Za darmo

Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

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G. Lejean’s Reise durch Abessinien

Metemmé. – Der Markt Wochni. – Grenzwächter. – Eine abessinische Festung. – Eine deutsche Familie. – Das Land am Tanasee. – Schnapphähne. – Missionsstation Gafat. – Gefangennahme Lejean’s durch König Theodor. – Theodors Löwen. – Gondar und seine Bauten. – Wasserfall des Reb. – In einem Kloster. – Besuch in Korata. – Binsenflöße. – Der Tanasee. – Besteigung des hohen Guna. – Fünf Frauengenerationen. – Befreiung. – Hochebene Woggara. – Lamalmonpaß. – Reise durch Tigrié nach Massaua.

Guillaume Lejean ist ein vortrefflicher Mann. Er verbindet mit der Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit echt französischen Wesens eine deutsche Gründlichkeit. Dabei ist er kühn, praktisch und vor keiner Gefahr zurückschreckend. Diese hervorragenden Eigenschaften machten ihn zum Forschungsreisenden besonders geeignet, wozu noch sein offizieller Charakter als französischer Konsul ihm mancherlei Erleichterungen verschaffte. Bekannter wurde er zuerst durch eine Abhandlung über die verwickelte Ethnographie der europäischen Türkei, die er nach allen Seiten hin bereist hatte. Als die große Zeit der Nilquellenentdeckungen war und Speke, Grant, Baker ihre Erfolge errangen, beschloß auch Lejean sein Theil zur Lösung des Problems beizutragen; er ging den Weißen Nil hinauf, untersuchte dessen Nebenfluß, den Gazellenstrom, und kam bis Gondokoro. Hier warf ihn jedoch das klimatische Fieber dergestalt nieder, daß er umkehren mußte. Nun wandte er sich nach Nubien, besuchte Kassala, eine der bedeutendsten Städte im östlichen Sudan, und durchstreifte die Bogosländer. Von der französischen Regierung zum Konsul in Massaua ernannt und mit einer Mission an den König Theodor von Abessinien betraut, ging er abermals nach dem Sudan. Im Dezember 1862 finden wir ihn dann zu Metemmé in Galabat, um weiter nach Abessinien vorzudringen. Von hier ab lassen wir ihn seine an persönlichen Abenteuern reiche Reise auszugsweise selbst erzählen.

Von dem deutschen Missionär Eperlein, einem Badenser, wurde ich sehr freundlich aufgenommen. Bei ihm befand sich ein junger Engländer, Namens Dufton, der, gleichfalls vom Missionseifer getrieben, aus freien Stücken sich hierher begeben hatte, um ein Noviziat durchzumachen und dann als Glaubensbote weiter zu ziehen. Er war ein gutes Exemplar jenes frostigen Enthusiasmus, welcher seine Landsleute in religiösen Dingen auszeichnet und zu so originellen Thaten treibt. Obgleich er als der Sohn eines reichen Fabrikanten in Leeds gemüthlich zu Hause hätte leben können, beschloß er dennoch, gleich Krapf oder Livingstone Missionsreisen anzutreten. Nur mit acht Guineen in der Tasche wanderte er nach Schwaben, wo ihm Krapf anrieth, die Galla zum Christenthum zu bekehren. Er ging dann nach Aegypten, den Nil aufwärts nach Chartum, lud dort sein winziges Gepäck auf einen Esel, den er vor sich hertrieb, erlitt in Gedaref einen heftigen Fieberanfall und langte mit drei Thalern in der Tasche in Metemmé an. Ich schlug ihm vor, sich meiner kleinen Karawane anzuschließen; er würde so als mein Sekretär angesehen werden und ohne Schwierigkeit die abessinische Grenze passiren können. Gern ging er auf meinen Vorschlag ein, und ich gewann einen tüchtigen, sehr gebildeten Reisegefährten, welcher sich in schwierigen Lagen voller Muthes erzeigte.

Auf dem wohlversorgten Markte von Metemmé kaufte ich zwei abessinische Maulesel, zu 9 Thaler das Stück, und miethete außerdem ein Kameel, welches mein Gepäck bis Wochni bringen sollte, wo die steilen Bergabfälle beginnen und Lastesel an die Stelle des Schiffs der Wüste treten. Nach viertägigem Aufenthalt in Metemmé sagten wir endlich dem braven Eperlein Lebewohl, traten die Reise nach Abessinien an und gelangten zunächst in einen dichten Wald, der sich drei Tagereisen weit bis an den Fluß Gandova (Nebenfluß des Atbara) hin erstreckt. Dies ist der Grenzstreifen oder Border, wie man in Schottland sagen würde, der von den Aegyptern und Abessiniern als neutrales Land betrachtet wird, den aber beide Theile schon häufig mit ihrem Blute getränkt haben. Am dritten Tage passirte ich die noch stark angeschwollene Gandova, an der Stelle, wo die kleine Insel Kaokib den Karawanen den Durchgang erleichtert; mitten auf derselben erhebt sich ein prachtvoller Tamarindenbaum, welcher die Reisenden zur Rast in seinem kühlen Schatten auffordert.

Gegen Abend gelangten wir an die erste jener stufenförmigen Terrassen, welche ringsum fast ganz Abessinien begrenzen. Wir erklommen sie mit einiger Schwierigkeit und fanden auf dem Gipfel ein schönes Plateau, auf welchem man gerade das dürre Gras und Kraut behufs der Bestellung der Felder abbrannte. Hier wurde das Nachtlager aufgeschlagen, das Gepäck abgeladen, schnell zu Abend gegessen und der müde Körper auf dem Boden zum Schlafe ausgestreckt. Wir hatten nur kurze Zeit geruht, als sich ein wüster Lärm erhob; die Maulthiere begannen auszuschlagen und eins derselben riß sich los. Unser Diener schoß aufs Gerathewohl in die Finsterniß hinein. Wahrscheinlich hatte eine freche Hyäne einen Ueberfall versucht, war dabei aber gestört worden. Das freigewordene Maulthier lief nach Metemmé zurück, wo es mit einem tiefen Biß in der Weiche bei Eperlein ankam.

Schnell erhoben wir uns beim Morgengrauen von diesem unangenehmen Orte und gelangten nach vierstündigem Marsche in Wochni, dem ersten abessinischen Orte an, der wegen seines Wochenmarktes, wo die Baumwolle von Gallabat und Sennar verkauft wird, berühmt ist. (Abbildung siehe S. 85S. 85.) Ein für allemal muß ich hier bemerken, daß wir wegen unserer europäischen Kleidung oder wegen unseres fremdartigen Aussehens von den Eingeborenen keineswegs belästigt wurden.

Wochni liegt tief in einem dunklen feuchten Walde. Hierher kommen die südlichen Gallastämme und Leute aus Tigrié, um Goldstaub und Elfenbein gegen Pulver, Tuch und Leinen einzutauschen; die Beduinen aus Ostsudan bringen ihre Pferde und aus Chartum langt Salz an, das in dem Reiche des Negus als Geld unentbehrlich ist. Die Wohnungen bestehen aus runden Hütten mit kegelförmigem Dache; außer Teppichen und Decken, welche als Divan dienen, sind darin keine Möbeln vorhanden.

Wir lagerten uns unter einem Baum, und unser Führer ging, um den Nagadras oder Zollwächter aufzusuchen. Unterdessen blätterte ich in einem illustrirten Buche, während Dufton die hohe steile Basaltterrasse des Maschelagebirges zeichnete, die sich nördlich von Wochni mit senkrechten Rändern 1800 Fuß hoch erhebt. Neugierig, doch ohne uns gerade zu belästigen, kamen die Leute des Ortes heran. Ein junges Mädchen fragte mich, ob ich ein Christ sei, und als ich ihre Frage bejahte, zeigte sie mir ihre blaue seidene Halsschnur und forschte dann weiter, ob ich auch die Denghel Mariam verehre? „Ja wohl, die Jungfrau Maria, die Mutter Christi!“ lautete meine Antwort. Nichts kommt der Verehrung gleich, mit welcher die Abessinier der Mutter Maria ergeben sind; hierin liegt einer der zahlreichen Punkte, in welchen die Religion der Abessinier mit jener der romanischen Völker übereinstimmt. Die deutschen und englischen Missionäre mit ihrer kalten und schwerfälligen Logik haben ungeschickterweise gegen dieses Nationalgefühl, eine der schönsten Formen des Frauenkultus, geeifert und aus diesem Grunde, glaube ich, sind auch alle ihre Missionsbestrebungen erfolglos geblieben.

Der Nagadras kam an. Nach einigem Wortwechsel bedeutete er uns, daß er über unsere Zulassung in das Reich erst mit dem Bel-Amba-Ras Gilmo, dem Markgrafen oder Grenzwächter der vier Grenzprovinzen Tschelga, Sarago, Dagossa und Ermetschoho unterhandeln müsse. Bel-Amba-Ras Gilmo bestellte uns nach seinem Aufenthaltsort, dem Dorfe Kamauchela, welches auf dem Gipfel eines steilen, fast unzugänglichen Berges liegt, einer Amba, wie derselbe in Abessinien genannt wird. Vier Tage brachten wir noch in Wochni zu, worauf wir dann auf Gilmo’s Befehl, geführt von einem Diener des Zollwächters, nach Tschelga aufbrachen.

Der Weg führt durch das Bel-Wocha-Thal, das der Kolla Abessiniens angehört. An einzelnen Stellen zeigt dasselbe einen breiten Bambusgürtel, der über die Hügel sich hinzieht und fast alle übrige Baum- und Strauchvegetation erdrückt hat. Andere Stellen zeigen prächtigen Blumenflor. Weiße Schwertwurz (Gladiolus) und Asphodelusarten, Muscari, Arum und düster erscheinende Takka; im Grase steht häufig die Kämpferia, deren breite gelbe Blüte sich mitten zwischen vier großen, platt auf der Erde liegenden, hellgrünen, rothgesäumten Blättern, die in einigen Gegenden als Salat genossen werden, erhebt. Dazu gesellen sich Orchideen, großblütige Amaryllis und Haemanthus mit scharlachrothen Blütenknöpfen. Prächtig leuchtet vor allen andern Pflanzen der Oenanthus multiflorus uns entgegen. Ueber Gestrüpp und Gestein führt in Zickzacklinien an steilem Gehänge fort durch enge Tiefthäler der Weg aufwärts; dann folgt eine Ebene, von der man zum ersten Male einen weiten Blick in das gesegnete Land Abessinien hat. Von hier aus genießt man eine herrliche Aussicht auf die Ebene von Tschelga und Dembea, auf den weiten Spiegel des Tanasees mit seinen Inseln und die hohen Berge jenseit desselben, die Guna und südöstlich auf die Alpen Godschams.

Unter strömendem Regen langten wir in Tschelga an, und dort wollten die ungastlichen Eingeborenen, da wir keinen Mursal oder Paß besaßen, uns zwingen, unter einem Baume zu kampiren, bis unsere Angelegenheit geordnet sei. Ich miethete jedoch zu dem mäßigen Preise von einem Stück Salz täglich ein Haus, das zu beziehen unser Führer, der Diener des Nagadras, uns jedoch verhindern wollte. Dufton, hierüber aufgebracht, stellte sich in nationale Boxerposition und schrie den Diener an: „Also du willst uns auch ein trockenes Obdach verwehren? Piff, paff, da hast du eins!“ Nun drehte sich der Diener im Kreise, aber ein baumstarker Abessinier hielt Dufton fest, und die Lokalpolizei intervenirte. Nach langem Streiten erreichten wir dennoch unsern Zweck fürs erste: ein schützendes Gemach.

 

Ich will die Leser nicht damit langweilen, wie der Bel-Amba-Ras uns volle 19 Tage in Tschelga aufhielt, unter dem Vorwande, erst Befehle vom Negus Theodor einholen zu müssen. Ich argwöhne nur, daß er mich für einen Missionär hielt und auspressen wollte. Zuletzt ungeduldig geworden, beschloß ich, ihn in seiner luftigen Felsenfestung aufzusuchen. Gefolgt von Dufton, einem Takruri-Dolmetscher und einem Soldaten, der uns als Wache beigegeben war, machte ich mich nach der Amba auf den Weg, die nordnordöstlich von Tschelga liegt. Am ersten Abend schliefen wir, vier Stunden von der Stadt entfernt, in einem muhamedanischen Dorfe, dessen Einwohner in dem christlichen Abessinien dieselbe gedrückte Stellung einnehmen, wie die Christen in der muhamedanischen Türkei. Mit dem Morgengrauen brachen wir wieder auf und erklommen eine Terrasse, von der aus wir den ersten Blick auf die Amba werfen konnten. Vor Verwunderung über das herrliche Naturgebilde standen wir beide ganz überrascht still. Man stelle sich am Ende einer mit grünenden Hügeln überzogenen Terrasse einen jäh und steil abfallenden Felsenberg von 700 bis 800 Fuß Höhe vor, also doppelt so hoch als unsere höchsten Thürme und fast ebenso gerade aufschießend wie diese, begrenzt von den bewaldeten Thälern, die sich nach dem Goang, wie man hier den Atbara nennt, hinziehen. Ein Felsen, der in eine Plattform endigt, etwa von der Größe der Place de la Concorde in Paris, und der weit und breit die umliegende Ebene beherrscht, verbindet sich wie eine Art von Vorwerk mit der Festung. Ein Felsgrat, so eng, daß zwei Personen nebeneinander ihn nicht passiren können, führt zu dieser, und der Fußgänger, welcher auf ihm hingeht, hat keinerlei Schutz zur Seite, welcher seinen Fall in den gähnenden Schlund rechts oder links verhinderte. In diesem wilden Gibraltar wohnte der abessinische Feudalherr, dessen kleiner pomphafter Hof lebhaft an die merovingischen Herzöge zur Zeit Gregor’s von Tours erinnert. Doch war es hier nicht das erste Mal, daß ich jene Sitten noch in voller Ausübung fand, welche in meinem Vaterlande vor acht oder zehn Jahrhunderten herrschten, und manche dunklen Verhältnisse unsrer Geschichte wurden mir erst durch den Augenschein im heutigen Abessinien klar vor Augen geführt.

Wir schritten ohne Zögern die schwindlige Brücke entlang, die jener gleicht, welche in den muhamedanischen Legenden aus dem Paradiese in die Hölle führt, und nachdem wir ein Thor erreicht hatten, das von halb entblößten Lanzenträgern bewacht war, kletterten wir langsam einen abschüssigen Abhang hinan, passirten ein zweites Thor und standen nun auf einer Plattform, wo uns Gilmo’s Leute in eine Art Wartesaal führten, indem sie uns bedeuteten, daß der Bel-Amba-Ras gerade mit einem Botschafter des Negus verhandle, daß wir aber nach dessen Abfertigung sofort eingelassen werden sollten.

Nach Verlauf von zwei Stunden führte man uns in einen weiten, mit Dienern, Vasallen und Leibwächtern angefüllten Raum, in welchem der Festungskommandant auf einer Alga ruhte. Seine dunkeln Gesichtszüge zeigten zur Genüge an, daß er von Ursprung ein Gamante (vergl. S. 88S. 88) sei, welches Volk in diesen Grenzprovinzen sehr zahlreich wohnt und die großen Sykomoren verehrt. Er hielt eine „Berille“, weitbauchige Flasche von antiker Form mit langem Halse in der Hand und war schon angetrunken. Uns zutrinkend wünschte er nichts sehnlicher, als uns in den gleichen Zustand versetzt zu sehen. Ich trug ihm meine Bitte vor, das Weihnachtsfest bei meinen „europäischen Brüdern“ in Dschenda zubringen zu dürfen. So nannte ich nämlich die dort wohnenden Missionäre, von denen ich in der Folge manche Unterstützung zu erhalten hoffte, und mit großer Genugthuung vernahm ich alsdann seinen Ausspruch: „Etsche! Ich willige ein“. Durch diesen guten Anfang kühner gemacht, bat ich ihn um die Erlaubniß, seine Festung abzeichnen zu dürfen, die ich für ein Weltwunder erklärte. Er wurde ernst und sagte: „Hast du in unserm Lande etwas verloren? Hat man dich bestohlen? Sprich, und ich will dir Gerechtigkeit widerfahren lassen!“ Nichts dergleichen, antwortete ich. „Dann“, nahm er das Wort, „hast du auch nichts zu verlangen, und aus welchem Grunde willst du diesen Ort „abschreiben“, um dich später seiner zu erinnern?“ Sein Mißtrauen lag klar auf der Hand, ich schwieg weislich still und nahm dankend Abschied. Kaum in mein Quartier zurückgekehrt, erhielt ich vom Bel-Amba-Ras einen Hammel, einen Krug mit Honigwein, sowie Brot zugeschickt und hielt mit Dufton eine köstliche Mahlzeit. So war die Audienz gut abgelaufen und wir kehrten nach Tschelga zurück, um uns zur Abreise vorzubereiten.

Vor uns leuchtete der herrliche Tanasee, wie ein von Smaragden eingefaßter Saphir. Er ist ein großes vulkanisches Becken von außerordentlicher Tiefe, auf dem die Stürme heftig hausen. Zwanzig Ströme und Bäche speisen ihn, führen aber auch zur Zeit der Sommerregengüsse ihm große Mengen von Schlamm zu und ändern dadurch stets seine Grenzen. Reizende Inseln, auf welchen Kirchen und Klöster sich im Grün der Bäume verstecken, unterbrechen anmuthig seine Fläche und verleihen dem lieblichen Bilde Abwechselung.

Die Reise von Tschelga nach Dschenda wurde in drei Stunden ohne bemerkenswerthen Vorfall zurückgelegt. Eine halbe Stunde hinter Tschelga passirten wir den Goang, welcher an seiner nahen Quelle, dem Gesetze aller abessinischen Ströme folgend, eine Spirale um den Berg Anker herumzieht. Die Braunkohlen, auf welche 1855 bereits Krapf aufmerksam machte, wurden auch von mir in dieser Gegend gesehen. Später ließ König Theodor diese Lager durchforschen, um seine Werkstätten in Gafat damit versehen zu können. In Dschenda wurde ich von einem großen jungen Manne empfangen, der mit der abessinischen Schama, türkischen Pantoffeln und einer europäischen Mütze bekleidet erschien. Es war der deutsche Missionär Martin Flad, welcher sich mit der Bekehrung der in dieser Gegend sehr zahlreichen Juden befassen darf. Er stellte uns seine Frau vor, welche Diakonissin im Institute des Bischofs Gobat zu Jerusalem gewesen war. Diese deutsche Familie erschien mir in jeder Beziehung musterhaft und außerordentlich gastfrei, ein Lob, das ihr alle jene Reisenden ertheilen müssen, welche auf dem Wege über Dschenda nach Abessinien eindrangen. Ich blieb vier Tage in Dschenda und unterhielt mich mit Flad viel über den König Theodor II., der ihm große Gunst bezeugte und ihn ganz anders behandelte als seine Kollegen Stern und Rosenthal (Flad gehörte jedoch sammt seiner Frau auch zu den Gefangenen in Magdala). Er erzählte mir, daß vor der Thronbesteigung Theodor’s in Dschenda kein Markttag verging, ohne daß einige Mordthaten vorkamen, daß aber unter der neuen kräftigen Regierung dieselben fast ganz aufgehört hätten.

Am 1. Januar 1863, nachdem ich meinem liebenswürdigen Wirthe ein glückliches neues Jahr gewünscht, verließ ich ihn und seine drei Kollegen Steiger, Brandeis und Cornelius, um nach Debra Tabor zum Negus Theodorus II. zu reisen. Wir durchzogen eine weite, fruchtbare, von vielen Bächen durchschnittene Ebene, in der zahlreiche Dorfschaften zwischen Getreidefeldern und Gärten mit rothem Pfeffer zerstreut lagen. Hier ist das Eden Abessiniens, die Provinz Dembea mit der Hauptstadt Gondar, der reichste und am besten bebaute Boden des ganzen Kaiserstaates. Ich passirte die Nordostecke des Tana-Sees und gelangte in die schöne Ebene Arno-Garno, wie sie nach dem vorzüglichsten, sie durchschneidenden Flusse heißt. Mir zur Rechten lag der glänzende Spiegel des Sees, zur Linken eine hohe Reihe Berge, die in der Amba Mariam, dem Marienberge, bei Emfras ihren malerischesten Gipfel zeigten. Anderthalb Meilen von Emfras erhebt sich auf einem Hügel am Ufer des Arno ein unter der Regierung des Negus Fasilides von den Portugiesen erbautes Schloß Qusara Giorgis, dessen malerische Ruinen in diesem Lande der Strohhütten plötzlich eine ganz europäische Staffage hervorzaubern, sodaß man eine alte Burg am Rhein vor sich zu sehen glaubt.

Zwei tüchtige Stunden jenseit des Arno führt der Weg durch das wilde und meist unfruchtbare Hügelland von Tisba, das nichtsdestoweniger stark bevölkert ist; jetzt sind die Einwohner friedliche Leute, vor nicht zu langer Zeit waren sie jedoch räuberisches Gesindel; aber König Theodor II. hat ihnen die Lust zum Straßenraube benommen. Als er 1855 den Thron bestieg, erließ er eine Proklamation, in welcher er sagte, daß Jedermann wieder zu der Beschäftigung seiner Väter zurückkehren möge; der Soldat zum Pflug, der Kaufmann zu seinen Waarenballen. Die Leute von Tisba, welchen dieser Befehl mißfiel, kamen remonstrirend und bis an die Zähne bewaffnet in das Lager des Königs. „Lang lebe Se. Majestät! riefen sie aus. Wir erscheinen hier nur, um besondere Erlaubniß zu erhalten, zum Geschäfte unserer Väter zurückkehren zu dürfen!“

„Und was war dies für ein Geschäft?“

„Schnapphähne und Straßenräuber waren alle, Väter und Kinder.“

„Wollt ihr nicht lieber“, antwortete ihnen der Negus, „friedliche Bürger werden? Ich will euch die Mittel dazu an die Hand geben. Das Vergangene ist euch verziehen; ihr erhaltet Grund und Boden, das nöthige Vieh und Ackerpflüge. Nehmt ihr dieses an?“

„Niemals! Wir berufen uns auf das Edikt…“

„Das ist euer letztes Wort?“

„Ja wohl!“

„Gut; kehrt heim.“

Vergnügt reisten die Schnapphähne nach Tisba zurück, indem sie den Negus eingeschüchtert zu haben glaubten. Doch sie kannten diesen Mann noch nicht. Kaum waren sie zurückgekehrt, als ein berittenes Corps in Tisba anlangte, dessen Kommandant folgendermaßen zu ihnen sprach: „Meine Lieben! Es ist möglich, daß euch der Kaiser Lalibela die Erlaubniß gab, Straßenraub zu treiben, aber Kaiser Claudius, der gleichfalls heilig gesprochen wurde, hat die Gensdarmerie (Neftenja) autorisirt, alle Strauchdiebe niederzumachen. Neftenjas, gebt Feuer!“

Die Ueberlebenden nahmen sich die ihnen ertheilte Lektion aufrichtig zu Herzen, und die Leute von Tisba, die heutzutage die Felder bebauen, sind ganz brave Menschen geworden.

Von Tisba an steigt der Pfad längs den östlichen Vorbergen an und wird dann eben bis zu dem Marktflecken Eifag an der Kirche Bada oder Bata (d. h. Empfängniß). Jene ganze Gegend war einst berühmt wegen der vor Alters eingeführten Weinkultur, die allerdings jetzt gänzlich darniederliegt. Eifag ist keine eigentliche Stadt, sondern besteht aus vielen zerstreuten Dörfern und Kirchen. Um die Kirche Bada zieht sich ein prächtiger Juniperus-Hain. Der Marktplatz ist sehr ausgedehnt; der Nagadras (Zollbeamte) erhebt von jeder Waare hier eine gewisse Abgabe. An jedem Mittwoch versammeln sich an diesem wichtigen Stapelplatze, von dem aus der Handel zwischen dem Süden und Norden Abessiniens von Godscham bis Massaua vermittelt wird, die Händler von weit und breit mit Vieh, Tabak, Kaffee, Baumwolle, Baumwollenstoffen, Glasperlen, Wachs, Salz, Honig, Häuten, Hülsenfrüchten, Getreide, Butter, Schwefel, Salpeter, Honigwein und Bier.

In Eifag hatte ich eine herrliche Aussicht auf die schöne Ebene von Fogara, welche sich bis an den Berg Dungurs erstreckt. Der östliche Theil derselben ist durchaus flach und wird vom Hirtenvolke der Sellan durchschweift. Im Westen dagegen steigt das Terrain an, dort erheben sich, bewaldet, mit Dörfern und Kirchen besäet, die Berge von Begemeder. Nach dreistündigem Marsche langen wir am Flusse Reb an, den wir auf einer immer mehr zerfallenden Brücke von sieben Bogen passiren, deren Bau noch unter dem Kaiser Fasilides vor mehr als 200 Jahren stattfand. Die Pfeiler haben dem Zahne der Zeit gut widerstanden, allein die Bogen werden bald von der wüthenden Flut hinweggerissen werden, da der Reb in der Regenzeit große Massen von Schlamm mit sich führt, immer mehr sein Bett erhöht und so der Wassermenge nur ein geringer Ausweg bleibt. Der Reb, welchen ich im April vollkommen ausgetrocknet sah, ist zwei Monate später ein prächtiger Strom, größer als die Seine bei Paris. Die Abessinier, obwol sie vortreffliche Schwimmer sind, hüten sich dann, ihn zu passiren, da sie fürchten, daß gewisse Wassergeister sie in den Abgrund ziehen könnten. Unter den Pflanzen, die ich in dieser Ebene bemerkte, nenne ich die schöne Methonica superba, welche von den Abessiniern Marienkelch genannt wird. Sie gehört zu den Lilien und gleicht in ihrer Farbenpracht einer Flamme im dunklen Laubgrün.

Die Nacht brachten wir in einem Dorfe in der Nähe der Brücke zu; am Morgen brachen wir dann nach Debra Tabor auf. Rechts von uns blieb ein einzelner, steiler und kahler Felsen, Amora Gedel, d. h. Geierfelsen, liegen, dessen Spitze ganz mit Raubvögeln bedeckt ist. Durch einen malerischen Schlund und sumpfige Wiesen führt ein Fußpfad zu dem Plateau von Debra Tabor hinauf. Als wir oben angelangt waren, blieben wir vor Verwunderung stehen. Vor uns lag ein leicht wellenförmiges Land, dicht besäet mit Dörfern, zwischen lachenden Kulturflächen und Weiden, auf denen zahlloses Vieh sich befand. Als Franzose wurde ich an die Bourgogne erinnert, während Dufton eine Landschaft Yorkshire’s vor sich zu sehen glaubte, und unwillkürlich rief ich aus: „Hier ist gut Hütten bauen!“ Rechts von uns blieb der Hügel von Debra Tabor mit seinen 500 oder 600 Häusern und dem königlichen Lager liegen. Denn Theodor II. hat hier große Getreidemagazine errichtet, die seine Armee in Kriegszeiten, d. h. so ziemlich immer, zu versorgen haben. Gondar, „die Stadt der Pfaffen und Schauspieler“, wie der König sich ausdrückt, ist ihm zuwider. Endlich erreichte ich den Hügel von Gafat, nordöstlich von Debra Tabor, das provisorische Ziel meiner Reise. Der deutsche Missionär Waldmeier, an den ich empfohlen war, nahm mich sehr freundlich auf; auch seine Kollegen, fast lauter Badenser und Württemberger kamen herbei. Der einzige Franzose der kleinen Kolonie, Franz Bourgaud aus Saint-Etienne, ist der Waffenschmied des Negus und bei diesem sehr beliebt. Er giebt vor, sich recht unglücklich zu befinden, und verlangte schon mehrere Male in seine Heimat zurückkehren zu dürfen, aber Theodor antwortete ihm auf sein Gesuch: „Mein Sohn Bourgaud, deine Kinder sind noch zu jung, um die weite Reise überstehen zu können; bleib noch ein paar Jahre hier.“ Und Bourgaud blieb. Seine Kinder sprechen vorzüglich die Amharasprache, er selbst und seine Frau haben sich ein Mischmasch aus dieser und der französischen zurecht gemacht, das nur ihnen verständlich ist. Eigenthümer Gafats ist ein alter General außer Dienst von noblem Aussehen. Um sein Haus herum haben sich die Deutschen Waldmeier, Kinzle, Bender, Mayer, Salmüller und Hall angesiedelt. Alle haben Abessinierinnen heirathen müssen; Bender eine Tochter Schimper’s. Am zurückhaltendsten war der junge, hübsche Salmüller, welcher schließlich eine Tochter des Irländers Bell nahm. (Von letzterem wird weiter unten ausführlich die Rede sein).

 

Noch hatte ich den Negus nicht gesehen, als am 25. Januar plötzlich Waldmeier auf mich zukam und ausrief: „Dort kommt Se. Majestät!“ Ich ging mit ihm vorwärts und traf bald auf ein großes Gefolge hoher Offiziere, welche alle den Margef, die bordirte weiße Tunica, trugen. Mitten unter ihnen stand ein Mann, barhaupt und barfuß, in eine gemeine Soldatenschama gekleidet, welche keineswegs noch ganz weiß war; in der Hand hielt er eine Lanze, an der Seite hatte er einen gekrümmten Säbel. Wer mit den abessinischen Gebräuchen vertraut war, mußte sofort den Rang dieser Persönlichkeit erkennen; es war der einzige, welcher beide Schultern bedeckt hatte, und Niemand anders als König Theodor II.

Gut gelaunt redete er mich mit „Na deratscho (Wie geht es dir?)“ an. Die Etikette erfordert, daß man hierauf nicht antwortet und sich nur tief verneigt. So that auch ich. Theodor zog sich darauf zurück, setzte sich auf einen Teppich und fing an, mit dem kleinen Bourgaud zu spielen. Dieser sonderbare Mensch, dessen Leben so blutig verlief, beschäftigte sich gern mit Kindern, für die er eine große Zuneigung besaß. Nachdem er dann einige Höflichkeitsworte gewechselt, fragte er mich sehr verbindlich, wann ich offiziell empfangen sein wollte? Ich erwiederte, daß ich ganz zu seinen Befehlen stehe, worauf er den nächsten Tag zur Audienz in Debra Tabor bestimmte. Ich ward abermals gut von ihm aufgenommen, machte den ganzen Feldzug in Godscham mit, der nicht besonders glücklich ausfiel, und kehrte dann mit ihm in das Lager von Debra Mai in Mietscha zurück. Unterdessen waren verschiedene Umstände vorgekommen, welche meine Anwesenheit auf dem Konsulatsposten dringend erforderten; ich begab mich deshalb in voller Uniform zum Negus, um ihn um eine Abschiedsaudienz zu bitten. Er ließ drei Europäer herbeirufen, welche die Amharasprache redeten, und fragte dann, was ich wolle. Ich antwortete: „Ich wünsche, dringender Angelegenheiten wegen, nach Massaua abzureisen, und dann will ich von dort zwei Kisten mit Geschenken für Ew. Majestät von meinem Souverän abholen, welche bereits angelangt sein dürften. Ich möchte auch gern gleich abreisen, damit ich vor Eintritt der Regenzeit wieder zurück sein kann.“

Um zu verstehen, was nun folgt, muß man wissen, daß Theodor durch den unglücklichen Feldzug in Godscham gedemüthigt war, daß die Aegypter damals gerade die Grenzprovinz Galabat besetzt hielten und daß er infolge des Genusses von schlechtem Cognac betrunken war. Kaum hatten die Dolmetscher ausgeredet, als der Negus in höchster Wuth rief: „Ich behalte ihn auf jeden Fall zurück. Nehmt ihn, legt ihn in Ketten, und wenn er entweichen will, so tödtet ihn!“

Der Oberst, welcher zunächst stand, winkte ein halbes Bataillon herbei.

„Wozu das, fragte Theodor, 500 Mann, um einen Menschen zu fesseln?“

„Ew. Majestät sehen, erwiderte der Oberst, daß er ein merkwürdig funkelndes Ding unter dem Arme trägt – es war mein goldbesetzter Konsulatshut –, das vielleicht eine Höllenmaschine ist, die uns alle tödten kann.“

„Donkoro, Dummkopf! Glaubst du nicht auch, daß er dich mit seinen Augenbrauen tödten kann. Sechs Mann her und nicht mehr.“

Nun wurde ich, wie mein treuer Diener Achmed, an Händen und Füßen gefesselt, obgleich ich in großer Uniform war, und in mein Zelt zurückgeführt, wo ich streng bewacht wurde. Indessen schrieb ich, auf einen Umschlag der Gemüthsverfassung des Königs bauend, an ihn einen englischen kurzen Brief, in welchem ich um Erklärungen bat. Am 3. März schon erschienen die Europäer wieder, welche mir anzeigten, daß ich frei sei, unter der Bedingung, daß ich in Gafat internirt bliebe. Ich zögerte anfangs, doch ging ich auf Kinzle’s Zureden, der meinte, es sei besser in Gafat als in Eisen weilen, auf diesen Vorschlag ein. Ueber den Negus selbst will ich hier nur wenige Worte sagen.

In den Audienzen, welche er gab, entfaltete er allen möglichen barbarischen Pomp. So liebte er es, dabei von vier zahmen Löwen umgeben zu sein, die sehr wild und grimmig drein schauten. Ich hatte Gelegenheit, mit denselben nähere Bekanntschaft zu machen. An einem hohen Festtage wurden sie von ihren Wärtern in mein Zimmer geführt, um ihre Aufwartung zu machen. Ein paar blanke Thaler verfehlten die Wirkung nicht, und ich konnte meine Gäste ruhig abzeichnen, wobei ich nur durch deren aufdringliche Zutraulichkeit gestört wurde. Der eine Löwe war von dem genannten Salmüller abgerichtet und dann an den Kaiser verkauft worden. Alle vier Löwen hatten ihre Namen; der Liebling des Kaisers hieß Kuara (der Stürmische). Dieses Halten und Züchten von Löwen steht übrigens bei den abessinischen Herrschern keineswegs als eine Ausnahme da und kam auch früher vor, wol deshalb, weil der Löwe als Sinnbild Aethiopiens angesehen wird. Als Salt 1810 beim Ras Wolda Selassié in Antalo eine Abschiedsvisite machte, bot dieser ihm zwei Löwen als Geschenk für den König von England an; „allein der weite Weg machte es unmöglich, sie fortzubringen. Eins dieser Thiere ward von seinem Wärter bisweilen in das Zimmer gebracht, wo wir saßen: aber während meines Aufenthaltes wurde es so wild und unlenkbar, daß man es einsperren mußte.“

Da mir der Negus Gafat zum Aufenthaltsorte angewiesen hatte, mit der Erlaubniß, im Innern des Reiches Ausflüge nach Belieben machen zu können, so zögerte ich nicht, dieses auszuführen, und stattete zunächst der Hauptstadt Gondar meinen Besuch ab. Von Gafat bis Ferka reiste ich zunächst den Weg, welchen ich auf meiner ersten Tour bereits beschrieb. Im genannten Orte trennt sich die Straße; links führt sie nach Tschelga, rechts nach Gondar. Ungeachtet des königlichen Befehls, daß ich in den Dörfern, wo ich übernachtete, gut beherbergt werden sollte, hatte ich mancherlei Verdrießlichkeiten zu bestehen, ja man bedrohte mich einmal sogar, und meine Leute flüchteten in Angst davon. Auf einer von den Portugiesen erbauten Brücke passirte ich den Fluß Magetsch, ohne welche zur Regenzeit die Verbindung zwischen Nord- und Südabessinien auf mehrere Monate im Jahre vollkommen gestört sein würde.