Papa werden

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Ich fühle mich – natürlich hat alles mit Kultur und Geschlechterrollen und so zu tun –, aber ich fühle mich wirklich als Mutter, weil ich zu Hause bin. Ich hole sie ab, und in der Nacht kommen sie zu mir. Ich bin normalerweise für Essen und Trösten und für all die kleinen Dinge zuständig. Ich fühle mich als Mama.

Simon, Papa von Daisy (sechs) und Bill (fünf)

Adrian und Noah hingegen schöpfen die Freiheit ihrer nicht durch Geschlechterrollen bestimmten Situation aus, um wirklich gleichberechtigte Elternteile zu sein, unabhängig von kulturellen Normen hinsichtlich der Arbeitsteilung oder der Propagierung der Mutter als wichtigste Bezugsperson.

Wie haben den ganzen Prozess gemeinsam durchlaufen. Wir haben sie zu uns geholt […] und wir haben uns als Familie eingerichtet. Wir haben gemeinsam das Baby kennengelernt. Es war nicht so: »Also, du hast schon neun Monate lang mit ihr im Bauch eine Verbindung zu ihr hergestellt, und ich fühle mich ein bisschen außen vor.«

Adrian, Papa von Judy (sieben)

Für den modernen schwulen Vater in der westlichen Kultur kann es die Flexibilität, die die neue schwule Elternrolle erfordert, sehr viel leichter machen, ein involvierter Papa zu sein. Ohne die Last von Jahrhunderten Kultur und Tradition können schwule Väter ihre Rolle ganz neu definieren.

* * *

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Vaterschaft einen Mann verändert. Aber diese Veränderungen beginnen, lange bevor er sein neugeborenes Kind im Arm hält. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass sich mit fortschreitender Schwangerschaft der Hormonspiegel des werdenden Vaters dem der werdenden Mutter angleicht und auch ihre Persönlichkeiten sich ähnlicher werden. Wenn der werdende Vater den Bauch seiner Partnerin streichelt, mit dem Ungeborenen spricht und ihm etwas vorsingt, wirken die mächtigen Bindungshormone Oxytocin und Dopamin und bringen ihn dazu, eine Form der Bindung an sein ungeborenes Kind zu entwickeln – erleichtert wird das noch durch die Kraft seiner Fantasie. Kurz vor der Geburt sinkt sein Testosteronspiegel, und die Persönlichkeit verändert sich. Der Drang, extravertiert zu sein, außerhalb der Familie nach Reizen zu suchen, nimmt ab, und die Offenheit für neue Erfahrungen und enge soziale Interaktionen nimmt zu. Der Mann wird auf die Vaterschaft vorbereitet und bildet dazu ein Team mit dem anderen Elternteil. Das Team entwickelt gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Vorstellung, wie sie als Familie sein wollen. Alles dient der Vorbereitung auf die Vaterrolle.

Für Sie als Leser bedeuten all diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis: Statt die neun Monate Schwangerschaft abzusitzen, sollten Sie darin eine Chance sehen und sie ergreifen. Für die Arbeit, die Sie jetzt investieren, um eine Bindung zu Ihrem Baby aufzubauen, werden Sie tausendfach entschädigt, wenn das Baby auf der Welt ist. So merkwürdig es sich auch anfühlen mag, versuchen Sie, mit dem schwangeren Bauch zu sprechen, reden Sie, singen Sie, berühren Sie ihn. Lesen Sie ihm die gesammelten Werke von Chaucer vor, wenn Sie Chaucer lieben, einfach damit das Ungeborene Ihre Stimme hört. Versuchen Sie sich vorzustellen, wer da drinnen ist. Wie wird es sein, wem wird es ähnlich sehen? Was werden Sie gemeinsam unternehmen, und welche Art Vater werden Sie sein? Nehmen Sie sich die Zeit für ein Gespräch, das nicht von einem schreienden Neugeborenen unterbrochen wird, mit Ihrer Partnerin (oder Ihrem Partner), Ihrer Familie und Freunden, wie das Leben nach der Ankunft des Babys sein wird und wie Sie da hineinpassen. Es ist normal, dass Sie sich über die bevorstehenden Veränderungen Sorgen machen, aber wenn aus den Sorgen Angst wird, sollten Sie mit den Menschen in Ihrer engsten Umgebung darüber sprechen oder mit professionellen Experten, die dafür da sind, um Sie zu unterstützen, oder in einem Online-Forum anonym Hilfe suchen. Am Ende des Buchs finden Sie eine Liste mit hilfreichen Links. Denken Sie daran, dass Sie auf sich achten müssen, damit Sie sich, wenn das Baby da ist, ganz Ihrer neuen Rolle, Ihrer neuen Familie und Ihrem neuen Leben widmen können.

KAPITEL DREI

WARUM VATERSEIN SO WICHTIG IST

Es geht nicht nur um Biologie

Die Nāyar sind eine hohe Kaste im indischen Bundesstaat Kerala. Bei ihnen ist es üblich, dass ein Mädchen vor der Pubertät mit einem älteren Mann derselben oder einer höheren Kaste verheiratet wird, und dann wird die Ehe schnell wieder geschieden. Sobald das Mädchen das gebärfähige Alter erreicht hat, nimmt es sich eine Reihe von Liebhabern, alle könnten die biologischen Väter ihrer Kinder sein. Während das Mädchen diese Männer als »besuchende Ehemänner« bezeichnet, ist die Beziehung für die Männer in etwa so wie zwischen Konkubine und Kunde. Dementsprechend übernehmen sie keinerlei Verantwortung für ihren Nachwuchs. Damit die Kinder als legitim gelten, werden sie von der Familie als Kinder des Ex-Mannes angesehen. Doch da der sich schon lange aus dem Staub gemacht hat, springt ein männlicher Verwandter – in der Regel der Bruder der Mutter – als »sozialer Vater« ein und erfüllt die Rolle des Lehrers und Beschützers. Wie lässt sich dieses – für westliche Begriffe sehr ungewöhnliche – Arrangement erklären?

Die Nāyar sind matrilinear. Das heißt, Macht und Besitz werden über die mütterliche Linie weitergegeben, allerdings über die männlichen Angehörigen der mütterlichen Linie. Weil die Nāyar eine hohe Kaste sind, achten sie darauf, dass ihre Position nicht dadurch geschwächt wird, dass Reichtum und Macht über die Familie des biologischen Vaters zu einer anderen Linie abfließen. Deshalb hat ihre Gesellschaft dieses wunderbare System ersonnen, das dafür sorgt, dass der biologische Vater seine Gene beisteuert und dann wieder verschwindet, und dass alle Kinder – die für die Familie wegen künftiger Mitgiften und als Arbeitskräfte wertvoll sind – unter der Kontrolle der mütterlichen Linie bleiben, aber trotzdem einen starken Vater in ihrem Leben haben.

Väter haben in allen menschlichen Kulturen große Bedeutung. Damit meine ich nicht ihre Rolle bei der Fortpflanzung – man muss nicht erst ein Buch lesen, um zu erfahren, dass sie für die Schaffung menschlichen Lebens wichtig sind –, sondern ihre Rolle in der Familie und der Gesellschaft insgesamt. Wir Menschen im Westen messen dem biologischen Vater einen hohen Stellenwert zu und finden es schwer nachvollziehbar, wenn ein anderer diese Aufgabe ausfüllt. Doch im Gegensatz zu den Müttern, deren Rolle durch die Zwänge der Biologie weitgehend festgelegt ist – sie tragen das unreife Kind aus und stillen es vielleicht auch –, ist die Identität der Person, die am besten geeignet ist, in die Vaterrolle zu schlüpfen, sehr viel unbestimmter. Das bedeutet, dass in vielen Gesellschaften die Vaterrolle nicht automatisch mit biologischer Verwandtschaft verknüpft und auch nicht unbedingt auf einen Mann beschränkt ist. Vielfältige Einflüsse aus Geschichte, Ideologie, Kultur und Recht vermischen sich mit dem evolutionären Imperativ, das Überleben der eigenen Gene zu sichern, und das alles zusammen definiert, wer der Vater ist. Als Folge dieser ziemlich komplizierten Kombination von Faktoren ist die Vaterrolle rund um den Globus wunderbar vielfältig.

In diesem Kapitel unternehme ich eine Reise zu den Vätern der Welt, um herauszufinden, wer den begehrten Titel »Papa« bekommt. Man kann natürlich fragen, warum uns im Westen das Leben von Vätern irgendwo auf der Welt interessieren sollte. Sollten wir unsere Zeit nicht besser darauf verwenden, uns um die Hausarbeit zu kümmern, den Kühlschrank zu putzen oder Filme anzuschauen, statt uns mit den Erfahrungen von männlichen Mitgliedern eines Stammes in einer abgelegenen Ecke des Kongo zu beschäftigen? Ich kann allen Lesern versichern, dass es gut investierte Zeit ist. Die Väter aus anderen Weltgegenden sollten uns aus zwei Gründen interessieren. Erstens ist Vaterschaft im Westen nicht das monolithische Verhalten, für das wir sie ursprünglich hielten. Ja, wir haben die Botschaft von der Kernfamilie aufgesogen und betrachten sie mittlerweile als Norm, aber es hat schon immer bedeutsame Ausnahmen von der Norm gegeben – denken wir nur an Stief- und Adoptivfamilien. Je liberaler die Gesellschaften wurden und je ausgefeilter die Techniken der künstlichen Befruchtung, desto vielfältiger wurde die Schar derer, die auf die Bezeichnung »Papa« reagieren. Deshalb können uns Väter aus anderen Kulturen viel zu Einstellung und Verhalten lehren. Zweitens geht es um Bestätigung. In vielen Kulturen würde unsere Fixierung auf biologische Verwandtschaft erhebliche Verwirrung stiften. In diesen Gesellschaften ist Papa der Typ, der kommt und die Sache regelt, und ob er eine genetische Verbindung zu dem Kind hat, ist nicht wirklich wichtig. Wenn jemand die Rolle des Vaters ausfüllt, dann ist er der Vater und bekommt die Anerkennung der Gesellschaft. Ich hoffe, dass für die wachsende Zahl von Männern, die keine biologische Verbindung zu ihrem Kind haben, diese Lehren von anderen »sozialen« Vätern hilfreich sind.

In den Jahrtausenden, die vergangen sind, seit die ersten menschlichen Väter in Erscheinung traten, mussten unsere Vorfahren mit vielen Veränderungen in ihrer Umwelt und ihrem Schicksal fertigwerden, die ihr Überleben bedrohten. Sie kämpften mit Säbelzahntigern, ertrugen extreme Temperaturschwankungen, als Eiszeiten den Globus erstarren ließen, wanderten durch unerforschte und unwirtliche Regionen und rangen mit konkurrierenden Arten von Hominini um die Vorherrschaft. All das übte enormen Druck auf urzeitliche Eltern aus, die versuchten, ihre Kinder vor diesen neuen Bedrohungen durch Klima, Raubtiere und eine feindliche Umwelt zu beschützen. Unsere Vorfahren überlebten, und die menschliche Spezies hatte Erfolg, weil wir in der Lage waren, durch Anpassung unseres Verhaltens, unserer Kultur und, einzigartig für den Menschen, unserer Umwelt auf diese Bedrohungen zu reagieren. Tatsächlich machen wir das bis heute so, und weil die Mutter durch die kräftezehrenden Vorgänge von Schwangerschaft und Geburt eingeschränkt ist, muss sich das Verhalten des Vaters schnell verändern, um eine Antwort auf diese Herausforderungen zu geben und das Überleben seiner Familie zu sichern. Zeitweise kann das bedeuten, dass die beste Wahl als »Papa« nicht unbedingt der Mann ist, der das Kind gezeugt hat.

 

Nehmen wir einen westlichen Vater, der heute in Großbritannien, auf dem europäischen Kontinent oder in Nordamerika lebt. Typischerweise wird er sich so viel wie möglich mit seinen Kindern beschäftigen wollen und strebt nach der Rolle eines gleichberechtigten Elternteils. Er will da sein, um zusammen mit seiner Partnerin die Kinder zu unterstützen, ihnen etwas beizubringen, ihren Unterhalt zu sichern und praktisch für sie zu sorgen. Aber warum hat er diese Rolle gewählt? Vielleicht hat er sie aus persönlichen Gründen übernommen, weil er nicht so distanziert sein will, wie sein eigener Vater es war. Oder die permanente mediale Berichterstattung über Promi-Väter hat ihn beeinflusst – die David Beckhams und Brad Pitts dieser Welt scheinen in der Lage zu sein, großen beruflichen Erfolg, das Aussehen von Models und tadellose Vaterqualitäten miteinander zu verbinden. Man kann sicher sagen, dass diese Entwicklung hin zu einer gleichberechtigten Elternrolle teilweise mit einer Veränderung in der gesellschaftlichen Einstellung zur Vaterschaft zusammenhängt, herbeigeführt durch die wachsende Einsicht, dass Väter entscheidend für die Entwicklung ihrer Kinder sind. Aber das ist längst nicht alles. Colins Erfahrung gibt einen wichtigen Hinweis:

Ich hatte zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, und ich denke, es sollte sehr viel mehr sein, denn nach zwei Wochen ist es nicht vorbei. Deine Partnerin braucht immer noch deine Hilfe, dein Baby braucht auch deine Hilfe, deshalb denke ich, Männer sollten länger Vaterschaftsurlaub haben. […] Weil Julie einen Liquorverlust hatte, erlebten wir eine schwierige Situation, und ich war zwei Wochen mittendrin, denn sie konnte nicht viel machen, also habe ich alles gemacht. Und dann musste ich zurück zur Arbeit, und sie musste alles machen und ich dachte die ganze Zeit: »Wo ist mein Kind?« Ich hatte mich so daran gewöhnt, alles zu machen, und jetzt war sie nicht da.

Colin, Papa von Freya (sechs Monate)

Als meine Mutter mich in den 1970er-Jahren zur Welt brachte, war es üblich, dass die Mutter nach der Geburt mindestens eine Woche im Krankenhaus blieb, auch wenn die Geburt ganz unkompliziert verlaufen war. Viele Hebammen im Verhältnis zur Zahl der Mütter bedeuteten, dass sie reichlich Unterstützung bekam, um zu lernen, wie sie stillte und das Neugeborene versorgte. Ihr Baby wurde jeden Abend auf die Säuglingsstation gebracht, sodass die Mutter schlafen und Kräfte sammeln konnte, bevor sie nach Hause zurückkehrte. Heute sieht es ganz anders aus. In Großbritannien werden nach einer unkomplizierten Geburt Mutter und Kind oft noch am selben Tag wieder entlassen. Es gibt keine sanfte Einführung in die Mutterschaft. Weil viele von uns wegen ihrer Arbeit umziehen müssen, leben wir nicht mehr in der Nähe unserer Eltern oder anderer Familienmitglieder, was bedeutet, dass sie die Lücke nicht füllen können, die ohne die Betreuung durch eine Hebamme entsteht. In der Folge bleibt nur eine Person, die einspringen und bei der Betreuung des Babys helfen kann, während die Mutter sich von der Geburt erholt: der Papa. Hören Sie da ein Echo aus der Vergangenheit vor 500.000 Jahren? Wieder muss der Vater auf das Potenzial für Flexibilität vertrauen, das zu seiner Rolle gehört, um die Bedürfnisse seiner neuen Familie zu erfüllen, in die Bresche zu springen und dafür zu sorgen, dass sein Kind überlebt und gedeiht.

Das Überleben zu sichern ist tatsächlich das oberste Ziel aller Väter; wir werden noch darüber sprechen, wie das später im Leben des Kindes erreicht wird. Aber auf einer ganz grundlegenden Ebene ist es die Aufgabe von Eltern, sich vom Augenblick der Empfängnis an auf das Überleben ihrer Gene zu konzentrieren, menschliche Väter machen da keine Ausnahme. In westlichen Ländern ist im Allgemeinen der biologische Vater zur Stelle, wenn das Überleben auf dem Spiel steht, aber in anderen Ländern hat das Dilemma, dass der biologische Vater möglicherweise nicht lange genug lebt, um seine Kinder heranwachsen zu sehen, zu ganz anderen Lösungen dieses Problems geführt.

Mit den Aché im südamerikanischen Paraguay verbinden die Anthropologen hauptsächlich zwei Eigenschaften: Erstens sind sie eine sehr gewalttägige Gesellschaft und liegen praktisch dauernd im Streit mit ihren Nachbarn. Zweitens pflegen sie eine recht ungewöhnliche Form der Vaterschaft, die dazu führt, dass Kinder mehr als einen Vater haben. Diese in Südamerika verbreitete, aber in anderen Regionen der Welt unbekannte Methode, die Elternrolle wahrzunehmen, bedeutet, dass ein Kind nicht nur einen einzigen biologischen Vater hat, sondern dazu noch eine Reihe »sozialer« Väter. Ein sozialer Vater ist jemand, der die Rolle des Vaters mit allem, was dazugehört, im Leben eines Kindes übernimmt, aber nichts mit dem Zeugungsakt zu tun hat. Er kann genetisch verwandt sein – zum Beispiel als Bruder oder Onkel von Mutter oder Vater –, aber er ist nicht der biologische Vater. In der Gesellschaft der Aché werden Männer und Frauen ermuntert, promiskuitiv zu leben, und es kommt oft vor, dass eine Frau mit allen Brüdern einer Familie schläft und dazu noch mit vielen anderen Männern. Wichtig ist, dass die Aché sich die Empfängnis nicht als einzelnes Ereignis vorstellen, sondern als etwas, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, bevor ein Kind geboren wird. Der biologische Vater ist für sie der Mann, der als Letzter Sex mit der Mutter hatte, bevor ihre Regel ausblieb – oder um den Zeitpunkt, als »das Blut zu fließen aufgehört hat«. Doch jeder Mann, der in dem Jahr vor der Geburt des Kindes Sex mit der Mutter hatte, gilt ebenfalls als Vater. Erwachsene in der Aché-Gesellschaft unterscheiden zwischen all diesen Männern und wissen, was Sache ist – es ist ungefähr so, wie den Überblick bei einer ziemlich komplizierten Daily Soap zu behalten –, aber wichtig ist, dass das Kind für sie alle denselben Begriff verwendet. Die Bezeichnungen für die verschiedenen Männer verweisen auf ihre Rolle im Prozess der Empfängnis: Der miare ist »der, der es reingeschoben hat« (bei uns der biologische Vater), der peroare ist der, »der es gemischt hat«, der momboare ist der, »der es ausgegossen hat«, und der bykuare ist der, »der seinen Stoff dazugegeben hat«. Die Zeugung ist wahrhaftig ein kollektiver Akt. Von dem Mann, der als der biologische Vater identifiziert ist (der miare), wird zunächst erwartet, dass er die Rolle des Hauptvaters übernimmt, die sich allerdings sehr von der Vaterrolle im Westen unterscheidet. Bei ihm liegt der Fokus nicht auf Versorgung und emotionaler Zuwendung wie beim modernen westlichen Vater. Stattdessen ist es die alles beherrschende Aufgabe dieses Vaters, zu verhindern, dass seine Familie bei einem der häufigen Überfälle anderer Stämme, die sein Dorf zerstören, getötet wird. Infolge dieser Rollenwahl geht er ein erhebliches Risiko ein, sein Leben zu verlieren und seine Kinder vaterlos zurückzulassen.

Die Sterblichkeitsrate der männlichen Aché ist erstaunlich hoch, und Kinder ohne Vater sind schutzlos einem hohen Risiko ausgesetzt, von angreifenden Stämmen umgebracht zu werden. Männliche Eroberer wollen die Last nicht tragen, das Kind eines anderen Mannes aufzuziehen, deshalb ist die Tötung von Kindern häufig. Vor dem Hintergrund dieser sehr realen Gefahr, dass das Kind getötet wird, wird verständlich, warum es mehr als einen Vater braucht. Wenn der erste Vater stirbt, springt der zweite oder soziale Vater ein, übernimmt dessen Rolle und beschützt die Kinder. Die Sozialanthropologinnen Kim Hill und Magdalena Hurtado, die viele Jahre bei den Aché gelebt haben, fanden bei ihren Forschungen heraus, dass Kinder mit Zweitvätern eine 85-prozentige Überlebenschance hatten gegenüber einer 70-prozentigen Chance von Kindern mit nur einem Vater. Das ist ein erheblicher Unterschied. Im Durchschnitt haben Kinder zwei Väter, aber es kommt auch vor, dass ein einzelnes Kind zehn Väter hat. Die Aché sind nicht aus ideologischen Gründen Anhänger der freien Liebe, sondern praktizieren Promiskuität als pragmatische Überlebenstaktik. Durch die Vermischung der Vaterschaft werden die Männer ermuntert, die Kinder des Stammes zu schützen, weil jeder der biologische Vater sein könnte. Und der Mann, bei dem die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass er der wahre biologische Vater ist, akzeptiert, seine Partnerin mit vielen Männern zu teilen – ein Akt, der offensichtlich in direktem Gegensatz zu dem evolutionären Drang steht, die Vaterschaft sicherzustellen –, weil das in einer kriegerischen Welt die beste Überlebenschance für seine Gene darstellt.

Insofern ist der biologische Vater nur eine mögliche Lösung dafür, dass ein Kind einen Vater in seinem Leben braucht. Nicht viele Gesellschaften folgen dem Beispiel der Aché und preisen die Vorzüge vieler Väter, aber etliche gehen davon aus, dass der einzige Vater eines Kindes genauso gut ein sozialer wie der biologische Vater sein kann. In diesen Gesellschaften und in vielen ähnlichen wird der biologische Vater – freiwillig oder gezwungenermaßen – beiseitetreten, weil es dem Wohl seines Kindes und damit letztlich seiner Gene dient. Die biologischen Väter vom Stamm der Nāyar akzeptieren, dass ihre Rolle jemand anderem übertragen wird, weil sie wissen, dass ihre Kinder in dieser stark matrilinearen Gesellschaft in der mütterlichen Familie eine bessere Chance auf Überleben und Erfolg haben als in ihrer eigenen. Sie verzichten auf die Chance, am Leben ihrer Kinder Anteil zu nehmen, und überlassen diese Rolle den Onkeln der Kinder mütterlicherseits, weil sie wissen, dass die Kinder dadurch Zugang zu allen notwendigen finanziellen und politischen Ressourcen haben, die sie brauchen, um in der stark hierarchischen Welt einer Stammesgesellschaft Erfolg zu haben.

Zum Umgang der Nāyar und der Aché mit der Vaterrolle gehört auch der Gedanke, dass ein Vater für ein Kind im Lauf seines Lebens viele Dinge und viele Personen sein kann. Wichtig ist letztlich nicht die biologische Verwandtschaft, sondern das Vorhandensein einer Vaterfigur, die das Überleben des Kindes sicherstellt. Aber derartige Praktiken sind nicht das alleinige Vorrecht weit entfernt lebender Stämme.

Einen sozialen Vater finden wir mit genauso großer Wahrscheinlichkeit im Westen wie in den Wäldern von Paraguay oder den Weiten von Indien – wir nennen ihn nur anders. Wenn man ein südafrikanisches Kind bittet, etwas über seinen Vater zu sagen, wird schnell deutlich, dass es zwar davon spricht, dass der Vater da ist, sich kümmert, dass aber nicht unbedingt der biologische Vater gemeint ist. Kopano Ratele, Tamara Shefer und Lindsay Clowes von der University of the Western Cape schreiben in ihrer Untersuchung über schwarze Väter in Südafrika, erwachsene Kinder hätten ein klares Bild, wer ein Vater sei, aber dazu gehöre nicht unbedingt die biologische Verwandtschaft oder das westliche Konzept der Kernfamilie. Die erweiterte Familie ist der Schlüssel. Traditionell sind biologische Väter in der Mehrheit der Fälle über lange Zeiten abwesend, weil sie ihre Aufgabe als Hauptverdiener der Familie erfüllen; für Versorgung und Erziehung des Kindes und die Aufgabe, Vorbild und Lehrer zu sein, sind die Großväter, die Onkel und die männlichen Mitglieder der Gemeinschaft zuständig. Das ist nicht die kurzfristige Lösung für einen vorübergehenden Mangel an Arbeitsplätzen, sondern die Norm – wenn die heutigen Väter selbst Großväter werden, werden sie ihren Söhnen bei der Erziehung der Enkelkinder helfen. Für die Kinder gilt ein solches Arrangement oft als Idealzustand – sie haben die Unterstützung einer ganzen Schar von Beteiligten, deren Wichtigkeit je nach den sich wandelnden Bedürfnissen des Kindes zu- oder abnimmt. Für viele ist das ein Vorteil gegenüber der Abhängigkeit von einem einzigen biologischen Vater, weil unterschiedliche Väter unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen. In letzter Zeit wurde viel über die Krise der Familie in Südafrika geschrieben, eine Krise, die nach verbreiteter Meinung durch die Abwesenheit der biologischen Väter mit verursacht wird. Aber Ratele und seine Kolleginnen zeigen, dass wir uns nur von unserer eingeengten Vorstellung von Vaterschaft und Familie verabschieden müssen, um zu erkennen, dass viele südafrikanische Kinder einen anwesenden Vater haben. Sie haben sogar ein ganzes Team von Vätern.

 

In vielen Fällen sind solche Arrangements, die sich von der Kernfamilie unterscheiden, wie wir sie in nichtwestlichen, erst kurz industrialisierten Gesellschaften finden, jahrhundertealt. Für uns sind sie interessant, gerade weil sie in deutlichem Kontrast zu unserer Konzentration auf die biologische Elternschaft in der westlichen Welt stehen. Heute kann ein Vater in Großbritannien aus mehreren Gründen nicht genetisch mit seinem Kind verwandt sein, unter anderem durch Unfruchtbarkeit, weshalb ein Samenspender nötig war, oder weil er sein Kind adoptiert hat oder weil er die Hälfte eines schwulen Paars ist, das sich ein Kind wünscht. Das Kind eines lesbischen Paars, das sich entschlossen hat, die Elternrolle gemeinsam mit einem schwulen Samenspender und seinem Partner zu übernehmen, hat vielleicht sowohl eine biologische Mutter und einen biologischen Vater als auch eine soziale Mutter und einen sozialen Vater. Es ist großartig, dass Fortschritte in Wissenschaft und Gesellschaft es Männern, die früher nicht daran denken konnten, Väter zu werden, ermöglicht haben, sich lang gehegte Träume von Elternschaft zu erfüllen. Aber während alle Väter den Übergang zur Vaterschaft als einen Weg erleben, der mit unzähligen Problemen und Freuden gepflastert ist, stellt sich für die sozialen Väter noch eine zusätzliche Herausforderung: Wie behaupten sie sich als Papas in einer Gesellschaft, die immer noch entschlossen ist, dem biologischen Vater den Vorrang vor allen anderen Formen der Vaterschaft zu geben?

Bis 2005 hatten Kinder in Großbritannien, die durch eine Samenspende gezeugt worden waren, kein Recht, etwas über die Identität ihres biologischen Vaters zu erfahren, alle Samenspenden an Samenbanken wurden anonymisiert. Die Behörden dachten sich diese Regel aus, weil sie es als oberste Priorität ansahen, während des Prozesses der künstlichen Befruchtung die Integrität der Kernfamilie und die Rolle des Mannes als Vater und Familienoberhaupt zu schützen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Überzeugung herrschte, die Gesellschaft gründe auf dem Fundament der Kernfamilie, und würde die Identität des Samenspenders bekannt, würde das die Position des sozialen Vaters in der Familie untergraben. Wenn die Möglichkeit bestünde, dass der Samenspender auf einmal auftauchen und von einer abstrakten Größe zu einer realen Person werden könnte, wäre das Funktionieren der Familie durch die bedrohliche Präsenz dieses schattenhaften »dritten Elternteils« auf Dauer gestört. Die Väter von Kindern, die durch eine Samenspende entstanden waren, würden wissen, dass ihr Kind oder ihre Kinder biologisch nicht mit ihnen verwandt waren, aber mit dieser Realität konnten sie zurechtkommen in dem Bewusstsein, dass nur sie als Väter identifizierbar waren und entscheiden konnten, ob sie die Verhältnisse gegenüber ihren Kindern und ihrem Umfeld offenlegen wollten. Doch als man sich der Bedeutung des genetischen Erbes stärker bewusst wurde und anerkannte, dass durch eine Samenspende entstandene Kinder ein Recht haben, zu wissen, was sie durch ihre Gene mitbekommen haben, vor allem im Hinblick auf genetisch bedingte Krankheiten, wurde das Gesetz geändert. Jedes nach dem 1. April 2005 geborene Kind hat seither das Recht, mit 18 Jahren Informationen über seinen biologischen Vater zu bekommen.

Die Gesetzesänderung bedeutet, dass sich sowohl die Betroffenen wie auch die Gesellschaft mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass nicht ein Mann die Vaterrolle ausfüllt, sondern dass sie zwischen dem abwesenden biologischen Vater und dem anwesenden sozialen Vater, der das Kind aufzieht, geteilt sein kann. Andere Gesellschaften haben diese Idee womöglich schon vor langer Zeit akzeptiert und ausgeweitet, aber wir im Westen mussten erst jahrhundertealte ideologische Ansichten über die Kernfamilie beiseiteräumen, deswegen war ein solcher Einstellungswandel nicht unbedingt leicht. Auf der Ebene der Familie haben die Väter von durch Samenspende gezeugten Kindern, die täglich mit dieser Herausforderung konfrontiert sind, sehr unterschiedlich darauf reagiert. Victoria Grace, ehemalige Professorin für Gender Studies an der Canterbury University, und ihr Team stellten bei einer Untersuchung zu Vätern von durch Samenspende gezeugten Kindern in Neuseeland erhebliche Ambivalenz im Hinblick auf den Samenspender fest. Einerseits waren die Väter dankbar für die altruistische Tat des Spenders, andererseits erlebten sie seine beständige Präsenz auch als Bedrohung. Viele Väter wählten den Ausweg, die Existenz des Spenders zu verleugnen, seinen Beitrag herunterzuspielen oder nur scherzhaft oder beiläufig von ihm zu sprechen. Grace zitiert einen Vater mit den Worten: »Er hat Sperma gespendet, Ende der Verbindung.« Ein anderer kommentierte: »Der Spender hat kein Gesicht, ist keine Persönlichkeit.«

Doch Probleme tauchen auf, wenn die unvermeidlichen Diskussionen beginnen, wem das Kind ähnlich sieht. Alle Eltern lieben Gespräche darüber, von wem ihre Kinder ihre beeindruckenden, skurrilen oder einfach lästigen Züge geerbt haben, und wenn bei zusammenlebenden Eltern ein Elternteil tatsächlich biologisch mit dem Kind verwandt ist, lassen sich solche Gespräche nicht vermeiden. Für die sozialen Väter in diesen Familien kann das eine unwillkommene Erinnerung sein, dass ihr Partner oder ihre Partnerin eine genetische Verbindung zu ihrem Kind hat und sie selbst nicht. Bei heterosexuellen Paaren teilt die Mutter die genetische Verbindung mit einem anderen Mann. Manche Familien gehen mit dem Problem in der Weise um, dass sie die Verhaltensweisen hervorheben, die das Kind von seinem sozialen Vater übernommen hat, etwa die Ausdrucksweise oder bestimmte Eigenheiten. Andere erkennen offen an, dass das Kind Fertigkeiten oder Eigenschaften von einem dritten, abwesenden Elternteil mitbekommen hat, häufig wenn das Kind ein besonderes Interesse an oder ein besonderes Geschick für etwas an den Tag legt, wofür keiner der beiden Eltern je eine Begabung gezeigt hat. Manche Paare halten die verbreitete Annahme, dass viele Samenspender Medizinstudenten sind, die Geld brauchen, für einen Vorteil, weil es in ihren Augen die Chance erhöht, ein kluges Kind zu bekommen. Viele Paare versuchen, einen Spender zu finden, der äußerlich dem sozialen Vater ähnlich ist, um auf diese Weise das Kind und den nichtbiologischen Vater so nahe zueinanderzubringen, wie es unter diesen Umständen möglich ist – damit es den Anschein hat, als bestünde doch eine genetische Beziehung zwischen Vater und Kind. Die Sozialwissenschaftlerin Lucy Frith hat in einer Untersuchung über nichtbiologische Väter in den Vereinigten Staaten herausgefunden, dass nichtbiologische lesbische Mütter neben Gesundheit die Interessen des Samenspenders als wichtigstes Auswahlkriterium nannten, während nichtbiologische Väter physische Merkmale wie Hautfarbe, Körperbau und Größe nannten. Dieser deutliche Unterschied zwischen den Geschlechtern wird vielleicht verständlich, wenn man bedenkt, dass die nichtbiologische soziale Mutter nicht verleugnen kann, dass sie mit ihrem Kind genetisch nicht verwandt ist, während der nichtbiologische Vater versuchen kann, die Grenzen durch möglichst große physische Ähnlichkeit mit dem Kind zu verwischen.

Die komplexen Überlegungen, die Väter mit Kindern von Samenspendern anstellen müssen, damit sie sich in ihrer Rolle als sozialer statt biologischer Vater wohlfühlen, hängen zum Teil damit zusammen, dass wir als Gesellschaft Probleme damit haben, diese Rolle zwischen zwei oder mehr Menschen aufzuteilen. Bei den Aché, den Nāyar und den heutigen Bewohnern Südafrikas unterstützt die Gesellschaft den Gedanken der verteilten Vaterschaft – viele Väter, sozialer und biologischer Vater oder beides – als vollkommen normal, aber bei uns im Westen erhalten soziale Väter keine derartige Bestätigung. Wahrscheinlich entscheiden die individuelle Persönlichkeit und die individuellen Erfahrungen in Verbindung mit den Wünschen und Ansichten der weiteren Familienmitglieder darüber, wie ein westlicher sozialer Vater seine Rolle ausfüllt. Am einen Ende des Spektrums erkennen die Väter freudig den Spender und seinen Beitrag zur Familie an, am anderen Ende finden es manche Väter schwierig zu akzeptieren, dass jemand anderer bei der Zeugung ihres Kindes beteiligt war. Das kann so weit gehen, dass ein Paar die Entscheidung trifft, seinem Kind nichts über die Umstände seiner Zeugung zu erzählen und ihm das volle Wissen über seine Ursprünge vorzuenthalten. In den letztgenannten Fällen machen sich Väter oft Sorgen, dass das Kind seinen sozialen Vater nicht mehr als Elternteil ansieht, wenn es die Geschichte seiner Zeugung kennt, oder dass eine Begegnung von biologischem und sozialem Vater die Sicherheit des sozialen Vaters in seiner Rolle beeinträchtigen könnte. Wie immer die Entscheidung ausgeht, die wahren Verhältnisse aufzudecken oder nicht, unbestreitbar ist, dass es eine emotional und psychisch komplexe Aufgabe ist, die oft dem Zeitgeist zuwiderläuft, im Westen die Rolle des sozialen Vaters zu erfüllen. Soziale Väter verdienen unsere Empathie, Anerkennung und Unterstützung.

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