Assessorexamen im Öffentlichen Recht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

IV. Aufbauschema eines Tatbestandes

208

Die nachfolgenden Aufbauschemata gelten für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Bei der Fortsetzungsfeststellungsklage kann der Tatbestand in Anlehnung an die Aufbauschemata formuliert werden. Denn der Fortsetzungsfeststellungsklage liegt entweder ein Übergang von der Anfechtungsklage oder von der Verpflichtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage zugrunde.

209

Die Aufbauschemata bieten außerdem regelmäßig eine hinreichende Orientierungshilfe für die Formulierung eines Tatbestandes in einem Urteil, dem eine allgemeine Leistungsklage zugrunde liegt. Richtet sich die allgemeine Leistungsklage gegen belastendes schlicht hoheitliches Handeln, kann der Tatbestand in Anlehnung an das für die Anfechtungsklage geltende Aufbauschema formuliert werden. Eine Orientierung an das für die Verpflichtungsklage geltende Aufbauschema kommt in Betracht, wenn der Kläger mit der allgemeinen Leistungsklage die Verurteilung zu einem schlicht hoheitlichen Handeln, Dulden oder Unterlassen erstrebt.

Für den Tatbestand in einem auf eine allgemeine Feststellungsklage (§ 43 VwGO) ergehenden Urteil gibt es dagegen angesichts der denkbaren vielgestaltigen Sachverhaltskonstellationen kein Aufbauschema, das in jedem Einzelfall hilfreich ist. Die Aufbauschemata für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bieten nur insofern eine (kleine) Orientierungshilfe, als auch bei der allgemeinen Feststellungsklage regelmäßig zwischen dem unstreitigen Sachverhalt, dem der allgemeinen Feststellungsklage vorausgehenden Verwaltungsverfahren und dem Ablauf des Klageverfahrens unterschieden werden kann und diese Tatbestandsteile in dieser Reihenfolge dargestellt werden können. Außerdem sollte gerade bei der allgemeinen Feststellungsklage auf eine historisch geordnete Darstellung des Sach- und Streitstandes geachtet werden.

1. Anfechtungsklage

210


1. Unstreitiger Sachverhalt
2. Ausgangsbescheid und Begründung des Ausgangsbescheides
3. Widerspruch und Widerspruchsbegründung
4. Widerspruchsbescheid und Widerspruchsbegründung
5. Klageerhebung
6. Klägervortrag
7. Antrag des Klägers
8. Antrag des Beklagten
9. Beklagtenvortrag
10. ggf. Antrag und Vortrag des Beigeladenen
11. ggf. Antrag und Vortrag des Vertreters des öffentlichen Interesses
12. ggf. Prozessgeschichte

2. Verpflichtungsklage

211


1. Unstreitiger Sachverhalt
2. Antrag des Klägers auf Erlass des Verwaltungsaktes und Begründung des Antrags
3. Ausgangsbescheid und Begründung des Ausgangsbescheides
4. Widerspruch und Widerspruchsbegründung
5. Widerspruchsbescheid und Widerspruchsbegründung
6. Klageerhebung
7. Klägervortrag
8. Antrag des Klägers
9. Antrag des Beklagten
10. Beklagtenvortrag
11. ggf. Antrag und Vortrag des Beigeladenen
12. ggf. Antrag und Vortrag des Vertreters des öffentlichen Interesses
13. ggf. Prozessgeschichte

Die Stationen Widerspruch und Widerspruchsbegründung sowie Widerspruchsbescheid und Begründung entfallen, wenn ein Vorverfahren nicht durchzuführen ist.

F. Die Entscheidungsgründe
I. Bedeutung und der Inhalt

212

Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO müssen dem verwaltungsgerichtlichen Urteil Entscheidungsgründe beigefügt werden. Sie enthalten nach § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO die Gründe, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend sind.

1. Die Zwecke der Entscheidungsgründe

213

Die Entscheidungsgründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils erfüllen mehrere Zwecke.

214

Die Urteilsbegründung hat zunächst eine Darlegungsfunktion. Zum einen sollen die Beteiligten erfahren, auf welchen Erwägungen das Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Zum anderen sollen die Entscheidungsgründe dem Rechtsmittelgericht ermöglichen, das Urteil zu überprüfen.

215

Darüber hinaus haben die Entscheidungsgründe eine Beurkundungsfunktion. Sie sollen dokumentieren, dass die schriftlich niedergelegten Gründe mit den Gründen übereinstimmen, die nach dem Ergebnis der Urteilsberatung für die richterliche Überzeugung und für die von dieser Überzeugung getragene Entscheidung leitend sind. Damit von einer solchen Übereinstimmung ausgegangen werden kann und die Beurkundungsfunktion der Entscheidungsgründe noch gewahrt ist, ist es notwendig, dass zwischen der Beratung und der Verkündung eines noch nicht vollständig abgefassten Urteils sowie der Niederlegung der Gründe, der Unterzeichnung und der Übergabe des ganzen Urteils an die Geschäftsstelle eine nicht zu große Zeitspanne liegt. Jedenfalls fünf Monate nach der Urteilsverkündung ist die erforderliche Übereinstimmung nicht mehr gewahrt.[53] Diese Rechtsprechung orientiert sich an §§ 517, 548 ZPO. Danach beginnen die Berufungs- und Revisionsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

216

Die Entscheidungsgründe müssen den Tenor des Urteils rechtfertigen. Daraus folgt, dass die Entscheidungsgründe eine Begründung des Hauptausspruchs, der Kostenentscheidung und der vorläufigen Vollstreckbarkeit enthalten müssen. Umfasst der Tenor des Urteils auch einen Ausspruch über die Zulassung der Berufung, die Zulassung der Sprungrevision oder eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren (§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO), sind diese Entscheidungen ebenfalls in den Entscheidungsgründen zu begründen. Das Gleiche gilt für eine etwaige Einstellung des Verfahrens, wenn die Klage teilweise zurückgenommen worden ist oder die Beteiligten den Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

2. Der Umfang der Entscheidungsgründe

217

Der Umfang der Entscheidungsgründe ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht im Einzelnen normiert. § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO enthält lediglich die Vorgabe, dass in den Entscheidungsgründen (nur) die für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gründe darzustellen sind.

Fall:

Referendar R wird in der mündlichen Prüfung gefragt, wie umfangreich die Entscheidungsgründe eines Urteils sein müssen und ob die Entscheidungsgründe wissenschaftlichen Anforderungen genügen müssen. Was wird R antworten?

218

R wird antworten, dass der unbestimmte Rechtsbegriff „leitend“ in § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO gesetzlich nicht näher definiert ist. Zur Auslegung des Begriffs kann deshalb gemäß § 173 VwGO auf § 313 Abs. 3 ZPO zurückgegriffen werden. Nach § 313 Abs. 3 ZPO enthalten die Entscheidungsgründe eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Es ist damit nicht erforderlich, dass die Entscheidungsgründe sich mit allen im Klageverfahren aufgeworfenen Fragen auseinandersetzen und jeder Gesichtspunkt im Einzelnen erörtert wird. Es genügt, dass die für die richterliche Überzeugungsbildung wesentlichen Fragen erörtert werden, soweit sie nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für die Lösung des Falles erheblich oder von den Beteiligten angesprochen worden sind.[54] Ist der Vortrag eines Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht unsubstantiiert oder rechtlich abwegig, kann nicht ohne weiteres über den Vortrag hinweggegangen werden. Das Verwaltungsgericht muss in knapper Form zum Ausdruck bringen, aus welchen Gründen es sich mit dem Vortrag des Beteiligten inhaltlich nicht näher auseinandersetzt.[55]

 

219

Die Entscheidungsgründe sind nach diesen Grundsätzen in möglichst straffer Form abzufassen. Sie müssen sich auf das für die Entscheidung des Rechtsstreits Wesentliche konzentrieren. In welchem Umfang das Verwaltungsgericht für seine Entscheidung des konkreten Rechtsstreits Rechtsprechung und Literatur heranzieht, steht in seinem Ermessen.[56] Bei der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, dass Urteile nach den mit ihnen verbundenen Zwecken keine wissenschaftlichen Abhandlungen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies treffend zum Ausdruck gebracht und ausgeführt: „Urteile sind keine Seminararbeiten. Sie dienen ausschließlich einem praktischen Zweck. Sie sollen die Beteiligten darüber unterrichten, welche Gründe für die getroffene Entscheidung maßgebend sind, und eine etwaige Nachprüfung durch die höhere Instanz ermöglichen.“[57]

3. Bezugnahmen

220

Eine Bezugnahme in den Entscheidungsgründen kann unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 5 VwGO erfolgen. Nach dieser Vorschrift kann das Verwaltungsgericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Besondere Formen der Bezugnahme sind in § 84 Abs. 4 VwGO und § 77 Abs. 2 AsylG vorgesehen. Nach § 84 Abs. 4 VwGO kann das Verwaltungsgericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und auch der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung eines zuvor erlassenen Gerichtsbescheides folgt und dies in dem Urteil feststellt. In Asylstreitigkeiten kann das Verwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, wenn und soweit es den Feststellungen und der Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge folgt. Von diesen Möglichkeiten der Bezugnahme sollte in den Klausurlösungen kein Gebrauch gemacht werden. Regelmäßig enthalten die dem Klausurtext beigefügten Bearbeitervermerke des Prüfungsamtes auch einen entsprechenden Hinweis.

4. Die Berichtigung der Entscheidungsgründe

221

Eine nachträgliche Berichtigung der Entscheidungsgründe kommt nur in den Grenzen der §§ 118 und 120 VwGO in Betracht. Nach § 118 Abs. 1 VwGO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit berichtigt werden. Nach § 120 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag oder die Kostenfolge bei der Entscheidung ganz oder zum Teil übergangen ist. Weitergehende nachträgliche Berichtigungsmöglichkeiten gibt es nicht.

5. Folgen fehlender oder unzureichender Entscheidungsgründe

222

Fehlen die Entscheidungsgründe oder genügen sie nicht den an sie zu stellenden Anforderungen gemäß § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel, der die Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) oder der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigen kann, oder sogar ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 138 Nr. 6 VwGO vor. Nach § 138 Nr. 6 VwGO ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn das Urteil überhaupt keine Entscheidungsgründe enthält, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind. Das Fehlen von Entscheidungsgründen kann nicht durch eine Berichtigung gemäß § 118 Abs. 1 VwGO behoben werden.[58]

II. Anforderungen an die Formulierung der Entscheidungsgründe

223

Die allgemeinen Anforderungen an die Formulierung der Entscheidungsgründe eines verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich aus § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO und § 313 Abs. 3 ZPO. Die Normen bilden auch den prüfungsrechtlichen Maßstab für die Bewertung der Entscheidungsgründe des im Rahmen einer Klausurlösung angefertigten Urteilsentwurfs. Die Entscheidungsgründe müssen die für die richterliche Überzeugung leitenden Erwägungen, also eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Diesen Anforderungen werden die Entscheidungsgründe nur gerecht, wenn lediglich Fragen erörtert werden, die problematisch oder von den Beteiligten ausdrücklich angesprochen worden sind.

1. Konzentration auf die entscheidungserheblichen Aspekte

224

Die zum Ersten juristischen Staatsexamen erlernten Aufbauschemata insbesondere zur Zulässigkeit einer Klage und zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes sind im Grundsatz auch für die Lösung von Klausuren im Zweiten Staatsexamen hilfreich. Sie stehen aber häufig der Formulierung praktischen Anforderungen genügender Entscheidungsgründe in einem verwaltungsgerichtlichen Urteil im Weg, weil nicht beachtet wird, dass nach §§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO, 313 Abs. 3 ZPO ausschließlich die entscheidungserheblichen Aspekte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht kurz zusammenzufassen sind. Mit diesen Anforderungen steht es nicht in Einklang, jeden einzelnen Prüfungspunkt aus den bekannten Aufbauschemata in den Entscheidungsgründen eines Urteils anzusprechen. Es sind nur diejenigen Prüfungspunkte zu erörtern, die problematisch oder von den Beteiligten des Klageverfahrens angesprochen worden sind. Problematisch sind nur solche tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen, die nicht auf Anhieb, sondern erst nach einigem Überlegen beantwortet werden können. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der Merksatz: „Wenn ein Prüfungspunkt mit einem Satz abgehandelt werden kann, spricht alles dafür, dass der Prüfungspunkt nicht problematisch und deshalb in den Entscheidungsgründen eines Urteils nicht zu erörtern ist.“.[59] Das verbreitete „Sicherheitsdenken“, möglichst viele Prüfungspunkte aus den Aufbauschemata zu erörtern, um den Korrektoren der Klausurlösung zu zeigen, dass die Prüfungspunkte bekannt und bei der Falllösung berücksichtigt worden sind, führt regelmäßig zu einer schlechten Bewertung der Klausur. Auch die Korrektoren erwarten im Zweiten Staatsexamen, dass der Klausurbearbeiter in der Lage ist, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden. So sind beispielsweise unproblematische Zulässigkeitsprobleme nicht abzuhandeln, weil dies keiner praxisnahen Bearbeitung entspricht. Das Gleiche gilt in Bezug auf die Erörterung unproblematischer Prüfungspunkte in der Begründetheitsprüfung.

225

Beispiele:

Der Kläger klagt gegen den Oberbürgermeister der Stadt Köln auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Bauvorhaben auf einem in Köln gelegenen Grundstück. In diesem Fall wäre es fehlerhaft, in den Entscheidungsgründen des Urteils die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts mit dem Satz zu begründen, „das Verwaltungsgericht Köln ist gemäß § 45 VwGO sachlich und gemäß § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig“. Denn es liegt auf der Hand, dass das Verwaltungsgericht Köln sachlich und örtlich zuständig ist. Ebenso fehlerhaft wäre es, im Falle einer Anfechtungsklage gegen eine baurechtliche Abrissverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Köln, die ein illegal errichtetes Wohnhaus in Köln betrifft, die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40 VwGO) und die örtliche Zuständigkeit des Oberbürgermeisters in den Entscheidungsgründen des Urteils zu erörtern. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass nur die Verwaltungsgerichte über derartige baurechtliche Streitigkeiten entscheiden und allein der Oberbürgermeister der Stadt Köln für den Erlass von baurechtlichen Abrissverfügungen in seinem (baurechtlichen) Zuständigkeitsbereich zuständig ist.

2. Der Urteilsstil

226

Der Gutachtenstil, der etwa in dem häufig am Ende der Entscheidungsgründe zu lesenden Satz zum Ausdruck kommt, „nach alledem war die Klage abzuweisen“, hat in einem Urteil nichts zu suchen. Die Entscheidungsgründe müssen möglichst durchgängig im Urteilsstil formuliert sein. Das erfordert, das Ergebnis der Prüfung den Ausführungen voranzustellen und bei der nachfolgenden Begründung des Ergebnisses darauf zu achten, dass die einzelnen Sätze möglichst jeweils mit dem Wort „denn“ verbunden werden können. Zur Übung und zur Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen empfiehlt es sich sehr, mehrmals die Entscheidungsgründe eines Urteilsentwurfes so zu formulieren, dass sich die einzelnen Sätze möglichst jeweils mit dem Wort „denn“ verbinden lassen. Diejenigen, die sich dieser Übung unterziehen, werden schnell feststellen, wie schwierig es ist, die rechtliche Lösung eines Falles vollständig im Urteilsstil zu formulieren, und wie viel Übung dies voraussetzt.

3. Klare Gliederung und Gedankenführung

227

Notwendige Voraussetzung für die Formulierung eines praktischen Anforderungen genügenden verwaltungsgerichtlichen Urteils ist weiter, auf eine klare Gliederung und Gedankenführung zu achten. Das setzt insbesondere auch eine richtige Schwerpunktsetzung voraus. Trotz der Selbstverständlichkeit dieser Grundsätze werden sie häufig in den Klausurlösungen nicht oder nicht hinreichend beachtet.

228

Eine klare Gliederung und Gedankenführung setzt insbesondere voraus, die Struktur einer Norm, die für die Lösung des Falles erheblich ist, zu verstehen und bei der Formulierung der Entscheidungsgründe nicht aus dem Blick zu verlieren. Handelt es sich etwa um eine Norm, die bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet, darf das Ermessen in den Entscheidungsgründen erst dann erörtert werden, wenn zuvor das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen festgestellt worden ist. Ein unbestimmter Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite, z.B. der Begriff der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit (§ 35 Abs. 1 S. 1 GewO), erfordert, dass er zunächst näher ausgelegt und bestimmt wird. Erst im Anschluss daran folgt die Subsumtion.

Formulierungsbeispiel:

Der Kläger ist unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO. Unzuverlässig ist derjenige, der nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften ausübt. Letzteres ist in Bezug auf den Kläger der Fall. In dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, hier des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung … vom 1.3.2020, lagen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger nicht in der Lage oder nicht bereit ist, seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Bei Erlass des Widerspruchsbescheides beliefen sich seine Rückstände bei dem Finanzamt … auf …

229

Ohne eine Definition des Begriffs „unzuverlässig“ würde die Subsumtion gleichsam „in der Luft“ hängen. Dagegen gewährleistet eine vorhergehende Definition des Begriffs, dass dem Leser der Entscheidungsgründe des Urteils (stets) der rechtliche Anknüpfungspunkt für die Ausführungen präsent ist und bleibt.

230

Eine richtige Schwerpunktsetzung erfordert, stets zu überlegen, ob Ausführungen zu bestimmten Prüfungspunkten notwendig sind. Vorsicht ist insbesondere bei Klausuren geboten, wenn eine „Standartproblematik“ in Rede steht, zu der es eine gefestigte Rechtsprechung gibt, deren Richtigkeit auch von der Literatur nicht bezweifelt wird. Es wäre fehlerhaft, diese „Standartproblematik“ in einer Klausurlösung umfassend zu erörtern, weil der Klausurbearbeiter hierzu (zufällig) Einiges aus der Klausurvorbereitung weiß oder während der Klausurbearbeitung in einem ihm zur Verfügung stehenden Kommentar gefunden hat. Die Klausuren sind gerade im Zweiten Staatsexamen regelmäßig nicht darauf ausgerichtet, dem Klausurbearbeiter Raum dafür zu bieten, sein (abstraktes) Wissen zu präsentieren. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, den konkreten Einzelfall durch eigene gedankliche Leistungen zu lösen. Dies erfordert im Falle eines Meinungsstreits auch stets die (Vor-) Überlegung, ob die unterschiedlichen Auffassungen überhaupt im zu entscheidenden Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Nur wenn sich der Meinungsstreit im Ergebnis auswirkt, ist der Streit zu entscheiden. Auch hier muss aber beachtet werden, dass die Entscheidungsgründe eines Urteils nicht dazu dienen, eine wissenschaftliche Abhandlung anzufertigen (vgl. Rn. 219).

 

231

Zwei weitere Selbstverständlichkeiten werden in den Klausurlösungen häufig nicht beachtet: Hilfs- oder Alternativüberlegungen oder auch ein obiter dictum gehören nicht in die Entscheidungsgründe eines Urteils. Es sind ausschließlich diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Aspekte anzusprechen, die den Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils tragen. Rechtsnormen sind vollständig und nach Absatz und Satz genau zu zitieren. Beispiel: Fehlerhaft ist die Formulierung, „die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 VwGO statthaft“. Die richtige Formulierung lautet, „die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft“.