Handbuch Medizinrecht

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3. Die Folgen der Trennung

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Die Folgen der Trennung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung waren nach der abrechnungstechnischen Umsetzung im EBM für die Allgemeinärzte und die Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung fatal. Beide Fachgruppen haben einen erheblichen Leistungsanteil, vor allem im diagnostisch-technischen Bereich, beispielsweise Langzeit-EKG, laboratoriumsmedizinische Untersuchungen im Speziallabor (Kap. O III EBM),[67] teilradiologische Diagnostik und Gastroskopien,[68] der nach den Weiterbildungsordnungen zum Fachgebiet zählt, verloren. Damit hat die Aufgliederung der vertragsärztlichen Versorgung gegenüber den betroffenen Allgemeinärzten nicht nur vergütungsrechtliche Folgen, sondern führt zwangsläufig über die Beschränkung des ärztlichen Tätigkeitsfeldes zu einem veränderten Berufsstatus. Der Allgemeinarzt im Sinne eines medizinischen Generalisten ist in der vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr möglich.[69]

421

Die gleichzeitige Teilnahme an der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung ist grundsätzlich ausgeschlossen.[70] Das verhindert auch die gleichzeitige Anstellung einer Internistin auf einer hausärztlichen und einer fachärztlichen Anstellungsstelle im MVZ.[71] Das BSG geht sogar soweit, dass es eine Vertretung eines fachärztlichen Internisten durch einen an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Internisten und umgekehrt wegen der Bindung an den gewählten Versorgungsbereich für unzulässig hält.[72]

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Hoffnungen auf eine verfassungsrechtlich gebotene Auflockerung der Trennlinie zwischen den Versorgungsbereichen haben sich nicht erfüllt,[73] insbesondere fehlt eine gesetzliche Grundlage, Allgemeinärzten die Erbringung einzelner fachärztlicher Leistungen zu genehmigen. Einer diesbezüglich analogen Anwendung der für Kinderärzte und Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung geschaffenen Regelung des § 73 Abs. 1a S. 3 SGB V hat das BSG mangels planwidriger Lücke eine Absage erteilt.[74]

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Die verbleibende Möglichkeit, nach § 73 Abs. 1a S. 6 SGB V die ausschließliche Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zu beantragen, scheitert in den meisten Fällen an den weit verbreiteten Zulassungssperren für Fachinternisten oder daran, dass sich für die daran interessierten Allgemeinärzte kein wirtschaftlich tragfähiges Leistungsspektrum ergeben wird, das nach Wegfall der hausärztlichen Leistungen eine Auslastung der Praxis garantiert.[75]

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Der Gesetzgeber wollte durch die Trennung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung keinen neuen Arzttyp im Sinne eines Berufsbildes schaffen.[76] Die aber inzwischen nicht nur abrechnungstechnisch, sondern auch in der Bedarfsplanung und bei der Honorarverteilung vollzogene Trennung hatte zur Folge, dass sich der ursprüngliche allgemeinärztliche Generalist, wie auch der Internist ohne Schwerpunktbezeichnung, zu einem in seinem Tätigkeitsbereich erheblich eingeschränkten vertragsärztlichen Hausarzt gewandelt hat. Da bei der Ausschreibung hausärztlicher Praxissitze nach § 103 Abs. 4 S. 7 SGB V seit dem Jahre 2006 vorrangig Allgemeinärzte zu berücksichtigen sind, gehört auch der hausärztliche Internist ohne Schwerpunktbezeichnung einer aussterbenden Arztgattung an. Damit wurde zwar nicht rechtlich verpflichtend, aber faktisch unumstößlich der „Hausarzt“ als neuer Arzttyp neben den „Fachärzten“ manifestiert.[77]

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Auf der anderen Seite sah sich der Gesetzgeber veranlasst, einem absehbaren Rückgang der Zahl der Hausärzte durch Überalterung entgegen zu wirken. Dazu hat er durch das GKV-VSG § 75a SGB V geschaffen, mit dem die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gefördert werden soll. Laut Abs. 3 sollen bundesweit mindestens 7.500 Weiterbildungsstellen im ambulanten und stationären ohne Begrenzung nach oben gefördert werden. Vertragsärzte erhalten bis zum 30.6.2020 monatlich 4.800 €, ab 1.7.2020 sogar 5.000 € pro genehmigter Weiterbildungsstelle, die als Gehaltszuschuss für den Weiterbildungsassistenten verwendet werden dürfen. Maßgeblich ist die Vereinbarung der DKG, KBV und Spitzenverband Bund nach Abs. 4. Die Kosten teilen sich nach Abs. 1 S. 2 KV und Krankenkassen. Weitere 1.000 Stellen bundesweit sollen nach Abs. 9 zu Gunsten der Weiterbildung grundversorgender Fachärzte gefördert werden. Das soll vor allem Kinder- und Jugendärzten, aber auch Gynäkologen und Augenärzten zu Gute kommen.

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In unterversorgten Gebieten können die KV aus Mitteln des Strukturfonds nach § 105 SGB V Zuschüsse zu den Investitionskosten bei Neuniederlassungen und Sicherstellungszuschläge an dort tätige Vertragsärzte bezahlen. In Anspruch nehmen können dies alle Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, wobei die wichtigste Zielgruppe die Hausärzte in ländlichen Regionen sind.

8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › IV. Die psychotherapeutische Versorgung

IV. Die psychotherapeutische Versorgung

1. Die Bedeutung des Psychotherapeutengesetzes

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Nach § 28 Abs. 3 SGB V gehört die psychotherapeutische Behandlung zur vertragsärztlichen Versorgung. Zuständig waren früher mangels anderweitiger Leistungserbringer die Vertragsärzte, welche allerdings die Nachfrage mangels entsprechender Zusatzausbildungen nicht befriedigen konnten. Die Krankenkassen waren dadurch genötigt, die psychotherapeutische Versorgung ihrer Versicherten anderweitig zu ermöglichen, in der Regel durch Erstattung der Kosten der Inanspruchnahme psychologisch tätiger Heilpraktiker.[78]

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Seit Inkrafttreten des PTG[79] zum 1.1.1999 gibt es ein kodifiziertes Berufsrecht für die beiden neu geschaffenen nichtärztlichen Heilberufe, namentlich den psychologischen Psychotherapeuten und den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.[80] Das Gesetz regelt in § 2 die Anforderungen an die Erteilung der Approbation und ermöglicht zusammen mit den bei Erlass eingefügten Abs. 10–13 des § 95 SGB V, die Zulassung der approbierten Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Versorgung als gleichberechtigte Leistungserbringer neben den Ärzten und Zahnärzten (ausführlich dazu siehe Rn. 546 ff.).[81] Um die Integration der psychotherapeutischen Versorgung in die vertragsärztliche Versorgung und der Psychotherapeuten in die ärztliche Selbstverwaltung sollen sich nach § 79b SGB V ständige beratende Fachausschüsse für Psychotherapie bei den KV und der KBV kümmern.

2. Inhalt und Umfang der psychotherapeutischen Versorgung

429

§ 28 Abs. 3 SGB V ist auch nach der Neufassung durch das PsychRefG[82] eine im Vergleich zu den vorangehenden Absätzen der Vorschrift verunglückte Regelung, weil sie keinerlei inhaltliche Umschreibung der psychotherapeutischen Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung enthält, sondern nur darauf verweist, dass die Psychotherapeuten zugelassen sein müssen.

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Die psychotherapeutische Versorgung ist in § 73 Abs. 2 SGB V nicht aufgezählt. Da aber nach § 72 Abs. 1 S. 2 SGB V die für Ärzte geltenden Vorschriften und damit auch § 73 Abs. 2 Nr. 1–14 SGB V für Psychotherapeuten entsprechend gelten, nehmen § 73 Abs. 2 S. 2 bis 6 SGB V die zahnärztliche Behandlung, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Schwangerschaftsbetreuung, die Anordnung von Hilfeleistungen, die Ausstellung von AU-Bescheinigungen, künstliche Befruchtungen, Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbrüche aus der psychotherapeutischen Versorgung wieder aus und verweisen i.Ü. auf die Psychotherapie-Richtlinien des G-BA.[83]

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Was unter Ausübung von Psychotherapie zu verstehen ist, definiert § 1 Abs. 2 PTG als jede, mittels wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren oder Methoden vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Da sich diese Definition letztlich darauf zurückführen lässt, dass Psychotherapie ausgeübt wird, wenn sie nach dem Krankheitsbild indiziert ist, hilft sie konkret bei der Bestimmung des Leistungsspektrums des Versorgungsbereichs nicht weiter.

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Entscheidend für die Konkretisierung der psychotherapeutischen Leistungen als Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind die Psychotherapie-Richtlinien des G-BA. Nach den im Jahr 2019 neu gefassten RL kann Psychotherapie erbracht werden, wenn eine Indikation im Sinne von § 27 attestiert wird und kein Ausschlussgrund nach § 1 Abs. 5 gegeben ist.

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Zur vertragsärztlichen Versorgung werden in § 15 RL drei Behandlungsformen als anerkannte Therapieverfahren zugelassen, nämlich die psychoanalytisch begründeten Verfahren nach § 16 RL in Form der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (§ 16a RL) und der analytischen Psychotherapie (§ 16b RL), die Verhaltenstherapie (§ 17 RL) und neu die systemische Therapie (§ 18). Die Verfahren dürfen nicht kombiniert werden (§ 19 RL). Als Anwendungsformen stehen Einzel- oder Gruppentherapie und Mehrpersonensetting oder einer Kombination daraus zur Verfügung (§§ 20, 21 RL). Des Weiteren gehört noch die psychosomatische Grundversorgung nach §§ 24 ff. RL durch Ärzte mit entsprechendem Fachkundenachweis zum Leistungsspektrum innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung.

 

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Die Qualifikation in anerkannten Therapieverfahren ist in der Bedarfsplanung zu berücksichtigen und spielt eine Rolle bei der Bewerberauswahl im Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 4 SGB V und bei der Erteilung von Sonderbedarfszulassungen (siehe Rn. 575 ff.).[84]

8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › V. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung

V. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung

1. Inhalt und Bedeutung der Sicherstellung

435

Die Systematik der gesetzlichen Krankenversicherung führt zu der Notwendigkeit, quantitativ und qualitativ bedarfsgerechte Behandlungsangebote aller medizinischer Disziplinen vorzuhalten, um die auf Seiten der Krankenkassen bestehenden Verpflichtungen, ihren Versicherten die notwendigen Behandlungsleistungen zu verschaffen, abzusichern. Einen entsprechenden qualifizierten Auftrag an die Krankenkassen und die Leistungserbringer enthält § 70 SGB V, der gleichzeitig den allgemeinen, anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als Standard vorgibt.

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§ 72 Abs. 1 SGB V geht einen Schritt weiter und verpflichtet die dort namentlich aufgeführten Leistungserbringer und die Krankenkassen, zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten zusammenzuwirken. Nach § 72 Abs. 2 SGB V ist die vertragsärztliche Versorgung durch Verträge zwischen KV bzw. KZV und Krankenkassen auszugestalten (vgl. Rn. 159). Die Sicherstellung derselben ist damit grundsätzlich eine gemeinsame Angelegenheit der genannten Körperschaften. Das gilt im Zweifel für alle Angelegenheiten, für die nicht ausdrücklich die alleinige Zuständigkeit einer Körperschaft begründet ist.[85] Dieser Grundsatz findet seinen Niederschlag in der paritätischen Besetzung aller Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung und der daraus folgenden Aufgabenteilung (vgl. Rn. 63 ff.).

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Gegenstand der Sicherstellung ist die vertragsärztliche, vertragszahnärztliche und psychotherapeutische Versorgung in ihrer gesetzlichen und durch die Gesamtverträge und Richtlinien des G-BA konkretisierten Ausgestaltung (siehe Rn. 166). Entsprechendes gilt für die Versorgung der Versicherten der Knappschaft, soweit diese nicht durch eigene Knappschaftsärzte geleistet wird (§ 72 Abs. 3 SGB V). Betroffen ist nur der ambulante Bereich, weil die für die stationäre Versorgung zuständigen Krankenhäuser in § 72 SGB V nicht genannt werden.

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Aus dem Zusammenspiel der genannten Vorschriften ergibt sich, dass sich die Verpflichtung der Beteiligten nicht darin erschöpft, an der Schaffung eines Versorgungssystems mitzuarbeiten, sondern dass die Sicherstellungsverpflichtung darauf gerichtet ist, ein leistungsfähiges, dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechendes Versorgungssystem, welches vom Versicherten in Anspruch genommen werden kann, jederzeit vorzuhalten.[86] Diese Verpflichtung setzt sich fort in der Verpflichtung des Vertragsarztes, die typischen Leistungen seines Fachgebiets, zu deren Ausführung er berechtigt und in der Lage ist, anzubieten und zu erbringen.[87] Auch soll die einseitige Einengung des vertragsärztlichen Leistungsspektrums zugunsten der Erweiterung des privatärztlichen Leistungsspektrums unzulässig sein.[88]

2. Der besondere Sicherstellungsauftrag

a) Verantwortlichkeit der KV

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§ 75 Abs. 1 SGB V überträgt den KV und der KBV die vorrangige Verantwortung auf der Versorgungsseite. Diese haben zum einen die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 SGB V beschriebenen Umfang sicherzustellen und zum anderen den Krankenkassen gegenüber die Gewähr zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Erfordernissen entspricht.

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Die Übertragung der Sicherstellungsverantwortung auf die KV ist die Konsequenz der Entscheidung des Gesetzgebers, die ambulante vertragsärztliche Versorgung der Selbstverwaltung der freiberuflichen Ärzte zu überlassen, die kraft Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind und damit Mitglied der jeweiligen KV werden (§ 95 Abs. 1, 3 SGB V).

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§ 75 SGB V erwähnt die Krankenkassen nicht, welche über § 70 i.V.m. § 72 SGB V ebenfalls verpflichtet sind mit den KV zusammen an der Sicherstellung mitzuwirken. Aus der Zusammenschau der Vorschriften ist deshalb abzuleiten, dass einerseits ein allgemeiner Sicherstellungsauftrag besteht, bei dem alle Beteiligten zusammenwirken, und dass andererseits den KV ein darüber hinausgehender besonderer Sicherstellungsauftrag erteilt ist, den sie in eigener Verantwortung wahrnehmen.[89] Die Folge davon ist, dass in diesem Aufgabenbereich keine paritätisch besetzten Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung mit den Krankenkassen tätig werden, sondern die satzungsgemäßen Organe der KV.[90]

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Soweit den KV die alleinige Verantwortlichkeit und die Gewähr für die vertragsärztliche Versorgung obliegt, haben sie nach § 75 Abs. 2 S. 1 SGB V die Rechte ihrer Mitglieder gegenüber den Krankenkassen zu vertreten. Das ist die notwendige Folge der fehlenden Rechtsbeziehung zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen einerseits, und andererseits der gesetzlichen Systematik, eine kongruente Deckung zwischen Leistungsanspruch des Versicherten und Behandlungspflicht des die Leistung erbringenden Arztes über die Rechtsbeziehung zwischen KV und Krankenkassen herzustellen.

b) Umfang und Inhalt des besonderen Sicherstellungsauftrages

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Der Sicherstellungsauftrag der KV umfasst die gesamte vertragsärztliche Versorgung, die von den Versicherten als Sachleistung bezogen werden kann. Dies geht aus der Verweisung des § 75 Abs. 1 S. 1 SGB V auf die Aufzählung in § 73 Abs. 2 SGB V hervor, welche an die Inhalte des Leistungsrechts im Dritten Kapitel SGB V anknüpft.[91] Vorsorgemaßnahmen und Rehabilitationsleistungen können nach § 75 Abs. 3 SGB V über die Gesamtverträge in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen werden.[92]

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Obwohl sich die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung von Behandlungsterminen schon aus den berufsrechtlichen Grundpflichten der Ärzte ergibt und eine Selbstverständlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung sein sollte, sah sich der Gesetzgeber bemüßigt mit dem GKV-VStG einen Abs. 1a in § 75 SGB V aufzunehmen, der das klarstellt und die KV verpflichtete, bis zum 23.1.2016 Terminservicestellen einzurichten, die Versicherten binnen einer Woche einen Termin beim Facharzt besorgen müssen. Das bedingte komplizierte Folgeregelungen, wann eine Überweisung notwendig ist und wann nicht. Einige Unklarheiten der Regelungen und zögerliche Umsetzungen auf Seiten der KV veranlassten den von diesem Instrument überzeugten Gesetzgeber, die Terminservicestellen mit dem TSVG weiter auszubauen. Diese müssen seit dem 1.1.2020 7 Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar sein. Sie sind auch für die Vermittlung von Terminen bei Hausärzten und Kinder- und Jugendärzten und ferner von Erstgesprächen bei Psychotherapeuten zuständig, und müssen mit den Rettungsleitstellen der Länder kooperieren. Dazu wurde von den KV die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 etabliert, über die auch die ärztlichen Bereitschaftsdienste erreichbar sind, von denen z.B. die Testung und Versorgung der mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Infizierten veranlasst wird.

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Die Versicherten haben einen Anspruch auf Terminvermittlung. Der Vertragsarzt wird dadurch erst verpflichtet, wenn er den Termin der Terminservicestelle zugunsten des benannten Patienten fest zusagt.[93] Details des Vermittlungsvorganges sind in der Anlage 28 zum BMV-Ä geregelt. Darüber hinaus darf eine KV einem Vertragsarzt keine Patienten zwangsweise zuweisen.[94]

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Über § 75 Abs. 3 SGB V werden die Personen, die einen Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, in den Sicherstellungsauftrag einbezogen.[95] Dasselbe gilt für die Gefangenenbehandlung in Justizvollzugsanstalten außerhalb der Dienstzeiten der Anstaltsärzte (Abs. 4). Über Abkommen nach § 75 Abs. 6 SGB V wurden von der KBV ärztliche Versorgungsaufgaben von den Berufsgenossenschaften und von der Bundesbahn- und der Postbeamtenkrankenkasse übernommen. Auf regionaler Ebene gibt es auch noch weitere Abkommen mit den lokalen Trägern der Sozialhilfe. Auch die Versorgung der bei der Knappschaft Versicherten ist nach § 75 Abs. 5 SGB V von den KV sicherzustellen, soweit dafür keine Knappschaftsärzte zur Verfügung stehen.[96]

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Mit der Umsetzung der „neuen Versorgungsformen“ werden die erfassten Teilbereiche der ambulanten Versorgung aus der Verantwortung der KV herausgenommen.[97] Die Verantwortlichkeit der KV ist immer dann eingeschränkt, wenn unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen bestehen, wie bei den erweiterten Direktvertragskompetenzen in der hausarztzentrierten Versorgung nach §§ 73b Abs. 4 S. 6 SGB V und bei der besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 1 S. 4 SGB V. Davon zu unterscheiden ist der Fall, wenn bestimmte Vergütungsanteile direkt von den Krankenkassen bezahlt werden, die Leistung selbst aber noch zur vertragsärztlichen Versorgung gehört.[98]

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Die Zielsetzung des besonderen Sicherstellungsauftrages ist, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und von Rationalisierungs- und Modernisierungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.[99] Dazu gehört nach § 75 Abs. 1b SGB V auch die Organisation eines ärztlichen Notdienstes bzw. Bereitschaftsdienstes in sprechstundenfreien Zeiten.[100] Dies soll in Kooperation mit den Krankenhäusern erfolgen und kann auch durch Notdienstpraxen an Krankenhäusern geschehen. Dabei haben die KV einen weiten Gestaltungspielraum. Sie haben aber darauf zu achten, dass bei der Heranziehung oder Befreiung einzelner Fachgruppen der Gleichheitssatz beachtet wird. Entsprechend können auch Fachärzte zum hausärztlichen Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. [101]

449

Die grundsätzliche Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst folgt originär aus dem Zulassungsstatus und nicht kraft Satzung einer KV.[102] Die Pflicht gilt ausnahmslos für alle Fachgebiete.[103] Befreit sind aber psychologische Psychotherapeuten, da sie keine Ärzte sind.[104] Verpflichtet sind nicht die angestellten Ärzte eines MVZ, sondern das MVZ als Ganzes.[105] Ausgenommen von der Teilnahme sind ermächtigte Krankenhausärzte nach §§ 116 SGB V, 31 Ärzte-ZV.[106] Zweigpraxen führen nicht zu einer erweiterten Heranziehung.[107] Fachärzte mit Doppelzulassung, aber nur einem Versorgungsauftrag, dürfen nicht zweifach herangezogen werden.[108] Der fachlich ungeeignete Vertragsarzt, z.B. ein Pathologe, muss auf eigene Kosten einen Vertreter für den Notdienst engagieren.[109] Solange der Arzt die persönliche Eignung nicht wieder erlangt hat, ist er verpflichtet, sich an den Kosten des Bereitschaftsdienstes zu beteiligen.[110] Eine Befreiung kommt nur aus gesundheitlichen Gründen in Betracht. Die Verpflichtung einen Vertreter zu stellen und zu finanzieren, geht vor.[111]

450

Vom ärztlichen Notdienst ist der landesrechtlich organisierte Rettungsdienst zu unterscheiden, dessen Aufgabe die Ersthilfe bei Notfallpatienten und deren fachgerechter Transport in zur Weiterversorgung geeignete Einrichtungen ist.[112] Die notärztliche Versorgung ist nach § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V nur dann Teil der von den KV sicherzustellenden vertragsärztlichen Versorgung, wenn die KV durch Landesgesetz[113] damit betraut ist.[114]

 

451

Eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen wird in quantitativer Hinsicht durch die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 1 SGB V teilnehmenden Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, MVZ und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen bewirkt. Für den Fall, dass der auf diese Weise erreichte Versorgungsgrad mangels teilnahmewilliger Ärzte nicht ausreicht, erweitert § 105 SGB V die Möglichkeiten der KV, die vertragsärztliche Versorgung zu verbessern und zu fördern, z.B. durch Zahlung von Sicherstellungszuschlägen oder Übernahme von Umsatzgarantien für die Ärzte.[115]

452

Durch die mit dem GKV-WSG neu geschaffenen Abs. 3a–c des § 75 SGB V kam ab 1.7.2007[116] die Aufgabe hinzu, auch die ärztliche Versorgung der Versicherten des brancheneinheitlichen Standardtarifs nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 314 SGB V und nach § 257 Abs. 2a i.V.m. § 315 SGB V und zusätzlich ab 1.1.2009 des Basistarifs nach § 12 Abs. 1a VAG[117] der privaten Krankenversicherer sicherzustellen. Diese Verpflichtung trifft die KV, die bei der Umsetzung Gestaltungsspielraum haben. Eine individuelle Betroffenheit der Vertragsärzte resultiert hieraus nicht unmittelbar.[118] Dennoch folgt aus der Sicherstellungsverpflichtung der KV die Verpflichtung des einzelnen Vertragsarztes, entsprechend versicherte Privatpatienten zu behandeln.[119] Bei der Behandlung eines Versicherten dieser Tarife ist der Vertragsarzt an die GOÄ- bzw. GOZ-Sätze nach § 75 Abs. 3a SGB V gebunden.[120] Die übrigen vertragsärztlichen Pflichten gelten nicht, da es sich um eine Privatbehandlung handelt.[121]

453

Der Gesetzgeber beging mit dieser Erweiterung des Sicherstellungsauftrages einen Systembruch, weil die Versicherten der PKV nicht dem Normgefüge der gesetzlichen Krankenversicherung und die Unternehmen der privaten Krankenversicherungswirtschaft nicht dem Kollektivvertragssystem unterworfen waren.[122]