Handbuch Medizinrecht

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Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass die Auswahlkriterien, wie sie in § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V aufgeführt werden, nicht abschließend sind.[413] Das BSG geht weiter davon aus, dass auch die Versorgungskontinuität ein Kriterium ist, das bei der Auswahlentscheidung eine Rolle spielen kann. Auch die Wünsche des abgebenden Arztes sind von erheblichem[414] Gewicht; dies gilt jedenfalls dann, wenn bei gleicher Eignung ein Bewerber ausgewählt werden muss. In diesem Fall ist es zulässig, den Arzt auszuwählen, der sich mit dem abgebenden Arzt bereits geeinigt hat.[415] Diesem Gedanken, der sich weniger aus Rechtsgründen, vielmehr aus rein praktischen Überlegungen ergibt, ist der Vorzug einzuräumen. Zwar könnte ansonsten öffentlich-rechtlich möglicherweise eine Nachbesetzung durchgeführt werden, zivilrechtlich jedoch der erforderliche Praxiskaufvertrag nicht umgesetzt werden. Dies hätte zur Konsequenz, dass das gesamte Abgabeverfahren scheitern und die Praxis nicht nachbesetzt werden könnte. Die Berücksichtigung der Wünsche des abgebenden Arztes führen jedoch nicht dazu, dass er vollumfänglich das Verfahren in der Hand hätte. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, bis wann der Ausschreibungsantrag[416] zurückgenommen werden kann. Mit der Instanz-Rechtsprechung[417] ist davon auszugehen, dass die Rücknahme des Ausschreibungsantrages nur bis zum Tag der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses, nicht jedoch zum Zeitpunkt der Zustellung des schriftlichen Bescheides möglich ist. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Entscheidungsrechte des Zulassungsausschusses durch die willkürliche Rücknahme des Ausschreibungsantrages unterlaufen wird, was der Konzeption des § 103 Abs. 4 SGB V widersprechen würde. Dieser Auffassung hat sich das BSG[418] nicht angeschlossen, es geht vielmehr davon aus, der Antrag auf Ausschreibung könne noch bis zur Bestandskraft der Auswahlentscheidung zurückgenommen werden.

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Speziell für die Nachbesetzung innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft wird unter Beachtung von § 103 Abs. 6 SGB V dem Verbleibenden ehemaligen Gesellschafter der Berufsausübungsgemeinschaft eine besondere Position zugeordnet,[419] dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine örtliche oder überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft handelt.[420] Voraussetzung ist, dass die Berufsausübungsgemeinschaft noch zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung besteht.[421] § 103 Abs. 6 SGB V spricht nur davon, dass die verbleibenden Partner der Berufsausübungsgemeinschaft bei der Auswahl des Nachfolgers berücksichtigt werden müssen. Während die bisherige Rechtsprechung das BSG den Eindruck erweckt hatte, dass die verbleibenden Partner der Berufsausübungsgemeinschaft eine durchschlagende Stellung bei der Auswahl des Nachfolgers haben, wurde dieses durch die Entscheidung vom 11.12.2013[422] relativiert. In dieser Entscheidung wurde zwar zunächst die Frage des unzulässigen Gestaltungsmissbrauchs bei der Bildung einer – überörtlichen – Berufsausübungsgemeinschaft verneint,[423] jedoch wurde weiter darauf hingewiesen, dass es im Einzelfall nicht zwingend sein muss, den Wunsch der verbleibenden Partner der Berufsausübungsgemeinschaft als durchgreifend anzusehen; schließlich spricht § 103 Abs. 6 SGB V nur von „berücksichtigen“ und deshalb kein Automatismus bei der Nachbesetzung greift. Hier ist in einem Abwägungsprozess zwischen den Bewerbern, die nicht zwingend in die Berufsausübungsgemeinschaft aufgenommen werden sollen, und den Interessen der verbleibenden Gesellschafter vorzunehmen; je umfangreicher die Zusammenarbeit der verbleibenden Gesellschafter der Berufsausübungsgemeinschaft war, desto mehr sind deren Interessen auch zu berücksichtigen. Hierauf aufbauend wurde in einer späteren Entscheidung[424] darauf hingewiesen, dass es jedenfalls erforderlich sei, dass der Bewerber bereit ist, in die Berufsausübungsgemeinschaft einzutreten. In diesem Fall wäre noch eine Auswahlentscheidung zwischen dem von den verbleibenden Gesellschaftern der Berufsausübungsgemeinschaft „gewünschten“ Nachfolger und den übrigen Bewerbern zu treffen.

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Es ist auch als zulässig anzusehen, sich innerhalb eines Vertrages über die Berufsausübungsgemeinschaft zu verpflichten, den Vertragsarztsitz auszuschreiben, wenn der Partner aus der Berufsausübungsgemeinschaft ausscheidet;[425] daher kann im Rahmen einer Vollmacht das Recht auf Ausschreibung auf die verbleibenden Gesellschafter der Berufsausübungsgemeinschaft übertragen werden. Die verbleibenden Partner der Berufsausübungsgemeinschaft haben die Möglichkeit der Ablehnung des Bewerbers, so dass eine Nachbesetzung nicht möglich ist. Gleiches gilt, wenn der Bewerber nicht bereit ist, in die Berufsausübungsgemeinschaft einzutreten.[426] Innerhalb des Nachbesetzungsverfahrens besteht nicht die Möglichkeit der Prüfung, ob überhaupt inhaltlich eine Berufsausübungsgemeinschaft bestanden hat.[427]

4. Verfahrensrechtliches

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Grundsätzlich kann der Antrag auf Ausschreibung zurück genommen werden (zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt dieses geschehen kann, vgl. Rn. 703). Diese Antragsrücknahme hat für die Praxis erhebliche Konsequenzen. In der Rechtsprechung[428] ist anerkannt, dass die Rücknahme des Antrags auf Ausschreibung dazu führt, dass ein erneuter Antrag nur dann als zulässig angesehen werden kann, wenn der Arzt ein berechtigtes Interesse für die Rücknahme und die erneute Antragsstellung darlegen kann. Diese Darlegungspflichten sind nicht zum Zeitpunkt der Antragsrücknahme zu erfüllen und gegebenenfalls auch zu beweisen, sondern im Zeitpunkt der erneuten Ausschreibung. Innerhalb des Nachbesetzungsverfahrens besteht ein umfassendes Akteneinsichtsrecht[429] nach § 25 SGB X, das auch den Anspruch beinhaltet, in die Unterlagen der Mitbewerber Einsicht zu nehmen. Ob dies auch für die Akten der KV gilt,[430] ist fraglich, weil es sich bei der KV um eine eigenständige Behörde im Verhältnis zu den Zulassungsgremien handelt, die lediglich Verfahrensbeteiligte, nicht jedoch die das Verfahren führende Behörde ist. Dem kann nicht entgegengehalten werden, es lägen schutzwürdige Interessen rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art der Konkurrenten vor. Für einen effektiven Rechtschutz in der Ausübung eines ausreichenden rechtlichen Gehörs ist es erforderlich, sämtliche Verträge des abgebenden Arztes mit den Konkurrenten zu kennen.[431]

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Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass im Nachbesetzungsverfahren in einer einheitlichen Entscheidung zu treffen ist, die in der Bestimmung des Nachfolgers endet.[432] Bei einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren steht ausschließlich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung im Raum, das Gericht entscheidet mithin nicht über die Frage, ob im Falle der Aufhebung der Auswahlentscheidung ein anderer Bewerber der richtige Kandidat ist. Diese Entscheidung hat ausschließlich der Zulassungsausschuss bzw. der Berufungsausschuss zu treffen; daher ist immer ein Bescheidungsantrag zu stellen.[433]

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Auch ist daran zu denken, dass spätestens bei der Entscheidung des Berufungsausschusses innerhalb eines Drittwiderspruchsverfahrens der Antrag gestellt wird, die Entscheidung des Berufungsausschusses für sofort vollziehbar zu erklären. Zutreffend weist im Übrigen das SG Marburg[434] darauf hin, bei einer offenen Rechtslage im Rahmen der Interessenabwägung könne es grundsätzlich sachgerecht sein, wenn dem ausgewählten Praxisnachfolger die sofortige Aufnahme der Tätigkeit durch Anordnung der sofortigen Vollziehung zu ermöglichen. Denn dem im Drittwiderspruchsverfahren Unterlegenen würde auch durch die Gewährung der aufschiebenden Wirkung keine verbesserte Rechtsposition eingeräumt.

8. Kapitel Vertragsarztrecht › G. Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung › XI. Kooperative Praxisformen

XI. Kooperative Praxisformen

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Gerade bei den kooperativen Praxisformen tauchen Fragen der Abgrenzung zwischen ärztlichem Berufsrecht und vertragsarztrechtlichen Vorschriften auf. In der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG ist dies noch nicht abschließend geklärt, wobei davon ausgegangen werden muss, dass vertragsarztrechtliche Abweichungen als zulässig angesehen werden.[435] Dies wird in aller Regel damit begründet, dass es zulässig sein soll, von den berufsrechtlichen Vorschriften abzuweichen, soweit es unter Berücksichtigung der Besonderheiten der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich ist. Ob dieser Ansatz immer so sachgerecht ist, erscheint mehr als fraglich, denn ob die Besonderheiten der vertragsärztlichen Versorgung tatsächlich eine Abweichung vom ärztlichen Berufsrecht erforderlich machen, ist häufig eine ergebnisorientierte Betrachtungsweise. Daher sollte man aus praktischen Gründen wieder auf den Grundsatz zurückkehren, das Vertragsarztrecht baut auf dem ärztlichen Berufsrecht auf, ohne Ausnahmen zuzulassen.

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Inhaltlich ist bezüglich der kooperativen Formen zwischen der Praxisgemeinschaft, der Berufsausübungsgemeinschaft sowie der Teilberufsausübungsgemeinschaft zu differenzieren.[436]

1. Praxisgemeinschaft

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Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen – in der Regel jederzeit austauschbaren – ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Es handelt sich hierbei i.S.v. § 33 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV vielmehr um eine gemeinsame Nutzung von Praxisräumen, -einrichtungen sowie der gemeinsamen Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Ziel, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sächlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen.[437] Daraus ergibt sich, dass bei einer Praxisgemeinschaft beide Ärzte eigenständig bleiben im Verhältnis zur KV. Die Praxisgemeinschaft muss nicht durch die Zulassungsgremien genehmigt werden, hier genügt die Anzeige gegenüber KV nach § 33 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV.

 

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Eine besondere (Unter-)Form der Praxisgemeinschaft ist die Apparategemeinschaft.[438] Sie wird betrieben, um einerseits gemeinschaftlich angeschaffte Geräte zur umfassenden Diagnostik und Therapie wirtschaftlich zu nutzen, andererseits um den Patienten eine effektivere Behandlung ohne weitere Wege und Wartezeiten anzubieten.[439] Unter Beachtung von § 15 Abs. 3 BMV-Ä ist es möglich, bei gerätebezogenen Leistungen nichtärztliche Mitarbeiter, die in der Apparategemeinschaft angestellt sind, für die Leistungserbringung einzusetzen und die Leistungen dann gegenüber der KV abzurechnen.[440]

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Die Laborgemeinschaften,[441] die ihre gesetzliche Grundlage in § 105 Abs. 2 SGB V finden können, haben ihre weitere Rechtsgrundlage in § 25 BMV-Ä. Hierbei handelt es sich um eine Sonderform der Apparategemeinschaft,[442] die dazu dient, laboratoriumsmedizinische Analysen des Kap. 32.2 EBM regelmäßig in derselben gemeinschaftlich genutzten Betriebsstätte zu erbringen.

2. Berufsausübungsgemeinschaft

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Die Berufsausübungsgemeinschaft wird definiert in § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV. Hierbei handelt es sich um die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit unter allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern, sei es in örtlicher, überörtlicher Form oder in der Gestalt der fachgleichen, fachübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft oder in der Ausgestaltung als Teilberufsausübungsgemeinschaft.[443] Der Begriff der Berufsausübungsgemeinschaft hat in Angleichung an die berufsrechtlichen Vorschriften den Begriff der Gemeinschaftspraxis abgelöst.[444] Umstritten ist in diesem Zusammenhang jedoch der Umfang der gemeinsamen Tätigkeit; ob es notwendig ist, dass ein Wille zur gemeinsamen Berufsausübung, ein gemeinsamer Patientenstamm und ähnliches vorliegt oder ob es ausreichend ist, wenn nur eine Förderung des Gesellschaftszwecks, ein gemeinsamer Außenauftritt aller Gesellschafter vorliegt.[445] Die Berufsausübungsgemeinschaft stellt einen besonderen vertragsärztlichen Status dar,[446] der zur Berechtigung der Tätigkeit nur in einer Berufsausübungsgemeinschaft führt, so dass eine Berufsausübungsgemeinschaft innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft unzulässig bleibt.[447] Gleichfalls handelt es sich bei der Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft um einen statusbegründenden Verwaltungsakt, den der Zulassungsausschuss erlässt (§ 33 Abs. 3 S. 1 Ärzte-ZV; § 15a Abs. 4 S. 1 BMV-Ä). Er kann weder rückwirkend erteilt[448] noch von Konkurrenten angefochten werden.[449] Gleiches gilt auch für die Auflösung einer Berufsausübungsgemeinschaft, auf der anderen Seite ist es nicht zulässig, die Beendigung der Berufsausübungsgemeinschaft zwingend auf des Ende des Quartals zu legen.[450]

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Es ist zulässig, auf die gesamte Rechtsprechung zur Gemeinschaftspraxis zurückzugreifen. Die Definition der Berufsausübungsgemeinschaft in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Gemeinschaftspraxis ist dadurch gekennzeichnet, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten, die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung im Vordergrund steht; hierfür wird gemeinsam die Praxiseinrichtung genutzt sowie gemeinschaftlich Personal beschäftigt. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmeerzielung.[451] Aus dieser Definition wird auch deutlich, dass eine fachübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft dem Grunde nach zulässig ist,[452] dabei ist bei dieser die jeweilige Leistungserbringung des einzelnen Arztes durch Angabe der lebenslangen Arztnummer zu kennzeichnen (§ 44 Abs. 7 BMV-Ä). Diese Kennzeichnungspflicht dient der Überprüfung, ob sich der Vertragsarzt an seine berufsrechtliche Beschränkung, sich auf sein Fachgebiet zu beschränken, erfüllt. Des Weiteren kann dadurch auch selbst geprüft werden, ob der Vertragsarzt im Rahmen der Plausibilitätskontrolle seine Tätigkeitszeiten überschreitet. Im Übrigen kann damit auch gleichzeitig mit geklärt werden, ob der Arzt, der die Leistung erbringt, auch für die Leistungserbringung eine entsprechende Genehmigung innehat.

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Bei einer Berufsausübungsgemeinschaft ist ein schriftlicher Vertrag erforderlich, der den Zulassungsgremien zur Prüfung vorgelegt werden muss.[453] Auch wird man den Zulassungsgremien ein Prüfungsrecht des Vertrages (zur Vertragsgestaltung ausführlich Kap. 17) in einem gewissen Umfang nicht absprechen können. Dabei ist das Prüfungsrecht der Zulassungsgremien begrenzt, soweit tatsächlich vertragsarztrechtliche Versagungsgründe für die Berufsausübungsgemeinschaft vorliegen.[454] Dies ist anhand der Kriterien der Rechtsprechung des BSG in seinem Urteil vom 23.6.2010[455] zu prüfen. Das BSG geht von der Erforderlichkeit aus, dass die Partner der Berufsausübungsgemeinschaft ein wirtschaftliches Risiko zu tragen hat. Daher ist die Zahlung eines „Festgehaltes“ unzulässig. Damit haben die Zulassungsgremien nicht das Recht, eine vertiefte Vertragsprüfung vorzunehmen, insbesondere ist eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Verträge unzulässig. Inhaltlich ist dabei das Vorliegen eines unternehmerischen Risikos und auch Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen zu verlangen. In einer Phase der Erprobung ist es jedoch nicht erforderlich, wenn eine volle Beteiligung am Unternehmen vorliegt.

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Die Rechtsstellung der Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft ist vertragsarztrechtlich genauso wie bei jedem einzelnen Vertragsarzt auch, er hat mithin die Berechtigung, Assistenten oder Vertreter zu beschäftigen oder sich die Anstellung von Ärzten genehmigen zu lassen.

a) Örtliche Berufsausübungsgemeinschaft

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Die örtliche Berufsausübungsgemeinschaft ist nach der Legaldefinition in § 33 Abs. 2 S. 1 Ärzte-ZV eine Berufsausübungsgemeinschaft, die an einem gemeinsamen Vertragsarztsitz tätig ist. Sie entspricht exakt der herkömmlichen Gemeinschaftspraxis, wobei aufgrund einer nach der Rechtslage vor dem VÄndG fragwürdigen Entscheidung des SG Nürnberg[456] auch eine intraurbane Berufsausübungsgemeinschaft als zulässig angesehen wurde.

b) Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft

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Die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft war vor dem Inkrafttreten des VÄndG im Regelfall unzulässig, zulässig war sie lediglich bei Ärzten mit einem nicht unmittelbar patientenbezogenen Fachgebietsinhalt (z.B. Laborärzte, Pathologen).[457] Ferner war es generell unzulässig, eine Berufsausübungsgemeinschaft über die Grenzen des KV-Bezirks zu betreiben.[458] Innerhalb des Genehmigungsverfahrens können Auflagen erteilt werden, wenn dies zur Sicherung der Anforderungen nach § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV erforderlich ist (§ 33 Abs. 3 S. 5 Ärzte-ZV). Eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zwischen Medizinischen Versorgungszentren ist nur zulässig, wenn sich zwei selbstständige Medizinische Versorgungszentren nach § 15c BMV-Ä zusammenschließen.[459]

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In § 33 Abs. 3 S. 2 Ärzte-ZV ist für die überörtliche innerhalb eines Zulassungsbezirks liegende Berufsausübungsgemeinschaft keine besondere Regelung getroffen worden. Daher verbleibt es bei dem für den Bezirk zuständigen Zulassungsausschuss. Werden jedoch mehrere Zulassungsbezirke des Bereichs einer KV angesprochen, so ist eine Vereinbarung zwischen der KV, den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen zu schließen, in dem der zuständige Zulassungsausschuss bestimmt wird. In diesem Zusammenhang ist § 15a Abs. 4 S. 4 BMV-Ä zu beachten, wonach auch bei dieser Form der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft die Vertragsparteien einen Vertragsarztsitz als Betriebsstätte zu bestimmen haben. Die Wahlentscheidung ist nach § 15a Abs. 4 S. 5 BMV-Ä für die Dauer von zwei Jahren verbindlich und kann nur zum Beginn eines Quartals getroffen werden (§ 15a Abs. 4 S. 6 BMV-Ä). Wird von der Berufsausübungsgemeinschaft keine Entscheidung getroffen, so wird die Betriebsstätte durch die KV nach § 15a Abs. 4 S. 7 BMV-Ä bestimmt. Durch diese Regelung lässt sich für den Vertrag nach § 33 Abs. 3 S. 2 Ärzte-ZV relativ einfach bestimmen, welcher Zulassungsausschuss zuständig ist, nämlich der, in dem die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft ihre Betriebsstätte hat.

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Für die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft, die über KV-Grenzen hinweggeht, bestimmt § 33 Abs. 3 S. 3 Ärzte-ZV, dass die Gesellschaft die Verpflichtung hat, den Vertragsarztsitz zu wählen, der maßgeblich für die Genehmigungsentscheidung ist. Diese Wahlentscheidung ist für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren zu treffen (§ 33 Abs. 3 S. 4 Ärzte-ZV), bei der die KV keinerlei Einflussmöglichkeiten hat.[460] Durch diese Entscheidung wird der gewählte Ort der Hauptsitz der KV-bereichsüberschreitenden Berufsausübungsgemeinschaft (§ 15b BMV-Ä). Auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird, kann eine entsprechende Entscheidung nur auf das Quartal bezogen getroffen werden. Dies ergibt sich aus der Tatsache, wonach aufgrund der Wahlentscheidung des Vertragsarztsitzes nach der Vorstellung der Ärzte-ZV das gesamte ortsgebundene Recht zur Anwendung gelangt, insbesondere die Vorschriften zur Vergütung, zur Abrechnung sowie zu den Abrechnungs-, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen.

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In diesem Zusammenhang ist § 75 Abs. 7 S. 3 SGB V zu beachten, wonach in der Richtlinie nach § 75 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 SGB V durch die KBV auch Regelungen über die Abrechnungs-, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung sowie über Verfahren bei Disziplinarangelegenheiten bei überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften, die Mitglieder in mehreren KV-Bereichen sind, zu treffen sind, soweit es nicht in den Bundesmantelverträgen geregelt wurde. Die KBV hat von dieser Regelungsberechtigung Gebrauch gemacht.[461] Dort wurde für die überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften aber auch für die KV-bereichsübergreifenden Zweigpraxen Regelungen getroffen (§ 1 KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie). In § 2 KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie ist vorgesehen, dass das anwendbare Recht für den Bereich der Vergütung und der Prüfung sowie der Leistung selbst sich immer nach dem Ort der Leistungserbringung richtet, es wird von der KV des Ortes der Leistungserbringung geprüft, und auch von der jeweiligen KV ein eigener Honorarbescheid erteilt, mit der Konsequenz, eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft erhält eine Vielzahl von Honorarbescheiden. Innerhalb der Wirtschaftlichkeitsprüfung bestimmt § 7 Abs. 1 i.V.m. § 3 Nr. 2 KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie, dass der Prüfungsausschuss zuständig ist, wo der Sitz der Berufsausübungsgemeinschaft ist. Dies wird jedoch über Abs. 2 in der Form wieder relativiert, wonach bei der Auffälligkeitsprüfung nach § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V wieder der Ort der Leistungserbringung für die Zuständigkeit des Prüfungsausschusses gewählt wird; für die Zufälligkeitsprüfung bleibt es bei dem Sitz der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Innerhalb der Qualitätssicherung muss aufgrund von § 8 KV-übergreifende Berufausübungs-Richtlinie wieder für jede Betriebsstätte bzw. Nebenbetriebsstätte eine eigenständige Genehmigung der örtlich zuständigen KV eingeholt werden; Gleiches gilt für die Qualitätsprüfung. Für das Disziplinarverfahren gilt wieder die Zuständigkeit aus § 3 Nr. 2 KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie, sofern es sich um eine Pflichtverletzung durch die Berufsausübungsgemeinschaft als solche handelt (§ 9 KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie).

 

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Es stellt sich die Frage, ob diese differenzierten Regelungen mit mit höherrangigem Recht in Einklang zu bringen ist. Bedenken ergeben sich aus der bereits oben angesprochenen Regelung in § 33 Abs. 3 S. 3 Ärzte-ZV, die eine andere Regelungsstruktur vorsieht, das jeweilige KV-Recht richtet sich nach dem Sitz[462] der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft. Die KV-übergreifende Berufsausübungs-Richtlinie beruft sich nicht auf § 33 Ärzte-ZV, sondern auf § 75 Abs. 7 S. 3 SGB V, so dass sich daraus eine formale Legitimation für die Richtlinie herleiten lässt. Zu berücksichtigen ist das Normengefüge als solches. Die Richtlinie steht der Struktur nach unterhalb einer Rechtsverordnung und damit auch unterhalb der Ärzte-ZV, so dass sie die dortigen Vorschriften zu beachten hat. Dies ist hier nicht geschehen, so dass wegen eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 3 S. 3 Ärzte-ZV erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der KV-übergreifenden Berufsausübungs-Richtlinie bestehen.[463] Sachlich, nicht jedoch rechtlich gerechtfertigt ist die Anwendung bei einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft für die Sicherstellung der Versorgung in sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst) i.S.v. § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V[464], weil gerade in diesem Bereich sehr unterschiedliche Regelungen existieren, um die Versorgung sicher zu stellen und deswegen die jeweiligen Ärzte an ihrem Vertragsarztsitz für die Sicherstellung entsprechend der dort existierenden Regelungen eingeteilt werden müssen.

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Innerhalb der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft besteht die Möglichkeit, an den jeweiligen Standorten dieser Gemeinschaft tätig zu werden, ohne dass es dazu einer Genehmigung bedarf. Daher sehen § 15a Abs. 4 S. 1 BMV-Ä vor, dass die Sprechstundenzeiten der § 17 Abs. 1a BMV-Ä einzuhalten sind, insbesondere ist zu gewährleisten, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit am Vertragsarztsitz des einzelnen Arztes bleibt. Um dieses Ziel zu erreichen, kann die KV nach § 15a Abs. 4 S. 9 BMV-Ä Nachweise hierfür verlangen oder auch Auflagen zum Zwecke des Einhaltens dieser Regelung erteilen.