Papa werden

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Uns Menschen zeichnet unsere außerordentlich intensive Kooperation aus. Denken wir nur daran, wie oft am Tag wir mit jemand anderem zusammenarbeiten, um ein Ziel zu erreichen. Wir kooperieren, um lebenswichtige Ressourcen wie Nahrung und Wasser zu finden oder zu produzieren, um die Fertigkeiten und das Wissen zu lehren und zu erlernen, um erfolgreich zu sein, um Handel zu treiben und unsere Kinder großzuziehen. Eine der wichtigsten Formen der Kooperation ist die zwischen genetisch Verwandten oder innerhalb der Sippe. Diese Verwandten- oder Sippenselektion bedeutet, dass wir für unser eigenes Überleben davon profitieren, wenn wir anderen helfen, mit denen wir blutsverwandt sind. Der entscheidende Punkt ist nicht, dass wir, wenn wir unseren Verwandten helfen, selbst Hilfe erwarten können, sobald wir in Not sind, obwohl das häufig zutrifft. Wichtig ist vielmehr, dass wir die Gene teilen, und wie jeder gute Evolutionsbiologe weiß, kommt es letztlich auf das Überleben der Gene an. Das ist mit dem Konzept des »egoistischen Gens« gemeint, das Richard Dawkins in seinem 1976 erschienenen Buch so bezeichnet und erforscht hat: Die Erbeinheit, auf die die Evolution einwirkt, ist nicht das Individuum, sondern das Gen. Indem wir Verwandten bei der Versorgung ihrer Kinder helfen, sichern wir das Überleben der Kinder und damit zugleich das Überleben von Versionen unserer eigenen Gene. Es versteht sich von selbst, dass es umso vorteilhafter für einen Menschen ist, anderen bei der Aufzucht ihrer Kinder zu helfen, je näher die Blutsverwandtschaft ist, weil auch die Zahl der gemeinsamen Gene umso größer ist. Deshalb ist es fast universell so, dass sich nach den Eltern die Großeltern am meisten um die Kinder kümmern.

Unsere weibliche Vertreterin von Homo ergaster hätte in ihrer schweren Stunde wohl Hilfe bei ihren Verwandten gesucht. Ob es ihre Mutter gewesen wäre, ist fraglich, weil wir nicht wissen, ob unsere Vorfahren lange genug lebten, um das Alter von Großeltern zu erreichen. Trotz vieler Jahrtausende der Evolution lag das Alter bei der Menopause immer bei rund 50 Jahren, und es gibt bemerkenswert wenige bis gar keine Skelettfunde (Anthropologen können stundenlang über diese Frage diskutieren – wir sind schon ein seltsames Volk), die dieses Alter aufweisen. Aber wir wissen, dass es irgendwelche weiblichen Verwandten gegeben haben wird. Und woher wissen wir das? Weil die Evolution sparsam ist, das heißt, sie erreicht ihr Ziel immer auf dem am wenigsten komplizierten und/oder am wenigsten kostspieligen Weg. Vom Energieaufwand her ist es weniger kostspielig, mit einer Person desselben Geschlechts zu kooperieren als mit einer Person des anderen Geschlechts. Ich denke, das können wir alle nachvollziehen. Wenn wir mit jemandem desselben Geschlechts kooperieren, nutzen wir die gleiche Tauschwährung, und deshalb sind Akte der Kooperation leicht zu verfolgen. Selbst unter Verwandten erwartet man, dass Kooperation mehr oder weniger wechselseitig erfolgt – du kratzt mir den Rücken, und ich werde dir den Rücken kratzen –, deshalb ist es wichtig, den Überblick zu behalten, damit nicht einer oder eine immer Hilfe leistet. Und je leichter es ist, den Überblick zu behalten, desto weniger Gehirnleistung ist nötig, und desto weniger kostbare Energie wird verbraucht. In der Frühzeit unserer Spezies haben im Zusammenhang mit Kindern die Frauen die gleiche Art von Handlungen getauscht: solche, die mit der Sorge für das Kind und seinem Schutz zusammenhingen. Männer kooperierten aus anderen Gründen – sie halfen vielleicht mit dem Kind, weil das ihre Chancen erhöhte, der nächste Partner der Mutter zu werden, eine deutliche andere Währung. Der Wechselkurs zwischen beiden Währungen war unglaublich schwer zu kalkulieren, und deshalb entschied die Evolution, dass wir solche Formen des Austauschs nur dann machten, wenn es unbedingt nötig war. In der Folge wandten sich Mütter in erster Linie an andere Frauen, wenn sie Hilfe brauchten.

Und so zog unsere Vertreterin von Homo ergaster ihre Kinder mit der Hilfe ihrer weiblichen Verwandten groß, ihrer Schwestern, Cousinen und sogar ihrer älteren Töchter. Wie wir wissen, reichte über eine Million Jahre diese Hilfe aus, aber etwa vor 500.000 Jahren vergrößerte sich das Gehirn zum zweiten Mal erheblich, und damit wurden die Energiekosten für die Aufzucht eines Kindes erneut zu groß. Dieser Sprung bei der Größe des Gehirns bis auf fast die 1300 Kubikzentimeter, die es heute hat, bedeutete, dass die Zeitspanne der kindlichen Abhängigkeit noch länger wurde und der Bedarf an sehr energiereicher Nahrung – in dem Fall Fleisch – noch drängender. Bis dahin waren unsere Vorfahren eher zufällig an Fleisch gelangt; manchmal hatten sie die Risse von Raubtieren geplündert, und manchmal (das klingt sehr viel aufregender) schnappten sie einem lauernden tierischen Räuber seine Beute vor der Nase weg. Diese Ad-hoc-Methode reichte eindeutig nicht mehr aus, und besser planbare, erheblich weniger gefährliche Methoden, an diese lebenswichtige Ressource zu gelangen, mussten entwickelt werden, um das enorm große Gehirn zu ernähren. Es ist kein Zufall, dass parallel zum Homo heidelbergensis mit dem größeren Gehirn auch erste archäologische Belege für die Verwendung von Jagdspeeren auftauchen. Und nicht irgendwelche Wurfgeräte, sondern 1,50 Meter lange, perfekt gearbeitete hölzerne Wurfspeere wie jene über 300.000 Jahre alten Exemplare, die im niedersächsischen Schöningen gefunden wurden. Homo heidelbergensis war nicht nur ein guter Jäger, sondern auch ein hervorragender Handwerker.

Es reichte nicht mehr aus, dass die weiblichen Verwandten, die wahrscheinlich alle ihre eigenen kleinen Kinder betreuten, sich zusammentaten und allein ihre Kinder aufzogen. Verlässliche Quellen für Fleisch mussten erschlossen werden, um die sich schnell entwickelnden Kleinkinder zu ernähren und die Mütter mit der richtigen Nahrung zu versorgen, die für das Austragen und Stillen ihrer Kinder mit den großen Gehirnen immer mehr Energie brauchten. Jemand anderer musste einspringen, um das Überleben der Art zu sichern, jemand, der die Zeit, die Energie und das Geschick besaß, auf die Jagd nach Fleisch zu gehen und effiziente Werkzeuge für die Jagd und die Verarbeitung der Beute zu produzieren. Jemand, der nicht durch die kräftezehrende Aufgabe der Fortpflanzung behindert wurde, aber trotzdem durch die genetische Verwandtschaft mit eingebunden war. Jemand, der eine Feuerstelle bauen – die archäologischen Zeugnisse zeigen einen sprunghaften Anstieg von Feuerstellen um diese Zeit – und das Feuer kontrollieren konnte, was es ermöglichte, das erbeutete Fleisch zu garen und damit für den kindlichen Magen besser verdaulich zu machen. Jemand, der die Aufgabe übernehmen konnte, die Fertigkeiten der Werkzeugproduktion und die Regeln der Jagd an die heranwachsenden Kinder weiterzugeben. Und jemand, der, als die Jagd immer komplexer wurde, die lebenswichtigen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten vermitteln konnte, die für den Erfolg bei der Jagd und für den Erfolg des Kindes in der größeren sozialen Welt so entscheidend waren. Aus der Einleitung zu diesem Kapitel wissen wir, dass dieser Jemand der Papa war.

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Anders als bei unseren Cousins, den Menschenaffen, ist bei uns der Größenunterschied zwischen den Geschlechtern relativ gering. Männer sind ungefähr 1,1-mal so groß wie Frauen, männliche Gorillas dagegen mit dem 1,75-Fachen fast doppelt so groß wie weibliche. Männliche Gorillas sind so viel größer, weil sie ihren Harem von Weibchen, die Junge haben, gegen andere Männchen verteidigen müssen. Wir Menschen haben hingegen die letzte halbe Million Jahre weitgehend in monogamen Paarbeziehungen gelebt, bei denen beide Geschlechter wählen, mit wem sie zusammen sein wollen; Männer müssen nicht mit physischer Kraft viele Frauen zusammenhalten, die wenig Mitsprache haben, wer ihr männlicher Partner sein wird. Der geringe Größenunterschied spielt bei der Entwicklung des menschlichen Vaterseins eine sehr wichtige Rolle. Die Evolutionsanthropologin Dr. Cathy Key vom University College London hat in einer sehr gründlichen Untersuchung diesen Größenunterschied zwischen den Geschlechtern herangezogen, um zu errechnen, wann die menschliche Vaterrolle entstand. Bei den meisten Arten sind die männlichen Tiere deutlich größer als die weiblichen und die Kosten der Reproduktion für ein männliches Tier deutlich höher als für ein weibliches, weil ein Männchen einen großen Körper ausbilden und erhalten muss, um erfolgreich Zugang zu Partnerinnen zu bekommen. Bei den Menschen hingegen sind die Reproduktionskosten für einen Mann sehr viel geringer als für eine Frau. Es ist nicht wesentlich aufwendiger, einen großen Körper auszubilden und zu erhalten, als es für die Frau ist, ein Baby auszutragen und zu stillen. Key kalkulierte, dass es sich unter diesen Umständen für einen Mann zunächst lohnte, Energie zu investieren und der Frau bei der Aufzucht ihrer Kinder zu helfen, selbst wenn es nicht seine waren, um damit die Chance zu erhöhen, dass sie ihn als Vater für ihr nächstes Kind auswählte. Doch da die Evolution die Verwandtenselektion bevorzugt – in erster Linie jenen helfen, mit denen wir genetisch verwandt sind –, entwickelte sich rasch ein zweites Stadium, in dem die Männer ihre Partnerin »bewachten« (»Mate-Guarding«). Das bedeutete, dass der Mann die ganze Zeit in der Nähe seiner Partnerin blieb, damit er zur Stelle war, wenn sie das nächste Mal fruchtbar wurde – was sich bei Menschenfrauen gar nicht leicht feststellen lässt –, und die Gelegenheit zur Paarung ergreifen konnte. Die Kehrseite für den Mann war, dass er sich nicht mehr nach anderen Partnerinnen umsehen und die promiskuitive, aber potenziell sehr produktive Paarungsstrategie aufgeben musste. Das reduzierte die Zahl seiner lebenslangen Nachkommen und machte es umso wichtiger, dass die Nachkommen, die er hatte, erwachsen wurden und seine Gene weitergeben konnten. In der Folge investierte er massiv in die Kinder seiner Partnerin, bei denen er sicher sein konnte, dass es seine Kinder waren, weil er praktisch nicht von ihrer Seite wich. Key hat errechnet, dass der Punkt in unserer Vorgeschichte, an dem das passierte – das heißt, an dem die Reproduktionskosten für die Frau sehr viel höher waren als die für den Mann –, mit dem Auftauchen des Homo heidelbergensis mit dem großen Gehirn, aber ähnlicher Körpergröße der Geschlechter vor einer halben Million Jahren zusammenfiel.

 

Und die Geschichte der Evolution über 500.000 Jahre hinweg ist hauptsächlich aus drei Gründen immer noch wichtig für die Väter von heute. Erstens tauchten mit den ersten Vätern zwei Schlüsselmerkmale auf, die bis heute die Rolle des Vaters definieren, unabhängig davon, wo er lebt. Nämlich zu schützen und zu unterrichten. Im Lauf dieses Buchs werde ich immer wieder darauf zurückkommen, wie stark bei allen Vätern der Drang ist, das Überleben ihrer Kinder zu sichern und ihr Lernen zu fördern, insbesondere im Umgang mit der komplexen sozialen Welt, in der unsere Spezies lebt. Zweitens erfahren wir, dass Vatersein bei Menschen nicht einfach nur ein Nebenprodukt des männlichen Wunsches ist, sich fortzupflanzen, sondern dass es durch die natürliche Selektion ausgewählt wurde. Die Evolution ist fixiert auf Effizienz und wird eine Art nur dann auf den Weg einer komplexen Veränderung bei Verhalten oder Anatomie schicken, wenn das wirklich der einzige Weg ist, ihr Überleben zu sichern. Man könnte sagen, dass das Vatersein bei Menschen der Inbegriff einer solchen Veränderung ist. Es war eine weltbewegende Verhaltensänderung mit weitreichenden Folgen für unsere Spezies, und es wäre nicht selektiert worden, wenn es uns nicht beträchtliche Vorteile gebracht hätte. Schließlich und vielleicht am wichtigsten erzählt uns die Geschichte der Evolution, dass Vatersein angeboren ist und nicht erlernt wird, wie man uns oft weismachen will. Natürlich muss ein Vater all die praktischen Dinge lernen, etwa wie man die Windeln wechselt, ein Baby badet und füttert, aber das gilt für die Mutter genauso. Wer jemals beobachtet hat, wie eine frischgebackene Mutter versucht, mit dem Stillen zurechtzukommen, begreift, dass wir alle Zeit brauchen, um zu lernen, ein Elternteil zu sein. Aber der Instinkt für das Elternsein ist vorhanden, das habe ich ganz am Anfang meiner universitären Laufbahn erfahren.

Ich habe zuerst Anthropologie bei einem wunderbaren Primatenforscher namens Simon Bearder studiert. Er hatte sich einen Namen mit der Erforschung der kleinen, nachtaktiven Galagos in Afrika gemacht. In der ersten Vorlesung erklärte er, wie nahe verwandt wir mit unseren Cousins bei den Affen und Menschenaffen sind, und tatsächlich sind wir einfach Primaten mit einem ungewöhnlich großen Gehirn und unersättlicher Neugier, die uns dazu drängt, zu lernen und Dinge zu erfinden. Er erläuterte, dass das in vielerlei Hinsicht eine wunderbare Sache war, dass wir aber manchmal bei dem Versuch, immer besser zu werden, unsere grundlegenden Instinkte und Fähigkeiten ignorierten. Ein Bereich, in dem wir uns damit schadeten, war die Elternschaft. Wie zwei Väter in meiner Studie feststellten, ist Elternsein mit einer steilen Lernkurve verbunden, und am Anfang kann es sein, dass man Fehler macht. Aber der Instinkt, Vater zu sein, ist stark und wird den Mann letztlich auf den richtigen Weg führen:

Noah: Man macht Sachen verkehrt, aber solange man nicht wirklich Schaden anrichtet, ist es einfach unvermeidlich […]

Adrian: Als sie zu uns gekommen ist, vielleicht vier Tage später, setzten wir sie zum ersten Mal in ihren Buggy und machten einen richtig langen Spaziergang. Alle sollten unser wundervolles Kind sehen […] [Irgendwann sagten wir:] »Sieht sie nicht ziemlich rot aus?!« Eineinhalb Stunden später fragten wir uns: Haben wir sie ausreichend mit Sonnencreme eingecremt? Sie war ziemlich rosa! Und dann gab es den Tag, als wir sie im Park hin und her schwenkten, und weil wir nicht wussten, wie stark wir waren, haben wir sie ziemlich rumgewirbelt und dachten schon, wir hätten ihr die Schulter ausgekugelt! Das haben wir nie wieder gemacht.

Noah und Adrian, Papas von Judy (sieben)

Die Botschaft lautet: Hören Sie auf Ihren Bauch. Lauschen Sie auf Ihren inneren Primaten, und dann wissen Sie, wie Sie Ihr Kind am besten aufziehen. Alle Eltern sind anders und erreichen ihre Ziele im Umgang mit ihren Kindern auf unterschiedliche Weise. Aber ihre Anatomie, ihr Gehirn, ihre Gene und ihre Hormone wurden alle von der Evolution für das Elternsein angelegt. Der Instinkt und die Fähigkeit zum Elternsein sind da, man muss nur darauf achten. Das gilt auch für Väter.

In den weiteren Kapiteln dieses Buchs bleiben wir fest in der Gegenwart. Wir schauen uns an, wie die Evolution massiv darin investiert hat, Männer zu Vätern zu machen – neurologisch, genetisch, physiologisch und psychologisch –, und wie heutige Väter, wenn sie bei ihren Kindern bleiben, Vorteile sammeln, die nicht nur für sie selbst und ihre Kinder wertvoll sind, sondern für unsere Gesellschaft insgesamt. Aber die Botschaft aus unserer evolutionären Vergangenheit lautet: Väter sind nicht nur Anhängsel der Mütter, gelegentliche Babysitter oder Taschenträger. Sie sind das Ergebnis von 500.000 Jahren Evolution, und sie bleiben ein entscheidender Teil der Geschichte der Menschheit.

TEIL ZWEI

EMPFÄNGNIS UND SCHWANGERSCHAFT

KAPITEL ZWEI

BABYS IM SINN

Schwangerschaft, Identität und den Mutterleib umarmen

Es gibt die oft zitierte, aber schlecht belegte Meinung, Muttersein sei etwas Instinktives – Frauen sind dafür geboren, Kinder zu wollen, und perfekt dafür ausgestattet, sich um Kinder zu kümmern. Als Mutter von zwei kleinen Töchtern kann ich versichern, dass es nichts Instinktives ist. Ich werde nie die steile Lernkurve nach der Geburt meiner ersten Tochter vergessen, als es eine so unüberwindliche Aufgabe schien, für ein Neugeborenes zu sorgen, dass ich es nicht einmal schaffte, mir die Zähne zu putzen oder die Spülmaschine auszuräumen. Und dabei hatte ich einen Vorsprung gegenüber meinem Ehemann. Schwangerschaft, Geburt und Stillen sind intensive emotionale und physische Erfahrungen; wir Frauen schwimmen dabei in einem Meer wundervoller Hormone, die dazu da sind, unseren Körper auf die Mutterschaft vorzubereiten, die Schmerzen und das Trauma der Geburt zu lindern, und die uns motivieren, schnell eine tiefe Bindung zu unseren Neugeborenen aufzubauen – lebenswichtig, damit wir uns trotz des Schlafmangels und der ständigen Forderung nach Nahrung weiter um sie kümmern. Väter hingegen haben keine derartigen Erfahrungen, die sie unterstützen, und zumindest oberflächlich betrachtet könnte es scheinen, dass die neun Monate der Schwangerschaft an dem werdenden Vater weitgehend spurlos vorbeigehen, abgesehen von ein paar anstrengenden Besuchen bei Ikea und Versuchen, ein Kinderbett zusammenzubauen. Scheinbar kann der Prozess, ein Elternteil zu werden und eine Bindung zum Kind zu entwickeln, für Väter erst richtig nach der Geburt beginnen.

Wann wird ein Mann zum Vater? Schauen wir uns die Möglichkeiten an. Es könnte an dem Tag sein, an dem er den Wunsch nach einem Kind ausdrückt. Oder im Augenblick der Zeugung. Vielleicht passiert es auch in der Schwangerschaft, wenn ihm dämmert, dass er eine neue Identität annehmen muss. Oder es beginnt erst mit der Geburt. In diesem Kapitel will ich untersuchen, was während der Schwangerschaft mit einem Vater passiert. Ich betrachte seine Biologie, seine Psychologie und sein Verhalten. So versuche ich zu verstehen, wie er das entscheidend wichtige Band zu seinem ungeborenen Kind aufbaut, wie er mit seiner Partnerin zusammenarbeitet, um ein Elternteam zu werden, und wie er seine neue Identität als »Papa« entwickelt. Lange Zeit meinte man, ein Mann würde erst zu einem Vater, wenn er sein neugeborenes Kind im Arm hält und die Beziehung zu dem Baby beginnt. Bis dahin war die Schwangerschaft etwas, das eindeutig einer anderen Person widerfuhr. Aber wäre es so überraschend zu hören, dass angesichts der folgenreichen Veränderungen in Anatomie und Verhalten, die Ursache und Folge des Entstehens der Vaterschaft waren, die Evolution auch dafür gesorgt hat, dass die Papas schon vor der Geburt fest in die Familie eingebunden wurden?

Das Hormon Oxytocin hat eine vielfältige Rolle. Gebildet wird es von einer kleinen Ausstülpung an der Unterseite des Gehirns, der sogenannten Hirnanhangdrüse, und im Körper erfüllt es mehrere wichtige Aufgaben. Es ist verantwortlich für den Beginn der Wehen, für die Milchproduktion und die Bildung und Beweglichkeit der Spermien – alles wichtige Etappen bei der Reproduktion. Aber seine wahre Macht entfaltet Oxytocin im Gehirn. Denn Oxytocin ist das Schmiermittel bei der Entstehung neuer Bindungen: zwischen Liebenden, zwischen Eltern und Kind, zwischen engen Freunden. Es wirkt ein bisschen wie Alkohol, baut Hemmungen ab, neue Partnerschaften einzugehen, und sorgt dafür, dass Sie quer durch einen Raum marschieren, um mit dem Objekt Ihrer Begierde ein Gespräch zu beginnen. Wir alle haben einen Grundspiegel des Hormons, und dass der von Individuum zu Individuum variiert je nach genetischer Ausstattung und Umgebung, bedeutet, dass wir alle unterschiedlich darin sind, wie wir mit unserer Schüchternheit umgehen und wie wir uns in neue Beziehungen stürzen. Das gilt auch für die Beziehung zwischen Vater und Kind. In späteren Kapiteln werden wir sehen, wie die jeweiligen Eigenschaften eines Mannes sich auf sein Verhalten als Vater auswirken und darauf, wie leicht er eine Bindung zu seinem Baby herstellt.

Oxytocin arbeitet außerdem eng mit einem weiteren wichtigen neurochemischen Botenstoff zusammen, dem Dopamin. Dopamin wird oft als Belohnungshormon bezeichnet und wirkt in einem Teil des Gehirns, das Belohnungszentrum heißt; die Freisetzung von Dopamin verursacht intensive Glücksgefühle und Euphorie. Der Genuss beim Essen von Schokolade oder dem liebsten Snack – das ist Dopamin. Dopamin und Oxytocin haben eine wunderbare Arbeitsbeziehung, besonders wenn sich eine neue Bindung bildet. Erstens machen sie in Kombination das Gehirn plastischer, das heißt, es wird leichter, seine neuronale Struktur zu verändern – entscheidend wichtig, wenn man neue Erinnerungen abspeichern oder neue Fakten über jemanden lernen will. Zweitens ergänzen sich Oxytocin und Dopamin richtig gut. Ich beschreibe ihre Beziehung gern als »guter Cop« und »begeisterter Cop«. Dopamin – der begeisterte Cop – verleiht uns den Elan und die Motivation, vom Sofa aufzustehen und eine neue Beziehung einzugehen. Aber Begeisterung kann manchmal bedeuten, dass die feineren Aspekte bei der Bildung einer Beziehung im Eifer des Gefechts untergehen. Das Oxytocin – das unsere Angstkreisläufe unterbricht und unsere Bindungskreisläufe verstärkt (die uns motivieren, Beziehungen zu knüpfen und zu erhalten) – dämpft die extremeren Auswirkungen von Dopamin auf unsere Konzentrationsfähigkeit und verschafft uns die nötige Ruhe im Kopf, damit die Beziehung funktioniert.

Viele Jahre lang galt Dopamin wegen seiner Verbindung mit Geburt und Stillen als das weibliche Liebeshormon, aber in letzter Zeit ist klar geworden, dass seine Rolle bei männlichen Beziehungen genauso wichtig ist wie bei weiblichen. Und es ist entscheidend für die Bildung des Elternpaars. Aktuelle Forschungen haben gezeigt, dass Väter und Mütter, die während der Schwangerschaft zusammenleben, ähnliche Oxytocinspiegel im Blut aufweisen. Leiterin des Teams, das das herausgefunden hat, ist Professor Ruth Feldman, Entwicklungspsychologin an der israelischen Bar-Ilan-Universität. Feldman und ihre Forschergruppe haben wohl die meisten und die wichtigsten Erkenntnisse zu unserem Wissen über die neurochemischen Seiten der Vaterschaft beigetragen. Sie sind eine herrlich vielfältige Gruppe, und ihre Studien zur Neurobiologie und Neurologie der Vaterschaft waren zusammen mit den Beiträgen der Psychologie und Verhaltenswissenschaft wegweisend für unser Verständnis, was Vatersein heißt. Aber für diese erstaunliche Synchronisierung der Oxytocinspiegel von werdenden Müttern und Vätern – ein schlichter Zufall war ausgeschlossen, weil die Übereinstimmung praktisch bei allen Paaren auftrat – hatten auch Ruth Feldman und ihr Team keine eindeutige Erklärung. Sie wussten nur, dass es etwas über die fundamentale Bedeutung des Elternpaars für das Kind aussagte. Ihre vielen Stunden Verhaltensbeobachtung brachten sie zu der Vermutung, dass dieses neurochemische Phänomen etwas mit den Parallelen im Verhalten zu tun haben könnte, die wir bei eng verbundenen Liebespaaren beobachten – die gleichen Sätze, Gesten und ihre spiegelbildliche Körpersprache. Sie stellten fest, wenn zwei Menschen in einer engen, unterstützenden Beziehung sind, schlägt sich das oft in einer gemeinsamen Sprache, spiegelbildlichen Bewegungen und einer Reihe von synchronisierten Messwerten nieder – den sogenannten physiologischen Markern – wie Herzfrequenz, Körpertemperatur und Blutdruck. Für dieses Phänomen prägten sie den Begriff verhaltensbiologische Synchronie. Das Team formulierte die Hypothese, die Übereinstimmung der Oxytocinspiegel bei werdenden Eltern lasse sich erklären, wenn man die Beobachtung der verhaltensmäßigen und physiologischen Synchronie noch einen Schritt weiter führe und annehme, dass diesem engen Zusammenhang ähnliche Muster der Gehirnaktivität und ähnliche Hormonniveaus zugrunde lägen einschließlich der Hormone, die für unsere langfristigen Beziehungen wichtig sind. Es scheint, als habe die Evolution dafür gesorgt, dass schon vor der Geburt Papa und Mama darauf vorbereitet werden, ihrem Baby mit der gleichen Einstellung gegenüberzutreten, indem sichergestellt wird, dass sie die gleiche neurochemische Belohnung erhalten. Diese Studie befindet sich wie viele andere Studien zum Vatersein noch in einem frühen Stadium, aber es sieht so aus, als könnte dieser Mechanismus den engen Zusammenhang der Oxytocinspiegel bei werdenden Eltern erklären. Und diese Tendenz zur Synchronie beschränkt sich nicht auf den neurobiologischen Bereich. Auch die psychische Verfassung angehender Eltern verändert sich grundlegend.

 

Bei der Persönlichkeit eines Menschen lassen sich fünf vorherrschende Merkmale unterscheiden, in der Psychologie bekannt als die »Big Five«. Das Konzept wurde in den 1970er-Jahren von zwei Forscherteams entwickelt, die unabhängig voneinander zu den gleichen Ergebnissen kamen. Es basiert auf der Analyse Hunderttausender Persönlichkeiten und postuliert, dass jede Persönlichkeit, unabhängig von Sprache und Kultur, auf fünf wesentliche Elemente reduziert werden kann: Extraversion (der Wunsch nach Beziehungen, Erlebnissen und Spaß – der klassische Partygänger), Offenheit (der Wunsch, neue Erfahrungen zu machen), Verträglichkeit (Einfühlungsvermögen in andere), Neurotizismus (Angst und ein gesteigertes Gefühl der Bedrohung) und Gewissenhaftigkeit (die Fähigkeit zu organisieren, zu planen und sich an Regeln zu halten). Alle Persönlichkeiten enthalten diese Elemente in unterschiedlichem Grad, und offensichtlich – allerdings wird darüber noch diskutiert – bleibt die Persönlichkeit das ganze Leben über weitgehend unverändert. Doch die praktischen und verhaltensmäßigen Veränderungen, die mit einer so umwälzenden Erfahrung wie dem Eintritt in die Elternrolle einhergehen, scheinen einen positiven Bruch zu bedeuten. Wie beim Oxytocinspiegel erfahren werdende Eltern, die während der Schwangerschaft zusammenleben, eine Veränderung ihrer Persönlichkeit, die sie auf eine gemeinsame Linie bringt.

Ich weiß aus meinen eigenen Untersuchungen, dass sich die Persönlichkeiten von Vätern verändern können – bisher geduldige Männer werden ziemlich ungeduldige Väter, und ein ehemals schüchterner Mann kann durch die Vaterrolle neues Selbstvertrauen gewinnen. Aber Sarah Galdiolo und Isabelle Roskam von der Katholischen Universität Leuven in Belgien haben klare Belege gefunden, dass diese Veränderungen bei Vätern ihre Widerspiegelung bei den Müttern haben. In einer Langzeitstudie mit 204 Elternpaaren, die sie von der Schwangerschaft bis ein Jahr nach der Geburt des Kindes begleiteten, stellten sie im Vergleich mit Nichteltern fest, dass sich Eltern bei den Persönlichkeitsmerkmalen Offenheit, Verträglichkeit und Neurotizismus einander anglichen. Diese drei Faktoren spielen eine Rolle dabei, dass ein Mensch auf das achtet, was bei einem anderen Menschen vorgeht, und bereit ist, sich auf den anderen einzustellen; sie sind von grundlegender Wichtigkeit für das Funktionieren einer Familie. Indem sich die Persönlichkeiten von Mama und Papa teilweise synchronisieren, werden sie darauf vorbereitet, wahrzunehmen, was im jeweils anderen vorgeht, offen für die Erfahrungen mit einem Baby zu sein und Gefahren für die Familie zu erkennen. Nehmen wir Nigels Bericht als Beispiel:

Es gab Zeiten, da sagten [meine Freunde]: »Wir gehen am Freitagabend aus, was trinken und so, du kannst gerne mitkommen, aber wahrscheinlich geht es nicht wegen Poppy.« Und ich habe mich dabei ertappt, wie ich gedacht habe, dass es gar nicht so sehr daran liegt. Ich will meine Freunde immer noch sehen, und es ist nicht so, dass das nicht mehr geht. Ich werde einfach älter, ich habe ein Kind und fühle mich verantwortlich für sie. Es ist nicht so, dass ich nicht gehen darf, ich möchte einfach nicht, dass Liz zu Hause ist und sich um Poppy kümmert, während ich mit meinen Freunden unterwegs bin, einfach nur in die Kneipe gehe, um was zu trinken. Es ist kein besonderer Anlass. Das kann ich jederzeit tun, und in der Zeit jetzt sollte ich zu Hause sein, weil Poppy sich jeden Tag verändert.

Nigel, Papa von Poppy (sechs Monate)

Galdiolo und Roskam haben noch mehr herausgefunden: Während Mama und Papa bei diesen auf die Familie ausgerichteten Persönlichkeitsmerkmalen auf einer Linie lagen, verhielt es sich bei dem Element, das sie dazu bringt, Spaß und Belohnung außerhalb der Paarbeziehung zu suchen – Extraversion –, anders. Bei Frauen veränderte sich mit der Mutterschaft dieser Persönlichkeitsaspekt nicht, aber bei Männern nahm die Bedeutung dieses Merkmals für die Persönlichkeit deutlich ab. Sobald Männer sich auf dem Weg zur Vaterrolle befinden, verändert sich ihre Persönlichkeit so, dass die nach außen gerichtete Dimension weniger wichtig wird und sie mehr nach innen schauen, auf das Vertraute und die Geborgenheit – die Familie. Das Zitat von Nigel illustriert diese Persönlichkeitsveränderung perfekt. Bei einem werdenden Vater sagen uns diese faszinierenden Beispiele der biologischen und psychischen Synchronie und Asynchronie nicht nur, dass die Evolution will, dass das Elternpaar gemeinsam das Kind aufzieht, sondern dass der Vater schon während der Schwangerschaft nicht nur ein interessierter Zuschauer ist, sondern biologisch und psychologisch darauf vorbereitet wird, ein vollwertiges Mitglied des Elternteams zu sein.

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Ich habe die Wiege gebaut und das Kinderzimmer vorbereitet, ein paar Regale aufgestellt […] alles meine Arbeit. Es hat Spaß gemacht, es war mein Beitrag. Sie trägt das Baby aus, das kann ich nicht, aber ich kann mich um die ganzen praktischen Sachen kümmern […]

Tim, werdender Papa

Väter bauen das Nest. Wenn ich die Väter in meiner Studie wie Tim frage, was sie in der Schwangerschaft tun, um sich auf die Ankunft ihres Babys vorzubereiten, erzählen sie häufig Anekdoten, wie sie das Kinderzimmer streichen, Möbel aufbauen und aufwendig recherchieren, welcher Kinderwagen und welcher Kindersitz für das Auto die besten sind. Man könnte sogar sagen, dass der Kinderwagenkauf Väter ganz besonders begeistert, vor allem wenn die Anschaffung einer dreirädrigen Offroad-Version zur Debatte steht. Viele lachen vielleicht über diesen plötzlichen Anflug von Heimwerkergeist, doch dem werdenden Papa, der versucht, sich auf die Schwangerschaft einzustellen, kann diese Art, einen Beitrag zu leisten, helfen, sich beteiligt zu fühlen. Darüber hinaus sprechen viele Väter auch von ihrer wachsenden Beziehung zu dem Baby. Oft erzählen sie, wie sie dem Baby im Mutterleib etwas vorsingen oder mit ihm sprechen oder vorlesen und wie sie sich freuen, wenn das Baby mit Bewegungen darauf reagiert. Viele malen sich aus, wie ihr Kind aussehen wird und was sie gemeinsam unternehmen werden.