Mediation

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Was ist Mediation?

Im Folgenden soll nun der Begriff Mediation geklärt werden, um dann seine historischen und kulturellen Wurzeln sowie die Entwicklung des heutigen westlichen Verständnisses von Mediation zu beleuchten. Anschließend werden die Kennzeichen von Mediation erörtert und ihre Grenzen und Voraussetzungen beschrieben. Der letzte Abschnitt grenzt Mediation von anderen Verfahren ab.

Bedeutung des Begriffs „Mediation“

Der Begriff Mediation hat seine sprachlichen Wurzeln im Griechischen wie im Lateinischen: Den „mesitaes“ – den Vermittler, abgeleitet von „mesos“ – die Mitte, gibt es in Griechenland seit mehr als 2000 Jahren. „Mediator“ leitet sich im weitesten Sinn vom lateinischen Wort „medius“ ab. Es bedeutet wörtlich „mitten, dazwischenliegend“ und wird im übertragenen Sinne für „vermittelnd, in der Mitte stehend, die Mitte haltend“ oder auch für „neutral, unparteiisch“ verwendet (Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch). „Medium paci se offere“ bedeutet: „sich als Mittler für den Frieden anbieten“. Der Begriff „mediator“ findet sich bereits 130 n. Chr. in lateinischen Schriften.

Mediatoren oder Vermittler gab es in der europäischen Geschichte in allen Epochen. Ihre Aufgabe und die Haltung, in der sie ihre Tätigkeit versahen, lassen sich jedoch nicht mit der heutigen Mediation gleichsetzen. Dennoch zeigt ihre Existenz in der Politikgeschichte das Bedürfnis, sich anders als durch Gewalt und kriegerische Auseinandersetzung zu verständigen. Ein historisches Beispiel der Neuzeit sind die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648 mithilfe eines „mediators“ aus Venedig und eines des Papstes.

Literatur

Duss-von Werdt (2008): Einführung in die Mediation

Kulturelle und geschichtliche Wurzeln

Auch wenn die Herkunft des Wortes Mediation es nahelegt: Man kann weder die Entstehung der Mediation noch ihre Verbreitung allein dem europäischem Kulturraum zuordnen. Grundhaltung und Idee der außergerichtlichen Konfliktklärung, die im Bemühen um ein Verstehen aller Seiten unter der Führung eines unabhängigen Dritten stattfindet, gibt es z. B. bei afrikanischen Völkern, in Lateinamerika, Melanesien, Jordanien sowie in Japan und China. Prägend für die Ausbildung von Mediation in China war das konfuzianische Ideal gesellschaftlicher Harmonie – das harmonische Zusammenleben mit dem Nächsten war weitaus wichtiger als der exakte materielle Ausgleich untereinander (Montada / Kals 2007). In China galt es lange Zeit als Gesichtsverlust, sich vor Gericht Recht zu verschaffen.

Merksatz

Mediation ist eine alte Kunst; sie ist ein weltweit bekanntes Konfliktlösungsverfahren und in vielen Kulturen verbreitet.

Auch Religionsgemeinschaften, z.B. die Quäker und Mennoniten, spielten in der Entwicklung der Mediation eine Rolle: Ihre Verpflichtung zur Friedfertigkeit ließ sie gewaltfreie Wege der Konfliktklärung entwickeln; sie sind auch heute noch international in der Vermittlung tätig. Quäker haben sich z. B. bei der Vermittlung im Biafrakrieg (1967–1970) engagiert.

Literatur

Besemer (1995): Mediation – Vermittlung in Konflikten

Internet

Zeittafel zur Entwicklung Mediation: www.mediation-dach.com/frameset.htm → Allgemeines → Historisches zur Mediation

Heutige, in der westlichen Welt ausgeübte Mediation hat ihren Ausgangspunkt in den USA und fand Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland.

Die Entwicklung in den USA

Die Geschichte der Mediation in den USA ist eng verbunden mit den jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen. Folgende Wegmarken sind hier hervorzuheben: Bereits 1898 setzte der amerikanische Kongress Mediation als gesetzliches Mittel bei Arbeitsplatzkonflikten fest. 1913 wurde das Verfahren in Konflikten um den Eisenbahnbau eingesetzt – vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil im Eisenbahnbau viele chinesische Arbeiter tätig waren, die Mediation aus ihrer Kultur mitgebracht hatten. Ab ca. 1920 wurden verschiedene Organisationen mit dem Ziel der Conciliation (= Versöhnung) gegründet, u. a. das Jewish Conciliation Board für die Jüdische Gemeinde in den Vereinigten Staaten. 1939 entstanden gerichtsinterne Versöhnungsberatungsstellen zur Eheberatung. 1947 gründeten Konfliktvermittler in Arbeitskämpfen den „Federal Mediation and Conciliation Service“. Großen Aufschwung erlebte die Mediation in den 1960ern: Die Bürgerrechtsbewegungen bemühten sich offensiv um neue außergerichtliche Konfliktlösungswege (adr – alternative dispute resolution), da die eigene Justiz als rassistisch und elitär bewertet wurde. Neighbourhood Justice Centers boten Mediation als kostengünstigen Weg der Streitbeilegung an.

Ende der 1970er Jahre erfuhr Mediation durch die Zunahme von Scheidungsverfahren weitere Verbreitung: Die Gerichte waren heillos überlastet und viele Anwälte wurden zunehmend unzufrieden mit den gerichtlichen Scheidungsverfahren, weil diese Paare häufig in schwere Kämpfe trieben und zu immer mehr und tieferen Verletzungen führten.

Die Entwicklung in Deutschland

Die Idee der außergerichtlichen Einigung fasste auf einer pragmatischen Ebene bereits ab den 1960er Jahren mit der Einrichtung von Schiedsstellen in Deutschland Fuß (z. B. 1966 Gründung der Handwerks-Innungen, 1970 KFZ-Schiedsstelle beim ADAC Hamburg und der KFZ-Innung München, 1970 in den Architektenkammern, 1975 für Mietsachen). Den wesentlichen Boden für Mediation lieferten jedoch auch in Deutschland zunächst gesellschaftliche Entwicklungen: Die 68er Generation stellte alle gesellschaftlichen Mächte und Autoritäten infrage, damit auch die Justiz. Die Friedensbewegung kritisierte massiv die Idee der Sicherheit durch Hochrüstung und forderte das Ende des Kalten Kriegs sowie einen neuen, akzeptierenden und gewaltfreien Umgang mit der Sowjetunion. Der Vertrauensverlust gegenüber Rechtswesen, Politik und Militär förderte die Suche nach neuen, selbstbestimmten, vom Staat unkontrollierten Wegen.

In Trennungs- und Scheidungsverfahren gab es bei Rechtsanwälten, Mandanten und Richtern die gleichen Unzufriedenheiten wie in den USA, und so war dies der erste Anwendungsbereich, in dem Mediation Anfang der 1990er Jahre Fuß fasste – zunächst mit einem Pilotprojekt an der Universität Erlangen. Diesem folgte 1992 die Anerkennung des Grundkonzeptes von Mediation im Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz (heute § 17 SGB VIII). Die sich Anfang der 1990er Jahre entwickelnde Debatte um Gewalt in der Schule mit lauten Rufen nach Prävention öffnete schließlich die Türen für den Einsatz von Mediation in der Schule, dort in der Regel als Peer-Mediation, in der ausgebildete Schüler-Mediatoren Streitsituationen ihrer Mitschüler mediieren.

Merksatz

Immer wenn der traditionelle juristische Weg unbefriedigend bis kontraproduktiv für einen Ausgleich der Interessen erlebt wurde, entwickelten gesellschaftliche, i. d. R. nicht-staatliche Kräfte, Mediation weiter.

Mediation in der politischen Auseinandersetzung

In politischen Auseinandersetzungen findet sich in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder der unabhängige Vermittler – als Person oder als Staat –, der entweder direkt oder in Form von Pendeldiplomatie mit beiden Seiten arbeitet. Dazu ein Beispiel: Jimmy Carter vermittelte als amerikanischer Präsident 1979 in Gesprächen mit Menachem Begin (Israel) und Anwar as-Sadat (Ägypten) das Camp-David-Abkommen. Er führte das Gespräch weg von der festgefahrenen Position beider Staaten, die da hieß: „die Sinai-Halbinsel besitzen“. Carter gelang es, die jeweils dahinterstehenden Interessen sichtbar zu machen: Einerseits der Sicherheitsbedarf Israels, das mit einem Besitz des Sinai verhindern wollte, dass aus diesem Gebiet nicht, wie kurz zuvor geschehen, Angriffe gestartet würden. Andererseits Ägyptens Angst vor einem Gesichtsverlust in der arabischen Welt bei einer Zustimmung zur Gebietsabtretung des Sinai an Israel. Die Lösung war die Schaffung einer entmilitarisierten Zone auf dem ägyptisch bleibenden Sinai mit den USA als Wächter über die Einhaltung des Abkommens. Als Einzelpersönlichkeit ohne politisches Mandat vermittelte Jimmy Carter auch gemeinsam mit Vertretern der „Moravian Church“ 1989 in Nicaragua im Konflikt der Sandinisten mit den Miskito-Indianern (Besemer 1995, 49).

Artikel 33 in der Charta der Vereinten Nationen nennt Mediation ausdrücklich als eine mögliche Vorgehensweise bei politischen Interessenkonflikten. Die Erfolge der Vermittler hängen dabei nicht zuletzt davon ab, ob sie auch wirklich von beiden Seiten als unabhängig eingestuft werden.

Was leistet Mediation?

In der Mediation ist ein wichtiges Ziel, die persönlichen und / oder Arbeitsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien auch im Hinblick auf die Zukunft zu verbessern. Weil sich der Kontakt aber nicht nur auf der Sachebene abspielt, muss Mediation einen Schritt weitergehen und auch die Beziehungen und die Art des Umgangs der Beteiligten untereinander als Thema aufgreifen. Im konkreten Ablauf der Mediation spielt deshalb das Sich-Mitteilen, das gegenseitige Zuhören eine wichtige Rolle. Der Mediator oder die Mediatorin ist dafür verantwortlich, dass dies in konstruktiver Weise geschieht und die wesentlichen Konfliktpunkte gemeinsam bearbeitet werden. Mediation kann man im Hinblick auf die Rolle des Mediators wie folgt beschreiben:

Merksatz

Mediation ist ein Weg der Konfliktlösung mithilfe eines allparteilichen und in der Sache neutralen Dritten, der von allen Beteiligten akzeptiert wird.

Dieser Dritte – der Mediator – unterstützt die Konfliktparteien darin, eigenverantwortlich eine ihnen allen angemessene Lösung für ihr Problem zu finden. Gelingt dies, entstehen keine Sieger oder Verlierer, sondern alle Beteiligten verlassen die Mediation mit Gewinn.

 

Dabei gehen Mediatoren davon aus, dass die Konfliktparteien aus einer Situation, in die sie sich miteinander gebracht haben, auch wieder herausfinden, wenn sie dazu bereit sind; und davon, dass eine von den Beteiligten selbst gefundene Lösung weit stabiler sein wird, als gute Ratschläge oder Beratungen von Außenstehenden. In diesem Sinn arbeiten die Konfliktparteien selbstständig und inhaltlich unbeeinflusst vom Mediator ihre Lösungsideen aus, der Mediator steht ihnen bei dieser Erarbeitung sichernd zur Seite.

Im Bild lässt sich Mediation folgendermaßen veranschaulichen: Die Konfliktparteien sind wie Bergsteiger, die sich entschieden haben, einen schwierigen Gipfel zu erklimmen und dafür einiges an Zeit und Energie aufzuwenden. Der Mediator nimmt die Rolle des Bergführers ein, der dafür sorgt, dass sie sich nicht auf Pfade begeben, die in weglosem Gelände enden, sich nicht in dornigem Gestrüpp am Wegrand verheddern, das Ziel nicht aus den Augen verlieren und Kräfte des Umfelds, wie etwa das Wetter, nicht außer Acht lassen.

Merksatz

Wesentlich für das Gelingen einer Mediation ist, dass alle Beteiligten dem Verfahren als Lösungsweg zustimmen und freiwillig am Mediationsprozess teilnehmen; bei Arbeitsplatzkonflikten müssen auch die jeweiligen Vorgesetzten die Mediation begrüßen und unterstützen.

Was kennzeichnet Mediation?

Mediation ist also, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, Vermittlung in Konflikten. Das Wort „Vermittlung“ ist einerseits technisch korrekt, denn es geht in der Mediation genau um dieses „in der Mitte stehen“ und von der Mitte aus beiden Seiten Kontakt und Verständnis zu ermöglichen, als Voraussetzung für eine gemeinsame Lösungsfindung. Anhand einer umfassenden Definition von Mediation, die sich aus den vorherigen Ausführungen ableiten lässt, sollen die genauen Kennzeichen des Vermittlungsprozesses Mediation beleuchtet werden.

Definition

Mediation ist ein

▪ Verfahren zur Vermittlung in Konflikten,

▪ bei dem alle Konfliktbeteiligten, einbezogen sind

▪ und in direktem Kontakt zueinander

▪ unter der Leitung und Gesprächsführung eines Dritten,

▪ der am Konflikt unbeteiligt, in der Sache neutral und allparteilich für alle Konfliktparteien arbeitet,

▪ eine einvernehmliche Lösung,

▪ in der die Interessen und Bedürfnisse aller Seiten berücksichtigt sind, erarbeiten.

▪ Mediation ist freiwillig und

▪ alle Beteiligten bleiben jederzeit selbstbestimmt in ihren Entscheidungen.

▪ Mediation ist im Gegensatz zu einer Gerichtsentscheidung ein informelles Verfahren, in dem es keine entscheidungsbefugte Autorität jenseits der Parteien gibt.

Die Einbeziehung aller Konfliktparteien ist Grundvoraussetzung dafür, dass tatsächlich alle Interessen auf den Tisch kommen und bearbeitbar werden. Mediation ohne eine Auseinandersetzung mit allen Seiten, die im Konflikt eine Rolle spielen, ist nicht vorstellbar, weil damit wesentliche Informationen, aber auch Ressourcen fehlen würden, um zu einer wirklich guten Lösung zu kommen.

Mediation findet in aller Regel in direktem Kontakt statt. Dies unterscheidet durch Mediation herbeigeleitete Lösungen wesentlich von hierarchischen oder obrigkeitlichen Entscheidungen, in denen häufig übergeordnete Instanzen – mit oder ohne Anhörung der Betroffenen – Entscheidungen treffen. In Firmen, Betrieben oder Vereinen z.B., entscheiden Vorgesetzte oder Vorstände vieles hinter verschlossenen Türen. In einem Rechtsstreit kann Recht gesprochen werden, auch wenn der Beklagte nicht erscheint. Ebenso können die Beteiligten in vielen juristischen Angelegenheiten Rechtsanwälte beauftragen, sodass tatsächlich kein direkter Kontakt nötig ist. Dabei wird auch die Beteiligung an allen Verhandlungen komplett an den eigenen Anwalt delegiert.

Es gibt jedoch Situationen, in denen auch bei einer Mediation die Beteiligten nicht in direktem Kontakt zueinander stehen. Bei hoch eskalierten Konflikten braucht es z. B. häufig zunächst getrennte Arbeitsphasen. Auch sogenannte „kalte“ Konflikte (siehe Kapitel 2) erfordern getrennte Arbeit mit den beteiligten Seiten, um diese wieder in die Lage zu versetzen, ein positives Ziel in den Blick zu nehmen. Diese der Definition „in direktem Kontakt“ zunächst widersprechenden Vorgespräche haben letztlich immer zum Ziel, dass direkter Kontakt – im konstruktiven Sinn – wieder möglich wird.

Ob ein Mediator tatsächlich neutral, unparteiisch bzw. allparteilich sein kann, wird in der Fachdebatte immer wieder hinterfragt. Denn Allparteilichkeit wird einerseits nicht als „weiches“ Kriterium gesehen, sondern als die Grundvoraussetzung für gelingende Gespräche. Gleichzeitig gehen Mediatoren in Forschung und Praxis von einem Wirklichkeitsverständnis aus, das aus dem systemischen Konstruktivismus kommt, d. h. davon, dass Wirklichkeit nicht objektiv besteht, sondern in jedem Moment jeweils subjektiv, von jedem Individuum selbst konstruiert wird, sodass es im Prinzip keinen allparteilichen oder neutralen Standpunkt geben kann. Wie soll also ein Mediator, der sich nach diesem Verständnis ebenso in einer von ihm konstruierten, subjektiven Welt bewegt, neutral sein? In diesem Spannungsverhältnis stehen alle Mediatoren, und sie müssen sich die geforderte Allparteilichkeit fortwährend neu erarbeiten, denn die Parteien fordern diese Haltung mit jeder ihrer Äußerungen neu heraus. Allparteilichkeit ist nicht durch ein Summenspiel herstellbar, indem z. B. der Mediator einmal für die eine und dann für die andere Seite Partei nimmt. Täte er dies, würde er sich permanent in der Parteilichkeit befinden und damit nur das Gleiche tun wie die Parteien ohne ihn auch. Er muss in dieser „Mitte“ bleiben und von dort aus sein Verstehen und seine Empathie einsetzen. Nur das rettet ihn davor, in die Sichtweise und Gefühlswelt der Medianden hineingezogen zu werden. Erst das In-die-Mitte-Holen der Anliegen einer Partei macht der anderen Partei den Zugang dazu möglich.

Merksatz

Allparteilichkeit und Neutralität sind Wirklichkeitskonstruktionen, die kein Mensch als Dauerstatus oder Eigenschaft für sich in Anspruch nehmen kann; eine Seite zu verstehen und dennoch nicht zur Partei dieser Seite zu werden, erfordert vom Mediator einen permanenten, aktiven, inneren Prozess des Ausbalancierens.

Ob diese Allparteilichkeit eines Mediators tatsächlich wirkt, liegt nicht nur an ihm allein, sondern ganz wesentlich daran, wie er durch die Konfliktparteien wahrgenommen wird. Ein Beispiel: Frau Stiller, die mit der Nachbarsfamilie Fröhlich im Streit über die Lautstärke der Kinder in Hof und Treppenhaus liegt, fragt sich, ob Herr Frei als Mediator vom Nachbarschaftszentrum nicht doch Familie Fröhlich näher stehen wird, weil auch er – im Gegensatz zu Frau Stiller – Kinder hat. Auch wenn sich Herr Frei völlig sicher ist, allparteilich sein zu können, kann Frau Stillers Bedenken dazu führen, dass sie ihn gar nicht als neutral und unbeteiligt wahrnehmen kann. Egal wie gut Herr Frei als Mediator arbeitet – in dieser Situation wäre er der falsche Mediator und eine andere Kollegin des Nachbarschaftszentrums sollte die Aufgabe übernehmen.

Ziel der Mediation ist eine einvernehmliche, von allen Seiten getragene Lösung des Konflikts oder eine Vereinbarung zum Umgang mit dem Konflikt. Eine sogenannte Win-Win-Lösung, also ein Gewinn für beide Seiten, soll entstehen – im Gegensatz zu einem Gerichtsurteil oder zu einer disziplinarischen Maßnahme, die für eine Partei „win“ und für die andere „lose“ bedeutet. In vielen Mediationen ist eine Lösung möglich, die alle Beteiligten als echten Gewinn an Lebens-, Beziehungs- oder Arbeitsqualität spüren. „Win-Win“ hört sich schön an, trifft letztlich aber auch auf Situationen zu, die keine „schöne“ Lösung erreichen, sondern in denen „nur“ ein kleinster gemeinsamer Nenner entsteht. Dieser könnte die Basis für Absprachen bilden, die den Konflikt zwar nicht lösen, jedoch die weitere Eskalation verhindern. In einem Konflikt unter den Erzieherinnen eines Kindergartens könnte dies so aussehen: „Wir merken alle, dass es uns nicht weiterhilft, wenn die Eltern unseren Ärger aufeinander mitbekommen. Es wird nur schlimmer. Hören wir also auf, vor den Eltern Schuld auf die anderen Kolleginnen zu schieben. Unsere Vereinbarung heißt: Unsere Konflikte untereinander werden weder gegenüber den Kindern noch den Eltern angesprochen und ausgetragen.“

Faktisch befriedigt diese Lösung einen Teil der Bedürfnisse der Beteiligten, z. B. nach Sicherheit; es entspricht wahrscheinlich auch ihrem Interesse, ihre Ressourcen an Zeit und Kraft sinnvoll nutzen zu können und nicht weiter in einen Kampf gegeneinander stecken zu müssen. In diesem Sinn hat sich dieses Team aus einem ins „Lose-Lose“ führenden Kampf eine Win-Win-Situation erarbeitet. Andere Bedürfnisse und Interessen wie „Anerkennung“ und „gemeinsamer Erfolg“ werden damit nicht erreicht. Das Hochgefühl, das der Begriff „Win-Win“ verheißt, kann Mediation nicht in jedem Konflikt erzielen. Die Konfliktparteien spüren in solchen Situationen sehr deutlich, wie weit sie von einer „schönen“ Lösung entfernt sind, wenn die Situation, etwa in einer Arbeitsbeziehung, angespannt bleibt. Auf lange Sicht ermöglichen solche Ergebnisse immer wieder, dass Trennungen ohne weitere Machtkämpfe möglich werden.

Merksatz

Mediatoren müssen ihren Kunden sehr deutlich machen, dass Mediation keine Garantie für schöne Lösungen ist; die unterste Stufe einer Einigung in einer Mediation kann sein, sich einig zu sein, sich nicht einigen zu können.

Mediation kann nicht erzwungen werden, da ein Zwang zur Mediation der in diesem Verfahren so hoch geschätzten Souveränität des Einzelnen und der Achtung seiner Selbstbestimmung diametral entgegenstehen würde. Dennoch gibt es eine Reihe von Arbeitsfeldern der Mediation, in denen diese hundertprozentige Freiwilligkeit nicht gegeben ist, und zwar überall dort, wo es Hierarchien gibt. Mediationsprozesse in der Arbeitswelt finden nur statt, wenn ein Vorgesetzter diese ermöglicht, bzw. entscheidet, dass ein Konflikt mithilfe von Mediation statt z. B. mithilfe einer Kündigung geklärt werden soll. Unter den betroffenen Mitarbeitern kann die Motivation zur Teilnahme an der Mediation dann höchst unterschiedlich sein. So manchen plagt vielleicht die Sorge, damit in noch größere Schwierigkeiten zu kommen. Durch das Machtverhältnis in der Arbeitsbeziehung Chef-Untergebener existiert hier per se keine Freiwilligkeit. Es kann den Mitarbeitern aber ermöglicht werden, der Mediation zuzustimmen oder sie abzulehnen.

Merksatz

Es gehört zur Verantwortung des beauftragten Mediators, nach besten Kräften und Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass niemand zur Teilnahme an einer Mediation gezwungen wird. Das Prinzip der Freiwilligkeit wandelt sich in hierarchischen und Zwangskontexten dahingehend, dass zumindest Zustimmung bei den Beteiligten eingeholt wird.

Die Streitenden bleiben in der Mediation selbstbestimmt – nicht fremdbestimmt wie z. B. vor Gericht. Sie entscheiden selbst über die Art, den Inhalt und den Umfang ihrer Lösung. Voraussetzung hierfür ist, dass beide Parteien den gleichen Kenntnisstand, die gleichen Informationen zum Konflikt haben und sich beide gleichwertig und gleichbedeutend einbringen können. Der Mediator ist nicht als Experte oder Berater gefragt – selbst wenn seine Erfahrung nahe legt, dass er am besten wüsste, was zu tun sei – und hat keine inhaltlichen Entscheidungsbefugnisse, sondern alle Macht dazu verbleibt in den Händen der Streitenden. Die Aufgabe des Mediators in der Lösungsphase ist stattdessen, dafür zu sorgen, dass – mit Hilfe kreativer Methoden, wie z. B. brainstorming oder brainwriting – möglichst viele unterschiedliche Ideen formuliert werden, die zu neuen, oftmals erstaunlichen Lösungen führen. Auf diese Weise ist auch am ehesten gewährleistet, dass die erarbeiteten Lösungen auch wirklich zu den jeweiligen Kontrahenten passen.

Mediation ist ein informelles Verfahren (im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren oder einer polizeilichen Strafverfolgung). Es gibt keine rechtliche Sanktions- oder Entscheidungsmacht jenseits der Streitenden. Findet die Mediation z. B. in einem beruflichen Rahmen statt oder geht es auch um rechtliche Fragen, dann stecken diese den Rahmen für den möglichen Grad an Selbstbestimmung. Im beruflichen Kontext muss immer vorab geklärt werden, welchen Spielraum z.B. ein Vorgesetzter seinem Mitarbeiter-Team einräumen kann, um selbst Lösungen zu finden.

 

Fallbeispiel: Die Mitarbeiter einer Abteilung sind im Büro der gemeinsamen Sekretärin mehrfach heftig aneinandergeraten. Der Abteilungsleiter entschied sich für Mediation, statt mit Abmahnungen, Anweisungen, Versetzungen zu maßregeln. In der Mediation wurde sichtbar, dass alle darin übereinstimmten, dass für die Abteilung zu wenig Sekretariatsarbeitszeit vorhanden ist. Alle Mitarbeiter konkurrierten darum, Schreib- und Verwaltungsarbeiten bei der Sekretärin unterzubringen. Das Klima untereinander hatte sich durch diesen Notstand völlig aufgeheizt. Die erste Lösungsidee der Mitarbeiter war, mehr Personal zu fordern. Doch da Stellenerweiterungen von der Geschäftsleitung definitiv abgeblockt würden, konnte der Vorgesetzte diesen Spielraum nicht einräumen; die Mitarbeiter mussten nach anderen Lösungen suchen. Die Mediation hatte außerdem gezeigt, dass die Mitarbeiter ihre Bedeutung für den Betrieb daran maßen, wie viel Zeit der Sekretärin sie für ihre Arbeit jeweils beanspruchen konnten.

Die Lösung war nun, zu prüfen, welche Arbeit der Sekretärin für alle am nützlichsten ist, damit sich die Mitarbeiter nicht gegenseitig die Arbeitskraft der Sekretärin wegnehmen, für Dinge, die sie relativ einfach auch selbst erledigen könnten. Gleichzeitig erhielt der Chef Feedback darüber, dass sich alle mehr Klarheit darüber wünschten, wie er ihre Arbeit einschätzt.

Merksatz

Zu wissen, dass Mediation informell ist und damit außerhalb eines Sanktionsrahmens stattfindet, weckt bei den Beteiligten die Bereitschaft, Lösungen jenseits des „Dienstwegs“ kreativ selbst zu gestalten.

Der Begriff „Vermittlung“ lässt noch nichts von der Dynamik und der Tiefe des Mediationsvorgangs spüren. Es ist wie mit einem Kochrezept: Den wirklichen Geschmack gibt das Rezept nicht preis. Die Zutaten setzen den Rahmen des Möglichen; die Art der Zubereitung und des Umgangs mit den Zutaten entscheidet über Geschmack und Aussehen. Die einzelnen Arbeitsschritte bilden den roten Faden, und das Zusammenspiel der Zutaten in ihrer Unterschiedlichkeit, ihrer „Geschichte“ – etwa als frisch geerntetes, gut gepflegtes oder als unreif verladenes und angefaultes Gemüse – bestimmen die Qualität des Gerichts.

Allheilmittel Mediation? – Grenzen und Voraussetzungen

Gute Mediatoren wissen, dass Mediation nicht für jeden Konflikt passt – ganz im Sinne des Sprichworts: „Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.“ Mediation gibt es zwar in fast allen denkbaren Gebieten des Lebens, aber sie hat klare Voraussetzungen und Grenzen, die man beachten muss, wenn eine Mediation erfolgreich sein soll.

Grenzen

Für die hier folgende Darstellung der Grenzen gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel. Solche sind dann möglich, wenn ganz besondere Bedingungen geschaffen werden können, z.B. gibt es hochspezialisierte Beratungsstellen, die erfolgreich Mediation in Familiensachen bei hocheskalierter Gewalt durchführen. Dennoch kann man selbst einem ansonsten leidlich in Mediation erfahrenen Mediator nicht raten, selbst solch einen Fall anzunehmen.

Mediation ist kontraindiziert,

▪ wenn die Autonomie bzw. Eigenverantwortung eines Beteiligten zu gering ist, z. B. bei Sucht, bei Menschen, die eigentlich Therapie benötigen, bei Krankheit, Alter oder Behinderung;

▪ bei hoher beziehungsimmanenter Gewalt, z. B. Prügelattacken unter Ehepartnern oder gegenüber Kindern, oder bei Einschüchterungen und Drohungen in einem Team oder in einer Gruppe;

▪ bei einem starken Machtgefälle, z.B. Lehrer-Schüler, Chef-Mitarbeiter, in dem eine Seite auf Grund von Hierarchie oder anderer Machtstrukturen nicht ebenbürtig zum andern handeln kann oder darf und kein Machtausgleich möglich ist;

▪ wenn von den Beteiligten der Rahmen der Mediation nicht akzeptiert wird;

▪ wenn Gefahr im Verzug ist, sodass sehr schnell Entscheidungen gefällt werden müssen, um Schlimmeres zu verhindern, z.B. mitten in einer tätlichen Auseinandersetzung;

▪ wenn niemand als wirklich neutraler, bzw. als neutral anerkannter Mediator zur Verfügung steht.

Mediation ist wenig aussichtsreich,

▪ wenn bei den Beteiligten keine ausreichende Motivation vorhanden ist, Verantwortung zu übernehmen und die nötige Anstrengung einer Mediation auf sich zu nehmen;

▪ wenn die Folgen eines Konflikts für die Beziehung beider Seiten nicht relevant sind und eher ein Schiedsrichter oder Richter gesucht wird, z. B. zwischen Fremden auf der Straße oder bei einmaligen Geschäftsbeziehungen;

▪ wenn eine wichtige Seite nicht vertreten ist, sich nicht beteiligen will oder kann;

▪ wenn gravierende Unterschiede in den Wertorientierungen die Konfliktursache bilden.

Ein Mediator darf einen Auftrag nicht annehmen

▪ bei einseitiger Vertrautheit mit einer Partei;

▪ wenn seine eigenen starken Werthaltungen und Überzeugungen in diesem Konflikt berührt werden;

▪ wenn er selber in einem Machtgefälle gegenüber einem oder allen Beteiligten steht (z. B. als Vorgesetzter oder Untergebener);

▪ wenn er selber Mitglied einer in diesem Konflikt relevanten Gruppe ist (etwa Vereinszugehörigkeit).

▪ wenn er in derselben Sache bereits vorher für eine Seite tätig war (s. MediationsG, § 3 (2))

Voraussetzungen

Grundvoraussetzung jeder Mediation ist, dass ein geschützter Rahmen für die Klärung hergestellt werden kann, damit sich die Beteiligten wirklich sicher fühlen können. Es braucht z. B. einen ruhigen, störungsfreien Raum sowie ausreichend Zeit, um arbeiten zu können. Im Arbeitsbereich ist darüber hinaus z. B. auch die Zusage des Chefs nötig, dass die Mitarbeiter keine Konsequenzen für ihre Offenheit fürchten müssen, wenn sie Unbequemes äußern. Wo dies nicht geht, hat Mediation nichts verloren.

Damit Mediation erfolgreich durchgeführt werden kann, braucht es außerdem die Bereitschaft der Beteiligten,

▪ für den eigenen Konflikt und das eigene Verhalten Verantwortung zu übernehmen und Energie für eine Lösung zu investieren;

▪ zu der gemeinsamen Zielsetzung, den Konflikt auf eine für beide Seiten annehmbare Art zu lösen;

▪ den Mediator in seiner (gesprächs-) führenden Rolle zu akzeptieren.

Abgrenzung der Mediation zu anderen Verfahren

Mediation ist nur eines von verschiedenen Verfahren, das bei Störungen, Konflikten und Auseinandersetzungen angewendet wird. So stellt sich die Frage, worin denn der Unterschied zu anderen Verfahren besteht.

Rechtlich orientierte Verfahren: Schlichtung – Schiedsgericht – Anwaltsverhandlung

Schlichtung ist in Deutschland v. a. im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen und arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen bekannt. Zwei Parteien, die eine Einigung herbeiführen müssen, wenden sich an einen externen Schlichter, der – im Gegensatz zum Mediator – auch Lösungsoptionen vorschlägt und je nach vorheriger Vereinbarung sogar die Entscheidung trifft. In Bayern z. B. müssen die Parteien in bestimmten Streitsachen zuerst ein Schlichtungsverfahren durchlaufen, und nur bei dessen Scheitern wird ein Gerichtsverfahren möglich. Die Hoffnungen der Justiz, dass sich dadurch vieles ohne Prozess lösen ließe, haben sich allerdings nicht erfüllt, denn der Zwang zur Schlichtung führt bei den Parteien häufig dazu, dieses Verfahren scheitern zu lassen, um dann doch vor Gericht um ihr Recht kämpfen zu können.

Beim Schiedsgericht wird die Schlichtung von Streitigkeiten tatsächlich in einem gerichtsartigen Verfahren ausgeübt. Ihm steht eine Person mit Befähigung zum Richteramt vor, und weitere Richter werden von beiden Seiten benannt (z.B. Fachexperten). Beide Parteien haben in der Vereinbarung zur Durchführung eines Schiedsgerichtsverfahrens erklärt, sich der Entscheidung dieses Schiedsgerichts zu unterwerfen. Im Unterschied zu Entscheidungen staatlicher deutscher Gerichte sind Schiedsgerichtsentscheide auch grenzüberschreitend anerkannt und vollstreckbar.

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