Das Tagebuch der Anne Frank

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Aber Dussel wurde sofort mit Fragen überhäuft, und die Geschichten, die er erzählte, waren so grauenhaft und barbarisch, dass man es nicht zum einem Ohr hinein und zum anderen wieder herauslassen konnte. Trotzdem werden wir, wenn die Berichte erst mal gesackt sind, wohl wieder Witze machen und uns necken. Es hilft uns nicht, und denen da draußen auch nicht, wenn wir so niedergeschlagen bleiben, wie wir es im Moment sind, und was hat es für einen Sinn, aus dem Hinterhaus ein melancholisches Düsterhaus zu machen?

Bei allem, was ich tue, muss ich an diejenigen denken, die weg sind. Und wenn ich über eine Sache lachen muss, höre ich erschrocken wieder auf und denke mir, dass es eine Schande ist, so fröhlich zu sein. Aber soll ich denn den ganzen Tag weinen? Nein, das kann ich nicht, und sie wird wohl auch wieder vorbeigehen, diese Bedrücktheit.

Zu all diesem Traurigen kommt noch etwas Persönliches, das neben dem eben erzählten Elend ins Unbedeutende verschwindet. Trotzdem muss ich dir erzählen, dass ich mich in der letzten Zeit immer einsamer fühle. Um mich herum ist eine große Leere. Früher dachte ich nie darüber nach, Vergnügungen und Freundinnen füllten mein Denken aus. Nun grüble ich oft über unglückliche Dinge oder über mich selbst. Und schließlich bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass Vater, wie lieb er auch sei, mir doch nicht meine frühere Welt ersetzen kann. Mutter und Margot zählen in meinen Gefühlen schon lang nicht mehr mit.

Aber warum falle ich dir mit solchen Kinkerlitzchen zur Last? Ich bin so schrecklich undankbar, Kitty, ich weiß es ja. Aber mir wird oft schwindlig, wenn ich selbst zu viel verkraften, und dann noch an all das andere Schlimme denken muss!

Deine Anne

Samstag, 28. November 1942

Liebe Kitty!

Wir haben zu viel Strom verbraucht und unsere Elektrizitätsration überschritten. Die Folge: Nun übertriebene Sparsamkeit und eine drohende Abschaltung. Vierzehn Tage kein Licht, nett, gell? Aber wer weiß, vielleicht geht es ja gut! Ab vier oder halb fünf Uhr ist es zu dunkel, um zu lesen. Wir schlagen die Zeit mit allerlei verrückten Sachen tot. Rätsel aufgeben, Gymnastik im Dunkeln machen, Englisch oder Französisch sprechen, Bücher rezensieren – all das langweilt auf Dauer. Gestern Abend habe ich etwas Neues entdeckt, und zwar: Mit einem scharfen Fernglas in die hellen Zimmer der hinteren Nachbarn zu spähen. Tagsüber dürfen die Vorhänge niemals einen einzigen Zentimeter zur Seite geschoben werden, aber wenn es dunkel ist, macht das nichts.

Mir war früher nicht klar, dass Nachbarn so interessante Menschen sein können, jedenfalls unsere. Einige habe ich beim Essen angetroffen, bei einer Familie wurde ein Film angeschaut, und der Zahnarzt gegenüber hatte eine ältere, ängstliche Dame in Behandlung.

Herr Dussel, der Mann, von dem immer behauptet wurde, dass er hervorragend mit Kindern umgehen könne und auch gern selbst welche hätte, entpuppt sich als der altmodischste Erzieher und Absonderer ellenlanger Verhaltenspredigten. Da ich das seltene Glück (!) habe, mit dem höchstedelwohlerzogenen Herrn mein leider sehr enges Zimmer zu teilen, und weil ich nach allgemeiner Auffassung die Ungezogenste der drei Jugendlichen bin, habe ich einiges zu tun, um die wiedergekauten Standpauken und Belehrungen abprallen zu lassen und meine Ohren davon freizuhalten. Das alles wäre noch verkraftbar, wenn der Herr nicht überdies ein großer Petzer wäre und sich ausgerechnet Mutter als Beschwerdestelle ausgesucht hätte. Wenn ich von ihm gerade das Gebläse von vorn abbekommen habe, setzt Mutter noch eins drauf, und ich kriege den Sturm von hinten, und wenn ich dann noch besonders großes Glück habe, stellt Frau van Daan mich fünf Minuten später zur Rede, und der Wind bläst von oben!

Wirklich, denk ja nicht, dass es einfach ist, der unerzogene Mittelpunkt einer untergetauchten Familie zu sein, wo sich jeder ständig in alles einmischt. Abends im Bett, wenn ich über meine vielen Sünden und herbei phantasierten Mängel nachdenke, komme ich durch die große Zahl der überlegenswerten Vorwürfe und Beschuldigungen so durcheinander, dass ich entweder lachen oder weinen muss, je nach meiner inneren Verfassung. Und dann schlafe ich mit dem verrückten Gefühl ein, anders sein zu wollen als ich bin, oder anders zu sein als zu wollen, oder mich vielleicht auch anders zu geben, als ich bin oder sein wollte.

Lieber Himmel, jetzt bringe ich dich auch noch durcheinander. Verzeih mir, aber durchstreichen mag ich das nicht, und Papier wegwerfen ist in Zeiten großer Papierknappheit verpönt. Also rate ich dir, den vorhergehenden Satz nicht noch einmal durchzulesen und dich vor allem nicht hineinzuvertiefen, denn du kommst da nicht wieder raus!

Deine Anne

Montag, 7. Dezember 1942

Liebe Kitty!

Chanukka [Jüdische Feiertag, sich über eine Woche ersteckend, von Ende November bis Anfang Dezember; red.] und Nikolaus fielen dieses Jahr fast zusammen, bloß um einen Tag verschoben. Für Chanukka haben wir nicht viele Umstände gemacht, ein paar hübsche Kleinigkeiten ausgetauscht und dann die Kerzen. Da viel zu wenige Kerzen da sind, wurden sie nur zehn Minuten lang angezündet, aber solange das Lied nicht fehlt, ist das auch ganz gut. Herr van Daan hat einen Leuchter aus Holz gebaut, sodass das auch geregelt ist.

Der Nikolaus-Abend samstags war viel schöner. Bep und Miep hatten schon die ganze Zeit ständig mit Vater geflüstert, und uns damit sehr neugierig gemacht, sodass wir schon irgendwelche Vorbereitungen vermuteten. Und wirklich, um acht Uhr gingen wir alle die Treppe hinab, durch den stockdunklen Flur (mir schauderte, und ich wünschte mir, schon wieder heil und sicher oben zu sein!) zu dem Durchgangszimmer. Dort konnten wir Licht anmachen, weil dieser Raum kein Fenster hat. Vater machte den großen Schrank auf.

»Oh, wie hübsch!«, riefen wir alle.

In der Ecke stand ein großer Korb, mit Weihnachtspapier geschmückt, und darauf war eine Maske vom Schwarzen Piet befestigt. [Der ›Zwarte Piet‹ – auf deutsch: ›Schwarzer Peter‹, ist dort der Helfer des Heiligen Nikolaus, red.]

Schnell nahmen wir den Korb mit nach oben. Es war für jeden ein schönes Geschenk mit einem passenden Vers drin. Weihnachtsverse kennst du wohl, darum werde ich sie dir auch nicht aufschreiben.

Ich bekam eine aus Brotteig geformte Puppe, Vater Buchstützen und so weiter. Es war jedenfalls alles schön ausgedacht, und da wir alle acht noch nie in unserem Leben Nikolaus gefeiert haben, war die Premiere gut gelungen.

Deine Anne

P. S.: Für unsere Freunde unten hatten wir natürlich auch etwas, alles noch aus den guten alten Zeiten, und für Miep und Bep ist Geld außerdem immer passend.

Heute haben wir gehört, dass Herr Voskuijl den Aschenbecher für Herrn van Daan, den Bilderrahmen für Dussel und die Buchstützen für Vater selbst gemacht hat. Wie jemand so kunstvolle Sachen mit der Hand machen kann, ist mir ein Rätsel!

Donnerstag, 10. Dezember 1942

Liebe Kitty!

Herr van Daan kommt aus dem Wurst- und Gewürzhandel. In der Firma war er wegen seiner Gewürzkenntnisse eingestellt worden, aber nun zeigt er sich von der wurstigen Seite, was uns keineswegs unangenehm ist.

Wir hatten viel Fleisch bestellt (illegal natürlich!) und wollten es haltbar machen, für den Fall, dass wir noch weitere schwere Zeiten durchmachen müssten. Er wollte Bratwurst, Geldersche Wurst und Mettwurst machen. Es war ein interessanter Anblick, wie er erst die Fleischstücke durch den Wolf drehte, zwei- oder dreimal, dann alle Zutaten in die Fleischmasse tat und diese schließlich mit Hilfe einer Tülle in Därme füllte. Die Bratwurst aßen wir mittags sofort, mit Sauerkraut dazu, aber die Geldersche Wurst, die zum Aufheben bestimmt war, musste erst gut trocknen, und dafür wurde sie an eine Stange gehängt, die mit zwei Schnüren an der Decke befestigt war. Jeder, der in das Zimmer kam und die baumelnden Würste sah, fing an zu lachen. Es war wirklich ein ulkiger Anblick.

Im Zimmer herrschte ein heilloses Durcheinander. Herr van Daan hatte seiner Frau eine Schürze umgebunden und war mit mächtigem Körpereinsatz (er sah dabei viel dicker aus, als er ist) mit dem Fleisch beschäftigt. Mit seinen blutigen Händen, dem roten Kopf und der bespritzten Schürze sah er aus wie ein richtiger Metzger. Frau van Daan tat alles gleichzeitig: Holländisch aus einem Buch lernen, die Suppe rühren, nach dem Fleisch schauen und über ihre gebrochene obere Rippe seufzen und klagen. Das ist die Folge davon, wenn ältere (!) Damen solche höchst idiotischen Gymnastikübungen vollführen, um ihren dicken Hintern wieder loszuwerden!

Dussel hat ein entzündetes Auge und betupfte es am Herd mit Kamillentee. Pim saß auf einem Stuhl in dem Sonnenstrahl, der durch das Fenster schien, und wurde mal hier, mal dort zur Seite geschoben. Dabei hatte er sicher wieder Rheumaschmerzen, denn er saß ziemlich krumm und mit gequältem Gesicht da und schaute Herrn van Daan auf die Finger. Er sah aus wie ein alter Invalide aus einem Diakonissenheim.

Peter tobte mit der Katze Mouschi im Zimmer herum, Mutter, Margot und ich waren mit Kartoffelschälen beschäftigt. Aber am Ende arbeiteten wir alle nicht besonders konzentriert, weil wir van Daan zuschauten.

Dussel hat seine Zahnarztpraxis eröffnet. Ich werde dir zum Spaß berichten, wie die erste Behandlung abgelaufen ist: Mutter bügelte, und Frau van Daan, die Erste, die dran glauben musste, setzte sich mitten im Zimmer auf einen Stuhl. Dussel fing wichtigtuerisch an, seine Instrumente auszupacken, ließ sich Eau de Cologne als Desinfektionsmittel und Vaseline als Wachsersatz bringen. Dann schaute er Frau van Daan in den Mund, berührte einen Schneidezahn und einen Backenzahn, wobei Frau van Daan sich jedes Mal krümmte, als ob sie vor Schmerzen kollabierte, und unzusammenhängende Töne ausstieß. Nach einer langen Untersuchung (nach Frau van Daans Gefühl jedenfalls, denn es dauerte nicht länger als zwei Minuten) wollte Dussel anfangen, ein Loch zu eröffnen. Aber daran war nicht zu denken! Frau van Daan schlug wild mit Armen und Beinen um sich, sodass Dussel irgendwann das spitze Instrument losließ und ... da blieb es in Frau van Daans Zahn stecken. Da war erst recht der Teufel los! Frau van Daan schlug um sich, weinte (soweit das möglich ist, mit so einem Gerät im Mund), versuchte den Schaber aus dem Mund zu bekommen und stieß ihn dabei noch tiefer hinein. Herr Dussel betrachtete das Schauspiel völlig unbeteiligt, die Hände in die Seiten gestemmt. Der Rest der Zuschauer lachte unbändig. Das war natürlich gemein, denn ich bin sicher, dass ich noch viel lauter geschrien hätte. Nach vielem Krümmen, Treten, Brüllen und Schreien hatte Frau van Daan das Ding endlich heraus, und Herr Dussel fuhr mit seiner Arbeit fort, als wäre nichts passiert. Er tat das so flott, dass Frau van Daan keine Zeit hatte, noch einmal los zu toben. Aber er hatte auch so viel Hilfe wie noch nie in seinem Leben. Herr van Daan und ich assistierten gut. Das Ganze sah aus wie auf einem mittelalterlichen Bild mit dem Titel »Quacksalber bei der Arbeit«. Die Patientin hatte jedoch nicht so viel Geduld, sie musste das Kochen »ihrer« Suppe und »ihres« Essens überwachen!

 

Eines ist sicher, Frau van Daan lässt sich so schnell nicht mehr behandeln! Deine Anne

Sonntag, 13. Dezember 1942

Liebe Kitty!

Ich habe es mir im vorderen Büro bequem gemacht und schaue durch einen Spalt zwischen den schweren Vorhängen hinaus. Es ist dämmrig hier, aber noch hell genug, um dir zu schreiben.

Es ist ein eigentümlicher Anblick, wenn ich mir die Leute draußen ansehe. Es sieht aus, als hätten sie es alle schrecklich eilig und stolpern dabei fast über ihre eigenen Füße. Die Radfahrer – schneller als man schauen kann! Ich kann nicht mal sehen, was für ein Individuum auf dem Gefährt sitzt. Die Menschen in dieser Nachbarschaft sehen nicht gerade adrett aus, und vor allem die Kinder starren vor Schmutz, sodass man sie nicht mal mit der Zange anfassen möchte, richtige Gossenkinder und Rotznasen, und ihren Dialekt kann ich kaum verstehen.

Gestern Nachmittag haben Margot und ich hier gebadet, und da sagte ich: »Wenn wir mal die Kinder, die hier vorbeikommen, eins nach dem anderen mit einer Angel heraufholen würden, sie ins Bad stopfen, ihre Wäsche waschen und flicken und sie dann wieder laufen ließen, dann . . . «

» ... würden sie morgen wieder genauso schmutzig und zerrissen herumlaufen wie vorher«, sagte Margot.

Aber was rede ich für Zeugs, es gibt noch andere Dinge zu sehen, Autos, Schiffe und den Regen. Ich höre die Straßenbahn und die Kinder und amüsiere mich.

Unsere Gedanken drehen sich genauso monoton wie wir selbst im Kreise. Wie bei einem Karussell dreht sich alles von den Juden zum Essen, vom Essen zur Politik. Apropos Juden, gestern habe ich, als wäre es ein Weltwunder, durch den Vorhang zwei Juden gesehen. Es war ein seltsames Gefühl, als hätte ich diese Menschen im Stich gelassen und würde nun heimlich ihr Unglück betrachten.

Direkt gegenüber liegt ein Hausboot, auf dem ein Schiffer mit Frau und Kindern wohnt. Der Mann hat einen kleinen Kläffer, den wir nur vom Bellen kennen und von seinem Schwanz, den man sieht, wenn er hinter der Reling entlangläuft.

Uahh, jetzt hat es angefangen zu regnen, und die meisten Leute suchen Schutz unter ihren Schirmen. Ich sehe nur noch Regenmäntel und ab und zu einen bedeckten Hinterkopf. Eigentlich ist es auch nicht nötig, mehr zu sehen, denn so langsam erkenne ich die Frauen auch so, aufgedunsen von zu vielen Kartoffeln, mit rotem oder grünem Mantel und abgelatschten Absätzen, einer Henkeltasche am Arm und – je nach der Laune ihres Ehemanns – mit einem griesgrämigen oder freundlichen Gesicht.

Deine Anne

Dienstag, 22. Dezember 1942

Liebe Kitty!

Das Hinterhaus hat mit Freude vernommen, dass jeder zu Weihnachten ein viertel Pfund Butter extra bekommen soll. In der Zeitung steht zwar ein halbes Pfund, aber das gilt nur für die glücklichen Zeitgenossen, die ihre Lebensmittelkarten vom Staat erhalten, nicht für untergetauchte Juden, die, weil der Preis so hoch ist, nur vier statt acht Karten illegal besorgen können. Der Wunsch aller ist es, mit dieser Butter etwas zu backen. Ich habe heute Morgen Plätzchen und zwei Torten gemacht. Oben ist viel Arbeit zu tun, und Mutter hat verboten, dass ich lerne oder lese, ehe nicht die ganze Hausarbeit erledigt ist.

Frau van Daan liegt mit ihrer gequetschten Rippe im Bett, jammert den ganzen Tag, lässt sich ständig neue Verbände anlegen und ist mit nichts zufrieden. Ich werde erleichtert sein, wenn sie wieder auf den Füßen ist und sich selbst um ihren Kram kümmert. Denn das muss ich ihr schon zugute halten, sie ist außergewöhnlich fleißig und ordentlich, und solange sie sich körperlich und geistig in einem guten Zustand befindet, auch fröhlich.

Nachdem ich tagsüber schon genug »pst, pst« zu hören bekomme, weil ich immer zu viel Lärm mache, ist mein Herr Zimmergenosse nun auf die Idee gekommen, mir auch nachts immer wieder »pst, pst« zuzurufen. Ich dürfte mich, wenn es nach ihm ginge, noch nicht mal zur anderen Seite drehen. Ich denke nicht daran, sein »Pst« zu beachten, und nächsten Mal rufe ich es einfach zurück.

Er wird von Tag zu Tag unangenehmer und egoistischer. Von den großspurig versprochenen Plätzchen habe ich kein Stück mehr gesehen, nachdem eine Woche vergangen war. Vor allem sonntags bringt er mich auf die Palme, wenn er so früh das Licht anmacht und mit seinen zehn Minuten Gymnastik anfängt. Mir armen Geplagten kommt es wie Stunden vor, denn die Stühle, mit denen mein Bett verlängert ist, schieben sich ständig unter meinem schläfrigen Kopf hin und her. Nachdem er mit ein paar hektischen Armschwüngen seine Gelenkigkeitsübungen beendet hat, beginnt der Herr mit seiner Morgentoilette und Anzieh-Routine. Die Unterhose hängt am Haken, also erst dorthin, dann wieder zurück. Die Krawatte liegt auf dem Tisch, also wieder schiebend und stoßend an meinen Stühlen vorbei und auf die gleiche Art zurück.

Aber ich will dich nicht mit Gejammer über alte, nervtötende Herren aufhalten, davon wird es auch nicht besser. Und alle meine Rachepläne (Glühbirnen rausschrauben, Tür verriegeln, Kleider verstecken) muss ich um des lieben Friedens willen leider fallen lassen.

Ach, ich werde ja so vernünftig! Alles muss hier mit Vernunft geschehen, lernen, zuhören, Mund halten, helfen, nett sein, nachgeben und was weiß ich noch alles! Ich habe Angst, dass ich meinen Vorrat an Vernunft, und der ist ohnehin nicht besonders groß, viel zu schnell verpulvere und für die Nachkriegszeit nichts mehr übrig bleibt.

Deine Anne

1943

Mittwoch, 13. Januar 1943

Liebe Kitty!

Heute Morgen war ich wieder ganz durcheinander und konnte nicht konzentriert arbeiten. Wir haben eine neue Beschäftigung, nämlich Päckchen mit Bratensoße (in Pulverform) abfüllen. Die Soße wird von der Firma Gies & Co. [Abspaltung von Otto Franks Firma Opekta; red.] hergestellt. Herr Kugler konnte keine Abfüller finden, und wenn wir es machen, ist es auch viel billiger. Es ist eine Arbeit, wie sie von Leuten im Gefängnis gemacht werden muss. Sie ist erstaunlich langweilig, und man wird ganz schwindlig und dusslig davon.

Draußen ist es fürchterlich. Tag und Nacht werden die armen Menschen weggeschleppt, nicht mehr als einen Rucksack und etwas Geld im Gepäck. Diese Habe wird ihnen unterwegs auch noch weggenommen. Die Familien werden auseinander gerissen, Männer, Frauen und Kinder werden getrennt. Kinder, die von der Schule nach Hause kommen, haben plötzlich ihre Eltern verloren. Frauen, die vom Einkaufen zurückkommen, finden ihre Wohnung versiegelt vor, die Familie verschwunden. Die niederländischen Christen fürchten auch schon, ihre Söhne werden nach Deutschland geschickt. Jeder fürchtet sich. Und jede Nacht fliegen Hunderte von Flugzeugen über die Niederlande zu deutschen Städten und pflügen dort die Erde mit ihren Bomben, und jede Stunde fallen in Russland und Afrika Hunderte, sogar Tausende Menschen im Kampf. Niemand kann sich raushalten, die ganze Erde führt Krieg, und obwohl es mit den Alliierten besser geht, ist ein Ende noch nicht in Sicht.

Und wir, wir haben es gut, besser als Millionen anderer Menschen. Wir sitzen sicher und ruhig und essen sozusagen unser Geld auf. Wir sind so selbstbezogen, dass wir über »nach dem Krieg« sprechen, uns auf neue Kleider und Schuhe freuen, dabei sollten wir eigentlich jeden Cent sparen, um nach dem Krieg anderen Menschen zu helfen, und zu retten, was noch zu retten ist.

Die Kinder hier laufen in dünnen Hemdchen und mit Holzschuhen an den Füßen herum, kein Mantel, keine Mütze, keine Strümpfe, und niemand, der ihnen hilft. Sie haben nichts im Magen, sondern kauen an einer Mohrrübe. Sie gehen aus ihrer kalten Wohnung auf die kalte Straße und kommen in der Schule in eine noch kältere Klasse. Ja, es ist mit Holland sogar so weit gekommen, dass viele Kinder auf der Straße die Vorübergehenden anhalten und sie um ein Stück Brot anbetteln.

Ich könnte dir Stundenlang über das Elend, das mit dem Krieg kam, erzählen, aber das macht mich nur noch bedrückter. Es bleibt uns nichts anderes zu tun, als so ruhig wie nur möglich das Ende dieser Misere abzuwarten. Die Juden warten, die Christen warten, der ganze Erdball wartet, und viele warten auf den Tod.

Deine Anne

Samstag, 30. Januar 1943

Liebe Kitty! Ich koche vor Wut und darf es nicht zeigen. Ich würde am liebsten mit den Füßen aufstampfen, schreien, Mutter gründlich durchschütteln, weinen und was weiß ich noch alles wegen der gemeinen Worte, der abfälligen Blicke, der Beschuldigungen, die mich jeden Tag aufs Neue treffen wie Pfeile von einem straff gespannten Bogen und die so schwer aus meinem Körper zu ziehen sind. Ich möchte Mutter, Margot, van Daan, Dussel und auch Vater anschreien: »Lasst mich in Ruhe! Lasst mich endlich mal eine Nacht schlafen, ohne dass mein Kissen von Tränen durchnässt ist, meine Augen brennen und Schmerzen in meinem Kopf hämmern! Lasst mich weg, weg von allem, am liebsten weg von der Welt!« Aber ich kann es nicht. Ich kann ihnen meine Verzweiflung nicht zeigen. Ich kann keinen Blick auf die Wunden zulassen, die sie mir zufügen. Ich würde das Mitleid und den herablassenden Spott nicht ertragen, auch dann noch würde ich schreien müssen!

Jeder findet mich übertrieben, wenn ich etwas sage, lächerlich, wenn ich schweige, frech, wenn ich Antworten gebe, gerissen, wenn ich eine gute Idee habe, faul, wenn ich müde bin, egoistisch, wenn ich einen Bissen zu viel esse, dumm, feige, berechnend usw. usw. Den ganzen Tag höre ich nichts anderes, als dass ich ein unausstehlicher Fratz bin. Und obwohl ich darüber lache und tue, als wäre es mir egal, macht es mir sehr wohl etwas aus und ich möchte am liebsten Gott bitten, mir ein anderes Wesen zu geben, das nicht alle Leute gegen mich in Stellung gehen lässt.

Aber das ist unmöglich, meine Natur ist mir gegeben, doch ich fühle, ich kann nicht schlecht sein. Ich gebe mir mehr Mühe, es allen recht zu machen, als sie auch nur im Entferntesten ahnen. Wenn ich mit ihnen im Raum bin, versuche ich zu lachen, denn ich möchte ihnen meinen Kummer nicht zeigen. Öfters habe ich Mutter nach einer Reihe ungerechter Verweise an den Kopf geworfen: »Es ist mir egal, was du sagst. Trenne dich ruhig ganz von mir, ich bin doch ein hoffnungsloser Fall.« Dann bekam ich natürlich zu hören, ich sei undankbar, wurde zwei Tage ein bisschen ignoriert, und dann war auf einmal wieder alles vergessen, und ich wurde behandelt wie jeder andere.

Für mich ist es aber nicht möglich, den einen Tag katzenfreundlich [gekünstelt freundlich, red.] zu sein und ihnen am folgenden Tag meinen Hass ins Gesicht zu schleudern. Ich wähle lieber den goldenen Mittelweg, der gar nicht so golden ist, halte meinen Mund über das, was ich denke, und versuche, ihnen gegenüber einmal genauso verächtlich zu sein, wie sie zu mir sind.

Ach, wenn ich das nur könnte!

Deine Anne

Freitag, 5. Februar 1943

Liebe Kitty!

Ich habe dir lange nichts mehr von diesen Streitereien geschrieben, aber es hat sich nichts daran geändert. Herr Dussel nahm anfangs die an- und abflauenden Auseinandersetzungen noch sehr ernst, aber nun hat er sich daran gewöhnt und versucht nicht mehr, zu vermitteln.

 

Margot und Peter sind überhaupt nicht das, was man »jung« nennt, beide sind so langweilig und ruhig. Ich steche da wirklich heraus und bekomme immer wieder zu hören: »Margot und Peter tun das auch nicht. Nimm dir ein Beispiel an deine lieben Schwester!« Grässlich finde ich das.

Ich gebe auch gerne zu, dass ich ganz und gar nicht wie Margot werden will. Sie ist mir viel zu lasch und mittelmäßig, lässt sich von jedem überreden und gibt in allem nach. Ich will einen widerstandsfähigeren Geist! Aber solche Gedanken behalte ich für mich, sie würden mich schrecklich auslachen, wenn ich mit dieser Verteidigung ankäme. Bei Tisch ist die Stimmung meistens angespannt. Zum Glück werden manche Ausbrüche wegen der Suppen-Esser zurückgehalten. Die Suppen-Esser sind alle, die von unten kommen [gemeint sind die Helfer aus der Firma; red.], um einen Teller Suppe zu kriegen.

Heute Mittag sprach Herr van Daan wieder davon, dass Margot zu wenig isst. »Sicher wegen der schlanken Linie«, sagte er spöttisch. Mutter, die ja immer für Margot eintritt, sagte laut: »Ich kann Ihr dummes Geschwätz nicht mehr hören.« Herr van Daan wurde feuerrot; er schaute vor sich hin und schwieg.

Oft haben wir auch etwas zu lachen. Erst kürzlich kramte Frau van Daan so blödsinnige alte Erinnerungen hervor. Sie erzählte davon, wie gut sie mit ihrem Vater zurechtkam und wie viel sie geflirtet hat. »Und wissen Sie«, fuhr sie fort, »mein Vater sagte, wenn ein Kavalier ein bisschen handgreiflich wird, dann musst du zu ihm sagen: ›Mein Herr, ich bin eine Dame!‹ Dann weiß er schon, was du meinst.« Wir brachen in Lachen aus wie über einen guten Witz.

Auch Peter, so still er meistens ist, gibt uns ab und zu Grund zu Lachen. Er hat die Macke, versessen auf Fremdwörter zu sein, deren Bedeutung er aber oft nicht kennt. An einem Nachmittag durften wir nicht auf die Toilette gehen, weil im Büro unten Kundschaft war. Peter musste aber sehr dringend, zog aber die Spülung nicht. Um nun die anderen vor dem wenig angenehmen Geruch zu warnen, befestigte er einen Zettel an der Tür: »S. V. P. Gas.« Er hatte natürlich sagen wollen: »Vorsicht, Gas«, fand aber S. V. P. [S’il vous plait; red.] vornehmer. Dass das »bitte« bedeutet, davon hatte er keine blasse Ahnung.

Deine Anne

Samstag, 27. Februar 1943

Liebe Kitty!

Pim erwartet jeden Tag die Invasion. Churchill hatte eine Lungenentzündung, aber es geht ihm langsam besser. Gandhi, der indische Freiheitskämpfer, hält seinen soundsovielten Hungerstreik.

Frau van Daan behauptet, sie sei eine Fatalistin. [Fatalisten glauben an die Unausweichlichkeit des Schicksals; red.] Aber wer hat am meisten Panik, wenn geschossen wird? Niemand anderes als Petronella! Jan hat den Hirtenbrief der Bischöfe an die Menschen aus der Kirche für uns mitgebracht. Er war sehr gut und ermutigend geschrieben. »Haltet nicht still, Niederländer! Jeder kämpfe mit seinen eigenen Waffen für die Freiheit von Land, Volk und Religion! Helft, macht, zögert nicht!« Das verkünden sie einfach von der Kanzel! Ob es hilft? Unseren Glaubensbrüdern bestimmt nicht.

Stell dir vor, was nun wieder passiert ist! Der Besitzer dieses Gebäudes hat, ohne Kugler und Kleiman Bescheid zu geben, das Haus verkauft. Eines Morgens kam der neue Hausbesitzer mit einem Architekten, um das Haus zu besichtigen. Zum Glück war Herr Kleiman da, und er zeigte den Herren alles, bis auf unser Hinterhäuschen. Er behauptete, den Schlüssel von der Zwischentür zu Hause vergessen zu haben. Der neue Hausbesitzer fragte nicht weiter. Wenn er nur nicht zurückkommt und doch das Hinterhaus sehen will, dann sieht es schlecht für uns aus!

Vater hat für Margot und mich einen Karteikasten geleert und Kärtchen hineingetan, die auf einer Seite noch unbeschrieben sind. Das wird unsere Bücherkartei. Wir schreiben nämlich beide auf, welche Bücher wir gelesen haben, den Namen des Autors und das Datum. Ich habe gerade wieder Wörter gelernt, »Bordell« und »Kokotte «. Dafür habe ich mir ein besonderes Heft angelegt.

Neue Butter- oder Margarineverteilung! Jeder bekommt sein bisschen Aufstrich auf den Teller. Aber die Verteilung funktioniert sehr ungerecht. Van Daans, die immer das Frühstück machen, teilen sich selbst anderthalbmal so viel zu, wie uns. Meine Eltern haben viel zu großen Widerwillen gegen Streit, um etwas dazu zu sagen. Schade, denn ich finde, dass man es solchen Leuten immer mit gleicher Münze zurückzahlen muss.

Deine Anne

Donnerstag, 4. März 1943

Liebe Kitty!

Frau van Daan hat einen neuen Namen, wir nennen sie Mrs. Beaverbrook. Was das bedeutet, verstehst du natürlich nicht, ich werde es dir erklären: Im englischen Sender spricht nämlich oft ein Mr. Beaverbrook über die viel zu zaghaften Bombardierungen auf Deutschland.

Frau van Daan widerspricht normalerweise jedem, sogar Churchill und dem Nachrichtendienst, aber mit Herrn Beaverbrook ist sie geradezu rührend einig. Wir hielten es darum für das Beste, dass sie Herrn Beaverbrook heiraten sollte. Und weil sie sich durch diesen Vorschlag geschmeichelt fühlte, heißt sie fortan Mrs. Beaverbrook.

Wir bekommen einen neuen Arbeiter im Lager, der bisherige muss nach Deutschland. Das ist schlimm, aber für uns vorteilhaft, weil ein Neuer das Haus nicht kennt. Wir haben vor den Lagerarbeitern noch immer Angst.

Gandhi isst wieder.

Der Schwarzhandel funktioniert ausgezeichnet. Wir könnten uns rund und fett essen, wenn wir das Geld hätten, um die irrsinnigen Preise zu bezahlen. Unser Gemüsehändler kauft der deutschen Wehrmacht Kartoffeln ab und bringt sie in Säcken ins Privatbüro. Er weiß, dass wir uns hier verbergen, und kommt deshalb auch immer in der Mittagspause, wenn die Lagerarbeiter weg sind.

Wir können nicht atmen, ohne zu niesen oder zu husten, so viel Pfeffer wird gerade durch die Mühlen gedreht. Jeder, der heraufkommt, begrüsst uns mit »hatschi«. Frau van Daan gibt vor, sie könne nicht hinuntergehen, sie würde krank, wenn sie noch mehr Pfeffer einatmet. Ich finde Vaters Firma gar nicht schön. Nichts als Geliermittel und scharfer Pfeffer. Wenn man schon mit Lebensmitteln handelt, dann sollte es doch wenigstens was zum Naschen geben!

Heute Morgen musste ich wieder ein Donnerwetter von Worten über mich ergehen lassen. Die Blitze schlugen mit so unfreundlichen Ausdrücken ein, dass meine Ohren rauschten von den vielen »Anne-schlecht« und »Van-Daan-gut«. Zum Donnerwetter!

Deine Anne

Mittwoch, 10. März 1943

Liebe Kitty!

Gestern Abend hatten wir Stromausfall, und außerdem ballerten sie unaufhörlich. Ich habe immer noch Angst vor Schießereien und Flugzeugen und liege fast jede Nacht bei Vater im Bett, um Trost zu suchen. Das ist vielleicht sehr kindisch, aber du müsstest das mal erleben! Man kann sein eigenes Wort nicht hören, so donnern die Kanonen. Mrs. Beaverbrook, die Fatalistin, fing fast an zu weinen und sprach mit einem furchtsamen Stimmchen: »Oh, es ist so unangenehm! Oh, sie schießen so laut!« Was eigentlich doch nur heißt: Ich habe solche Angst!

Bei Kerzenlicht kam es mir weniger schlimm vor, als in der Dunkelheit. Ich zitterte, als hätte ich Schüttelfrost, und flehte Vater an, die Kerze wieder anzumachen. Er war gnadenlos, das Licht blieb aus. Plötzlich ratterten Maschinengewehre, das ist noch zehnmal schlimmer als Kanonen. Mutter sprang aus dem Bett und zündete zu Pims großem Ärger die Kerze an. Ihre resolute Antwort auf sein Murren war: »Anne ist doch kein altgedienter Soldat!« Damit basta!

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