Endlich schwanger

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"Krise als Chance."

"Ja, wenn man so will. In diesem Fall, stimmt das wirklich."

"Und deswegen jetzt Hamburg?"

"Deswegen jetzt Hamburg. Neues Spiel, neues Glück. Und in unserer Branche ist Hamburg, also in Deutschland wenigstens, im Moment einfach sowas wie the place to be. Das Tor zur Welt eben."

Nach dem Frühstück sind wir dann zusammen zurück in die Wohnung, und da prickelte es dann schon gewaltig. Mehr passierte da allerdings noch nicht, weil ich war auch ein bisschen unter Zeitdruck. Ich musste zurück nach Kiel und hatte für 14 Uhr eine Mitfahrgelegenheit und musste ja auch noch meine Sachen packen. Chris half mir dabei in Anführungszeichen, und so konnten wir noch ein bisschen zusammensein. Später meinte er allerdings immer, er hätte das bloß gemacht, damit er ein bisschen in meiner Unterwäsche rumwühlen konnte, das kleine Ferkel!

Und dann kam leider auch schon der Augenblick des Abschieds. Gerade hatte ich noch kurz rumüberlegt, ob ich die Mitfahrgelegenheit nicht einfach sausen lassen soll und in Hamburg bleibe. Aber dann standen wir auch schon an der Tür, ich mit dem Rucksack auf dem Rücken, beide so total verlegen, und sagten dann schließlich gleichzeitig "So! Jetzt aber!" Wir gaben uns die Hand so tschüs, vielen Dank, hat mich sehr gefreut, ganz meinerseits. Ich sagte noch sowas wie Na, jetzt muss ich aber wirklich. Und dann küssten wir uns das erste Mal.

Unser erster Kuss!

Eigentlich war es nur ein ganz normaler Abschiedskuss, wo man auch genausogut hätte denken können freundschaftlich. Aber für mich war es einfach nur so total whoosh! Also der Moment, wo ich endgültig weiche Knie bekam.

Aber mehr passierte da eben noch nicht, und vielleicht war es ja auch ganz gut, dass ich nicht gleich mit ihm ins Bett gehüpft bin. Ich hätte damit natürlich auch voll gegen das gute alte Prinzip Kein Sex beim ersten Date verstoßen, obwohl das in diesem Fall ja vielleicht sogar auch OK gewesen wäre. Aber es war dann auch einfach keine Zeit mehr für irgendwas, mehr als ein superschneller Super-Quickie wäre in der Situation ja sowieso nicht drin gewesen. Und dafür wäre mir das erste Mal mit diesem absoluten Traumtypen ehrlich gesagt auch einfach viel zu schade gewesen, für nur einmal schnell so Handstand gegen die Wand.

Es blieb also bei diesem einen Kuss. Aber was für ein Kuss das war! Ich war danach den ganzen Tag wie in Trance. Ich saß in dem Auto nach Kiel, ohne einen Ton zu reden, grinsend, wie ein Voll-Honk wahrscheinlich. Und ich war immer noch völlig angetörnt von ihm, als ich abends zuhause mit Gini in der Küche saß und ihr von Chris vorschwärmte.

"Also i'ich", meinte Gini nur, so total breit grinsend, "ich würde ja zu gerne mal wissen, wo du diese ganzen Wunder-Typen immer herzauberst."

"Also das klingt jetzt so, als würde ich andauernd irgendwelche Kerle abschleppen", protestierte ich.

"Ja nee. Sorry. Ich mein nur, erst der australische Surf-Champion, und jetzt Albert Einstein aus Hamburg."

Es war klar, dass Gini mich ein bisschen aufziehen wollte damit. Das war auch völlig OK, obwohl ich ja eigentlich immer eher brav war, was Männergeschichten anging. Die ganzen Jahren in Kiel zum Beispiel war ich ja eigentlich immer in einer festen Beziehung.

Das Wochenende darauf war ich dann schon wieder in Hamburg, offiziell um meine neue WG kennenzulernen und meinen Umzug vorzubereiten und so, aber in Wirklichkeit wollte ich Chris besuchen.

Wir hatten unter der Woche ein paar Mal telefoniert und gemailt. Ich hatte ihm gleich Montag noch eine Postkarte geschrieben, mit meinen Verbindungsdaten, nach dem Motto Ruf doch mal an, so völlig oldschool, und das hatte ihm offenbar gefallen. Er hatte dann sofort angerufen. Und ab da waren wir dann in Kontakt. Permanent. Und das hatte sich dann schon sehr angefühlt wie ein Flirt. Ich lag also mit meinem Gefühl nicht so völlig daneben, was das anging. Und mit diesem Wochenende jetzt wollte ich natürlich auch einfach genauer gucken Was ist das? Ist das einfach nur dieser eine kurze verzauberte Augenblick gewesen bei unserem ersten Kuss? Oder konnte da vielleicht auch mehr daraus werden?

Und dann kam das Wochenende. Unser Wochenende! Das erste Mal...

Wir waren allein in der Wohnung, Tessa nicht da, und wir hatten drei Tage fast nur für uns. Den ersten Abend waren wir aus, und es passierte noch nichts. Irgendwie waren wir beide wahnsinnig schüchtern, total zurückhaltend. Aber am nächsten Morgen, nach dem Aufwachen, sind wir dann das erste Mal miteinander ins Bett gegangen, oder im Bett geblieben, besser gesagt. Und danach waren wir dann fast den ganzen Rest des Wochen­endes nackt, nur zum Essen hat Chris mich in seinen Bademantel gesteckt.

Das erste Mal Sex mit Chris war dann allerdings ehrlich gesagt noch gar nicht der beste Sex meines Lebens, das kam erst später. Ich hatte natürlich eigentlich erwartet, dass es beim Sex bestimmt gleich so richtig abgehen würde, so wie es von Anfang an zwischen uns gefunkt hatte. Aber das erste Mal hätte es auch gut eine kleine Katastrophe geben können, weil Chris hatte eine erektile Dysfunktion.

"Hm!", machte ich. "Vielleicht findest du mich ja gar nicht so heiß, wie du denkst."

Das war vielleicht ein etwas grober Scherz, dafür dass wir uns ja praktisch noch gar nicht kannten, aber ich fühlte mich ihm in dem Moment schon so nahe, dass ich mir diese kleine Frechheit einfach herausnahm. Männer sind empfindlich, was ihre Erektion angeht, ich weiß, aber Chris nahm das ganze eher locker. Er meinte, er würde zuerst immer ein bisschen fremdeln, wenn er mit jemand das erste Mal im Bett wäre, und das würde sich mit der Zeit schon geben, wenn wir uns erst einmal besser kennen würden.

Seine Offenheit gefiel mir. Und irgendwie stimmt es ja auch. Sex mit jemand neues bedeutet ja immer Stress. Da ist jemand fremdes mit dir im Bett, fummelt ungeschickt an dir herum und du an ihm, und auf dieses fremde Wesen muss man sich ja auch erstmal einstellen. Und Männer können da nun mal nicht so gut tricksen. Da haben wir Frauen es schon etwas leichter. Ein bisschen Spucke und du bist feucht, und am Ende hilft notfalls ein vorgetäuschter Orgasmus.

Bei unserem ersten Mal habe ich dann die Sache in die Hand genommen, sowohl im übertragenen Sinne als auch ganz wortwörtlich. Und Chris schien das zu gefallen, meine kleine Handarbeit. Sehr sogar! Und mir natürlich sowieso. Ich liebe es!

"Wow!", sagte er, als wir hinterher völlig zermatscht und verschmiert in den Kissen lagen.

"Meinst du wow wie wau wau oder wow wie supersahnegeil?", fragte ich, in seinen Arm gekuschelt, und streichelte ihm den Bauch.

"Wow wie wau wau", sagte er und tätschelte mir den Po.

"Du bist so blöd!", sagte ich und gab ihm einen dicken Kuss.

"Selber doof!"

"Kann sein", sagte ich. "Aber so völlig doof nun auch wieder nicht, oder?"

"Vielleicht ja doch, wer weiß", sagte er lachend.

"Wart's ab, Kleiner. Ich werd's dir zeigen!" Ich ließ mich an ihm hinuntergleiten, biss ihm zärtlich in den Schwanz und läutete damit die zweite Runde ein.

"Wow!"

Ab diesem Wochenende waren wir dann zusammen, fand ich. Ich hatte mich ja fast sofort verliebt. Ich war so sehr verliebt, wie mir das bisher nur ganz selten passiert ist. Und bei ihm war es wohl genauso. Es passte einfach alles. Chris war Single und hatte ganz offensichtlich ein gewisses Interesse, diesen Zustand zu beenden. Bei mir war es genauso, und den E-Mail-Fernflirt mit meiner Urlaubsliebschaft Brian hatte ich inzwischen auch auslaufen lassen. Wir waren also beide frei und offen für diese neue aufregende Sache, die sich da zwischen uns zu entwickeln begann.

Dass Chris solo war, hatte ich natürlich längst abgecheckt, gleich bei unserem ersten Date. Obwohl genau genommen wusste ich es schon davor, weil ich mich natürlich bei Tessa ganz direkt danach erkundigt hatte, ob es eine Freundin gab.

"Nee, ich glaub nicht", hatte Tessa gemeint. "Ich glaube, er hat mal sowas gesagt, also dass er Single ist. Und soweit ich weiß, sind hier auch nie irgendwelche Weiber aufgelaufen, seit wir zusammenwohnen."

Insofern wusste ich eigentlich vor unserem Date schon Bescheid, aber ich wollte das natürlich trotzdem lieber noch mal direkt abfragen, sicherheitshalber. Also nicht so plump natürlich, sondern ein bisschen durch die Blume so Du bist jetzt nicht verheiratet oder so?

"Nee, hundertprozentiger Single. Hundertprozentiger Single, leider. Das schlimme Schicksal aller Computer-Nerds, die als lonesome cowboys in den unermesslichen Weiten des Cyberspace unterwegs sind", meinte er grinsend.

"Och wie traurig", sagte ich mitfühlend, obwohl sich das für meine Ohren natürlich supergut anhörte.

Chris hatte sich sechs Monate zuvor von seiner Ex-Freundin getrennt, mit der er zwei oder drei Jahre zusammengewesen war. Beziehungsweise sie von ihm, Fragezeichen Rufzeichen Fragezeichen. Wenn ich es richtig interpretiere, war die Trennung wohl irgendwie auch mit ein Grund gewesen für den Wechsel nach Hamburg. Oder wenigstens der Anlass. Neues Spiel, neues Glück. So ganz klar fand ich das alles nicht, weil Chris auch nie so besonders viel über frühere Beziehungen sprach, auch später nicht. Für ihn schien das immer ein Thema zu sein, über das er nicht so gern redete. Das kann ich zwar grundsätzlich nachvollziehen, aber in diesem Fall wollte ich das natürlich schon ein bisschen genauer wissen und habe deswegen gelegentlich etwas nachgebohrt, so ganz sensibel in Anführungszeichen, und im übrigen ständig lange Ohren gemacht. Soweit ich weiß, hatte er vor mir wohl überhaupt nur drei längere Beziehungen, wobei seine Ex-Freundinnen anscheinend immer so ziemlich die Chaosfrauen gewesen waren, so richtige Hallas-Kalinen, wo er immer ziemlich zu leiden hatte. Das war jedenfalls mein Eindruck.

 

Ich fand es natürlich gut, dass es akut keine feste Beziehung in seinem Leben gab. Für mich war einfach ganz schnell klar, dass ich mir diesen Mann auf gar keinen Fall entgehen lassen wollte. Ich wollte ihn. Unbedingt! Und hängte mich deshalb auch dementsprechend rein, um ihn zu kriegen. Vor allem am Anfang, auch weil er so total zurückhaltend war, fast ein bisschen schüchtern. Auf'ne Art ist Chris der einzige Mann, dem ich jemals nachgelaufen bin, um den ich mich intensivst bemüht habe. Ansonsten kannte ich das eigentlich immer eher umgekehrt, also dass sich Männer um mich bemühten. Aber wer weiß, ob das mit uns überhaupt jemals etwas geworden wäre oder überhaupt auch nur angefangen hätte, wenn ich damals nicht die Initiative ergriffen hätte.

In den nächsten zwei drei Wochen war ich dann so oft es ging bei Chris in Hamburg. Und wenn wir mal nicht zusammen sein konnten, habe ich mich immer so richtig verzehrt nach ihm und habe gelitten wie ein Teenager. Dauernd stellte ich mir sein Gesicht vor. Ich fühlte seine Hand in meinem Nacken oder zwischen meinen Beinen. Oder ich guckte mir Bilder von ihm auf dem Laptop an. Ich war zu der Zeit echt schon voll auf Chris. Ich fand ihn wahnsinnig hübsch. Ich mochte seinen Körper.

Es ging einfach alles ganz schnell mit uns. Anfang Februar wohnte ich bereits in Hamburg, und es begann für uns beide ein neuer Lebensabschnitt. Neue Stadt, neuer Job, neue Partnerschaft. Ich hatte mein WG-Zimmer in Altona, Nähe Schanze und ganz nahe bei Chris. Und seitdem sahen wir uns praktisch jeden Tag, wann immer es sich einrichten ließ, und stürzten uns kopfüber hinein in das Abenteuer unserer jungen Liebe. Wir gingen aus, wir gingen essen, trinken, tanzen, wir gingen zum Kickern und Billard spielen, wir gingen auf Partys, ins Kino, ins Konzert.

Und wir gingen ins Bett. Ich hatte noch nie so unglaublich viel Sex wie in diesen ersten Monaten unserer Beziehung, wir fielen bei jeder Gelegenheit förmlich übereinander her. Das kleine Problemchen mit der erektilen Dysfunktion trat in der ersten Zeit zwar noch einige Male auf. Aber da hatten wir ja bereits ein tragfähiges Lösungskonzept gefunden. Und bald darauf war unser Sexleben dann einfach nur noch Wundersex. Und die Erinnerung an diese kleine Katastrophe mit anschließendem Happy End bei unserem ersten Mal gehörte danach für immer zur Folklore unserer Beziehung, das hätten wir wahrscheinlich noch unseren Enkelkindern erzählt.

Ein Faible für das Besondere im Bett oder anderswo hatten wir beide nicht, Wundersex war kein bisschen akrobatisch, sondern eigentlich eher schlicht. Hart aber herzlich. Ein wenig Französisch hier und da, was wir beide besonders liebten, und wo Chris immer meinte, ich hätte ein besonderes Talent dafür. Und meine kleine Handarbeit natürlich.

Ich liebe Handarbeit. Für mich hat das auch überhaupt nichts mit Selbstbefriedigung zu tun, das ist echter purer Sex. Während ich es mache, soll er mich streicheln. Mich liebkosen. Begrapschen. Ganz fest und bestimmt. Und mich küssen natürlich. Oder die Zunge im Ohr. Und dann komm ich.

Chris hatte das sofort verstanden, von Anfang an. Deswegen hatte es ja auch sofort funktioniert mit uns.

Und im Mai kam dann Paris. Paris war unsere erste richtige Reise, auch wenn es nur vier Tage waren. Und es sollte schon ganz klar eine Liebesreise werden. Toujours l'amour. Das hatten wir vorher schon immer gesagt. Natürlich hatten wir uns auch Sightseeing vorgenommen, klar, für Chris war es ja auch das erste Mal Paris. Louvre, Musée d'Orsay, Tour Eiffel, Les Grands Magasins undsoweiter, das war der Plan, aber Sightseeing fiel dann eigentlich komplett aus, wir haben uns nur selbst besichtigt. Chris war die einzige Sehenswürdigkeit, die ich wollte.

"Je voudrais plutôt me faire baiser de vous monsieur. Toute la journée."

"Hä? Also ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber es klingt ziemlich heiß."

"Das heißt, küss mich, Dummerchen!"

"So heiß wie du!"

"Merci monsieur, vous êtes très gentil!"

Es ging mir wahnsinnig gut an diesen vier Tagen in Paris und besonders an meinem Geburtstag. Normalerweise, wenn dein 29. Geburtstag bevorsteht, denkst du, das wäre ein Problem, und bist schlechter Laune deswegen. Bei mir war das anders. Ganz anders. Ich war mit meinem Traummann in Paris und wahnsinnig gut drauf. Ich fühlte mich wie Anne Hatha­way auf Ecstasy, wunderschön und unglaublich sexy. Ich war wahnsinnig verliebt und wurde gefickt wie noch nie zuvor in meinem Leben.

"Mhm, Geburtstagswundersex."

Ich lag auf ihm drauf, nackt und feucht und heiß. Er hielt mich fest umschlungen und flüsterte mir bezaubernde zärtliche Sachen ins Ohr und niedliche kleine Schweinereien, was er als nächstes mit mir vorhätte. Es war ein absolut inniger Moment. Der siebte Himmel. Deswegen fand ich diesen Moment auch genau richtig, um ihn endlich zu fragen.

"Liebst du mich?"

Er blickte mich ernst an aus seinen dunklen hellblauen Augen, dann ließ er sei­ne linke Hand an meiner Lendenwirbelsäule hinabgleiten und auf meinem Po spazierengehen.

"Ja", sagte er nach dieser kleinen sexy Pause, ganz nah an meinem Ohr. "Klar. Ich liebe dich wahn­sinnig, kleine Prinzessin."

Und dann küssten wir uns. Undsoweiter undsoweiter.

Ich liebe dich wahnsinnig, kleine Prinzessin.

Kleine Prinzessin. So hat er mich immer genannt. Und es hat mir von Anfang an gefallen. Es war mir auch kein bisschen peinlich. Jetzt im Nachhinein denke ich immer, ich hätte stutzig werden müssen. Ich hätte doch merken müssen, dass etwas nicht stimmen kann bei so viel Liebes­märchen­wunderland. Andererseits, welche Frau hört sowas nicht gern aus dem Munde ihres Traumprinzen? Außerdem wusste ich damals ja auch noch nicht, dass er mich angelogen hatte. Und das alles, was danach war zwischen uns, auf einer Lüge basierte.

Aber war es denn überhaupt eine Lüge? An dieser Frage habe ich in letzter Zeit ziemlich viel rumüberlegt, und das ist ja wahrscheinlich auch typisch, dass du dir als schwangere Braut solche Gedanken machst, so kurz vor der Hochzeit, nach dem Motto Drum prüfe wer sich ewig bindet. Und manchmal denke ich, Scheiße, vielleicht hätte er mir damals einfach nur klipp und klar sagen sollen, was er von mir will. Also meinetwegen auch einfach sowas wie Weißt du was, Prinzesschen, ich finde dich zwar superheiss, und ich will das mit uns genießen, so lange wie's dauert, aber mehr auch nicht. Punkt. Das wäre vielleicht nicht schön gewesen und auch kein bisschen romantisch. Aber es wäre auf jeden Fall ehrlicher gewesen. Und ich hätte mich ja wahrscheinlich auch nicht sofort von ihm getrennt deswegen. Ich liebte ja, was wir miteinander hatten, es wäre also wahrscheinlich trotzdem die ultimative Sex-Affäre geworden, wir waren ja wirklich einfach perfekt im Bett, ohne Übertreibung. Definitiv der beste Sex meines Lebens bis heute. Nur dass für mich eben die ganze Zeit klar gewesen wäre OK, Mädel, das ist jetzt eine tolle Zeit für dich. Hammer Typ, super Sex. Aber das ist noch nicht das eigentliche, das ist einfach nur eine Teenager-Liebe für Große.

Aber Chris hat sich damals anders entschieden. Für eine bequeme romantische Unaufrichtigkeit anstelle der völlig unromantischen Wahrheit. Ist natürlich auch viel einfacher, Ich liebe dich zu sagen, in so einer Situation, klar. Und wahrscheinlich dachte er, ich würde das sowieso lieber hören als alles andere.

Und so wurde dann Paris für uns der Anfang von allem, weil seit Paris hatte ich das sichere Gefühl, dass aus dieser heißen Affäre, diesem absoluten Power-Flirt in Anführungszeichen nun endgültig die eine große Liebe meines Lebens geworden war.

In Paris wurden wir so richtig ein Paar. Und seitdem hatte ich das Drehbuch für uns im Kopf einfach auch schon fertig.

2

In dem Sommer und Herbst nach Paris bestand unser Leben dann nur noch aus Liebe Liebe Liebe Liebe... Und aus ein klein wenig Arbeit natürlich, wir hatten ja beide unsere Jobs. Später kam dann noch Wohnungssuche als Teilzeitbeschäftigung hinzu.

Ich musste zu der Zeit wirklich viel arbeiten, als junge Assistentin bist du natürlich immer die erste, die kommt, und die letzte, die geht, klar. Plus Dienste, nachts und an den Wochenenden. Gegen Chris' Arbeitszeiten war das allerdings immer noch Gold. Seine Firma Network Solutions lief nämlich sehr gut, trotz Wirtschaftskrise. Er hatte immer wahnsinnig viel Arbeit, und er verdiente natürlich dementsprechend. Chris machte Systemberatung für Großanwender. Ich habe zwar nie wirklich begriffen, was das genau war, aber offenbar konnte man damit ein Heidengeld verdienen, jedenfalls war Chris reich wie ein Zauberer, fand ich. Und er hatte wirklich unglaublich Ahnung von Computern, sofern ich das beurteilen kann. Ich musste mir in der ganzen Zeit jedenfalls nie Gedanken machen, dass mein Rechner nicht funktioniert.

In den ersten Monaten war Network Solutions noch eine Ein-Mann-Firma gewesen, und Chris hatte von zuhause aus gearbeitet. Aber bereits im Frühjahr hatte er ein Büro angemietet, zwei große Räume in einem schicken Loft in der Schanze, und kurz darauf stellte er dann die erste Mitarbeiterin ein, die zuerst jeden Tag von 11 bis 15 Uhr hauptsächlich Telefondienst machte, Clarissa.

Clarissa war eine junge Bürokauffrau, eine waschechte Sizilianerin aus Bayern, 22 Jahre alt, die schon nach wenigen Monaten in Vollzeit den ganzen Laden schmiss. Clarissa war ein echter Glückstreffer. Sie war intelligent, schnell, kompetent. Außerdem sprach sie Deutsch, Italienisch und recht gut Englisch.

"Bayrisch und Sizilianisch kann ich natürlich auch. Nur koa Französisch net."

Zudem sah sie wirklich phantastisch aus. Sie war zwar eher ein kleiner Mensch, aber sie hatte einen sehr wohlproportionierten Körper, einen schönen vollen Busen und ein makelloses Madonnengesicht. Das dunkle, beinahe schwarze Haar, die helle Haut und die leuchtend grüngrauen Augen unter den geschwungenen dunklen Brauen verliehen ihr einen ganz besonderen Liebreiz. Und zu Anfang fand ich die Vorstellung, dass mein Freund seinen Arbeitstag in der ständigen Gegenwart dieser kleinen Sexbombe verbringt, ehrlich gesagt äußerst beunruhigend. Aber meine Sorgen waren ganz überflüssig. Sie flirtete zwar ziemlich viel, fand ich, aber ansonsten war Clarissa einfach ein tolles Mädchen, und für sie gab es nur Alexander, ihren Freund. Von daher machte ich mir um sie keine weiteren Sorgen. Außerdem liebte Chris ja sowieso nur mich.

Arbeit war Arbeit, aber unsere Freizeit verbrachten wir meistens zusammen, meistens zu Hause, bei ihm oder bei mir. Wir lagen auf dem Bett, wir machten uns was Schönes zu essen, wir guckten DVD, tranken Wein, schmusten rum und knutschten heftig. Und hatten immer ganz ganz ganz viel Sex.

Natürlich gingen wir auch viel aus, klar, waren auf Partys oder auf dem Kiez oder in der Schanze. Im Sommer fuhren wir an den Wochenenden manchmal an die Ostsee und schauten dann meistens auch bei Gini vorbei, die jetzt zusammen mit ihrem Freund Tobi in unserer alten Wohnung wohnte.

Als ich Chris das erste Mal nach Kiel mitbrachte, konnte ich es kaum erwarten, mit Gini unter vier Augen zu reden, weil ich war natürlich superneugierig zu erfahren, was sie von meinem tollen neuen Freund hielt.

"Und? Was sagst du?"

"Joo'a", meinte Gini. "Ganz lecker."

"Sieht er nicht traumhaft aus?"

"Na klar", sagte Gini grinsend. "Warst du vielleicht schon mal mit jemand zusammen, der nicht traumhaft aussah?"

"Nö!", sagte ich, und das kam so wie aus der Pistole geschossen, dass wir uns beide erstmal ein bisschen wegkugeln mussten vor Lachen.

"Ich frag mich ja sowieso immer, wo du solche Typen immer herzauberst."

"Jaja, ich weiß. Nur diesmal ist es einfach mehr als nur das. Was ganz besonderes."

"Na, dich hat's ja wohl voll erwischt!"

"Findst du auch, nä?"

"Ist nicht zu übersehen", sagte Gini lachend und knuffte mich liebevoll. "Du strahlst die ganze Zeit wie so ein Honigkuchenpferd."

"Und findst du, er passt zu mir?"

"Naja, er scheint dir jedenfalls gutzutun", sagte Gini schmunzelnd. "Und wenn's passt, dann passt's eben einfach, oder?"

 

"Jaaa!"

Ende Juni fuhr ich dann traditionsgemäß zur Fusion, so wie jedes Jahr. Eigentlich wollte ich natürlich gern, dass Chris mitkommt, aber er hatte keine Lust. Er fand die Fusion Mädchenkram, ist ja vielleicht auch gar nicht so verkehrt. Also fuhr ich dann notgedrungen eben ohne ihn.

Auf der Fusion wurde es dann nochmal alles so wie früher. Alle waren da, meine Mädels aus Kiel, Gini, Anna, Rebecca undsoweiter. Lexa war da. Und Clara, die extra für die Fusion aus München angereist war, worüber ich mich natürlich wahnsinnig freute, einfach weil wir uns so selten sahen, seit sie in München arbeitete. Es waren dann vier wirklich schöne Tage auf der Fusion, das Wetter spielte auch mit, weitgehend, und wir machten das, was wir immer schon gemacht haben auf der Fusion: Musik hören, Tanzen Tanzen Tanzen, Sachen angucken, Flirten, Reden Reden Reden, ganz wenig schlafen… die Tage sehr entspannt, und die Nächte auch.

In den Sommerferien fuhren Chris und ich dann für 14 Tage nach Polen, immer die Ostseeküste entlang bis rüber nach Gdansk. Chris hatte kurz zuvor ein Auto gekauft, einen großen Kombi, sehr komfortabel. Ich war vorher noch nie in Polen gewesen, aber Chris schon, von daher kannte er sich ein bisschen aus. Meistens zelteten wir, ganz kuschelig in meinem fusionerprobten Igluzelt, aber ab und zu leisteten wir uns auch ein Hotel der gehobenen Kategorie. Und in so einem Fünf-Sterne-Palast feierten wir dann in seinen 31. Geburtstag hinein. Natürlich lästerte ich ein bisschen, weil er jetzt wieder zwei Jahre älter war als ich.

"Viel zu alt für mich eigentlich."

"Jetzt kannst du noch darüber Scherze machen, kleine Prinzessin", meinte Chris lachend. "Das nächste Opfer des schrecklichen Dreißig-Fluchs wirst dann du."

"Nö, als Frau bleibst du immer 29. Vingt-neuf ans, wie wir in Paris sagen", meinte ich frech. Und als ich ihn später, als wir schon auf unserem Zimmer waren, dann auch noch Opi nannte, kriegte ich für meine kleinen Frechheiten noch ein bisschen den Po verhauen.

Am nächsten Tag, also am eigentlichen Geburtstag, waren wir von mittags bis spätabends am Strand. Es war ein total heißer schöner Tag, wir hatten uns ein ruhiges Plätzchen gesucht, so ganz für uns in den Dünen, wo wir den ganzen Tag nackt in der Sonne brieten, badeten, aßen, lasen, schmusten. Chris baute uns eine Burg aus Sand, ich machte für ihn kleine Meerjungfrauentänzchen in der Brandung. Und natürlich fummelten wir auch ein bisschen, ganz diskret. Heavy petting.

Und an diesem wunderbaren Tag am Strand entstand das Foto, das danach immer mein absolutes Lieblingsbild von Chris war, dieses Porträt in der Abenddämmerung, das ich später in meiner WG immer riesengroß an der Wand über meinem Bett hängen hatte. Eine Zeitlang war es auch das Hintergrundbild auf meinem Laptop. Was mich daran immer noch fasziniert, ist die ganz besondere Stimmung, die dieses Bild transportiert. Es enthält meine Erinnerung an diesen überwältigend schönen Tag. Den Duft von Sonnencreme auf seiner sonnenheissen Haut. Seine Hand zwischen meinen sandigen Schenkeln. Und wie er mich darauf ansieht! Zum Dahinschmelzen!

Ich machte an diesem Tag noch unendlich viele Fotos von Chris, meistens so ziemlich versaute Sonnenfreunde-Bilder, nach dem Motto hübscher knackarschiger Bursche am Strand.

"Mhm! Ja. Extra-scharf", sagte ich. "Die verkauf ich an ein Schwulenmagazin, wenn wir wieder zuhause sind."

"Machst du nicht!", zickte Chris, so leicht in Panik.

"Doch! Klar! Mach ich wohl." Ich wollte ihn ein bisschen provozieren.

"Machst du nicht!"

"Mach ich doch! Und ich krieg bestimmt einen ganzen Haufen Geld dafür."

"Kriegst du im Leben nicht! Wer will denn sowas sehen?"

"Bestimmt tausend Maak! Alle. Alle wollen das sehen. Und alle Schwulen sowieso."

"Tausend Mark!", meinte Chris lachend. "Du meinst wahrscheinlich tausend Zloty."

"Nee, tausend Maak! Oder tausend Euro. Jedenfalls ganz viel Geld. Ich schwör."

Er fing dann an, mich durchzukitzeln und ein bisschen obszön anzutatschen, bis ich ihm versprach, diese Bilder nie jemand anders zu zeigen. Das hatte ich natürlich gar nicht vor. Und ich bin bis heute die einzige, die sich diese sexy Fotos immer wieder ansieht.

In diesem ersten halben Jahr nach Paris machten wir unendliche viele Pläne für unsere gemeinsame Zukunft. Der nächste und konkreteste Plan war, dass wir zusammenziehen wollten, und zwar so schnell es ging. Diese Einschränkung war realistisch angesichts des Hamburger Wohnungsmarkts. Wir mussten mehrere Monate lang richtig intensiv suchen, das war schon beinahe ein Vollzeit-Job. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt war so beschissen, dass wir manchmal fast verzweifelten. Man sollte ja eigentlich denken, für eine Ärztin und einen IT-Unternehmer dürfte das kein großes Problem sein, einen Mietvertrag zu bekommen, aber denkste! Es sah sogar so aus, als würden wir eine Bürgschaft brauchen, und ich hatte überlegt, meine Eltern zu fragen, ob sie für uns bürgen würden.

Für mich war es ja das erste Mal, dass ich mit meinem Freund zusammenzog, und als ich es meinen Eltern erzählte, waren sie ganz begeistert, besonders Mama. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber es freute mich irrsinnig. Ich fuhr dann sogar extra zweimal nach Kassel, um das Thema Bürgschaft mit Papa zu besprechen. Eigentlich wollte ich natürlich, dass Chris da mitkommt, auch weil meine Eltern ihn natürlich am liebsten gleich kennenlernen wollten, aber irgendwie passte es dann leider nie mit den Terminen.

Papa hatte ziemlich Ahnung von der Materie, das war mir vorher gar nicht so klar. Und Papa war es dann auch, der mir dazu riet zu kaufen statt zu mieten.

"Auf lange Sicht gesehen ist das auf jeden Fall günstiger als eine Mietwohnung."

"300.000 Euro ist aber überhaupt nicht billig", meinte ich.

"Naja, 300.000 ist natürlich eine Menge Geld. Aber sieh es mal so, Helena. Ob du jetzt Tilgung plus Zinsen plus Hausgeld zahlst oder jahrzehntelang Miete plus Nebenkosten, die dann auch noch ständig erhöht wird, das läuft ja in der Summe praktisch aufs gleiche hinaus. Nur dass dir die Sache dann am Ende gehört. Und bei einer Mietwohnung haste nischt." Papa ist wirklich der einzige, der mich Helena nennt, aber als Tochter eines Griechischlehrers muss man wahrscheinlich so heißen.

Eine Zeitlang überlegten wir dann tatsächlich, eine Wohnung zu kaufen, wir hatten auch einige schöne Angebote, aber als ich dann bei der Bausparkasse saß und unterschreiben sollte, merkte ich plötzlich ganz deutlich, dass ich das eigentlich nicht wollte. Ich komme zwar aus einem Eigenheim-Elternhaus, aber die Vorstellung, 30 Jahre oder so eine dämliche Eigentumswohnung abzuzahlen, fand ich einfach nur grässlich. Und was gehört dir denn eigentlich bei so einer Eigentumswohnung?

Das war für uns eine sehr wichtige Erfahrung. Chris hätte sich zwar darauf eingelassen, er ist da eher Geschäftsmann, aber im Grunde ging es ihm ganz genauso. Außerdem wollten wir vielleicht ja absehbar auch mal umziehen, raus aus der Stadt, ins Grüne, mein Haus, mein Mann, mein Kind. Und mein Hund natürlich auch, irgendwann. Das kam dann auch noch dazu. Also machten wir uns dann doch wieder auf die Suche nach einer Mietwohnung.

Die Wohnung, die wir dann schließlich fanden, war dann allerdings wirklich ein richtiger Traum, superklasse, knapp über 100 Quadratmeter, Endetage, dreieinhalb Zimmer, davon zwei nach Süden, unverbauter Blick nach vorn und nach hinten, abgeschliffene Holzfußböden in allen Zimmern und im Flur, zwei Balkone, große Küche, modernes Bad, Toilette separat, alles super saniert und renoviert. Wir mussten fast nichts mehr machen vor dem Einzug. Die Lage war natürlich suboptimal, Bahrenfeld, aber die Miete trotzdem ein kleines Vermögen. Aber da wir beide verdienten, konnten und wollten wir uns das leisten. Und wohnten im Endeffekt wesentlich billiger als Freunde von uns, die in die Schanze gezogen waren oder nach Ottensen, weil man in Bahrenfeld noch keinen Hipster-Zuschlag zahlen musste. Und andererseits war es auch gar nicht so weit bis in die Schanze, und zu meiner Arbeit oder in die Innenstadt auch nicht.