Assessorexamen im Öffentlichen Recht

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1. Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen

255

Die wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) sind:

256


1. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)
2. Ordnungsgemäße Klageerhebung (§§ 81, 82 VwGO)
3. Statthafte Klageart
4. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
5. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
6. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)
7. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)
8. Vorverfahren
9. Klagefrist (§ 74 VwGO)
10. Richtiger Klagegegner (§ 78 Abs. 1 VwGO)
11. Fehlende anderweitige Rechtshängigkeit
12. Rechtsschutzbedürfnis

257

Die Auflistung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist nicht abschließend.[67] Insbesondere ist bei der Verpflichtungsklage in den Klausurbearbeitungen gelegentlich die vor Klageerhebung erfolgte erfolglose Antragstellung bei der Behörde zu erörtern.[68] Es handelt sich um einen selbstständigen Zulässigkeitsprüfungspunkt (vertretbar ist auch, diesen im Rahmen des Rechtschutzinteresses zu prüfen), der allerdings nur dann zu erörtern ist, wenn das Vorliegen dieser Zulässigkeitsvoraussetzung ernsthaft zweifelhaft ist. Die weiteren aufgelisteten Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage, z.B. der Prüfungspunkt „Deutsche Gerichtsbarkeit“, haben in den Klausuren allenfalls ausnahmsweise Relevanz.

258

Die angegebene Reihenfolge der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist nicht dahin zu verstehen, dass die Prüfungspunkte zwingend in dieser Reihenfolge zu prüfen sind. Aufbauschemata geben stets lediglich einen Überblick über die zu beachtenden Prüfungspunkte. Die Reihenfolge der Prüfung ist zu variieren, wenn dies der Verständlichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dient oder aus prozessökonomischen Gründen geboten ist. So ist etwa auch die Frage nach dem richtigen Klagegegner bereits eingangs der Entscheidungsgründe des Urteils und vor der Prüfung der Zulässigkeit der Klage zu klären, wenn eine Rubrumsberichtigung in Betracht kommt (vgl. Rn. 246 ff.).

259

Die Bedeutung und der Inhalt der einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sollen hier nicht in allen Einzelheiten erörtert werden, weil sie den Klausurbearbeitern erfahrungsgemäß schon aus der Vorbereitung zum Ersten juristischen Staatsexamen bekannt sind. Fehler in den Klausurlösungen sind weniger die Folge mangelnden Wissens, sondern Folge fehlenden praktischen Geschicks. Weil die Bedeutung und der Inhalt der Zulässigkeitsvoraussetzungen bekannt sind, besteht nämlich bei vielen Klausurbearbeitern die Neigung, dieses Wissen „anzubringen“, indem umfangreich Zulässigkeitsvoraussetzungen in einem Urteilsentwurf angesprochen werden. Dies ist fehlerhaft. Da nur die tragenden Entscheidungsgründe in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil darzulegen sind, sind nur solche Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erörtern, die problematisch oder nach dem Klausurtext von den Beteiligten angesprochen worden sind. Hier liegt eine ständige Fehlerquelle in den Assessorklausuren. Häufig werden über Seiten Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft, die zweifelsfrei erfüllt sind und deren Vorliegen auch von keinem Beteiligten angezweifelt worden ist. Derartige Ausführungen sind fehlerhaft, weil die normativen Vorgaben in §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO nicht beachtet werden. Zugleich haben solche Ausführungen zur Folge, dass die Klausurlösung praktischen Anforderungen nicht genügt. Dies verdeutlichen für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die nachfolgenden Fälle.

a) Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

260

Nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Die Abgrenzung zwischen einer öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Streitigkeit kann im Einzelfall schwierig sein, zumal zu dieser Abgrenzung die unterschiedlichsten Theorien, z.B. die Subordinations-, Subjekts-, Interessen- und Zuordnungstheorie,[69] vertreten werden. In der Klausurbearbeitung im Zweiten juristischen Staatsexamen liegt hier jedoch regelmäßig kein Problem, sodass es fehlerhaft wäre, die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges in einem Urteilsentwurf zu erörtern.

Fall:

A begehrt im Klageverfahren die Erteilung einer Baugenehmigung. Wird das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils zur Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges Stellung nehmen?

261

Das Verwaltungsgericht wird in den Entscheidungsgründen seines Urteils die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nicht erörtern. Denn es liegt auf der Hand, dass allein ein Verwaltungsgericht über eine baurechtliche Streitigkeit auf Erteilung einer Baugenehmigung entscheidet. Es wäre deshalb „praxisfern“, in einem Urteilsentwurf unter Heranziehung der einzelnen zur Abgrenzung des Verwaltungs- und Zivilrechtsweges vertretenen Theorien die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges anzusprechen. Für die Entscheidung, ob in den Entscheidungsgründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges zu erörtern ist, hilft insofern die Kontrollfrage: „Kommt die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit in Betracht oder liegt auf der Hand, dass allein ein Verwaltungsgericht zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen ist?“. Nur bei ernsthaften Zweifeln an der Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges oder in den Fällen, in denen etwa der Beklagte die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges bezweifelt, werden die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 VwGO erörtert. Das verbreitete „Sicherheitsdenken“, es sei besser, zumindest einen Satz zu einem Prüfungspunkt zu schreiben, um den Korrektoren der Klausur zu zeigen, dass der Prüfungspunkt bekannt und bei der Klausurbearbeitung beachtet worden sei, führt regelmäßig zu einem erheblichen Punkteabzug bei der Bewertung der Klausur. Mit Blick auf die auch für die Bewertung der Klausur maßgeblichen Anforderungen gemäß §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO muss der Klausurbearbeiter sich stets auf die für die Falllösung wesentlichen Aspekte konzentrieren. Werden überflüssige Prüfungspunkte in dem Entwurf einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erörtert, erweckt dies auch bei den Korrektoren den Eindruck, dass der Klausurbearbeiter nicht über das im Assessorexamen nachzuweisende praktische Geschick verfügt.

262

Ist der Verwaltungsrechtsweg ausnahmsweise nicht eröffnet, so hat dies nicht zur Folge, dass die Klage unzulässig ist. Das Verwaltungsgericht muss vielmehr den Rechtsstreit gemäß § 17a Abs. 2 S. 1 GVG nach Anhörung der Parteien an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verweisen. Ein Antrag der Parteien ist nicht erforderlich.[70] Die Verweisung erfolgt durch Beschluss, der für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, hinsichtlich der Eröffnung des Rechtsweges bindend ist (§ 17a Abs. 2 S. 3 GVG). Der Verweisungsbeschluss kann ohne mündliche Verhandlung ergehen; er erfordert eine Begründung (§ 17a Abs. 4 Sätze 1 und 2 GVG). Da die fehlende Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges lediglich die Verweisung des Rechtsstreits, nicht aber die Unzulässigkeit der Klage zur Folge hat, ist es im Übrigen vertretbar, die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern als selbstständigen, vor der Zulässigkeit der Klage zu erörternden Prüfungspunkt zu behandeln.

b) Statthaftigkeit

263

Die Statthaftigkeit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage richtet sich nach § 42 Abs. 1 VwGO. Danach kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (Verpflichtungsklage) begehrt wird. Ob ein Verwaltungsakt vorliegt oder erstrebt wird, bestimmt sich nach § 35 VwVfG, der die Merkmale eines Verwaltungsaktes regelt. Viele Klausurbearbeiter überschätzen die Bedeutung dieses Prüfungspunktes in den Assessorklausuren.

Fall:

 

A beantragt im Klageverfahren die Erteilung einer Baugenehmigung. Wird das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils die Statthaftigkeit der Klage näher erläutern?

264

Das Verwaltungsgericht wird die Statthaftigkeit der Klage nicht im Einzelnen begründen. Denn es liegt auf der Hand, dass der Kläger den Erlass eines Verwaltungsaktes begehrt. Es besteht auch nicht der geringste Zweifel daran, dass die Baugenehmigung ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG ist. Daraus folgt zugleich zweifelsfrei, dass die Klage als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft ist.

Fall:

Im vorhergehenden Beispielsfall bestehen auch sonst keine Zweifel an der Zulässigkeit der Anfechtungsklage. Die Klage ist aber unbegründet. Wie lauten die ersten zwei Sätze der Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils?

265

Ist der Verwaltungsakt mangels Bekanntgabe noch nicht wirksam geworden, ist die Anfechtungsklage unstatthaft. Denkbar ist aber eine allgemeine Feststellungsklage. Ist der Verwaltungsakt nichtig, kommen eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsklage in Betracht.

266

Ist die Klage zweifelsfrei zulässig und die Zulässigkeit von keinem Beteiligten in Zweifel gezogen worden, so wird die Zulässigkeit der Klage in den Entscheidungsgründen eines verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht näher erörtert. Es wird lediglich ohne nähere Begründung die statthafte Klageart angegeben und im Anschluss daran die Begründetheit der Klage erörtert. Die Angabe der statthaften Klageart sollte aber stets erfolgen. Denn die Klageart bestimmt auch den bei der Begründetheitsprüfung anzulegenden Prüfungsmaßstab. Dieser ergibt sich etwa für eine Anfechtungsklage aus § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, für eine Verpflichtungsklage aus § 113 Abs. 5 und für eine Fortsetzungsfeststellungsklage aus § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO. Im Beispielsfall lauten deshalb die ersten zwei Sätze der Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 7.5.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

c) Die Klagebefugnis

267

Die Klagebefugnis ist in § 42 Abs. 2 VwGO geregelt. Danach ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Fall:

A ist Halter eines bissigen Hundes. Er hat Klage gegen eine Ordnungsverfügung erhoben, durch die ihm aufgegeben worden ist, seinem Hund beim Spazierengehen einen Maulkorb anzulegen. Wird das Verwaltungsgericht sich in den Entscheidungsgründen seines Urteils näher mit der Klagebefugnis des A befassen?

268

Das Verwaltungsgericht wird in seinen Entscheidungsgründen die Klagebefugnis mit keinem Wort erörtern. Denn es liegt auf der Hand, dass A nach der sog. Adressatentheorie[71] klagebefugt ist, weil er Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes ist und sich deshalb zumindest auf die Möglichkeit einer Verletzung seines Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen kann. Vor diesem Hintergrund ist es stets fehlerhaft, in einer Klausurlösung die Klagebefugnis zu erörtern, wenn der Kläger Adressat des von ihm angefochtenen Verwaltungsaktes ist.

269

Bei einer Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wird die Klagebefugnis regelmäßig nur dann erörtert, wenn ein Fall der sog. Drittanfechtung vorliegt, also ein Dritter gegen den an einen anderen gerichteten und diesen begünstigenden Verwaltungsakt klagt. In diesen Fällen ist nach der Schutznormlehre der Dritte klagebefugt, wenn er sich auf eine Norm berufen kann, die nicht nur das öffentliche Interesse, sondern auch das Individualinteresse schützt und die Rechtsmacht verleiht, das Individualinteresse durchzusetzen.[72]

270

Die Klärung, ob der Dritte sich auf drittschützende Normen berufen kann, ist im Übrigen für den bei der Begründetheitsprüfung anzulegenden Prüfungsmaßstab von grundlegender Bedeutung. Das Verwaltungsgericht prüft nämlich in den Fällen der Drittanfechtung nur diejenigen Normen, die drittschützend sind. Denn nur in diesem Fall kommt eine Rechtsverletzung im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und damit eine Stattgabe der Klage in Betracht. Verstößt der Verwaltungsakt nicht gegen drittschützende Normen, ist er aber aus anderen Gründen rechtswidrig, wird das Verwaltungsgericht aufgrund fehlender Rechtsverletzung des Dritten dessen Klage abweisen.

Fall:

Der Kläger klagt auf Neubescheidung (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). Eine Reduktion des Ermessens der Behörde auf Null liegt nicht vor. Der Kläger meint aber, dass die Ablehnung seines Antrags auf Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes fehlerhaft ist. Wird das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils zur Klagebefugnis Stellung nehmen?

271

Für die Klagebefugnis bei der Verpflichtungsklage gelten die für die Klagebefugnis bei einer Anfechtungsklage dargelegten Grundsätze entsprechend. Nach der sog. Möglichkeitstheorie[73] ist der Kläger (schon) dann klagebefugt, wenn die Möglichkeit besteht, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht. Diese Möglichkeit ist bei einer Verpflichtungsklage regelmäßig anzunehmen. Ausführungen zur Klagebefugnis sind deshalb nur dann geboten, wenn an der Möglichkeit des Vorliegens des geltend gemachten Anspruchs ernsthaft Zweifel bestehen oder ein Beteiligter des Klageverfahrens Zweifel an der Klagebefugnis geäußert hat.

272

Bei einer Klage auf Neubescheidung (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) sind dagegen stets Ausführungen zur Klagebefugnis erforderlich, weil die dogmatische Herleitung und die Voraussetzungen des subjektivrechtlichen Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht abschließend geklärt sind.[74] Nach der Rechtsprechung bedarf auch der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung einer Rechtsgrundlage. Daran fehlt es in Anlehnung an die Schutznormlehre, wenn die das Ermessen einräumende Norm nicht (zumindest auch) dem Interesse des Betroffenen zu dienen bestimmt ist, sondern ausschließlich dem Schutz öffentlicher Interessen dient.[75] Die ordnungsbehördlichen oder polizeilichen Generalklauseln der Länder, z.B. § 14 Abs. 1 OBG NRW, die die Behörde bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ermächtigen, nach Ermessen einzuschreiten, begründen danach einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, weil sie auch dazu dienen, Individualrechtsgüter zu schützen.

Formulierungsbeispiel:

Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist der Kläger klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Es besteht die Möglichkeit, dass ihm der geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und damit auf Neubescheidung zusteht. Der dahingehende Anspruch ergibt sich jedenfalls aus § 14 Abs. 1 OBG NRW. Denn diese Vorschrift schützt unter anderem auch die Individualrechtsgüter, also auch das Recht des Klägers auf körperliche Unversehrtheit. …

2. Fortsetzungsfeststellungsklage

273

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist ebenso wie die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage stark klausurrelevant. Ihre Zulässigkeitsprüfung bereitet vielen Klausurbearbeitern Schwierigkeiten, weil die wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage zumeist bekannt sind, aber nicht in einer praktischen Anforderungen genügenden Weise genutzt werden können. Anders als bei der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sind bei der Fortsetzungsfeststellungsklage regelmäßig einige Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erörtern.

Fall:

A ist am Ende des Schuljahres 2017/18 mit Zeugnis vom 30.6.2018 nicht in die Klasse 3 der Grundschule versetzt worden. Nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren hat er Klage erhoben mit dem Antrag, die beklagte Schule zu verpflichten, ihn in die 3. Klasse zu versetzen. In der mündlichen Verhandlung im Oktober 2019 trägt A vor, er habe die 2. Klasse erfolgreich wiederholt und sei am Ende des Schuljahres 2018/19 in die Klasse 3 versetzt worden. Er beantragt deshalb nunmehr festzustellen, dass die Nichtversetzungsentscheidung im Zeugnis vom 30.6.2018 rechtswidrig war. Was wird das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ausführen?

274

a) Das Verwaltungsgericht wird in den Entscheidungsgründen seines Urteils die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40 VwGO) nicht erörtern. Für die Fortsetzungsfeststellungsklage gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage: In den Entscheidungsgründen eines Urteils werden nur solche Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage erörtert, die problematisch oder von den Beteiligten angesprochen worden sind. Dazu gehört im Beispielsfall nicht die Frage, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Es liegt auf der Hand, dass über schulrechtliche Streitigkeiten kein Zivil-, Straf-, Arbeits-, Finanz- oder Sozialgericht, sondern allein ein Verwaltungsgericht entscheidet. Im Beispielsfall beginnen deshalb die Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils mit der Prüfung der Statthaftigkeit der Klage.

275

aa) Zunächst ist die Anwendbarkeit des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO zu klären. Danach spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Regelung erfasst Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Nach ihrem Wortlaut ist sie unmittelbar nur auf die in § 113 Abs. 1 VwGO geregelte Anfechtungsklage anwendbar. Beim Übergang von der Verpflichtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage findet § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO deshalb analoge Anwendung.[76] Statthafte Klageart ist danach im Beispielsfall die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog, weil A im Klageverfahren von seiner ursprünglichen Verpflichtungsklage auf Versetzung zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen ist.

276

bb) Das Verwaltungsgericht wird im Rahmen der Statthaftigkeit der Klage weiter prüfen, ob eine Erledigung im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO eingetreten ist. Die Vorschrift nennt ausdrücklich nur die Zurücknahme des Verwaltungsaktes als erledigendes Ereignis. Der unbestimmte Rechtsbegriff „anders erledigt“ in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist erfüllt, wenn eine gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes oder der Erlass des begehrten begünstigenden Verwaltungsaktes nicht mehr in Betracht kommen, weil das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage entfallen ist.[77] Die Fälle der Erledigung lassen sich nicht abschließend erfassen. Eine Orientierungshilfe bietet § 43 Abs. 2 VwVfG. Danach bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die in der Praxis wichtigsten Fälle sind die Erledigung des Verwaltungsaktes aufgrund einer Änderung der Sach- oder Rechtslage und aufgrund des Zeitablaufs.[78] Im Beispielsfall ist eine Erledigung aufgrund einer geänderten Sachlage eingetreten. A hat kein schutzwürdiges Interesse mehr an einer gerichtlichen Verpflichtung der Schule, ihn in die Klasse 3 zu versetzen, weil er am Ende des Schuljahres 2018/19 in die Klasse 3 versetzt worden ist. Eine gerichtliche Verpflichtung der Schule, ihn in die Klasse 3 zu versetzen, würde seine Rechtsposition nicht (mehr) verbessern.

277

cc) Im Rahmen der Statthaftigkeit der Klage ist weiter zu prüfen, ob die Erledigung vor oder nach Klageerhebung eingetreten ist. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erfasst nach seinem Wortlaut nur den Fall der Erledigung des Verwaltungsaktes nach Klageerhebung. Mit der Formulierung „vorher“ in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist nämlich gemeint, dass die Erledigung des Verwaltungsaktes vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die bereits anhängige Anfechtungsklage eingetreten ist. Die Vorschrift findet damit analoge Anwendung, wenn sich die Anfechtungsklage bereits vor Klageerhebung erledigt hat. Bei einer Verpflichtungsklage, auf die § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ohnehin analog anzuwenden ist, kommt es daher zu der – dogmatisch nicht möglichen und daher so nicht zu bezeichnenden – „doppelten Analogie“ des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, wenn sich die Verpflichtungsklage schon vor Klageerhebung erledigt hat. Im Beispielsfall (Rn. 273) hat sich die ursprüngliche Verpflichtungsklage nach Klageerhebung erledigt mit der Folge, dass es bei der „einfachen“ Analogie des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bleibt.

 

Formulierungsbeispiel:

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft. Nach allgemeiner Meinung findet die ihrem Wortlaut nach nur auf Anfechtungsklagen anwendbare Vorschrift im Falle des Übergangs von einer erledigten Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechende Anwendung. Die Erledigung der ursprünglichen Verpflichtungsklage des Klägers ist hier dadurch eingetreten, dass er am Ende des Schuljahres 2018/19 in die Klasse 3 versetzt worden ist. Aufgrund dieser geänderten Sachlage ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung der Verpflichtungsklage entfallen. Denn eine gerichtliche Verpflichtung der beklagten Schule, den Kläger in die Klasse 3 zu versetzen, würde seine Rechtsposition nicht verbessern, weil er bereits in die Klasse 3 versetzt worden ist.

278

b) Das Verwaltungsgericht wird in den Entscheidungsgründen seines Urteils weiter ausführen, dass der Übergang von der Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage nicht den Anforderungen einer Klageänderung gemäß § 91 VwGO unterliegt. Denn die Klageumstellung stellt nach der Rechtsprechung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO keine Klageänderung dar.[79] Nach § 264 Nr. 3 ZPO ist es nicht als Klageänderung anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes das Interesse gefordert wird. Dies muss in der Klausurlösung in der gebotenen, aber auch notwendigen Kürze angesprochen werden.

Formulierungsbeispiel:

Der Übergang von der Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage unterliegt nicht den Voraussetzungen des § 91 VwGO. Denn der Übergang stellt gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 3 ZPO keine Klageänderung dar.

279

c) Das Verwaltungsgericht wird weiter das Fortsetzungsfeststellungsinteresse prüfen. Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO kommt im Wesentlichen unter drei Gesichtspunkten in Betracht: Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse und Schadensersatzinteresse.[80]

280

aa) Das Bestehen einer Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass der Kläger hinreichend konkreten Anlass haben muss, eine Wiederholung der behördlichen Entscheidung in absehbarer Zeit zu befürchten. Das ist nur dann der Fall, wenn in der Zukunft die gleichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse wie im Zeitpunkt der Erledigung vorliegen können.[81] Daran fehlt es im Beispielsfall. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass A in den kommenden Schuljahren erneut nicht versetzt wird. Eine eventuelle künftige Nichtversetzung würde aber auf anderen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse beruhen als denjenigen, die im Schuljahr 2017/18 gegeben waren. Das ergibt sich schon daraus, dass der Schüler in jedem Jahr andere Schulleistungen erbringt.

281

bb) Ein Rehabilitationsinteresse ist gegeben, wenn der Kläger durch die behördliche Entscheidung in diskriminierender Weise in seinen rechtlich geschützten Rechten verletzt worden ist. Dies setzt grundsätzlich eine fortwirkende Diskriminierung voraus. Eine Ausnahme gilt für Benachteiligungen in grundrechtlich geschützten Interessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es grundsätzlich zulässig, ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben anzusehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet es aber, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die unmittelbare Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann.[82] Danach ergibt sich etwa bei einem polizeilichen Einschreiten während einer Demonstration das Rehabilitationsinteresse aus dem mit dem Einschreiten verbundenen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, ohne dass es auf ein Fortwirken oder Andauern der Folgen des polizeilichen Einschreitens ankommt. Im Schulrecht genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich nicht ausschließen lässt, dass die Nichtversetzung Relevanz für die weitere schulische und sonstige Entwicklung des Schülers hat.[83] Eine dahingehende Relevanz lässt sich nie ausschließen, sodass im praktischen Ergebnis nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Nichtversetzungen stets ein Rehabilitationsinteresse zu bejahen ist. Auch im Beispielsfall ist daher ein Rehabilitationsinteresse des A gegeben.

282

cc) Die Absicht, einen Schadensersatzprozess gegen die Behörde zu führen, begründet grundsätzlich ebenfalls ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht dann nicht, wenn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch offensichtlich nicht gegeben ist. Insoweit prüft das Verwaltungsgericht also gegebenenfalls auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche. Die Prüfung ist aber darauf beschränkt festzustellen, ob Schadensersatz offensichtlich nicht in Betracht kommt. Außerdem begründet die Absicht, Schadensersatz geltend zu machen, kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, wenn die Erledigung bereits vor Klageerhebung eingetreten ist. In diesen Fällen ist der Kläger darauf verwiesen, sogleich Klage beim zuständigen Zivilgericht zu erheben. Einen Anspruch auf „den sachnäheren Richter“ gibt es nach der Rechtsprechung nicht.[84]

283

dd) Wird das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht, darf in den Entscheidungsgründen mit Blick auf §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO nur der Gesichtspunkt angeführt, der (jedenfalls) durchgreift. Ob auch andere Gesichtspunkte ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen, ist für die Lösung des Falles nicht (mehr) von Bedeutung. Im Beispielsfall genügt deshalb der Hinweis auf ein schutzwürdiges Rehabilitationsinteresse des A.

Formulierungsbeispiel:

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO an der Feststellung der Nichtversetzung im Zeugnis vom 30.6.2018. Dabei kann dahinstehen, ob er sich mit Erfolg auf eine Wiederholungsgefahr oder ein Schadensersatzinteresse berufen kann. Er hat jedenfalls ein schutzwürdiges Rehabilitationsinteresse. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Nichtversetzung nachteilige Auswirkungen auf die schulische und sonstige Entwicklung des Klägers haben kann. Eine konkrete nachteilige Auswirkung muss nicht nachgewiesen sein.

284

d) Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage setzt weiter voraus, dass, wenn die Erledigung schon vor Klageerhebung eingetreten ist, der Kläger in zulässiger Weise eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage hätte erheben können, oder, wenn die Erledigung nach Klageerhebung eingetreten ist, die ursprüngliche Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zulässig war. Denn es ist auch unter Berücksichtigung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) kein rechtfertigender Grund dafür gegeben, dem Kläger prozessual die Möglichkeit zu eröffnen, von einer unzulässigen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage auf eine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage überzugehen. Es müssen damit in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung alle sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gegeben sein. Dazu gehört insbesondere, dass der Kläger im Zeitpunkt der Erledigung seines Klagebegehrens klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO war.[85] Eine Ausnahme gilt nur für die Durchführung des Vorverfahrens und die Einhaltung der Klagefrist gemäß § 74 VwGO. Der Einhaltung dieser Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bedarf es nicht, wenn die Erledigung schon vor Klageerhebung eingetreten ist. Ist die Erledigung während des Klageverfahrens eingetreten, müssen dagegen auch diese Zulässigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Erledigung erfüllt gewesen sein.