tristan & Ramona

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"Nach diesem Boxenstopp fuhren wir dann weiter, ich fand, ziemlich weit, raus aus der Stadt. Gerade lange genug, um ein bisschen Angst zu kriegen, allein mit einem wildfremden Typen, und ich ja auch null Ahnung hatte, wo wir eigentlich hinfahren und wie ich hinterher wieder zurückkomme. Schließlich bogen wir dann ab in so eine Art Feldweg, und wo wir dann schließlich anhielten, das war einfach nur so bäh, also wo du denkst, echt so: Müllplatz! Also kein bisschen romantisch. Es roch auch schon so, irgendwie so völlig verbrannt und gammelig, und ich dann auch null Bock hatte auszusteigen."

"Krass!", sagte Verena.

"Wir blieben also im Auto sitzen, und er fing dann an, so mucho complimenti und küssen, andaddeln und so weiter, alle Wellen."

"Hihi, andaddeln", rief Verena entzückt.

"Das war OK, aber auf mehr hatte ich da ehrlich gesagt dann auch schon keine Lust mehr. Wär in dem Auto wahrscheinlich auch gar nicht gegangen. Haben wir dann halt so ein bisschen geknutscht, und ich hab ihm dann noch einen... Naja, so 'n bisschen sein Ding gerubbelt halt, durch die Hose durch. Naja. So was halt." Sie zündete sich eine neue Zigarette an.

"Also ich fand das auf 'ne Art irgendwie... na, irgendwie auch fair, einerseits, nach dem ganzen Aufriss, den er veranstaltet hat. Und ich natürlich auch irgendwie so'n büschen... Na, Angst ist jetzt vielleicht zu viel gesagt. Aber dass er vielleicht sauer wird, wenn nun so rein gar nichts passiert. Und danach war er dann eigentlich ganz süß. Auf der Rückfahrt war's dann die ganze Zeit so bella, bellissima, amore, amore, il tuo marito, blablabla, all das Zeugs."

"Und jetzt bist du verlobt?", sagte ich grinsend.

"Hehehe, kann man so sagen. Morgen stellt er mich seinen Eltern vor."

"Mamma!", sagte Verena. "Bella ragazza di Germania."

"Nee, Quatsch! Natürlich nicht."

Wir saßen noch die halbe Nacht zusammen. Ellen war mächtig stolz auf ihr "adventura catanese" und sonnte sich auch in den nächsten Tagen noch ein bisschen in ihrem Erfolg. Andererseits hielt sie sich nach diesem "One-Night-Stand wie aus'm Witzfilm" spürbar zurück und verzichtete auf weitere Extratouren. Stattdessen blieb sie "lieber bei der Herde, wo die dottora auf uns aufpasst."

Ich hatte mir ja vorgenommen, auch im Urlaub was für die Fitness zu tun. In Catania gingen wir fast jeden Morgen laufen. Also Verena und ich. Wir standen gegen sieben Uhr auf und liefen eine dreiviertel Stunde, bevor es dafür zu heiß wurde. Wir liefen runter zum Hafen und raus auf die Mole. Natürlich war es auch morgens früh schon ziemlich warm, und uns rann der Schweiß in Strömen herunter.

"Da, schau!", sagte Verena, "Wet-T-Shirt-mäßig. Ziemlich geil, oder?"

"Ja, ziemlich geil", sagte ich und legte die Zungenspitze in den Mundwinkel.

"Wie so ein richtiges Work-Out-Luder, gell?"

Auf dem Rückweg lag dann strahlend in der Morgensonne Etna vor uns: riesig groß, beeindruckend, geheimnisvoll, majestätisch. Der Berg ist megafaszinierend. Wir sind allerdings trotzdem nicht hinaufgefahren, weil er zu der Zeit gerade wieder ziemlich aktiv war. Wir konnten nachts sogar von Catania aus den Feuerschein in der Gipfelregion sehen. Und da fühlt man sich ehrlich gesagt schon etwas beklommen.

Früh aufstehen ist scheiße, vor allem im Urlaub, aber andererseits war es auch jedes Mal ein tolles Gefühl, nach dem Laufen frischgeduscht am Frühstückstisch zu sitzen und sich wahnsinnig fit zu fühlen.

"Oarr, menno! Ich will auch joggen", jammerte Ellen dann immer, die meistens noch nicht einmal geduscht hatte. Aber sie kam morgens einfach nicht aus dem Bett.

"Sorry Leute, aber ich schaff's einfach nicht, wenn ich so dermaßen viel Sex on the Beach hatte wie gestern Abend."

Die Wahrheit ist, sie ist einfach zu faul. Obwohl sie sich immer Sorgen macht von wegen Hüftgold und ständig fragte, ob ihr Arsch schon fetter geworden wäre.

"Nah, i glaub net. Obwohl... Ach nee, nee, das war bloß ein Schatten. Oder? Was denkst du, Kleine?"

"Ha ha. Sehr. Witzig." Sie war nicht amüsiert, kriegte dann aber doch noch die Kurve. Elli ist ja furchtbar schnell eingeschnappt manchmal. "Ich brauch nun mal vorm Aufstehen immer erstmal so eine richtig schöne Morgen-Latte, sonst bin ich irgendwie kein richtiger Mensch".

Das mit der Morgenlatte war immer Ellens Standardspruch morgens. Sie liebt einfach solche kleinen Ferkeleien. Und das ist eigentlich auch schon immer so gewesen. Das war immer schon sie. Als Teenie hat sie immer Cock Monsieur gesagt statt Croque. Und schon seit Teenie-Zeiten träumte sie von jenem sagenhaften "Spontanfick", so wie in dem einen von Mamas feministischen Sexbüchern, aus denen wir uns immer gegenseitig vorgelesen haben. Und diesen Traum träumt sie immer noch. Und vor allem redet sie fortwährend darüber. Das hatte sich auch nicht geändert.

Mit dem Umzug nach Catania hat unser Urlaub noch einmal ganz neu angefangen. Wir hatten unsere tolle Wohnung. Wir verbrachten wunderschöne Tage am Strand. Und meistens herrschte megaschöne Stimmung zwischen uns, so fast ein bisschen wie frischverliebt. "Und abends brennt hier regelmäßig der Torf" (O-Ton Ellen).

Wir hatten unsere Lieblingsläden in Catania, wo wir immer hingingen. Aber vorher war natürlich erstmal Aufbrezeln angesagt. Und ein bisschen Vorglühen selbstverständlich auch.

Aufbrezeln war bei mir und Verena immer schnell erledigt, aber Ellen brauchte wie üblich ewig, bis sie mit sich und ihrem Outfit zufrieden war. Wenn sie aus dem Badezimmer rief: "I'll be ready in the flashiest of flashes", konnte man davon ausgehen, dass sie vielleicht in einer guten halben Stunde fertig sein könnte.

Verena und ich nutzten die Zeit, um uns mit einem Glas Rotwein auf den Balkon zu setzen und zu rauchen. Manchmal telefonierte sie auch mit ihrem Freund, diskret vom Schlafzimmer aus. Oder wir legten uns zusammen aufs Sofa und guckten italienisches Fernsehen.

Irgendwann kam dann Elli ins Wohnzimmer und stellte sich vor den großen Standspiegel. Sie hatte sich für den Abend ein Kleid von mir ausgeliehen und fand sich jetzt aber "viel zu moppelig" dafür.

"Oh fuck ey! Ich bin auf dem besten Wege, eine dralle Mittdreißigerin zu werden. Das ist der Tribut ans gute Leben. Ich kann echt nur hoffen, dass es auch dafür Connaisseure gibt, so nach dem Motto: Osgood Fielding der Dritte, für die ich dann trotzdem immer noch der Knaller bin."

"Uahahaha!"

"Kann doch sein. Allein schon wegen der Haare."

"Ich finde, du übertreibst maßlos", sagte ich.

"Meinst du mit Mittdreißigerin oder mit drall? Und bitte keine falschen Antworten jetzt."

"Ja."

"Du kannst eine Oder-Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten."

"Doch, habe ich gerade gemacht."

"Du bist einem auch keine Hilfe." Sie schüttelte mit den Händen ihre Haare auf. "Ich mache mir einfach Sorgen, ich könnte so langsam in dieses gewisse Älter kommen, wo frau sich ständig 'n Kopf macht, ob sie... Ey, was gibt es denn da so blöde zu lachen?"

"Dieses gewisse Älter, hast du gesagt", sagte ich lachend.

"Echt? Ah verdammt!" Elli musste dann auch lachen. "Scheiße Freud, du warst mal cool!"

Zum Abendessen gingen wir meistens ins Le due pescatrici ganz in der Nähe unserer Wohnung. Das Restaurant hat eine tolle sizilianische Küche, und außerdem konnten wir uns von unserer Lieblingskellnerin Francesca verwöhnen lassen, die, warum auch immer, einen kleinen Narren an uns gefressen hatte.

"Ah, herrlich", sagte Ellen. "Das Essen ist super und obendrein gibt's auch noch so viele hübsche Männers hier."

"Und schöne Frauen", sagte ich, weil just in diesem Augenblick Francesca mit unseren Getränken kam.

"Die macht hier bestimmt auch einiges mit", meinte Ellen, "bei den ganzen geilen Kerlen."

"O Francesca!", seufzte Verena und verdrehte verliebt die Augen.

"Und Weibern."

"Die Ärmste", sagte ich.

"Ja und nein. Also kann man so oder so sehen, find ich" sagte Ellen. "Find ich wirklich!"

Nach dem Abendessen zogen wir dann durch die Partyzone an der Piazza Bellini. Gingen für die ersten Drinks in die Bar Sport. Und landeten schließlich meistens im Paraluna, einem ultraschicken Night-Beachclub in der Nähe des Bahnhofs. Zweimal waren wir auch dancen im sub aqua club, dem angesagtesten Techno-Laden der ganzen Gegend, wo Elli und ich dann immer so ein bisschen unsere Jugend wiederauferstehen lassen konnten.

In den Clubs war es dann im Prinzip genauso wie am Strand. Wir wurden von "Ragazzos" belagert, so dass wir oft, wenn überhaupt, eigentlich nur den Eintritt zahlen mussten, die Drinks aber häufig spendiert bekamen. Für unsere Reisekasse war das natürlich super, auch wenn wir es eigentlich nicht nötig hatten zu sparen, als gut verdienende Akademikerinnen.

"Aber liebe Gewohnheiten soll man nicht ändern", meinte Ellen lakonisch.

Verena trug abends natürlich nicht ihren türkis schimmernden Bikini, sondern einen superkurzen Minirock.

"Grundgütiger!", sagte Ellen. "Also bei dem Rock musst du echt aufpassen, dass dir keiner auf die Weihnachtsinseln guckt."

"Pfff, und wenn schon! Sch'gal!"

"Ich schau dir in den Ausschnitt, Kleines", sagte Ellen.

"She's lookin' at you, kid", sagte Verena mit ihrem typischen kleinen Grinsen und zwinkerte mir zu, die Zungenspitze in den Mundwinkel gelegt.

Wir ließen uns durch den warmen Sommerabend treiben, mal hier mal dort. Mal ernsthaft, mal ausgelassen. Es waren wunderschöne Partynächte. Wir tanzten, wir hatten Spaß und führten gute Gespräche.

 

Und wir waren zusammen, das war die Hauptsache. Wir hüpften zu unserer Power-Hymne Cercavo amore auf dem Dancefloor herum. Wir lagen uns bei unserer Liebeskummer-Hymne Summertime Sadness in so einer Art Engtanz-Dreier in den Armen. Wir genossen unsere Togetherness. Wir redeten redeten redeten, rauchten, lachten und machten ohne Ende Quatsch. Bis irgendwann Elli dann aufsprang und uns zurück auf die Tanzfläche scheuchte.

"Ey, Mädels! Sie spielen unser Lied."

"Unser Vreni ist eine richtige Sex-Bombe, find ich", meinte Ellen mit Blick auf Verena, die gerade an der Schnapsausgabe stand, um neue Getränke zu holen. Ich nickte zustimmend. "Hörst du, Frau!", rief Ellen lauthals durch die Bar. "Du bist die Sex-Bombe vor dem Herrn!"

"Tss, was du immer redst", rief Verena und lachte.

"Meine Freundin Mariella hat mir gemailt", sagte Verena. "Sie ist gerad in Nepal, und sie schreibt, sie würde sich da durch alle Backpacker vögeln."

"Klingt interessant", sagte Elli. "Wo ist das genau?"

"Allerdings meint sie, die Typen dort wären scheiße."

"Hehehe, wir dagegen achten auf Qualität."

"Ist wahrscheinlich das typische Problem von Frauen über 30", sagte Verena mit einem kleinen Grinsen. "Sie ist nämlich gerad 30 geworden."

"Pass auf, was du sagst, Puppi", sagte Ellen. "Hier sind nämlich ausnahmsweise mal die alten Tanten in der Mehrheit, da kannst du dir nicht alles erlauben so wie zuhause. Und was dieses 30 angeht: Ja, ich bin ziemlich untervögelt. Und ja, ich werd sie alle ficken. Alle alle alle."

"Scheiße Leute, rauchen lässt die Haut altern", sagte Ellen und hielt uns ihre Zigarettenschachtel entgegen. "Guckt mal, da steht's: Il fumo invecchia la pelle."

"Na und", meinte Verena trocken, "auf meiner steht: Il fumo uccide. Ist auch nicht gerade schön."

"Was heißt ucc... Ah, schon klar." Ellen packte ihre Kehle mit der Hand und streckte die Zunge heraus. "Aber egal! Braucken Fortuna!"

"Braucken Fortuna per tutti!", sagte Verena und warf mir die Schachtel zu.

Im Paraluna lernten wir Paulina kennen, mit der wir uns dann ein bisschen angefreundet haben. Sie lebte schon seit drei Jahren hier unten. Sie hatte in Mailand Wirtschaft studiert und arbeitete jetzt in Catania, irgendwas mit Schifffahrt. Ich hatte sie zuerst für eine Einheimische gehalten, vom Aussehen her, so eher klein und dunkelhaarig.

"Nee, ich bin aus Schwerin", sagte sie lachend. "Und du? Bist du Italienerin?"

"Nee", sagte ich, "hundert Prozent Hamburg."

"Hätt ich echt gedacht", sagte sie lächelnd. "Ich hab gedacht, du bist bestimmt Italienerin. Wegen der Augen." Das war mir auf dieser Reise schon ein paar Mal passiert, dass Leute dachten, ich wäre eine Einheimische, und mich dann auf Italienisch ansprachen.

"Sie hat super Titten", meinte Elli später, als wir wieder unter uns waren. "Echt umwerfend, die Frau!"

"Ja, sie ist wirklich megahübsch", sagte Verena. Und das traf es eigentlich auch ganz gut.

Paulina hatte Ellen und mich zuerst für Schwestern gehalten, wie so viele Leute, wenn sie uns zum ersten Mal sehen. Sie fand, wir wären uns so ähnlich. Und vielleicht stimmt es ja auch. Das war auch schon früher immer so. Dabei ist Elli blond und blauäugig.

Durch Paulina bekamen wir natürlich viele Infos und Einblicke, wie man sie als Tourist normalerweise nicht bekommt. Sie konnte uns vieles erzählen und erklären, über Sizilien und Catania und über das Leben hier unten: über Arbeit und Nightlife im allgemeinen und sex life im Besonderen.

"Du kannst hier als Frau eigentlich alles machen, was du willst. Es ist schon ziemlich freizügig mittlerweile. Du musst nur echt aufpassen, dass du niemals diese unsichtbare Grenze des Anstands verletzt, weil sonst bist du plötzlich die puttana, das heißt Nutte, und dann bist du für viele Leute untendurch. Aber das ist ja bei uns eigentlich ganz genauso. Nur hier ist das eben noch mal viel strenger als bei uns."

Und von Paulina erfuhren wir auch, dass der Titel unserer Hymne auf Deutsch "Ich suchte Liebe" bedeutet.

"Na, das passt doch wie Faust aufs Auge", sagte Elli.

Nach der Renato-Sache war Elli etwas vorsichtiger geworden und stieg nicht mehr zu fremden Männern ins Auto. Aber natürlich baggerte und flirtete und knutschte und fummelte sie immer noch Abend für Abend wie eine Weltmeisterin.

"Man ist schließlich nur einmal jung", sagte sie. Und auf Verenas kritischen Blick hin fügte sie missmutig hinzu: "Und man wird schließlich auch nur einmal älter."

Bei der Wahl ihrer "Lustobjekte" war sie ziemlich wahllos. Es kam ihr glaub ich eher darauf an, dass etwas lief, und nicht so sehr auf das mit wem.

"Lowered expectations", trällerte sie. "Falls sich noch jemand erinnert."

"Das ist selbsterklärend", sagte ich. "Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass es mal so weit kommen würde."

"Ich mach's einfach wie weilend Fräulein Bumske." Und Verenas Blick so: Hä!?

"Das war eine Frau bei uns aus der Schule", sagte ich zur Erklärung.

"Unsere Oberstufen-Schlampe. Philomena Boomstra. Miss Blowjob 1998. Und das trotz Monika Luwinski. Ich glaub, die hat wirklich echt alles gebumst, was ihr über den Weg gelaufen ist: Lehrer, Schüler, Eltern. Männlein und Weiblein, wohlgemerkt." Sie lachte ihr dreckiges kleines Lachen. "Aber das lass ich heute mal aus, glaub ich."

Manchmal griff sie auch etwas daneben bei den Objekten ihrer Begierden, was für so leicht peinliche Situationen sorgte und manchmal auch ein korrigierendes Eingreifen meinerseits erforderlich machte.

"Mensch, hast du das Tattoo nicht gesehen?", fragte ich. "Der ist schwul."

"Nee. Nee, hab ich nicht gesehen", flüsterte sie. "Ich mein, sonst hätte ich mir das doch geschenkt, logisch!"

"Tut mir leid für dich!"

"Tut mir auch leid für mich."

"Flirttechnisch" lief also nach wie vor jede Menge bei ihr. Aber mehr passierte eben nicht, und das war auch gut so. Dafür sorgte auch nicht zuletzt der Schnaps. "Je später der Abend, desto voller die Gäste", pflegt Ellen immer zu sagen. Und das traf eben auch durchaus auf sie selbst zu. Alkohol hat bei Ellen schon immer als eine Art Selbstbegrenzungsmechanismus funktioniert. Ab einem gewissen Level ließ sie einfach niemand mehr an sich heran.

Auf Sizilien ist es in den Discos immer noch so: Irgendwann später des Abends kommt diese Phase, wo nur noch Engtanz-Mucke läuft, so Songs aus der Abteilung When a Man loves a Woman, wo ich dann am liebsten echt immer gleich hätte kotzen können. Oder irgendwelche Italoschnulzen, die bei uns kein Mensch kennt und auf die die Einheimischen immer voll abfahren. Wenn's so weit war, saß ich meistens schon allein am Tisch. Verena geisterte irgendwo im Club umher und jonglierte mit Wölfen, die sie als gehorsame Hündchen hinter sich her zog. Ab und an kam sie elfengleich vorbeigeschwebt, um nach mir zu schauen. Vielleicht auch, um mich zum Mitspielen zu verleiten. Elli hatte sich um diese Uhrzeit meistens schon wieder in irgendeinen Ragazzo verbissen und machte mit ihm auf der Tanzfläche rum.

Gegen spät wurde Elli dann immer ein bisschen sentimental, so wie üblich, und begann, wüste Geschichten "von früher" zu erzählen. Und das immer in dieser typischen Elli-Mischung aus absoluter Wahrhaftigkeit und maßloser Übertreibung, Aufrichtigkeit und Angabe.

"Wir waren so richtige Krawallschwestern damals. Allzeit bereit! Wie die kleinen Pfadfinderinnen, nur dass wir uns eher auf die Schandtaten spezialisiert hatten."

"Ich kann es mir lebhaft vorstellen", sagte Verena.

"Wieso waren?", fragte ich.

"Naja, für mich zumindest sind das doch mehr oder weniger tempi passati. Les jeux sont faits. Du hast eben einfach Glück gehabt, Soni, du hast noch so eine Art Verlängerung bekommen. Ach Gott, das ist echt ewig her, dass ich gekokst habe. Ewig. In Innsbruck wüsste ich nicht mal, wen man fragen könnte. Und als Tiroler Hipster-Mutti to be schickt sich des a net. Aber damals, wenn wir feiern gegangen sind: immer auf coke. Echt. Immer auf coke! A la cocaina sempre!" Sie lachte und klatschte mit beiden Händen auf ihre Oberschenkel. "War 'ne wilde Zeit. Wir waren echt so total krass unterwegs damals."

"Du vor allem", sagte ich.

"Right you are." Sie zeigte ihr breitestes Grinsen. "Und Soni hier wollte mich immer beschützen."

"Bullshit!" Ich hatte noch nie Lust darauf, wenn Ellen versuchte, mich in die Blöde-Große-Schwester-Ecke zu stellen.

"Ach komm! Das wolltest du schon immer", sagte sie und knuffte mir liebevoll auf den Oberarm. "Olle Spaßbremse", fügte sie lachend hinzu.

"Du kannst machen, was du willst. Das hast du schon immer gemacht."

"Weißt du noch, Soni, dies eine Mal, wo wir da in den Osten gefahren sind. Nach Melthin oder Melzin oder wie das hieß. Zu so'nem Rave, wo ein Kumpel/Lover von Patricia damals aufgelegt hatte. Wie alt waren wir da? 17, 18 sag ich mal. Na, schnurzenpurzenkackegal, so Mitte/Ende 90er irgendwann. Patsy hatte jedenfalls schon ihren Führerschein, und wir sind dann mit dem Auto ihrer Mutter da rübergefahren. Und auf der Party, ja... haben wir dann E genommen. Und ich war dann die ganze Zeit so richtig richtig auf Ecstasy-Flash, ja? Und die Mädels alle schon so: oarr, was macht die da jetzt schon wieder! Und auf der Rückfahrt dann, auf so'ner Tanke, ich so ferngesteuert wie so ein Zombie ein bisschen mir Sachen aus dem Regal genommen hab, als wollte ich die klauen. Sonia meinte dann hinterher, ich hätte mir immer so Schokoriegel genommen und reingebissen und die danach dann ins Regal zurückgelegt. Und ich hab das nicht gemerkt. Ich hab das nicht gemerkt! Der Mann von der Tanke war natürlich echt so voll abgenervt, logisch. Weil für den war das natürlich so: Da kommt so'ne Alte, die so völlig laa lala voll neben der Spur ist, und klaut ihm den ganzen Laden leer."

Verena hörte Ellis Geschichten immer mit großem Interesse und Amüsement. Aber sie war auch nicht wenig konsterniert, weil sie in den Tagen unserer Reise eine ganz neue Ellen kennengelernt hatte, die so ganz anders war als die, die sie aus Innsbruck kannte.

"Ich verstehe es net, echt net! Also ich meine: Ellen! Ellen, die bei den legendär-berüchtigten Partys bei uns am Institut nur alkoholfreie Cocktails trinkt. Und die hinterher dann die einzig Nüchterne ist, die alle nach Hause fährt."

"Abgründe tun sich auf", sagte ich grinsend. In dem Moment rief Elli vom Tresen aus "Huhuu!" und winkte zu uns herüber. "Nur dass in diesem Fall der Abgrund freundlich zurückwinkt."

Nach den Geschichten aus der Jugendzeit war es dann immer nur eine Frage der Zeit, ehe Ellen die Weltschmerz-Phase kriegte.

"Oje! Wahrscheinlich stimmt's einfach. Oversexed and underfucked. Heul!" Sie ließ den Kopf Richtung Tischplatte fallen. Elli neigt in diesen Stimmungen zu einer gewissen Theatralik. Aber es hat auch immer etwas sehr Rührendes. "Wer will noch was trinken? Schnaps ist der beste Freund der Frau. Und das auch nur solange du Geld hast." Sie durchwühlte ihre Handtasche. "Hat noch jemand Geld? Und Zigaretten? Zigaretten per favore! Brauken Fortuna subito!"

Was sie allerdings nicht davon abhielt, einen auf dicke Hose zu machen.

"Hehehe, nicht weglaufen, Jungs! Hier kommt jeder dran!", rief sie, während sie sich, schon schwer angeschickert, am Tresen festhielt. "Ich besorg es euch wie eine Mutter."

"Lasst uns lieber abhauen, bevor Ellen Super-MILF hier alle Männer verrückt macht" (O-Ton Verena).

Unsere Ausgeh-Abende beendete Ellen regelmäßig in einem Zustand, den sie selbst "lustrig betunken" nannte und Verena "sternhagelblau". Die allerdings selbst meistens ziemlich viel getrunken hatte, so dass ich wundersamerweise immer die Nüchternste war von uns dreien. Meistens stand Elli dann irgendwann mitten auf der Tanzfläche, mit einer Flasche Bier in der Hand, nickte mit dem Kopf im bzw. gegen den Rhythmus der Musik und machte dazu komische kleine Tanzschritte, die so aussahen, als hinge ihr der Slip auf den Knöcheln.

Mein Job war es dann, die beiden besoffenen Weiber irgendwie nach Hause zu bugsieren. Elli zeigt sich in solchen Situationen auch gern mal unkooperativ, aber das kenne ich ja bei ihr, damit komme ich klar. Ganz anders Verena: Sie gehört zu jenen seltenen Exemplaren von Mensch, die im betrunkenen Zustand genauso freundlich und charmant sind wie nüchtern.

 

"Komm, steh auf, wir gehen jetzt!" Ich versuchte, Elli hochzuziehen, die halb von der Sitzbank gerutscht war.

"Lass mich einfach hier liegen, Maus."

"Du kannst hier nicht liegenbleiben."

"Alles eine Frage der Perspektive, Maus", sagte Elli und ließ sich vollständig auf den Boden rutschen. "Alles eine Frage der Perspektive. Je nachdem ob du oben liegst oder unten. It's lonely at the top."

"On top!", gnickerte Verena. "Nur net so lonely, gell!" Und über solchen Quatsch konnten sich die beiden dann köstlich amüsieren.

Auf dem Nachhauseweg ging's dann so weiter. Ellen und Verena machten alles zwischen Quatsch und gefährlichem Blödsinn, und ich konnte zusehen, dass ich das Schlimmste verhütete. Und sagen wir mal so: Das Gute war, dass sie dabei keine zotigen Lieder gegrölt haben.

"Eujeujeujeujeu!", jammerte Elli. "Ich muss so dermaßen pissen, mir platzt gleich die Blase." Sie hockte sich zwischen zwei geparkte Autos und pinkelte in den vollgemüllten Rinnstein. Und musste sich danach dann auch gleich noch gepflegt übergeben.

"Ich halt dir die Haare", sagte Verena fürsorglich.

"Du Engel!" Elli saß auf ihren vier Buchstaben auf dem Bordstein und streckte die Arme nach Verena aus. "Lass mich dich küssen!"

"Und was hab ich davon?"

"Einen Kuss."

"Okay. Sounds fair."

Es war übrigens ein langer Kuss.

Singe mir, o Dichter, von der Schönheit betrunkener Frauen.

Am Morgen danach tat es Ellen dann immer furchtbar leid. Sie bedauerte die Exzesse der vergangenen Nacht, aber vor allem auch sich selbst, spätestens beim Blick in den Spiegel.

"Oarr, menno, ich seh echt aus wie die absolute Halbleiche!" Sie zog die Gesichtshaut Rich­tung Ohren und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge raus. "Es stimmt offensichtlich: Je älter man wird, desto weniger verträgt man. Man verträgt einfach nichts mehr im Alter."

Verenas Wunsch, überall, wo wir hinkamen, in die Oper zu gehen, ging nicht in Erfüllung. Sommerferien. Auch in Catania war das Opernhaus natürlich geschlossen. Wären wir erst im Herbst gekommen, hätten wir Rigoletto sehen können. So blieb uns nur die Besichtigung des wirklich eindrucksvollen Saales.

"Schade", sagte Verena. "Hätte ich gern gesehen, Rigoletto. Ich liebe Verdi."

"Ich auch", sagte ich. "Und als Stück finde ich Rigoletto wirklich bemerkenswert, weil es keinen einzigen sympathischen Charakter gibt."

"Ja, stimmt. Jetzt wo du's sagst."

"Außerdem frag ich mich immer: Woran stirbt Gilda eigentlich?"

"Na, sie wird umgebracht. Erstochen."

"Ja nee, klar wird sie erstochen. Oder ihr wird die Kehle durchgeschnitten, das bleibt offen. Aber dann, dann wird sie in einen Sack gesteckt, der später an Rigoletto übergeben wird. Und der entdeckt dann noch ein paar Stunden später, dass sie in dem Sack steckt und nicht der Herzog, wie er gedacht hat. Und da ist sie dann immer noch am Leben und hat Luft für eine ausgewachsene Arie."

"Also echt! Solche Fragen kann wirklich nur eine Ärztin stellen."

Wir sind ja beide ziemliche Opernfans, insofern hatten wir natürlich ein unerschöpfliches Thema. Verena hörte zurzeit gerade ständig La Traviata.

"Und das hat nichts mit Garys versnobter Familie zu tun", meinte sie lachend. "Oder vielleicht doch?"

Ihre Lieblingsheldin war allerdings nicht Violetta Valéry, sondern Tatjana Larina.

"Einfach weil sie so voller Selbstbewusstsein ist. Und die Grenzen und die Beschränkungen, die ihr die Zeit und die Gesellschaft auferlegen, überschreitet."

Morgen verlassen wir Sizilien. Schade! So viel Übriggebliebenes, so viel Nichtgesehenes... Aber das Verpasste ist ja auch immer ein Grund noch einmal zurückzukehren. Das Gefühl ist ein bisschen so, als wäre der Urlaub damit schon zu Ende. Was natürlich nicht stimmt, weil ja ganz Italien noch vor uns liegt.

An unserem letzten Tag waren wir natürlich nochmal am Strand. Und ich besorgte auch schnell noch ein paar Mitbringsel für die Lieben daheim. Und natürlich musste ich auch noch eine Postkarte an Mama schreiben.

Für unseren letzten Abend in Catania hatten wir uns eine schöne Abschiedsrunde vorgenommen. Wir wollten all unsere Lieblingslocations nochmal abklappern: zum Essen ins Pescatrici zu Lieblingskellnerin Francesca, in die Bar Sport und auf die Meile an der Piazza Bellini. Und zum krönenden Abschluss ins Paraluna natürlich.

Der Abend begann allerdings mit einem ziemlichen Schock, weil Verena die Treppe runterfiel. Sie hatte eine Treppenstufe verpasst und war dann die letzten drei vier Stufen runtergesegelt. Und um ein Haar hätte sie sich an der Wand den Schädel eingeschlagen. Zum Glück konnte sie sich gerade noch mit den Händen abstützen.

"Meine Fresse!", rief Elli, total erschrocken. "Das war echt scheiße knapp!" Sie half Verena hoch, barg sie schützend in ihren Armen und wischte ihr zärtlich übers Gesicht. "Hm? Alles gut?"

"Alles noch dran", meinte Verena trocken. Und dann umarmten wir uns alle drei, ganz lange und ganz fest. Ihr war nichts passiert, aber es war natürlich ein immenser Schock. Vor allem für mich, offensichtlich. Verena selbst schien gar nicht so mitgenommen, aber ich konnte mich erst gar nicht beruhigen. Der Gedanke, was alles hätte passieren können bei diesem Sturz, ließ mich nicht los.

Es wurde dann trotz dieses fürchterlichen Auftaktes ein ziemlich langer, aber auch sehr schöner Abend. Im Paraluna orderte Ellen Champagner, "zur Feier des Tages". Und dann ergab sich dieser Augenblick, wo Ellen und ich zusammensaßen, nur wir beide, weil Verena auf der Tanzfläche war oder mit ihren gezähmten Wölfen Stöckchenwerfen machte. Einer der wenigen Momente auf dieser Reise, die wir ganz für uns hatten. Elli erhob ihr Glas.

"Here's to the good times!" Wir stießen an. "Auf Ex!" Wir stürzten den Champagner hinunter, und Elli füllte unsere Gläser neu.

"War echt 'ne geile Zeit", sagte sie. "Nicht bloß die letzten Tage, sondern überhaupt. Danke, Soni-Maus!"

Wir umarmten und küssten uns. Ich fing an zu weinen, weil ich so tief ergriffen war. Solange ich denken kann, waren wir füreinander das Alter Ego: das Scheidungskind und die Halbwaise, die sich auf'ne Art gegenseitig so ein bisschen das Leben gerettet haben.

"Och Mensch, jetzt hör bloß auf, sonst fang ich auch noch an zu heulen." Ellen hielt mich in den Armen, aber für mich gab es da schon kein Halten mehr, so sehr war ich bewegt von diesem Augenblick höchster Innigkeit. Mein kleiner blauer Elli-Fant: meine liebevolle, liebenswerte, lustige, leichtsinnige und über alles geliebte Freundin.

Kurz darauf kam Verena zurück und brachte eine neue Flasche spumante francese mit.

"Ah, neuer Schampus!", sagte Elli. "Du hast echt den sechsten Sinn, Bub. Genau zur rechten Zeit, bevor das hier alles trockenläuft. Wir hatten hier nämlich gerade einen kleinen emotionalen Zwischenfall." Ich meldete mich wie in der Schule, ziemlich kläglich, und Elli umarmte und herzte mich. "Mit erheblichem Flüssigkeitsverlust, fürchte ich. Und das meine ich ausnahmsweise mal nicht anzüglich." Und sie lachte ihr reizendes dreckiges kleines Lachen.

"Ach ihr zwei, ihr seid's echt die beiden süßesten kleinen alten Damen, wo ich kenne", sagte Verena. Und sie wusste sehr gut, dass sie das nicht hätte sagen sollen.

"Oho!" rief Elli. "Darauf steht Durchkitzeln, bis einer lacht. En garde!" Sie stürzte sich auf Verena, die zwar versuchte zu entkommen, aber leider in die falsche Richtung, nämlich mitten in meine Arme. Wir kitzelten sie so richtig durch. Sie quiekte und schrie und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Aber kurz darauf war es dann schon alle gegen alle, ein richtiger Catfight: "mit alle Tricks, aber ohne Haareziehen" (O-Ton Elli). Wir balgten uns auf den Sesseln und im Sand. Und es war uns in diesem Moment herzlich egal, wer uns dabei auf die Weihnachtsinseln gucken konnte.

Wir haben danach noch zwei weitere Flaschen Schampus geleert. Es war ein wildes Abschiedsfest, eingehüllt in einen bunten Schleier aus Gelächter und Champagner-Bläschen. In meiner Erinnerung ist es ein einziges witziges, wüstes, amorphes, ausgelassenes, riesiges, rauschhaftes... Kuddelmuddel.

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