Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus

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12. Dezember 2265, Raumstation SOL-22, Büro von Admiral Michalew

»Ich habe Sie schon erwartet«, sagte Admiral Juri Michalew. »Kommen Sie nur herein, Doktor.«

Wie immer, wenn sie das Büro von Michalew betrat, fühlte Irina einen Schauer ihren Rücken hinunterjagen. Der Admiral lächelte sie an, doch sie machte nicht den Fehler, dies als freundliche Geste zu missinterpretieren. Es war das Lächeln eines Raubtiers, das sein Opfer abschätzend taxierte. »Admiral.« Sie schenkte ihm ein förmliches Nicken. »Es war mir leider nicht früher möglich.«

»Das verstehe ich.« Er bedeutete ihr, Platz zu nehmen. »Und angesichts der neuesten Entwicklungen würde das wohl jeder. Sie haben immerhin einen lebenden Parliden mit nach Hause gebracht. Von diesem seltsamen Fraktal gar nicht zu reden. Der erste Einsatz der HYPERION war recht abenteuerlich.«

Irina ließ sich in den Konturensessel sinken. »Das Fraktal ist ein Mysterium, um das andere sich kümmern müssen. Bei dem gefundenen Parliden sieht es jedoch anders aus.« Sie konnte das Entsetzen nur schwer verbergen, das noch immer in ihr tobte. »Waren Sie in der Lage, den Körper an sich zu bringen?«

Michalew nickte. »Eine Gruppe befreundeter Offiziere hat ihn ‚beschlagnahmt’. Ich werde nur Wissenschaftler an ihn heranlassen, die zu unserem Team gehören. Das kann ich Ihnen versprechen.«

Irina nickte beruhigt. »Es war mir an Bord der HYPERION möglich, einen Tiefenscan vorzunehmen. Natürlich habe ich alle Aufzeichnungen darüber gelöscht. Es gibt nur diese eine Kopie.« Dabei hielt Sie Michalew einen Datenkristall entgegen.

Die Augen des Admirals funkelten gierig, als er nach dem Datenträger griff. »Sagen Sie mir Doktor, hatten wir mit unserer Vermutung recht?« Er schluckte.

Irina nickte. »Ich fürchte: Ja, das hatten wir.«

Michalew schlug mit seiner rechten Faust wütend auf die Tischplatte. »Man sollte sie in Stücke schießen! Diese verdammten Dreckskerle!«

Irina würde jenen Moment niemals vergessen, als sie das Ergebnis des Tiefenscans erhalten hatte. Entgegen dem, was sie Captain Cross mitgeteilt hatte, war es ihr gelungen, zumindest die äußere Schicht der Parlidenhaut zu durchdringen. Was sie gefunden hatte, würde alles verändern.

»Ja, das sollte man.« Sie nickte langsam. Dann deutete sie auf den Datenkristall. »Schauen Sie sich die Auswertung an, jetzt.«

Michalew verzog die Mundwinkel abschätzig. Er war kein Mann, der sich etwas befehlen ließ, doch als er Irina in die Augen blickte, gab er sich einen Ruck.

Die Projektoren des seitlich neben dem Tisch stehenden Holotanks erwachten. Das holografische Abbild eines Parlidenkörpers entstand einige Zentimeter über der glatten Oberfläche des tischähnlichen Konstrukts. Daneben wurden Zahlen und Daten eingeblendet.

Noch immer runzelte Michalew die Stirn. Erst als Irina mit dem Finger auf eine spezifische Datenreihe deutete, entgleiste seine Miene. Sie kannte den Admiral seit vielen Jahren, doch niemals hatte sie ihn derart fassungslos erlebt. Sein Gesicht nahm den Farbton rentalianischer Kreide an. »Weiß außer uns beiden irgendjemand hiervon?«

Irina schüttelte schweigend den Kopf.

»Gut.« Michalew taxierte sie mit seinem eisenharten Blick. »Und das wird auch genau so bleiben, Irina. Verstehen Sie, was ich damit sagen will? Niemand wird hiervon erfahren. Nicht einmal die Spezialisten, die sich um den Körper kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass die entsprechende Analyse nicht durchgeführt wird.«

Sie nickte. »Aber was werden Sie unternehmen? Was können Sie tun?«

»Oh, da habe ich bereits genaue Vorstellungen.« Mit einer Geste ließ er das Hologramm erlöschen. »Wir setzen die Wissenschaftler auf eine Lösung des Problems an. Und sobald sie diese gefunden haben, werde ich den Rest der Admiralität einweihen. Nicht vorher.«

Irina beugte ihren Oberkörper nach vorne. »Verwenden Sie es nicht gegen ihn. Versprechen Sie mir das, Admiral.«

Kurz sah es so aus, als wollte Michalew aufbegehren, doch er besann sich eines Besseren und nickte stattdessen.

»Danke.«

Ohne weiter darauf einzugehen, wechselte er das Thema. »Ich habe den Bericht von Captain Cross gelesen. Ehrlich gesagt war ich überrascht. Während die HYPERION unterwegs war, habe ich eigentlich alles vorbereitet, um ihn bei seiner Rückkehr von seiner Position zu entfernen.« Michalew bleckte die Zähne. »Natürlich hätte das Ganze eher wie eine Belobigung gewirkt. Eine Versetzung auf einen ruhigeren, aber völlig nutzlosen Posten. Doch dann kehrt dieser Kerl von seinem ersten Kommando als Held zurück – schon wieder. Und obendrein hat er drei Parlidenschiffe fertiggemacht. Das hat sogar mich beeindruckt. Vielleicht ist er doch der Richtige. Was denken Sie?«

Irina schüttelte den Kopf. »Er ist Idealist. Er wird sich von niemandem instrumentalisieren lassen.«

»Wir werden sehen.« Michalews Augen funkelten. »Mit dem richtigen Angebot kann sich das schnell ändern. Soll er einstweilen zeigen, was er kann. Er ist es möglicherweise doch wert, ein wenig protegiert zu werden. Genau wie diese Tess Kensington. Eine interessante Offizierin. Besiegt mit einem beschädigten Leichten Kreuzer zwei Parlidenschiffe. Das gefällt mir.«

Irina schwieg.

»Was ist mit Noriko Ishida?«, fragte Admiral Michalew.

In diesem Fall ist wohl auch er berechenbar. Sie hatte die Frage schon länger erwartet. »Sie fügt sich ein. Zwischen ihr und Cross wächst ein Band. Die übrigen Besatzungsmitglieder sind ihr gegenüber verschlossen und zurückhaltend. Einige entwickeln dank Ihrer Leute ein zunehmendes Misstrauen gegen die I.O. Aber aktuell sieht es gut für sie aus.«

»Dieses verdammte Miststück.« Michalew schwieg einen Moment. »Aber soll Sie sich ruhig in Sicherheit wiegen. Ich denke mir etwas besonders Nettes für sie aus.«

Irina schloss für einige Sekunden die Augen. Der Hass des Admirals auf die I.O. der HYPERION wuchs immer weiter. Und jeder in ihrem Umfeld wurde ebenfalls davon getroffen. Sjöberg, der Ishida auf die HYPERION versetzt hatte, und auch Cross, falls er sie zukünftig schützen sollte.

»Das wäre es für heute. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Michalew nahm ein Datenpad in die Hand.

Irina nickte kurz, dann stand sie auf und verließ den Raum des Admirals. Unweigerlich verspürte sie das tiefe Bedürfnis, sich gründlich zu waschen.

*

13. Dezember 2265, Leichter Kreuzer PROTECTOR, Frachtraum I

Der Schleier zerstob und FRAKTAL I erwachte. Sofort begannen seine Sensoren die Umgebung abzutasten. Es befand sich auf einem Raumschiff. Allein. Der interne Speicher zeigte an, dass seine Abwehrmechanismen aktiviert worden waren. Das hätte nicht passieren sollen. Seine wahre Macht durfte nicht zu früh enthüllt werden.

Aber warum war es erwacht? Es fand sich kein Wächter in seiner Umgebung.

Plötzlich flimmerte in einiger Entfernung die Luft. Eine Silhouette entstand. Die Sensoren bestätigten, dass eine holografische Verbindung etabliert wurde.

»Ich grüße dich,« erklang kurz darauf eine Stimme. Die visuellen Sensoren bestätigten, dass ein Mensch erschienen war. Ein Wächter.

»Es ist mir gelungen, dich zu bergen«, sagte der Mensch. »Ich bin Legat 2. Die Menschheit wurde aufmerksam, ahnt jedoch noch nichts über die Hintergründe.«

Die Vollendung des Plans war also endlich eingeleitet worden. Die zweite Phase begann, nach all diesen Jahren. »Gab es Schwierigkeiten?«

Legat 2 schüttelte den Kopf. »Dieser Körper war die richtige Wahl. Niemand vermutet in mir etwas anderes als einen loyalen Offizier der Menschheit. Ich gehöre zur Brückencrew des neuesten Schiffes der Solaren Space Navy, der HYPERION. Allerdings wurden die Abtrünnigen aufmerksam. Die Menschen nennen sie Parliden.«

»Sie sind eine Gefahr für den Plan.«

»Nicht mehr lange.« Legat 2 schnitt eine Grimasse. Im Speicher des FRAKTALS wurde es als »Lächeln« beschrieben. »Ich habe Dinge in die Wege geleitet. Die Menschheit hat erstmals weitere Informationen über die Parliden erhalten. Die richtigen Personen sitzen an den richtigen Stellen. Ein Krieg wird kommen.«

Alles verlief genau nach Plan. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit zu diesem Zeitpunkt noch etwas gegen die Vollendung unternehmen konnte, wurde immer unwahrscheinlicher. »Bevor ein Krieg ausgelöst wird, sollten die Menschen weitersuchen. Ich muss vervollständigt werden.«

»Ich werde dafür sorgen.«

»Gut.« Es begab sich wieder in den Schlafmodus. Die Holografie von Legat 2 – dem Wächter – verschwand.

Bald konnte er endgültig erwachen.

Bald.

Ende des 1. Teils

II

Zwischen den Welten

Mars, Sektor 2 des Niemandslands, Forschungsstation des Wissenschaftsrates, 26. Dezember 2265, 07:00 Uhr

Mit einem Surren kam die mobile Scannereinheit zum Stillstand. Die blauen, roten und grünen Strahlen erloschen. Es zischte, dann fuhr das Schott vor Jayden zur Seite. Vorsichtig trat er durch die entstandene Öffnung in den Hauptraum der Forschungsstation. Er musste drei Stufen hinabsteigen, um den Eingangsbereich zu verlassen und wäre beinahe gestolpert, weil sein Blick wie gebannt auf der Menschenmenge vor ihm hing.

Die Weißkittel wuselten überall umher, wie ein Bienenschwarm, der eifrig seiner Königin diente. An zahlreichen Pulten standen Männer und Frauen des Wissenschaftsrates und diskutierten eifrig miteinander, deuteten dabei auf ihre Pads und nickten. Seine Ankunft wurde unkommentiert hingenommen, was ihm auch ganz recht war.

 

Hinter ihm erklang ein Zischen. Das Schott fuhr erneut zur Seite.

»Da wären wir also«, sagte Admiral Sjöberg. Er strich mit den Händen seine Uniformjacke glatt und trat von der Treppe neben Jayden. »Beeindruckend, nicht wahr?«

»Das ist es, Sir. Und das alles wurde innerhalb weniger Tage aus dem Boden gestampft?«

Sjöberg lächelte. Während er seinen Blick schweifen ließ, fuhr er mit seiner rechten Hand gedankenverloren durch seinen Vollbart. Eine Angewohnheit, die Jayden schon öfter beobachtet hatte. »Ab und an ist die Verwaltung doch ganz nützlich. Man muss nur den richtigen Leuten einen geladenen Pulser an die Schläfe halten.«

Jayden lachte. Er mochte den Humor seines Vorgesetzten, dem er das Kommando über die HYPERION verdankte.

In einem Gefecht gegen feindliche Parlidenraumer hatten seine Crew und er mit dem neuen Interlink-Kreuzer nicht nur den Sieg davongetragen, es war ihnen zudem gelungen, ein äußerst gefährliches Artefakt zu bergen. Und genau deshalb stand er heute hier. »Wo ist es?«

»Folgen Sie mir.« Sjöberg wurde wieder ernst.

Sie durchschritten das Meer aus Weißkitteln. Die kreisrunde Halle war vollgestopft mit Monitoren, Konsolen, Messstationen und Holotanks. Insgesamt fünf multidirektionale Lifte führten in die unteren Ebenen. An den Wänden hingen alte Karten des Mars. Anhand der eingezeichneten Grenzen erkannte Jayden, dass es sich um Überbleibsel aus der Zeit der Freeman-Diktatur handelte. Es widerte ihn an, auf dem gleichen Boden zu stehen, auf dem Freemans Massenmörder vor über zwei Jahrhunderten gewandelt waren.

Sjöberg stoppte vor einem der Lifte. Ein bläulicher Strahl schoss aus einer Linse über der Tür und tastete sie beide ab. Mit einem Ping fuhren die Türen zur Seite und gaben den Weg frei, damit sie eintreten konnten.

Der Admiral betätigte das Icon für die unterste Ebene. »Wie Sie wissen, gibt es hier noch mehr als nur eine Forschungsstation aus der Ära Freeman. Zwar wurden längst alle Daten ausgewertet, doch die Marsregierung entschied sich dafür, das Niemandsland als Mahnmal bestehen zu lassen. Hier wird nicht gebaut und die Atmosphärenkuppeln blieben nach dem Krieg zerstört.«

Er hielt einen Moment inne.

»Die alten Forschungsstationen«, er betonte das Wort voller Abscheu, »blieben erhalten. Auch wenn es mir persönlich widerstrebt, es war die naheliegendste Lösung, diese durch die Space Navy zu besetzen. Und durch die Nähe zum Hauptkomplex des Wissenschaftsrates haben wir Zugriff auf die Koryphäen der jeweiligen Fachgebiete.«

»Manchmal heiligt der Zweck eben doch die Mittel«, sagte Jayden. Ließ man die düsteren Emotionen beiseite, mit denen die Räume aufgeladen waren, war die Station letztendlich nur ein verlassenes Bauwerk. Warum sie also nicht benutzen? »Was geschah mit der PROTECTOR?« Er erinnerte sich nur ungern an das Geisterschiff, das, mit Ausnahme von Lieutenant Larik, für die gesamte Crew zum Grab geworden war. Jayden hatte den Leichten Kreuzer zweckentfremdet, um das Artefakt zurück in die Solare Union bringen zu können.

»Sie wird gerade wieder instand gesetzt. In einigen Monaten erhält sie eine neue Crew und kehrt in den aktiven Dienst zurück. Wie ich den Berichten entnommen habe, wurden die Reparaturen an der HYPERION inzwischen ebenfalls beendet. Ihr neues Schiff hat das Bombardement der Parliden relativ gut weggesteckt.«

Jayden nickte. »Trotzdem war es knapp. Für meinen Geschmack zu knapp. Gibt es mittlerweile neue Erkenntnisse über den geborgenen Parliden?«

Im Zuge der Ereignisse war es gelungen, einen lebenden Parliden zu bergen, der sich in Stase befunden hatte. Da die Menschheit bisher trotz eines mehrjährigen Krieges und nachfolgender diplomatischer Bemühungen fast nichts über deren Volk wusste, war das eine einmalige Gelegenheit, mehr über die Parliden herauszufinden.

»Was das Artefakt betrifft, konnte ich rechtzeitig aktiv werden, um die Kontrolle über die Untersuchungen zu übernehmen. Was den Parliden angeht – da war ein anderer schneller.«

»Michalew.« Jayden spuckte den Namen des verhassten Admirals angewidert aus.

Sjöberg nickte.

Der Aufzug kam zum Stehen, die Türen öffneten sich.

Vor Jayden breitete sich eine verkleinerte Version der Haupthalle aus, mit all ihren weißen Kitteln und Geräten. Doch er nahm die Wissenschaftler und Konsolen nur am Rande wahr. Die gesamte Wand gegenüber dem Lift bestand aus transparentem Stahl. Dahinter schwebte das Fraktal, gehalten von unsichtbaren Kräften.

Tess Kensington, die Ortungsoffizierin der HYPERION, hatte das Gebilde als einen Menger-Schwamm in der vierten Iterationsstufe bezeichnet. Ein Würfel, der aus 160 kleineren Würfeln zusammengesetzt war und von würfelartigen Schächten durchzogen wurde. Die Oberfläche bestand aus einem onyxartigen Material.

Als Jayden länger auf das Fraktal blickte, bekam er das Gefühl, von der Schwärze aufgesogen zu werden – er bekam eine Gänsehaut. »Das Ding ist gespenstisch. Wie konnte die Strahlung neutralisiert werden?« Ihm war noch immer nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieses Ding auf dem Mars untersucht wurde. Immerhin hatte es die Macht, einen kompletten Planeten zu entvölkern.

»Unsere Wissenschaftler haben verschiedene Schilde in Reihe geschaltet, aber das stand ja bereits in dem Bericht, den ich an Sie weitergeleitet habe. Anscheinend war es notwendig, die Strahlenwellen – in einfachen Worten formuliert – zu brechen.«

»Ich hoffe, bei dem Versuch kam es nicht zu weiteren Opfern.«

»Nein.« Der Admiral schüttelte den Kopf. »Es ist kaum zu glauben, dass ein Würfel von 30 Metern Kantenlänge eine komplette Planetenbevölkerung auslöscht. Von der Besatzung des Parlidenkreuzers und der PROTECTOR gar nicht zu reden.«

»Was immer das Ding auch ist, es stellt eine immense Gefahr dar.« Jayden wandte den Blick von der Schwärze ab. »Einige meiner Offiziere empfahlen die Vernichtung des Würfels. Ich bin nicht sicher, ob es eine gute Idee war, ihn mit hierherzubringen.«

»Wir haben ihn unter Kontrolle. Das ist alles, was zählt«, erklang eine Stimme. Ein gedrungener Mann schob sich und seinen beachtlichen Bauchumfang auf Jayden zu. Ein seltener Anblick in Zeiten von Gen-Skulpturierung und Nano-Korrekturen. »Sie haben eine Menge Opfer für die Wissenschaft gebracht, lassen Sie diese nicht wegen kreatürlicher Angst umsonst gewesen sein. Sie trafen die richtige Entscheidung, Captain Cross.« Das schlohweiße Haar des Mannes stand verstrubbelt in alle Richtungen ab, was ihm das Aussehen eines verrückten Genies verlieh.

»Und Sie sind … ?«, fragte Jayden.

»Darf ich vorstellen«, Sjöberg deutete auf den Wissenschaftler, »Doktor von Ardenne. Er ist der Leiter des Fraktal-Projekts.«

Jayden schüttelte die Hand des Mannes. »Freut mich, Doktor. Ich hoffe, Sie können diesem Ding einige seiner Geheimnisse entlocken. Vorzugsweise, ohne dass weitere Opfer für die Wissenschaft gebracht werden müssen.«

Sein Gegenüber runzelte ob der provokanten Formulierung Jaydens die Stirn, verzichtete jedoch auf einen Disput. »Wir tun alles Notwendige, um Schaden von der Solaren Union abzuhalten. Opfer wird es bei solch gefährlichen Experimenten, wie wir sie durchführen, immer geben. Doch ich versichere Ihnen, Captain Cross: Wir wissen, was wir tun.«

»Daran habe ich keinen Zweifel.« Jayden warf Admiral Sjöberg einen durchdringenden Blick zu. Was er von dem Doktor hielt, sprach er lieber nicht laut aus. »Immerhin spielen sie hier mit einer Macht, die wir nicht einmal im Ansatz begreifen.«

»Gibt es denn schon weitere Erkenntnisse, Doktor?« Der Admiral räusperte sich. »Ich denke, das wäre jetzt das Wichtigste.«

»In der Tat haben wir etwas entdeckt, das Grund zur Sorge gibt.« Von Ardenne ging zu dem Holotank in der Mitte des Raumes und projizierte ein Abbild des Würfels. »Es gibt an zwei Seiten des Fraktals so etwas wie Kontaktstellen. In diesen Bereichen konnten wir diverse Verschiebungen in zwei Strahlenspektren ausmachen. Zudem gibt es mikroskopisch kleine Bruchstellen; Haarrisse, wenn Sie so wollen.«

»Sie glauben, dort wurden Teile des Artefakts entfernt?«

»Es ist nur eine Hypothese«, versicherte von Ardenne schnell. »Aber eine wahrscheinliche. Wir müssen damit rechnen …«

»Doktor!« Einer der Laborassistenten stürzte heran. »Die Strahlungswerte steigen!«

»Was?!« Von Ardenne fuhr herum und hetzte zu einer der Konsolen. »Das ist unmöglich!«

»Was ist los?«, fragte Admiral Sjöberg. »Von Ardenne, geben Sie mir einen Statusbericht!«

Als der Wissenschaftler nicht reagierte, fluchte Jayden lautlos. Zivilisten in einer militärischen Forschungseinrichtung machten nur Ärger.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ von Ardenne sich endlich zu einer Antwort bewegen. »Die elektromagnetische Strahlung des Fraktals steigt an. Es erwärmt sich und emittiert mittlerweile das Doppelte an ultravioletter Strahlung – Tendenz steigend. Und wenn ich das richtig deute … Unfassbar!«

»Von Ardenne!« Sjöberg stand scheinbar kurz davor, den Mann am Kragen zu packen und durchzuschütteln.

»Phasenstrahlung!« Der Wissenschaftler blickte von seiner Konsole auf. »Das Ding sendet Daten auf dem untersten Phasenband.«

Jayden riss überrascht die Augen auf. Mit Ausnahme der HYPERION verwendeten alle Schiffe der Solaren Union – und der bekannten außerirdischen Rassen – den Phasenraum zur überlichtschnellen Raumfahrt. Zudem gab es innerhalb der Union eine Phasenfunk-Relaiskette, über welche die Kommunikation stattfand.

»Was für Daten?« Die Stimme von Admiral Sjöberg klang beunruhigt.

»Eine ausgezeichnete Frage, auf die ich auch gerne eine Antwort hätte«, erwiderte von Ardenne. »Es sind kleine Datenpakete, aber ihr Inhalt ergibt keinen Sinn. Vermutlich sind sie verschlüsselt.«

Ein Flackern ließ Jayden herumfahren. Innerhalb der Artefaktkammer flammten blaue Überschlagblitze auf. Energien, ausgestoßen vom Fraktal, traten in Wechselwirkung mit den umgebenden Schilden. Erste Risse entstanden.

»Wir müssen evakuieren!« Doktor von Ardenne kreischte beinahe. Zweifellos war er nicht dazu bereit, sein eigenes Leben für die Wissenschaft zu opfern.

Jayden schüttelte den Kopf. Zu spät.

Das Fraktal leuchtete grell auf. Eine Welle aus schwarzem Licht floss in den Raum, umfing Jaydens Geist mit der Kraft einer Stahlklaue und löschte die Wirklichkeit aus.

*