Assessorexamen im Öffentlichen Recht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

VI. Die Bezeichnung des Gerichts und der mitwirkenden Richter

48

Nach der Angabe des Streitgegenstandes werden der entscheidende Spruchkörper bzw. Einzelrichter und das Entscheidungsdatum angeführt. Das entscheidende Verwaltungsgericht ist nicht zwingend zu benennen, insbesondere dann nicht, wenn es bereits im Kopf des Rubrums aufgeführt ist.

Formulierungsbeispiel:

hat die 6. Kammer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1.2.2020 …

49

Hat das Verwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung entschieden, ist dies entsprechend im Rubrum unter Angabe des Entscheidungsdatums hervorzuheben.

Formulierungsbeispiel:

hat die 6. Kammer ohne mündliche Verhandlung am 1.2.2020 …

50

Welche Kammer des Verwaltungsgerichts entscheidet, ergibt sich aus der ersten Zahl des Aktenzeichens. Das Aktenzeichen „4 K 23/19“ lässt deshalb erkennen, dass die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts das 23. im Jahr 2019 eingegangene Klageverfahren entscheidet. In einem Klausurtext ist das Aktenzeichen in der Regel aus der Klageerwiderung des Beklagten zu erkennen, weil er seine Stellungnahme unter dem betreffenden Aktenzeichen einreicht, oder, sofern eine mündliche Verhandlung stattfand, aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (§ 105 VwGO i.V.m. §§ 159 bis 165 ZPO).

51

In dem Rubrum des verwaltungsgerichtlichen Urteils sind nach der Angabe des Spruchkörpers und des Entscheidungsdatums die Dienstbezeichnung und die Namen der mitwirkenden Richter anzugeben. Soweit keine Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 VwGO erfolgt ist, erlässt die Kammer des Verwaltungsgerichts das Urteil durch drei Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter (§ 5 Abs. 3 S. 1 VwGO). Bei den drei Berufsrichtern ist auf die richtige Dienstbezeichnung zu achten. Sie ergibt sich entweder aus dem in dem Klausurtext enthaltenen Protokoll über die mündliche Verhandlung oder aus dem Bearbeitervermerk.

Formulierungsbeispiel:

hat die 4. Kammer ohne mündliche Verhandlung am 1.2.2020

durch

Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht A,

Richter am Verwaltungsgericht B,

Richter C,

ehrenamtliche Richterin D,

ehrenamtlichen Richter E

52

Besondere Sorgfalt ist geboten, wenn nach dem Klausurtext die mitwirkenden Richter zu fingieren sind. Eine häufige Fehlerquelle in den Klausuren liegt darin, dass bei den Berufsrichtern nur formuliert wird, „Richter A, Richter B, Richter C“. Da (nur) der Richter auf Probe die Dienstbezeichnung „Richter“ führt, während die Lebenszeitrichter am Verwaltungsgericht entweder die Dienstbezeichnung „Richter am Verwaltungsgericht“ oder die Dienstbezeichnung „Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht“ führen, bedeutet die Angabe „Richter A, Richter B, Richter C“, dass drei Richter auf Probe mitgewirkt haben. Das ist jedoch nicht zulässig, weil nach § 29 S. 1 DRiG nicht mehr als ein Proberichter mitwirken darf. Zwei der mitwirkenden Richter müssen deshalb Lebenszeitrichter sein. Eine weitere ständige Fehlerquelle in den Klausurlösungen liegt darin, dass neben den drei Berufsrichtern „Schöffen“ oder „Laienrichter“ als weitere mitwirkende Richter genannt werden. Auch dies ist fehlerhaft. Bei den Verwaltungsgerichten wirken nur „ehrenamtliche Richter“ mit (§ 19 VwGO).

53

Ist eine Übertragung auf den Einzelrichter erfolgt (§ 6 Abs. 1 VwGO), ist nur der entscheidende Berufsrichter anzugeben; ehrenamtliche Richter wirken im Falle einer Übertragung auf den Einzelrichter nicht mit. Die Formulierung „Richter am Verwaltungsgericht A als Einzelrichter“ ist in der Praxis zu Recht weitgehend unüblich geworden. Denn wenn im Rubrum nur ein entscheidender Richter genannt wird, versteht sich von selbst, dass dieser als Einzelrichter entschieden hat.

Formulierungsbeispiel:

hat das Verwaltungsgericht Münster ohne mündliche Verhandlung am 1.2.2020

durch

Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht A

Der Zusatz „als Einzelrichter“ ist vertretbar. Er macht deutlich, dass der entscheidende Richter aufgrund einer Übertragung gemäß § 6 VwGO und nicht gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten allein entscheidet.

VII. Formulierungsbeispiel eines vollständige Rubrums

54

Verwaltungsgericht Münster

Im Namen des Volkes

URTEIL

4 K 101/19

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

des Heinz Müller, Schmale Straße 3, 48143 Münster,

Klägers,

Prozessbevollmächtigter: Paul Müller, Breite Straße 7, 48143 Münster,

gegen

die Stadt Münster, vertreten durch den Oberbürgermeister, Kurze Straße 7, 48143 Münster,

Beklagte,

Beigeladen: Katharina Meier, Lange Straße 9, 48143 Münster,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Klaro und andere, Im Brook, 48143 Münster,

wegen Erteilung einer Baugenehmigung

hat die 4. Kammer

aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 1. Februar 2020

durch

Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht A,

Richter am Verwaltungsgericht B,

Richter C,

ehrenamtlichen Richter D,

ehrenamtliche Richterin F

für Recht erkannt:

D. Der Tenor eines Urteils

55

Die Formulierung „Tenor“ eines verwaltungsgerichtlichen Urteils ist in der Praxis gebräuchlich, entspricht aber streng genommen nicht den Vorgaben der Verwaltungsgerichtsordnung. Denn nach § 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO muss das Urteil eine „Urteilsformel“ enthalten. Zwischen den beiden Begriffen besteht jedoch kein inhaltlicher Unterschied. Der Tenor umfasst den Hauptausspruch, die Kostenentscheidung, die vorläufige Vollstreckbarkeit und ggf. weitere Entscheidungen etwa über die Zulassung der Berufung. Er kann erst dann formuliert werden, wenn der Fall rechtlich gelöst ist. Bevor die Klausurlösung formuliert wird, muss deshalb die rechtliche Lösung des Falles zumindest gedanklich vollständig durchdacht sein. Noch besser ist es, zunächst die Entscheidungsgründe des Urteilsentwurfs zu formulieren. Denn beim Ausformulieren einer Lösungsskizze ergibt sich erfahrungsgemäß häufig die Notwendigkeit, die zunächst erarbeitete gedankliche Lösung des Falles ganz oder teilweise zu ändern.

I. Der Hauptausspruch

56

Der Tenor beginnt mit dem Hauptausspruch, also mit dem Ergebnis der Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Klage. Der Inhalt des Hauptausspruchs hängt davon ab, ob die Klage Erfolg hat oder erfolglos bleibt und ob ein Teil des Streitgegenstandes eventuell nicht streitig entschieden worden ist.

1. Die Klageabweisung

57

Die Klage wird vom Verwaltungsgericht „abgewiesen“, wenn die Klage erfolglos war.

Fall:

Referendar R wird in der mündlichen Prüfung gefragt, wie der Hauptausspruch im Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu formulieren ist, wenn die Anfechtungsklage entweder unzulässig oder unbegründet ist. Welchen Hauptausspruch wird R vorschlagen?

R wird folgenden Hauptausspruch vorschlagen,

Die Klage wird abgewiesen.

58

Der vorgeschlagene Hauptausspruch, „die Klage wird abgewiesen“, entspricht der verwaltungsgerichtlichen Praxis. Ob die Klage unzulässig oder unbegründet ist, ist für den Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils ohne Belang. In beiden Fällen weist das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zusätze wie „die Klage wird als unzulässig“ oder „als unbegründet abgewiesen“ muss dem Hauptausspruch nicht hinzugefügt werden (einige Verwaltungsgerichte verfahren jedoch so; vgl. auch Rn. 3). Derartige Zusätze sind unüblich und überflüssig, weil sich aus den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt, ob die Klage unzulässig oder unbegründet ist. Für den Hauptausspruch des Tenors eines Urteils kommt es auch nicht darauf an, ob mit dem Urteil über eine erfolglose Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Fortsetzungsfeststellungsklage, eine allgemeine Leistungsklage oder eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO entschieden wird. In allen Fällen wird die Klage erstinstanzlich jeweils „abgewiesen“.

59

Formulierungen wie, die Klage wird „abgelehnt“, „verworfen“ oder „zurückgewiesen“ sind ebenfalls fehlerhaft. Sie gehören nicht in den Tenor eines verwaltungsgerichtlichen Urteils erster Instanz. Vielmehr handelt es sich um Formulierungen, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, in Nebenverfahren (z.B. Prozesskosenhilfeverfahren) und im Rahmen zweitinstanzlicher Entscheidungen der Obergerichte üblich sind. Eine Ausnahme gilt nur für das Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO. Erfolglose Normenkontrollanträge werden durch Urteil „abgelehnt“.

2. Die Klagestattgabe

60

Bei einer Stattgabe hängt der Hauptausspruch maßgeblich davon ab, welche Klageart dem verwaltungsgerichtlichen Urteil zugrunde liegt und ob der Klage in vollem Umfang oder nur teilweise stattgeben wird.

a) Anfechtungsklage

61

 

aa) Bei der Anfechtungsklage kann der Hauptausspruch in Anlehnung an § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO formuliert werden. Nach dieser Vorschrift ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat.

Fall:

Der Kläger hat eine zulässige Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1.12.2019 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung vom 28.2.2020 erhoben. Die Bescheide sind im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Wie wird das Verwaltungsgericht den Hauptausspruch im Tenor seines Urteils formulieren?

62

Der an § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO angelehnte Tenor lautet:

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 28. Februar 2020 werden aufgehoben.

63

Prüfungsrechtlich ist ein solcher Tenor bei einer zulässigen und begründeten Anfechtungsklage stets vertretbar, weil er in Einklang mit dem Wortlaut des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO („in der Gestalt“) steht. In der Praxis ist häufig eine weitergehende Differenzierung üblich. Danach wird der Hauptausspruch bei einer zulässigen und begründeten Anfechtungsklage nur dann in Anlehnung an § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO formuliert, wenn der Ausgangsbescheid tatsächlich im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO eine andere Gestalt durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Das ist der Fall, wenn der Tenor des Ausgangsbescheides durch den Widerspruchsbescheid geändert worden ist oder die Widerspruchsbehörde die Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde geändert hat. Ist eine solche Änderung nicht erfolgt, weil die Widerspruchsbehörde den Ausgangsbescheid in vollem Umfang bestätigt oder nur tatsächliche oder rechtliche Erwägungen geändert hat, wird der Hauptausspruch oft wie folgt formuliert:

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2019 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 28. Februar 2020 werden aufgehoben.

64

Es bleibt dem Klausurbearbeiter überlassen, ob er in seiner Klausurlösung diese in der Praxis gebräuchliche Differenzierung aufgreift. Die Formulierung des Hauptausspruchs in Anlehnung an den Wortlaut des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist stets vertretbar. Bedarf es der Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 VwGO) aufgrund einer bundesrechtlichen (z.B. § 11 AsylG) oder landesrechtlichen Regelung (z.B. § 16a HessAGVwGO, § 80 NJG, § 110 JustizG NRW) nicht, so ist ein Widerspruchsbescheid nicht streitgegenständlich und damit der stattgebende Hauptausspruch wie folgt zu formulieren:

Der Bescheid des Beklagten vom 1.12.2019 wird aufgehoben.

65

bb) Bei einer Teilstattgabe muss in dem Hauptausspruch zum Ausdruck kommen, inwieweit eine Teilaufhebung der angefochtenen Bescheide erfolgt.

Fall:

Der Kläger hat Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1.12.2019 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 28.2.2020 erhoben. Mit den Bescheiden ist dem Kläger die Gewerbeausübung untersagt und ein Zwangsgeld angedroht worden. Die Zwangsgeldandrohung ist rechtswidrig. Wie wird das Verwaltungsgericht den Hauptausspruch seines Urteils formulieren?

66

Der Hauptausspruch lautet bei einer Teilstattgabe:

Der Bescheid des Beklagten vom 1.12.2019 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 28.2.2020 werden insoweit aufgehoben, als dem Kläger ein Zwangsgeld angedroht worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Oder

Die Zwangsgeldandrohung in dem Bescheid des Beklagten vom 1.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 28.2.2020 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

In den Klausurlösungen fehlt häufig der Hinweis darauf, dass die Klage „im Übrigen“ abgewiesen wird. Damit ist der Haupttenor unzureichend formuliert. Ohne den Zusatz, „im Übrigen wird die Klage abgewiesen“, erweckt der Hauptausspruch den Eindruck, dass das Verwaltungsgericht nur im Umfang der Stattgabe entscheidet, also ein Teilurteil erlässt.

67

cc) Insbesondere bei der Heranziehung zu öffentlichen Abgaben und Kosten wird neben der Aufhebung der belastenden Verwaltungsakte auch die Verurteilung zur Rückzahlung der bereits gezahlten Leistung gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO beantragt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, wenn der Verwaltungsakt schon vollzogen ist.

Fall:

Die Beklagte hat den A durch Bescheid vom 1.3.2020 zur Zahlung eines Erschließungsbeitrages (§ 127 Abs. 1 BauGB) in Höhe von 1000 € herangezogen. Die Durchführung eines Vorverfahrens ist entbehrlich. A hat den Erschließungsbeitrag bezahlt und Klage erhoben mit dem Ziel, den Bescheid aufzuheben und das Geld zurückzubekommen. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass der Bescheid rechtswidrig ist. Wie wird es den Hauptausspruch im Tenor des Urteils formulieren?

68

Das Verwaltungsgericht wird im Hauptausspruch zunächst den rechtswidrigen Erschließungsbeitragsbescheid aufheben. Darüber hinaus wird es die Beklagte verurteilen, den bereits gezahlten Erschließungsbeitrag zurückzuzahlen (§ 113 Abs. 1 S. 2 VwGO). Denn mit der Aufhebung des Erschließungsbeitrages ist die Rechtsgrundlage für die Zahlung des Erschließungsbeitrages entfallen. A hat einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Rückzahlung der geleisteten Zahlung. Im Fall lautet deshalb der Hauptausspruch im Tenor des Urteils:

Der Bescheid der Beklagten vom 1.3.2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1000 € zu zahlen.

69

Die Bedeutung des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO liegt darin, dass ein etwaiger Folgenbeseitigungsanspruch oder öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch[16] im Interesse der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) schon vor Rechtskraft des Urteils über die Anfechtungsklage prozessual geltend gemacht werden1 kann. Prozessual ist § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO eine Regelung, die in ihrem Anwendungsbereich als Spezialregelung einer Klagehäufung dem § 44 VwGO vorgeht. Die Zulässigkeit der Verbindung einer Anfechtungsklage und eines Antrages nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO richtet sich deshalb nur nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO.[17] Bei dieser Verbindung handelt es sich ebenso wie bei der Verbindung einer Anfechtungsklage mit einem Antrag nach § 113 Abs. 4 VwGO um eine gesetzlich geregelte Stufenklage.[18] Wichtig ist es, bei der Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO zu beachten, dass die Vorschrift selbst keinen Folgenbeseitigungsanspruch oder öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch begründet, sondern ausschließlich eine prozessuale Vorschrift ist, die von dem Bestehen eines materiellrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs oder öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches ausgeht.[19] Bei der Prüfung der Begründetheit eines Antrags nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO ist daher Anspruchsgrundlage nicht § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO, sondern der materiellrechtliche Folgenbeseitigungsanspruch oder der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch.

70

dd) Die Rückgängigmachung der Vollziehung nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO darf nicht mit dem Antrag nach § 113 Abs. 4 VwGO verwechselt werden. Nach dieser Vorschrift ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig, wenn neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes eine Leistung verlangt werden kann.

Fall:

Die Behörde B hat mit Bescheid vom 1.3.2020 den Beamten A mit Wirkung ab dem 1.5.2020 aus dem Beamtenverhältnis erlassen. A hat Anfechtungsklage erhoben und beantragt, ihm für die Zeit vom 1. Mai bis 30.8.2020 Besoldung in Höhe von 16 000 € zu zahlen. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass den Anträgen stattzugeben ist. Wie lautet der Hauptausspruch des Tenors des Urteils?

Das Verwaltungsgericht wird auch im Fall zunächst die Entlassungsverfügung aufheben. Mit der Aufhebung der Entlassungsverfügung hat der A aus seinem Beamtenverhältnis den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Besoldung. Der stattgebende Hauptausspruch im Tenor lautet deshalb:

Der Bescheid des Beklagten vom 1. März 2020 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16 000 € zu zahlen.

71

Auch § 113 Abs. 4 VwGO ermöglicht wie § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO im Interesse des effektiven Rechtsschutzes schon vor Rechtskraft des Urteils über die Anfechtungsklage Leistungsansprüche prozessual geltend zu machen. Die Vorschrift enthält nur eine prozessuale Regelung über die zulässige Verbindung der Anfechtungs- und allgemeinen Leistungsklage und ist damit wie § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO keine materiellrechtliche Anspruchsgrundlage. Der Unterschied zwischen den Regelungen in § 113 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 VwGO besteht darin, dass § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO die Fälle der Folgenbeseitigung erfasst, während § 113 Abs. 4 VwGO aus Gründen der Rechtschutzeffektivität und Verfahrensökonomie die Möglichkeit eröffnet, in den Fällen, in denen die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes Voraussetzung für eine Leistungsklage ist, auch die Verurteilung zur Leistung auszusprechen. Soweit nach Aufhebung des Verwaltungsaktes eine Folgenbeseitigung oder ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Betracht kommt, ist deshalb § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO eine Spezialregelung gegenüber § 113 Abs. 4 VwGO.[20]

b) Verpflichtungsklage

72

Der stattgebende Hauptausspruch in einem Urteil über eine Verpflichtungsklage hängt davon ab, ob die Voraussetzungen des § 113 Abs. 5 S. 1 oder S. 2 VwGO erfüllt sind.

73

aa) § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO regelt die sog. Vornahmeklage. Danach spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt und wenn die Sache spruchreif ist. Die Verpflichtung der Behörde, einen Verwaltungsakt zu erlassen, kommt in Betracht, wenn bei gebundener Verwaltung die Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage erfüllt sind und wenn bei Ermessensnormen eventuelle Tatbestandsvoraussetzungen der Norm gegeben sind und das Ermessen auf Null reduziert ist.

Fall:

A hat die Erteilung einer Baugenehmigung beantragt. Die Behörde B, hat den Antrag mit Bescheid vom 1.2.2020 abgelehnt. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass die Klage zulässig und begründet ist. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht. Wie lautet der Tenor des Urteils des Verwaltungsgerichts?

74

Im Fall geht es um eine Vornahmeklage gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Denn wenn die bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung erfüllt sind, muss die Behörde die Baugenehmigung erteilen. Ein Ermessen steht ihr insoweit nicht zu.

75

Liegen die Voraussetzungen für eine Verpflichtung der Behörde gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO vor, so wird die Behörde zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes „verpflichtet“. Die Formulierung „verpflichtet“ grenzt das Verpflichtungsurteil von dem stattgebenden Urteil im Falle einer allgemeinen Leistungsklage ab. Bei der allgemeinen Leistungsklage wird die Behörde zum Erlass des beantragten Realaktes „verurteilt“. Diese Unterscheidung muss in einer Klausurlösung bei der Formulierung des Hauptausspruches im Tenor eines Urteils dringend beachtet werden. Andernfalls gehen die Korrektoren der Klausur regelmäßig davon aus, dass dem Klausurbearbeiter die erforderlichen (Grundlagen-) Kenntnisse über die Unterscheidung zwischen der Verpflichtungsklage und der allgemeinen Leistungsklage fehlen.

76

Im Beispielfall lautet deshalb der Hauptausspruch im Tenor des Urteils,

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.2.2020 verpflichtet, dem Kläger eine Baugenehmigung für sein Bauvorhaben auf dem Grundstück Gemarkung…, Flur 27, Flurstück 12, zu erteilen.

 

Ist auch ein Widerspruchsbescheid erlassen worden, lautet der Hauptausspruch,

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.2.2020 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 24.5.2020 verpflichtet, dem Kläger eine Baugenehmigung für sein Bauvorhaben auf dem Grundstück Gemarkung…, Flur 27, Flurstück 12 zu erteilen.

Oder

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.2.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 24.5.2020 verpflichtet, dem Kläger eine Baugenehmigung für sein Bauvorhaben auf dem Grundstück Gemarkung…, Flur 27, Flurstück 12 zu erteilen.

77

Soweit das Grundstück in einem Bundesland liegt, in dem die Klage gegen den Rechtsträger zu richten ist, weil das Land von der Möglichkeit gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat, kommt es für den Tenor darauf an, wer Rechtsträger der Behörde ist. Unterstellt, das Land ist der Rechtsträger, lautet der Tenor im Fall:

Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides der B vom 1.2.2020 verpflichtet, dem Kläger eine Baugenehmigung für sein Bauvorhaben auf dem Grundstück Gemarkung…, Flur 27, Flurstück 12, zu erteilen.

Statt „das beklagte Land“ kann auch „der Beklagte“ formuliert werden.

78

Bei einem stattgebenden Verpflichtungsurteil gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO, mit dem die Behörde zum Erlass eines rückwirkenden Verwaltungsakt verpflichtet wird, ist es trotz kassatorischer Wirkung des stattgebenden Urteil zweckmäßig und üblich, den ablehnenden Bescheid in seiner Gesamtheit aufzuheben. Entfaltete der zu erlassene Verwaltungsakt lediglich für die Zukunft Wirkung, so ist auch der angegriffene Verwaltungsakt nur ex nunc aufzuheben. Regelt der Bescheid auch einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt, ist zu prüfen, sich der Ablehnungsbescheid insoweit erledigt hat.[21]

79

bb) § 113 Abs. 5 S. 2 regelt die sog. Bescheidungs- oder Neubescheidungsklage. Nach dieser Vorschrift spricht das Gericht die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, wenn eine Verpflichtung der Behörde gemäß § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO nicht in Betracht kommt. Auch bei dem Neubescheidungsurteil gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Behörde nicht „verurteilt“, sondern verpflichtet wird und dass der ablehnende Bescheid wie bei der Vornahmeklage nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO aufgehoben wird. Soweit der Kläger, wie im Beispielsfall, Vornahmeklage (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) und – in der Regel hilfsweise – Neubescheidungsklage (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) erhoben hat, aber nur die Voraussetzungen des § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO vorliegen, erfolgt eine Teilstattgabe. Diese Teilstattgabe muss in dem Hauptausspruch des Tenors zum Ausdruck gebracht werden.

Formulierungsbeispiel:

Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides der…vom 1.2.2020 und des Widerspruchsbescheides der… vom 23.3.2020 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Beihilfe neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.