Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Teil 1 Einführung

Teil 1 Einführung › I. Gegenstand der Untersuchung

I. Gegenstand der Untersuchung

1

Die Suche nach Grund und Grenzen des Strafrechts ist ebenso zeitlos wie aktuell und bringt seit jeher die unterschiedlichsten Ergebnisse hervor. Naturgemäß werden die Fragen nach der Legitimation des Strafrechts dabei von der gesellschaftlichen Entwicklung beeinflusst, so dass sie nicht nur im Rahmen des „klassischen Kernstrafrechts“ gestellt werden, sondern darüber hinaus stets aktuelle Bedeutung erlangen. So sind es auch und gerade die hochkomplexen Strukturen der Wirtschaftsordnung, die sowohl das Selbstverständnis als auch die Wahrnehmung des Strafrechts oftmals zweifelhaft und sein Potential zur Verhaltenssteuerung nicht selten fraglich erscheinen lassen.

2

Die Bildung des Begriffs eines Marktwirtschaftsstrafrechts mag befremdlich wirken, erfreut sich doch „das Wirtschaftsstrafrecht“ seit mehreren Jahrzehnten nicht nur wachsender gesellschaftlicher Bedeutung, sondern bildet auch den Bereich des Sanktionen auferlegenden Rechts, der wohl der stärksten Kritik unterworfen ist. Dabei werden oft am Einzelfall zunächst die richterliche Entscheidung, dann prozessuale Unzulänglichkeiten und letztlich grundlegende konzeptionelle Mängel im System des (Wirtschafts-)Strafrechts gerügt. Die entsprechenden Äußerungen erfolgen regelmäßig in Momenten großer öffentlicher Erregung und rein punktuell, weshalb es nach Kurzem zu einem Nachlassen des Entsetzens in der breiten Öffentlichkeit kommt. Bisweilen entsteht überdies der Eindruck, dass das Strafrecht Wirtschaftsstraffälle gern selbst derartig handhaben und allein der wirtschaftlichen Selbstregulierung überlassen würde. Abseits der oft unsachlichen medialen Diskussionen zeigt dies aber nur, wie schwer der Strafrechtswissenschaft ein angemessener Umgang mit dem Wirtschaftsstrafrecht fällt. Schwierigkeiten werden jedoch nicht erst in streitbaren Einzelfallentscheidungen, strafprozessualen Hindernissen, Problemen bei der Schaffung neuer Tatbestände oder der Diskussion um die Einordnung bestimmter Normen in das Strafgesetzbuch ersichtlich. Viel schwerwiegender, weil das Wirtschaftsstrafrecht erheblich lähmend, ist die noch immer bestehende und weitreichende Unklarheit seines dogmatischen Fundaments. Der Jahrzehnte währende Kampf um die Klärung des Begriffs selbst und der stete Versuch, dem Rechtsgutsbegriff Herr zu werden, machen letztlich nur deutlich, dass es die grundlegenden Überlegungen sind, die im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts zunächst zu Ende oder besser zu einem neuen Anfang geführt werden müssen.

Teil 1 Einführung › II. Ziel der Untersuchung

II. Ziel der Untersuchung

3

Forderungen nach klaren gesetzlichen Regelungen, die eine eindeutige Unterscheidung von strafwürdigem und rechtswidrigem aber straflosem Verhalten ermöglichen, können nur dann erfüllt werden, wenn dem Wirtschaftsstrafrecht eine feste dogmatische Basis gegeben wird.

4

Bisher ist der strafrechtstheoretische Hintergrund des Wirtschaftsstrafrechts jedoch weitgehend ungeklärt, feste Prinzipien, welche zur Bestimmung der Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens herangezogen werden, sind nicht vorhanden. Vielmehr erscheinen Urteilsbegründungen oft wie juristische Konstruktionen, welche ökonomische Fakten und die Dynamik wirtschaftlicher Abläufe weder er- noch anerkennen. Diese Fremdheit gegenüber dem Regelungsgegenstand führt zu einer zunehmenden Erosion des Strafrechts, das nicht selten als willkürlich und selektiv empfunden wird und in der Gesellschaft weder auf Verständnis noch genügende Akzeptanz trifft. Abseits aller speziellen materiellen und prozessualen Probleme, welche die Integration des Wirtschaftsstrafrechts in die vorhandene Dogmatik auslöste, stellt dieser Mangel an dogmatischer Festigkeit und Legitimation die größte Schwierigkeit im Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten dar. Das vielfache Hinterfragen der Legitimierbarkeit und Legitimation strafrechtlicher Reaktionen auf wirtschaftliches Fehlverhalten ist dabei auch Spiegel und Ausdruck der Herausforderungen, welche die äußerst heterogenen Sachverhalte und Verhaltensweisen, die vom (Sammel-)Begriff des wirtschaftlichen Fehlverhaltens erfasst werden, an das Strafrecht stellen. Ebenso deutlich ist aber auch, dass das bisherige Vorgehen mit den üblichen strafrechtlichen Kriterien und Denkschritten keine zufriedenstellende Lösung für derartige Herausforderungen bietet. Diese Ausgangslage schafft also Bedarf für eine Untersuchung alternativer Legitimationsmöglichkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, wobei an den der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegenden Prinzipien der Fairness und Chancengleichheit angesetzt wird. Da die Rechtsgutslehre allein nicht in der Lage ist, die Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens zu begründen, wird mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht die Begründungsmöglichkeit der dogmatischen Basis abseits des Rechtsgutsbegriffs im Kriterium der Regelverletzung gesucht. Gleichzeitig wird der Gegenstand, der von diesem Rechtsgebiet Regulierung erfahren soll, in den Mittelpunkt des Gedankengangs gestellt. Für das Marktwirtschaftsstrafrecht als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts ist es daher die Soziale Marktwirtschaft, die den Ausgangs- und Bezugspunkt aller Betrachtungen und Bewertungen zu bilden hat.

5

Ziel dieser Verknüpfung ist es, dem Wirtschaftsstrafrecht ein Fundament zu schaffen, das es ihm ermöglicht, seiner gesellschaftlichen Steuerungsfunktion als Ordnungsfaktor nachzukommen. Konsequenzen wird diese Orientierung an der zu regelnden Wirtschaftsordnung jedoch nicht nur für die Legitimation des Wirtschaftsstrafrechts haben, sondern ebenso für die Untersuchung seiner Funktion in der Gesellschaft sowie seine Begrenzung. Mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht erfolgt der Entwurf eines Strafwürdigkeitsmodells, das gerade dort, wo die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen und Verhaltensweisen an der Grenze von Moral und Anstand mit einem tradierten Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts nicht überzeugend erfasst werden können, einen nicht vor einer Loslösung von obsoleten Dogmen scheuenden Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten ermöglicht. Die dazu erfolgende Einbettung des Wirtschaftsstrafrechts in die gegenwärtige Wirtschaftsordnung, das System der Sozialen Marktwirtschaft, soll dabei helfen, den materiellen Grund der strafrechtlichen Sanktionierung wirtschaftlichen Fehlverhaltens deutlich zu machen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf einen regelbasierten Wettbewerb zu lenken. Obwohl dazu immer wieder wirtschaftliche Bezüge hergestellt werden müssen, die für das Verständnis unerlässlich sind, wird in der gesamten Untersuchung stets das Strafrecht im Vordergrund stehen. Dabei soll es, anknüpfend an die Theorie des psychologischen Zwangs von Paul Johann Anselm von Feuerbach, vor allem um die negativ-generalpräventive Wirkung von gesetzlichen Strafdrohungen auf potentiell strafwürdig handelnde Wirtschaftssubjekte gehen. Feuerbachs generalpräventive Ideen lassen starke Bezüge zu ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkulationen erkennen, so dass eine Verbindung mit der Steuerung wirtschaftlichen Fehlverhaltens naheliegend erscheint. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Annahme, dass der ökonomisches Handeln prägende Maßstab der Kosten-Nutzen-Kalkulation auf wirtschaftliches Fehlverhalten übertragbar ist und die Entscheidung des potentiellen Wirtschaftsstraftäters über die gesetzliche Strafandrohung durch eine Erhöhung der Straftatkosten beeinflusst werden kann.

6

Da die Rechtfertigung strafrechtlichen Eingreifens untrennbar mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben verknüpft ist, wird dabei deutlich werden, dass die Frage der Legitimierbarkeit stets mit der Verortung von Grenzen verbunden ist. Aufgezeigt wird aber auch, dass die Klärung der Grenzen des Strafrechts auch die Befassung mit seiner Legitimationsgrundlage erfordert. Die Verbindung des durch Aktualität geprägten Wirtschaftsstrafrechts mit einer gut 200 Jahre alten Straftheorie soll jedoch nicht erschöpfende rechtshistorische Ausführungen zum Gegenstand haben, sondern einzelne Grundzüge der psychologischen Zwangstheorie aufnehmen und für das Wirtschaftsstrafrecht aktualisieren.

7

Unumgänglich ist dabei nicht einfach nur das ursprüngliche Modell Feuerbachs zu übernehmen, sondern auch Kritik an seinem Konzept und Entwicklungen der Strafrechtstheorie seit seiner Schaffenszeit zu berücksichtigen. Dazu wird aufgezeigt, dass die Gedanken Feuerbachs durch ein entsprechendes Bewusstsein in einem aktuellen inhaltlichen Kontext für die Gegenwart in gewinnbringender Weise nutzbar gemacht werden können. Gleichwohl eröffnet der Versuch, ein ganzes Rechtsgebiet über ein rechtsgutsfernes Kriterium zu legitimieren, mehr Fragen, als im hier gegebenen Umfang beantwortet werden können. Das Ziel der Arbeit besteht daher ihrem Titel folgend in einer Legitimation und Begrenzung des Marktwirtschaftsstrafrechts. Da weder das tradierte Rechtsgutsdogma noch eine der sonstigen, bisher zur Begründung des Strafrechts angeführten Argumentationen wirtschaftsstrafrechtliches Intervenieren umfassend begründen konnten, wird zur Legitimierung des Marktwirtschaftsstrafrechts das von Alwart eingeführte Regelmodell herangezogen. Zur Begründung der Strafwürdigkeit stellt dieses Regelmodell auf die der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegende Chancenstruktur sowie das Gebot der Fairness im wirtschaftlichen Wettbewerb ab. Zur Verdeutlichung der Vorzüge dieses Strafwürdigkeitsmodells wird die Verknüpfung der marktwirtschaftlichen Regelstrukturen mit strafrechtlicher Dogmatik anhand exemplarisch gewählter Problemstellungen nachvollzogen. Gleichzeitig wird so gezeigt, dass die Zukunft des Wirtschaftsstrafrechts weder in den von Teilen der Literatur vorgebrachten Forderungen nach einer Reduzierung des Strafrechts auf einen Kernbereich, noch in einer dogmatisch nicht verwurzelten Ausrichtung an den Bedürfnissen der Praxis liegt. Die in einem Teilbereich des Wirtschaftsstrafrechts angestrebte Revision der wirtschaftsstrafrechtlichen Dogmatik soll durch einen neuen Blickwinkel eine bewusste Öffnung für die Wirtschaftsordnung und die durch sie gestellten Anforderungen ermöglichen. Es wird also nicht um vereinzelte Randkorrekturen oder die Abbildung exakter Grenzen der Strafwürdigkeit, sondern um grundlegende Fragen der Legitimations- und Steuerungsmöglichkeiten des Strafrechts gehen. Damit bietet die vorliegende Arbeit eine Grundlage für weitere Untersuchungen zum strafrechtlichen Umgang mit auf die Ausschaltung der ökonomischen Fairness gerichteten wirtschaftlichen Fehlverhalten.

 

Teil 1 Einführung › III. Gang der Untersuchung

III. Gang der Untersuchung

8

Die Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Im zweiten Teil wird der Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts entwickelt und inhaltlich präzisiert. Unter Berücksichtigung wirtschaftstheoretischer Grundlagen erfolgt dazu eine Auseinandersetzung mit der Rechtsgutslehre als Hemmnis des Wirtschaftsstrafrechts. Die dabei aufzuzeigenden Unvereinbarkeiten von strafrechtsdogmatischer Strenge und ökonomischer Offenheit münden in die Einführung der Regelverletzung als Kriterium der Strafwürdigkeit. Da sich auch wirtschaftliche Regeln nur aus einem bestimmten Zusammenhang erschließen, erfolgt der Entwurf eines Regelmodells unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen ökonomischen Fairnessgedankens, welcher dem System der Sozialen Marktwirtschaft immanent ist. Der so inhaltlich angereicherte Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts soll anschließend in seiner Bedeutung geschärft und dazu vom sonstigen (Wirtschafts-)Strafrecht abgegrenzt werden. Auf diese Weise werden zugleich Fundament und Kontext für die nachfolgenden Darstellungen bereitet.

9

Der dritte Teil wird sich mit der Funktion des Marktwirtschaftsstrafrechts befassen. Hauptanliegen ist es dabei, die gesellschafts- und verhaltenssteuernde Wirkung des Strafrechts aufzuzeigen und hinsichtlich ihres Nutzens für das Marktwirtschaftsstrafrecht zu untersuchen. Einführende Erläuterungen zu den Grundzügen der Verhaltenssteuerung sowie den unterschiedlichen Ansichten zur Notwendigkeit (straf-)rechtlicher Regulierung in Recht und Wirtschaft sollen den Leser für die spezifischen Funktionen des Strafrechts in der Gesellschaft sensibilisieren. Darauf aufbauend steht im Mittelpunkt der weiteren Betrachtung die negativ-generalpräventive Wirkung strafgesetzlicher Normen, wobei die Theorie des psychologischen Zwangs von P.J.A. von Feuerbach besonderes Gewicht erhält. Neben Aufbau, Inhalt und Bedingungen der Theorie des psychologischen Zwangs ist über die bisher üblichen Analysen dieser Straftheorie hinausgehend der Rationalismus Feuerbachs Gegenstand der Untersuchung. Dazu wird es notwendig sein, die gewohnten Verständnisschemata der negativen Generalprävention zu verlassen und neue Sichtweisen auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Dabei soll verdeutlicht werden, dass die von Feuerbach angenommenen menschlichen Entscheidungsstrukturen rationale Handlungsmuster beschreiben, gleichwohl diese Annahme nicht abschließend naturwissenschaftlich oder psychologisch abgesichert werden kann. Im Anschluss daran erfolgt eine Aktualisierung der Theorie des psychologischen Zwangs für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts, wobei Feuerbachs Modell insofern als Grundlage für eine Aktualisierung dient, als sie veranschaulicht, dass das Strafrecht nicht allein die Herstellung von Gerechtigkeit verfolgt, sondern auch einen Faktor bei der Beeinflussung menschlichen Verhaltens darstellt. Unter dem Aspekt der Kalkulation von Kosten und Nutzen, welche ökonomischen Entscheidungen zugrunde liegt, wird es darum gehen, die Steuerungsfunktion des Marktwirtschaftsstrafrechts in der Setzung negativer Anreize und damit verbunden einer Steigerung der Straftatkosten zu verorten.

10

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Begriff und Kriterien der Strafwürdigkeit ist Gegenstand des vierten Teils. Zunächst erfolgt eine kritische Analyse des Begriffs der Strafwürdigkeit, wobei überblicksartig bislang unter diesem Stichwort erfasste Verständnisansätze herausgearbeitet werden. Auf dieser Grundlage geht es im Weiteren darum, Kriterien zur Bestimmung der Strafwürdigkeit aufzuzeigen. Die Problematik der strafrechtlichen Erfassung wirtschaftlichen Fehlverhaltens soll dabei über die bereits in der Literatur entwickelten Anhaltspunkte hinaus auf Regelverstöße ausgedehnt werden. Mit dem Maßstab der Regelverletzung orientiert sich das Marktwirtschaftsstrafrecht begrifflich neu, erhält jedoch trotzdem einen Bezug zur bisherigen Strafrechtsdogmatik. Anknüpfend an die wirtschaftstheoretischen Ausführungen des zweiten Teils wird zur weiteren Präzisierung des Regelmodells im Folgenden das Regelgerüst der Sozialen Marktwirtschaft entfaltet. Dieses neue begriffliche Modell soll eine differenzierte Bestimmung der Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens ermöglichen. Besonders Fälle, in denen es zur Ausschaltung der ökonomischen Fairness bzw. einer Beeinträchtigung der marktwirtschaftlichen Chancenstruktur kommt, denen also ein ethisches Fehlverhalten in erkennbarer Weise anhaftet, die aber keinen messbaren Schaden aufweisen, werden so mit strafrechtlichem Instrumentarium besser erfasst. Verdeutlicht wird dieser Vorzug des Marktwirtschaftsstrafrechts durch eine exemplarische Bestimmung der Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens im Bereich der §§ 266, 299 StGB sowie des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Dabei wird § 266 StGB herangezogen, um anhand des Mannesmann-Falls besonders die Widersprüche übertriebener primärer strafrechtlicher Verhaltenssteuerung aufzuzeigen. Dazu erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der vom Bundesgerichtshof sowie der Literatur vertretenen Ansichten über die Rechtmäßigkeit nachträglich vom Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft an den Vorstand gewährter Vermögenszuwendungen. Im Folgenden wird die Höhe der Zahlungen als eigentliche Ursache des Unmuts über die Vorgänge bei der Mannesmann-Übernahme identifiziert und die Wirtschaftsordnung auf Vergütungsregeln untersucht. Da die Soziale Marktwirtschaft keine festen Vergütungsregeln kennt, werden die das Wettbewerbsprinzip betreffenden Grundregeln der Wirtschaftsordnung Ausgangspunkt aller strafrechtlichen Betrachtungen. Auf der Grundlage dieses Argumentationsmusters wird anschließend gezeigt, dass Wirtschaftsakteure dort, wo weder Soziale Marktwirtschaft noch Rechtsordnung begrenzende Regeln vorgeben, die Möglichkeit haben müssen, frei von strafrechtlichen Risiken zu entscheiden. Ergänzt werden die exemplarischen Betrachtungen des Regelmodells durch die Untersuchung ausgewählter Aspekte des § 299 StGB. Zunächst wird auf die jüngsten Reformbestrebungen im Rahmen des § 299 StGB eingegangen, wobei der Nachzeichnung des Reformvorhabens eine kritische Auseinandersetzung mit seinen dogmatischen und praktischen Konsequenzen folgt. Anschließend wird anhand der Problematik entschleierter Schmiergelder aufgezeigt, dass allein die konkrete Differenzierung der Beziehungen aller am Fehlverhalten Beteiligten zueinander und zum Wettbewerb sowie die exakte Bestimmung des Regelbruchs innerhalb dieser Verhältnisse die Grundlage für eine angemessene strafrechtliche Reaktion bilden. Dabei kann die Bedeutung des konkreten Handlungssinns eines Fehlverhaltens zum maßgeblichen Kriterium bei der Feststellung der Strafwürdigkeit werden. Abschließend soll der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Gegenstand von Ausführungen zur Begrenzung des Erklärungspotentials des regelbasierten Strafwürdigkeitsmodells sein.

11

Im Anschluss daran werden im fünften Teil die Grenzen des Marktwirtschaftsstrafrechts den Gegenstand der Diskussion bilden. Als limitierend sind dabei interne und externe Faktoren anzusehen, die sich sowohl aus der Stellung des Strafrechts im Rechtssystem als auch aus dem Einfluss nicht(straf-)rechtlicher Reaktionen auf wirtschaftliches Fehlverhalten ergeben. Zur Schärfung der internen Grenzen des Marktwirtschaftsstrafrechts werden der fragmentarische Charakter des Strafrechts sowie seine Rolle als ultima ratio staatlicher Eingriffsmittel beleuchtet. Die externen Grenzen werden dagegen in einer Vielzahl außerstrafrechtlicher und außerrechtlicher Faktoren verortet. Diese werden überblicksartig dargestellt, um anschließend unter Berücksichtigung interner Grenzen das Potential der strafrechtlichen Verhaltenssteuerung in seinem Zusammenspiel mit den externen Reaktions- und Sanktionsvarianten zu beleuchten.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts

12

Der Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts ist bisher nur vereinzelt in der Strafrechtswissenschaft verwendet worden, eine gründliche Analyse seines Wesens steht daher noch aus.[1] Während der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts schon deutlich auf seinen Regelungsgegenstand hinweist, gibt das Marktwirtschaftsstrafrecht sein Regelungsgebiet noch präziser vor. Das Marktwirtschaftsstrafrecht ist dabei ein Teil des Wirtschaftsstrafrechts, der sich mit der Regelverletzung auf ein für den Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten neues Strafwürdigkeitskriterium stützt. Die dabei relevanten Regeln werden im Wesen der Sozialen Marktwirtschaft gesucht, doch bevor diese herausgearbeitet werden, soll das Kriterium der Regelverletzung dogmatische Anknüpfung im Rahmen des materiellen Verbrechensbegriffs erhalten.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I. Versuche einer Bestimmung des materiellen Verbrechensbegriffs

I. Versuche einer Bestimmung des materiellen Verbrechensbegriffs

13

Was einen Wert oder werthaften Zustand zu einem strafrechtlich geschützten Wert bzw. Zustand werden lässt, ist eine der Grundfragen der Strafrechtswissenschaft. Überlegungen zur Strafwürdigkeit und solchen zum materiellen Verbrechensbegriff ist gemein, dass sie sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ein bestimmtes Verhalten bestraft werden sollte. Dabei treten derartig grundlegende Fragen sowohl bei der Beurteilung eines konkreten Individualverhaltens auf, als auch, wenn losgelöst von einem tatsächlichen Anlass ganz allgemein und grundlegend über die Bestrafung einer bestimmten Verhaltensform entschieden werden muss. Während einmal zu entscheiden ist, was ein Verbrechen gemeinhin ausmacht, gilt es bei anderer Gelegenheit also zu klären, ob ein einzelnes Verhalten als Verbrechen zu bewerten ist. Als einem der zentralen Punkte des Strafrechts kommt dem Begriff des Verbrechens sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht besondere Bedeutung zu. Formell ist ein Verbrechen das, was der Gesetzgeber mit Strafe bedroht und damit als Straftat definiert.[2] Schwieriger ist dagegen der materielle Verbrechensbegriff zu bestimmen, beschreibt er doch, „was nach einer inhaltlichen Betrachtung bestraft werden kann“[3]. Die inhaltliche Anreicherung des materiellen Verbrechensbegriffs und damit die Klärung „wie ein Verhalten beschaffen sein muss, damit der Staat berechtigt ist, es unter Strafe zu stellen“[4], ist dabei nur unter Berücksichtigung der Aufgabe des Strafrechts in der Gesellschaft möglich. Im weitesten Sinne wird diese Aufgabe in der Bekämpfung sozialschädlichen Verhaltens gesehen,[5] fraglich ist jedoch, welcher Maßstab zur Bestimmung der Sozialschädlichkeit herangezogen werden soll. Zwar brachte die Strafrechtsentwicklung verschiedene Ansichten zur Präzisierung des materiellen Verbrechensbegriffs hervor, wobei die Lehre vom Rechtsgut und seiner Verletzung als vorherrschend bezeichnet werden kann,[6] doch stießen diese bei der Beurteilung wirtschaftlichen Fehlverhaltens oftmals an ihre Grenzen. Im Folgenden sollen gängige Erklärungsansätze vorgestellt und auf ihre Nutzbarkeit bei der Beurteilung wirtschaftlichen Fehlverhaltens untersucht werden.

 

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › I › 1. Verletzung eines subjektiven Rechts