Handbuch Medizinrecht

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VI. Zulassung Ärzte/Zahnärzte

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Rechtsgrundlage für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung sind die §§ 95 ff. SGB V i.V.m. der jeweiligen Zulassungsverordnung, wobei § 95 Abs. 1 SGB V hierbei die Möglichkeiten der Teilnahme – Zulassung oder Ermächtigung – vorgibt. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung durch die öffentliche Verwaltung – Zulassungsgremien – bedeutet die öffentlich-rechtliche Berechtigung und auch Verpflichtung Patienten, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu behandeln. Dabei stellt die Zulassung ein höchstpersönliches Recht dar, das nicht übertragbar oder pfändbar ist. Der Insolvenzverwalter hat auch nicht die Möglichkeit, die Zulassung zu verwerten.[40] Das bedeutet im Bereich der Gestaltung von Verträgen jedoch nicht, dass im Einzelfall nicht eine Bevollmächtigung ausgesprochen werden könnte, auf die Zulassung zu verzichten.[41] Nachfolgend werden die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulassung besprochen und die bedarfsplanerischen Fragen zunächst nicht betrachtet. Selbstverständlich ist, dass die Zulassung immer einer bedarfsplanerischen Zulässigkeit bedarf.

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Von der Zulassung zu trennen ist der Versorgungsauftrag. Der Versorgungsauftrag beschreibt den Umfang der Tätigkeitsberechtigung innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung.[42] Er wird in § 1a Nr. 23 BMV-Ä als der inhaltliche, zeitliche sowie fachliche Umfang der Versorgungspflichten von Vertragsärzten, Vertragspsychotherapeuten und MVZ definiert. Daher wird man sprachlich die Zulassung als Grund-Verwaltungsakt bezeichnen können, während die Erteilung des Versorgungsauftrages den Umfang des Rechtes/der Pflicht des Vertragsarztes beschreibt, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass diese Differenzierung zwischen Zulassung und Versorgungsauftrag in der Praxis häufig nicht vorgenommen wird. Dies war vor dem VÄndG auch nicht erforderlich, da die Zulassung und der Umfang des Versorgungsauftrages immer identisch waren. Durch die Flexibilisierung des Vertragsarztes auf einen hälftigen Versorgungsauftrag bzw. auf einen Versorgungsauftrag von 3/4 wird nunmehr diese sprachliche Differenzierung erforderlich. Zu beachten ist, dass auch der Gesetzgeber nach diesseitiger Auffassung die sprachliche Differenzierung zwischen Zulassung und Versorgungsauftrag nicht immer in der notwendigen Präzision durchführt, was sich aus § 95 Abs. 5 S. 2 SGB V ergibt. Dort wird von dem Ruhen der Zulassung gesprochen, wenn der Vertragsarzt seine Tätigkeit nicht aufnimmt oder ausübt. Korrekterweise ruht dann jedoch nicht die Zulassung, also die grundsätzliche Berechtigung/Verpflichtung an der Versorgung teilzunehmen, sondern nur der Umfang des Rechts/der Pflicht, an der Versorgung teilzunehmen, also der Versorgungsauftrag. Auf der anderen Seite wird aus § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus die Trennung zwischen Zulassung und Versorgungsauftrag erkennt. Die Zulassung bewirkt, dass der Vertragsarzt Mitglied der für seinen Vertragsarztsitz zuständigen KV wird, und der Versorgungsauftrag definiert, in welchem Umfang der Vertragsarzt seine sich aus der Zulassung sich ergebende Berechtigung/Verpflichtung zur Versorgung der Patienten auszuüben hat.[43] Auch aus § 19a Ärzte-ZV wird die Differenzierung zwischen Zulassung und Versorgungsauftrag deutlich, denn § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV räumt dem Arzt das Recht ein, seinen Versorgungsauftrag auf die Hälfte oder 3/4 zu beschränken. Aus § 19a Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV ergibt sich, dass bei einem Arzt ohne Beschränkung des Versorgungsauftrages die Zulassung und der Versorgungsauftrag vollumfänglich zusammenfallen. Auf der anderen Seite ist es unzulässig, wenn ein Vertragsarzt neben einer Zulassung mit vollem Versorgungsauftrag noch eine weitergehende Teilzulassung begehrt.[44]

1. Fachliche Voraussetzungen

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Gem. § 95 Abs. 2 SGB V setzt die Zulassung die Eintragung des Arztes in ein bei den KV für jeden Zulassungsbezirk geführtes Arztregister (§ 95a SGB V) voraus. Eine solche Eintragung erfolgt auf Antrag bei der für den Wohnsitz des Arztes zuständigen KV. Der Arzt hat dabei die Nachweise der fachlichen Voraussetzungen des § 95a Abs. 1 Nr. 2 SGB V[45] beizubringen. Seit 1996 können nur noch Fachärzte einschließlich der Fachärzte für Allgemeinmedizin in das Arztregister eingetragen werden; speziell für Unionsbürger sieht § 95a Abs. 4 und 5 SGB V aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen Sonderregelungen vor.[46] Im zahnärztlichen Bereich ist es wegen § 3 Abs. 2 Zahnärzte-ZV erforderlich, dass der Zahnarzt neben der Approbation auch die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit nachweist. Eine vorläufige Berufserlaubnis nach § 8 BÄO ist einer Approbation nicht gleichgestellt, so dass deswegen eine Eintragung in das Arztregister nicht zulässig ist.[47] Die Registereintragung entfaltet Tatbestandswirkung für die Zulassungsgremien, so dass diese das Vorliegen der Voraussetzungen der Eintragung nicht mehr zu überprüfen haben.[48] Auch sind die Zulassungsgremien an die durch die Approbationsbehörde erteilte Approbation gebunden.[49] Dies bedeutet jedoch nach Auffassung des BSG[50] nicht, dass im Falle der Eintragung des Arztes in das Arztregister automatisch bereits eine Zulassungsfähigkeit des Arztes festgestellt wurde. Die Zulassungsgremien haben vielmehr zu prüfen, ob die vom Arzt aus seinem Fachgebiet zu erbringenden Leistungen zu einem relevanten Teil Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind und auch ambulant erbracht werden können.

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Zusätzlich hat der Arzt die gem. § 18 Abs. 2 Ärzte-ZV geforderten Erklärungen abzugeben und Dokumente, beispielsweise ein polizeiliches Führungszeugnis, einzureichen. Eine positive Entscheidung über einen Zulassungsantrag setzt voraus, dass der Zulassung keine Gründe entgegenstehen. Werden die notwendigen Unterlagen dem Antrag nicht beigefügt, ist der Antrag unvollständig und kann deswegen bereits aus formalen Gründen zurückgewiesen werden.[51]

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Aufgrund der Trennung von hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung in § 73 SGB V müssen sich sowohl Kinderärzte als auch Internisten dazu entscheiden, ob sie an der hausärztlichen oder an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen wollen. Lediglich in Ausnahmefällen – bei Vorliegen eines Versorgungsbedarfes – kann auch eine Tätigkeit im jeweils anderen Bereich genehmigt werden; dies gilt jedoch nicht für Allgemeinmediziner.[52]

2. Persönliche Eignung

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Nach den §§ 20 und 21 Ärzte-ZV ist die Zulassung hingegen ausgeschlossen, wenn eine Eignung des Arztes nicht vorliegt. Bei der Entscheidung über die Eignung steht den Zulassungsgremien kein Beurteilungsspielraum zu.[53] § 21 Ärzte-ZV umfasst den Bereich der geistigen oder sonstigen schwerwiegenden in der Person des Arztes begründeten Mängel. Als Regelbeispiel des schwerwiegenden Mangels nennt § 21 Ärzte-ZV insbesondere eine Rauschgift- oder Alkoholabhängigkeit;[54] gleichgestellt wird auch die Medikamentenabhängigkeit.[55] Weitere gesundheitliche Mängel waren in der bisherigen Rechtsprechung eher selten, in einem Fall einer leichten Demenz bei einer dominanten amnestischen und frontal-subkortikalen Störung und Hinweisen auf eine Korsakow-Symptomatik wurde die Zulassungsentziehung als gerechtfertigt angesehen.[56] Im Einzelfall kann der Zulassungsausschuss auch die Vorlage eines medizinischen Gutachtens auf Kosten des Antragstellers verlangen (§ 21 S. 3–5 Ärzte-ZV). § 21 Ärzte-ZV zielt erkennbar auf „Extreme“ ab, so dass die praktische Relevanz dieser Regelung relativ gering geblieben ist.[57] Allerdings kann die Eignung auch bei schweren charakterlichen Mängeln fehlen – etwa in der Vergangenheit über Jahre vorliegende umfangreiche Vermögensdelikte außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung –, da in diesen Fällen nicht das Vertrauen gegeben ist, dass der Arzt die Vermögensinteressen der am System der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten achten und nicht schädigen wird.[58] Kein Verlust der Eignung stellt jedoch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen den Arzt dar.[59]

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§ 20 Ärzte-ZV benennt zwei Ausschlusstatbestände bzgl. der Geeignetheit des Arztes. Abs. 1 schließt die Geeignetheit aus, wenn der Arzt aufgrund einer Nebentätigkeit, sei es ein Beschäftigungsverhältnis oder eine ehrenamtliche Tätigkeit, für die vertragsärztliche Versorgung seiner Patienten nicht in dem erforderlichem Maße zur Verfügung steht.[60] § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV stellt hierbei auf die zeitliche Verfügbarkeit ab. Dabei verlangt § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV, dass der Arzt seine vertragsärztliche Tätigkeit vollzeitig auszuüben hat, sofern nicht eine Beschränkung nach § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV vorliegt.

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Der Bereich der Nebentätigkeiten des Arztes versus seine Verfügbarkeit für die Versicherten war immer wieder umstritten.[61] Die bisher vereinzelt gerichtlich vertretene Auffassung, dass der Arzt in seiner Vertragsarzttätigkeit für eine Arbeitszeit von mindestens 38–40 Stunden zur Verfügung stehen müsse,[62] wurde vom BSG nicht in einer solchen Tragweite bestätigt.[63]

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Das BSG geht davon aus, dass Beschränkungen, denen ein ärztlicher Leistungserbringer als Folge einer anderen Tätigkeit unterliegt, grds. geeignet sind, sich auf die gleichzeitige Tätigkeit im System des SGB V hinderlich und störend auszuwirken.[64] Nach dem BSG können Dritten gegenüber eingegangene Bindungen nur dann unbedenklich sein, wenn von ihnen keine prägende Wirkung für den beruflichen Status ausgeht. Vergröbernd-typisierend sei dies der Fall, wenn die Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis maximal ein Drittel der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit, also ca. 13 Wochenstunden, ausmacht.[65] Diese Rechtsprechung des BSG, die in der Praxis noch eine Rolle spielt, wurde ausdrücklich durch den Gesetzgeber[66] modifiziert. Nunmehr erlaubt § 20 Ärzte-ZV, dass der Arzt dem Grunde nach unbegrenzt eine Nebentätigkeit ausüben darf, soweit er seine Sprechstundenzeiten und seinen Versorgungsauftrag im ausreichenden Maße bedient (25 Stunden bei vollem Versorgungsauftrag). Dieser vollständigen Liberalisierung der Nebentätigkeit ist das BSG[67] jedoch entgegen getreten; nach seiner Auffassung verbietet § 20 Ärzte-ZV nach wie vor, dass neben einer vollzeitigen Beschäftigung noch eine Zulassung, selbst wenn sie nur einen hälftigen Versorgungsauftrag beinhaltet, begehrt wird. Dieser Auffassung des BSG ist aus heutiger Sicht insoweit entgegen zu treten, als unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit die Zulassung zu erteilen ist; die Möglichkeiten der Kontrolle der Erfüllung des Versorgungsauftrages wird nunmehr durch § 19a Abs. 4 Ärzte-ZV hinreichend gewährleistet.

 

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§ 20 Abs. 2 Ärzte-ZV verneint die Geeignetheit des Arztes ferner, wenn dessen Tätigkeit dem Inhalt oder der Form nach nicht mit dem Wesen der Tätigkeit eines Arztes am Vertragsarztsitz vereinbar ist.[68] Die bisherige Rechtsprechung des BSG,[69] wonach eine gleichzeitige Tätigkeit in einem Krankenhaus und in der Niederlassung gegen § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV verstoße, wurde durch das VÄndG aufgehoben, soweit der Arzt in einem zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung tätig ist. Nebentätigkeiten ohne jeden Patientenbezug wie beispielsweise schriftstellerische Tätigkeit können nicht zu einer Ungeeignetheit führen.[70] Gleiches gilt für die Tätigkeit eines Psychotherapeuten in einer Förderschule.[71]

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Unverändert ist jedoch die Rechtslage der Ungeeignetheit für Werksärzte,[72] eine Zulassung zu erhalten; gleiches gilt für die Tätigkeit beim MDK.[73] Für Psychotherapeuten, die häufig eine Nebentätigkeit ausüben, wurde in folgenden Fällen der Tätigkeit eine Unvereinbarkeit festgestellt: jugendpsychiatrischer Dienst, der das Aufgabengebiet der Diagnostik von Leistungsdefiziten, Intelligenzdiagnostik, Diagnostik von Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten sowie seelischen Behinderungen umfasst;[74] psychosoziale Kontaktstelle;[75] psychologische Beratungsstelle;[76] Suchtberatungsstelle;[77] Therapiezentrum für Suizidgefährdete;[78] Städtische Kinder-Jugend-Eltern-Beratungsstelle.[79]

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Bei der Kooperation zwischen einem Arzt und einem Krankenhaus muss außerhalb der nunmehr zulässigen Anstellung eine eigenverantwortliche Praxisausübung des Vertragsarztes gewährleistet bleiben.[80] Wie weit dies im Einzelfall noch gegeben ist, muss stets anhand der konkreten Gestaltung einer Kooperation überprüft werden. Als nicht mit § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV kompatibel ist eine Vertragsausgestaltung anzusehen, in der der Arzt keinerlei wirtschaftliches Risiko zu tragen und er keinen Einfluss auf die wesentlichen Entscheidungen innerhalb der Praxis auch bezogen auf sein Personal hat. Nicht erforderlich ist jedoch das Eigentum an den Praxisgegenständen.[81] Weiter nimmt das BSG bei der Kooperation mit einem Krankenhaus, insbesondere bei dort angestellten Ärzten, die Verträge unter eine intensive Kontrolle. Daher sind Formulierungen in den Verträgen, der Arzt habe es als Dienstaufgabe, eine Zulassung zu beantragen und die Pflicht, sämtliches Honorar an das den Arzt beschäftigenden Krankenhaus abzuführen, typische Merkmale für das Fehlen der Selbstständigkeit.[82] Hierbei ist zu beachten, dass die Anforderungen an die Tätigkeit in freier Praxis vertragsarztrechtlich höher sind, als ansonsten gesellschaftsrechtlich üblich.[83]

3. Versorgungsauftrag

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Bereits oben[84] wurde der grundsätzliche Unterschied zwischen der Zulassung und dem Versorgungsauftrag angesprochen. Die Erfüllung des Versorgungsauftrages spiegelt sich in § 24 Ärzte-ZV wider, wonach die Pflicht des zugelassenen Arztes besteht am Vertragsarztsitz seine Sprechstunden abzuhalten (Präsenzpflicht). Bezüglich des Umfangs der Sprechstundenzeiten (Präsenzzeit) sind in § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV umfangreiche Regelungen vorhanden, in § 19a Abs. 4 Ärzte-ZV sind die Bestimmungen enthalten, die die Frage der Überprüfung des Einhaltens dieser Mindestsprechstunden regelt. Im zahnärztlichen Bereich fehlt diese Regelung; § 19a Zahnärzte-ZV wurde durch das TSVG nicht entsprechend geändert. Begleitet wird § 19a Ärzte-ZV ergänzend durch die Regelung in § 17 BMV-Ä, in der weitere Einzelheiten für die Sprechstunden geregelt sind. Ferner sollen in den jeweiligen Gesamtverträgen auf Landesebene speziell für Besuche Vorgaben für die Anrechnung auf die Sprechstundenzeiten getroffen werden.

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Interessant ist in diesem Zusammenhang die historische Entwicklung zu dem Regelungsgeflecht bezüglich der Sprechstunden. Dezidierte Regelungen mit der Pflicht zur Abhaltung von 20 Sprechstunden in § 17 BMV-Ä wurden erst in der Überarbeitung des BMV-Ä auf Grundlage des VÄndG zum 1.7.2007 vorgenommen. Davor gab es lediglich allgemeine Regelungen, wonach der Arzt verpflichtet ist, Sprechstunden abzuhalten. Noch im Jahre 2002 ging das BSG[85] davon aus, dass im Hinblick auf die Heterogenität der Verhältnisse von Vertragsärzten und Vertragspsychotherapeuten einiges dafür spreche, nicht von einem einheitlichen Mindestumfang des Sprechstundenangebots auszugehen. Vielmehr sei es für die Ärzte bzw. Therapeuten fachgruppenspezifisch sowie gegebenenfalls regional der Umfang unterschiedlich zu ermitteln. Von dieser Ansicht einer praktikablen Regelung hat sich der Gesetzgeber – zulässigerweise[86] – verabschiedet und ausnahmslos standardisierte Sprechstundenzeiten vorgesehen. Im Hinblick auf den breiten Beurteilungsspielraum für den Normgeber lassen sich gegen diese Regelung auch letztlich aus dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit keine Einwendungen erheben.

a) Pflicht zur Durchführung von Sprechstunden

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Definiert wird die Sprechstunde in § 17 Abs. 1a S. 2 BMV-Ä als Zeit, in der der Vertragsarzt für die Versorgung der Versicherten unmittelbar zur Verfügung steht; aufgrund § 17 Abs. 1b BMV-Ä gilt diese Sprechstundenpflicht entsprechend auch für angestellte Ärzte. Bei der Erfüllung dieser Sprechstundenpflicht ist es nicht Voraussetzung, dass Patienten tatsächlich die Praxis aufsuchen, auch wenn § 95 Abs. 3 S. 4 SGB V bei der durch die KV vorzunehmenden Überprüfung des Einhaltens des Versorgungsauftrages auf das tatsächliche Leistungsgeschehen in der Praxis des Arztes abstellt. Insoweit ist eine gewisse Divergenz der Vorstellungen der Vertragsparteien des BMV-Ä und des Gesetzgebers bezüglich der Sprechstundenzeiten festzustellen.

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Durch die Liberalisierung auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten seitens der Krankenkassen im Wege der Selektivverträge ist es auch nicht erforderlich, wegen der Beteiligung der Ärzte an der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V) bzw. besonderen Versorgung (§ 140a SGB V) Ausnahmetatbestände zu schaffen, die die Möglichkeit einräumen könnten, eine geringere Anzahl von Sprechstundenzeiten in der Regelversorgung wegen der Beteiligung an diesen Verträgen zu ermöglichen. Aufgrund die Pflicht, Sprechstunden anzubieten, um für die Versicherten erreichbar zu sein, bedeutet nicht, dass in diesen Sprechstundenzeiten nur Versicherte der GKV behandelt werden, die in der Regelversorgung betreut werden. Es ist daher auch möglich, während dieser Sprechstundenzeiten Patienten zu behandeln, die außerhalb der Regelversorgung die Praxis aufsuchen. Gleiches gilt auch für die Behandlung von Privatpatienten.[87]

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Während vor dem Inkrafttreten des TSVG § 17 Abs. 1a BMV-Ä bei einem vollen Versorgungsauftrag davon ausging, dass der Vertragsarzt mindestens 20 Stunden wöchentlich Sprechstunden abhalten muss, ist dieses in § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV auf 25 Stunden erhöht worden. Der Umfang der Sprechstundentätigkeit reduziert sich anteilig nach dem Umfang des Versorgungsauftrags (§ 19a Abs. 1 S. 4 Ärzte-ZV/§ 17 Abs. 1a S. 4 BMV-Ä). Ist nur ein Versorgungsauftrag von 3/4 vorhanden, beträgt der Mindestumfang 18,75 Stunden, bei einem hälftigen Versorgungsauftrag 12,5 Stunden. Während es für den Vertragsarzt keinen 1/4 Versorgungsauftrag gibt, was sich aus § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV ergibt, ist bei den angestellten Ärzten auf Grundlage von § 51 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie auch die Anstellung im Umfang von 0,25 anerkannt. Der Umfang der Sprechstundenzeiten beträgt dann 6,25 Stunden. Der Umfang der Sprechstundenzeiten ist nicht beschränkt auf den Vertragsarztsitz, sondern kann auch an den Nebenbetriebsstätten – z.B. Zweigpraxis – erfüllt werden, so dass die Gesamtsprechstundenzeit aus der Addition der Zeiten am Vertragsarztsitz und an der/den Nebenbetriebsstätte(n) erfüllt wird.[88] Dies ergibt sich aus der Neufassung von § 17 Abs. 1a S. 1 BMV-Ä, der nicht mehr auf den Vertragsarztsitz, sondern auf alle zugelassenen Tätigkeitsorte abstellt.

519

Diese Pflicht zur Sprechstunde gilt für sämtliche Arztgruppen, also auch für die „patientenfernen“ Fachgruppen – Methodenfächer –, wie bspw. Laborärzte und Pathologen, die im Regelfall keinen unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt haben. Auf den ersten Blick erschließt sich diese Notwendigkeit des Abhaltens von Sprechstunden nicht. Rechtfertigen lässt sich eine solche Regelung nur dadurch, dass sie ihre Sprechstunden für die überweisenden Ärzte aufrecht halten sollen, damit sie von den überweisenden Ärzten erreicht werden können.[89] Damit dient sie weniger dem unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt, als einer schnelleren Information des behandelnden Arztes.

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Die Pflicht zur Durchführung der Sprechstunde gilt für Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft entsprechend. Jedes Mitglied der Berufsausübungsgemeinschaft ist verpflichtet, die entsprechenden Sprechstundenzeiten zu erfüllen. Daran ändert sich auch nichts aufgrund der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des BSG[90] die Berufsausübungsgemeinschaft als Einheit nach Außen auftritt. Entsprechendes ergibt sich daraus, dass die Pflicht zur Abhaltung der Sprechstunden den einzelnen Vertragsarzt betrifft. Durch die Genehmigung der Berufsausübungsgemeinschaft werden die einzelnen Vertragsärzte berechtigt, gemeinsam zu Lasten der GKV die Behandlung durchzuführen. Dadurch wird die persönliche Pflicht des Vertragsarztes aus § 19a Ärzte-ZV nicht berührt. Dieses Ergebnis wird auch durch die Sonderregelung in § 17 Abs. 1 S. 5 BMV-Ä bestätigt, in der bezüglich der Ankündigung der Sprechstundenzeiten Besonderheiten geregelt sind.

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Die Sprechstundenzeiten sind für den jeweiligen Arzt auf dem Praxisschild kenntlich zu machen und der KV zu melden, die dann die Sprechstundenzeiten im Internet ausweist. Probleme treten insbesondere bei Anästhesisten im Zusammenhang mit dem ambulanten Operieren auf. Diese sind zulässigerweise an mehreren Orten tätig, ohne dass für sie in § 19a Ärzte-ZV/§ 17 BMV-Ä Besonderheiten geregelt sind. Man wird daher auf Grund von Gewohnheitsrecht unter Berücksichtigung der Regelung in § 15a Abs. 2 S. 2 ff. BMV-Ä davon ausgehen müssen, dass die Anästhesisten bei den jeweiligen Operateuren die Sprechstunde abhalten dürfen, ohne dass das auf ihrem Praxisschild gesondert gekennzeichnet wird.

522

Bei der Ankündigung der Sprechstundenzeiten existiert in § 17 Abs. 1 S. 5 BMV-Ä für Berufsausübungsgemeinschaften, Praxen mit angestellten Ärzten bzw. MVZ insofern eine gesonderte Regelung, als die Ärzte einer Arztgruppe gemeinschaftlich die Sprechstundenzeiten praxisbezogen ankündigen können. Es ist bei diesen Zusammenschlüssen der Ärzte einer Arztgruppe mithin möglich, nach außen hin flexibel darzustellen, wann Sprechstundenzeiten sind. Das entbindet jedoch nicht den einzelnen Vertragsarzt bzw. den angestellten Arzt, seine Sprechstundenzeiten-Pflicht zu erfüllen. Es findet dadurch letztlich nur eine Vereinfachung der Darstellung auf dem Praxisschild statt. Ferner sieht § 17 Abs. 1 S. 4 BMV-Ä vor, dass die Ankündigung besonderer Sprechstunden nur für die Durchführung von Früherkennungsuntersuchungen zulässig ist. Damit besteht nicht mehr die Möglichkeit, die Patienten auf dem Sprechstundenschild auf eine strukturierte Praxisorganisation hinzuweisen, wenn beispielsweise außerhalb von Früherkennungsuntersuchungen besondere Untersuchungen speziell an einem Tag durchgeführt werden sollen. Dies obliegt der Gestaltungsfreiheit der Arztpraxis bei der Terminvergabe. Während noch die weitere Möglichkeit besteht, Sprechstunden „nach Vereinbarung“ als zusätzliche Sprechstunden anzubieten, besteht zusätzlich die Möglichkeit, bei der Durchführung einer Privatsprechstunde diese auf dem Praxisschild zusätzlich anzukündigen. Hierbei besteht kein Widerspruch zu dem bisher Gesagten, weil die Angaben auf dem Praxisschild auf Grundlage von § 17 BMV-Ä nur die vertragsärztliche Versorgung betreffen. Die Privatsprechstunde ist jedoch kein Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung.

 

523

Auf die Sprechstundenzeiten nach § 17 Abs. 1a BMV-Ä werden die Besuchszeiten, also die Fahrten zum Patienten angerechnet. Dabei sieht § 17 Abs. 1a S. 6 BMV-Ä vor, dass die Anrechnung in den Gesamtverträgen auf Landesebene geregelt wird.

524

Von den 25 Sprechstundenzeiten müssen 5 Stunden offene Sprechstunden sein. Dies betrifft die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung nach § 19a Abs. 1 S. 3 Ärzte-ZV. In Ausformung dieser Verpflichtung sieht § 17 Abs. 1c BMV-Ä die offene Sprechstunde für folgende Arztgruppen vor:


Fachärzte für Augenheilkunde,
Fachärzte für Chirurgie, Fachärzte für Kinderchirurgie und Fachärzte für Plastische und Ästhetische Chirurgie,
Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,
Fachärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde,
Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten,
Fachärzte für Kinder- Jugendpsychiatrie und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
Fachärzte für Neurologie, Fachärzte für Nervenheilkunde, Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie und Fachärzte für Neurochirurgie,
Fachärzte für Orthopädie, Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie; Fachärzte für Nervenheilkunde; Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie,
Fachärzte für Urologie.

525

Bei der „offenen Sprechstunde“ handelt es sich um Zeitfenster, in denen der Vertragsarzt gehalten ist, nicht im Vorfeld Termine zu vergeben, er soll vielmehr für jeden Patienten, der die Praxis aufsucht, erreichbar sein.[91] In der Konsequenz daraus erhält er für die erbrachten Leistungen innerhalb der offenen Sprechstunde auch eine extrabudgetäre Vergütung außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung.[92]