Die bestellte Braut

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„Ich bin Harriet Plockton. Kommen Sie mich doch einmal besuchen, wenn Sie wieder in der Stadt sind.“ Und damit stürmte sie davon.

Über so viel unvermutete Wohlerzogenheit musste Steffiney ungewollt lächeln. Doch gleich darauf kehrten die Sorgen zurück. Was sollte sie nur tun? Sie musste irgendwie zur Black Creek Ranch kommen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte.

Nun, heute wohl gar nicht mehr. Die Sonne war inzwischen am Sinken und mit ihrer Reisekiste kam sie sowieso nirgendwo hin. Zumindest nicht allein. Seufzend wandte sich Miss O'Brian dem Green Hotel zu und befürchtete, nicht genug Geld für ein Zimmer zu haben. Doch ihre Sorgen erwiesen sich als unbegründet. Das Green Hotel war ein sehr gepflegtes Haus mit vernünftigen Preisen. Steffiney beschloss, die Nacht dort zu verbringen und am nächsten Morgen mit dem Besitzer des Hotels zu sprechen. Er würde ihr sicher sagen können, wie sie zur Black Creek Ranch kam oder wie man Charles Sullivan benachrichtigen könnte.

Zumindest einen Mr. Sullivan…

Es war bereits nach Mittag, als Steffiney O'Brian sich endlich der Black Creek Ranch näherte. Wider Erwarten hatte sie eine geruhsame Nacht verbracht und tatsächlich bis nach neun Uhr geschlafen. Zur Feier des Tages, dass sie heute endlich ihren Verlobten kennenlernen würde, hatte sie sich von ihren letzten Ersparnissen ein opulentes Frühstück geleistet. Sie wollte ja nicht mit knurrendem Magen vor ihrem zukünftigen Mann und den Kindern stehen.

Mit Hilfe des Hotelangestellten hatte sie dann einen Mietstall ausfindig gemacht, der ihr eine zweisitzige Kutsche samt Kutscher zur Verfügung stellte. Zwar war ihr etwas mulmig zu Mute, als sie zu dem ungepflegt wirkenden jungen Mann hinauf gestiegen war, aber Miss O'Brian ließ nicht zu, dass ihre gute Laune und Vorfreude darunter litt.

Innerhalb weniger Minuten hatte das Gespann die Stadt verlassen und befand sich auf einem staubigen Weg, der in einiger Entfernung in einen Kiefern- und Pinienwald mündete.

Steffiney hatte zwei Mal versucht, eine höfliche Konversation über das Wetter und den Weg zu beginnen, doch ihrem jungen, düsteren Kutscher war nicht mehr als ein „Is schon recht, Ma'am“ zu entlocken. So gab sie es schließlich auf, richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Landschaft und stellte schon nach kurzer Zeit fest, dass diese durchaus ihren Reiz hatte. Die weiten Ebenen wechselten sich mit dunklen Nadelwäldern ab und dahinter falteten sich die Rocky Mountains auf wie in einem Gemälde.

Doch es dauerte nicht lange und ihre Gedanken wanderten von den Ebenen zu deren Bewohnern. Vielleicht hatte Charles Sullivan ein falsches Datum erhalten. Vielleicht hatte Mr. Smith irgendetwas verwechselt in seinem Brief. Was würde ihr zukünftiger Mann dann für Augen machen, wenn sie heute schon auf seiner Ranch stand! Ob er sich wohl freuen würde? Und die Kinder? Die Jungen? Würden die sie mögen? Ob einer von ihnen noch ein Kleinkind war?

„Sind fast da, Ma'am.“ Erst die genuschelte Bemerkung ihres Begleiters brachte Steffiney O'Brian in die Realität zurück. In einiger Entfernung sah sie ein imposantes Holzhaus, um das sich Scheunen und ein paar kleinere Gebäude gruppierten. Das musste die Black Creek Ranch sein.

Erstaunt sog sie die Luft ein.

„Ooohhh…“ Für einen Moment verschwand sogar das selige Lächeln aus ihrem Gesicht. Der Besitz war größer, als sie gedacht hatte. Sehr viel größer. Nachdem sie heftig geschluckt hatte, ließ sie ein weiteres „Ooohhh…“ hören, das diesmal etwas resignierter klang. Irgendwie hatte Steffiney O'Brian etwas in der Größenordnung von einer kleinen Herde Rindern und einer einfachen Hütte erwartet. Da hatte sie weit gefehlt. Sie sollte Herrin von diesem… diesem Unternehmen werden?

Für einen Moment fragte sie sich, ob die Tochter eines kleinen Farmers aus Pennsylvania dem gewachsen war. Doch genauso schnell und resolut schob sie die Zweifel beiseite. Seit sie mit ihrer Mutter damals ihre Farm hatte verlassen müssen, um in Boston in kleinen Mietswohnungen und Pensionen zu wohnen, hatte sie sich nach etwas Eigenem gesehnt. Etwas, das wirklich ihr gehörte und nicht anderen Leuten. Und nun hatte sie die Gelegenheit endlich wieder ein eigenes Haus mit allem, was dazugehörte, zu haben. Und da bekam sie Angst? Nein, das war doch zu dumm! Sie sollte sich freuen, dass es ihr so gut gehen würde.

Der Kutscher lenkte den Wagen einen staubigen Weg entlang, der mitnichten auf die Haustür zuführte, sondern um die Scheunen und Hütten herum.

„Bring Sie gleich hinters Haus. Die Sullivans sind um die Zeit draußen“, murmelte er in seinen verfilzten Bart.

Und schon waren sie um die Ansammlung von Gebäuden herumgefahren und die Kutsche befand sich in einem gepflegten Innenhof. Etwas schmucklos, aber gepflegt. Und groß.

Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte ihr Begleiter ihr schon von dem Zweisitzer geholfen. Als die Kutsche wendete und einfach davonfuhr, blieb Mrs. O’Brian in einer Staubwolke zurück.

Steffiney war noch so mit der Größe des Anwesens beschäftigt, dass sie für einige Minuten nicht bemerkte, dass sie mutterseelenallein vor einem fremden Haus stand. Mit offenem Mund drehte sie sich einmal um die eigene Achse und ließ den Blick über das großzügige Holzhaus mit der Terrasse gleiten. Die Tore der Scheune auf der anderen Seite des Vorplatzes standen offen. Einzelne Sonnenstrahlen erhellten das Dunkel im Inneren und ließen unzählige Staubpartikel im Licht tanzen. Weiter wanderte ihr Blick über die freie Fläche zu den Bergen. Und davor, in einiger Entfernung, erspähte die junge Frau ihr etwas völlig Unbekanntes.

In einer seltsamen kleinen Umzäunung bockte, sprang und buckelte ein wunderschönes schwarzes Pferd. Und auf dessen Rücken saß, sich nur mit einer Hand festhaltend, ein Mann. Wie er sich dort oben hielt, war ihr völlig schleierhaft, aber dafür umso beeindruckender.

Fasziniert ging sie einige Schritte auf das seltsame Spektakel und auf die Männer zu, die um die Einzäunung herum standen. Ob sie alle zur Ranch gehörten?

Die vermutlichen Cowboys waren ausnahmslos schlank und wirkten kräftig. Sie trugen Hosen aus dunklem, derbem Stoff und schlichte Arbeitshemden. Und natürlich fehlte bei keinem der obligatorische flache Filzhut, den sie auch in der Stadt schon so oft gesehen hatte.

Im Fell des schwarzen Hengstes spiegelte sich die Sonne. Noch einige Augenblicke rangen Reiter und Pferd um die Vorherrschaft, bis ein besonders harter Bocksprung den Mann im hohen Bogen durch die Luft wirbelte.

Es gab ein hohles Geräusch, als der arme Kerl auf dem Boden aufschlug. Lauter war jedoch Miss O'Brians erschreckter Aufschrei, als der Fremde im Staub landete. Was ihr jetzt immerhin die volle Aufmerksamkeit der Männer sicherte, die sie bis eben noch nicht bemerkt hatten.

Sie hatte nicht im Mindesten mit so etwas gerechnet. Ffür ihr unerfahrenes Auge sah es mehr als lebensgefährlich aus. Instinktiv war sie einen Schritt zurückgewichen, doch ihr Schreck währte nicht lange. Fast im selben Augenblick rappelte sich der Mann auf, sammelte seinen Hut von der Erde und wandte seinen Kopf in die Richtung, in die auch alle anderen starrten. Bis seine Augen schließlich an einer kleinen Frau mit kastanienbraunen Haaren in einem dunkelgrünen Reisekleid hängen blieben.

Steffiney wurde sich mit einem Mal ihrer seltsamen Situation bewusst und lief unter den Blicken all der fremden Männer tiefrot an. Sie wirkten düster und nicht im Geringsten hilfsbereit, betrachteten sie mit einem abschätzenden Blick und wandten sich schließlich ab. Lediglich ein junger Bursche mit fast noch kindlichen Gesichtszügen, der rittlings auf der Umzäunung saß, schaute sie weiter unverwandt an. Sein Grinsen war beinahe unverschämt.

Verunsichert sah sich Miss O'Brian nun nach allen Seiten um, sodass ihr entging, wie der Cowboy die Umzäunung des Corrals überkletterte und auf sie zukam. Erst als er sie fast erreicht hatte, bemerkte sie ihn. Mit den Händen beschattete Steffiney ihre Augen, um etwas besser zu sehen. Ihr Blick arbeitete sich langsam von den schwarzen Stiefeln zu den langen Beinen empor, die in dunklen Hosen steckten. Und weiter über ein blaues Hemd zu einem äußerst kräftigen Kinn mit einem leichten Bartschatten. Als sie schließlich die braunschwarzen Augen und das schwarze Haar erreichte, wünschte Miss O'Brian sich fast, sie hätte nicht so genau hingesehen. Der Mann war mindestens 1,85 Meter groß, wahrscheinlich sogar größer und hatte etwas sehr Einschüchterndes an sich.

Fast im selben Moment schoss der jungen Frau die Frage durch den Kopf, ob das Charles Sullivan sein könnte. Anstatt wieder zu schlucken, schnappte sie bei dem Gedanken diesmal nach Luft.

„Kann ich Ihnen helfen, Madam?“ Der baumlange Cowboy hatte sie erreicht und stand nun direkt vor ihr. Was Steffiney zwang ihren Kopf etwas in den Nacken zu legen, damit sie ihm überhaupt ins Gesicht schauen konnte. Andernfalls hätte sie jetzt auf die offene Knopfleiste seines Hemdes gestarrt. Mit einiger Mühe behielt sie den Kopf oben und lächelte ihr Gegenüber an.

„Ja. Ja, danke. In der Tat. Ich bin auf der Suche nach einem Mr. Sullivan.“ Erwartungsvoll lächelte sie und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das ihr direkt in die Augen schien.

Der Cowboy hatte mehr Glück. Er stand mit dem Rücken zur Sonne und konnte die Frau vor sich ohne Probleme einer genauen Musterung unterziehen. Schlecht sah sie ja nicht aus, auch wenn sie keine Schönheit war. Allerdings entschädigte dieses entwaffnende Lächeln allemal für das etwas zu spitz geratene Kinn und die hohe Stirn.

„Ich würde sagen, Sie haben ihn gefunden“, antwortete der Cowboy mit einem verschmitzten Lächeln. Für einen kleinen Augenblick klaffte Miss O'Brians Mund ganz undamenhaft offen. Das war tatsächlich ihr zukünftiger Mann?

 

Doch schnell besann sie sich eines Besseren und schloss den Mund wieder. Allerdings kam sie gar nicht zu Wort. Inzwischen hatte sich der junge Mann, der sie vorhin so überaus interessiert betrachtet hatte, sich zu ihnen gesellt.

„Nun, zumindest einen Mr. Sullivan“, fiel er in das Gespräch ein. Was ihm einen ärgerlichen Blick von dem Zureiter bescherte. Der ihn allerdings nicht im Mindesten zu berühren schien. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Cowboy, der ihn gut und gerne um einen halben Kopf überragte.

„Das hier ist zum Beispiel Mr. Lukas Sullivan und ich bin Mr. Charles Sullivan“, stellte der Störenfried sich mit einem breiten Grinsen vor.

Bei dieser Eröffnung verlor Steffiney O'Brian den bescheidenen Rest ihrer mühsam aufrechterhaltenen Contenance. Entgeistert und mit Entsetzen blickte sie zu dem Jungspund.

Das war Charles Sullivan? Der Junge konnte kaum älter als 17 sein! Was hatte sie sich da nur eingebrockt?

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.

„Sie haben es gehört, Lady. Was können wir also für Sie tun?“ Mr. Lukas Sullivan schien nicht besonders begeistert über die Einmischung von Charles. Es dauerte einige peinliche Augenblicke, bis Steffiney ihre Sprache wiederfand.

Sie sind Mr. Charles Sullivan? Sind Sie sich da ganz sicher?“ Offensichtlich verwirrt fuhr sich Miss O'Brian mit der Hand über die Stirn, konnte ihren verblüfften Blick aber nicht von dem Jungen vor sich losreißen. Wie war Mr. Smith nur so ein Fehler unterlaufen? Dieses Kind konnte doch unmöglich Witwer sein, geschweige denn vier Kinder haben!

Charles Sullivan grinste breit und lüpfte kurz seinen Hut. „Ja Ma'am, ganz sicher. Schon seit meiner Geburt vor 18 Jahren!“

Entgeistert ließ Steffiney ihren Blick zurück zu dem großen Ranchhaus, den Wirtschaftsgebäuden, Weiden und Arbeitern gleiten. Es war ihr anzusehen, dass sie glaubte, den Verstand verloren zu haben, während sie versuchte das Alter des jungen Mannes mit diesem immensen Besitz übereinzubringen.

Charles schien sich köstlich zu amüsieren, doch Luke Sullivan zeigte sich nicht im Geringsten erfreut über dieses undurchsichtige Schauspiel. Und er schien auch schon den Schuldigen gefunden zu haben.

„Was hast du jetzt wieder angestellt, Charlie?“, fuhr er den Jüngeren scharf an. Doch der hob gleich abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, es herauszufinden.“

Für einen 18-jährigen hatte er ein viel zu anzügliches Lächeln, musste Miss O'Brian feststellen.

„Einen Teufel wirst du tun, du Grünschnabel! Geh und such Dad, ich warte mit der Lady im Haus!“ Als Luke Sullivan ihrem zukünftigen Mann dermaßen in die Parade fuhr, erschloss sich Steffiney zumindest deren Verwandtschaftsgrad. Die beiden waren Brüder! Das erklärte schon mal, warum es gleich zwei Mr. Sullivans gab.

Während Luke bereits in Richtung des Hauses losstiefelte, ging Steffiney endlich ein Licht auf. Sie musste laufen, um den Mann vor ihr wieder einzuholen. Aber auch wenn er nicht gerade freundlich war, er war immerhin doch höflich genug seinen Schritt dem ihren anzupassen, als er merkte, dass sie mit seinem Tempo nicht mithalten konnte.

„Entschuldigen Sie, aber Ihr Vater, heißt er auch Charles Sullivan?“ Ihr Blick hatte etwas Flehentliches, als sie zu dem schwarzhaarigen Cowboy aufschaute.

„Ja, Charles Sullivan Sr. Und vielleicht wollen Sie mir jetzt auch Ihren Namen verraten, nachdem Sie nun schon so viel über meine Familie wissen?“

Ein strahlendes Lächeln breitete sich wieder auf Steffineys Gesicht aus.

„Steffiney O'Brian, aber Gott sei Dank!“ Dieser Ausbruch kam dermaßen aus tiefstem Herzen, dass es sogar Luke Sullivan ein Lächeln abnötigte. Zwar ein Spöttisches, aber immerhin. Miss O'Brian dagegen war so erleichtert, dass ihr der Spott ihres Begleiters glatt entging. „Ich dachte schon, dass der Junge die Heirats…“

Doch der Satz blieb ihr im Halse stecken. Inzwischen hatten die beiden das Haus erreicht und Luke Sullivan führte sie in einen rustikalen, aber gemütlichen Salon. Ohne auf seine Aufforderung zu warten, ließ sie sich in einen Polstersessel fallen.

Ihr war soeben klar geworden, dass Mr. Charles Sullivan Sr., Vater von Luke Sullivan, der wohl um die 30 war, wenigstens doppelt so alt wie sie selbst sein müsste. Und das zumindest einer ihrer vier zukünftigen Stiefsöhne älter war als sie! So hatte sie sich ihr Familienleben nicht vorgestellt!

„Miss O'Brian, hätten Sie die Güte mir zu erklären, was Sie hier wollen und wieso eben das Wort Heirat fiel?“ Luke Sullivan gehörte ganz offensichtlich nicht zu den geduldigsten Menschen auf der Welt. Doch Miss O'Brian blieb eine Antwort vorerst erspart, denn die Tür öffnete sich und herein kam ein stattlicher älterer Herr mit silberweißem Haar und sonnengegerbter Haut. Er war alles andere als gebrechlich, schlecht sah er auch nicht aus, aber er musste auf die 60 zugehen.

Wieso nur hatte ihr Mr. Smith von der Agentur nichts davon gesagt? Mr. Sullivan Sr. rechnete wohl ebenso wenig mit einer dermaßen jungen Braut, wie sie auf einen zukünftigen Ehemann spekuliert hatte, der ihr Vater sein könnte.

Hinter dem Familienoberhaupt der Sullivans hatte sich auch Charlie in den Salon geschoben und an den Kamin gelehnt, der ihn jetzt halb verdeckte. Anscheinend in der Hoffnung nicht bemerkt zu werden und so in den Genuss des ganzen Schauspiels zu kommen, das dieser Nachmittag versprach.

„Dad, dies hier ist Miss Steffiney O'Brian und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was sie von uns will“, übernahm Luke die Vorstellung. „Es sei denn, Charlie hat wieder irgendetwas ausgefressen“, schob er mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen Richtung Kamin hinterher. Es war ihm ganz offensichtlich nicht entgangen, dass sein jüngerer Bruder Zaungast spielte.

„Sehr erfreut Sie kennenzulernen, Miss O'Brian. Ich bin Charles Sullivan. Was kann ich für Sie tun?“, fragte der ältere Herr entgegenkommend.

Erleichtert über die freundliche Art, mit der ihr zukünftiger Mann ihr begegnete, hatte Steffiney Mr. Sullivans Hand ergriffen. Er schien das ganze Gegenteil seines ruppigen älteren Sohnes zu sein. Doch beim letzten Satz entglitt ihr das angedeutete Lächeln wieder. Offensichtlich war Charles Sullivan nicht über den Erfolg seiner Heiratsannonce informiert. Was zumindest erklärte, warum sie gestern im wahrsten Sinne des Wortes wie bestellt und nicht abgeholt in Green Hollow gestanden hatte.

„Oh…oh…. Aber der Brief… Ist der Brief denn nicht bei Ihnen angekommen?“ Es schien alles schief zu gehen, was nur schief gehen konnte auf dieser Reise in den Westen. Doch dann kam ihr eine einleuchtende Idee. Mr. Smiths Schreiben war sicherlich nicht das Einzige, der hier im Westen verloren ging.

„Ich nehme an, dass die Nachricht von Mr. Smith nicht angekommen ist. Das erklärt natürlich alles! Mr. Smith von der Heiratsagentur in Boston schickt mich auf Ihre Annonce hin, Mr. Sullivan“, erklärte Steffiney mit einem Lächeln. Nachdem alle Unklarheiten nun eindeutig beseitigt waren, hatte Miss O'Brian ihre übliche Ruhe und freundliche Gelassenheit wiedergefunden. Doch wenn es nicht Luke Sullivans wütender Blick gewesen wäre, der ihr sagte, dass sie auch jetzt noch meilenweit von Klarheit in dieser Angelegenheit entfernt waren, dann hätte dies Mr. Sullivans nächster Satz getan.

„Miss O'Brian, es tut mir aufrichtig leid, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich habe nirgendwo eine Heiratsannonce aufgegeben.“

Warum sind Sie für heute nicht mein Gast?

Allenfalls ein Badezuber mit eiskaltem Wasser, der sich über sie ergoss, hätte auf Steffiney eine ähnliche Wirkung haben können. Sie hatte all ihre Hoffnungen auf Charles Sullivan und die Black Creek Ranch gesetzt. Und nicht nur das. Sie hatte auch all ihr Geld, ihre letzten Ersparnisse, in diese Reise investiert. Und jetzt schien Mr. Sullivan nichts von der ganzen Sache wissen zu wollen.

Aber das war doch nicht möglich! Mr. Smith hatte ihr doch alle Einzelheiten genannt. Ganz offensichtlich sogar die richtige Adresse, ganz zu schweigen von den Informationen über die Familie. Auch wenn sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

Hilfesuchend blickte sie erst zu Mr. Sullivan, dann zu dessen älteren Sohn. Doch während Ersterer ihr noch ein gewisses Mitgefühl entgegenbrachte, hatte der Zweite sich anscheinend schon einen Reim auf ihre Geschichte gemacht. Und keinen besonders schmeichelhaften.

Bis eben hatte Luke Sullivan auf der Kante des Pinienholz-Schreibtisches gesessen, der in einer Ecke des Salons stand. Doch jetzt erhob er sich und kam auf Miss O'Brian zu. Aus ihrer sitzenden Perspektive erschien er ihr noch bedrohlicher als zuvor.

„Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Miss: Verschwinden Sie. Ihr kleines Spielchen ist nur allzu durchsichtig, aber damit verschwenden Sie bei uns ihre Zeit!“ War Luke Sullivan anfangs nur etwas unfreundlich erschienen, so hatte seine Stimme jetzt eindeutig einen drohenden Unterton.

„Bitte, ich verstehe nicht… Was meinen Sie mit Spielchen? Ich habe all mein Geld in diese Reise investiert, weil mir Mr. Smith…“ Miss O'Brian war inzwischen den Tränen nahe, doch selbst diese Tatsache konnte Luke Sullivan nicht milder stimmen. Ganz im Gegenteil, es schien seine Wut nur noch zu befeuern.

„Jetzt tun Sie doch nicht so scheinheilig! Sie werden irgendwo gehört haben, dass mein Vater eine Menge Land besitzt und ein gutmütiger Mann ist. Und da haben Sie sich gedacht, Sie probieren hier mal ihr Glück. Wollen Sie nur ihre Reisekasse ein bisschen aufbessern oder haben Sie tatsächlich geglaubt, dass Sie ihm ein derart schlechtes Gewissen machen können, dass er sie heiratet? Es ist doch offensichtlich, dass Sie sich diese ganze Geschichte nur aus den Fingern saugen, Sie kleine Betrügerin!“ Der grollende Unterton in der Stimme des schwarzhaarigen Cowboys sprach Bände.

Doch das Wort Betrügerin hatte auf Miss O'Brian einen seltsamen Effekt. Ihre Augen, die bis eben noch in Tränen geschwommen waren, bekamen mit einem Mal ein streitlustiges Funkeln. Auf ihrer Stirn bildete sich eine steile Zornesfalte und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Als hätte sie auf der Sitzfläche ihres Sessels einen Skorpion gefunden, sprang die zierliche Frau auf und baute sich mit in die Seiten gestemmten Armen vor Luke Sullivan auf. Die imposante Pose verlor etwas dadurch, dass sie wieder den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu schauen. Aber bei ihrem stahlharten Blick blieb sogar Charlie das Lachen im Halse stecken.

„Ich habe nicht mein ganzes Geld in eine Reise von Boston nach Green Hollow, Colorado gesteckt, um mich hier von irgendeinem hinterwäldlerischen Ochsentreiber als Betrügerin beschimpfen zu lassen!“, fauchte sie. „Ich kann beweisen, dass ich von einem seriösen Institut hierher geschickt wurde und keine unlauteren Absichten verfolge.“

Miss O'Brian holte aus ihrem Retikül einige zusammengefaltete Papiere, doch ihre zitternden Hände zeugten nur zu gut davon, dass sie ihr Pulver mit diesem Angriff eigentlich schon verschossen hatte. Ohne ihren Blick von Luke Sullivan abzuwenden, streckte sie Mr. Sullivan Sr. das Schreiben entgegen.

Luke dagegen erdreistete sich tatsächlich, mit verschränkten Armen noch einen weiteren Schritt auf sie zuzutreten. Kaum ein Fingerbreit trennte die beiden Kontrahenten noch voneinander. Miss O'Brian war die mangelnde Distanz zwischen ihr und einem fremden Mann sichtlich unangenehm. Doch mit hochrotem Gesicht hielt sie ihren Posten und wich nicht einen Schritt zurück, als Luke knurrte: „Was wollen Sie mit diesen wahrscheinlich selbst hingeschmierten Wischen schon beweisen? Dass Sie, wie die meisten Ihrer Sorte, nicht mal die Regeln der Rechtschreibung beherrschen?“

Doch noch bevor Miss O'Brian endgültig die Beherrschung verlieren konnte, schaltete sich Mr. Sullivan ein.

„Luke, ich verbitte mir diese Frechheiten unserem Gast gegenüber!“ Seine feste Stimme und der Tonfall ließen erahnen, dass er absoluten Gehorsam erwartete und Luke wich schweigend zwei Schritte zurück. Ganz offensichtlich aber nur widerwillig. Anscheinend hätte er noch einiges mehr zu Miss O'Brian zu sagen gehabt.

 

Mr. Sullivan indes faltete die Unterlagen wieder zusammen und reichte sie an Steffiney zurück. „Nun Miss O'Brian, diese Dokumente scheinen in der Tat echt zu sein und Sie sehen mir auch nicht wie eine Heiratsschwindlerin aus. Hätten Sie wirklich vor, sich mein Wohlwollen zu erschleichen, würden Sie meinen ältesten Sohn wohl kaum mit dem Titel eines hinterwäldlerischen Ochsentreibers bedacht haben.“

Das Zwinkern in den Augen des älteren Herrn war das einzige Zeichen dafür, dass er Steffiney diese Beleidigung seines Erstgeborenen nicht übel nahm. Ganz im Gegenteil anscheinend.

„Trotzdem kann ich mir nicht erklären, was passiert ist. Ich habe weder in Boston noch sonstwo eine Annonce aufgegeben. Ich habe mich seit dem Tod meiner Frau vor acht Jahren nie mit Heiratsgedanken getragen und tue es auch jetzt nicht. Es tut mir wirklich leid, dass Sie die weite Reise von der Ostküste hierher auf sich genommen haben, aber ich fürchte, Sie enttäuschen zu müssen.“

Mit einem Mal schien jegliche Kampflust von Steffiney O'Brian abzufallen. Mit einer Hand vor den Augen ließ sie sich wieder auf ihren Sessel sinken.

Wenn Charles Sullivan nicht den geringsten Wunsch verspürte sie zu heiraten, dann hatte sie ihre gesamte Existenz dafür geopfert, mutterseelenallein in einer fremden Stadt im Westen zu stranden. Sie hatte nicht einmal mehr genug Geld in der Tasche, um sich eine weitere Nacht im Green Hotel leisten zu können.

Es dauerte einige Augenblicke, bis Steffiney ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, doch dann erhob sie sich und streckte Mr. Sullivan die Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Mr. Sullivan. Mr. Smith muss anscheinend ein schwerwiegender Fehler unterlaufen sein. Ich fürchte…“ Steffiney war sich selbst nicht ganz sicher, ob sie erst die aufsteigenden Tränen oder ihren Stolz herunterschlucken musste, bevor sie weitersprechen konnte. „Ich fürchte, ich muss Sie bemühen, mich in die Stadt zurückzubringen. Der Kutscher aus dem Mietstall hat sich vorhin sofort auf den Weg zurück gemacht.“

Mr. Sullivan ergriff ihre Hand bereitwillig, ließ sie allerdings nicht nach einem kurzen Händedruck los. „Einer meiner Söhne wird Sie natürlich mit Vergnügen in die Stadt zurückbringen.“

Charlie, der sich anscheinend freiwillig für diese Aufgabe zur Verfügung stellen wollte, wurde durch einen scharfen Blick seines Vaters Einhalt geboten. Dieser schien mit seiner Verabschiedung noch nicht am Ende zu sein.

„Miss O'Brian, ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber sagten Sie nicht soeben, dass Ihre gesamten Ersparnisse in die Reise hierher geflossen sind?“ Er versuchte den gesenkten Blick der jungen Frau mit dem seinen einzufangen, doch er hatte keinen Erfolg. Die gewachsten Holzdielen erschienen seinem Gast anscheinend um einiges interessanter. Lediglich ihre glühenden Ohren zeugten davon, dass Mr. Sullivan mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte.

„Warum sind Sie heute nicht mein Gast und Charlie kann morgen in die Stadt fahren und nach Boston telegrafieren, um das Missverständnis aufzuklären. Ich bin sicher, die Agentur erstattet Ihnen Ihre Auslagen zurück. Der Fehler lag ja ganz eindeutig nicht auf Ihrer Seite.“

Bei dem Angebot die Nacht auf der Black Creek Ranch zu verbringen, war Miss O'Brians Kopf augenblicklich in die Höhe geschossen. Auf ihrem Gesicht machte sich Erleichterung breit. Doch nach einem kurzen Seitenblick auf Luke, der die ganze Szene mit offenem Missfallen beobachtete, schüttelte sie den Kopf.

„Das ist wirklich sehr freundlich, Mr. Sullivan, doch Sie sind mir nichts schuldig. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ihre Gutmütigkeit auszunutzen.“ An dieser Stelle warf sie Luke einen scharfen Blick zu. „Darüber hinaus bin ich hier ganz offensichtlich nicht erwünscht.“

Charles Sullivan Sr. war ein durch und durch gutmütiger Mensch, doch jetzt hielt er es für angeraten, andere Töne anzuschlagen. Strenge und Autorität klangen im nächsten Satz deutlich durch.

„Miss O'Brian, dieses Haus gehört immer noch mir. Folglich entscheide ich, wer hier erwünscht ist und wer nicht. Im Übrigen wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als die Nacht hier zu verbringen. Wenn ich es mir recht überlege, kann ich heute unmöglich einen meiner Männer entbehren, um Sie in die Stadt zurückzufahren. Das wird frühestens morgen der Fall sein.“ Das vergnügte Zwinkern in seinen Augen nahm dieser Rede allerdings jegliche Schärfe. „Und Sie würden mir im Übrigen einen Gefallen tun. Wir haben hier viel zu selten Damenbesuch. Für Charlie wird es nur von Vorteil sein, sich in den richtigen Umgangsformen Ihnen gegenüber zu üben.“ Es war offensichtlich, dass Mr. Sullivan Letzteres nur hinzufügte, um seine Einladung weniger wie ein Almosen aussehen zu lassen.

Steffiney rang noch einige Momente mit sich, bevor sie schließlich langsam nickte. Was blieb ihr auch anderes übrig? Was hätte sie in der Stadt tun sollen? Auf der Straße übernachten und die letzten Pennys für ein Telegramm ausgeben, das vielleicht nicht einmal Erfolg haben würde?

„Ich danke Ihnen vielmals“, flüsterte sie, während Luke Sullivan mit energischen Schritten und düsterem Blick den Salon verließ.