Handbuch Medizinrecht

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4. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

389

Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind nur dann Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung, wenn der G-BA nach § 135 Abs. 1 SGB V Empfehlungen über


die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung

abgegeben hat.

390

Der G-BA soll damit in die Lage versetzt werden, durch einheitliche bundesweit geltende normative Vorgaben die leistungsrechtlichen Rahmenrechte zu konkretisieren und damit das Gesundheitswesen zu steuern.[34] Das hat den Zweck, den Versorgungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf Behandlungsmethoden ausdehnen zu müssen, deren medizinischer Nutzen zweifelhaft bzw. nicht erprobt ist. Solange der G-BA keine Empfehlung ausgesprochen hat, dürfen neue Methoden nicht zu Lasten der GKV erbracht werden. Es handelt sich insofern um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (ausführlich dazu siehe Kap. 7).[35]

391

Die sog. neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden begrenzen einerseits den Leistungsanspruch des Versicherten, was im Hinblick auf neue Erkrankungsformen und schulmedizinisch nicht therapierbare Symptomatiken regelmäßig die Sozialgerichte beschäftigt, anderseits beschränken sie auch die Therapiefreiheit des Vertragsarztes, der ggf. von ihm für wirksam und sinnvoll erachtete Therapien nicht zu Lasten der Gesamtvergütung erbringen darf. Ob eine Methode in Abgrenzung zu einer Behandlungsmaßnahme „neu“ ist und einer Empfehlung des G-BA bedarf, ist sehr schwer abzugrenzen und beschäftigt regelmäßig die Sozialgerichte.[36]

392

In Extremsituationen, bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig sogar tödlich verlaufenden Erkrankungen, für die dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden nicht zur Verfügung stehen, sind Ausnahmen geboten.[37] Die divergierende Rechtsprechung zur Inanspruchnahme von besonderen Leistungen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen hat den Gesetzgeber des GKV-VStG veranlasst, in § 2 Abs. 1a SGB V den Anspruch für die Versicherten auf Leistungen außerhalb der vertragsärztlichen Regelversorgung nach den Vorgaben des BVerfG zu formulieren.[38]

5. Ärztlich veranlasste Leistungen Dritter

393

§ 73 Abs. 2 SGB V listet in Ziff. 5, 7, 7a, 8, 12 und 14 eine Reihe von Leistungen als Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung auf, die nicht von den Vertragsärzten selbst, sondern von Dritten in Form von Waren- oder Dienstleistungen erbracht werden. Es handelt sich um Arznei-, Verband- und Hilfsmittel sowie um Leistungen von medizinischer Rehabilitation, von häuslicher Krankenpflege, spezialisierter Palliativversorgung und Soziotherapie, und Krankentransporte in Krankenhäuser und in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Auch die Fortsetzung der Behandlung im Krankenhaus wird nach § 73 Abs. 4 SGB V verordnet. Gemeinsam ist diesen Leistungen, dass der Leistungsanspruch des Versicherten vorbehaltlich im Einzelfall notwendiger Überprüfung durch den MDK[39] erst durch die ärztliche Verordnung entsteht.

394

Davon zu unterscheiden ist die Rechtsbeziehung des Dritten, an den die Überweisung gerichtet ist, mit den Krankenkassen. Die ergibt sich aus den Rahmenverträgen für seinen Versorgungsbereich und ist öffentlich-rechtlich. Der Vertragsarzt, der die Überweisung ausstellt, ist nicht Vertreter der Krankenkasse beim Abschluss des Bezugsvertrages mit dem Dritten.[40] Grenzen ergeben sich aus den Negativlisten nach § 34 SGB V[41] und den spezialgesetzlichen Bindungen, denen der ausführende Leistungserbringer selbst unterliegt, z.B. im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht oder den einschlägigen berufsrechtlichen Regelungen, wie dem Apothekenrecht. Die ärztliche Verordnung verpflichtet die zuständige Krankenkasse zum Bezug der verordneten Ware bzw. Leistung nach den für diese geltenden Bezugsbedingungen.[42] Überschreitet der Vertragsarzt seine Verordnungskompetenz, entbindet dies die Krankenkasse nicht von ihrer Verpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer, löst aber ggf. Regressansprüche gegen den verordnenden Arzt aus.[43]

a) Arzneimittelversorgung

395

Der Anspruch der Versicherten beinhaltet nach § 31 Abs. 1 SGB V grundsätzlich nur die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht durch Richtlinien des G-BA ausgeschlossen sind. Ausgeschlossen sind nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB V auch mit einigen vom G-BA festzulegenden Ausnahmen, die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, sog. OTC-Produkte.[44] Die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln legt das Arzneimittelrecht fest.[45] Der Apotheker ist nach § 129 Abs. 1 SGB V nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe des verordneten Arzneimittels verpflichtet. Diese Verordnungsmöglichkeiten sind durch die Richtlinien des G-BA nach § 92 Abs. 1 SGB V in Bezug auf bestimmte Arzneimittelgruppen, Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, wie auch einzelner Präparate weiter eingeschränkt.[46] Auch Lifestyle-Arzneimittel sind von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Für die Verordnung von Betäubungsmitteln gelten weitere Besonderheiten, vgl. § 13 BtMG.

396

Die Apotheker sind über den Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V zur Abgabe der preisgünstigsten Arzneimittel oder sogar zur Ersetzung (Substitution) durch ein preisgünstigeres, aber hinsichtlich Wirkstärke und Packungsgröße identisches, wirkstoffgleiches Präparat des gleichen Anwendungsgebietes verpflichtet, wenn der Arzt dies nicht auf seiner Verordnung ausgeschlossen hat (sog. „Aut-idem-Verordnung“).[47] Besteht zwischen Krankenkasse und Pharmaunternehmen eine Rabattvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SGB V, hat der Apotheker das dort vorgesehene Präparat abzugeben, § 129 Abs. 1 S. 3 SGB V. Durch die Rabattverträge und die Möglichkeit der Substitution kommt es regelmäßig vor, dass der Vertragsarzt nicht weiß, welches Präparat sein Patient wirklich erhält. Das schafft die Gefahr unerwünschter Arzneimittelinteraktionen bei Polypharmazie[48] und konterkariert Sinn und Zweck eines Medikationsplanes, auf den Versicherte, die wenigstens drei Arzneimittel gleichzeitig anwenden, nach § 31a SGB V einen Anspruch haben.

397

Das Ausgabenvolumen für die von den Vertragsärzten nach § 31 SGB V veranlassten Leistungen, Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, wie auch Kriterien für Sofortmaßnahmen vereinbaren die Krankenkassen mit den KV jährlich auf Landesebene (§ 84 SGB V). Flankierend dazu sollen die KV und Krankenkassen nach § 73 Abs. 8 SGB V die Vertragsärzte über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen informieren und Hinweise zu Indikation und therapeutischem Nutzen geben. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Vertragsarztes wird nachträglich auf Basis von Rahmenvereinbarungen der BMV-Partner geprüft (§§ 106 Abs. 2 Nr. 1, 106b SGB V). nach welchen Kriterien die Prüfungen durchgeführt werden, ist den Vertragspartnern auf Landesebene überlassen. In der Regel werden sie bestrebt sein, die Einhaltung der nach § 84 SGB V vereinbarten Ausgabenvolumen über die Prüfungen abzusichern.

b) Heilmittelversorgung

398

Nach § 32 SGB V haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Heilmitteln. Heilmittel sind Dienstleistungen mit Heilzweck, z.B. Physiotherapie, Logopädie, Diättherapie u.Ä.[49] Berechtigt sind die nach §§ 124 f. SGB V zugelassenen Heilmittelerbringer. Die Verordnungsfähigkeit richtet sich nach den Heilmittel- RL des G-BA.[50] Der auf § 92 Abs. 6 S. 1 SGB V beruhende Teil II der RL, sog. Heilmittelkatalog, enthält detailgenaue Verordnungsvorgaben zu den einzelnen medizinischen Indikationen.[51]

399

Auch für Heilmittel werden auf Basis von § 84 Abs. 1 SGB V Ausgabenbudgets vereinbart. Ferner unterliegt ihre Verordnung der Nachprüfung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 Abs. 2 Nr. 2, 106b SGB V. Insofern wird auf die Ausführungen in Rn. 397. verwiesen.

c) Hilfsmittelversorgung

400

Die Versicherten haben nach § 33 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, z.B. Orthesen, Rollstühle, Inhalatoren, Kanülen u.Ä. Verordnet werden dürfen nur Hilfsmittel, die in das Verzeichnis des Spitzenverband Bund nach § 139 SGB V aufgenommen sind. Hilfsmittel dürfen keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sein.[52] Es sind Medizinprodukte, die nach EU-Recht zertifiziert sein müssen (§ 139 Abs. 5 SGB V). Was als Hilfsmittel in Betracht kommt, entscheidet der Spitzenverband Bund auf Antrag des Unternehmers nach den Kriterien von § 139 Abs. 3 ff SGB V. Seit Änderung des § 126 SGB V dürfen Hilfsmittel auch nur noch von zugelassenen Händlern abgegeben werden, die sich einem, zwischen dem Spitzenverband Bund und den Bundesorganisationen der Leistungserbringer vereinbartem, Zertifizierungsverfahren zu unterziehen haben und mit denen Verträge nach § 127 SGB V geschlossen werden.

 

401

Die Pflicht zur vergaberechtlichen Ausschreibung von Verträgen über Hilfsmittelversorgung in § 127 SGB V a.F. ist mit dem TSVG entfallen. Die früher ausgeschriebenen Verträge liefen nach § 127 Abs. 1 S. 8 SGB V zum 30.11.2019 aus. Stattdessen kann jeder Hilfsmittelerbringer nach § 127 Abs. 1 S. 2 SGB V Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen verlangen oder nach § 127 Abs. 2 SGB V einem bestehenden Vertrag mit einem anderen Leistungserbringer zu gleichen Konditionen beitreten, wenn er nicht schon aufgrund eines anderen Vertrages zur Versorgung berechtigt ist.

402

Die Zusammenarbeit zwischen Vertragsarzt und Hilfsmittellieferant regelt § 128 SGB V. Abs. 1 verbietet, abgesehen von Notfallversorgungen, Hilfsmitteldepots in den Vertragsarztpraxen. Abs. 2 stellt klar, dass keine finanziellen Vorteile im Zusammenhang mit der Verordnung von Hilfsmitteln gewährt werden dürfen. Vertragsärzte können nach Abs. 4 über die Verordnung hinaus an der Hilfsmittelversorgung nur noch auf der Grundlage von Verträgen mit den Krankenkassen mitwirken, die dann die zusätzlichen Leistungen unmittelbar zu vergüten haben. Die von der Rechtsprechung[53] herausgearbeiteten Grundsätze des verkürzten Versorgungsweges sind damit obsolet.

d) Weitere Leistungen

403

Alle weiteren verordenbaren Leistungen sind inzwischen durch detaillierte RL des G-BA mit folgenden Besonderheiten konkretisiert. Bei der Verordnung stationärer Krankenhausbehandlung ist nach § 73 Abs. 4 SGB V der in § 39 SGB V angesprochene Vorrang der ambulanten Behandlung zu beachten. Das kommt vor allem zum Tragen, wenn Möglichkeiten der vor- und nachstationären Behandlung nach § 115a SGB V und des ambulanten Operierens nach § 115b SGB V nicht ausgeschöpft werden. Die „Einweisung ins Krankenhaus“ ist zu begründen. Auszuwählen ist das nächst erreichbare geeignete Krankenhaus (Abs. 4 S. 3 und 4).

404

Die medizinische Rehabilitation ist nach § 40 Abs. 1 SGB V gegenüber der ambulanten Krankenbehandlung nachrangig und überschneidet sich mit dem Pflegerecht des SGB IX. Maßgeblich sind die Reha-RL des G-BA.[54] Danach geht die Rehabilitationsbehandlung der Pflege vor, soweit aus medizinischer Sicht noch eine Rehabilitationsfähigkeit besteht. Rehabilitation in stationären Einrichtungen ist nur zulässig, wenn ambulante Reha aus medizinischer Sicht nicht ausreicht. Zur Beratung über und Verordnung von Reha-Leistungen sind nach § 11 RL nur noch Fachärzte für physikalische und rehabilitative Medizin oder andere Ärzte mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin oder Rehabilitationswesen oder der fakultativen Weiterbildung „Klinische Geriatrie“ nach entsprechender Genehmigung durch die KV berechtigt.

405

Neu hinzugekommen sind in § 33a SGB V i.d.F. DVG mit Wirkung zum 19.12.2019 die digitalen Gesundheitsanwendungen, auch „Gesundheits-Apps“ genannt. Diese sollen die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen unterstützen können. Es handelt es sich um Medizinprodukte der niedrigen Risikoklasse, die vom BfArM in das neu geschaffene Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e SGB V aufgenommen sein müssen. Zuvor müssen sie als Medizinprodukt nach EU-Recht zertifiziert sein. Vor der Aufnahme in das Verzeichnis nach § 139e Abs. 2 SGB V sind vom Unternehmer schwierige Nachweise an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Datenschutz und dass positive Versorgungseffekte erzielt werden können, zu erbringen. Soweit in das Verzeichnis aufgenommene digitale Gesundheitsanwendung ärztliche oder zahnärztliche Leistungen erfordern, hat der Bewertungsausschuss diese nach § 87 Abs. 5c S. 1 SGB V binnen 3 Monaten in den EBM-Ä bzw. BEMA-Z aufzunehmen.

8. Kapitel Vertragsarztrecht › F. Die vertragsärztliche Versorgung › III. Die Trennung hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung

III. Die Trennung hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung

1. Die Intention des Gesetzgebers

406

Nach § 73 Abs. 1 SGB V gliedert sich die vertragsärztliche Versorgung in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung. Demgemäß ist nach § 95a Abs. 1 Nr. 2 SGB V für die Eintragung in das Arztregister als Voraussetzung einer Zulassung entweder eine Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder eines anderen Fachgebietes mit der Befugnis zur Führung einer Gebietsbezeichnung erforderlich. Die Trennung der Versorgungsbereiche wird weiter manifestiert. Nach § 87b Abs. 1 SGB V verteilt die KV die Gesamtvergütung getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung.[55] § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V enthält die Vorgabe, dass der EBM in hausärztliche und fachärztliche Leistungen zu gliedern ist, die unbeschadet gemeinsam abrechenbarer Leistungen nur von den jeweiligen Angehörigen des Versorgungsbereiches erbracht werden dürfen. § 87 Abs. 2b SGB V enthält detaillierte Vorgaben für den hausärztlichen und § 87 Abs. 2c SGB V für den fachärztlichen Teil des EBM.[56] Es gibt damit innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zwei Versorgungsbereiche, die weitgehend undurchlässige Grenzen aufweisen.[57]

407

Ursprünglich wollte der Gesetzgeber mit der Aufgliederung zur Qualitätssicherung beitragen.[58] Er war dabei von der Vorstellung geleitet, dass sich in der ambulanten ärztlichen Versorgung zwei Grundfunktionen unterscheiden lassen. Die hausärztliche Versorgung ist charakterisiert durch inhaltlich intensivierte Betreuung des Patienten in seinem sozialen Umfeld einschließlich der Koordinierung und Dokumentation der Behandlungsabläufe. In die Zuständigkeit der fachärztlichen Versorgung fallen dagegen die spezialisierten Untersuchungen und speziellen diagnostischen und technischen Leistungen. Mit der Aufspaltung der vertragsärztlichen Versorgung in eine hausärztliche und eine fachärztliche Versorgung bezweckt der Gesetzgeber eine fachliche Steuerung des Arztsystems vor dem Hintergrund einer bestehenden Überversorgung.[59] Zur Beseitigung ökonomischer Fehlentwicklungen in der vertragsärztlichen Versorgung durch ungeregelte und vermeintlich teure Inanspruchnahme der Fachärzte, sollte die Funktion des Hausarztes gestärkt werden. Dieses gesetzgeberische Ziel rechtfertigt die damit verbundenen Eingriffe in die Rechte der Ärzte.[60]

408

Auf institutioneller Ebene wurde der Aufteilung der Vertragsärzte in Haus- und Fachärzte Rechnung getragen, indem § 79 Abs. 3a SGB V die hausärztlichen oder fachärztlichen Mitglieder der Vertreterversammlung von der Beschlussfassung ausschließt, wenn der Beschlussgegenstand ausschließlich die jeweils andere Gruppe betrifft.

409

Der Gesetzgeber ist allerdings inkonsequent, weil er es ausdrücklich zulässt, dass in der hausarztzentrierten Versorgung (siehe § 73b Abs. 5 S. 4 SGB V) und in besonderen Versorgungsverträgen (siehe § 140a Abs. 2 S. 1 SGB V) von den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V (§§ 69–140) und damit auch von § 73 SGB V abgewichen werden darf.

2. Die Grenzen der Versorgungsbereiche

410

Die Grenzziehung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung wird in § 73 Abs. 1a SGB V durch die Zuordnung der ärztlichen Fachgebiete zu den Bereichen dergestalt vorgenommen, dass Allgemeinärzte, Kinderärzte, Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung, die die Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung gewählt haben und praktische Ärzte (§ 95a Abs. 4 SGB V) den Hausärzten zugeordnet werden. Alle übrigen Fachgebiete zählen zur fachärztlichen Versorgung. Die gleichzeitige Teilnahme an der hausärztlichen, wie auch fachärztlichen Versorgung, ist grundsätzlich ausgeschlossen.[61]

411

Nach § 73 Abs. 1a S. 3 SGB V kann der Zulassungsausschuss für Kinderärzte und Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung bei Vorliegen eines entsprechenden Versorgungsbedarfs eine befristete Ausnahmeregelung von der grundsätzlichen Zuordnung gestatten.[62] Für Allgemeinärzte sieht das Gesetz diese Möglichkeit in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nicht vor, ebenso wenig gibt es eine gesetzliche Grundlage, Allgemeinärzten die Erbringung einzelner fachärztlicher Leistungen zu gestatten.[63]

412

Nach § 73 Abs. 1 S. 2 SGB V gehören zur hausärztlichen Versorgung die folgenden vier Tätigkeitsfelder:


die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und familiären Umfeldes, wobei Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen nicht ausgeschlossen sind;
die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen;
die Dokumentation, insbesondere Zusammenführung, Bewertung und Aufbewahrung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befunde und Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung;
die Einleitung oder Durchführung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen sowie die Integration nichtärztlicher Hilfen und flankierender Dienste in die Behandlungsmaßnahmen.

413

§ 87 Abs. 2a S. 1 SGB V verpflichtet den BewA, die Aufgliederung der Versorgungsbereiche unbeschadet einiger gemeinsam abrechenbarer Leistungen in den Leistungsdefinitionen des EBM abzubilden und entweder exklusiv den Hausärzten oder den Fachärzten vorzubehalten.

414

Die abrechnungsfähigen Leistungen gliedern sich in folgende drei Abschnitte:


(II) arztgruppenübergreifende allgemeine Leistungen;
(III) arztgruppenspezifische Leistungen;
(IV)

415

Die arztgruppenspezifischen Leistungen unterteilen sich in einen hausärztlichen (III.a) und einen fachärztlichen Versorgungsbereich (III.b).[65] Arztgruppenspezifische Leistungen können nur von den, in der Präambel des entsprechenden Kapitels bzw. Abschnitts genannten, Vertragsärzten, die die dort aufgeführten Kriterien erfüllen, berechnet werden.[66] Andere Kriterien, etwa eine Qualifikation nach Weiterbildungsrecht, führen nicht zu einer Erweiterung der, vom EBM dem Fachgebiet zugeordneten, Leistungen.

416

In den Präambeln der einzelnen Fachkapitel werden die Facharztgruppen aufgeführt, die berechtigt sind, die definierten Leistungen abzurechnen. Die im Abschnitt „III Arztgruppenspezifische Leistungen“ für den hausärztlichen Versorgungsbereich (Abschnitt III.a 3) maßgebliche Präambel lautet:

 

Die in diesem Kapitel aufgeführten Leistungen können – unbeschadet der Regelung gem. 6.2 der Allgemeinen Bestimmungen – ausschließlich von


Fachärzten für Allgemeinmedizin,
Fachärzten für Innere und Allgemeinmedizin,
Praktischen Ärzten,
Ärzten ohne Gebietsbezeichnung,
Fachärzten für Innere Medizin ohne Schwerpunktbezeichnung, die gegenüber dem Zulassungsausschuss ihre Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung gem. § 73 Abs. 1a SGB V erklärt haben,

berechnet werden.

417

Die Präambeln für die einzelnen fachärztlichen Gebiete sind durchgehend entsprechend folgendem Beispiel des Kapitels „5 Anästhesiologische Leistungen“ im Abschnitt „III.b. Fachärztlicher Versorgungsbereich“ formuliert:

Die in diesem Kapitel aufgeführten Leistungen können ausschließlich von Fachärzten für Anästhesiologie berechnet werden.

418

In Fachkapiteln, wie z.B. den Chirurgischen Leistungen nach Kapitel 6 im Abschnitt III.b., die Ärzten mit mehreren Gebietsbezeichnungen nach dem Weiterbildungsrecht geöffnet sind, werden die Facharztbezeichnungen, deren Inhaber Leistungen abrechnen dürfen, explizit aufgeführt.

419

Wichtig

Anders als im früheren EBM 1996 ist es nicht möglich, dass Ärzte Leistungen, die in dem aktuellen nach Fachgruppen gegliederten EBM anderen Fachgebieten zugeordnet sind, aber von ihnen nach den insoweit maßgeblichen Gebietsdefinitionen der Weiterbildungsordnung noch erbracht werden dürfen, auch abrechnen dürfen.