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Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

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„Hier hätte nun ein Kriegsrath gehalten werden müssen, um, wie vorher verabredet, die Jagd zu besprechen. Hierzu ließen uns die aufgeregten Eingeborenen aber keine Zeit. Sagudo ergriff mich beim Arm, schüttelte mich, als ob es gälte, Aepfel von einem Baume zu schütteln, wies mit grimmigen Geberden auf die unten äsenden Elephanten und riß mich mit sich fort. Vorwärts ging es nun wieder in vollem Laufe durch Aloë, Cactus und Mimosen. Bald waren die ohnehin defekten Hemden und Beinkleider zerrissen, und die glühende Sonnenhitze badete uns im Schweiß. Mit einem Male hielt der Jäger an, schnitt mir ein wüthendes Gesicht und klopfte mit dem Laufe seiner riesigen Muskete auf meine Schuhe. Sein Wunsch war augenscheinlich der, daß ich von jetzt ab die Pürsche barfuß – wie er ging – fortsetzen solle. Aus meinen ebenso grimmigen Mienen und bezeichnenden Gestikulationen mochte er jedoch wol entnehmen, daß die Sohlen unserer Füße nicht, wie die seinen, für Dornen und scharfe Steine geschaffen seien, und weiter ging es, eine Lehne hinab, durch einen ausgetrockneten Sturzbach hindurch und drüben einen steilen Graben hinauf. Wir folgten genau in dem sonst undurchdringlichen Dickicht den Windungen der kleinen Pfade, welche die Ungethüme, sich vor uns äsend, erst im Augenblicke getreten hatten. Noch eine Weile und wiederum ging es einen Strand hinab, und in langen Sätzen wollten wir eben die Felsen eines zweiten Sturzbaches überschreiten, als wir auf 50 Schritt vier Elephanten unter uns denselben Bach kreuzen sahen.

„Athemlos hielt Alles still. Ich riß meine Büchse an den Backen und wollte eben den größten Elephanten aufs Korn nehmen. Da fiel mir der Jäger in den Arm und machte solche furchtbare Grimassen, daß ich nicht anders glauben konnte, als er halte es noch für zu weit. Die Elephanten, welche schlecht äugen, gingen unter uns vorüber. Kaum waren sie aber auf der entgegengesetzten Wand verschwunden, als das Rennen unmittelbar auf ihrer Fährte wieder begann. Hiernach schien es die Absicht des Jägers zu sein, die Thiere einzuholen und mit den letztern auf wenige Schritte zusammen zu kommen.

„Die Leidenschaft hatte uns alle erfaßt und jeglicher Ueberlegung der drohenden Gefahr, in der wir uns befanden, beraubt. Kaum mögen acht Minuten vergangen gewesen sein, als wir, der vermeintlichen abwärts führenden Spur in langen Sprüngen von Fels zu Fels folgend, mit dem vordersten der Elephanten auf drei Schritte zusammentrafen. Die Thiere hatten einen auf uns zurückführenden Pfad eingeschlagen. Noch einen Schritt weiter und wir wären sämmtlich verloren und zu Brei getreten gewesen.

„Mit kühner Geistesgegenwart erfaßte der Jäger den Augenblick, und indem er einen gellenden Schrei ausstieß, stürzte er sich – gleichwie der Schwimmer von einem Springbret in das Wasser – von dem erhöhten Standpunkte etwa zehn Fuß tief in ein wildes Cactusdickicht hinein. Zum Besinnen hatten wir auch keine Zeit und ahmten, fast instinktmäßig, den sicheren Tod vor Augen, das Manöver nach. Auf das furchtbarste zugerichtet, drückten wir uns, wie ein Kitt Hühner unter eine Krautstaude, hinter einen Granitblock. Die Elephanten hatten, durch die wunderbare Erscheinung erschreckt, selber eine Bewegung halb rechts gemacht, dergestalt, daß sie uns schräg abwärts in einer Entfernung von vielleicht 10 bis 15 Schritt, jedoch ohne im geringsten flüchtig zu sein, die Flanken zeigten.

„Der Augenblick zum Handeln war gekommen. Der Jäger, Hermann (Fürst Hohenlohe) und ich waren mit einem Sprunge beinahe zu gleicher Zeit auf dem Felsen, der uns gerettet, die Büchsen flogen in die Höhe und vier Spitzkugeln bohrten sich hinter das riesige Gehör des Ungethüms. Der Elephant war tödtlich getroffen. Er hielt an und stieß jenen durch Gordon Cumming so wohl beschriebenen Schmerzenston aus, und wäre unsere Lage nicht so mißlich gewesen, so hätten wir ruhig sein Verenden abwarten können. Hier galt es aber augenblickliche Vernichtung und mit Büchsen à la Lefaucheux bewaffnet, ward es uns eine Leichtigkeit, in wenigen Minuten gegen vierzehn Kugeln dem schon wankenden Koloß hinter Blatt und Gehör zu senden. Ein zweiter Elephant, durch das Schießen beunruhigt, kreuzte den Verwundeten. Auch er erhielt von Hermann eine Kugel auf das Blatt, welche ihm jedenfalls jenen Schmerzensschrei entlockte, aber nur dazu zu dienen schien, seine Flucht zu beschleunigen. Unser erstes Opfer schwankte noch einige Male, indem es sich langsam umdrehte, hin und her. Da erhielt er aus der Muskete unsers Jägers den letzten Gnadenschuß durchs Herz. Das Thier stürzte mit einem furchtbaren Getöse und rollte, wie ein Hase auf einem gefrorenen Abhang, die Bergwand wol 500 Schritt hinunter, Bäume und Felsen vor sich her wälzend. Die Straße, die sein Körper beschrieben hatte, glich einem jener Lawinenstreifen, die man so oft im Hochgebirge auf der Gemsjagd antrifft. Mit einem Freudengeschrei jagten wir dem verendeten riesigen Thiere in den Abgrund nach, wo wir es tief unten, zwischen zwei Granitblöcken eingeklemmt, noch gewaltig mit seinen Füßen arbeitend, liegen sahen.“

Noch ein zweiter junger Elephant, der gleichsam um die Mutter zu rächen, wüthend herbeigeschnaubt kam, wurde erlegt, die Jagd war vollendet, und beleuchtet von den Strahlen der glühend untergehenden Sonne standen die Sieger auf den kolossalen Leichen ihrer Jagdbeute. Die Landschaft, in welcher die gefahrvolle Jagd stattfand, schildert der Herzog folgendermaßen: „Ein Panorama lag vor uns, wie ich es nur an wenigen Orten Tyrols und der Schweiz getroffen habe. Ein unabsehbares Meer grüner und brauner Berge, hier in den schönsten und reichsten Formen gelagert, dort wieder scharfgezeichnete Felsspitzen in pittoresken Gestalten vorstreckend, bot sich unsern Blicken. In weiter Ferne bezeichnete ein goldener Streif die Fluten des Rothen Meeres, nach allen übrigen Himmelsgegenden reihten sich Gebirge an Gebirge. Das schwierige Besteigen jener Alpen wäre schon hinreichend durch die unbeschreibliche Aussicht belohnt gewesen, deren wir uns hier zu erfreuen hatten. Die Sonne war glühend, dennoch erfrischte uns ein kühler Luftzug und ausgestreckt im hohen Grase schwelgten wir in den Genüssen der Natur.“

Bald darauf brach, nach verschiedenen neuen Jagdabenteuern, die Gesellschaft auf und langte am 23. April in Monkullu, bei der Frau Herzogin wieder an. Ueber ihren Aufenthalt daselbst schrieb die hohe Dame folgende Worte in ihr Tagebuch: „Die Tage, welche wir hier verlebten, waren keine Idylle in der Weise der lieben Heimat, es war für uns verwöhnte Kulturkinder Manches recht schwer zu überwinden; aber es war doch ein Stilleben voll von großen Eindrücken, und die Erinnerung daran möchte wohl keiner von uns missen. Wer einmal im Schein der tropischen Sonne auf Himmel, Land und Meer geblickt hat, der wird die Farbenpracht der Natur und die gehobene Stimmung, welche sie dem Menschen verleiht, nie mehr vergessen. Was Licht heißt und glühende Farbenschönheit, das erfährt man erst im Süden. Und die Einwirkung dieser Fülle von Licht und Farbe, die großen Gegensätze, welche ohne Dämmerung, ohne das Nebelgrau der Heimat, wie unvermittelt nebeneinander stehen und doch Bilder von der wundervollen Schönheit geben, werden immer mächtiger, je länger man weilt, und umgeben das Leben des Tages mit einer Poesie, die märchenhaft und fast bewältigend ist. Und in diesem Zauberlichte glänzt eine fremde Erdenwelt, denn Menschen, Thiere, Pflanzenformen, jeder Gegenstand, der an den Reisenden herantritt, trägt dazu bei, die Stimmung, welche die Landschaft hervorruft, zu erhöhen. Ungeachtet der Unsicherheit, welche der Europäer in dieser Wildniß empfindet, ist die Grundstimmung, welche dieses tropische Leben verleiht, doch eine erhebende Ruhe. Alles sieht großartiger und einfacher aus, und ohne Mühe kann man sich hier um Jahrtausende zurückdenken, in denen dasselbe Hirten- und Wanderleben war, dasselbe Geschrei der Thiere, dieselben Pflanzen an derselben Stelle, dasselbe Leuchten der Farben, ebenso der Sand mit den Steintrümmern und dem weißen Gebein der gefallenen Thiere. Der Mensch vermag in der großartigen Beständigkeit dieser Welt nur wenig.“

Am 26. April sagte endlich die Reisegesellschaft dem abessinischen Gestade Lebewohl und trat die Fahrt durch das Rothe Meer nach Suez an. Leider hielten gefährliche Fieber die Reisenden einige Zeit in Kairo zurück, und erst am 30. Mai wurde in Triest wieder der europäische Boden betreten. Die fürstliche Reise war auch für die Wissenschaft nicht ohne Ergebnisse, denn abgesehen von dem Werke des Dr. Brehm, der die zoologischen Resultate verarbeitete, veröffentlichte der Herzog selbst einen Reisebericht, der mit den herrlichsten Abbildungen in Farbendruck von Robert Kretschmer’s Meisterhand geschmückt wurde.

Der Aufenthalt des Herzogs im Bogoslande war jedoch viel zu flüchtig gewesen, als daß derselbe unsere Kenntnisse von den Bewohnern desselben hätte eingehend fördern können. Diese aber, durch Sitten, Abkunft und Rechtsverhältnisse ein höchst interessantes Volk, lernen wir am besten durch Werner Munzinger kennen, der sich viele Jahre unter ihnen aufhielt und gleich Stella eine bedeutende Stellung einnahm.

Ueber das Bogosland sind viele Stürme hinweggebraust. Die ganze Nordgrenze Abessiniens von Massaua bis zum Mareb war, der Sage zufolge, in alten Tagen von den Rom bewohnt, einem riesenhaften, übermenschlichen Geschlechte. Der letzte desselben verfeindete sich mit Gott, schleuderte eine Lanze gen Himmel und zur Strafe zerfraß ihm ein von Gott gesandter Adler den Kopf. Die Rom werden noch in Liedern besungen und spitzige Steinhaufen für ihre Gräber ausgegeben. Nach den Rom kamen die Kelau, ein äthiopischer Stamm aus Abessinien, von dem nur wenig Reste blieben; dann wanderten die Barea von Hamasién her ein und schließlich die Bogos.

Ihr Stammvater Gebre Terke ist vom Volke der Lasta-Agows (vgl. S. 90S. 90). Aus Furcht vor der Blutrache verließ er seine Heimat, stieg hinab in die Kolla und baute zu Mogarech im Bogoslande die Giorgiskirche; das mag 1530 gewesen sein, zur Zeit der muhamedanischen Kämpfe gegen das christliche Abessinien. Vor dem zu Aschra befindlichen Grabsteine des Stammvaters geht auch heute noch kein Bogos vorüber, ohne ihn zu küssen.

 

Bei den Bogos ist das Stammverhältniß stark ausgeprägt und die einzelnen Abtheilungen sind derart durch Heirathen verschwägert, daß innere Fehden zur Unmöglichkeit werden. Früher standen sie direkt unter Abessinien und sandten alljährlich 60 Ochsen als Tribut an den König in Gondar. Sie bildeten eine Aristokratie, die sich selbst nach eigenem Rechte regierte, eine gewisse Kultur besaß, jedoch durch Kriege und Berührungen mit den Nachbarn allmälig in Barbarei versank. Abessinier sowol als die Aegypter von Ostsudan aus machten Verheerungszüge in das Bogosland und es kam 1854 so weit, daß die Bogos endlich um Frieden flehten und den Aegyptern versprachen, den Islam anzunehmen. Da erschien bei ihnen der erwähnte Missionär Johannes Stella und sammelte die Leute wieder, und der englische Konsul Plowden erwirkte im Namen Großbritanniens, daß das christliche Gebiet für unverletzlich erklärt wurde. Doch noch immer nicht hatten die Bogos Ruhe. Neue Raubzüge fanden gegen sie statt, man führte viele in die Sklaverei. Wie wir aus Graf Krockow’s Reise wissen, erschien im November 1864 Pater Stella, begleitet von Werner Munzinger, in Kassala, um beim ägyptischen Gouverneur darüber Klage zu führen, daß die Barea außer vielem Vieh 104 Weiber und Kinder aus dem Bogoslande entführt hätten.

Noch immer zahlen die Bogos an Abessinien Tribut. Ihre Gesammtzahl beträgt etwa 8000 Köpfe, von welchen zwei Drittel Unterthanen, sogenannte Tigrés sind, und ein Drittel aus Schmagillis oder wirklichen Bogos besteht. Das Gesammtvolk hat nach Munzinger 2100 Häuser und etwa 10,000 Stück Rindvieh. Von höchstem Interesse sind die durch den genannten Forscher uns bekannt gewordenen Rechtsverhältnisse des Völkchens. Das Recht ist ein patriarchalisch-aristokratisches. Die Familie ist Staat, Souverän und Gesetzgeber, hat Recht über Leben und Tod der einzelnen Glieder. Wer nicht Schmagilli, echter Bogos ist, wählt sich einen Schutzherrn und wird nun dessen Dienstmann, Tigré. Eigentlich gilt jeder Fremde als Feind. Der Patriarch (Sim) ist geheiligt; er ist gleichsam König ohne Königsgewalt. Stirbt der Sim, so folgt ihm der Erstgeborene, nachdem er sich den ganzen Leib mit dem Wasser gewaschen, in welchem die Leiche des Vaters gewaschen wurde. Mit verhülltem Kopfe fastet er nun drei Tage; dann wird er, immer noch mit verbundenen Augen, vor die Hütte geführt und ihm Kuhdünger, Dornen und Sand vorgelegt. Greift er nach den Dornen, so bedeutet dies Krieg; Sand läßt auf gesegnete Ernten hoffen, Kuhdünger auf Gedeihen der Heerden.

Für die kleinere Familie ist der Vater Richter; zweite Instanz bildet der öffentlich versammelte Dorfrath (Mohäber). Trotz des Christenthums herrscht unter den Bogos noch viel Barbarei. Niemand kann lesen und schreiben; ein uneheliches Kind wird erstickt, und die eigenen Kinder verkaufte man früher oft für weniger als einen Thaler. Unter den vielen eigenthümlichen Sitten und Bräuchen heben wir folgende hervor. Kein Weib wird melken oder Getreide schneiden. Kein Schwiegersohn sieht das Antlitz seiner Schwiegermutter an. Die Frau steht im Allgemeinen niedrig; sie kann jeden Tag fortgejagt werden und besitzt kein Klagerecht. Es kommt nicht gerade selten vor, daß ein Mann nach dem Ableben des Vaters die Stiefmutter heirathet, und Munzinger kennt ein Beispiel, daß ein Mann die Frau seines gestorbenen Sohnes zum Weibe nahm. Scheidungen sind häufig, die Vielweiberei ist jedoch ziemlich selten, wenn auch erlaubt.

Früher bauten die Bogos Häuser aus Stein – jetzt Zweighütten wie die Mensa. Das Innere trennt man durch eine Matte in zwei Hälften. Auch in den häuslichen Einrichtungen herrscht allerlei Aberglauben. So wird z. B. Feuer und Wasser nach Sonnenuntergang niemals aus dem Hause gegeben und um diese Zeit kein verliehenes Beil zurückgenommen. So lange eine Leiche sich im Hause befindet, wird kein Feuer angezündet, und frische Butter zu essen, gilt für eine Schande.

Die Bogos haben schöne, regelmäßige Gesichtszüge und nicht das leiseste Negergepräge. Die Hautfarbe wechselt zwischen Gelb und Schwarz. Die Augen sind lebendig, schwarz und braun, der Haarwuchs weich und vollständig, doch grob.

Die Bogos sind mehr Hirten als Ackerbauer. Die Herden ziehen fast das ganze Jahr hindurch im Freien umher, und wol ein Drittel der Bewohner wandelt nomadisch mit denselben. Weib und Kind, das nöthige Gepäck wird aufgeladen und der Weideplatz ausgesucht. Dann wohnt Alles unter Palmenmatten, die bei einer Platzveränderung leicht abgebrochen und auf Ochsen geladen werden. Milch ist die beliebteste Nahrung, und jede Kuh hat ihren Namen. Der Hirt lenkt seine Herde mit guten Worten, ohne Hunde.

Unter diesem Volke gilt, wie im eigentlichen Abessinien, das Blutrecht. Die Nachkommen eines Vaters bis auf sieben Grade bilden die Blutsverwandtschaft. Dieselbe wird des Bluts theilhaftig, wenn ein Familienmitglied einen Mord begangen hat, und ist solch ein Glied getödtet worden, so hat jene gesammte Verwandtschaft das Recht und die Pflicht der Blutrache (Merbat). So lange die im Blut stehenden Familien sich eigenmächtig untereinander der Rache hingeben, hat das Recht nichts zu sagen; der Zwist wird den Blutfeinden überlassen. Sobald dieselben aber zur Versöhnung bereit sind, wenden sie sich an einen Mittelsmann, welcher jeder ihr Recht giebt; die Parteien zählen ihre Todten, und der Ueberschuß wird mit dem Blutpreis gesühnt.

Munzinger schildert, wie es mit dem Christenthum stand, als er und der Lazarist Stella 1855 in das Land kamen. Die Bogos nannten sich Kostan, Christen; zum Beweise, daß sie es seien, berührten sie niemals Fleisch, das ein Muhamedaner geschlachtet hatte, und aßen weder Elephanten, noch Hasen oder Strauße. Der Sonntag hieß großer Sabbath, allein die Sabbathruhe wurde am Sonnabend beobachtet. Die Bogos haben zwei Kirchen; bei denselben sind eingeborene erbliche Priester angestellt. Ihr Amt besteht darin, an den Hauptfesten die Schiefersteine, welche die Glocken vorstellen, anzuschlagen. Von Priesterweihe oder irgend einer religiösen Kenntniß ist bei ihnen keine Rede. Munzinger kann nicht einmal dafür einstehen, ob die 1858 lebenden Priester getauft waren. „Der alte Stammpriester von Keren ist ein vermögender Mann, der sich nie niedersetzt, ohne die heilige Dreieinigkeit anzurufen, aber er kennt nicht einmal das Vaterunser.“ Von der Bedeutung der Festtage hat man keine Vorstellung. Gott, Petrus, Dreieinigkeit sind gleichbedeutende Ausdrücke für die Gottheit, aber über den besondern Sinn der Wörter ist man sich nicht klar. Die heilige Jungfrau genießt die größte Verehrung, aber daß sie Mutter des Heilandes sei, weiß Niemand. „Im Ganzen ist das Christenthum ein Name, erhalten durch die Anhänglichkeit dieser Völker an das Althergebrachte. Ueberhaupt ist den Landeskindern Religion die letzte Sorge, und der Aberglauben überwuchert.“ Daß Munzinger die Befürchtung ausspricht, der Islam werde auch dieses Völkchen erobern, wurde früher schon hervorgehoben. Allein was ist an einem solchen Christenthum, das noch unter jenem Abessiniens steht, gelegen?

2. Werner Munzinger bei den Barea und Kunama

Es wurde früher bei Erwähnung der deutschen Expedition gesagt, daß W. Munzinger sich in Mai Scheka von Heuglin trennte und eine mehr westliche Route einschlug, während Heuglin nach Süden in das eigentliche Abessinien eindrang. Die Reise des ersteren, welche in die Tage vom 16. November bis 22. Dezember 1861 fällt, führte ihn längs des Marebflusses in Regionen und zu Völkern, die bisher noch kein Europäer kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Das in Rede stehende Gebiet liegt jenseit des Barkaflusses im Südwesten des Bogoslandes an der abessinischen Grenze und wird vom Mareb durchströmt.

Dieser Strom ist vermöge seines Charakters einer der eigenthümlichsten der ganzen Erde. Seine Quelle liegt oberhalb des Dorfes Ad Gebrai in Hamasién, dann bildet er, südlich fließend, eine Spirale, die von Gundet ab nach Westen sich wendet und in die Kolla von Serawié eintritt. Bis hierher gehörte er zu Abessinien, jetzt aber, wo er sich dem Lande der Kunama nähert, verändert er seinen Gebirgscharakter; er sucht das Niederland und heißt nun Sona. Hier ist er kein Waldstrom mehr und auch kein Torrent. Wo nämlich der Boden das Wasser nicht an der Oberfläche halten kann, wo es durchsickernd erst später auf einer festen Schicht Widerstand findet, da zeigt sich der Strom als Torrent, d. h. es erscheint ein Sandbett, welches nur zur Regenzeit überflutet wird und das ganze übrige Jahr scheinbar trocken daliegt, weil der Wasserstrom unterirdisch sich fortzieht. Der Mareb nun erscheint als Mittelding zwischen Fluß und Torrent und verliert diesen Charakter erst im Unterlauf. In der Regenzeit, Juli bis September, wird er regelmäßiger Fluß; in den übrigen Monaten zeigt er sich als Torrent, aber so, daß sein Sandbett hier und da von Teichen unterbrochen wird, wo das Wasser für kurze Zeit an die Oberfläche hervortritt. In der Ebene von Takka, bei der Stadt Kassala, heißt der Fluß Gasch oder Chor el Gasch. Hier, im Gebiete der Hadendoa-Araber, wird er zur Bewässerung des Landes benutzt und hat eine Menge künstlicher Stromwehren, vermittelst deren man ihn aufstaut und die Felder überschwemmt. So verliert er sich meistens, aber in Jahren, wo sehr viel Regen fällt, wird es ihm möglich, sich bis zum Atbara Bahn zu brechen, den er dann bei Gasch-Da, d. h. Mund des Gasch, erreicht.

Die Völker nun, am unmittelbaren Lauf des Stromes, unterscheiden sich von den Bogos, einem aristokratischen Volke, durch ihr ganz demokratisches Wesen. „Die Natur,“ sagt Munzinger, „ist hier einförmig, kein Berg ragt empor, keine scharfe Form zeichnet sich aus, kein entschiedener Gebirgszug und keine großartige Ebene giebt dem Ganzen Charakter und Einheit; selbst der Baumwuchs ist nur mittelmäßig; Gesträuch ist vorherrschend – und so der Mensch und seine Verfassung; nichts strebt, nichts beherrscht; lose zusammengeworfene Gemeinden entbehren der staatlichen Einheit und der bürgerlichen Verschiedenheiten.“

Die Kunama oder Bazen und die Barea, welche hier wohnen, sind sich ihrer Sprache und Tradition nach durchaus nicht verwandt und dennoch stimmen ihre Rechtsbegriffe miteinander überein. Die Bazen bewohnten früher Tigrié, bis sie von den Geézvölkern hinausgedrängt wurden. Die Barea entsinnen sich nicht ihres Ursprungs, doch ist das Land der Bogos voller Zeugnisse ihrer früheren Anwesenheit. Die Religion beider Völker ist ein gleichgiltiger Deismus, eine Idee von Gott, aber ohne Kultus oder christliche Reminiscenz. Wochen und Tage verlaufen ohne Festtage; religiös ist die Sorgfalt, die man auf die Gräber wendet, die aus Höhlen bestehen, in welche der Leichnam beigesetzt wird; religiös die unbegrenzte Ehrfurcht vor dem Alter, das allein regiert. Aberglauben hat das erbliche Amt des Regenmachers gestiftet, des Alfai, der allein wohnt, Regen bringt und, fehlt dieser, hingerichtet wird. Beschneidung war von jeher üblich, und der Islam hat unter ihnen große Fortschritte gemacht.

Beide Völker charakterisirt die radikale Gleichheit der Individuen, die Abwesenheit des Staates; so leben die Dörfer zusammen friedlich und ruhig, Verbrechen sind selten. Dem Auslande gegenüber aber fehlt der staatliche Zusammenhang, die gegenseitige Hülfe. Beiden eigenthümlich ist die Bevorzugung des Schwestersohnes, der Blut und Habe von seinem Onkel erbt mit Ausschluß der Kinder; eine Familie in unserem Sinne existirt also nicht, der Begriff von Vater und Sohn fehlt, dagegen hängen Neffe und mütterlicher Onkel eng zusammen. Recht sprechen die Aeltesten des Dorfes, und keine Aristokratie lehnt sich gegen die Beschlüsse der Gemeinde auf. Selbst der Fremde wird nach kurzem Aufenthalt den alten Insassen gleich.

Die Leute leben von heute auf morgen und dafür genügt der Ackerbau, den sie fleißig treiben. Grund und Boden kann bei der Ausdehnung des Landes nur wenig Werth haben, eine konsequente Viehzucht verbietet das Klima. Blutrache ist natürlich überall nothwendig, wo der Staat sie nicht besorgt, doch hat sie bei den Barea und Bazen nicht den ausgebildeten Charakter, wie bei den Abessiniern. Der Mörder muß sich dem Tode durch ein mehrjähriges freiwilliges Exil entziehen, wonach er um ein geringes Blutgeld ausgesöhnt wird.

Das Land der Bazen ist reich an wildem Honig, den sie stark genießen, während die Barea sich vorzugsweise von Bier nähren. Dieser Lebensweise schreibt Munzinger es zu, daß die Bazen volle muskulöse Gestalten haben, während die Barea klein und hager sind. Die Wohnungen beider Völker sind runde, glockenförmige, bis zum Boden mit Stroh sehr zierlich bedeckte Hütten; ihre Kleidung ist der Lederschurz, der erst allmälig den eingeführten Baumwollenzeugen Platz macht. Das Haupthaar tragen sie wie alle uns schon bekannten Völker von Nordabessinien; der Bart ist meist sehr dünn. Die Nase haben sie selten sehr stumpf, oft aber, besonders bei den Barea, adlerartig gebogen. Der Mund ist groß, jedoch nicht aufgeworfen. Was die Farbe anbelangt, so findet man alle Abstufungen von Gelb bis Schwarz, doch herrscht die dunkle Farbe vor.

 

Die Bazen und die Barea unterscheiden sich im Temperament; die ersteren sind ruhig, gesetzt und reden leise; die letzteren sind lebhaft lärmend, schnell aufbrausend. Die Eheverhältnisse bei den Bazen scheinen sehr lose zu sein, während die Bareafrauen wegen ihrer Treue auch im Auslande berühmt sind. Beide Völker sind zu Hause sehr friedfertig, während mit dem Auslande ein ewiger Krieg geführt wird. Barea und Bazen stehen nicht in völkerrechtlicher Verbindung und heirathen selten untereinander.

Die Bazen müssen ein sehr zahlreiches Volk sein. Ihre Hauptsitze ziehen sich den großen Strömen Mareb und Takazzié nach; ersterer heißt bei ihnen Sona, letzterer Dika. Alle treiben Ackerbau mit dem Pflug und nur theilweise Viehzucht. Ihre Waffe ist die Lanze. Als Typus kann der Zither spielende „Schangalla“ vom Mareb nach Zander’s Zeichnung angesehen werden (S. 89S. 89).

Die Wohnsitze der Barea liegen im Norden der Bazen. Die Thäler, welche sie bewohnen, gehören schon dem Hochlande des Barka an, wie ihre Wasser und ihre Vegetation; die sie begleitenden Berge sind die letzten Ausläufer des Hochlandes der Bazen und werden zur Weide benutzt, Fieber sind häufig und die Regen fallen dort meist in der Nacht.

So sind die Völker beschaffen, welche die nördlichen Vorlande Abessiniens bewohnen. Aber auch im Süden, zwischen Amhara und Schoa und wieder über Schoa hinaus, treffen wir auf ein eigenes höchst interessantes Volk, das der Galla. Mit ihm werden wir uns im folgenden Abschnitte beschäftigen, der uns das Königreich Schoa vorführt, welches von Amhara sich seit langem unabhängig zu machen wünscht und nur zeitweilig mit ihm zusammenfiel; schon daß der Herrscher daselbst den Titel „Negus“ führt, deutet darauf hin, daß wir es hier mit einem besonderen Staate zu thun haben.