Handbuch Medizinrecht

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d) Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM)

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Ebenfalls auf Bundesebene wird im Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Inhalt und der Wert der abrechnungsfähigen ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen bestimmt. Der EBM ist nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge und über diese wiederum Bestandteil der Gesamtverträge. Anders als die Bundesmantelverträge wird der EBM nicht vereinbart, sondern durch ein institutionalisiertes Gremium, dem Bewertungsausschuss, dem Vertreter der Vertragspartner angehören, beschlossen (siehe Rn. 86).[78]

2. Die Gesamtverträge

a) Vertragspartner

196

Jede KV schließt nach § 83 S. 1 SGB V für ihren Bezirk einen Gesamtvertrag mit den zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen. Mehrere Landesverbände können auch gemeinsam einen Gesamtvertrag abschließen. Einzelne Krankenkassen sind nicht befugt Gesamtverträge abzuschließen, obwohl gem. § 295 Abs. 2, 3 SGB V der Zahlungsverkehr mit den einzelnen Kassen direkt abzuwickeln ist.[79] In allen KV-Bezirken existieren Gesamtverträge für die Regionalkassen und die Ersatzkassen, womit den strukturellen Unterschieden dieser Kassenarten Rechnung getragen wird. Inhaltliche Unterschiede hinsichtlich der die Vertragsärzte berührenden Berufsausübungsregeln sind kaum gegeben.

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Die Landesverbände der Krankenkassen schließen die Gesamtverträge mit Wirkung für die beteiligten Krankenkassen. Dadurch ist dem Landesverband die Rechtsmacht zugewiesen, den Gesamtvertrag für jede einzelne Krankenkasse ihrer Kassenart verbindlich abzuschließen.[80] Die Bindung entfällt nur, wenn die Vereinbarung nichtig ist.[81] Mit der Einführung des Wohnortprinzips und entsprechender Änderung des Wortlauts des § 83 S. 1 SGB V zum 1.1.2002 ist für den Vertragsabschluss nicht mehr der Sitz der Krankenkasse maßgeblich, sondern der Wohnort des Versicherten.[82] Dadurch erhält der regional zuständige Landesverband der jeweiligen Kassenart die Verhandlungskompetenz für alle Versicherten der jeweiligen Kassenart mit Wohnort in seinem Zuständigkeitsgebiet zugewiesen.

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Die gesamtvertraglichen Regelungen müssen somit auch die sog. „einstrahlenden“ Krankenkassen, die ihren Sitz außerhalb des Geltungsbereiches des Gesamtvertrages haben, hinsichtlich ihrer Mitglieder, deren Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesamtvertrages liegt, gegen sich gelten lassen, ohne dass sie selbst Vertragspartner werden. Das galt wegen der normativen Bindungswirkung des Gesamtvertrages schon immer hinsichtlich der allgemeinen Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen KV und Krankenkasse. Hinsichtlich der vereinbarten Gesamtvergütung ergibt sich die Bindungswirkung de lege lata aus dem Wohnortprinzip.[83] Andererseits folgt aus der Nichtbeteiligung am Zustandekommen eines Gesamtvertrages kein Anspruch der Krankenkasse auf gerichtliche Überprüfung.[84]

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Durch die Einführung des Wohnortprinzips haben sich die Fälle des notwendigen Fremdkassenausgleichs nach den Richtlinien der KBV/KZBV (§ 75 Abs. 7 Nr. 2 und Abs. 7a SGB V) stark verringert.[85]

b) Allgemeiner Inhalt

200

Auf regionaler Ebene vereinbaren die KV mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen nach § 83 SGB V Gesamtverträge. Deren wesentlicher Bestandteil sind nach § 82 Abs. 2 S. 1 SGB V die Gesamtvergütungsvereinbarungen. § 85 Abs. 2 SGB V definiert die Berechnungsvorgaben für die Vertragszahnärzte, § 87a Abs. 3 SGB V die für die Vertragsärzte.

201

Seit dem Jahr 2009 sind die Gesamtvergütungen für die Vertragsärzte als Folge der durch das GKV-WSG veranlassten Neuordnung des vertragsärztlichen Vergütungssystems nach § 87a Abs. 3 S. 1 SGB V für alle Krankenkassen einheitlich auf Grundlage der Punktbewertungen des EBM als Punktzahlvolumen zu vereinbaren, welches den gesamten morbiditätsbedingten Behandlungsbedarf aller Versicherten mit Wohnort im KV-Bezirk beinhaltet. Ferner sind nach § 87a Abs. 2 S. 1 SGB V Punktwertvereinbarungen in EUR auf Basis des bundeseinheitlich durch den Bewertungsausschuss festgelegten Orientierungspunktwertes nach § 87 Abs. 2e SGB V zu treffen, nach denen dann die Vertragsärzte auf Basis einer regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Die Einheitlichkeit der Gesamtvergütungsvereinbarung für alle Landesverbände der Krankenkassen erfordert entweder auch den Abschluss eines einheitlichen Gesamtvertrages, was nach § 82 Abs. 2 S. 2 SGB V möglich ist oder die Ausgliederung der Gesamtvergütungsvereinbarung aus den Gesamtverträgen, wie das § 87a Abs. 3 S. 1 SGB V nahelegt.

202

Für die Vertragszahnärzte lässt § 85 Abs. 2 SGB V mehr Spielräume zu. Die Gesamtvergütung kann als Festbetrag vereinbart werden. Möglich sind auch Pauschalvergütungsmodelle, wonach sich die Gesamtvergütung aus der Addition von Kopfpauschalen oder Einzelleistungen oder aus Mischsystemen ergibt. Unterschiedliche Vergütungen für verschiedene Gruppen von Versicherten sind unzulässig. Mit den einzelnen Landesverbänden der Krankenkassen können jedoch abweichend von der Vorgabe für die Vertragsärzteschaft unterschiedliche Gesamtvergütungsmodelle vereinbart werden.

203

Die Bundesmantelverträge, deren Bestandteil nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V der EBM ist, enthalten nach § 82 Abs. 1 SGB V den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge. Das betrifft vor allem die Fragen, die von bundesweiter Bedeutung sind und nicht nur im jeweiligen KV-Bezirk auftreten. Über die damit vorgegebenen Bestandteile hinaus regeln die Gesamtverträge das Abrechnungswesen zwischen KV und Krankenkassen einschließlich Datenaufbereitung und Datenaustausch, die formellen Anforderungen an die Quartalsabrechnung der Vertragsärzte, die Abgrenzung von ambulanten und stationären Leistungen einschließlich der Besonderheiten der Belegärzte, die Verordnung von Sprechstundenbedarf und Materialkostenerstattung, den ambulanten Notdienst und vieles mehr.

204

§ 2 Abs. 7 BMV-Ä ermöglicht den Vertragspartnern sogenannte „besondere Versorgungsaufträge für definierte Patientengruppen“ zu definieren.[86] Rechtsgrundlage war § 73c SGB V i.d.F. des GMG, der, obwohl er inhaltlich eigentlich selektivvertragliche Regelungen einführte, auch bundesmantelvertragliche Regelungen zuließ.[87] Ermächtigungsgrundlage der besonderen Versorgungsaufträge sind nach Aufhebung des § 73c SGB V durch das GKV-VSG unmittelbar §§ 72 Abs. 2, 82 Abs. 1 S. 1 SGB V.[88]

205

Die Regelungsbefugnis in den Gesamtverträgen erstreckt sich auf die gesamte vertragsärztliche bzw. vertragszahnärztliche Versorgung (ausführlich dazu siehe Rn. 372 ff.).[89] Innerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs und der durch die Richtlinien des G-BA vorgegebenen Grenzen haben die Vertragspartner weitgehenden Gestaltungsspielraum. Die gesamtvertraglichen Regelungen dürfen aber den in den Bundesmantelverträgen und Richtlinien geregelten Sachverhalten vorbehaltlich darin explizit zugelassener Abweichungen nicht widersprechen.

206

Regionalen Besonderheiten darf aber bei der Vergütung nach § 87a Abs. 2 S. 2 SGB V durch Vereinbarung von Zu- und Abschlägen von den Orientierungspunktwerten des EBM (§ 87 Abs. 2e SGB V) Rechnung getragen werden.

c) Qualitätsförderungsverträge

207

Neben den bundeseinheitlichen Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V (siehe Rn. 187) waren auf Landesebene in den Gesamtverträgen häufig durch Qualitätsförderungsverträge auf Basis des durch das GKV-WSG abgeschafften § 73c Abs. 1 SGB V i.d.F. des GMG weitere Versorgungsbereiche besonderen Qualitätsanforderungen unterworfen worden. Die den Vertragspartnern in § 83 SGB V zugebilligte Vertragsautonomie hinsichtlich der Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung lässt die gesamtvertragliche Vereinbarung von Qualitätsförderungsverträgen auch nach Abschaffung des § 73c SGB V i.d.F. des GMG, ggf. auch als Strukturverträge auf Basis des ebenfalls abgeschafften § 73a SGB V oder als Einzelleistungsvergütung nach § 85 Abs. 2 S. 2 SGB V weiterhin zu, weshalb die bestehenden Verträge bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit oder ihrer Kündigung fortgelten.

208

Mittels Zusatzverträgen einzelner Krankenkassen oder deren Verbänden mit KV können auch strukturierte Behandlungsprogramme für bestimmte Erkrankungen wie z.B. Diabetes, Brustkrebs oder koronare Herzerkrankungen, die Schaffung besonderer Organisationsstrukturen im fachärztlichen Bereich in Form von Schwerpunktpraxen z.B. in der Schmerztherapie, Dialyse, Diabetologie oder Onkologie oder die Teilnahme an Kooperationen mit Krankenhäusern und Pflegeheimen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung gemacht werden.

209

Inhaltlich beruhen die meisten dieser Zusatzverträge auf den vom Bundesversicherungsamt auf Basis der Richtlinien des G-BA zugelassenen Disease-Management-Programmen (DMP) nach §§ 137f, 137g SGB V i.V.m. §§ 28d, f RSAV.[90] Nach Änderung des § 73c SGB V kann deren Einbeziehung in die vertragsärztliche Versorgung mit verbindlicher Wirkung für die Vertragsärzte über alle zur Verfügung stehenden Vertragstypen, sei es kollektivvertraglich, sei es einzelvertraglich, erfolgen.[91] § 28f RSAV ist zu entnehmen, dass die Durchführung eines DMP mit der zuständigen KV vor dem Antrag auf Zulassung vereinbart werden muss. In der Vereinbarung muss eine Arbeitsgemeinschaft vorgesehen werden, die sich darum kümmert, dass die von den Vertragsärzten erhobenen Behandlungsdaten pseudomysiert und maschinenlesbar versicherten- und leistungserbringerbezogen an die Krankenkassen übermittelt werden.

 

210

Die Teilnahme des Arztes beruht genauso wie die des Patienten auf einer Einschreibung und ist freiwillig.[92] Die Abschaffung des § 73c SGB V und die Vereinheitlichung der Vertragskompetenzen in § 140a SGB V durch das GKV-VSG sollen an der Rechtslage inhaltlich nichts ändern.[93] Die bereits genehmigten strukturierten Behandlungsprogramme müssen dem BVA nicht nochmals vorgelegt werden.[94]

3. Weitere Vereinbarungen auf Landesebene

a) Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM)

211

Da die Krankenkassen die Gesamtvergütung für die gesamte Versorgung aller Mitglieder eines Bezirks an die KV bezahlen (dazu siehe Rn. 827 ff.), bedarf es innerhalb der KV eines Systems der leistungsbezogenen Verteilung an die kraft Zulassung oder Ermächtigung vergütungsberechtigten Vertragsärzte. Instrument hierfür sind die Verteilungsmaßstäbe (HVM), deren Rechtsgrundlage § 85 Abs. 4 SGB V für die Vertragszahnärzte und seit 1.1.2012 § 87b SGB V i.d.F. des GKV-VStG für die Vertragsärzte und Psychotherapeuten ist. Bis zum Jahrgang 2011 galt § 85 Abs. 4 SGB V noch einheitlich für die vertragsärztliche wie auch die vertragszahnärztliche Versorgung. Nach der Reform des Vergütungssystems durch das GKV-WSG, war die Honorarverteilung der Vertragsärzte in den Jahren 2009 bis 2011 nach §§ 87a, 87b SGB V a.F. durch das vom Bewertungsausschuss vorgegebene System der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina[95] inhaltlich vorgeben, weshalb der HVM einer KV sich auf die Regelungen zu deren Umsetzung zu beschränken hatte.

212

Seit Inkrafttreten des SGB V waren die HVM von den KV/KZV als Satzung erlassen worden. Zur Abstimmung mit den Krankenkassen war lediglich eine Benehmensherstellung erforderlich gewesen.[96] Vom 1.7.2004 bis zum Jahr 2011 musste der HVM zwischen KV/KZV und den Landesverbänden der Krankenkassen und Verbänden der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich vereinbart werden (§ 85 Abs. 4 S. 2 SGB V i.d.F. des GMG).

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An die Stelle der früheren, einseitigen Festsetzung des HVM als Satzung, war ein zweiseitiger, Normsetzungsvertrag getreten, der keiner satzungsrechtlichen Umsetzung mehr bedurfte.[97] Das Vereinbarungserfordernis bezog sich aber nur auf die eigentlichen Regelungen der Honorarverteilung. Die Regelungskompetenz der KV bezüglich des formalen Abrechnungsverfahrens mit den Vertragsärzten war davon nicht erfasst und konnte somit weiterhin durch Satzung oder Verwaltungsanweisung geregelt werden.[98] Auch während der Geltung der Regelleistungsvolumina waren satzungsrechtliche Regelungen des Abrechnungsverfahrens notwendig.

214

Mit dem GKV-VStG wurden die §§ 85 Abs. 4 und 87b Abs. 1 SGB V dahingehend geändert, dass auch die eigentlichen Honorarverteilungsregelungen seit dem Jahrgang 2012 wieder als Satzungen zu erlassen sind, für die das Benehmen der Krankenkassen herzustellen ist. Die Beschlüsse des Bewertungsausschusses galten nach § 87b Abs. 1 S. 3 SGB V nur noch bis zur Entscheidung der KV über einen HVM fort. Diese Kompetenzverlagerung ermöglicht schnellere Änderungs- und Reaktionsmöglichkeiten der KV, wenn Verwerfungen im Honorargefüge erkannt werden.[99] Allerdings bleibt der Gestaltungsspielraum der KV weiterhin eingeschränkt, weil jetzt die Vorgaben der KBV nach § 87b Abs. 4 SGB V zu beachten sind.

b) Vereinbarungen nach § 84 SGB V

215

§ 84 SGB V verpflichtet die KV und die Krankenkassen auf Landesebene anstelle der früheren starren Budgets differenzierte Arznei- und Heilmittelvereinbarungen abzuschließen, in der ein Ausgabenvolumen für die von den Vertragsärzten insgesamt veranlassten Leistungen, Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele (Zielvereinbarungen) und Sofortmaßnahmen zur Einhaltung der vereinbarten Ausgabenvolumen vereinbart werden (Abs. 1–4). Ferner sind die Folgen der Über- oder Unterschreitung der vereinbarten Ziele festzulegen. Die Inhalte der Arzneimittelvereinbarungen haben sich nach den Rahmenvorgaben zu richten, die zwischen der KBV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbart werden (Abs. 7). Ergänzend dazu vereinbaren die Vertragspartner Richtgrößen für die je Arzt verordneten Arznei-, Verband- (Abs. 6) und Heilmittel (Abs. 8). Überschreitungen der Richtgrößen lösen Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 Abs. 5a SGB V aus (ausführlich hierzu siehe Rn. 1071 ff.). Abweichend und ergänzend über die gesetzliche Vorgabe hinausgehend können die Krankenkassen direkte Vereinbarungen mit den Ärzten treffen, § 84 Abs. 1 S. 5 SGB V.

c) Prüfvereinbarung

216

Nach § 106 Abs. 1 S. 2, 106a Abs. 4 SGB V sind Inhalt und Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei ärztlichen Leistungen, ferner nach § 106b Abs. 1 SGB V die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen einschließlich jeweils Maßnahmen wegen Unwirtschaftlichkeit zwischen den KV und den Landesverbänden der Krankenkassen bzw. Verbänden der Ersatzkassen einheitlich zu vereinbaren. In einer weiteren Vereinbarung sind nach § 106d Abs. 5 SGB V Inhalt und Durchführung der Abrechnungsprüfungen einschließlich Maßnahmen für den Fall von Verstößen gegen Abrechnungsbestimmungen und einer Überschreitung der Zeitrahmen niederzulegen. Die von KBV und den Spitzenverbänden der Krankenkassen nach § 106 Abs. 3 SGB V vereinbarten Rahmenempfehlungen zu den Prüfanlässen nach § 106a Abs. 2 SGB V, die Rahmenvorgaben für die Prüfung der Verordnungen und die nach § 106d Abs. 6 SGB V vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen sind Bestandteile der jeweiligen Vereinbarung (siehe auch Rn. 1030 ff. und 1080 ff.).

4. Selektivverträge

217

Als Selektivvertrag bezeichnet man einen Vertrag zwischen ausgewählten Vertragspartnern in Abgrenzung zum Kollektivvertrag, der alle Beteiligte im Versorgungssystem erfasst. Oft werden dafür die synonymen Begriffe „Direktvertrag“ oder „Einzelvertrag“ verwendet. Die Möglichkeiten zum Abschluss von Selektivverträgen, abweichend von den kollektivvertraglichen Regelungen, wurden erst lange nach Einführung des SGB V geschaffen. Den wieder abgeschafften Strukturverträgen (§ 73a SGB V i.d.F. 2. GKV-NOG) folgten die integrierte Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) im GKV-GRG und die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V) und die Einzelverträge mit besonderem Versorgungsauftrag (§ 73c SGB V) im GKV-GMG. Selektivvertragliche Versorgungssysteme könnten bei zunehmender Ausweitung der davon umfassten Versorgungsbereiche wegen des Übergangs des Sicherstellungsauftrages an die Krankenkassen nebst entsprechender Bereinigung der Gesamtvergütung mit Verlust der entsprechenden Verwaltungskostenbeiträge zur Aushöhlung der KV führen.[100]

218

Kennzeichen der Selektivverträge sind die Freiwilligkeit der Teilnahme von Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten, und weitgehende Vertragsfreiheit bei der Ausgestaltung ohne Verbindlichkeit der für die vertragsärztliche Versorgung vorgegebenen Strukturen.[101]

219

Der Gesetzgeber hat die integrierte Versorgung und die einzelvertraglichen besonderen Versorgungsaufträge mittels dem GKV-VSG ab dem Jahr 2015 unter der Überschrift „Besondere Versorgung“ in einem neu gefassten § 140a SGB V zusammengefasst (siehe dazu auch Kap. 9). §§ 73a und 73c SGB V wurden aufgehoben. Innovative Projekte werden seitdem vom G-BA nach § 92a SGB V finanziell aus einem „Innovationsfond“ gefördert, für den der G-BA nach § 92b SGB V einen Innovationsausschuss eingerichtet hat, der die Förderkriterien bekanntmacht und über die Vergabe der Mittel entscheidet, siehe dazu Rn. 81.

220

Hinweis

Die auf Basis von §§ 73a, 73c und 140a SGB V a.F. abgeschlossenen Verträge gelten nach § 140a Abs. 1 S. 3 SGB V fort. Da die Voraussetzungen für den Abschluss von Einzelverträgen in § 140a SGB V n.F. gelockert und der Gestaltungsspieltraum der Krankenkassen erweitert wurde, sollen die vereinfachten Regelungen ab dem Inkrafttreten des GKV-VSG auch für die bestehenden Verträge gelten.[102]

a) Hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V

221

Die Gesamtverträge mussten nach alter Rechtslage das Nähere über den Inhalt der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) und deren tatsächliche und personelle Ausstattung regeln. Der durch das GKV-WSG neu gefasste § 73b SGB V sieht eine obligatorische Mitwirkung der KV an der HzV nicht mehr vor. Die Krankenkassen haben ihren Versicherten nach § 73b Abs. 1 SGB V anstelle der Regelversorgung flächendeckend eine besondere hausärztliche Versorgung, welche neben den in § 73b Abs. 1 S. 2 SGB V aufgezählten Bestandteilen die zusätzlichen vier in § 73b Abs. 2 SGB V aufgezählten Anforderungen erfüllt, anzubieten. Diese Verträge sind Normsetzungsverträge, die den vertragsarztrechtlichen Status der anderen nicht an der HzV teilnehmenden Arztgruppen nicht beeinträchtigen.[103] Die Teilnahme der Versicherten ist freiwillig. Hinsichtlich ihrer eingeschriebenen Mitglieder übernehmen die Krankenkassen den Sicherstellungsauftrag. Folglich ist die Notwendigkeit inhaltlicher Vereinbarungen im Gesamtvertrag entfallen. Da aber nach § 73b Abs. 7 SGB V die Gesamtvergütungen um die auf die Krankenkassen übergegangenen Leistungsanteile bereinigt werden müssen, bedarf es trotzdem einer gesamtvertraglichen Vereinbarung entsprechender Bereinigungsverfahren (vgl. Rn. 239 und Rn. 857).[104] Die Krankenkassen können den der HzV zuzurechnenden Notdienst durch die KV sicherstellen lassen, wenn sie die entsprechenden Aufwendungen ersetzen.

222

Die Verträge zur HzV sind nach § 73b Abs. 4 S. 1 SGB V zur Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots mit Gemeinschaften von Hausärzten zu schließen, die mindestens die Hälfte der hausärztlich tätigen Allgemeinärzte im KV-Bezirk repräsentieren. Diese Quote kann auch durch Zusammenschluss mehrerer Gemeinschaften erfüllt werden.[105] Als Vertragspartner auf Seiten der Leistungserbringer sind nach § 73b Abs. 4 S. 3 SGB V für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen oder subsidiär neben Verträgen mit den repräsentativen Gemeinschaften auch Hausärzte i.S.v. § 73 Abs. 1a SGB V, Gemeinschaften dieser, Träger von Einrichtungen, die eine HzV durch solche Hausärzte anbieten und KV, die von hausärztlichen Gemeinschaften dazu ermächtigt wurden, zugelassen. Diese Vertragspartner haben, anders als die repräsentativen Gemeinschaften, keinen Anspruch auf einen Vertragsabschluss.[106]

223

Aufgrund des sich aus § 73b Abs. 4 S. 1 SGB V ergebende Kontrahierungszwangs besteht nach § 69 Abs. 2 S. 2 SGB V für diese Pflichtverträge keine vergaberechtliche Ausschreibungspflicht.[107] Die Pflicht zur Ausschreibung der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots nach § 73b Abs. 4 S. 5, 2. HS SGB V gilt nur für Ergänzungsverträge nach S. 3.

 

224

Im Falle einer Nichteinigung dieser Vertragspartner kann ein Schiedsverfahren nach § 73b Abs. 4a SGB V beantragt werden. Dazu haben sich die Streitparteien zunächst auf eine Schiedsperson zu einigen, andernfalls wird diese durch die Aufsichtsbehörde bestimmt.[108] Klagen gegen die Benennung einer Schiedsperson haben keine aufschiebende Wirkung. Die Festlegung eines Vertragsinhalts durch die Schiedsperson ist kein Verwaltungsakt. Klagen sind nach § 73b Abs. 4 S. 5 SGB V gegen den Vertragspartner zu richten.[109] Zuständig sind in erster Instanz die Sozialgerichte.[110]

225

Der durch Festlegung der Schiedsperson zu Stande gekommene Vertrag ist auch dann umzusetzen, wenn Klage erhoben ist. Schadensersatzansprüche der Krankenkasse gegen den beteiligten Hausärzteverband, wie auch gegen die teilnehmenden Ärzte wegen Unvereinbarkeit des umgesetzten Vertrages mit gesetzlichen Vorschriften, sind nicht gegeben. Eine Rückabwicklung des Vertrages scheidet in der Regel aus.[111]

226

Ungeklärt sind mangels gesetzlicher Regelung zahlreiche Fragen, die sich aus dem Verhältnis des an der HzV teilnehmenden Hausarztes zu seiner KV ergeben. Einerseits haben die Krankenkassen nach § 73b Abs. 4 S. 1 SGB V zur „flächendeckenden Sicherstellung Verträge zu schließen“, was die KV von der unmittelbaren Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung einschließlich des Notdienstes befreit, soweit diese Verträge geschlossen sind. In der Regel werden die Hausärzte in beiden Systemen tätig sein, schon weil nicht alle Krankenkassen HzV-Verträge abgeschlossen haben. Unklar ist daher, inwieweit der bei der KV hinsichtlich der nicht teilnehmenden Hausärzte und hinsichtlich der in die HzV nicht eingeschriebenen Patienten verbleibende Sicherstellungsauftrag praktisch wahrgenommen werden kann.

227

Mangels Zuständigkeit der KV für die HzV gilt das zwischen KV und Vertragsarzt bestehende Pflichtensystem einschließlich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 ff. SGB V nicht.[112] Befugnisse der Krankenkassen und Pflichten der Hausärzte sind nach § 73b Abs. 5 SGB V in den HzV-Verträgen zu regeln. Die Krankenkassen haben allerdings die Befugnis zur Prüfung der Abrechnungen nach § 106d Abs. 3 SGB V. Daraus resultiert aber noch kein Anspruch auf Rückzahlung fehlerhaft abgerechneten Honorars. Ein solcher Anspruch muss im HzV-Vertrag unter Berücksichtigung der mit dem teilnehmenden Hausarztverband vereinbarten Zahlungswege geregelt werden.[113]

228

Nicht geregelt sind die Rechtsschutzmöglichkeiten des Hausarztes innerhalb der HzV gegenüber seinem Hausärzteverband und den beteiligten Krankenkassen, z.B. wenn dort die Vergütungen nicht ausbezahlt werden, weil Streit über deren Höhe besteht.[114] Zweifellos gegeben ist die Zuständigkeit der Sozialgerichte nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG.[115] Da aber § 73b SGB V weder dem Hausärzteverband noch den beteiligten Krankenkassen eine Verwaltungsaktsbefugnis gegenüber den teilnehmenden Hausärzten vermittelt, hängt es letztlich von der vertraglichen Gestaltung der Abrechnungsregelungen ab, ob und wie ein Arzt mit dem Instrumentarium der §§ 54, 55 SGG seine Honoraransprüche durchsetzen oder sich gegenüber unberechtigten Einbehalten oder seinem Ausschluss schützen kann.