Zwischen Hoffen und Zerbrechen - Ist mein Partner ein Narzisst?

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Meine Elternzeit geht zu Ende

Sehr viel weiter sind wir die letzten Wochen nicht mit unserer Zeitschrift gekommen. Nach anfänglicher Euphorie für die Webseite, beschränkt sich Johns Arbeit zunehmend wieder auf das Durchforsten seiner eigenen Facebook-Seite. Er erklärt mir das folgendermaßen: »Lara, ich habe so viele Neider auf dieser Seite, die uns unser Glück und unseren Erfolg nicht gönnen werden. Die muss ich alle erst löschen, bevor wir richtig loslegen können.« »Aber das machst du doch sowieso schon seit Wochen«, antworte ich genervt. »Süße, in dieser Branche gibt es enorm viele Menschen, die mir schaden wollen. Es geht da einfach um so viel Ruhm, Macht und Geld, das kannst du dir nicht vorstellen.« »Na dann sieh mal zu, dass du diese Leute ganz schnell aus deinem Leben verbannst. Ich freue mich nämlich schon sehr darauf, endlich mit unserem Magazin richtig loszulegen.«

Auch die nächsten Tage sehe ich John mehr in der Küche sitzend, am Handy beschäftigt, als oben im Büro. Aber zum jetzigen Zeitpunkt hat das irgendwie auch sein Gutes. Somit hat John mehr Zeit für die Kinder, was es mir erleichtert, mich auf meinen Wiedereinstieg ins Berufsleben vorzubereiten. Denn auch mein bürofreier Alltag neigt sich so langsam dem Ende entgegen. Die letzten zwei Jahre konnte ich mich dank Elternzeit flexibel nach Johns Terminplan richten, doch diese Zeit ist nun bald vorbei.

Gemeinsam rechnen wir uns aus, wie viele Stunden ich wöchentlich in München arbeiten kann. Der Job dort ist sehr gut bezahlt und ich bin dankbar, dass mein Chef mich nach drei Jahren in meine alte Position zurückkommen lässt. Ich schlage vor, zunächst in Teilzeit fünfzwanzig Stunden pro Woche zu arbeiten. John stimmt mir zu, weist mich aber gleichzeitig darauf hin, dass er beruflich künftig mehr unterwegs sein wird. Er nimmt mich in den Arm und sagt: »Aber wenn du sowieso nur halbtags arbeiten möchtest, kannst du die Jungs doch immer noch pünktlich vom Kindergarten abholen. Müssen wir sie halt bis sechzehn Uhr anmelden.« Auf meinen geschockten Blick hin, wirft er schnell hinterher: »Also natürlich nur, wenn ich mal nicht da sein sollte.« Ich schlucke und frage überrascht: »Ja, aber im Normalfall arbeitest du doch weiterhin von zu Hause, oder?« Er nickt bestätigend. Ich bin froh einen Partner zu haben, auf den ich mich verlassen kann.

Später erzähle ich ihm, dass ich für das Marketing von Deutschland, Österreich und der Schweiz zuständig bin und dadurch auch hin und wieder Dienstreisen ins Ausland anstehen werden. Wie erwartet, sieht John darin kein Problem. Nur bittet er mich im Gegenzug darum, ihm ebenfalls den Rücken freizuhalten, wenn er kurzfristig Aufträge bekommt. Dessen bin ich mir bewusst. Deswegen gehe ich ja vorerst nur mit fünfzwanzig Arbeitsstunden die Woche zurück und versuche so viel wie möglich Homeoffice auszuhandeln. John küsst mich und wir belassen es dabei.

Drei Tage später freut sich John, dass übernächstes Wochenende seine erste Messe ansteht, die Outdoor-Messe in Friedrichshafen. »Süße, das ist der Wahnsinn! Ich habe jetzt schon sechs Termine mit meinen alten Kunden ausgemacht. Und die, die ich bisher nicht erreicht habe, werde ich ganz sicher vor Ort treffen. Ich freue mich so sehr darauf. Bei Messen sitzt das Geld für Werbung immer besonders locker.«

Mit Blick auf unser erstes Heft kommt uns das jetzt wirklich gelegen. Für Samstag, Sonntag plant John zwei volle Messetage ein. Und bereits Freitagabend will er sich vor Ort mit einigen Kunden treffen. Er geht ins Büro und möchte das Zugticket buchen. Aufgeregt laufe ich ihm hinterher: »Lass uns doch gemeinsam fahren. Ich habe den Jungs schon so lange versprochen, dass wir übers Wochenende mal wieder einen Ausflug machen. Uns allen täte diese Reise wirklich gut.« John schüttelt den Kopf: »Daraus wird leider nichts, Süße. Ich muss dort die komplette Zeit durcharbeiten und kann mich gar nicht um euch kümmern.«

Enttäuscht erinnere ich ihn daran, dass er immer geschrieben hat, künftig überall gemeinsam hinzufahren. John lacht: »Aber Lara, damit meinte ich doch schöne Sachen, wie zum Beispiel zum FC Bayern zu gehen oder zu Kinopremieren, Urlaube und so. Zu beruflichen Terminen können wir unmöglich die Kinder mitnehmen. Das verstehst du doch. Ich möchte jetzt einfach so schnell wie möglich Geld verdienen, nachdem, was du die letzten Jahre alles für mich bezahlen musstest.« Ich nicke traurig.

Dann kommt er zurück auf meinen Job in München. Er fragt mich, ob ich mir sicher bin, mit zwei oder vielleicht sogar bald drei Kindern wieder so hart arbeiten zu wollen wie damals. Ich hatte ihm mal erzählt, dass ich bis kurz vor Nics Geburt oft bis zu sechzig Stunden in der Firma war. John überlegt: »Wir könnten viel öfter gemeinsam auf Dienstreisen fahren, wenn die Jungs bei ihrem Vater sind und du flexibel bleibst.« Liebevoll fügt er noch hinzu: »Außerdem will ich doch derjenige sein, der von jetzt ab für euch sorgt, und zwar richtig sorgt! So, dass wir uns ganz bald unser eigenes Häuschen kaufen können. Du hast die letzten Jahre so viel für mich getan, das werde ich dir nie vergessen. Wegen mir musst du überhaupt nicht mehr arbeiten gehen. In unserer Firma gibt es genug zu tun, womit du mir helfen kannst.« »Aber John! Wir brauchen doch ein sicheres Einkommen. Ich habe bisher immer richtig gut verdient. Sonst hätte ich mir die Knastzeit mit dir gar nicht leisten können!« »Das weiß ich doch, gerade drum. Selbstverständlich wirst du auch ein ordentliches Gehalt von mir bekommen. Sobald ich Einnahmen habe, stelle ich dich offiziell ein. Ich möchte, dass ihr immer abgesichert seid und du niemals wieder so hart schuften musst wie zuletzt. Ab jetzt soll arbeiten wieder Spaß machen.« Ich muss zugeben, das Angebot klingt verlockend.

Beim Mittagessen erzählt mir John noch einmal von all den Kunden aus der Sportbranche, die er noch von früher kennt. »Die warten nur darauf, dass ich endlich die erste Zeitschrift rausbringe. Für Werbung zahlen die Preise, davon träumen normale Angestellte nur. Und je größer unsere Auflage irgendwann sein wird, desto mehr können wir für die Anzeigen auch verlangen.« Dann nimmt er mich in den Arm, küsst mich auf die Stirn und fügt hinzu: »Du kennst mich, Süße, ich lasse lieber Taten folgen, als dir irgendetwas vorzumachen. Entscheiden musst am Ende du, wenn du arbeiten gehen möchtest, dann nur noch zum Spaß, okay?«

Also Spaß machen die Fahrten nach München und ein meist stressiger Job in einer Unternehmensberatung garantiert nicht. Überstunden sind dort an der Tagesordnung und ich kann John unmöglich bei seinem Pensum auch noch die Kinder aufhalsen. Ich werde ihm auf jeden Fall den Rücken freihalten müssen. Kinder und Job, das bringe ich schon irgendwie allein unter einen Hut. Aber schaffe ich das zeitlich überhaupt?

Letztlich entscheiden wir gemeinsam, dass es bei mindestens zwei Stunden Fahrzeit von und nach München besser für mich und die Kinder sei, wenn ich meinen Job kündige. Somit kann ich mir meine Zeit mit den Kindern frei einteilen und John bei allem was kommt unterstützen.

Gemeinsame Zeit in Garmisch

Endlich Wochenende! Es klingelt. Die Jungs werden wie jedes zweite Wochenende von ihrem Vater abgeholt. John hat bisher nichts Genaues verraten, nur dass er eine ganz besondere Überraschung für uns bereithält. Neugierig komme ich vom Parkplatz wieder hoch.

John nimmt mich in den Arm und erzählt mir fröhlich von unserem ersten Kunden. Er zahlt zwar kein Geld, aber für eine Seite in unserem Heft bekommen wir zwei Nächte, inklusive Halbpension, in einem Nobelhotel direkt in Garmisch. John möchte heute noch losfahren. Im ersten Moment finde ich es ein wenig schade, dass die Jungs nicht dabei sein können. Gleichzeitig freue ich mich wahnsinnig auf unseren spontanen Kurzurlaub.

Plötzlich halte ich inne: »Aber morgen ist doch Marcs Geburtstag, da sind wir eingeladen. Er wird vierzig und der halbe Ort kommt.« »Tut mir leid, Süße, das hatte ich völlig vergessen. Jetzt habe ich fix gebucht, ich wollte dir so bald wie möglich eine Freude machen.«

Ich bin traurig. Es ist das erste Mal, seit wir hier wohnen, dass uns jemand einlädt. So gerne wäre ich mit John gemeinsam hingegangen. Die meisten hier im Ort kennen John noch nicht einmal. Allerdings, so ein Kurzurlaub im Hotel, mit Schwimmbad, Sauna und leckerem Essen klingt schon sehr verlockend.

Ein wenig bedrückt sage ich Marc ab. Auch Linda gebe ich schnell noch Bescheid. Ihre Reaktion: »Du musst wissen, was du tust«, macht mich traurig. Von meiner besten Freundin hätte ich mir ein wenig mehr Verständnis erhofft. Sie hat miterlebt, wie hart ich die letzten beiden Jahre für unser Glück gekämpft habe. Da ist es doch nachvollziehbar, dass ich mich auf ein Urlaubswochenende im Hotel freue. John sieht meine Enttäuschung und versucht mich aufzubauen: »Hak’s schnell ab, war bestimmt nicht so gemeint. Sie hatte halt gehofft, dass du morgen dabei bist. Also los, pack deine Sachen, dann fahren wir los.«

In Garmisch angekommen, werden wir vom Fernseher in unserem Zimmer mit »Herzlich Willkommen Herr und Frau Jackson« empfangen. Ich bin glücklich.

Es sind nur zwei Tage, und dennoch, es fühlt sich irgendwie ganz besonders an. Zwei Tage, in denen John mir so nah ist, zwei Tage, in denen ich mich wieder neu in ihn verliebe und zwei Tage, von denen ich jede Sekunde mit ihm voll auskoste.

Zunächst schlendern wir bei schönstem Wetter durch den Ort. Geld zum Shoppen haben wir zwar beide keins, aber den einen oder anderen Cocktail in der Sonne lassen wir uns trotzdem schmecken.

Zurück im Hotel erwartet uns ein fantastisches Fünf-Gänge-Menü. Lange sitzen wir im Restaurant, schlemmen und planen unseren morgigen Trip. Anschließend werden wir im Zimmer von einer eisgekühlten Flasche Prosecco mit frischen Erdbeeren überrascht. Hat John die etwa bestellt? Wieder spricht er den halben Abend von unserem Nesthäkchen und wie angekommen er sich in unserer Familie fühlt. Er hätte nie gedacht, dass er jemanden mal so sehr lieben könnte wie mich. Mir geht es nicht anders. In seinen Armen liegend, weiß ich endlich was es heißt, seinen Traummann gefunden zu haben. Mehrfach stoßen wir auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub an. John verspricht mir, dass viele weitere folgen werden.

 

Nach einer kurzen Nacht stehen wir zeitig auf. Schnell noch frühstücken und dann fahren wir mit dem Auto bis zum Parkplatz vorm Skistadion. Von dort aus starten wir unsere Wanderung auf die Zugspitze. Für den Weg über die Partnachklamm sollten wir circa acht bis neun Stunden einplanen, meinte die Dame an der Rezeption.

Auf halben Weg wird es in der Mittagssonne richtig heiß. Schwer bepackt mit Essen, Trinken und nun auch noch unseren Jacken und Pullis geht es seit Stunden bergauf. Steile Geröllfelder erfordern uns zum Teil alles ab.

Die Landschaft ist beeindruckend schön. Oft bleiben wir stehen und halten den fantastischen Ausblick mit der Kamera fest. Immer wieder merke ich, wie perfekt John für mich ist. Wir sind uns so ähnlich. Ich bin froh, dass wir auch im wahren Leben dieselben Interessen haben. Es war also nicht nur leeres Geschwätz in seinen Briefen. Im Gegenteil, solche Tage zeigen mir, wie gerne auch er im Freien aktiv ist. Es gibt bestimmt nicht viele Paare, die so einen Bergmarathon ohne Training anpeilen.

Voller Stolz schauen wir beim Mittagessen von der Partnachalm nach unten. Kaum zu glauben, dass wir das alles gelaufen sind. Auch wenn es uns zu diesem Zeitpunkt bereits schwerfällt wieder aufzustehen, der kurze Zwischenstopp tat gut!

Nach der nächsten Kuppel sehen wir, was noch vor uns liegt. John schaut mich hilfesuchend an. Er bittet mich, das letzte Stück von der Knorrhütte bis zum Gipfel mit der Seilbahn zu fahren. Kopfschüttelnd lehne ich ab. Gemeinsam kämpfen wir die letzten drei Stunden Meter für Meter weiter. Am Schluss müssen wir entlang eines gespannten Seils nach oben klettern. Ich habe fast schon Mitleid mit John, während ich ihn immer wieder motiviere weiterzulaufen.

Am Gipfel angekommen, sind die Strapazen der letzten Stunden schnell vergessen. Die Aussicht hier ist atemberaubend. Strahlendblauer Himmel lässt uns hunderte von Kilometern in die Ferne blicken. Wir schauen über die Alpen und entdecken unzählige kleine Bergseen. Dank zahlreicher Fotos und Videos möchte John uns diesen Trip unvergesslich werden lassen.

Dann besetzt er uns zwei Sonnenplätze. Ich hole die Getränke und für John Gulaschsuppe und Germknödel. Er meint, er esse diese merkwürdige Kombination schon immer, wenn er in den Bergen wandern geht. Ich schaue ihm beim Essen zu und freue mich auf unser leckeres Abendessen im Hotel. Das haben wir uns heute wirklich verdient.

Nach dem Essen zeigt John mir stolz auf seinem Handy, wie viele Fans unsere Bergwanderung mit ihrem Like belohnen. Auch für mich wird Facebook langsam zur Droge. Immer öfter ertappe ich mich dabei, wie ich ständig auf mein Handy schaue, um nachzusehen, ob unsere Fanzahlen schon wieder gestiegen sind und bei welchen Beiträgen wie viele Likes dazukommen. Manchmal gebe ich John Tipps, die er sich dankbar lächelnd anhört.

Schließlich fahren wir mit der letzten Seilbahn hinab ins Tal. Achtundsechzig Euro für die Talfahrt erschlagen mich zwar fast, aber runterzulaufen wäre allein schon aufgrund der Uhrzeit keine Option gewesen. In der Bahn übermannt mich urplötzlich ein Flashback. Panisch klammere ich mich an John. Schnell realisiere ich jedoch, er muss ja gar nicht wieder weg am Sonntag. Nein! Auch morgen haben wir den ganzen Tag für uns. Kaisheim ist vorbei! Ich fühle, wie sich meine plötzliche Anspannung wieder legt. John küsst mich liebevoll und eine neue Woge der Glücksseligkeit durchfährt mich.

Alles fühlt sich perfekt an. Zurück im Hotel schlemmen wir erneut über Stunden an unserem Fünf-Gänge-Menü. Danach können wir uns kaum noch bewegen. Oben im Zimmer nehme ich ein erholsames Bad in der großen Wellness Badewanne.

Am nächsten Morgen genießen wir ein ausgiebiges Frühstück. Das Buffet ist der Wahnsinn, nach dem dritten Teller Lachs, zwei Omeletts und ganz viel frischem Obst lehne ich mich vollgefuttert zurück. Abschließend trinke ich noch einen Cappuccino. Das Leben ist so schön! Nichts und niemand kann uns mehr trennen.

In Ruhe packen wir zusammen, checken aus und danach gehen wir bei strahlendem Sonnenschein in Richtung Garmischer Sprungschanze. Die vielen Treppen nach oben machen uns heute richtig zu schaffen, jeder Schritt tut dabei weh. Doch wieder lohnt sich die Anstrengung, auch von hier ist der Blick ins Tal beeindruckend.

John schlägt vor, gemeinsam mit den Jungs zum Neujahrsspringen herzufahren. Er will versuchen, Karten für uns zu bekommen und wieder ein Hotel zu finden, welches in unserer Zeitschrift werben möchte. Was für eine schöne Idee. Live bei einem Skispringen dabei zu sein, war schon immer mein Traum und für die Kinder wäre es ein wahnsinnig tolles Erlebnis.

In Garmisch essen wir noch gemütlich zu Mittag und anschließend fahren wir nach Hause. Auf der Heimfahrt ruft Linda an. Sie ist auf dem Weg zu mir und möchte mich abholen, um mit den Hunden spazieren zu gehen. Ich bin überrascht, es ist das erste Mal seit wir in Seeshaupt wohnen, dass sie mit mir spazieren gehen will. Dabei weiß sie doch, dass wir nicht daheim sind. Was soll der Anruf also?

Danach schütte ich mein Herz darüber aus, wie wenig Zeit Linda und ich miteinander verbringen. Eigentlich sind wir doch gerade wegen ihr hierhergezogen. Und heute, wo sie endlich mal von sich aus anruft, muss ich ihr absagen. Mitfühlend legt John mir seine Hand aufs Knie. Es tut ihm leid, dass mich Lindas Verhalten so mitnimmt. Er meint, sie hat das mit Absicht gemacht, gerade weil sie wusste, dass ich heute nicht kann. Ich schüttle den Kopf: »Nein, das glaube ich nicht, sie hat es bestimmt vergessen.«

Zu Hause haben wir noch ein paar Stunden für uns. Am Abend kommen die Kinder zurück und laufen John jauchzend in die Arme. Ich freue mich über diesen Anblick mehr, als ich es in Worte fassen kann.

Johns erste Dienstreise

Die Jungs sind im Kindergarten, ich begleite John noch rüber zum Zug. Am Bahnhof bittet er mich, sein Ticket mit meiner AMEX zu bezahlen, damit wir die Bonuspunkte gutgeschrieben bekommen. Überrascht antworte ich: »Aber deine Fahrkarte wolltest du doch online bereits vor zwei Wochen buchen. Damals wäre sie doch viel billiger gewesen.« »Ja, schon, nur da wusste ich nicht, ob wir am Ende nicht doch mit dem Auto fahren. Außerdem wollte ich Linda noch überzeugen, mich auf diese Messe zu begleiten. Leider hat sie mein Angebot nicht angenommen.« Ich bleibe ruhig, fühle mich jedoch nach Johns Abreise irgendwie ausgenutzt.

Schon zwei Minuten später habe ich eine Nachricht auf dem Handy:

Süße, glaub mir, nach diesem Wochenende haben wir es geschafft. Noch heute Abend treffe ich die ersten Kunden. Alle sind total gespannt auf das neue Heft. Ich liebe dich! Genieß die zwei Tage mit den Jungs und erhol dich ein bisschen.

Erholen ist gut, verdrehe ich die Augen. Trotzdem bauen mich seine stetigen Liebesbekundungen während der Zugfahrt auf. Es ist schön, jemanden gefunden zu haben, dem die Familie so am Herzen liegt.

Nach seiner Ankunft schickt er mir über WhatsApp ein Video von seinem Hotelzimmer. Er geht in jeden Raum und teilt mir betrübt mit, wie schade es ist, dass ich nicht bei ihm bin. Mit einem dicken Kuss in die Kamera verabschiedet er sich zum Geschäftsessen. Ich vermisse ihn fast so sehr wie zu Knastzeiten. Doch dieses Mal ist es zum Glück nur für ein Wochenende.

Bereits am nächsten Morgen habe ich eine Nachricht von John, in der er mir mitteilt, wie erfolgreich sein Dinner war und wie sehr er sich schon wieder auf uns freut. Sofort ist der Tag noch sonniger. Ich packe unser Badezeug, schnappe die Jungs und wir gehen zum See.

Zwischendurch ruft John jedes Mal ganz euphorisch an, wenn er wieder einen neuen Kunden hat, der definitiv im nächsten Heft eine Anzeige bucht. Er rechnet mir vor, was dies bei fünftausend Euro pro Anzeigenseite bedeutet. Wow, das wäre ja ein Vermögen, was er da an nur einem Wochenende verdient. Ich kann das gar nicht glauben, John ist wirklich ein Genie!

Zurück von seiner Reise, erzählt er mir stolz, dass fünf Firmen sicher gebucht haben und einige seiner früheren Kunden müssen erst Rücksprache mit ihrem Chef halten, da das MEN’S MAGAZINE momentan noch zu unbekannt ist. Anschaulich berichtet er mir noch einmal, wie sehr sich alle gefreut haben, ihn endlich wiederzusehen und wie schmerzlich er die letzten Jahre vermisst wurde. Am meisten erzählt er von seinem Kumpel, der bei Adidas arbeitet. Der hat wohl früher schon immer bei ihm gebucht und möchte ab unserer zweiten Ausgabe das gesamte Jahr Anzeigen schalten. »Weißt du was das heißt, Süße?« Ohne meine Antwort abzuwarten, gibt er mir einen Kuss und wirft hinterher: »Dass ich am Wochenende mal eben fünfundzwanzigtausend Euro verdient habe und viele weitere Kunden nach dem ersten Heft folgen wollen. Die waren so begeistert, das glaubst du nicht.« Ich staune wortlos und bin beeindruckt.

»Ach und weißt du was? Ich habe dir doch von dem einen Typen, dem Christian, erzählt. Dem habe ich vor meiner Inhaftierung monatlich eintausend Euro fürs Marketing gezahlt, obwohl er letztlich fast keine Kunden gebracht hat.» John hält kurz inne und schaut, ob ich ihm folgen kann. Ich nicke. Er hatte mir tatsächlich bereits von diesem Christian berichtet, dass er dessen Kinder jahrelang mit Prototypen von Klamottenfirmen ausgestattet hat. Damals hatte ich mich schon gefreut, dass John mit unseren Jungs gute Abnehmer für die Werbeartikel der einzelnen Firmen haben wird.

»Jedenfalls hat genau dieser Typ dafür sorgen wollen, dass Leki nicht bei uns bucht.« »Ist nicht wahr!«, falle ich ihm entsetzt ins Wort. »Doch Süße, die Anna von Leki, die kenne ich wie gesagt auch schon ewig. Sie hat sich zunächst so gefreut, mich wiederzusehen und mir sofort eine Anzeige für die erste Ausgabe zugesagt. Und dann komme ich später zufällig dazu, als der Christian ihr gerade mitteilt, dass John, dieser Betrüger, wieder da ist.« Ich bin entsetzt: »Was für ein gemeiner Kerl!« John nimmt mich in den Arm und versichert mir, dass die Anna ihm seine Lügen eh nicht glauben wird. Trotzdem scheint er sehr bedrückt zu sein. Wieder fallen ihm genau die Menschen in den Rücken, für die er damals am meisten getan hat.

Auch mich beschäftigt das Thema noch bis spät in die Nacht. Irgendwann finde ich mich damit ab, dass es leider immer solche Leute geben wird, die mit Johns Vergangenheit nicht umgehen können. Entweder wollen sie ihm schaden oder sie sind neidisch auf uns. Ich werde lernen müssen, damit klarzukommen.

Am nächsten Morgen, die Jungs sind bereits im Kindergarten, falle ich John um den Hals: »Ich bin so froh, dass du wieder da bist. Diese zwei Tage ohne dich fühlten sich an wie eine Ewigkeit.« John lacht und küsst mich liebevoll auf die Stirn: »Ach Süße, ich komme doch immer wieder nach Hause. Ich werde euch niemals wieder alleinlassen. Ihr seid das Beste, was mir je passieren konnte.«

Dann holt John seinen Rechner und zeigt mir zufrieden die ersten Seiten unserer Zeitschrift. Er hat die ganze Nacht am Computer gesessen. »Jetzt, wo ich weiß, dass das MEN‘S MAGAZINE so gut ankommt, macht arbeiten wieder richtig Spaß. Ich möchte unsere Zeitschrift ganz bald auf den Markt bringen. Dann kann ich endlich deinen Sparstrumpf wieder auffüllen.«

Ich verkneife mir jeglichen Kommentar dazu. Trotzdem bringt mich dieser Spruch innerlich auf die Palme! Genau diese Worte hat er mir schon während seiner Haftzeit des Öfteren geschrieben. Dabei sind es gerade Johns nicht enden wollende Kosten, warum ich in den letzten Jahren überhaupt so sparen musste.

Mit den beruhigenden Nachrichten der ersten Anzeigenverkäufe lege ich mich am Abend zufrieden ins Bett. Fünf Minuten später geht die Türe auf. John hüpft zu mir unter die Bettdecke, kuschelt sich an mich und meint: »Aber bevor ich weiterarbeite, sollten wir uns noch um unser Nesthäkchen kümmern.« Verliebt grinse ich ihn an und lasse mich verführen.

Ich liebe diesen Mann und ich bin froh, dass wir uns auf so unglaubliche Art und Weise wiedergefunden haben.