graf berichtete von seiner abenteuerlichen Flucht.

Ziemlich schnell war man sich einig, dass hinter dem schrecklichen Überfall auf das Lipperland nur der Erzbischof von Köln stecken konnte. Man vermutete, dass er einen starken Verbündeten irgendwo im Osten gefunden hatte, der mit ungeheurer Schnelligkeit so ein riesiges Söldnerheer hatte auf die Beine stellen können. Möglicherweise war dieses Heer auf dem Weg nach Soest, denn dass diese reiche Stadt sich einfach von Köln abgewandt und sich mit dem Herzog von Kleve einen neuen Landesherrn gesucht hatte, das hatte den Erzbischof sicher schwer getroffen. Dass die Truppen auf dem Weg nach Soest das Lipperland durchqueren mussten, kam dem alten Haudegen dabei sicher nicht ungelegen, denn auch die vorzeitige Proklamation seines Mündels Bernhard zum neuen Grafen zur Lippe, ohne seine Zustimmung einzuholen, war ein Affront für ihn gewesen. Wie weit sein Zorn ging und ob er die vollständige Zerstörung des kleinen Landes tatsächlich befohlen hatte, um den jungen Grafen wieder unter seinen Einfluss zu zwingen, war allerdings unklar. Bernhard versuchte mehrfach deutlich zu machen, für wie wichtig er ein rasches Eingreifen hielt, um weiteres Unheil vom Lipperland abzuwenden. Man müsse sich diesen Söldnerhaufen umgehend entgegenstellen, damit sie die Stadt Soest gar nicht erst erreichen konnten. Aber für die beiden Älteren stand fest, dass im Moment niemand die Mittel hatte, sich einer Armee von dieser Größe zu erwehren. Man würde zunächst still halten müssen und den Verhandlungsweg suchen. Auch blieb abzuwarten, ob die Stadt Soest fallen würde und wie sich die anderen Verbündeten dann verhielten.

Bernhard sah die beiden alten Männer verständnislos an: „Er ist der Bruder meiner Großmutter und er hat schon immer versucht, seinen Einfluss aufs Lipperland auszudehnen. Jetzt will er verhindern, dass ich mein Erbe antrete. Ich muss kämpfen, ich kann doch nicht einfach alles aufgeben!“

Graf Otto versuchte, ihn zu beruhigen:

„Mein Sohn, erlaubt mir, dass ich Euch schon so nenne. Wenn ich Euch meine Tochter zur Frau gebe, so müsst Ihr mir glauben, dass ich alles tun werde, um Euer Erbe zu erhalten. Ich bin auf Eurer Seite, aber kämpfen? Zurzeit ist die Frage, womit? Nach allem, was wir gerade gehört haben, sind es Tausende von Söldnern! So viele Männer kann ich niemals aufbieten! Soll ich mein Land auch noch verwüsten lassen? Solche Söldnerheere kennen keine Gnade. Schon um die vielen Männer ernähren zu können, müssen sie die Dörfer überfallen. Wir werden Verluste genug erleiden bei dem Versuch, die Weser zu halten. Wenn Dietrich die Truppen noch einmal verstärkt, gibt es auch für uns kein Entrinnen.“

 

Möllenbeck schüttelte immer nur den Kopf:

„Es ist mir ein Rätsel, woher aus dem Nichts ein solch riesiges Heer auftauchen kann.“

Bernhard war aufgesprungen. In seinem Kopf drehten sich die Bilder von der brennenden Stadt Blomberg, von den beiden erstochenen Söldnern am Gatter, vom Schandkorb, der in schwindelnden Lüften baumelte, von der Alten, die alle Hoffnung in seine Rache setzte … Er schlug mit der Hand auf den Tisch:

„Nein, Graf Otto, ich bitte Euch, wir müssen gegen dieses schreiende Unrecht kämpfen, es geht um unsere Ehre!“

„Ruhig Blut, Herr Graf!“

Möllenbeck bewegte ihn, sich wieder hinzusetzen und fuhr fort:

„Die ersten Boten aus dem Lipperland berichten nur Entsetzliches, das Land liegt darnieder. Womit wollt Ihr denn in den Kampf ziehen? Jetzt ist die Zeit zu verhandeln, glaubt mir. Bei einer Niederlage im richtigen Moment einzusehen, dass es eine Niederlage ist, das gehört auch zur Staatskunst. Ich fürchte, wir … oder besser ich habe einen Fehler gemacht, Euch vorzeitig zum rechtmäßigen Grafen zur Lippe zu erklären, noch vor Eurer Volljährigkeit. Das hat den Erzbischof bis aufs Messer gereizt. Für den Moment muss unsere Genugtuung darin liegen, dass wir ihn wirklich überrascht hatten, allerdings um einen grausamen Preis. Aber vorerst heißt es still halten, neue Bündnispartner suchen und das Land befrieden. Lasst mich nur bald nach Kleve abreisen und sehen, wie die Sache dort steht.“

„Ganz in meinem Sinne“, fiel Graf Otto ein, „wir müssen uns dringend einen Überblick über die Lage verschaffen, einfach loszuschlagen würde nur noch mehr Verderben bringen. Und wir können die Zeit sinnvoll nutzen! Ich bin gern bereit, lieber Bernhard, die Hochzeit hier auf der Schaumburg auszurichten.“

Möllenbeck nickte.

„So ist es, Herr Graf, die Verbindung von Schaumburg und Lippe wird Gewicht haben in der Region. In diesen wirren Zeiten gibt es nichts Wichtigeres, als einen verlässlichen Bündnispartner zu haben. Für mich ist es eine besondere Freude, meine beiden Heimatländer so vereint zu sehen. Und Ihr seid sicher meiner Meinung, dass Eure Verlobte wahrlich zu einer wunderschönen jungen Frau herangewachsen ist!“

Der Graf schwieg und dachte an Anna, wie sie ihm beim Mittagsmahl vorgestellt worden war, mit ihren hellblonden Zöpfen, ihrer schlanken Gestalt, dem etwas herben Zug um den Mund und den blassblauen, ernsten Augen … Und dann erschien ein blaues Kleid, das sich vom Wind bewegt in der violetten Heide verlor. Und ein Mund …

„Herr Graf?“

„Ja, Möllenbeck, verzeiht, Graf Otto, es fällt mir so schwer, diese Schmach einfach auf mir sitzen zu lassen. Wo wir nicht einmal genau wissen, was aus Blomberg geworden ist und wie es sonst im Lande aussieht! Was wohl mein Vater zu alldem gesagt hätte? Eins weiß ich, irgendwann werde ich mich rächen, ich muss Gelegenheit finden, meine Ehre und die Ehre unseres Hauses wiederherzustellen!“

Er schwieg eine Weile, um dann wesentlich leiser fortzufahren:

„Aber als Bräutigam … Eure Tochter ist schön und anmutig und ich stehe mit leeren Händen da, ein Verlierer, ein Habenichts.“

„Mein Sohn, Ihr müsst weiter denken!“, erwiderte Graf Otto, „diese Heirat ist vor langen Jahren beschlossen, auch Euer Vater, Gott hab ihn selig, hätte die Verbindung unserer Familien sicher begrüßt. Sie wird beiden Ländern Ruhe und Frieden verschaffen. Euer Besitz ist fruchtbar, das Land wird sich schon bald von dem schrecklichen Schlag erholt haben. Glaubt mir, auch wenn ich nicht solchen Groll gegen den Erzbischof hege wie Ihr, auch mein Freund ist er nicht und wird er nie sein. Wenn die Zeit gekommen ist, werdet Ihr einen verlässlichen Verbündeten in mir finden.“

Möllenbeck blickte den jungen Grafen an, der bei Ottos Rede unruhig auf seinem Sessel hin- und her gerutscht war: „Zumindest haben wir der Braut wie abgesprochen Das Amt und die Wasserburg Brake als Alterssicherung überschrieben sowie die Einkünfte zweier weiterer Meyerhöfe. Graf Otto und ich sind uns in diesen Belangen schon einig geworden. Schlagt ein, Herr Graf, hier wird ein Bund fürs Leben zwischen Lippe und Schaumburg besiegelt und eine wunderschöne junge Frau bekommt Ihr obendrein!“

Möllenbeck klopfte ihm auf die Schulter, was der Graf aber ärgerlich abschüttelte. Er hielt einen Moment still, als ob er auf eine innere Stimme lauschte. Dann gab er sich einen Ruck und lächelte seinen zukünftigen Schwiegervater an:

„Verzeiht, Graf Otto, nicht Ihr, ich sollte doch hier wohl der Bittsteller sein. Es gereicht mir zur Ehre, Euer Schwiegersohn zu werden, und auch ich begrüße von ganzem Herzen die innige Verbindung unserer Familien“, er räusperte sich und straffte seine Schultern, „ich werde Eure Tochter Anna lieben, ehren und beschützen, so wahr mir Gott helfe!“

„Haltet ein!“, lachte Graf Otto, „noch ist der Priester nicht da, später wird noch Zeit genug sein, dass Gott Euch helfe!“

Er reichte ihm die Hand und umfasste die Hand des Grafen herzlich auch mit seiner Linken.

„So lasst uns die frohe Kunde nun meiner Tochter bringen! Sie wird Hochzeitsvorbereitungen machen wollen, Ihr kennt die Weibersleut‘, für so etwas brauchen sie viel Zeit und Geld!“

***

Die Wochen vergingen schnell. Der Graf ging durch das Burgtor hinunter zu den Stallungen. Sein Schwiegervater hatte ihn beschworen, sich das beste Pferd im Stall auszusuchen, wenn er als Bräutigam unbedingt selbst am Hochzeitsturnier teilnehmen wollte. Schon am Eingang schlug ihm die Wärme der Tiere entgegen. Ein Stallbursche empfing ihn mit einer ungeschickten Verbeugung und folgte ihm stumm, als er an den Pferden entlang schritt. Vor einem schwarzen Hengst, der mit Sicherheit arabisches Blut in sich hatte, blieb er stehen.

„Oh, Euer g … Gnaden“, stotterte der Stallbursche, „der Blitz, d..das ist der Schnellste, aber er ist u … unberechenbar, g … gehässig, hat uns alle schon a … abgeworfen, vielleicht wollt Ihr d … doch erst mal weiterschauen …“

Der Graf ließ seinen Blick über die Stallung gleiten, viele edle Pferde, Graf Otto war wohlhabend. Er fühlte einen Stich in der Brust, ihm war einfach nicht nach Hochzeit zumute. Dann aber schaute er wieder auf den Hengst, der nervös trippelte, weil er spürte, dass es um ihn ging.

„Sattle mir den ‚Blitz‘, ich werde mich mit ihm anfreunden.“

Der Graf lenkte das Pferd zum Tal der Weser hinunter, ohne sich noch einmal nach dem Stallburschen umzusehen, der nicht aufhörte, irgendwelche Ermahnungen zu stottern.

Auf den Wiesen neben dem Fluss ließ er dem Pferd freien Lauf.

Als der Graf nach zwei Stunden noch nicht zurückgekehrt war, klopfte der Stallbursche verzagt am Haupthaus an, um Meldung zu machen. Gerade als Graf Otto besorgt auf den Hof hinaus trat, schritten Pferd und Reiter unversehrt durch das Tor, wenn auch völlig verschwitzt und schlammverschmiert. Das Pferd wich dem Grafen nicht mehr von der Seite.

„Mit diesem Pferd werde ich das Turnier gewinnen, ich danke Euch, Graf Otto!“

Er brachte das Pferd selbst in den Stall zurück, trocknete es ab und gab ihm Wasser und Futter, während der Stallbursche unbeholfen daneben stand.

In der folgenden Woche war es auch dem Schmied gelungen, eine alte Rüstung für den Grafen so umzuändern, dass diese ihn nicht mehr allzu sehr behinderte. Der Brustharnisch war erweitert worden, die Schulterstücke waren neu geschmiedet, alle Teile poliert und die Scharniere geölt.

Im Tal entlang der Weser war ein großes Areal abgesteckt worden, in der Mitte durch eine flache hölzerne Barriere getrennt, damit die gegeneinander antretenden Pferde nicht zusammenstoßen konnten. Aufsteigend am Berghang hatte man eine hölzerne Tribüne errichtet, in der Mitte sogar überdacht, mit Standarten und bunten Bändern geschmückt und die Bänke mit rotem Samt ausgeschlagen. Auch der Pfarrer von Rinteln weilte schon auf der Burg, denn am Tag nach dem Turnier sollte das Brautpaar den kirchlichen Segen in der Burgkapelle erhalten.

Kurz vor Beginn der Feierlichkeiten war Kanzler Möllenbeck von seiner Reise aus Kleve zurückgekommen. Umgehend erstattete er den beiden Grafen Bericht. Ihre Vermutungen bezüglich des Erzbischofs von Köln hatten sich bestätigt. Dass die Stadt Soest sich so einfach von ihm lossagen wollte, das hatte Dietrich von Moers wohl um keinen Preis hinnehmen können, nicht nur wegen ihres Reichtums, sondern weil die Stadt ihn obendrein im Jahr zuvor noch bloßgestellt hatte, indem die Soester die kölnischen Truppen in einen Hinterhalt gelockt und hundert Gefangene gemacht hatten. Das Lösegeld sollte über zweiunddreißigtausend Goldgulden erbracht haben, von dem der Erzbischof damals einen Großteil bezahlt hatte.

Auf der Suche nach neuen Verbündeten war Erzbischof Dietrich an den Landgrafen von Thüringen herangetreten. Dieser hatte kurz zuvor ein riesiges Söldnerheer angeworben, um in einem seit Jahren schwelenden Streit gegen seinen eigenen Bruder zu Felde zu ziehen. Die Kriegsleute stammten aus Sachsen und auch aus Böhmen, die älteren waren vormals Hussiten gewesen.

Bernhard hatte noch nie etwas von Hussiten gehört, aber die beiden Älteren erklärten ihm, dass vor Jahren ketzerische Horden aus Böhmen mehrfach in den Süden des Reiches eingefallen seien und dort fast unbesiegbar Angst und Schrecken verbreitet hätten. Der alte Kaiser Sigismund selbst habe Schlachten gegen sie verloren geben müssen, bis endlich auf dem Konzil von Konstanz der Anführer und Ketzer Jan Hus auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sei.

Versprengte Truppen dieser Hussiten und neue Söldner hatte der Landgraf von Thüringen zusammengefasst, aber schnell waren ihm die Mittel ausgegangen, ein solch großes Heer zu unterhalten, und so kam ihm die Anfrage des Erzbischofs von Köln gerade recht. Er setzte die Truppen nach Westen in Marsch, noch bevor die Kriegsmeute, um ihren Sold betrogen, sich über sein eigenes Land hermachen konnte.

Die Belagerung der Stadt Soest aber war schon nach wenigen Tagen gescheitert, weil es zu Streitigkeiten unter den Verbündeten kam. Mit dem Erzbischof als Feldherren war die Versorgung genau so wenig gewährleistet und versprochener Sold blieb weiterhin aus. Das Land rund um die Stadt Soest war mittlerweile so verwüstet, dass kein Getreide und kein Vieh mehr zu finden waren. Da zerstreuten sich die hungernden Söldnertruppen in alle Winde, auf der Suche nach Essbarem und neuen, zahlungskräftigeren Fürsten. Die Stadt selbst hatte keinerlei Schaden erlitten. Auch die Reichsacht, die König Friedrich aus dem fernen Linz über die Stadt Soest verhängt hatte, als sie sich so unbotmäßig neue Landesherren gesucht hatte, war bereits wieder aufgehoben. Wohl kam es dem König gerade ganz gelegen, dass dieser Konflikt vorerst nicht weiter eskalierte.

Auf keinen Fall aber, so fuhr Möllenbeck fort, dürfe es jetzt noch kriegerische Handlungen geben. Der Erzbischof sei derzeit so geschwächt, dass man auf dem Verhandlungswege sicher große Zugeständnisse erreichen könnte. Friedensverhandlungen zwischen dem Herzog von Kleve, dem Rat der Stadt Soest und dem Erzbischof seien schon auf neutralem Gebiet in Maastricht anberaumt.

Der Graf war immer unruhiger geworden. Er wusste, dass Möllenbeck die Lage richtig einschätzte, und dennoch brach es aus ihm heraus:

„Aber nein, Möllenbeck, wir können doch das Unrecht, das in Lippe geschehen ist, nicht einfach ungesühnt lassen!“

„Ihr habt Recht, Herr Graf, das Lipperland hat es furchtbar getroffen! Blomberg und Detmold und viele andere Städte sind ausgeplündert und verbrannt, nur Lemgo hat sich freikaufen können. Kaum ein Dorf, in dem nicht die Ernte zerstört und das Vieh abgeschlachtet wurde, es ist eine Katastrophe! Und außerdem, Herr Graf, bedenkt, das Heer, gegen das Ihr antreten wollt, ist in alle Winde verstreut, und uns fehlen die Mittel und die Männer. Die wenigen Überlebenden werden dringend beim Wiederaufbau benötigt. Und selbst wenn wir gen Köln zögen, was könnten wir dort erreichen?“

Bernhard atmete tief.

Graf Otto bekräftigte die Worte von Möllenbeck:

„Durch kluge Verhandlungen wird es Frieden und Sicherheit in der ganzen Region geben, und das ist eine bessere Möglichkeit, den Erzbischof ein für alle Mal von uns fern zu halten!“

Der Graf zur Lippe lief im Raum auf und ab.

„Es zerreißt mich! Könnte ich nur den Dietrich von Moers zu einem Zweikampf herausfordern!“

„Herr Graf, er ist trotz allem Euer Verwandter!“

 

„Für mich nicht mehr, Möllenbeck, nicht mehr!“

Er umfasste einen schwarz lackierten, hölzernen Pfeiler und es hatte fast den Anschein, als wolle er mit der Stirn gegen das Holz schlagen.

„Aber ich habe schon verstanden. Ich werde lernen, mich in das Unvermeidliche zu schicken.“

Möllenbeck ergriff noch einmal das Wort:

„Übrigens, Herr Graf, Ihr hattet doch berichtet, dass Ihr den Herrn Spiegel im Söldnerlager gesehen habt, auch dazu habe ich Neuigkeiten. Es heißt, er wurde vom Erzbischof dem Kriegshaufen entgegengeschickt, um den fremden Heerführern den Weg nach Soest zu weisen. Am Ende sei allerdings auch der Spiegelsche Besitz in Peckelsheim von versprengten Truppen heimgesucht worden.“

„Das zumindest ist ihm recht geschehen, er ist ein Verräter, ein gemeiner Landesverräter, ich wusste es! Möllenbeck, genug für heute, mehr kann ich nicht ertragen!“

Er wandte sich an seinen Schwiegervater: „Verzeiht, Graf Otto, wenn ich so unvermittelt aufbreche … , ich … , ich muss einen Moment für mich sein.“

Der Graf verließ das Haus, ging zum unteren Burghof, ließ den Stallburschen das Pferd satteln und ritt mit dem ‚Blitz‘ für Stunden an der Weser entlang.

***

Es war ein strahlender Spätsommertag, als die Fanfarenbläser schon früh am Morgen das große Hochzeitsturnier von den Zinnen der Burg aus ankündigten. Alle Burgbewohner und auch die Bauern des nahen Dorfes hatten sich festlich herausgeputzt und konnten ihre Aufregung kaum noch zügeln. Gaukler, Musikanten und Feuerspucker hatten sich eingefunden und ein Zeltlager direkt neben dem Turnierplatz errichtet.

Ritter und Gäste sammelten sich im Burghof. Simon, der jüngere Bruder des Grafen, hatte sein Studium der Theologie in Erfurt unterbrochen, um als Knappe für Bernhard zu fungieren und strahlte, als wenn er selbst der Bräutigam wäre.

Der Graf klappte das Visier seines Helmes herunter, damit die Umstehenden nicht sehen konnten, wie wenig er in der Stimmung war, seine eigene Hochzeit zu feiern, und ließ sich von seinem Bruder in den Sattel helfen. Unruhig ging das Pferd im Kreis. Die Reiter stellten sich vor dem oberen Tor auf. Welch eine Verschwendung von Mut und Tapferkeit! Wenn er die hier versammelten Ritter mitnehmen könnte nach Soest oder gleich nach Köln … geeignetes Fußvolk ließe sich sicher leicht finden …

Stattdessen musste er gute Miene zum bösen Spiel machen und mit seinen zukünftigen Schwägern raufen, als seien sie alle dumme Jungen! Aber immerhin besser, als den ganzen Tag an der Seite der wortkargen Anna auf der Tribüne zu verbringen! Sein einziger Trost war das Pferd. Er spürte ganz deutlich, dieser ‚Blitz‘ dachte wie er, wäre lieber davon geprescht und in einem echten Kampf ehrenvoll gestorben, als an diesem Spektakulum teilzunehmen!

Anna trat in den Hof, sie war in dunkelblauen Samt gekleidet, ein goldfarbener Gürtel unterstrich ihre makellose Figur, statt einer Haube trug sie den Jungfernkranz aus Rosmarin, Efeu und Immortellen. Als einzigen Schmuck hatte sie eine lange Goldkette mit einem taubeneigroßen Amethyst angelegt, der auf dem dunklen Samt ganz besonders hervorstach. Obwohl ihr Gesicht immer etwas herb wirkte, die Nase etwas zu lang und der Mund etwas zu schmal, war ihr Lächeln heute gewinnend und sie zog die bewundernden Blicke der vielen Edelherren auf sich.

Ihr Vater bot ihr seinen Arm und unter den Fanfarenklängen der Trompeter auf dem Turm führten sie den langen festlichen Zug an. Durch das Dorf schritten sie hinunter ins Tal und hinter den Rittern reihten sich die Bauern und Handwerker singend und scherzend ein.

Da saß Anna nun auf der Ehrentribüne ohne Bräutigam, fühlte sich eingezwängt zwischen ihrem Vater und der Tante Hildegardis, die seit dem Beginn der Hochzeitsvorbereitungen nicht mehr von ihrer Seite gewichen war. Die Tante war groß und hager wie Annas verstorbene Mutter und der Kehlkopf stand ihr unnatürlich weit aus dem Hals heraus, was ihr das Aussehen eines riesigen dürren Vogels gab. Seit Wochen traktierte sie Anna mit Ermahnungen über die Ehe. Schwarzmalerisch schilderte sie das gottgewollte Los einer Ehefrau, die sich dem Manne in allen Belangen unterzuordnen habe und ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sei. Und dass Anna nicht das Recht habe, mit ihrem Schicksal zu hadern, auch wenn das Elend im abgebrannten Lipperland noch so groß werden würde. Mit ihrer monotonen Stimme erinnerte die Tante sie unentwegt an ihre tote Mutter. Das machte sie traurig. Gleichzeitig war sie wütend auf diesen Grafen zur Lippe, der sie kaum angesehen, geschweige denn mit ihr gesprochen hatte, seit die Entscheidung zu der raschen Vermählung getroffen worden war. Vielmehr war er wochenlang nur geschäftig zwischen Stall und Schmied und Turnierplatz hin und her geeilt und jetzt ritt er vermummt mit Helm, Harnisch und Schild an die Ausgangsposition. Sein ehrerbietiger Gruß zur Ehrentribüne hin galt sicher nicht ihr, war so austauschbar wie die Gesten ihrer Brüder, ihrer Cousins und der fahrenden Ritter mit ihren bunt bemalten Schilden, die man eiligst für das große Fest einbestellt hatte. Ihren zukünftigen Ehemann konnte sie nur an der lippischen Rose erkennen, die man ihm auf seinen schwarzen, von den Brüdern geliehenen Wappenrock genäht hatte. Grimmig sah er aus, das Pferd tänzelte unter ihm, von Pferd und Reiter ging eine unbestimmte Unruhe aus, so als wollten beide am liebsten alles um sie herum niederrennen.

Das Turnier setzte sich aus drei Wettbewerben zusammen, dem Ringstechen, dem Armbrustschießen und dem Tjost, einem Kampf Mann gegen Mann, bei dem der Gegner mit der Lanze aus dem Sattel gestoßen werden musste.

Anna hatte sich eigentlich vorgenommen, darum zu beten, dass der arrogante Lipper einen Denkzettel erhielte. Aber als er sowohl beim Ringstechen, bei dem der Ritter mit der Lanze in vollem Galopp einen hoch aufgehängten Ring treffen muss, als auch beim Armbrustschießen die meisten Treffer erhielt, so dass sogar Annas älterer Bruder Adolf seinem zukünftigen Schwager anerkennend auf die Schulter klopfte, war Anna hin- und hergerissen und konnte den Beginn des Tjostes, des eigentlichen Ritterkampfes kaum erwarten. Sollte sie nun doch für den verdienten und ehrenvollen Sieg ihres Bräutigams beten? Es gelang ihr nicht, weil ihre Wut nicht abebben wollte. Sie entschied sich, dafür zu beten, dass alle Ritter heil und gesund aus dem Turnier hervorgehen sollten.

Die Spitzen der Stechlanzen waren mit Krönlein, kleinen gezackten Platten versehen worden, damit ihr Stoß nicht tödlich für Ross oder Reiter enden konnte, dennoch wurde den Pferden vor Beginn dieses Kampfes zum Schutz nun ebenfalls eine Rüstung angelegt.

Annas Brüder und Cousins machten sich einen Spaß daraus, sich im Eigenlob lauthals zu übertrumpfen. Vor der Tribüne versuchten sie, die Pferde der anderen abzudrängen, reckten ihre Lanzen in die Höhe und ließen Sprüche vernehmen wie „Nun gilt es, das ist der wahre Ritterkampf, sieh her, schöne Anna, ich werde die anderen Tölpel alle besiegen, mein ist der Siegerkranz!“

„Verschwinde, du Dummkopf! Anna, schöne Braut, hier siehst du den wahren Sieger, ich werde diese Schwätzer alle von ihren Pferden stoßen!“

So ging es in einem fort.

Anna musste lachen, aber ihre Tante Hildegardis schüttelte unwillig den Kopf:

„Was sind das für junge Leute! Ein wahrer Ritter macht sich nicht lustig über den edelsten der Ritterkämpfe!“

Der Graf zur Lippe hatte sich mit seinem Pferd abseits gehalten, sein Visier fest verschlossen. Anna schaute enttäuscht zu ihm herüber. Wie hochmütig er war, wie anmaßend und aufgeblasen! ‚Mit diesem Pferd werde ich das Turnier gewinnen, Graf Otto!‘ hatte er zu ihrem Vater gesagt. Anna war nur noch wütend. Was sollte es ihr nützen, dass ihr Bräutigam ein solch gut aussehender Mann war, wie es selbst Tante Hildegardis bemerkt hatte, wenn er sich entweder hinter seiner Rüstung oder hinter einer finsteren Miene verschanzte?