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Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

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Auch das Heilverfahren der abessinischen Wundärzte erinnert an die „gute alte Zeit“. Ein Zahn wird mittels Zange und Hammer von einem Schmiede ausgezogen, d. h. mit denselben Instrumenten, mit denen er sein Metall zu bearbeiten pflegt. Aderlaß wird mit einem Rasirmesser, Schröpfen mit einem Ziegenhorn vollzogen, dessen Luftinhalt durch Erhitzen verdünnt wurde. Schlecht geheilte Knochenbrüche, die verkürzte Glieder hinterließen, werden einfach nochmals gebrochen und so zu kuriren versucht. Indessen Amulete stehen in weit höherem Ansehen, als der Bala medanit oder Meister der Arzneien. Wahnsinn, Epilepsie, Delirium, Veitstanz und ähnliche oft unheilbare Uebel, für welche man keine Heilmittel kennt, werden einfach dem Einflusse von Dämonen zugeschrieben und der Patient hiernach behandelt. Blaue Papierstreifen sollen gegen Kopfweh helfen; gewisse Pflanzensamen, in Säckchen bei sich getragen, schützen gegen den Biß toller Hunde und gegen Unglück auf Reisen. Doch müssen diese Sämereien mit der linken Hand gepflückt werden zu einer günstigen Zeit, wenn die Sterne dem Pflückenden hold sind – sonst hilft das Mittel zu nichts. Wie wir schon aus Bruce wissen, verwüsten die Pocken oft das Land und fordern ihre Opfer. Eine Art Impfung, wobei die Lymphe mit Honig vermischt wird, findet dann von den menschlichen Pusteln statt, in deren Folge oft viele Leute sterben. In allen Fällen wendet man sich indessen, dem Aberglauben huldigend, lieber an den Priester als an den Quacksalber, was im Grunde genommen einerlei ist, da beide von der Medizin nach unsern Begriffen nichts verstehen.

Wenngleich es den Abessiniern nicht an der nöthigen Fähigkeit und Geschicklichkeit fehlt, so ist doch bei der allgemein herrschenden Indolenz die Industrie und Gewerbthätigkeit sehr gering entwickelt, ja, sie erhebt sich kaum über den allgemein afrikanischen Standpunkt, und manche Gewerbzweige werden in derselben primitiven Weise wie bei den benachbarten Negervölkern betrieben. Ein großer Theil der industriellen Thätigkeit liegt in den Händen der fleißigeren Juden und Muhamedaner.

Von den Schmieden war schon die Rede; das Verfahren, wie das Metall aus dem rothen Eisenthon in Tigrié bereitet wird, ist genau dasselbe wie es in Madagascar, am Zambesi oder in Westafrika stattfindet. Feinere Metallarbeiten liefern eingewanderte Armenier und Indier. Die Holzschnitzereien sind zum Theil prachtvoller Art. In der Kirche Lalibela in Gondar z. B. sind Flachreliefs an Thüren und Fenstern angebracht und theilweise bemalt. Außer den Arabesken, deren freie Erfindung und schöne Harmonie einen vorzüglichen Eindruck hervorbringt, sieht man Darstellungen aus dem Leben der Heiligen oder fabelhafte Ungeheuer, wie den Sebetat, der halb Mensch, halb Löwe ist. Sein Schwanz bestand aus zwei Schlangen; seine Waffen waren Pfeil und Bogen. Doch diese schützten ihn nicht gegen den Stier Meskitt, welcher ein silbernes und ein goldenes Horn trug und den Sebetat tödtete. Eine andere Holzschnitzerei zeigt uns den Kaiser Konstantin; dann – figürlich ausgedrückt – dessen Gewalt und schließlich die Fürstin Menene, die Mutter des Ras Ali und Erbauerin der Kirche.

Bei der oft herrschenden großen Kälte werden die sonst wenig industriösen Abessinier wenigstens mit Gewalt zur Weberei gezwungen. Die rohe Baumwolle, welche ungemein billig und ausgezeichnet im Lande ist, wird gegen einige Salzstücke eingehandelt und auf der einfachen, urthümlichen Spindel gesponnen. Zeit ist in Abessinien kein Geld, und so kommt es denn gar nicht darauf an, daß die Frauen recht lange mit dem Spinnen einer kleinen Partie Baumwolle zubringen. Das Garn kommt dann auf einen ganz gewöhnlichen, einfachen Webstuhl und wird mit Hülfe des Schiffchens in einen warmen, dauerhaften Mantel (Schama) umgewandelt. (Siehe die Abbildungen S. 98S. 98 und 9999.)

Auch Schaf- und Ziegenwolle wird verwebt. Lederfabrikation zu Sattelzeug, Schilden, Riemen, Schuhen für die Priester ist ein weitverbreitetes Gewerbe. Töpferei und Pfeifenfabrikation treiben die Falaschas. Drechsler liefern aus den Hörnern des Sanga-Ochsen oder des Rhinozeros geschnitzte Becher (Wantscha). Zierliche Körbchen und Sonnenschirme aus Rohr, Binsen oder Stroh flechten die Frauen; Schneider giebt es dagegen nicht, da jeder Abessinier selbst für seinen Kleiderbedarf sorgt; ebenso mangeln Bäcker und Müller, und von größeren Industriezweigen, die an einem Export ihrer Erzeugnisse arbeiteten, ist gar nicht die Rede, da nur Rohprodukte zur Ausfuhr gelangen.

Der Handel Abessiniens kann nach keiner Richtung hin ein bedeutender genannt werden, wenn er auch durch Massaua mit dem Rothen Meere in Verbindung steht. Die hohen, steil abfallenden Gebirgsketten mit den schwer zugängigen Pässen erschweren die Kommunikation ganz bedeutend, und die sämmtlichen Flüsse des Landes sind für die Schiffahrt nicht im geringsten geeignet. Dazu kommt vor Allem die geringe eigene Produktion von Handelswaaren, sodaß schließlich für den abessinischen Handel – von den Sklaven abgesehen – nur die aus den südwestlichen Ländern kommenden Erzeugnisse, wie Gold, Elfenbein u. s. w. als Durchgangswaaren in Betracht kommen. Hierdurch erklärt sich auch das geringe Interesse, welches man – Missionsfragen ausgenommen – in Europa an Abessinien vom praktischen Gesichtspunkte hatte und das erst durch König Theodoros und die Gefangenhaltung der Engländer wieder aufgefrischt wurde.

Für den Großhandel haben die Abessinier wenig Sinn, dem kleinen Schacher ist aber jeder zugethan und sucht auf alle mögliche Weise sein Geschäftchen zu machen. Auf den Messen und Märkten, die sich meist an die Kirchen knüpfen, geht es lebhaft zu, und große Menschenmengen sind dann versammelt. So traf Rüppell zu Ende Februar 1832 bei der Kirche von Bada, östlich vom Tanasee, gegen 10,000 Marktbesucher beisammen, von denen allerdings viele nur des Zuschauens wegen gekommen waren.

Der europäische Handel hat sich in Abessinien noch verhältnißmäßig wenig Einfluß verschaffen können. Die beständigen Kriege, die schlechten Kommunikationsmittel und Wege, endlich die Zollplackereien lassen ihn nicht recht aufkommen. Die Produktion des Landes selbst, Getreide, Hülsenfrüchte, Tabak, Kaffee, ist verhältnißmäßig viel zu gering, während doch alle Nutzpflanzen der Tropen und der gemäßigten Zone prächtig gedeihen würden. Dagegen werden Häute, Maulthiere und gute Gebirgspferde in großer Menge exportirt.

Honig und Wachs werden in sehr großer Menge ausgeführt. Der erstere, Mar genannt, wird in Töpfen zugleich mit dem Wachs feilgeboten, weil er nur so zur Bereitung des Honigwassers dienlich ist, wozu er beinahe ausschließlich verbraucht wird. Die betrügerischen Abessinier wenden ihre ganze Verschlagenheit beim Verkauf des Honigs an, indem sie die untern Schichten der Töpfe mit Mehl, Wachs oder andern Stoffen ausfüllen. Neben dem Honig kommt auch Butter (Tesmi) in pfundschweren Kugeln auf den Markt. Unter den Manufakturen spielen die Baumwollenwaaren (Schama) eine große Rolle; sie werden zu Leibbinden, Umschlagtüchern, Beinkleidern u. s. w. verarbeitet und sind entweder rein weiß oder mit blauen und rothen Seitenstreifen versehen; ganz blaue und ganz rothe Kattune kommen aus Indien über Massaua; die blaue Farbe hat in den meisten Fällen den Vorzug, und namentlich sind es blaue Seidenschnüre (Mareb), die sich stets eines großen Absatzes erfreuen. Jede Schnur muß ziemlich dick und fünf Fuß lang sein, sodaß sie bequem um den Hals getragen werden kann. Da kein abessinischer Christ ohne eine solche geht, so sind sie eine stets begehrte Handelswaare, die auch immer hoch im Preise steht. Andere gangbare, meist eingeführte Handelsartikel sind: Spießglanz, zum Färben der Augenlider, Weihrauch, zum Räuchern beim Gottesdienst, Zibethmoschus, um die als Pomade benutzte Butter damit zu parfumiren, „Tombak“ (indischer Tabak), entweder um Schnupftabak daraus zu machen, oder um ihn in Wasserpfeifen zu rauchen, schwarzer Pfeffer (Berberi), der auch zu Zollzahlungen dient; Nähnadeln mit großem Oehr; Glasperlen, Kaurimuscheln, Sandelholz zum Räuchern. Ein Handelsartikel, nach dem namentlich die abessinischen Frauen greifen, sind dünne silberne Ringe, die am kleinen, und Hornringe, die am Mittelfinger getragen werden. Gummi, das in großer Menge gewonnen werden könnte, kommt nicht auf die abessinischen Märkte, obwol es in Massaua gut bezahlt werden würde.

Bei der Schilderung des genannten Hafenortes werden wir sehen, wie bedeutend selbst heute noch dort die Ausfuhr von abessinischen Sklaven ist, die in der That noch immer, trotz aller zeitweiligen Verbote gegen den Sklavenhandel, einen wichtigen Artikel ausmachen. Adoa, Gondar und Massaua sind die großen abessinischen Sklavenmärkte, zu denen die lebende Waare von den verschiedensten Gegenden hergeschleppt wird. Die eingeborenen freien Abessinier können nur durch Kriegsgefangenschaft oder Raub in die Sklaverei gerathen; diese bilden den kleineren Theil, die meisten Sklaven stammen aus den Grenzlanden, sowol im Norden als im Süden; entweder sind es Schangalla vom Setit, Galla aus den Ländern südlich vom Blauen Nil, oder eigentliche Neger, die von den Aegyptern aus Fazogl oder Sennaar eingeführt werden. Da die Christen sich eigentlich mit dem Sklavenhandel nicht befassen sollen, so umgehen sie dieses dadurch, daß sie den Kauf oder Verkauf scheinbar durch Muhamedaner abschließen lassen. Die Behandlung der Sklaven ist in der Regel eine milde und ihr Verhältniß zu dem Herrn dem des freigeborenen Dieners gleich; die Züchtigungen sind selten hart und bestehen nur in vorübergehender Fesselung. „Wenn sich Völker auch bekämpfen“, schreibt Munzinger, „so sind die Opfer doch nur die Soldaten und die Güter; Weib und Kind sind respektirt. Kein freier Abessinier wird von seinem Mitbürger in die Sklaverei verkauft. Die Leibeigenschaft erstreckt sich nur auf die von außen eingeführten Schwarzen, die nur den kleinsten Theil der Bevölkerung ausmachen. Der Sklavenhandel ist den Christen (durch Theodor) bei Todesstrafe verboten. Die Frau ist unverletzlich und hat ihre bestimmten großen Rechte.“

 

Werthmesser in Abessinien sind das Salz und der österreichische Maria-Theresia-Thaler. Das Salz kommt aus den am Meeresufer liegenden natürlichen Seewasserlagunen und wird durch Austrocknung durch die Sonnenhitze gewonnen; man bringt es dann ins Gebirge, um es dort an bestimmten Plätzen gegen Getreide umzutauschen. Alles Salz, welches im nordöstlichen Abessinien verbraucht wird, ist solches Seesalz, während in den übrigen Theilen des Landes eine Art Steinsalz aus der östlich von der Provinz Agamié gelegenen Ebene Taltal benutzt wird. Viele Gesellschaften ärmerer Leute, von denen jeder nur über ein Kapital von einigen Thalern zu verfügen hat, ziehen regelmäßig mit ein paar Eseln aus dem Innern nach den östlichen Provinzen, um dort Salz einzukaufen, und machen dabei einen Gewinn, der zu ihrer und ihrer Familie Unterhaltung ausreicht. Verliert ein solcher Händler sein Kapital durch Plünderung, so muß er für wohlhabendere Leute die Reise machen und sich mit geringerem Gewinn begnügen. Das Salz wird in Taltal in regelmäßige Stücken von der Gestalt eines Wetzsteins ausgehauen, die dann als Scheidemünze in ganz Abessinien cirkuliren. Sie sind etwa 8⅛ Zoll lang, 1½ Zoll dick, an beiden Enden abgestutzt und wiegen durchschnittlich vierzig Loth. Ihr Verhältniß zu den Speziesthalern ist sehr verschieden und hängt theils von der Entfernung eines Ortes von der Salzebene, theils von den ruhigen oder unruhigen Zuständen der Gegenden ab, durch welche diese Stücken transportirt werden müssen. Sie schwanken also genau so wie unsere europäischen Werthpapiere je nach den politischen Verhältnissen, haben jedoch vor diesen den Vorzug, stets einen reellen Werth zu repräsentiren. In der Amharasprache heißt das Salz überhaupt Schau; als Scheidemünze in der beschriebenen Form benennt man es jedoch Amole oder Galep. Rüppell fand den Werth eines Maria-Theresia-Thalers in Gondar je nach den politischen Zuständen zwischen 20 und 32 Salzstücken schwankend, oder, dem Gewichte nach ausgedrückt, man erhielt etwa 27 bis 41 Pfund Salz für den Thaler. Dieser letztere selbst schwankt nicht etwa nach dem Silbergehalt, sondern nach dem Gepräge bedeutend im Werthe und ist der Agiotage unterworfen. Nach dem in ganz Ostsudan und Abessinien herrschenden Vorurtheile sind die mit dem Bilde der Kaiserin Maria Theresia versehenen Thaler die besten und allen übrigen Münzen vorzuziehen, und zwar muß bei ihnen das Diadem im Haare sieben wohlausgedrückte Perlen zeigen, der Schleier am Haupte sich deutlich abheben, der Stern auf der Schulter groß und der Avers mit den Münzbuchstaben S. F. deutlich versehen sein. Ohne diese Zeichen und die Jahreszahl 1780 sinkt der Thaler gleich bedeutend im Werthe, und selbst wenn der Kopf der Kaiserin unglücklicherweise Locken statt des Schleiers zeigt, ist es schwer, ein solches Münzstück anzubringen. Dieselben Vorurtheile herrschen in ganz Nordostafrika, wo ein der obigen Münzprägung entsprechender Maria-Theresia-Thaler dafür jedoch zum „Abu gnuchte“, zum „Vater der Zufriedenheit“ wird. Durchlöcherte Thaler oder solche, die mit dem Bilde des Kaisers Franz versehen sind, haben geringeren Werth und sind nur mit Verlust anzubringen; desgleichen spanische Säulenpiaster (Colonnaten) oder andere harte Silbermünzen. Noch für lange Zeit hinaus wird der Maria-Theresia-Thaler Werthmesser in Nordostafrika bleiben und das sonst an Silbergeld arme Oesterreich prägt für diesen afrikanischen Handel noch Jahr aus Jahr ein Thaler mit dem alten Stempel, ja es hat sich sogar in der Münzübereinkunft mit Frankreich (1867) vorbehalten, fortwährend Maria-Theresia-Thaler prägen zu dürfen.

Noch ist zu erwähnen, daß in der Umgebung von Adoa das dort gefertigte Baumwollenzeug an Zahlungsstatt gegeben wird. Es besteht aus Grans oder Stücken von 8 Ellen Länge und 1 Elle Breite, deren Werth sehr schwankend ist. Dieser Stoff dient blos zur Verfertigung von Beinkleidern, welche in Tigrié von Jedermann getragen werden. Einkäufe von geringem Betrag berichtigt man mit Getreide.

Religion, Kirche und Geistlichkeit Abessiniens. Das Missionswesen

Das Christenthum Abessiniens, dessen Lehren und Verwahrlosung. – Der Abuna. – Art des Gottesdienstes. – Die lasterhafte Geistlichkeit. – Mönche und Klöster. – Politische Asyle. – Zeitrechnung. – Feste. – Taufe, Ehe, Begräbniß. – Die Kirchen, ihre Einrichtung und Ausschmückung. – Die verschiedenen Missionsversuche in Abessinien, deren Mißlingen und Urtheile darüber.

Unter den Sonderkirchen des Morgenlandes, die durch das Dogma der Dreieinigkeit mit der allgemein christlichen zusammenhängen, aber nach zwei verschiedenen Richtungen hin von ihr infolge der Bestimmungen sich lösten, denen im fünften Jahrhundert die Vorstellung von der Gottheit und Menschheit Christi unterworfen wurde, giebt es zwei Volkskirchen, die beide fast monophysitisch sind, beide von selbständigen Sprachen, Stiftungen und Ueberlieferungen getragen werden, die beide tief verfallen und entartet sind: die armenische und abessinische Kirche. Die letztere, die entlegenste, abgesperrteste, ist auch die entartetste, die am meisten von Heidenthum, Judenthum und Muhamedanismus durchsetzte und überhaupt dem Christenthum am fernsten stehende. Byzantinische Scheinrechtgläubigkeit hat diese Kirche in den Fanatismus der Formel versetzt, und die Waffen des Geistes werden vor dem priesterlichen Bann gestreckt; das Leben dieser Kirche basirt auf dem Anblasen und Handauflegen des Abuna, des obersten Bischofs, und leere Ceremonien gelten für Gottesverehrung. Dazu gesellt sich, daß die Träger dieser Kirche, vom höchsten Kirchenfürsten an bis zum niedrigsten Mönche herab, durch eine grenzenlose Sittenlosigkeit dem ganzen Volke mit üblem Beispiel vorangehen und daß sie die bedeutende Macht, welche sie ausüben, meistentheils zum eigenen Nutzen verwenden. Selbst die große Versunkenheit, in welche die europäische Geistlichkeit im Mittelalter zum Theil verfallen war, reicht noch lange nicht an jene der abessinischen Priester heran.

Von der Einführung des Christenthums war bereits die Rede, sehen wir nun, wie dasselbe heute beschaffen ist. Die Abessinier sind koptische Christen. Sie glauben an eine göttliche Offenbarung in der Heiligen Schrift, doch hat die kirchliche Tradition genau dieselbe Geltung wie die Bibel. Nach dem Missionär Isenberg haben sich bei ihnen die Hauptlehren des Christenthums von dem Dreieinigen Gott, dessen Wesen, Eigenschaften und Werken, von der Schöpfung der Welt, von den Engeln, von der Schöpfung, dem Fall, der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, von der Erlösung durch Christum, von dem Heiligen Geiste, der christlichen Kirche, den Sakramenten, von der Auferstehung und dem letzten Gericht erhalten; aber zum Theil durch allerlei Zuthaten so verändert, daß nur noch mit Mühe ein biblisches Moment darin zu erkennen ist. Den Heiligen Geist lassen sie nur vom Vater ausgehen, leugnen jedoch nicht, daß er nur durch Christus vermittelt ist. In Christus nehmen sie mit den übrigen Monophysiten nur eine Natur an, sind jedoch über die Art der Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen in ihm verschiedener Meinung. Ihre Lehre von der Schöpfung und Regierung der Welt, sowie ihre Engellehre ist voll von heidnischen, jüdischen und muhamedanischen Vorstellungen. Sie glauben an das durch Christus vollbrachte Heilswerk, beschränken dasselbe jedoch durch Pelagianismus, d. h. sie leugnen die Verderbniß der menschlichen Natur durch die Folgen der Sünde Adam’s und erklären die natürlichen Anlagen und Kräfte des Menschen für hinreichend zur Erlangung der Seligkeit. Die Jungfrau Maria genießt unter den Abessiniern eine ganz besondere Verehrung; allgemein ist der Glaube unter ihnen verbreitet, daß sie für die Sünden der Welt starb und 144,000 Seelen dadurch errettete. Aus diesem Grunde sagte dem Volke auch die Lehre der katholischen Missionäre weit mehr zu als diejenige der Protestanten.

Viel zu schaffen machte den Abessiniern vor etwa 70 Jahren die Lehre von den drei Geburten Christi, ein Dogma, das von einem Mönche in Gondar aufgebracht wurde. Hiernach war Christus vor allem Weltanfang schon aus dem Vater hervorgegangen (erste Geburt), dann Mensch aus der Jungfrau Maria geworden (zweite Geburt) und durch die Taufe im Jordan durch den Heiligen Geist zum dritten Male geboren. Nach einem langen Kampfe mit der Gegenpartei, die nur zwei Geburten annahm, wurde 1840 durch Befehl Sahela Selassié’s, des Königs von Schoa, der Glaube an die drei Geburten als allein rechtgläubig durchgesetzt und die Anhänger der zwei Geburten mußten das Feld räumen. Sie flohen zum Abuna in Gondar, der sie in seinen Schutz nahm und vom Könige verlangte, daß er die Vertriebenen wieder aufnehme, da ihr Glaube, als mit demjenigen des heiligen Markus übereinstimmend, der einzig rechte sei. Als Sahela Selassié sich nicht fügen wollte, bedrohte ihn der Abuna mit Krieg, der jedoch erst 1856 unter König Theodoros gegen Sahela’s Sohn zur Ausführung kam. Dieser unterwarf Schoa und führte die Lehre von den zwei Geburten wieder ein, die nun allein herrschend ist, nichtsdestoweniger aber als „Karra-Haimanot“, d. h. Messer-Glauben bezeichnet wird, da sie die dritte Geburt Christi gleichsam „abschnitt“.

Sündentilgungsmittel der Abessinier sind strenge Fasten, Almosengeben, Kasteiungen, Mönchthum und Einsiedlerleben, nebst Lesen und Abbeten größerer oder kleinerer Abschnitte aus der Heiligen Schrift und andern Büchern. Der Priesterstand übernimmt für Geld ebenso wie in der katholischen Kirche diese Verrichtungen, daher Ablaß und eine Art von Seelenmessen auch hier stattfinden. Die Abessinier fasten in jeder Woche des Jahres, mit Ausnahme der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, zwei Tage, und zwar, gleichwie es in alten Zeiten bei den Juden Gebrauch war, am Mittwoch und Freitag. Außerdem enthalten sie sich noch an folgenden Tagen des Essens: an den drei letzten Tagen des Monats Ter, zum Andenken der Buße von Ninive’s Bewohnern; während der 55 Tage, die unmittelbar dem Osterfeste vorangehen, wovon 41 Tage dem Andenken an die Fasten Christi in der Wüste, 7 der Passionswoche und 7 andern Erinnerungen geweiht sind; die Fasten der Apostel sind von verschiedener Länge, je nachdem Pfingsten früher oder später fällt; die Fasten zu Ehren der Jungfrau Maria, wozu 15 Tage des August bestimmt sind, von ihrem Sterbetage bis zu ihrer Himmelfahrt; vierzigtägiges Fasten zur Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi vor Weihnachten. Man sieht aus diesem Verzeichniß der Fastenzeiten, von welchen die letzten beiden nicht von allen christlichen Abessiniern gehalten werden, daß ein diesen Enthaltungsvorschriften nachlebender Christ im Laufe des Jahres beiläufig 192 Tage, d. h. weit über die Hälfte des Jahres zu fasten hat. Rechnet man hierzu noch einzelne Straffasten, so kommt dreivierteljähriges Fasten heraus! Daß dieses nicht streng gehalten werden kann, liegt auf der Hand, aber vor Ostern, sowie den Mittwoch und Freitag, beobachtet man die Regeln unweigerlich. Aehnlich wie die Juden verachten die Abessinier das Nilpferd, den Hasen, die Gänse und Enten und meistens auch das Schwein als unreine Thiere.

Was den Heiligen Geist angeht, so kennt der Abessinier nur die Wunderkräfte, mit denen er Propheten und andere Heilige ausrüstete; auch glauben sie an eine Mittheilung des Heiligen Geistes durch die Taufe. Was die Kirche betrifft, so gelten hier die alten Ueberlieferungen von einer Verlosung der bewohnten Welt unter die Apostel, sie können aber nicht nachweisen, welchen Theil gerade jeder Apostel bekommen habe. Daß Petrus und Paulus Rom und Europa, Johannes Antiochien, Kleinasien und Syrien, Marcus Aegypten bekommen habe, steht ihnen fest; daher halten sie diese drei Kirchen für einander gleichstehend. Sie erkennen dem Papste als Nachfolger Petri einen gewissen Vorzug als dem Ersten unter Gleichgestellten zu. Ihre Kirchenverfassung ist episkopal. Der zu Kairo residirende koptische Patriarch von Alexandrien ist das Oberhaupt der abessinischen Kirche und von ihm erhalten sie ihren Bischof, den sie vorzugsweise Abuna, unser Vater, nennen. Als einziger Bischof des Landes, und zugleich in der Hauptstadt residirend, ist er zugleich Metropolitan. Seit Abuna Tekla Haimanot, der im 13. Jahrhundert die sogenannte salomonische Dynastie wieder herstellte, besteht die Verordnung, daß kein Abessinier mehr zu dieser Würde gelangen darf, sondern immer nur ein Kopte dieselbe bekleiden kann, um der Hoffnung Raum zu geben, immer einen neuen Zufluß theologischer Anregung von außen zu bekommen, da jener Heilige selbst, der letzte Abuna aus abessinischem Stamm, daran verzweifelte, tüchtiges theologisches Leben in der Geistlichkeit seines Landes zu erhalten. Dieser Tekla Haimanot (ums Jahr 1284) setzte ein Drittel des Bodens des ganzen Landes für kirchliches Einkommen fest, von welchem er den bedeutendsten Theil für seine Person erhielt. Der Abuna allein hat das Recht, Könige zu salben und Priester und Diakonen zu ordiniren; in andern theologischen und kirchlichen Angelegenheiten entscheidet er gemeinschaftlich mit dem Etschegé, dem Oberhaupte der Mönche.

 

Beim Amtsantritt des Abuna muß die abessinische Regierung dem Patriarchen ein Geschenk von 7000 Thalern einhändigen. Lejean erzählt, daß die stolze Fürstin Menene über den letzten im Herbste 1867 gestorbenen Abuna Abba Salama geäußert habe: „Dieser Sklav, den wir aus unserm Beutel bezahlt haben, benimmt sich sehr hochmüthig.“ Das kam dem Oberpriester zu Ohren und er antwortete: „Allerdings bin ich ein Sklave, aber einer, der viel werth ist. Hat man doch 7000 Thaler für mich gezahlt! Mit der Fürstin Menene verhält es sich freilich anders. Man könnte sie auf dem Markte zu Wochni ausstellen und bekäme nicht zehn Thaler für sie.“ Auf jenem Markte werden nämlich sehr schlechte Maulthiere feilgeboten. – Andraos (Abba Salama oder Frumentius ist sein Bischofname) war etwa 1815 geboren und kam 1841 unter Ubié zu seiner Stellung. Dem Kaiser Theodor gegenüber hatte er eine eigenthümliche wandelbare Stellung. Beide beobachteten einander, legten sich gegenseitig Hindernisse in den Weg, haßten und fürchteten sich und stellten sich doch, als ob sie gute Freunde seien. Sehr oft machte Theodoros gar keine Umstände mit dem Seelenhirten; er sperrte ihn in eine Feste und legte ihn in Ketten, worauf ihm Leute vom Hofgesinde auf den Knieen Speise reichen und die Füße küssen mußten. Salama, ein geborener Aegypter, galt für einen Freund der Engländer. Als er sich früher in Kairo der Studien halber aufhielt, besuchte er die protestantisch-englische Schule des deutschen Missionärs Lieder, der im Auftrage der anglikanischen Missionsgesellschaft arbeitete. Diese glaubte an ihm einen Proselyten gemacht zu haben, sah sich aber arg getäuscht, denn der Abuna erklärte später die Protestanten für Ketzer. Als er einmal auf das Aeußerste gebracht war, drohte er Theodor in den Bann zu thun, dieser aber ließ eine Hütte aus dürren Zweigen errichten, worin der Abuna verbrannt werden sollte. Dies that er, um sich nicht in „blutiger“ Weise an dem Gesalbten vergreifen zu müssen. Schleunig hob jedoch nach solchem Vorgange der Abuna den Bann auf.

Bald nachdem Theodoros zur Macht gelangt war, fand sich David (Daud), der Patriarch von Alexandria, im Auftrage des ägyptischen Vizekönigs in Abessinien ein und benahm sich dort sehr hochfahrend, gleichsam als Herr und Gebieter. Theodoros seinerseits begegnete ihm mit Spott und Hohn und jener schleuderte ihm dafür mündlich den Bann ins Gesicht. Theodor blieb ruhig, spannte eine geladene Pistole, schlug auf den Patriarchen an und bat ganz sanft: „Bester Vater, gieb mir deinen Segen!“ David fiel auf die Kniee, stand wieder auf und ertheilte mit zitternden Händen den Segen.

Der Reisende Apel schildert den Abuna Salama folgendermaßen: „Er ist ein trauriges Bild des lasterhaften, ignoranten Zustandes der ganzen abessinischen Kirche. Stolz, unwissend, grausam, intrigant, sucht er auf jede Weise sich Gewalt und Reichthum zu erwerben. Er treibt sogar Sklavenhandel und nimmt nicht einmal Anstand, sich die Kirchengefäße anzueignen, sie nach Aegypten zu senden und dort zu verkaufen. Er ist der geschworene Feind aller Europäer.“ Der Empfang, welchen der Reisende bei diesem „Kirchenfürsten“ fand, war nichts weniger als erbaulich. Als er gefangen in Gondar eingebracht wurde, empfing ihn dort mit finsterer Miene ein Mann, der ihn italienisch anredete. Es war der Abuna. „Bist du wieder“, so begann er seine Schimpfrede, „einer von diesen vermaledeiten Ketzern, welche unsere Religion, die wir von den Heiligen Frumentius und Aedilius selbst empfangen haben, umstürzen wollen?“ Apel antwortete, daß er sich keineswegs hiermit befasse, und wurde nun weiter gefragt: „Hast du keine Bibel mitgebracht, das Volk irre zu führen und unsere heilige Kirche zu untergraben?“ Als nun der Fremdling sagte, er sei Arzt und kein Geistlicher, bemerkte der Abuna: „Ihr seid aber alle Räuber und Lügner, ihr Engländer! Ihr kommt zu uns als Werkleute verkleidet, gebt vor, euch mit der Arbeit zu beschäftigen, unterrichtet aber das ganze Volk und führt es zum Verderben.“ Schimpfreden gegen die Missionäre beschlossen den Sermon des Kirchenfürsten.

Günstiger urtheilt Heuglin von dem Manne, den er 1862 besuchte: „Er mag 45 Jahre alt sein, ist ein schöner Mann von kräftiger Statur, jedoch viel leidend und in Folge eines Katarakts auf dem linken Auge erblindet. Sein Schicksal, für Lebzeiten an dieses Land gebannt zu sein, trägt der Abuna mit mehr Humor als christlicher Ergebung. Auf die abessinische Geistlichkeit ist der Bischof sehr schlecht zu sprechen, er hält dieselbe für vollkommen unverbesserlich, auch spricht er sich unumwunden über die vielen Mängel und angestammten Krebsschäden der hiesigen Kirche aus; trotzdem ist er aber den europäischen Missionären höchst abhold und erklärt, er halte sich unter den obwaltenden Umständen für verpflichtet, jede Art von Propaganda zu unterdrücken.“ Abba Salama, der 27 Jahre über Abessinien als Kirchenfürst regierte, starb am 25. Oktober 1867.

So traurig steht es heute um den höchsten Kirchenfürsten Abessiniens, und ihn übertreffen die übrigen niedrigeren Geistlichen an Schlechtigkeit und Unwissenheit noch bedeutend. Diese sind an Rang und Würde zwar untereinander verschieden, allein außer dem Abuna hat keiner das Recht, zu ordiniren. Außer den Priestern und Diakonen besteht noch das Amt des kirchlichen Thürhüters und Brotbäckers. Jede Kirche hat noch ihren Aleka, dessen Geschäft darin besteht, die Geistlichen anzustellen, zu beaufsichtigen und zu besolden und die Verbindung zwischen Kirche und Staat zu vermitteln.

Die Kirche hat ferner diejenigen, welche sich ihrem Dienste widmen wollen, zu unterrichten. Zum Diakonenamte wird jeder ordinirt, der sich dazu meldet, wenn er nur lesen kann. Will sich darauf einer dem Priesterstande ganz widmen, so heirathet er in der Regel vorher, weil es ihm später nicht mehr erlaubt ist. Die Ordination ist sehr einfach: der Diakon sagt das Nicäische Glaubensbekenntniß her, bezahlt zwei Salzstücke an den Abuna, der ihm das Kruzifix entgegenhält und den Segen über ihn spricht. Unter dem Abuna Kyrillos, der vor etwa dreißig bis vierzig Jahren lebte, sollen Priester aus Kaffa nach Gondar gekommen sein und einen Ledersack mitgebracht haben, in welchen der Abuna Luft hauchen sollte, um mittels derselben diejenigen ihrer fernen Landsleute zu ordiniren, die sich dem Dienste der Kirche weihen wollten!

Die Thätigkeit der Priester besteht in täglichem drei- bis viermaligen Gottesdienst bei Tag und Nacht, wobei des Morgens früh die Priesterschaft mit Mönchen und Schülern zum Genusse des Abendmahls zusammenkommt. Außerdem fallen Taufen, Trauungen, Messelesen, Beichtehören in ihr Bereich. Der Kirchengesang ist, obgleich höchst unerbaulich, doch sehr künstlich und mit Mimik verbunden; das Studium desselben, sowie das Einlernen der langen Liturgie kostet den angehenden Priestern viele Jahre Zeit. Lächerlich erscheint uns auch die Art und Weise, wie die Priester aus ihren heiligen Büchern lesen, denn das Lesen an und für sich gilt schon als verdienstlich. Das Wort, mit dem sie dasselbe benennen, entspricht unserm „plappern“ und paßt daher gut, um das gedankenlose, überaus schnelle Lesen zu bezeichnen. Ein Priester, der seine oft ungemein lange Liturgie schnell zu Ende bringen will, liest oft mit solcher Behendigkeit, daß das Ohr in seinem Lesen die Artikulation der Stimme kaum besser unterscheiden kann, als das Auge die einzelnen Speichen eines schnell kreisenden Rades. – Was die Zahl der Sakramente betrifft, so scheinen sie nur zwei, Taufe und Abendmahl, anzunehmen. Zum letzteren bedienen sie sich gesäuerten Weizenbrotes, das von bestimmten Personen gebacken sein muß, und des Saftes ausgepreßter Weintrauben. Dieses wird im Abendmahlskelch zusammengemischt, etwas Wasser zugegossen, das Ganze geweiht und mit einem Löffel den Abendmahlsgenossen gegeben. Ihre Beichte übertrifft alles, was in dieser Art anderweitig noch vorkommt. Nach einem vorgeschriebenen Formulare (Nusasié) fragt der Priester den Beichtenden, ob er gewisse Sünden, die in einer ungeheuren Schandliste alle auseinandergesetzt sind, nicht begangen habe. Auf jeder Sünde steht nun eine vorgeschriebene kirchliche Strafe, die durch Fasten oder Bezahlung abgebüßt wird.