Die bestellte Braut

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Leider konnte man das Büro der Heiratsvermittlung nicht ausfindig machen.

Mrs. Prudle, eine robuste Frau in den 50ern, die sich als Haushälterin der Sullivans vorstellte, sorgte in ihrer etwas hemdsärmeligen, aber nicht unfreundlichen Art dafür, dass Steffiney alles bekam, was sie brauchte. Die ältere Frau brachte sie in dem geräumigen, gemütlichen Gästezimmer im Haupthaus unter, bereitete ihr ein Bad und brachte der jungen Frau später das Abendessen ins Zimmer hinauf.

Miss O'Brian hatte sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen beim Familienabendessen der fünf Sullivans entschuldigen lassen. Ihr stand der Sinn nicht im Geringsten danach, unter den missbilligenden, feindseligen Blicken von Luke Sullivan Konversation mit fremden Männern zu machen. Glücklicherweise akzeptierte Mr. Sullivan ihre Entschuldigung ohne weitere Fragen zu stellen.

Als Steffiney abends in ihrem geborgten Nachthemd am geöffneten Fenster stand und auf die Prärie hinaus sah, musste sie bitter lächeln. Sie dachte an Mrs. Rulys letzte Worte, als sie sich von ihrer Wirtin verabschiedet hatte.

„Ich gratuliere Ihnen, Kindchen. Wird ja auch Zeit, dass Sie endlich unter die Haube kommen. Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal eine alleinstehende Dame über 25 beherbergt habe. Muss ein hartes Los sein, wenn so lange keiner anbeißt“, hatte die fettleibige, ältere Dame gesagt, bevor Steffiney sich mit einem gezwungenen Lächeln bedankt hatte.

Sie lächelte bitter. Aber es war nicht nur die Enttäuschung darüber, dass ihre Pläne gescheitert waren und sie immer noch als Außenseiterin da stand, die sie überkam. Sie fühlte auch ehrliches Bedauern. Alles, was sie gewollt hatte, war eine Ehe, um versorgt zu sein. Die Black Creek Ranch war ein schöner Flecken Erde, auf dem sie sich hätte wohlfühlen können.

Und auch Charles Sullivan Sr. schien ein umgänglicher, netter Mann zu sein. Er hätte zwar ihr Vater sein können, aber sie war sich sicher, dass sie sich auch an den Altersunterschied gewöhnt hätte. Aber gerade rechtzeitig, bevor sie zu sehr bedauern konnte, dass Mr. Sullivan nicht im Traum daran dachte, sie zu heiraten, fiel ihr der älteste Sohn wieder ein.

Nein! Mit Luke Sullivan unter einem Dach leben zu müssen, war eine Vorstellung, die ihr sofort wieder die Zornesröte ins Gesicht trieb. Und auch die anderen Söhne waren bis auf Charlie in ihrem Alter, wie sie von Prudle gehört hatte. Es wäre doch eine zu seltsame Situation gewesen die Stiefmutter von Männern zu sein, die ihre Brüder hätten sein können. Zufrieden mit diesem vollauf vernünftigen Gedanken begab sich Miss O'Brian zu Bett.

Der nächste Morgen dämmerte klar herauf, doch die Reise und deren Aufregungen forderten ihren Tribut von Miss O'Brian. Sie verschlief sowohl den malerischen Sonnenaufgang wie auch das Frühstück der Sullivans. Erst als Prudle gegen 10 Uhr in ihr Zimmer kam, um die Vorhänge zurückzuziehen und die Fenster öffnete, wachte sie auf.

Beschämt darüber, dass sie so lange geschlafen hatte, versuchte sie sich sofort bei der Haushälterin zu entschuldigen. Prudle dagegen schien nichts Tadelnswertes an ihrer Langschläferei zu finden.

„Schon recht, Missy. Se ham doch ne lange Reise hinter sich. Mr. Sullivan hat extra jesacht, ich soll Se ruhig lange schlafen lassen. Wenn Se gleich in de Küche komm, mach ich Ihnen Frühstück.“ Mit dieser ungewohnt langen Rede für ihre Verhältnisse verschwand die Haushälterin wieder.

In aller Eile kleidete Steffiney sich an und lief dann hinunter, um Prudles reichhaltiges Frühstück zu genießen. Während sie sich über Toast, Eier mit Speck und Pancakes hermachte, berichtete Prudle, dass Mr. Charlie bereits unterwegs nach Green Hollow war, um ihre Angelegenheiten zu regeln.

Miss O'Brian blieb fast das Frühstück im Hals stecken, aber Prudle ließ mit keinem Blick oder Wort erkennen, dass sie wusste, worum es sich bei diesen „Angelegenheiten“ handelte. Nachdem die Haushälterin sich vergewissert hatte, dass nichts von ihrem großzügigen Frühstück übrig geblieben war, scheuchte sie den jungen Gast aus der Küche. Sie wollte nichts davon hören, als Miss O'Brian ihre Hilfe beim Geschirr spülen anbot. Die Missy solle lieber eins von den Büchern lesen oder Klavier spielen, wenn sie das konnte. Beides würde sie im Salon finden.

Nur ungern ließ Steffiney die alte Frau mit dem Geschirr allein, doch da Prudle anscheinend wirklich lieber für sich war und ihre Arbeit nicht teilen wollte, verschwand sie schließlich in den Salon. Das Wort Klavier war Musik in ihren Ohren. Wie lange hatte sie schon nicht mehr die Tasten eines solchen Instrumentes unter ihren Fingern gefühlt?

Zu ihrer Freude fand sie ein erstklassiges Instrument, das perfekt gestimmt war, vor. Selbst Noten lagen auf dem Deckel. Einige irische und schottische Volkslieder, Tanzmusik und sogar etwas Klassik. Alles, was ihr Herz begehrte.

Fast ehrfürchtig klappte die junge Frau den Deckel auf und ließ ihre Finger vorsichtig über die Tasten wandern. Erst zögerlich, doch bald fanden ihre Hände die alte Sicherheit wieder und der Vormittag flog mit den irischen Volksliedern, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, nur so dahin.

Ohne dass sie es bemerkte, hatte Miss O'Brian allerdings einen Zuhörer bekommen. Luke Sullivan stand in der Tür und lauschte der Musik halb erstaunt, halb erfreut. Das Instrument hatte seiner Mutter gehört, die eine leidenschaftliche Spielerin gewesen war. Allerdings hatte Prudence Sullivan nicht die Hälfte von Miss O'Brians Talent besessen und mit mehr Inbrunst als Können gespielt. Er war überrascht über die Fähigkeiten des unerwünschten Gastes und für eine Weile hörte er ihr einfach nur zu. Als ihm jedoch klar wurde, dass ihm sowohl der Anblick als auch die Musik nicht zuwider waren, räusperte er sich.

Die Musik brach abrupt ab, als Miss O'Brians Finger von den Tasten fielen und sie fuhr herum. Offensichtlich hatte sie sich erschreckt, so tief war sie in ihr Spiel versunken gewesen. Als sie allerdings sah, wer sie gestört hatte, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich.

„Es tut mir leid, aber Mrs. Prudle sagte mir, ich könne ruhig etwas spielen. Ich hätte das Klavier nie von selbst angefasst.“ Ihre Stimme schwankte irgendwo zwischen Kampfeslust und Entschuldigung. Doch auch Luke Sullivan schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er sich für sein unerwartetes Auftauchen entschuldigen oder es ihr übelnehmen sollte, dass sie am Klavier seiner Mutter saß, als würde es ihr gehören.

„Charlie ist mit Neuigkeiten zurück. Mein Vater bat mich, Ihnen zu sagen, dass Sie ihn in der Scheune finden.“ Luke Sullivan klang nicht unfreundlich, aber Steffiney war nach der gestrigen Beleidigung nicht gewillt, Milde walten zu lassen. Zumindest nicht ohne Entschuldigung von ihm.

So legte sie wortlos die Noten zusammen, schloss den Klavierdeckel und ging an ihm vorbei nach draußen. Sie würde diese Scheune auch ohne seine Hilfe finden.

Allerdings hatte sie die Rechnung ohne den Sendboten gemacht. Auf seinen langen Beinen war es Luke ein Leichtes sie einzuholen. Doch auch er verschwendete keine weiteren Worte, als sie Seite an Seite zu einer der Scheunen gingen. Er öffnete das Holztor etwas weiter für sie und ließ sie dann eintreten, bevor er ihr folgte.

Im Inneren herrschte ein angenehmes Zwielicht. Charlie war gerade damit beschäftigt, ein Pferd auszuspannen und ihre Reisetruhe von einem kleinen Vehikel zu bugsieren. An eine der Pferdeboxen gelehnt stand Mr. Sullivan, der seinem jüngsten Sohn bis eben aufmerksam gelauscht hatte und einige Papiere in seiner Hand betrachtete.

Als Luke und Steffiney die Scheune betraten, schaute er lächelnd auf. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren trotz des Dämmerlichts deutlich zu sehen. „Miss O'Brian, ich hoffe, Sie haben eine angenehme Nacht gehabt und fühlen sich wohl bei uns.“

Sie bedankte sich, doch fragte ohne Umschweife nach den Nachrichten aus Boston. Steffiney wollte nicht unhöflich sein, doch das war es doch, was sie alle interessierte. Aus keinem anderen Grund würde Luke Sullivan sie hierher begleitet haben.

„Nun, Miss O'Brian, Charlie hat in der Tat nach Boston telegrafiert. Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass er Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien nicht… erreichen konnte.“

Sofort kam aus Luke Sullivans Richtung ein Schnauben. Für ihn schien diese Eröffnung keine Überraschung zu sein. Umso mehr aber für Miss O'Brian.

„Was meinen Sie bitte damit, dass er das Institut nicht erreichen konnte? Ich habe Ihnen doch die Unterlagen mit der Adresse gegeben!“, fuhr sie verwirrt auf.

Mr. Sullivan nickte bedächtig mit dem Kopf. „Ja Miss O'Brian, das haben Sie. Nur leider konnte man das Büro dieser Heiratsagentur nicht ausfindig machen. Genausowenig wie einen Mr. Smith. Es waren unter der Adresse nur ein paar leere Lagerräume zu finden.“

Steffiney traute ihren Ohren nicht. Sie war doch selbst dort gewesen! Wie konnte nur… Im nächsten Augenblick wurde ihr klar, was Mr. Sullivan jetzt von ihr denken musste. Genau das Gleiche wie sein ältester Sohn. Er würde sie postwendend auf die Straße setzen!

Plötzlich begann sich alles um sie herum zu drehen, und noch bevor sie etwas dagegen tun konnte, knickten ihre Knie ein. Von irgendwoher hörte sie Mr. Sullivans Stimme, die etwas rief, doch der schwache Moment dauerte nicht lange. Wenige Augenblicke später war Miss O'Brian wieder Herrin ihrer Sinne. Und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie nicht wie erwartet auf dem Boden lag. Sie saß auf ihrer Reisetruhe und vor ihr knieten Mr. Sullivan und Charlie.

Allerdings waren beide in dem Augenblick, als ihr schwindlig geworden war, zu weit entfernt gewesen, um sie auffangen zu können. Sie warf einen misstrauischen Blick zu Luke, der in einiger Entfernung an einem Holzpfosten lehnte und sie eingehend betrachtete.

 

„Geht es wieder, Miss O'Brian?“, fragte der alte Herr besorgt und rieb ihre Hände zwischen den seinen.

„Ja, danke. Ich… Es tut mir leid, es ist nur… Ich war selbst dort gewesen. Sie müssen mir glauben.“ Ihre Stimme klang jetzt eindeutig verzweifelt, doch Charles Sullivan lächelte sie immer noch freundlich, wenn auch besorgt an.

„Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Glaubwürdigkeit. Charlie hat sich an das Magistrat der Stadt Boston gewandt. Ich fürchte, Miss O'Brian, Sie sind auf einen Betrüger hereingefallen.“

Mr. Sullivan machte eine kurze Pause, um zu sehen, wie sein ungewöhnlicher Gast die Nachricht aufnahm. Doch es schien kein zweiter Schwächeanfall in Sicht und so fuhr er fort.

„Eine derartige Agentur wurde in Boston nie offiziell verzeichnet. Das Magistrat teilte Charlie mit, dass sie in den letzten Tagen mehrere solcher und ähnlicher Anfragen erhalten hätten. Miss O'Brian, es sieht ganz so aus, als hätte dieser Mr. Smith sich als Heiratsvermittler ausgegeben, junge Damen mit Adressen im Westen versorgt und die Gebühr kassiert. Sobald er alle seine Kundinnen auf diese Weise aus der Stadt gebracht hatte, hat er ganz offensichtlich mit ihrem Geld das Weite gesucht. Wenn Sie es sehen wollen, ich habe das Telegramm des Magistrats hier.“ Mit einem bedauernden Blick erhob sich Charles Sullivan wieder aus seiner knienden Position.

Sehr langsam streckte Miss O'Brian ihre Hand nach dem Blatt Papier aus und las still Wort für Wort. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte. Kein Eheanbahnungsinstitut, keine Hochzeit, kein Geld, keine Möglichkeit wenigstens ihre Ausgaben zurückzubekommen.

Sie hatte keine Verwandten, die ihr hätten helfen können und ihre Eltern waren tot. Die wenigen Freunde, die sie in Boston gehabt hatte, würden ihr nie im Leben mit einer entsprechenden Summe aushelfen können, um die Rückreise zu finanzieren. Und selbst wenn, was sollte sie dort? Sie hatte keine Unterkunft mehr, kein Auskommen und keine Arbeit. Hier oder dort, sie stand vor dem Nichts.

„Aber…“, flüsterte die junge Frau schließlich heiser. „Aber wie… Ich meine, Ihre Adresse… Wie konnte er wissen, dass es Sie…“ Es war offensichtlich, dass Miss O'Brian sich an den letzten Strohhalm klammerte, den sie sah.

Charles Sullivan klopfte ihr sanft auf die Schulter, schüttelte aber den Kopf. „Ein Blick in die entsprechenden Register hier im Westen reicht, um ein paar glaubwürdige Namen und oberflächliche Informationen, die einer ersten Prüfung standhalten, zu finden. Vielleicht tröstet es Sie, dass Sie nicht als Einzige auf diesen sauberen Mr. Smith hereingefallen sind. Es konnte wirklich niemand ahnen.“

Doch Miss O'Brian schien, zumindest vorerst, keinen Trost in dieser Tatsache zu finden. Während das Telegramm aus ihren Händen zu Boden glitt, wanderte ihr Blick zu Luke Sullivan. Wenn er bis eben noch gedacht hatte, dass sie eine Betrügerin war, so musste er sie jetzt für ein naives Dummchen halten. Und sie wusste nicht, was schlimmer war.

Sucht Doc Dave eigentlich noch einen Assistenten?

Charles Sullivan Sr. hatte natürlich darauf bestanden, dass Steffiney bis auf weiteres in seinem Haus zu Gast blieb. Und die junge Frau war von den Neuigkeiten viel zu mitgenommen, um sich großartig zu wehren. Allerdings mussten die restlichen zwei Sullivans sich noch gedulden, bis sie endlich ihren neuen Hausgast kennenlernen sollten.

Miss O'Brian verbrachte einen weiteren Abend auf ihrem Zimmer und diesmal mit wirklichen und nicht mit vorgetäuschten Kopfschmerzen. Die Sorgen und die Tränen waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen und so kam es, dass sie bereits bei Einbruch der Dunkelheit im Bett lag.

Das war die dümmste Idee, auf die sie je gekommen war. Wie hatte sie nur all ihr Geld in so eine sinnlose Reise stecken können, zu einem Mann, den sie noch nicht einmal kannte? Was war nur mit ihr los gewesen?

Steffiney konnte es nicht verhindern, dass sie wieder zu weinen anfing. Wer sich dermaßen kurzsichtig benahm, der hatte auch nichts anderes verdient.

Sie saß in einer fremden Stadt fest, tausende Kilometer von daheim entfernt und ohne einen Penny. Sie war völlig von dem Wohlwollen fremder Leute abhängig.

Es musste schon auf Mitternacht zugehen, als sie die schweren Männerschritte die Treppe hinaufkommen hörte, ein raues Lachen irgendwo nebenan, Gute-Nacht-Grüße und Türenklappen. Und sie war immer noch wach.

In den letzten Stunden hatte sie in ihrem Kopf alle Möglichkeiten durchgespielt, aber es blieb nur eine, mit der sie wirklich leben konnte. Sie musste ihr eigenes Geld verdienen.

Im Geiste war sie noch einmal durch Green Hollow gewandert. Oder zumindest durch den Teil, den sie bis jetzt gesehen hatte.

Es gab das Green Hotel und dieses unsägliche Gemstone, das wohl einer dieser… Saloons war. Selbst in ihren Gedanken hatte das Wort einen abfälligen Beiklang. Als Zimmermädchen hatte sie keine Erfahrung, aber sie konnte Klavier spielen.

Steffiney musste hart schlucken, als sie an die Bilder mit spärlich bekleideten Saloon-Damen dachte, die sie gesehen hatte. Sie schenkten Whisky aus und sorgten für Unterhaltung. Um Schnaps in Gläser zu gießen, würde man wohl keine besonderen Kenntnisse brauchen. Und es würde Geld bringen.

Schlimmer als Mr. Winterbottoms impertinente Berührung in der Kutsche würde das auch nicht sein. Die Männer in einem Saloon würden sie immerhin nur ansehen und nicht anfassen.

Und mit dem Entschluss so schnell wie möglich Arbeit zu finden, kam endlich der Schlaf.

Am nächsten Morgen war es der jungen Frau fast schon peinlich, dass sie ein weiteres Mal so spät aus den Federn kam. Mrs. Prudle schien sich aber nicht im Geringsten daran zu stören, Mr. Sullivans Gast jeden Morgen eine Extra-Wurst zu braten. Oder ein Extra-Spiegelei in diesem Fall.

Der Tag verging recht ruhig, denn wie die Haushälterin mitteilte, waren die Sullivan-Männer mit den Arbeitern auf den Weiden unterwegs. Miss O'Brian hatte also noch genug Zeit den Rest ihrer Verzweiflung und gedrückten Laune halbwegs zu überwinden, bis der Hausherr mit seinen Söhnen zurückkehrte.

Zum Dinner lernte Miss O'Brian dann auch endlich die fehlenden zwei Familienmitglieder kennen. Joshua und William Sullivan. Joshua, kurz Josh genannt, war nur ein oder zwei Jahre jünger als Luke, und auch wenn er nicht ganz so groß wie sein Bruder war, hätte er ansonsten dessen Zwilling sein können. Die beiden ältesten Sullivans schlugen ganz offensichtlich nach ihrem Vater.

Bill, der etwas jünger als Miss O'Brian war, hatte blondes Haar und er und Charlie schienen eher nach der verstorbenen Mrs. Sullivan zu kommen. Sie waren zwar beide auch nicht klein, aber hatten einen eher feingliedrigeren Körperbau als ihre robusten Brüder und blaue Augen.

Obwohl die Stimmung in der kleinen Runde etwas gedrückt war, setzte man sich nach dem Abendessen noch zusammen in den Salon.

Natürlich hatte Mr. Sullivan seinen mittleren Söhnen nicht verheimlichen können, was Miss O'Brian auf die Black Creek Ranch geführt hatte. Schon gar nicht, nachdem Charlie bereits am Abend zuvor wie ein kleiner Junge mit den Neuigkeiten herausgeplatzt war. Und so hatte das Familienoberhaupt auch Josh und Bill beim Essen in die neusten Entwicklungen eingeweiht. Josh hatte sofort Partei für die Fremde ergriffen und über den Verbrecherstaat gewettert, in den sich die Vereinigten Staaten seit dem Sezessionskrieg verwandelten. Bill hatte ihr lediglich sein Mitgefühl ausgedrückt und dann schweigend zugehört.

Jetzt, im Salon, versuchte Mr. Sullivan seinen Gast gerade davon zu überzeugen, sich doch das nötige Geld für die Heimreise von ihm zu leihen. Es war offensichtlich, dass der ältere Herr sich trotz allem für Steffiney verantwortlich fühlte.

„Ich bitte Sie, Miss O'Brian. Ihnen das Geld zu leihen, ist keine große Ausgabe für mich. Was wollen Sie denn sonst tun? Sich zu sträuben, schiebt das Unvermeidliche doch nur hinaus. Sie sagten mir, dass sie weder Verwandte noch Freunde haben, die Ihnen genug leihen könnten.“

Vor wenigen Minuten war Steffiney noch ruhelos durch den Raum geschritten. Als ihr jedoch auffiel, dass jeder der Sullivan-Männer stehen blieb, solange sie nicht saß, hatte sie sich schließlich doch zur Ruhe gezwungen und Platz genommen. So viel Stil und Anstand hätte sie von einfachen Ranchern nicht erwartet.

„Mr. Sullivan, ich weiß dieses Angebot wirklich zu schätzen, aber es ist mir unmöglich, es anzunehmen. Ich habe nachgedacht und werde mir Arbeit in Green Hollow suchen. In einem Jahr sollte ich genug Geld haben, um mir die Rückreise nach Boston leisten zu können“, eröffnete sie ihre Pläne vom Vorabend ihren Zuhörern. Und erntete dafür ausnahmslos verblüffte Blicke.

„Jetzt schauen Sie mich nicht so an! So hilflos bin ich wirklich nicht. Ich habe früher auch schon gearbeitet“, sagte sie dann so nachdrücklich wie möglich. Sie hatte sich gut überlegt, ob sie sich Geld leihen sollte, aber es ging ihr einfach gegen ihren Stolz. Und sie wollte Lukas Sullivan ungern die Möglichkeit bieten am Ende über sie zu triumphieren und sagen zu können: „Was hab ich dir gesagt, Dad? Hinter Geld ist sie her und das war alles.“ Nein, so weit würde sie es nicht kommen lassen!

Josh war der Erste, der seine Sprache wiederfand. „Und als was gedenken Sie in Green Hollow zu arbeiten? Viel gibt es in der Stadt nicht, und wenn Sie nicht gerade in die Silbermine einfahren wollen, fällt mir da nichts ein.“ Er sprach genau das aus, was der Rest der Sullivans dachte. Green Hollow war eine florierende kleine Stadt, aber die Möglichkeiten der Frauen beschränkten sich dort aufs Heiraten und die ehrenamtliche Arbeit für die Kirche.

Miss O'Brian räusperte sich und holte dann tief Luft. „Ich…“ Nein, sie musste sich ein weiteres Mal räuspern, bevor sie sprechen konnte. „Ich habe gesehen, dass es einen Saloon in Green Hollow gibt. Ich kann Klavier spielen und Whisky ausschenken dürfte wohl kaum über meinen Horizont gehen. Bardamen sind doch hier im Westen sehr gefragt.“

Charlie brach nach dieser Eröffnung in lautes Lachen aus und auch die anderen beiden Sullivan-Brüder konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Lediglich Luke beobachtete das Ganze mit Leichenbitter-Miene. Die Tatsache, dass ihr ungebetener Gast keine Mitgiftjägerin war, hatte ihn nicht gerade freundlicher gestimmt. Nachdem seine Beleidigungen sich nun als unangebracht herausgestellt hatten, war er einfach dazu übergegangen, gar nicht mehr mit ihr zu reden.

Miss O'Brian nahm an, dass er es für unter seiner Würde hielt, mit Frauen zu reden, die auf Trickbetrüger hereinfielen.

„Charlie, reiß dich gefälligst zusammen!“, fuhr Mr. Sullivan seinen Jüngsten an, dann wandte er sich an die junge Frau, die verwirrt in die Runde schaute. „Nehmen Sie es uns nicht übel Miss O'Brian, aber Sie sind in einem Etablissement wie dem Gemstone in etwa so fehl am Platz wie eine Millionenerbin in einem Kuhstall. Ich fürchte, Sie sind für diese Art Arbeit einfach viel zu sehr Dame.“

„Oh, ich hab keine Angst davor, mir die Hände schmutzig zu machen. Ich kann durchaus zupacken, wenn es von Nöten ist.“ Steffiney war nicht unbedingt naiv, aber die Sitten im Westen waren ihr völlig fremd. Dass der Saloon viel mehr als ein Ausschank für alkoholische Getränke war, erschloss sich ihr nicht. Jetzt musste auch Josh sein Gesicht hinter seinen Händen verbergen. Die unwissentliche Doppeldeutigkeit von Miss O'Brians Bemerkung trieb ihm die Tränen in die Augen vor unterdrücktem Lachen.

„Nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Was ich meine, ist, dass die Arbeit im Gemstone Ihnen mehr abverlangen würde, als Sie jetzt denken. Oder einschätzen können…“ Selbst Charles Sullivan schien am Ende seines Lateins angekommen zu sein. Wie sollte er der Dame nur klar machen, was das Gemstone wirklich war?

Es war schließlich Luke, der das Kind beim Namen nannte. „Sind Sie wirklich so naiv? Das Gemstone ist nicht nur ein Saloon. Es ist in erster Linie ein Bordell. Ein Freudenhaus.“

Steffiney lief bei dieser Eröffnung scharlachrot an und senkte ihre Augen, während Mr. Sullivan seinem Ältesten einen ärgerlichen Blick zuwarf. Doch die junge Frau fand ihre Sprache schneller wieder als erwartet.

„Oh, ähm, d-danke für den Hinweis. Das ist dann wohl in der Tat nicht das Richtige für mich.“

Für einige Augenblicke machte sich betretenes Schweigen breit. Und Mr. Sullivan überlegte bereits wieder, wie er seinen Gast dazu bringen konnte, sich das Geld für die Rückfahrt von ihm zu leihen, als sich Charlie zu Wort meldete.

 

„Als was haben Sie früher eigentlich gearbeitet, Miss O'Brian?“

„Ich habe Klavierunterricht gegeben. Nichts, was mir hier von Nutzen wäre.“ Sie lächelte entschuldigend. „Und seit zwei Jahren habe ich als Krankenschwester gearbeitet. Aber ich nehme nicht an, dass Green Hollow ein Krankenhaus besitzt, oder?“, fragte sie halb im Scherz. Charlie lachte wieder auf und verneinte dann.

Es war Josh, der nach einigen Minuten das Schweigen wieder brach.

„Dad, sucht Doc Dave eigentlich immer noch einen Assistenten?“

Sein Vater schaute ihn fragend an.

„Ja, aber was hat das jetzt mit Miss O'Brian zu tun? Sie wird ja wohl kaum Medizin studiert haben“, meinte er zweifelnd.

„Nein, aber der alte Dave wird sicher noch eine Weile weiter suchen müssen. Die meisten Ärzte wollen doch nicht in den Westen. Die wollen eine saubere Stelle in einem Krankenhaus in einer großen Stadt. Vielleicht würde sich Doc Dave vorerst auch mit einer Krankenschwester als Hilfe begnügen“, gab der zweitälteste Sullivan zu bedenken.

Einen Moment lang schauten alle verblüfft auf Josh. Der Vorschlag klang zu gut, um wahr sein zu können. Langsam und zweifelnd drehte schließlich Miss O'Brian ihren Kopf zu Charles Sullivan.

„Halten Sie es für möglich, dass Ihr Doktor sich auf so etwas einlässt?“ Steffiney wollte sich nicht umsonst Hoffnungen machen, aber die Idee erschien irgendwie vernünftig. Und sie war momentan der einzige Lichtblick.

„Ich halte es zumindest nicht für unmöglich. Dave ist ein netter, alter Kerl.“ Er wandte sich an seinen jüngsten Sohn. „Charlie, du wirst morgen wieder in die Stadt reiten und Doc Dave zu uns heraus bitten. Sag ihm, dass ich über etwas Geschäftliches sprechen möchte. Und nun Miss O'Brian, tun Sie uns den Gefallen und machen etwas Musik? Ich denke, das wäre jetzt genau das Richtige!“

„Gerne!“ Mit einem breiten Lächeln nahm Steffiney auf dem Klavierhocker Platz und stimmte einen irischen Reel an. Es war eine fröhliche Melodie. Dies und die Aussicht auf eine Arbeit für Miss O'Brian besserten bei allen die Laune. Selbst Luke Sullivan konnte sich der guten Stimmung nicht entziehen und stellte zum zweiten Mal an diesem Tag fest, dass Steffiney O'Brian nicht nur Klavier spielen konnte, sondern dabei auch noch bezaubernd aussah.

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