Handbuch Medizinrecht

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1. Entscheidung über die Ausschreibung

683

Auf Grund der Einführung des § 103 Abs. 3a SGB V durch das GKV-VStG ist das Verfahren noch komplexer geworden. Der Antrag auf Nachbesetzung ist vor der Ausschreibung durch die KV beim Zulassungsausschuss zu stellen. Dieser hat zunächst die Entscheidung zu treffen, ob und inwieweit überhaupt ein Nachbesetzungsverfahren stattzufinden hat. Der Zulassungsausschuss kann gemäß § 103 Abs. 3a SGB V den Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahren ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist und ein Privilegierungstatbestand nicht greift. Dies gilt nach § 103 Abs. 3a S. 2 SGB V auch für den Verzicht auf die Hälfte oder eines Viertels der Zulassung. Des Weiteren sieht § 103 Abs. 3a S. 7 i.V.m. Abs. 1 S. 3 SGB V die regelmäßige Pflicht – „soll“ – für den Zulassungsausschuss vor, den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens abzulehnen, sofern eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist; dies gilt zumindest dann wenn der Versorgungsgrad bei 140 % und mehr liegt. Durch die Formulierung „soll“ gilt der Grundsatz, dass im Regelfall die Nachbesetzung abgelehnt werden muss, in Ausnahmefällen davon abgewichen werden kann. Dieses „scharfe Schwert“ wird dadurch relativiert, dass der Begriff der Versorgungsnotwendigkeit als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum zusätzlich der gerichtlich nur eingeschränkten Überprüfung unterliegt.

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Diese Regelung enthält sowohl eine Ermessensregelung als auch einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum.[369] Das Ermessen ergibt sich aus der Formulierung „kann“, auf Grund dessen nach pflichtgemäßem Ermessen die Entscheidung zu treffen ist, ob das Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden soll oder nicht. Diese Ermessensentscheidung ist innerhalb des Bescheides über die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens – es handelt sich noch nicht um die Entscheidung der Nachbesetzung – unter Beachtung von § 35 SGB X ordnungsgemäß zu begründen. Hier ist eine Abwägung des Für und Wider der Nachbesetzung durchzuführen und im Bescheid festzuhalten.

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Der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum ergibt sich aus der Frage, ob der Vertragsarztsitz „aus Versorgungsgründen erforderlich“ ist oder nicht. Bei der Prüfung der Versorgungsgründe ist es nicht notwendig, dass ein zwingender Bedarf des Vertragsarztsitzes festgestellt wird, vielmehr ist die negative Feststellung der Erforderlichkeit ausreichend, um ein Nachbesetzungsverfahren abzulehnen.[370] Es ist eine umfassende Prüfung der Versorgung im Planungsbereich durchzuführen;[371] hierbei sind auch die besonderen Versorgungsgesichtspunkte der in Anspruch genommenen Diagnostik und Therapie, die Günstigkeit der Lage der Praxis, die Kooperation mit anderen Praxen zum Nutzen der Patienten, die Fallzahl der Praxis berücksichtigungsfähig.[372] Ist die Fallzahl extrem niedrig, könnte dies durchaus dafür sprechen, an der Notwendigkeit des Bestandes dieser Praxis zu zweifeln. Aber nicht nur die Praxis selbst ist in die Beurteilung mit einzubeziehen, vielmehr ist auch das räumliche Umfeld bzw. das Einzugsgebiet der Arztpraxis mit zu beachten, denn auch eine kleine Praxis kann aus Versorgungsgründen notwendig sein, wenn in größeren Planungsbereichen dies der letzte fachärztliche Leistungserbringer ist. Daher muss auch das gesamte Umfeld bei der Leistungserbringung mit beachtet werden. Erst auf Grundlage dieser umfassenden Erwägungen der Versorgungsnotwendigkeit der abzugebenden Praxis, kann überhaupt die Entscheidung getroffen werden, ob noch ein Versorgungsbedarf mit oder ohne die nachzubesetzenden Praxis besteht.[373] Daher hat das SG Nürnberg auch zutreffend darauf hingewiesen, dass das Vorliegen einer Überversorgung nicht als Argument ausreichend ist, die Versorgungsnotwendigkeit zu verneinen.[374] Erst in den Fällen, in denen die Versorgungserforderlichkeit der Praxis verneint wird, greifen überhaupt die Ermessenserwägungen bei der Ausfüllung des Wortes „kann“. Im Ergebnis ist auf Grund der paritätischen Besetzung des Zulassungsausschusses die Entscheidung nur eingeschränkt justiziabel.

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Auf diese gesamten Überlegungen der Versorgungsnotwendigkeit bzw. der Ermessensentscheidung kommt es nicht an, sofern die Praxis von einem Nachfolger fortgeführt werden soll, der unter die Privilegierungstatbestände aus § 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 SGB V fällt. Dieser privilegierte Personenkreis betrifft


Ärzte, die mindestens 5 Jahre lang ihre vertragsärztliche Tätigkeit in einem Gebiet ausgeübt haben, in denen der Landesausschuss das Bestehen von Unterversorgung festgestellt hat (§ 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 1. Alt. SGB V i.V.m. § 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 4 SGB V),
Ärzte sind, die sich als Ehegatte, Lebenspartner oder als Kind des ausschreibenden Vertragsarztes darauf bewerben könnten (§ 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 1. Alt. SGB V i.V.m. § 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 5 SGB V),
Ärzte, die als Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes waren oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde (§ 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 1. Alt. i.V.m. § 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 6 SGB V – dies gilt insbesondere für Job-Sharing-Partner/-Angestellte),
Ärzte, die bereit sind, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereiches zu verlegen, in dem nach Mitteilung der KV auf Grund einer zu geringen Ärztedichte ein Versorgungsbedarf besteht (§ 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 2. Alt. SGB V) sowie
Ärzte die im Rahmen des Nachbesetzungsverfahren Festlegungen bezüglich des Nachfolgers nach § 101 Abs. 1 S. 8 SGB V verfolgt werden soll (§ 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 3. Alt. SGB V). Hierbei handelt es sich um eine Privilegierung auf Grund der Tatbestände in § 12 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie (Nervenärzte, Neurologen, Psychiater) bzw. § 13 Abs. 6 Bedarfsplanungs-Richtlinie (fachärztliche Internisten).

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Handelt es sich um einen solchen privilegierten möglichen Nachfolger, ist zwingend das Nachbesetzungsverfahren i.S.d. Ausschreibung des Vertragsarztsitzes zu beginnen. Dabei stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Privilegierung zu stellen sind, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Zulassungsausschusses, ob ein Nachbesetzungsverfahren stattzufinden hat oder nicht, noch keinerlei Bewerbungen von potentiellen Nachfolgern vorliegen. Es ist ausreichend, wenn plausibel bereits bei Antragstellung dargelegt wird, dass ein potentieller Nachfolger eine privilegierte Person sein kann. Dabei ist es als ausreichend anzusehen, dass der ausschreibungswillige Arzt lediglich die Erklärung abgibt, dass ein potentieller Bewerber ein privilegierter Nachfolger im Sinne dieser genannten Regelung ist. Eine Erklärung eines privilegierten Nachfolgers ist nicht erforderlich, weil insoweit kein Schutzbedürfnis zum Zwecke der Vermeidung bzw. des Abbaus der Überversorgung besteht. Es ist zu berücksichtigen, dass nach § 103 Abs. 4 S. 9 SGB V für die Fälle, in denen ein potentieller privilegierter Nachfolger bei dem Ausschreibungsantrag nicht zur Auswahl kommt oder sich vielleicht gar nicht bewirbt, bei der Auswahlentscheidung selbst die Frage nochmals zu prüfen ist, ob aus Gründen der Erforderlichkeit im Rahmen der Versorgung die Praxis tatsächlich nachbesetzt werden muss oder nicht. Es besteht mithin in diesem Zusammenhang nochmals eine Kontrolle darüber, ob ein Versorgungsbedarf besteht.

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Verfahrensrechtlich sieht § 103 Abs. 3a SGB V einige Besonderheiten vor. So ist z.B. entgegen der sonstigen Rechtslage nach § 103 Abs. 3a S. 9 SGB V bei Stimmengleichheit bei der Entscheidungsfindung des Zulassungsausschusses dem Antrag auf Ausschreibung zu entsprechen. Des Weiteren ist in Abweichung von § 96 Abs. 4 SGB V unmittelbar Klage gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses zu erheben. Damit das Nachbesetzungsverfahren auch unabhängig von einem Klageverfahren zügig durchgeführt werden kann, sieht § 103 Abs. 3a S. 12 SGB V vor, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Findet aufgrund der Regelung in § 103 Abs. 3a S. 3 Hs. 2 SGB V eine für die Nachbesetzung erforderliche Prüfung der Versorgungssituation nicht statt – mögliche Bewerbung eines privilegierten Nachfolgers – sieht § 103 Abs. 4 S. 10 SGB V vor, dass mit Stimmenmehrheit die Nachbesetzung abgelehnt werden kann, sofern sich ein privilegierter Nachfolger nicht beworben hat; daraus ergibt sich im Umkehrschluss, bei Stimmengleichheit findet ein Nachbesetzungsverfahren statt. Gegen diese Entscheidung ist – insoweit ist eine Parallelität des Verfahrens vorgesehen – gleichfalls aufgrund der Verweisung in § 103 Abs. 4 S. 10 Hs. 2 auf § 103 Abs. 3a S. 10, 11, 13 und 14 SGB V unmittelbar das Klageverfahren vorgesehen.

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Für den Fall, dass die Nachbesetzung wegen fehlenden Bedarfs abgelehnt und diese Entscheidung bestandskräftig wurde, sieht § 103 Abs. 3a S. 13 f. SGB V vor, dass die KV dem Vertragsarzt oder seinen zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben eine Entschädigung zahlen muss, die der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis entspricht.[375] Der Verkehrswert ermittelt sich nach der modifizierten Ertragswertmethode.[376] Dabei hat sich das BSG der Rechtsprechung des BGH[377] ausdrücklich angeschlossen.[378] Der Verkehrswert im Sinne des § 103 Abs. 3a S. 13 f. SGB V ist der gleiche Wert, der sich im Übrigen aus § 103 Abs. 4 S. 9 SGB V ergibt.[379] Bei der Entschädigungszahlung sind zusätzlich Folgeschäden zu ersetzen, die auf Grund von längerfristigen Verträgen entstehen können, hierbei trifft den Arzt in diesem Zusammenhang eine Schadenminderungspflicht.[380]

 

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In § 103 Abs. 3a S. 13 f. SGB V ist nicht geregelt, wer für die Festsetzung des Entschädigungsbetrages zuständig ist. Zum Einen besteht die Möglichkeit, dass der Zulassungsausschuss dies im Zusammenhang mit der Ablehnung der Ausschreibung entscheidet; zum Anderen lässt es die Formulierung zu, dass die KV die Entscheidung zu treffen hat, in welcher Höhe die Entschädigung zu zahlen ist. Aus der Gesamtsystematik spricht viel dafür, dass die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung des Verkehrswertes nicht von den Zulassungsgremien, sondern von der KV festzusetzen ist. Die kompetenzrechtliche Zuständigkeit ist mit der bestandskräftigen Entscheidung über die Nachbesetzung innerhalb der Zuständigkeit der gemeinsamen Selbstverwaltung abgeschlossen. Da die KV die Höhe der Entschädigung zu tragen hat, wäre es konsequent, dass sie die Verkehrswertermittlung selbst vornimmt. Hierfür wird im Regelfall ein Gutachten erforderlich sein, bei dem im Übrigen keinerlei Beurteilungs- oder Ermessensspielräume bestehen.[381]

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Daneben stellt sich die weitere Frage, wie haushalterisch die Kosten für die Entschädigung bei der KV zu verbuchen sind. Beispielsweise kommt in Betracht, die Kosten für die Entschädigung dem jeweiligen Versorgungsbereich – hausärztlich oder fachärztlich – zuzuordnen und die Finanzierung aus den für die Honorarverteilung zur Verfügung stehenden Geldern zu nehmen. Alternativ könnte die Entschädigung aus dem Verwaltungshaushalt zu bezahlen sein. Der letztgenannten Variante ist der Vorzug zu geben; dies stützt sich auf folgende Erwägungen: Der Leistungshaushalt für die Honorarverteilung dient ausschließlich der Verteilung des Geldes im Rahmen der Vergütung. Daher können etwaige Entschädigungszahlungen nicht dem einen oder anderen Leistungsbereich zugeordnet werden. Weiter dient der Verwaltungshaushalt dafür, Gelder zur Verfügung zu stellen, damit die KV ihre Aufgaben erfüllen kann.[382] Es handelt sich hierbei um öffentlich-rechtliche Geldleistungen als Gegenleistung für Vorteile, die das Mitglied aus der Zugehörigkeit zu der Körperschaft des öffentlichen Rechts oder aus einer besonderen Tätigkeit dieser Körperschaft zieht.[383] Diese sind prinzipiell gleichmäßig zu verteilen, die Erhebung besonderer Abgaben von nur einem Teil der Mitglieder einer KV kommt nur dann in Betracht, wenn diesen ein besonderer Vorteil durch die Tätigkeit der KV entsteht.[384] Durch die Zahlung einer Entschädigung beim „Einzug einer Zulassung“ entsteht für die einzelne Fachgruppe kein besonderer Vorteil, sodass es nicht zulässig ist, diese Fachgruppe mit den Kosten zu belasten. Daher wird man im Ergebnis feststellen müssen, dass die Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes dem Verwaltungshaushalt zuzuordnen ist, ohne dass dadurch der hausärztliche oder fachärztliche Versorgungsbereich betroffen wird. Dieses Ergebnis wird nunmehr auch durch § 105 Abs. 1a S. 3 Nr. 6 SGB V bestätigt. Mittel des nach § 105 Abs. 1a SGB V zu bildenden Strukturfonds sollen unter anderem für die Entschädigungszahlungen nach § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V genutzt werden. Da dieser Strukturfond von der KV verwaltet wird, wird gleichzeitig bestätigt, dass die KV die zutreffende Behörde für die Entscheidung ist, in welcher Höhe die Entschädigung zu zahlen ist.

2. Ausschreibungsverfahren

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Nachdem die Entscheidung des Zulassungsausschusses vorliegt, dass der Vertragsarztsitz – auch teilweise – ausgeschrieben werden soll, ist die KV verpflichtet, diesen in den für amtliche Bekanntmachungen vorgesehenen Blättern auszuschreiben, eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen und dem Ausschreibenden zur Verfügung zu stellen. § 103 Abs. 6 SGB V berechtigt auch die Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft, den Vertragsarztsitz auszuschreiben.[385] Zutreffend wird dabei darauf hingewiesen, dass dieses Recht deswegen eingeräumt werden muss, damit die Substanz der Praxis erhalten bleibt.[386]

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Für die KV besteht die Verpflichtung, den Vertragsarztsitz auszuschreiben. Diese Verpflichtung kann nicht auf eine bestimmte Anzahl von Ausschreibungen begrenzt werden, sofern die Ausschreibungen nicht erfolgreich waren. Die KV hat nicht das Recht, Fristen für die Bewerbung auf den Vertragsarztsitz vorzugeben.[387] Sie ist verpflichtet, die eingehenden Bewerbungen an den Zulassungsausschuss zu übergeben, der dann mit der Bewerbungsliste das Nachbesetzungsverfahren aus eigener Verpflichtung zu betreiben hat.

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Auch hat die KV unter Beachtung von § 103 Abs. 4 SGB V nicht das Recht, die Frage zu prüfen, ob eine berücksichtigungsfähige Bewerbung vorliegt oder nicht. Diese Aufgabe fällt in die originäre Zuständigkeit des Zulassungsausschusses. Zur Begründung ist anzuführen, dass weder in § 103 SGB V noch an einer anderen Stelle eine materielle Prüfungsberechtigung der KV mit Fristsetzung für die Bewerbung existiert. Auch kann das SGB X nicht herangezogen werden, denn die KV hat keine Berechtigung aus § 26 SGB X, Fristen jedweder Art zu setzen, da diese keine Bindungswirkung gegenüber dem Zulassungsausschuss haben können. Sie ist vielmehr verpflichtet, sämtliche eingehenden Bewerbungen an den Zulassungsausschuss weiterzuleiten, der Herr des weiteren Verfahrens ist. Zwar hat es das BSG[388] im Zusammenhang mit der partiellen Aufhebung von Zulassungssperren als zulässig angesehen, dass eine Bewerbungsfrist gesetzt werden kann; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hierfür eine gesetzliche Regelung in § 26 Abs. 4 Nr. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie existiert. Eine entsprechende Regelung fehlt jedoch in § 103 SGB V. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die KV ihre Rechtsposition, selbst wenn sie eine andere Auffassung als die hier dargestellte vertritt, als Verfahrensbeteiligte gegenüber den Zulassungsgremien darstellen kann. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sämtliche Bewerbungen auch nach Ablauf der gesetzten Frist zu beachten sind,[389] logisches Fristende ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses über die Nachbesetzung.

3. Auswahlverfahren

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Gemäß § 103 Abs. 4 S. 3 SGB V hat der Zulassungsausschuss die verfassungsrechtlich unbedenkliche Aufgabe,[390] nach pflichtgemäßem Ermessen den Bewerber auszuwählen, der die Praxis fortführen soll, wobei die Bewerber auch zulassungsfähig sein müssen.[391] Dabei ist eine umfassende Abwägung der Kriterien für die Nachbesetzung bezüglich der einzelnen Bewerber vorzunehmen.[392] Zu berücksichtigende Kriterien sind


die berufliche Eignung (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 1 SGB V),
das Approbationsalter (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 2 SGB V),
die Dauer der ärztlichen Tätigkeit (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 3 SGB V),
eine mindestens 5 Jahre dauernde vertragsärztliche Tätigkeit in einem unterversorgten Gebiet (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 4 SGB V),
ob der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes ist (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 5 SGB V),
ob der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 6 SGB V),
oder ob der Bewerber bereit ist, besondere Versorgungsbedürfnisse, die in der Ausschreibung der KV definiert worden sind, zu erfüllen (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 7 SGB V),
Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 8 SGB V),
bei MVZ die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots; dies gilt entsprechend für Vertragsärzte und Berufsausübungsgemeinschaften mit einem besonderen Versorgungsangebot (§ 103 Abs. 4 S. 5 Nr. 9 SGB V). Hier wurde die Regelung von § 103 Abs. 4 S. 10 SGB V a.F. ausdrücklich in den Auswahlkatalog aus § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V aufgenommen.

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Ferner sind gemäß § 103 Abs. 6 SGB V bei der Berufsausübungsgemeinschaft die Interessen des oder der in der Praxis verbleibenden Vertragsarztes/Vertragsärzte bei der Bewerberauswahl angemessen zu berücksichtigen. In den Fällen des Job-Sharing in Form einer Berufsausübungsgemeinschaft ist jedoch wegen § 101 Abs. 3 S. 4 SGB V die gemeinschaftliche vertragsärztliche Tätigkeit erst nach fünfjähriger Dauer zu beachten. Ist diese Frist noch nicht abgelaufen, so ist das Job-Sharing nicht gesondert berücksichtigungsfähig, kann aber unter Umständen bei der beruflichen Eignung eine Rolle spielen.[393] Überlagert werden die Auswahlkriterien durch § 103 Abs. 4 S. 6 SGB V, wonach die Festlegungen des G-BA nach § 101 Abs. 1 S. 8 SGB V[394] zu beachten sind. Die sich aus dieser Regelung ergebene Pflicht des Beachtens bedeutet im Ergebnis, dass damit noch ein Auswahlkriterium geschaffen wurde. Dies hat für die Praxis gerade bei den Nervenärzten/Psychiatern/Neurologen erhebliche Bedeutung. In § 12 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie ist nicht vorgesehen, dass die gleiche Facharztbezeichnung automatisch nachbesetzt werden kann. Anders jedoch die Regelung bei den in der fachärztlichen Versorgung tätigen Internisten, dort sieht § 13 Abs. 6 Bedarfsplanungs-Richtlinie ausdrücklich vor, dass im Nachbesetzungsverfahren auch bei fehlender Quotenerfüllung die gleiche Subspezialisierung nachbesetzt werden kann.

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In § 103 Abs. 4c SGB V ist die Beteiligung von MVZ im Nachbesetzungsverfahren besonders geregelt; dies betrifft die Fälle, in denen ein MVZ sich auf eine ausgeschriebene Praxis bewirbt. Danach wurde nunmehr ausdrücklich im Hinblick auf die negative Spruchpraxis der Zulassungsgremien geregelt, dass das MVZ bei der Auswahl der Bewerber zu berücksichtigen ist. Da dieses regelmäßig dann beim abgebenden Arzt dazu führt, dass der Ort der vertragsärztlichen Tätigkeit verändert wird, kann ein MVZ nur eine Chance haben, ausgewählt zu werden, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn durch die faktische Sitzverlegung nicht gleichzeitig an dem bisherigen Vertragsarztsitz eine Versorgungslücke entsteht. Im Rahmen der Einschränkungen der Gestaltungsmöglichkeiten von MVZ ist in § 103 Abs. 4c S. 3 SGB V vorgesehen, dass nur die MVZ als Praxisnachfolger ausgewählt werden können, bei denen die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte bei Ärzten liegt. Ist dies nicht der Fall, sind sie bei der Auswahlentscheidung nur nachrangig zu beachten. Als Rückausnahme sieht § 103 Abs. 4c S. 4 SGB V vor, dass dieses nicht gelten soll, wenn das MVZ schon vor dem 31.12.2011 zugelassen war und bei denen gleichzeitig die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei den dort tätigen Ärzten lagen.

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Des Weiteren sind die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes und seiner Erben insoweit zu berücksichtigen, als der Verkaufspreis die Höhe des Verkehrswertes nicht übersteigt. Bei der Ermittlung des Verkehrswertes ist der abgebende Arzt mitwirkungspflichtig, indem er die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen muss.[395] Wenn sich der abgebende Arzt mit allen Bewerbern auf den Kaufpreis für die Praxis geeinigt hat, besteht kein Raum mehr für die Zulassungsgremien, sich mit dem Praxiswert zu beschäftigen, der im Übrigen nach der modifizierten Ertragswertmethode festzusetzen ist und bei dem für die Zulassungsgremien kein nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum besteht.[396] Bei der Auswahlentscheidung sind seit 1.1.2006 bei der Nachbesetzung von ausgeschriebenen Hausarztsitzen aufgrund von § 103 Abs. 4 S. 7 SGB V vorrangig Fachärzte für Allgemeinmedizin zu berücksichtigen. Dadurch erhalten Fachärzte für Allgemeinmedizin im Verhältnis zu Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung eine privilegierte Stellung innerhalb der Auswahlentscheidung.[397]

 

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Weiterhin ist es erforderlich, dass die Praxis, die erworben werden soll, auch tatsächlich fortgeführt wird. Dies ist nur dann möglich, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Praxis im Wesentlichen fortzuführen, was auch eine gewisse fachliche Identität zwischen abgebendem Arzt und Erwerber voraussetzt.[398] Dies ist insoweit von Bedeutung als grundsätzlich verhindert werden muss, dass ein Handel mit Zulassungen stattfindet. Im Übrigen geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass eine vorliegende Überversorgung abgebaut werden muss.[399] Damit steht des Weiteren das Problem im Raum, ob eine Praxisfortführung noch bejaht werden kann, wenn die Räumlichkeiten, in der die Praxis bisher geführt wurde, nicht übernommen werden sollen. Im Ergebnis wird man davon ausgehen müssen, dass dieses nicht zwingend ist. Zwar spricht das BSG[400] davon, es sei nicht erforderlich, wenn der übernehmende Arzt auf Dauer in denselben Praxisräumen tätig werden will, so dass sich der Umkehrschluss aus der Formulierung „auf Dauer“ ergeben könnte, das BSG ginge zwingend von einer Fortführung der Praxis in den bisherigen Räumlichkeiten aus. Es ist aber in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass ein Vermieter nicht gezwungen werden kann, mit einem Mieter einen Mietvertrag abzuschließen; des Weiteren kann auch der Erwerber einer Arztpraxis nicht gezwungen werden, unwirtschaftliche Räumlichkeiten anzumieten. Zudem besteht unter Berücksichtigung von § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-ZV für den Vertragsarzt die Möglichkeit, jederzeit seinen Vertragsarztsitz zu verlegen, was vom Zulassungsausschuss genehmigt werden muss, sofern die vertragsärztliche Versorgung nicht entgegensteht, was im Regelfall bei überversorgten Bereichen nicht der Fall sein dürfte.[401] Als ausreichend könnte jedoch zum Zwecke des Vermeidens des Handels von Zulassungen sein, dass der Praxissitz des Übernehmers in einer gewissen räumlichen Nähe zu den bisherigen Praxisräumen liegt, damit die Patienten, die bisher versorgt wurden, auch weiterhin versorgt werden können. Nach Auffassung des BSG[402] ist ein Fortführungswille dann zu verneinen, wenn der geplante Nachfolger nicht als Vertragsarzt, sondern als angestellter Arzt seine Tätigkeit fortführen will. Vielmehr soll ein Fortführungswille noch für die Dauer von 5 Jahren im Rahmen einer Prognoseentscheidung vorliegen. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Auch wenn in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG[403] an den Fortführungswillen gewisse Anforderungen zu stellen sind, ist es bei der Nachbesetzung nicht von Relevanz, darauf abzustellen, dass der Nachfolger zwingend als Vertragsarzt tätig wird. Ansonsten würde die sich immer mehr in den Vordergrund drängende Variante der Angestelltentätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung nicht ausreichend beachtet. Es stellt im Übrigen innerhalb der Versorgung keinen materiellen Unterschied dar, ob der Arzt als Vertragsarzt oder als angestellter Arzt tätig wird. Speziell für die Bewerbung eines MVZ mit einer Konzeptbewerbung geht das BSG[404] davon aus, dass dieses nicht ohne die Benennung eines konkreten Arztes, der die ausgeschriebene Stelle übernehmen soll, möglich ist. Begründet wird dies damit, dass eine „arztlose“ Konzeptbewerbung vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt und deswegen für einen solchen Weg eine ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung erforderlich sei.

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Von dieser Konstruktion der Fortführung der Praxis hat sich der Gesetzgeber jedoch zum Teil „verabschiedet“. Dabei ist auch unter Beachtung der Gesetzesentwicklung nicht deutlich, ob es sich um eine generelle „Verabschiedung“ von den strengen Voraussetzungen der Fortführung der Praxen oder ob es sich nur um zusätzliche Ausnahmetatbestände ohne zwingende Fortführungsfähigkeit der Praxis handelt. Wenn seitens der KV im Rahmen der Ausschreibung besondere Versorgungsbedürfnisse beschrieben werden, ist dies ein Auswahlkriterium. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Erfüllung dieser besonderen Versorgungsbedürfnisse automatisch der bisherige Patientenstamm der Praxis weiter versorgt werden kann. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass nach § 103 Abs. 4 S. 11 SGB V im Rahmen der Auswahlentscheidung der Bewerber auch zur Erfüllung dieses Versorgungsbedürfnisses verpflichtet werden muss; im Umkehrschluss ist damit die Möglichkeit eingeräumt, bei Nichterfüllung des Versorgungsbedürfnisses die Zulassung zu entziehen.[405] Weiter sind die Privilegierungstatbestände des § 103 Abs. 3a S. 3 2. Hs. 2. und 3. Alt. SGB V zu berücksichtigen, letztes ergibt sich aus § 103 Abs. 4 S. 6 SGB V, der auf § 101 Abs. 1 S. 8 SGB V verweist. Zwar ist nicht zu übersehen, dass diese Fallkonstellationen in dem Auswahlkatalog des § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V nicht ausdrücklich aufgeführt sind. Wenn jedoch diese Gesichtspunkte bereits bei der Prüfung der Notwendigkeit des Bedarfs der Fortsetzung der Praxis nach § 103 Abs. 3a S. 3 SGB V als Privilegierungstatbestände aufgeführt werden, müssen diese aber auch bei der Auswahlentscheidung nach § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V beachtet werden. Daher sind diese Privilegierungstatbestände zusätzlich bei der Auswahlentscheidung mit zu berücksichtigen. Wenn man sich dieser Auffassung anschließt, ist festzustellen, dass auch der Gesichtspunkt der Fortführung der Praxis zu Gunsten der Versorgungsstrukturen zurücktreten kann. Eine Fortführung der Praxis bei gleichzeitiger Verlegung des Vertragsarztsitzes macht die tatsächliche Fortführung der Praxis kaum möglich, weil der Nachfolger nicht mehr am gleichen Standort tätig ist wie der Vorgänger. Weiter ist zu berücksichtigen, dass besonders in den Fällen der Nervenärzte nach § 12 Bedarfsplanungs-Richtlinie durchaus Verwerfungen eintreten können, wenn der Vorrang der Quotenerfüllung gegeben ist. Muss bspw. ein ausschließlich auf die Neurologie ausgerichteter Nervenarzt durch einen Psychiater nachbesetzt werden, kann man von der klassischen Fortführung der Praxis gleichfalls nicht mehr ausgehen.

701

In der Rechtsprechung wird im Übrigen dem Kriterium der Warteliste eher ein zurückhaltender Wert zugeordnet;[406] dies erscheint unter Berücksichtigung der fehlenden Gewichtung innerhalb von § 103 SGB V fragwürdig. Das Alter der Approbation[407] spielt nur für die Dauer von 5 Jahren eine Rolle, so dass in der Praxis diesem Kriterium kaum noch eine Relevanz zukommt. Später hat das BSG weiter konkretisiert, dass sich der Zeitraum von 5 Jahren auf die Tätigkeit nach Abschluss der Facharztausbildung bezieht.[408] Auch die familiären Beziehungen des Bewerbers zum ausschreibenden Vertragsarzt – Ehegatte oder Kind – sind gleichwertig im Verhältnis zur beruflichen Eignung zu beachten;[409] nach den Änderungen auf Grund des GKV-VStG sind diese familiären Verhältnisse nunmehr privilegiert, so dass diese bei der Auswahlentscheidung auch eine besondere Bedeutung finden müssen.

702

Im Rahmen der Berücksichtigung der beruflichen Eignung ist ebenfalls die Ausbildung der Bewerber abzuwägen. Hierbei spielt nicht nur die Facharztqualifikation eine Rolle, sondern auch die Frage von Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen. Im Übrigen sind gleichermaßen Genehmigungen zur Abrechnung von genehmigungsbedürftigen Leistungen zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn der abgebende Arzt auch diese Genehmigungen innehat.[410] Nicht berücksichtigungsfähig sind außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung liegende Qualifikationen, wie die D-Arzt-Anerkennung, da diese nicht der vertragsärztlichen Versorgung zugeordnet werden kann.[411] Speziell für den Bereich der Versorgung in der Psychotherapie geht die Rechtsprechung[412] unter Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes aus Art. 14 GG davon aus, dass ein ärztlicher Psychotherapeut auch durch einen psychologischen Psychotherapeuten nachbesetzt werden kann. Insoweit ist nach Auffassung des Gerichtes maßgeblich, dass die Versorgung und die fachliche Identität innerhalb der Versorgung sichergestellt werden kann. Es wäre nach zutreffender Auffassung des Gerichts nicht zulässig, formal auf die Fachgebietsbezeichnungen abzustellen; vielmehr ist es erforderlich, die medizinische Ausrichtung zu beachten.