Zaubertanz und weiser Funke

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2.

Insgeheim war Eddy jedoch noch immer fasziniert von Dajana, als Tänzerin. Er trug ein Bild von ihr in der Geldtasche, wie seine früheren Freunde zu berichten wussten. Darauf war ihr fein geschnittenes Gesicht, halb hinter dem himmelblauen Seidenschleier verborgen. Goldene, geprägte Münzen lagen aufgefädelt über ihrem Stirnansatz. Ein Teil ihres Kostüms, das sie in jener Zeit getragen hatte, als sie sich kennenlernten. Anfangs machte er ihr nur vereinzelt Szenen, freitags vor dem Wochenende. Nach einem Jahr schlugen seine Eifersuchtsanfälle jedes Mal in Gewalt um.

„Er war wohl das, was man unter einem Macho versteht.“ Egoistisch, selbstverliebt. Er sagte von sich, dass er ein Romantiker wäre. Treue und Ehre wären ihm wichtig.

„Warum verließ sie ihn nicht“, will Kerala wissen.

„Vorerst dachte sie, dass sich alles wieder einrenken würde“, sagt Karin. „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn er eine neue Stelle hat, die ihm gefällt, wird sich alles wieder normalisieren. Meinte sie.“

„Das lag sicherlich an ihren Selbstzweifeln“, mischt sich Miriam ein. „Sie fühlte sich nicht stark genug, um ihn zu verlassen.“

„Sie hätte sich einfach nur einen suchen müssen, der lieb zu ihr ist“, sagt Pietro. „Warum sich manche Frauen an solche Ekelpakete hängen, werde ich nie verstehen.“

„Sie erläuterte, es wäre wie eine Falle gewesen“, sagt Karin versonnen. „Du tappst hinein und bist gefangen, ehe du dich versiehst.“

„Macht ja nicht ohne mich weiter“, sagt Kerala und öffnet die Wagentüre. „Die gelben Engel sind da.“

Ein schmächtiger Mann in einer gelben Montur stellt seine Werkzeugkiste krachend auf den Boden. Der Rauch unter der Kühlerhaube hatte sich verzogen. Mit einer Zange in der Rechten macht er sich daran, das Problem zu finden.

„Der Bus muss in die Werkstatt“, verkündet Kerala. In gebückter Haltung sieht er durch das offene Autofenster von einem zum anderen. Vor allem wendet er sich Karin zu. „Ihr müsst aussteigen. Er schleppt mich zum Parkplatz dort drüben.“

Doris schnäuzt sich und runzelt die Stirn, als sie ein gelbes Sekret in ihrem Taschentuch bemerkt.

„Eiter“, sagt sie lakonisch und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Ich sag‘s nur ungern. Ich hab Fieber.“ Beim Aussteigen aus dem Bus kommt ein Hüsteln hinter der Maske hoch.

„Jetzt haben wir wirklich ein Problem“, stellt Karin fest. „Wir müssen die Corona-Hotline informieren.“

„Vor allem rate ich euch, in einem sicheren Abstand zu Fuß zu gehen. Wegen der Ansteckungsgefahr“, ruft der Mechaniker herüber. Karin nickt verständnisvoll, mit einem Ohr klebt sie an ihrem Handy. Man hört das besänftigende Brabbeln der Warteschleife.

„Na kommt, die Taschen können wir im Bus lassen.“ Im Gänsemarsch trotten sie hinter einander. Kerala geht voran, wortlos und energischen Schritts. Weiter entfernt, in Sichtweite, rollt ein antriebsloser Bus. Dessen Motor dahin ist, fürs Erste.

„Immer heiter, dann kommst du weiter“, sagt Karin.

„Also, den Tag habe ich mir anders vorgestellt. Wie gut, dass du noch dichten kannst.“

„Es reimt sich, und was sich reimt, ist gut.“

„Sagt Pumuckl.“

„Also, alles Gute. Muss ja nicht immer der Virus sein“, ruft der Mann vom Pannendienst aus sicherer Entfernung. Dann steigen sie erneut ein. Karin schildert die Symptome in ihr Smartphone und starrt vor sich hin. „Wir sind auf dem ersten Parkplatz nach der Abfahrt.“

„Nun müssen wir warten. Sie kommen uns testen. Alle.“ Dann informiert sie die Kunden, gibt sich bedauernd und herzlich. „Tut mir leid“, sagt sie jedes Mal, in sanftem Ton. Autos brausen vorbei. Ein rauchender Auspuff lässt auf mangelnde Wartung schließen. Er gehört zu einem in die Jahre gekommenen LKW. Für die Werktätigen geht der Stoßverkehr weiter, an diesem Montag.

„Ich will unbedingt wissen, wie es der reizenden Tänzerin ergangen ist.“ Kerala reibt sich die Hände, um sich aufzuwärmen. „Frisch, hier am Stadtrand“, sagt er und lässt sich in den Polstersitz fallen. „Macht es dir etwas aus, wenn du weiter erzählst? Ich meine, trotz Maske.“

„Aber nein, ich brenne darauf. Wo war ich noch mal?“

„Der böse Eddy. Ihr besitzergreifender Mann“, sagt Pietro.

„Eines Tages, im Frühsommer. Sie hatte sechs Jahre lang alles Erdenkliche versucht, um mit ihm zurechtzukommen.“ Dajana sah keinen Ausweg mehr. Die Zeichen sprachen dafür, dass sie ein Kind erwartete. Wenn sie für ihr Baby sorgen müsse, wäre sie mehr denn je auf ihn angewiesen. Inzwischen kannte sie ihn gut genug, um zu wissen: er würde das Kind für sich beanspruchen, sobald es das Licht der Welt erblickt hätte. Also beschloss sie, ihn in Unkenntnis darüber zu lassen. Während der Bürostunden überlegte sie fieberhaft, wie sie ihn unbemerkt verlassen könnte. Sie fühlte sich am Ende ihrer Kraft, unfähig, sich gegen seine Gemeinheiten zu wehren.

„Worauf wartest du“, fragte ihre Kollegin. „Also besser wird der nicht.“

„Wahrscheinlich hast du Recht. Auf keinen Fall werde ich ihn heiraten. Das kann er sich abschminken.“ Der Anlass folgte auf den Fuß. Gewissermaßen der Stein, der das Geschehen unwiderruflich ins Rollen brachte. Ungeduldig wartete Eddy am späten Nachmittag. Die Menschen saßen in den Schanigärten. Schlürften genüsslich ihren Nachmittagskaffee, hinter blühenden Oleanderstauden. An diesem Montag harrte er vor dem Eingang aus, stieg rastlos von einem Fuß auf den anderen. Als er sie mit einer Kollegin im Hausflur scherzen sah, verzog sich seine Miene.

„Da brennen mir ja die Sicherungen durch“, schrie er. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, als er eine Schimpfkanone auf sie losließ. „Hure“ war hier noch das Mildeste, was er an Vokabular hervorstieß. Unterste Schublade, wie sie zu sagen pflegte. Dajana zog den Kopf ein, als könnte sie in einen Schildkrötenpanzer kriechen. Ein bitterer Geschmack machte sich in ihr breit. Was würden ihre Kollegen von ihr denken. Vor lauter Verlegenheit, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Erst später, als sie sich im Badezimmer einschloss, überlegte sie hin und her. Sie musste dem Treiben ein Ende setzen. Ab dem Augenblick, in dem du erkennst, wie es sich verhält, kannst du nicht mehr zurück. Wie gerne würdest du weiter in deinen Zukunftsträumen schwelgen? Dir einen guten Ausgang ausmalen. Doch du hast es klar gesehen: er fügt dir Schaden zu. So sehr du auch möchtest, es wäre anders.

Am nächsten Tag ging sie, wie üblich, ins Büro. Ihrer Kollegin sagte sie, sie wäre krank, hätte eine Magenverstimmung.

„Ich habe mir alles mit angehört“, sagte diese. „Auch verstehe ich, dass wir Eddy keine Auskunft darüber geben dürfen. Ich werde es den anderen sagen.“ So kam es, dass sie sich Hals über Kopf von ihm trennte. Kurzerhand übergab sie ihre Aufgaben einer Kollegin, als Vertretung, und nahm sich zwei Tage frei. In einer Pension für Dauergäste, einige Blocks weiter, mietete sie ein Zimmer. Die klassizistische Fassade war ihr bereits früher aufgefallen. Von den Fensterbänken fielen rote und violette Petunienranken, wie ein Vorhang. Sie liebte die Farbenpracht ihrer feinen, trichterförmigen Blüten. Ein gutes Omen, dachte sie. Bei der Reservierung gab sie sich selbstsicher, die Blutergüsse unter getöntem Makeup und einer dunklen Brille verdeckt.

„Penelope Higgins“, sagte sie und fühlte sich ein wenig geborgen, des fremdländisch klingenden Namens wegen. „Ich zahle die erste Monatsmiete im Voraus.“ Die Geldscheine legte sie ohne Aufforderung auf das Pult. Sie benötigte einige Gegenstände für sich, entschloss sich aber, Geschäfte in der näheren Umgebung zunächst zu meiden. Wie rasch könnte er sie entdecken. So fuhr sie mit der Tramway den Ring entlang, bis zum achten Bezirk. In den Supermärkten besorgte sie sich Zahnbürste, Duschgel und einige Toilettenartikeln, eine Leggins, T-Shirts, das Notwenigste. Sie änderte ihre Dienstzeiten. An ihrer Arbeitsstelle konnte er sie schwerlich besuchen. Das vermied sie geschickt, indem sie die Rezeptionistin instruierte, ihn nicht vorzulassen. Dazu kopierte sie ein Foto von ihm, das im Empfang auflag. Einzig das Tanzstudio war eine heikle Stelle in ihrem Terminplan. Sie verlegte ihre Tanzstunden auf unorthodoxe Termine. Zehn Uhr abends, drei Uhr früh, dann tanzte sie allein zu orientalischen Klängen in den geräumigen Sälen. Der Besuch bei der Frauenärztin bestätigte es: sie war im dritten Monat schwanger.

Eddy blieb allein zurück. Er ahnte bereits, dass etwas nicht stimmte, als sie ihr Telefon nicht mehr abnahm. Ein weiterer Telefonanruf untertags wurde unterbrochen.

„Sie ist nicht erreichbar, im Moment“, sagte ihre Kollegin am anderen Ende der Leitung. Des Abends kam sie nicht nach Hause, was ihn vollends in Wut versetzte. Wie von Sinnen lief er ins Polizeirevier, um sie als vermisst zu melden. Sein Haar stand ihm wirr vom Kopf. In Badeschlapfen und Morgenrock tauchte er auf, was im Revier für Heiterkeit sorgte.

„Meine Frau ist spurlos verschwunden. Ich mache mir Sorgen“, begann er atemlos. Der Beamte erinnerte sich jedoch unterdessen, einen Meldezettel abgestempelt zu haben. Womit seinerseits die junge Dame als übersiedelt zu betrachten wäre.

„Sie hat sich an einer anderen Adresse gemeldet“, sagte er nüchtern.

„Ja, dann geben sie sie mir“, verlangte Eddy.

„Sie heißen Edward Krenz“, sagte der Beamte. „Hier hat sich eine Frau Dajana Dumont ordentlich gemeldet. Sie sind also nicht verheiratet.“

„Noch nicht. Das ist ihr Mädchenname, wir sind verlobt“, sagte er, sichtlich bemüht, seine Fassung nicht zu verlieren.

„Ich kann ihnen dazu keine Auskunft geben. Sie wird ihre Gründe haben, die junge Frau. So wie ich sie hier sehe…“ „Gehen sie nach Hause, beruhigen sie sich.“

 

Er musste wohl oder übel abziehen. Wie ein welker Birkenstamm schlich er davon. Seine weiteren Aktionen, mit ihr Kontakt aufzunehmen, scheiterten. Er schrieb eindringliche Briefe an ihre Büroadresse. Zunächst ihr Heimkommen fordernd, dann gesäuselte Liebesgeständnisse. Schließlich drohend und Unheil versprechend. Mehrmals täglich rannte er die Treppen hinunter, zu seinem Postkasten im Hausflur, dann wieder hoch in seine leere Zweizimmerwohnung. Von dem Prachtkerl, dem die Frauen hinterher sahen, war nichts übrig geblieben. Vielmehr glich sein Gang einem allein gelassenen, streunenden Köter. Sein Gesichtsausdruck verfiel in herabgezogenen Mundwinkeln. Seine Wangen färbten sich grau. Selbst sein Haar nahm eine kraftlose Konsistenz an.

Ein Cocktail aus gekränkter Eitelkeit und Wut schaukelte in ihm. Ließ ihn von einer weinerlichen Stimmung in eine zornerfüllte Hitzigkeit torkeln. Einmal hätte er vor Selbstmitleid zerfließen können, dann wieder schoss eine ungestüme Kraft in seine Fäuste und er hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen. Als jede Hoffnung auf ihre Rückkehr und auf eine Weiterführung ihrer Beziehung schwand, sann er auf Rache. Für einen Giftmord müsste er ihrer habhaft werden, was ihm unmöglich schien. Dajana hatte vorgesorgt, von dem Tag an, als sie vor ihm flüchten konnte. Als sie ihn bei der Polizei anzeigte, lief alles wie von selbst. Ein Wegweisurteil kam per Einschreiben und bekundete, dass er angehalten war, sich von ihr fernzuhalten. ‚Außer Sichtweite‘, war die exakte Bezeichnung. Damit fiel ein Messermord ins Wasser, sinnierte er. Zum Schießen reichte es nicht. Vielleicht lag es daran, dass er keine ruhige Hand hatte. Zudem hatte er kein Geld, um sich eine Waffe zu kaufen. Feuer kam ihm in den Sinn. Flammen, die eine reinigende Wirkung haben. Hexen wurden früher verbrannt, als die Sitten noch strenger gehandhabt wurden. Wie in einem bösen Traum sah er das Feuer vor sich. Für ihn war sie eine sittenlose Frau geworden, unanständig in ihrem Tun. Also eine, die brennen sollte. Er war sich sicher, dass sie noch einiges mit dem Tanzstudio am Hut hatte. Aber wie sollte er vorgehen, da er die Zeiten nicht wusste, an welchen sie trainierte. Also legte er sich auf die Lauer, um diese auszukundschaften.

3.

Seuchenschutzanzüge kannten wir bislang nur aus dem Katastrophenfilm. Wenn beispielsweise ein bis dato unbekanntes Mördervirus die Bevölkerung in Kürze dahinraffte. Von welchem kein Experte dieser Welt wusste, wie man es neutralisieren könnte. Noch ehe der dramatische Streifen zu Ende war, hatten sie das rettende Gegenserum, in letzter Sekunde, parat. Oder auch die lange experimentierenden Wissenschaftler in ihren Schutzanzügen, wenn man im Forschungszentrum Seibersdorf beschäftigt war. Aus dem Kastenwagen des Roten Kreuzes steigt eine weiß vermummte Person in flatterndem Gewand. Über der Chirurgenmaske menschliche, verständnisvolle Augen. Hinter dem Gesichtsschild aus Plexiglas spricht eine Männerstimme. Worin der PCR-Test bestünde, wird sachlich präzise erklärt.

„Es kann bis zu zwei Tagen dauern, bis ihre Proben ausgewertet sind.“ Wir gurgeln und spucken in separate, klinisch saubere Trichter. Das Set an Proben wird in einen metallenen Transportbehälter getan.

„Sie werden telefonisch vom Ergebnis unterrichtet“, sagt er und nimmt seine Ausrüstung mit sich. Danach müssen wir bis zum Eintreffen der Ergebnisse in Quarantäne bleiben. Lichtstrahlen brechen spähend durch den Wolkendunst, ein frisches Frühlingswetter. Es wurde uns zugesagt, dass reichlich Verpflegung vorbeigebracht werde. Neunzig Minuten später stellt uns ein Imbiss-Service Gabelbissen und Wurstbrote, Antialkoholisches in Getränkeflaschen, in gewahrtem Sicherheitsabstand auf. Einen Babyelefanten breit, ein mittlerweile geflügeltes Wort.

„Der Elefant braucht Sliwowitz“, sagt Miriam und lässt den klaren Schnaps reihum gehen. Kerala tut sich einen Schuss davon in seine Limo und nimmt einen herzhaften Schluck.

„Bis morgen muss ich sowieso nicht fahren“, stellt er fest. „Sind wir alle soweit? Karin, wie geht’s weiter mit Dajana und ihrem Eddy?“

„Bergab“, sagt sie. „Von da ab ging es stetig bergab.“ Als er nicht weiter wusste, gebeutelt von seiner übermächtigen Wut auf sein Schicksal und auf Dajana, der er die Schuld daran gab. Er kaufte zwei Kanister Benzin und stellte diese in sein Vorzimmer. Dajana hatte einen der Tanzsäle gemietet, um für ihren Auftritt zu proben. Am Vorabend wartete Eddy bis zur Dämmerung und brachte den Brandbeschleuniger in ein Gebüsch vor dem Studio. Während der abendlichen Probe schlich er sich ein.

„Halt warten sie“, sagte er zu einer Dame, die zum Unterricht kam, und hielt die Eingangstür auf. „Ich muss den Wasserschaden beheben. Bin von der Hausverwaltung.“ Er legte einen Keil unter die offene Türe. Sobald die Luft rein war, brachte er das Benzin in den Waschraum und versteckte sich hinter einem Duschvorhang. Zwei Stunden später war die letzte Trainingsgruppe fertig und verließ gut gelaunt die Räume. Dann schloss Dajana die Metalltüre auf und wähnte sich allein und ungestört. Sie summte vor sich hin, legte ihr Tanzkostüm an und schob eine Musik-CD ein. Die Choreographie musste bis ins kleinste Detail sitzen. Für den dritten September hatte sie einen Auftritt im Metropol geplant, einen Schleiertanz. Es hat sie einiges an Mühe gekostet, die glitzernden Teile an das Kostüm zu nähen. Den hauchdünnen, zartgelben Schleier mit einem Goldrand zu versehen. Die Illusion einer goldenen Wolke, die ihre Figur in überirdischem Zauber umspielte. Sie hört nicht die Geräusche, als die brennbare Flüssigkeit über Sitzmöbel und Teppiche im Vorraum ausgegossen wird. Sie hört nicht, als Eddys Feuerzeug mehrmals klickt. Auflodernde Flammen sind lautlos. Ebenso der Brandstifter, der die Metalltür bemüht leise schließt, um kein Aufsehen zu erregen, und in die Sommernacht verschwindet.

Graue Schwaden dringen durch die Ritzen der Schiebetür. Als sie sie einen Spalt aufschiebt, sieht sie entsetzt die hell lodernden Flammen im Eingangsbereich. Es brennt, schießt es ihr durch den Kopf. Ruckartig schiebt sie die Türe wieder zu, um sich zu sammeln. Es greift um sich, erkennt sie bestürzt. Ihre Straßenkleidung befindet sich in der Garderobe. Kann sein, dass sie schon verbrannt ist. Als beißender Rauch durch die Fugen am Boden kriecht, hält sie ihren Schleier vors Gesicht. Sie muss unverzüglich hinaus. Das war ihr klar. Panisch schnappte sie ihre Handtasche. Das einzige, was sie zu fassen bekam. Zum Glück lag der an diesem Tag benützte Tanzsaal nahe dem Treppenhaus. Sie holte tief Luft und lief los. Es waren nur wenige Schritte, doch schienen sie ihr wie eine Ewigkeit. Die Stahltüre fand sie versperrt vor. Hektisch wühlte sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, als neben ihr ein Balken funkensprühend zu Boden krachte und ihr die Sehkraft nahm. Geschickt bekam sie den Bund Schlüssel zu fassen und drehte einen davon im Schlüsselloch. Als die Tür endlich nachgab. Von Husten geplagt, kämpfte sie sich, in gebückter Haltung, durch den Flur. Der dichte Qualm trieb ihr die Tränen in die Augen. Als sie versuchte, sie zu öffnen, verschwommen Treppenhaus und Bodenkacheln zu einem farblosen Einheitsbrei. Die Augen fest zugepresst, tat sie einen rettenden Luftzug.

„Ich habe meine Sehkraft verloren“, sagte sie heiser. Nahezu erblindet, stemmte sie sich gegen den Widerstand des automatischen Türschließers. Die Gasse war menschenleer. Noch hatte niemand den Brand entdeckt. Um diese Zeit saßen die Fußballfans, aus grünen und violetten Lagern, vor ihren Fernsehgeräten und fieberten mit ihren Tore schießenden Idolen. Niemand bemerkte Dajana, die sich mühevoll daranmachte, der Gefahrenstelle zu entkommen. Die Handflächen an den Raufaserverputz der Hausmauer gepresst, versuchte sie, den Halt nicht zu verlieren. Die aufkeimende Tücke zieht weite Kreise. Wie ein Stein, der sich im schroffen Fels gelockert hat. In einen wildromantischen Teich fällt, einen Wellenkreis nach dem anderen hervorbringt. Aus dem Nichts geboren, in Nullkommanichts aus den Blicken verschwunden. Es gibt eine vielschichtige Böswilligkeit, die dich aus einem geordneten Leben vertreibt. Plötzlich stehst du allein da, auf dich selbst zurückgeworfen.

„He hallo“, hörte sie eine Frauenstimme neben sich sagen, als sie sich an der Wand entlang tastete.

„Ich kann nicht sehen“, sagte Dajana mit erstickter Stimme und kämpfte gegen den Hustenreiz an.

„Kann ich dir helfen“, fragte die Dame freundlich. „Du hast ja fast nix an, Süße. Ich bring dich hier weg. Okay?“

„Danke.“

„Sag, wie heißt du eigentlich?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich war tanzen, dann war das Feuer, der Rauch.“

„Ja, kann man nichts machen. Wird schon werden.“ „Ich heiße Lexie.“

Verlegen befühlte Dajana ihre Kleidung. Ihr seidener Rock wies lange Risse und Spuren von geschmolzenem Gewebe auf. Das bauchfreie Top klebte schweißnass an ihr.

„Wo bin ich“, fragte sie.

„Wir sind in einem Beserlpark“, sagte Lexie und zog sie sanft auf eine Holzbank. „Am besten, du setzt dich. Tut dir etwas weh?“

„Mir brummt der Kopf. Das ist aber, denke ich, nicht das Problem.“

„Ich bin seit längerer Zeit unterwegs, penne mal da, mal dort.“

„Wie, hast du keine Wohnung?“

„Nop, bin seit zwei Jahren auf der Straße“, sagte sie langmütig. Fast selbstverständlich, fand die Gerettete und dachte angestrengt nach.

„Für eine Obdachlose drückst du dich sehr gewählt aus“, fand Dajana.

„Ich war einmal Sozialarbeiterin. Jetzt bin ich selbst ein Sozialfall.“

„Ich komm nicht drauf, wie ich heiße.“

„Du hast eine kleine, chice Tasche. Darf ich reinschauen?“ „Da haben wir’s schon“, sagte sie fröhlich. „Dajana Dumont, steht auf deinem Perso.“

Das zerschlissene Tanzkostüm, ihre schmutzverschmierten Arme, ließen sie kurz überlegen. War Dajana, die sie eben erst kennenlernte, auch obdachlos, so wie sie? Diese jedoch wiederholte wieder und wieder, wie dankbar sie ihr sei.

„Sowas, dass du dich um mich kümmerst…“„Nein sowas.“

„Eigentlich heiße ich Alex“, sagte sie und quasselte drauflos. Mitte dreißig habe sie das Glück verlassen. Durch ihre Scheidung wäre sie abgeschlittert. „Meine Scheidung, wie sich das anhört. Na jedenfalls, mir hat‘s gereicht. Nie wieder heiraten, das sag ich mir immer.“

Lexie wohnte unter freiem Himmel, neben dem Wienfluss. Bevorzugt im Sommer, wenn er in seinem betonierten Flussbett zu einem schmalen, dunklen Rinnsal verkommen ist. Von der vorbeirauschenden Stadtbahn aus nicht einsehbar, hatte sie ihre Habseligkeiten zu einem Knäuel zusammengepackt. Es war ihr wichtig, ihre lauernde Konkurrenz nicht wissen zu lassen, wo sie ihr Quartier bezog.

„Liebe Dame“, sagte sie. „Bei mir kannst du dich besinnen. Wir sollten erst einmal alles besprechen, was nötig ist.“

„Kannst du nachsehen, was noch da ist“, fragte Dajana. Lexie klopfte den Staub vom Leder. Eine dieser hellbraunen Handtaschen, die einer Satteltasche nachempfunden waren. „Ein Hunderter, drei Zwanziger, Kleingeld, in Summe zweihundert“, sagte sie und klimperte mit den Münzen. „Das bringt uns über die nächste Woche, ganz bestimmt. Arm bist du nicht.“

„Nein, ich glaub nicht.“ In der ersten Nacht lieh sie Dajana ihren Schlafsack aus Kunstfaser, ähnlich einer Steppdecke. Sie selbst hatte noch ihre blau-karierte, kuschelige Decke. Ausreichend für die laue, windstille Nacht im Freien. Allerdings war sie zu aufgekratzt, um einschlafen zu können. Wer war diese Frau, von der sie nur den Namen wusste?

„Dir ist etwas passiert“, mutmaßte sie. „Etwas, das dich herausgerissen hat.“

„Gewiss“, sagte Dajana. „Es war bedrohlich, soweit ich mich dunkel erinnere. Hingegen bei dir fühle ich mich in Sicherheit.“

„Kannst du mir sagen, wer deine Eltern sind? Mama und Papa?“

„Ich sehe sie vor mir, ihre lieben Gesichter. Herbert und Miranda.“ Ratlos zog sie ihre Augenbrauen hoch. Wie, um mit geweiteten Augen mehr sehen zu können. „Leider. Alles wie weggeblasen.“

Am nächsten Morgen rafften sie sich von ihrem unbehaglichen Lager auf, mit steifen Gliedern. Im Schacht über ihnen donnerte die U-Bahn vorüber. Der Frühverkehr mit all seiner Hektik war voll im Gange. Diese Lexie tat so, als wäre alles in bester Ordnung.

„Man gewöhnt sich daran“, sagte sie. „Unbequem, aber wir leben noch.“ An einem Hydranten im nahen Park konnten sie sich die Gesichter waschen. In den Bäumen waren unterschiedliche Vogelgesänge zu hören und morgendliche Sonnenstrahlen fielen vereinzelt durch die Blätterkronen.Die blühenden Rosenbeete verströmten liebliche Duftnoten.

 

„Siehst du, sie blühen für alle, arm oder reich. Was macht das schon“, sagte Lexie und legte ihr tröstlich die Hand auf die Schulter.

„Eine Zahnbürste“, erinnerte sich Dajana. „Das ist es, was ich brauche.“

„Wenn die Geschäfte öffnen, können wir das für dich besorgen“, meinte Lexie. Zu allererst müssten sie die Sachen für die Nacht wegpacken. Dann könnten sie weiterziehen.

Sie war breit gebaut, für eine Frau, jedoch nicht besonders groß.

„Ich schneide es mir selbst“, sagte sie, während sie ihr dichtes Haar sorgfältig kämmte. „Dem fehlen schon ein paar Zähne, aber er tut’s noch.“

„Ja, macht nichts“, sagte Dajana. „Was wurde aus deiner Wohnung, deinem Zuhause?“

„Du hattest doch eine, oder?“

„Ich hatte da so ein ungelöstes Problem“, meinte sie. „Miete nicht beglichen. Abends leischen, des Morgens verschlafen. Zu spät im Büro angetanzt. Nichts hat mehr gepasst. Kopf in den Sand gesteckt. Was weiß ich, ich kenn mich nicht aus.“ Danach hätte sie ihre Arbeit und alles andere verloren. „Man hat so seinen Stolz. Ich wollte niemanden um Hilfe bitten.“ Wenn man jung ist, fühlt man sich stark. Erfüllt von einem verschwenderisch satten Energieschwall, der einem kräftigen Wind gleicht. Eine Kraft, die nur darauf wartet, aufgebraucht zu werden. Die einem unhörbar zuflüstert, dass man nahezu alles erreichen kann.

„Du glaubst es nicht, wie rasch man verwelken kann, durch widrige Umstände.“

„Doch, ich kann dich gut verstehen. Ich erinnere mich an einen Mann. An sein Gesicht, das wutverzerrt näherkommt.“

„Bitte zieh meinen Sweater an und die Jogginghose.“ Lexie zerrte ein blitzblaues Oberteil und eine zitronengelbe Leinenhose aus einem abgegriffenen Plastiksack, der im Gebüsch versteckt war. Still saß Dajana da und wartete ab. Um sie war es grau geworden.

„Hör mal, du kennst mich doch gar nicht“, sagte sie plötzlich. „Trotzdem kümmerst du dich um mich, als wären wir mit einander verwandt.“

„Nicht der Rede wert.“ Ein zaghaftes Lächeln huschte über das Gesicht der obdachlosen Frau. Ein Gemisch aus Freude und Verlegenheit über eine Anerkennung, die Seltenheitswert hatte.

„An deinen gepflegten Fingernägeln und deinem Haarschnitt kann ich erkennen, dass du eine Dame sein musst.“ Sie führte sie zu einer hölzernen Parkbank, die feucht vom Morgentau in der Sonne stand. Aus einer Blechdose aßen sie Käsesandwiches und Tomaten. Lexie kommentierte jeden ihrer Handgriffe. Während sie ihr mütterlich einen Becher mit Wasser in die Hand drückte, sagte sie: „Wir sollten dich eigentlich in ein Krankenhaus bringen. Damit sie sich um deine Augen kümmern können.“

Als Dajana sie bat, doch bleiben zu dürfen, schwang ein Flehen in ihrer Stimme mit.

„Na gut“, sagte sie schließlich. „Solange du keine Schmerzen hast, ist es, denke ich, ganz okay.“„Wir treffen später meine Clique.“ Sie schien darum bemüht zu sein, sich einen Hauch von Gesellschaftsfähigkeit zu verleihen.

„Codo der dritte, aus der Sternenmitte“, tönte es aus einem Ghettobluster. Unüberhörbar hinter einer sauber geschnittenen Hecke, von einer Wegbiegung, die in die Innenstadt führte.

„Unglaublich, dass das ein menschlicher Kopf aushalten kann.“ Lexie beschrieb aufmerksam die Moves eines Breakdancers, der sich im Park bewegte. Sich im Kopfstand auf einer Unterlage drehte. „Zu schade, dass du das nicht sehen kannst. Ich bewundere Akrobaten.“

„Tanzen ist mein Metier“, sagte Dajana. „Bestimmt. Jetzt fällt’s mir wieder ein.“

Nach und nach trudelte ihre Partie ein. Meistens kamen sie unter der alten Linde zusammen. Fröhlich begrüßten sie einander und ließen Dajana ihr Ungemach für ein paar Stunden vergessen. Lexie war sehr beliebt und hatte gelernt, sich zu verteidigen. An diesem Tag führte sie einen Schlagstock vor.

„Ich habe ihn nach einem Kampf im Gras gefunden“, sagte sie wichtigtuerisch und schlug auf herabhängende Äste ein.

„Hörst Lexie, du Ninja“, meinte ein kahlköpfiger Mann, der einen Rucksack über der Schulter trug. „Ich engagier dich als Leibwächterin.“

„Geh plausch net, als ob du dich nicht selber wehren könntest.“

Das Gespräch wendete sich rasch dem Neuankömmling zu. Sie meinten es gut, als sie Dajana zuredeten. Im Krankenhaus wäre sie besser aufgehoben. Mit Augenleiden sei nicht zu spaßen. Die Ambulanz würde sie sicher aufnehmen. Einer hatte auch davon gehört, dass es eine spezielle Behandlung gäbe, um den Gedächtnisschwund zu heilen.

„Geh doch in die Rudolfstiftung“, sagte er. „Dort haben sie unlängst meinen eitrigen Zeh behandelt. Seht ihr, wie neu.“

„Tschaui, bleibt nicht zu lange in der Sonne“, rief Lexie. Dann zogen sie stadtauswärts und ließen sich im Schatten einer großen Buche nieder. Wieder allein, bemühte sich Lexie, die Sache voranzutreiben.

„Wenn es dir recht ist, sehe ich deine Tasche durch.“ Dajana war schwer davon zu überzeugen, zu fremden Leuten ins Spital zu gehen.

„Ich bin noch nicht so weit“, meinte sie.

„Ich bringe dich zu einer sozialen Station. Wie wäre das?“

„Okay, ist das weit?“ Sie müssten zum Karlsplatz, erklärte ihre Freundin. Doch plötzlich stockte sie im Redefluss und nahm Dajana aufgeregt bei der Hand.

„Ich habe einen Lottoschein gefunden, in deiner Tasche.“

„Ist das etwas Positives?“

„Aber ja. Wenn du Glück hast, hast du einen Haufen Geld gewonnen.“ Lexies Stimme überschlug sich bei dem Wort „Haufen“. „Zuallererst brauchen wir eine Zeitung.“

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