Das Mysterium der Wölfe

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Nun richtet sich auch Rachel auf und packt mich an den Schultern: „Hätte er denn eine so viel größere Chance, wenn wir ihm helfen würden?“

Ich schüttle den Kopf: „Nein, aber...“

Sie unterbricht mich: „Kein Aber! Wir müssen jetzt taktisch klug handeln, verstanden? Kannst du dich noch an die Inschrift erinnern? Es ging um Zusammenhalt und dieser wird gerade auf die Probe gestellt. Wenn Jake es schaffen sollte, an Logans Gewissen zu appellieren, wird er vielleicht wieder der Alte.“

Erneut widerspreche ich ihr: „Das ist viel zu gefährlich! Was, wenn die Sache schiefgeht? Jake könnte verletzt werden, oder schlimmer!“

Rachel nickt: „Ich weiß, aber es ist unsere einzige Chance!“ Rachel hat recht. Auch wenn mir der Gedanke missfällt, Jake muss da jetzt allein durch.

Er wirkt ist entschlossen und bestätigt Rachels Plan von Weitem mit einem Nicken. Dann wendet er sich Logan zu, der bereits vor ihm steht: „Dann mal los!“ Diesmal ist Jake derjenige, der den ersten Schritt macht. Er läuft auf Logan zu. Dieser reagiert sofort und will Jake einen Schlag verpassen. Zum Glück kann er ausweichen. Die Bewegungsabläufe der beiden sind unglaublich. Es folgen mehrere Angriffe mit Klauen und Zähnen von Logan, denen Jake aber geschickt ausweichen kann. Ich selbst zucke bei jeder Bewegung zusammen. Natürlich weiß ich, was Jake draufhat. Er ist unser bester Kämpfer. Dennoch kann ihn ein falscher Schritt den Kragen kosten. Logan ist ein würdiger Gegner.

Wieder folgt ein heftiger Angriff von Logan, der mit seiner Pfote ausholt und sie mit voller Wucht gegen Jake schleudern will. Im allerletzten Moment duckt er sich. Logans messerscharfe Klauen rasen nur wenige Millimeter über Jakes Kopf hinweg. Dann geht alles blitzschnell. Jake drückt sich vom Boden ab, nutzt die Wucht des Sprungs und verpasst Logan einen rechten Haken mitten ins Gesicht.

„Volltreffer!“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich Rachels Euphorie teilen soll, denn Logans Reaktion verläuft anders als erwartet. Auch wenn Jakes Schlag perfekt gesessen hat und mit Sicherheit eine enorme Wucht draufhatte, scheint es Logan wenig auszumachen. Er schüttelt lediglich den Kopf und sieht Jake wütend in die Augen. Dieser passt für einen kurzen Augenblick nicht auf.

„Weg da! Jake, du musst...“ Mir stockt der Atem, als ich merke, dass meine Warnung bereits zu spät kommt. Ohne Rücksicht beißt Logan in Jakes rechten Oberschenkel und rammt seine messerscharfen Zähne in sein Fleisch. Ich will loslaufen und ihm helfen, aber Rachel hält mich wieder zurück. Egal, wie sehr ich mich wehre, sie lässt meinen Arm nicht los. Jakes gellender Schrei geht mir durch Mark und Bein. Ich spüre ein Stechen in meiner Brust. Der Kampf ist entschieden.

Mit einem Mal reißt Logan seinen Kopf nach hinten und Jake verliert den Boden unter den Füßen. Logan dreht sich um die eigene Achse und schleudert Jake gegen eine Kristallwand. Jakes letzter Hilfeschrei verstummt mit dem Aufprall seines Körpers. Er fällt zu Boden und rührt sich nicht mehr.

„Jake!“ Nun kann mich nichts mehr zurückhalten. Ich reiße mich von Rachel los und laufe zu meinem Freund, der hilflos am Boden liegt.

Rachel will mir gerade nacheilen, als ich plötzlich einen dumpfen Ton höre. Ich drehe mich nicht um, höre aber, dass Rachel plötzlich eine andere Richtung einschlägt. Dann vernehme ich ihr entsetztes Rufen: „Chris! Bist du verrückt? Du kannst doch nicht einfach da runterspringen!“

Es folgt Christophers Stimme: „Bring mich zu ihm! Ich muss ihm doch helfen!“ Endlich erreiche ich Jake und werfe mich vor ihm auf die Knie. Von diesem Moment an sind alle anderen Geräusche um mich ausgeblendet. Mein Herz pocht mir bis zum Hals, als ich auf Jake hinabschaue, der mit dem Gesicht zu Boden liegt. Sein Bein blutet und ich bin mir nicht sicher, ob er atmet. Ich versuche, mich zu beruhigen, ohne Erfolg. Behutsam drehe ich Jake auf den Rücken. Er hat die Augen geschlossen. Ich befürchte das Schlimmste.

„Alles wird gut, Jake. Du kommst wieder auf die Beine.“ Ich fahre mit der linken Hand unter seinen Kopf, um ihn aufstützen zu können. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als ich spüre, dass sein Hinterkopf feucht ist. Schnell ziehe ich meine Hand wieder zurück und schaue entsetzt darauf. Blut. Jake ist hart mit dem Hinterkopf gegen die Wand geschlagen. Er hat die volle Wucht des Aufpralls abbekommen. Mir wird schwindelig. Nein, ich darf jetzt nicht aufgeben!

Ich atme tief durch, bevor ich meine Hand wieder unter Jakes Kopf platziere. Diesmal ziehe ich sie nicht mehr weg. Dann stütze ich mit der anderen Hand seinen Rücken. Langsam und vorsichtig richte ich ihn nun auf. Nur keine falsche Bewegung. Vorsichtig ziehe ich Jake zu mir und halte ihn fest. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter.

Ich streiche ihm sanft über das Gesicht: „Jake, bitte mach die Augen auf! Du darfst mich nicht verlassen! Was mache ich denn ohne dich? Bitte öffne deine Augen.“ Eine Träne kullert über meine Wange und tropft auf Jakes Stirn.

Plötzlich zucken seine Augenlider: „Jess.“ Er wacht auf! Mein Herz schlägt nun noch heftiger, als Jake die Augen öffnet. „Jessica? Was ist passiert?“

„Du lebst!“ Voller Erleichterung drücke ich ihn an mich. Nun kann ich weitere Tränen nicht zurückhalten.

„Jake!“ Ich blicke hoch und sehe Rachel neben mir stehen, die Chris stützt. „Was für ein Glück!“

Chris schaut erleichtert auf ihn herab: „Ich hatte schon gedacht, mit dir wäre es aus, mein Freund.“ Jake sieht die beiden verdutzt an. Er scheint nicht zu begreifen, was gerade vorgeht. Den Kopf noch immer auf meiner Schulter liegend reibt er sich die Augen. Dann starrt er ins Leere. Er versucht, sich zu erinnern.

Ich frage besorgt nach: „Alles in Ordnung?“ Jake zuckt zusammen, als er meine Stimme hört. Langsam und verunsichert blickt er nun in meine Richtung, bis er mir in die Augen sieht. Plötzlich macht sich Panik in seinem Gesicht breit. Er sieht mich an, als würde ich ihm etwas antun wollen. „Was ist denn los, Jake?“ Er beginnt zu zittern. Was soll das Ganze?

Plötzlich springt er auf: „Mir geht es gut! Ich bin in Ordnung!“

Verwirrt knie ich noch vor ihm: „Das hat aber gerade noch anders ausgesehen. Bist du dir sicher?“

Schnell nickt er: „Ja, vollkommen sicher! Komm bloß nicht...“ Er zögert. Doch plötzlich kneift er die Augen fest zusammen und brüllt mich an. „Fass mich einfach nicht mehr an, okay?“ Erschrocken und völlig durcheinander weiche ich zurück. Dreht er denn jetzt völlig durch? Auch Chris und Rachel sind fassungslos.

Kopfschüttelnd suche ich Blickkontakt zu ihm: „Ich wollte dir doch nur helfen. Ich habe mir Sorgen um...“

Mit lauter Stimme unterbricht er mich: „Darum habe ich dich nicht gebeten! Ich brauche deine Hilfe nicht! Lass mich einfach in Ruhe!“ Jetzt reicht's mir aber!

Wütend springe ich auf: „Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt? Was habe ich dir denn getan?“ Er schweigt und blickt zu Boden. „Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede! Ich will eine Antwort!“

Es folgt ein finsterer Blick: „Die kennst du doch schon.“

„Ich weiß nicht, was du...“ Dann fällt es mir ein. Nein, das kann doch nicht sein Ernst sein, oder etwa doch? „Ist es, weil ich eine Schattenwölfin bin? Das ist doch der Grund, nicht wahr?“ Wieder schweigt er. „Antworte!“

Bevor Jake etwas sagen kann, geht Rachel dazwischen: „Jetzt beruhigt euch! Das Ganze bringt doch nichts!“

Sofort zische ich sie an: „Halt dich da raus, Rachel! Das ist eine Sache zwischen mir und ihm!“ Überrascht macht sie wieder einen Schritt zurück. Ich wende mich an Jake. „Also ist es jetzt der Grund, oder nicht? Sag schon! Ich will es wissen!“ Noch immer folgt keine Antwort. „Verdammt nochmal, rede endlich!“

„Ja, es stimmt!“ Schockiert starre ich in seine Augen, die mich nun so finster und wütend ansehen, wie noch nie. „Das ist es doch, was du hören willst, oder etwa nicht?“ Er blickt zu Boden. „Aber es ist wahr. Du hast etwas Dunkles in dir, Jessica.“ Nun fixiert er wieder meine Augen. „Du bist nicht gut. Mir ist klar, dass du es dir nicht aussuchen kannst, aber es ist nun einmal so.“ Ich kann es nicht fassen. Das von Jake zu hören, von dem ich geglaubt habe, dass er immer zu mir hält, ist wie ein Stich ins Herz.

Ich stammele vor mich hin: „Aber...“ Hilflos schaue ich zu Chris und Rachel. Dann richte ich meinen Blick wieder auf Jake.

Er schüttelt kühl den Kopf: „Vielleicht ist es nun leichter, da du es weißt. Du bist eine Gefahr für das Rudel und für dich selbst. Das ist auch der einzige Grund, dass ich dich noch um mich habe. Es ist meine Aufgabe, dich im Auge zu behalten, nicht mehr und nicht weniger.“ Das hat gesessen. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Auf einmal bin ich so kraftlos, so schwach. Zuvor war ich noch so wütend auf Jake, aber jetzt bin ich nur noch verzweifelt. Was soll ich jetzt bloß tun?

Plötzlich mischt sich Chris ein: „Jake, willst du ihr nicht die Wahrheit...“

Doch Jake unterbricht ihn sofort: „Sei still!“ Chris befolgt diese Anweisung augenblicklich, während Jake den Kopf schüttelt. „Es gibt nichts mehr zu sagen.“ Er geht schweigend an mir vorbei, als Rachel sofort zu mir eilt und schützend den Arm um mich legt. Sie sagt zwar nichts, aber das wäre jetzt auch sinnlos. Auch wenn sie versuchen würde, mich aufzumuntern, das würde nichts nützen.

„Was soll das werden, wenn ich fragen darf?“ Chris sieht erschrocken zu Jake, der von uns weghumpelt. Auch Rachel und ich drehen uns nun in seine Richtung, um zu sehen, was er vorhat.

Jake dreht sich nicht um: „Na was wohl? Irgendwie müssen wir doch endlich von hier wegkommen, oder etwa nicht?“ Schnurstracks bewegt er sich auf Logan zu, der das ganze Spektakel aus sicherer Entfernung beobachtet hat.

 

Nun fällt sein Blick wieder auf Jake: „Hast du noch nicht genug?“ Jake scheint wieder gegen Logan kämpfen zu wollen. Er kann noch nicht einmal richtig laufen. Wenn ihn Logan noch einmal erwischt, dann ist er erledigt. Aber das kann mir mittlerweile sowieso egal sein.

„Bist du wahnsinnig?“ Chris will ihm nacheilen, aber ich halte ihn zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er mich an.

Ich schüttle nur den Kopf: „Lass ihn doch. Er will es nicht anders. Außerdem könntest du in deinem Zustand sowieso nicht viel ausrichten.“ Entrüstet blickt Chris zu Boden. Er sieht wohl ein, dass ich recht habe. Rachel macht keine Anstalten, von meiner Seite zu weichen. Also verfolgen wir die Situation aus sicherer Entfernung.

Jake ist nun vor Logan angekommen und bleibt starr vor ihm stehen: „Hier bin ich. Bring die Sache endlich zu Ende.“ Hat er etwa schon aufgegeben?

Auch Logan ist ziemlich überrascht: „Du willst dich also gar nicht wehren? Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?“ Jake antwortet nicht. „Aber du bist doch sonst nicht so.“ Wie war das? Zweifelt Logan etwa? Er scheint sich zu erinnern! Langsam erkennt er Jake wieder!

Plötzlich tönt Saphirs entsetzte Stimme von der Plattform herab: „Was soll das? Erledige ihn endlich! Das ist deine Chance!“

Logan zögert noch immer: „Ich weiß nicht, ob...“ Er schaut auf Jakes verwundetes Bein und dann in dessen Gesicht. Etwas in ihm scheint sich zu wehren. „Ich kann nicht! Er ist mein Freund!“

Saphir beginnt zu brüllen: „Nein! Das ist nicht möglich!“ Plötzlich zuckt Logan zusammen und verwandelt sich wieder in einen Menschen.

Verwirrt sieht er sich um: „Was ist geschehen? Wo bin ich? Ich kann mich nicht erinnern.“

Mit einem Lächeln im Gesicht legt Jake seine Hand auf Logans Schulter: „Willkommen zurück.“

Logan blickt auf Jakes Wunde: „Was ist mit dir passiert? War ich das etwa?“ Seine Erinnerung scheint zurückzukommen. „Es tut mir so leid. Ich war nicht ich selbst.“

Gerade will Jake etwas sagen, als ihm Saphirs donnernde Stimme zuvorkommt: „Du Narr! Hättest du meine Befehle befolgt, wärst du am Leben geblieben! Jetzt werdet ihr alle sterben!“ Mit lautem Gebrüll springt sie von ihrem Vorsprung herab und arbeitet sich Stück für Stück nach unten. Saphir will uns wohl endgültig an den Kragen. Jetzt ist Eile geboten!

„Schnell! Kommt her, ihr beiden!“ Auf Rachels Kommando stützt Logan Jake und sie laufen zu uns. Saphir hat schon beinahe den Boden erreicht.

Voller Panik wendet sich Chris an uns: „Und jetzt? Was sollen wir tun?“

„Ich habe einen Plan!“ Alle Augen sind auf Rachel gerichtet. „Die Inschrift! Sie ist der Schlüssel zum Erfolg! Nehmt euch sofort an den Händen!“ Keiner von uns weiß, worauf sie hinauswill. „Versteht ihr denn nicht? Es geht um Zusammenhalt! Also reicht euch jetzt die Hände!“ Jetzt verstehe ich, was sie meint! Natürlich, Rachel hat vollkommen recht! Haben Zweifel die Gewalt, so fehlt euch der Zusammenhalt. Das ist es! Also reiche ich Rachel sofort meine linke Hand, die sie im selben Moment mit der rechten packt. Sie nimmt Chris bei der Hand. Dieser packt danach Logan und er wiederum Jake. Nun haben wir ein Problem.

Logan fragt hektisch nach: „Worauf wartet ihr denn noch?“ Die Frage galt Jake und mir, denn wir beide stehen noch immer da, ohne uns die Hände zu reichen. Hätte er sich nicht neben jemand anderes stellen können?

„Jetzt macht schon!“ Auch Chris ist die Panik ins Gesicht geschrieben. Ich drehe mich um und sehe, dass Saphir den Boden bereits erreicht hat und mit aufgerissenem Maul auf uns zurast.

Jake schaut mir unentschlossen in die Augen. Dann hält er mir wortlos seine Hand hin und dreht das Gesicht weg: „Gib schon her.“

„Sicher nicht!“ Stur drehe auch ich mich weg.

Plötzlich drückt Rachel meine linke Hand mit aller Kraft: „Jetzt nimm endlich seine Hand! Wir haben keine Zeit für sowas!“

Ich schüttle den Kopf: „Eher sterbe ich!“ Ist mir egal, was die anderen von mir halten. Hier geht es um weit mehr. Jake ist für mich gestorben. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich hasse ihn!

Nun schreit mich Chris an: „Hier geht es aber nicht nur um dich, sondern um uns alle!“ Und diese Worte sind es, die mich letztlich überzeugen. Ohne länger zu zögern, lege ich meine Hand in Jakes. Plötzlich schießen rundum uns vier dünne Kristallwände aus dem Boden, die über uns zu einer Pyramide zusammenlaufen. Mit einem lauten Knall läuft Saphir frontal gegen eine der Wände und wird durch die Wucht des Aufpralls zurückgeschleudert. Das war Rettung in der letzten Sekunde.

Doch die Gefahr ist noch nicht vorüber. Der Boden bebt. Ich drücke Rachels Hand immer fester, als wir plötzlich zu Boden gedrückt werden. Ein Blick durch die Kristallpyramide genügt, um festzustellen, dass wir uns mit hoher Geschwindigkeit nach oben bewegen.

„Wir knallen an die Decke!“ Christophers Schreie sind das Letzte, was ich vor dem lauten Krach des Aufpralls höre. Dann wird alles um mich dunkel.

Mein Kopf schmerzt. Was ist bloß geschehen? Ich kann mich nur noch an den Aufprall erinnern. „Ist jemand verletzt?“ Logans Stimme bringt mich dazu, die Augen zu öffnen. Was ich sehe, haucht mir neue Lebensgeister ein. Ist das tatsächlich der Himmel? Wir sind im Freien! Mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor, seitdem ich das letzte Mal Tageslicht gesehen habe. Etwas so Vertrautes und Selbstverständliches für einige Zeit nicht um sich zu haben, kostet Kraft. So fühlt es sich nun noch viel besser an, die Wärme der Sonne auf der Haut zu spüren.

Rachel reißt mich aus meinen Gedanken: „Ich bin nur leicht verletzt.“ Vor lauter Panik und Wut habe ich die Wunde an meinem Arm kaum noch gespürt. Jetzt merke ich jedoch, dass mich Logan mit seinen Klauen schwer erwischt hat. Ein Blick hinab lässt mich den Schmerz aber sogleich wieder vergessen, als ich meine rechte Hand sehe. Jake, der bewusstlos am Boden liegt, hält sie noch immer fest. Augenblicklich überkommt mich dieselbe Wut von vorhin. Ich kann mich noch genau an Jakes Worte erinnern. An jedes einzelne. Schnell ziehe ich meine Hand weg von ihm und rücke ein Stück zur Seite.

Auf einmal höre ich ein Ächzen und Stöhnen neben mir: „Ich habe mich schon mal besser gefühlt.“ Der arme Chris. Völlig erledigt liegt er im Gras. Er hat sich eine Pause redlich verdient.

„Bei mir ist alles okay. Mein Arm blutet nicht mehr. In ein paar Stunden sollte das verheilt sein.“ Über mein derzeitiges seelisches Befinden schweige ich lieber.

Rachel richtet sich auf und deutet auf Jake: „Was ist mit ihm?“ Ich reagiere nicht. Chris und Logan zeigen ihre Unwissenheit durch ein Schulterzucken. „Jake, aufwachen! Wir sind endlich im Freien!“ Er zuckt kurz zusammen und rollt sich dann auf den Rücken. Dann schweift Jakes Blick über die Umgebung. Ich tue es ihm gleich. Aber das ist doch nicht etwa?

„Der Kristallwald!“ Mit einem Lächeln im Gesicht schaue ich mich weiter um. Wie konnte ich das erst jetzt bemerken? „Wir sind da! Das muss er sein!“ Als sich die anderen nun auch endlich orientieren, sind auch sie fassungslos. Es ist wahr. Wir sind tatsächlich im Kristallwald angekommen. Die Umgebung ist atemberaubend.

Die zahlreichen Bäume verschiedenster Größen und Formen bestehen vollkommen aus Kristall. Die Oberfläche der Stämme und Blätter schimmert im Sonnenlicht und lässt den ganzen Wald glitzern, einfach magisch.

„Endlich, wir haben es tatsächlich geschafft.“ Jake atmet erleichtert durch. Um uns liegen blaue Kristallsplitter. Das dürften die Reste der Pyramide sein, die uns vor Saphir gerettet hat. Irgendwie müssen wir mit ihr durch die Decke der Kuppel gekracht sein und schließlich sind wir hier angekommen. Kein Wunder, dass es keinen Ausgang gab. Die Höhle muss immer weiter nach unten geführt haben. Der einzige Ausweg war der Weg nach oben. Zum Glück haben wir die zweite Prüfung geschafft.

Auch Chris hat sich nun wieder aufgerichtet und sitzt mit einem erleichterten Grinsen neben mir: „War ein ganz schön hartes Stück Arbeit, aber wir haben es schließlich geschafft. Auch wenn es zum Schluss schon etwas brenzlig wurde.“

Dies war das Stichwort für Rachel, die nun mit verschränkten Armen vor mir steht: „Ja, die Sache wäre beinahe ins Auge gegangen.“ Plötzlich wird sie lauter. „Was war bloß los mit dir, Jessica? Wegen dir hätten wir es um ein Haar nicht geschafft!“ Ich meide ihren Blick und blicke schuldbewusst zu Boden. Im Nachhinein betrachtet war meine Sturheit idiotisch. „Eines steht fest, so kann das nicht weitergehen, Leute!“ Rachel ist sauer, verständlicherweise.

Nun mischt sich auch Logan ein: „Ich bin voll und ganz deiner Meinung.“ Er wendet sich an Jake und mich. „Euer Streit von vorhin hätte uns fast den Kragen gekostet! Wieso seid ihr plötzlich so ausgerastet?“ Demonstrativ schweige ich.

Rachel schüttelt genervt den Kopf: „Egal, was es ist, wir müssen die Sache schleunigst klären. Ich will auf keinen Fall in noch so eine Situation kommen.“

Kleinlaut antwortet ihr Jake: „Da gibt es nichts zu klären.“ Er wagt es nicht einmal, in meine Richtung zu schauen. Ist vielleicht auch besser für ihn.

Ohne mir meine Wut anmerken zu lassen, stimme ich ihm zu: „In der Hinsicht bin ich ausnahmsweise mal seiner Meinung.“

Plötzlich schreit uns Rachel an: „Natürlich gibt es da was zu klären! Eine ganze Menge sogar!“ Sie atmet durch und beruhigt sich wieder etwas. „Was ist zwischen euch beiden vorgefallen, dass ihr euch so streitet? Ihr wart doch immer unzertrennlich.“ Tja, Zeiten ändern sich.

Da Jake dazu offensichtlich nichts zu sagen hat, übernehme ich die Antwort: „Es ist gar nichts vorgefallen. Von meiner Seite hat sich zwischen uns beiden nichts geändert, bis jetzt zumindest. Jake ist derjenige, dem klargeworden ist, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will.“

Überrascht wendet sich Logan an Jake: „Stimmt das?“ Alle warten gespannt auf seine Antwort. Er lässt sich viel Zeit damit.

Schließlich zuckt er mit den Schultern: „Ich habe dazu nichts mehr zu sagen.“ Er macht es mir alles andere als leicht, nicht die Beherrschung zu verlieren!

„Da hört ihr es!“ Ich springe wütend auf. „Er hält es nicht aus, mit einer Schattenwölfin zusammenzuleben! Das hat er doch selbst gesagt!“ Wieder schweigt Jake. Wie kann man nur so feige sein? Zuerst hält er große Reden und behauptet, dass ich eine Gefahr für das Rudel bin und nun bringt er nicht einmal den Mund auf!

Zutiefst in Rage versetzt will ich weggehen, als mich Chris, der noch immer am Boden sitzt, am Bein fasst: „Bitte geh jetzt nicht einfach, das bringt doch nichts.“

Ich schüttle den Kopf: „Das, was wir hier tun, bringt nichts! Wir alle sind völlig fertig. Es würde jetzt sowieso zu nichts führen, wenn wir weiterziehen. Ich bin weg.“ Mit einem Ruck reiße ich mein Bein los und marschiere in Richtung Wald.

Rachel ruft mir noch hinterher: „Wo willst du denn jetzt hin?“

Ohne mich umzudrehen, gebe ich ihr meine Antwort: „Nirgendwo!“ Und so laufe ich in den Wald. Ich will nur weg von den anderen, weg von Jake. Keine Ahnung, wo das alles noch hinführen soll, aber das ist mir im Moment egal. Ich muss mich abreagieren. Wer weiß, wozu ich in meiner Wut fähig bin?

Ich war lange unterwegs. Es ist mittlerweile Abend geworden und die Sonne geht langsam unter. Trotzdem bin ich kein bisschen müde. Die kleine Wanderung hat mich zwar etwas beruhigt, aber da ich nun nicht mehr wütend bin, überkommt mich ein anderes Gefühl. Trauer. Ich bin zutiefst verletzt. Nachdem ich wieder zu den anderen gestoßen bin, habe ich mir ein ruhiges Plätzchen gesucht, mich an einen Baumstamm gelehnt und da bin ich nun. Jake hat mich keines Blickes gewürdigt und auch ich konnte ihn nicht ansehen. Auch mit den anderen habe ich nicht gesprochen. Logan hat geschlafen, während Chris und Rachel bei ihm saßen und geredet haben. Rachel hat mir so unendlich leidgetan, als sie mich angesehen hat. Sie wollte bestimmt, dass ich zu ihr komme und ihr sage, dass alles wieder gut wird, aber dessen bin ich mir selbst nicht sicher.

Licht und Schatten. Wer macht diese Regeln eigentlich? Ich meine, wer bestimmt was Gut und was Böse ist? Bin ich so anders? Natürlich merke ich, dass ich mich verändert habe, seitdem ich weiß, wer ich wirklich bin. Ich bin stärker geworden und ich weiß, was ich will. Egal, was passiert, ich möchte nicht zu einem Monster werden. Das war mir schon klar, als ich erfahren habe, dass ich eine Wölfin bin. Die Tatsache, dass ich eine Schattenwölfin bin, gibt mir in dieser Hinsicht noch mehr Kraft. Jake hat mit seiner Ansprache unten in Saphirs Höhle sogar noch einen draufgesetzt. Ich will ihm und auch mir selbst nun noch mehr beweisen, dass ich anders bin. Egal, was alle anderen sagen, ich werde immer dieselbe Jessica sein. Niemand wird das je ändern.

 

„Jess.“ Ich erschrecke, als plötzlich Christopher neben mir steht. War ich so in Gedanken versunken? Ich habe ihn gar nicht kommen hören. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Freundlich wie immer grinst er mich an. Wer könnte da schon nein sagen? Ich nicke also und er setzt sich neben mich. Schweigend starrt er in den rötlichen Abendhimmel.

Ich lehne meinen Kopf zurück an den Baum und beginne zu sprechen: „Warum bist du hier?“

Er wirkt überrascht: „Muss ich denn einen Grund haben, um mit einer guten Freundin den Sonnenuntergang zu genießen?“

Schulterzuckend schaue ich nun auch in den Himmel: „Nein, trotzdem würde ich gut verstehen können, wenn du lieber nicht hergekommen wärst. Du und die anderen seid bestimmt sauer auf Jake und mich.“

Wieder grinst er mich an: „Ach was, ist doch halb so wild. Ihr beiden habt euch eben mal ordentlich in die Haare gekriegt, was tut das schon zur Sache? Jeder streitet mal, dafür ist die Versöhnung dann umso schöner.“ Ich habe Christopher schon so oft um seinen Optimismus beneidet. Er ist durch und durch gut. In Jakes Augen muss er das genaue Gegenteil von mir sein.

Wenn man vom Charakter ausgeht, müsste Chris eigentlich der Lichtwolf sein, nicht Jake. Wir beiden schweigen wieder. Ich lasse mir Christophers Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Versöhnung. Ob sich Jake und ich je wieder vertragen werden? Wenn ich ehrlich bin, möchte ich im Moment noch gar nicht an Versöhnung denken.

Traurig senke ich den Kopf: „Weißt du, ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass sich Jake und ich je wieder vertragen werden. Er hat so viele Dinge gesagt, die er nicht zurücknehmen und die ich nicht vergessen kann. Auch wenn ich es möchte und glaub mir, das will ich wirklich, ich werde mich immer daran erinnern.“

Chris nickt verständnisvoll: „Ja, was er gesagt hat, war schon ziemlich heftig. Trotz allem glaube ich, dass euch das beide nur stärker macht.“ Ich weiß nicht mehr, was ich darauf sagen soll. Was hat Chris bloß vor? Will er mich etwa dazu bringen, Jake zu verzeihen? Aber was sollte das nützen? Jake selbst will nichts mehr von mir wissen. Der Konflikt geht von beiden Seiten aus. Ich bin mir sicher, dass Christopher irgendetwas weiß. Er ist aus einem bestimmten Grund zu mir gekommen.

Wird wohl Zeit, ihn zur Rede zu stellen: „Was wird das hier, Chris? Wir wissen beide, dass du mir irgendetwas sagen willst. Raus mit der Sprache.“ Er sieht mich erstaunt an.

Dann beginnt er wieder zu grinsen: „War ja klar, dass ich dir nichts vormachen kann. Du kennst mich eben schon zu gut. Ja, du hast recht. Ich bin zu dir gekommen, weil ich dir etwas sagen will, oder besser gesagt muss.“ Hab ich es doch gewusst!

Stellt sich nur noch eine Frage: „Raus damit, was willst du mir sagen?“

Chris zögert noch etwas: „Du musst mir vorher versprechen, dass du keinem sagst, dass ich mit dir darüber gesprochen habe. Besonders Jake darf es nicht erfahren. Der bringt mich um, wenn er es rausfindet.“ Die Sache wird immer spannender. Klingt so, als ob es wirklich wichtig wäre. Ich brenne darauf, es zu erfahren.

Also gut: „Ich verspreche dir, dass das unter uns bleibt. Keine Sorge, ich plaudere nichts aus.“ Mit einem Lächeln im Gesicht schaue ich Chris tief in die Augen. Er scheint mir zu glauben und nickt. „Gut, dann erzähl es mir. Was hast du auf dem Herzen?“

Chris holt tief Luft, bevor er dann zu sprechen beginnt: „Du musst wissen, dass Jake und ich uns wirklich gut verstehen. Er ist mein erster Anlaufpartner, wenn ich irgendwelche Probleme habe und umgekehrt. In letzter Zeit war aber er eher derjenige, der meine Hilfe gebraucht hat, denn ihm geht es schon seit einiger Zeit ziemlich mies wegen dir.“ Die Wortwahl war nicht gerade freundlich, weshalb ich eine Augenbraue hochziehe. „Tut mir leid, das war etwas unglücklich formuliert. Versteh mich bitte nicht falsch. Ihm geht es nicht schlecht, weil du irgendetwas falsch gemacht hast.“

Ich vollende seinen Satz: „Sondern, weil ich eine Schattenwölfin bin.“

Sofort unterbricht er mich: „Nein, oder ja. Es ist kompliziert. Besser, du hörst mir erst mal zu und denkst dann darüber nach, okay?“ Ich nicke. „Gut, denn du solltest wissen, dass Jake sich aus gutem Grund so merkwürdig dir gegenüber verhält. Er macht sich große Sorgen um dich, glaub mir.“

Wieder lasse ich ihn nicht ausreden: „Wenn er sich wirklich so sehr um mich sorgt, hat er eine komische Art, das auszudrücken. Es wirkt eher so, als ob er mich aufgrund meiner Herkunft hassen würde.“

Chris übernimmt wieder: „Das ist genau, was er versucht! Und ihm gelingt es, wie es scheint.“ Was meint er bloß? Ich will endlich wissen, worauf Chris hinauswill. „Jake hat eine üble Vermutung. Er glaubt, dass die Schattenwölfin in dir versuchen wird, Überhand zu nehmen und als Lichtwolf spürt er, dass das bereits im Gange ist.“ Da könnte durchaus was dran sein. Kyrion hat mich bereits gewarnt, dass ich mich unter Kontrolle haben sollte. Ich habe schließlich ein Training absolviert, um mich im Griff zu haben.

Ich schüttle den Kopf: „Das macht trotzdem keinen Sinn. Jake hat von Kyrion gelernt, wie er reagieren soll, wenn ich mich nicht mehr unter Kontrolle haben sollte. Er weiß, wie er mich vor mir selbst beschützen kann. Wieso bleibt er dann auf Abstand?“

Auch darauf scheint Chris eine Antwort zu haben: „Er glaubt, dass er selbst dafür verantwortlich ist, dass die Schatten in dir größer werden. Laut seiner Theorie treibt der Gegensatz zwischen dir und ihm die Schattenwölfin aus dir heraus. Er vermutet, dass dir seine Gegenwart nicht guttut, da er ein Lichtwolf ist.“

Ungläubig frage ich nach: „Und das glaubt er wirklich?“ Chris nickt. „So ein Unsinn! Wie kommt er denn darauf? Seine Gegenwart hat mir bisher immer nur gutgetan. Erst seitdem wir zu streiten begonnen haben, merke ich, dass ich immer wütender werde. Laut Kyrion treiben schlechte Gefühle wie Wut, Angst oder Zweifel das Böse in mir an. Jake war bisher immer mein rettender Anker, den ich jetzt nicht mehr habe.“

„Ich verstehe.“ Chris blickt nachdenklich in den Himmel. „Das ist gut, das ist sogar sehr gut, Jess!“ Woher kommt diese plötzliche Euphorie? „Ist dir klar, was das bedeutet? Jake hat sich geirrt!“

Ich zucke mit den Schultern: „Ändert das wirklich so viel?“

Er nickt eifrig: „Natürlich tut es das!“ Dann denkt er nach. „Jetzt müssen wir allerdings klug vorgehen. Jake darf auf keinen Fall erfahren, dass ich mit dir gesprochen habe. Er könnte glauben, dass das alles nur gelogen ist, damit er sich wieder mit dir verträgt. Jetzt ist das richtige Timing gefragt.“

Noch weiß ich nicht, was genau er vorhat: „Wie willst du vorgehen?“

Auf einmal steht Chris auf und grinst mich an: „Lass mich das nur machen, Jess. Ich werde schon den richtigen Moment finden, um euch zeigen zu können, wie sehr ihr euch noch immer gegenseitig braucht. Du hast mir gerade die nötigen Informationen gegeben, die mir noch gefehlt haben, um alles wieder zurechtzurücken.“ So ist das also. Ich staune nicht schlecht. Chris ist als der vertrauenswürdige Freund zu mir gekommen, um sich alle restlichen Teile für seinen Plan zu sichern. Wie lange er sich wohl schon damit beschäftigt?

Der Gedanke lässt mich schmunzeln: „Du bist einfach unglaublich, Chris. Obwohl du andere Sorgen hast, kümmerst du dich dennoch mehr um die Freundschaft zwischen Jake und mir, als wir beide es tun. Ehrlich, du überrascht mich immer wieder.“

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