Handbuch Medizinrecht

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5. Richtlinien

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Große normative Bedeutung haben die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu beschließenden Richtlinien. (Zum Rechtsstatus und Organisation des G-BA siehe Rn. 63 ff.). Nach § 92 Abs. 1 S. 1 SGB V hat dieser die Aufgabe, die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu erlassen.

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Mit den Richtlinien können Leistungen oder Maßnahmen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Die Richtlinien konkretisieren damit einerseits den Sachleistungsanspruch des Versicherten und schränken andererseits die Therapiefreiheit der Vertragsärzte ein.[37] Gleichzeitig legen sie im Detail fest, welche Leistungen als wirtschaftlich i.S.d. § 12 Abs. 1 SGB V zu gelten haben und welche nicht.

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Einen Themenkatalog über die zu erlassenden Richtlinien enthält § 92 Abs. 1 S. 2 SGB V, die der G-BA laufend für alle Bereiche der vertragsärztlichen Versorgung erlässt und weiterentwickelt.[38] Die Richtlinien über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V beinhalten Empfehlungen des G-BA über die Anerkennung neuer Methoden und deren apparative und fachliche Voraussetzungen auf Seiten der Vertragsärzte, die nach § 135 Abs. 1 SGB V Voraussetzung für die Anwendbarkeit sind. § 136 SGB V konkretisiert die Verpflichtung zum Erlass von Qualitätssicherungs-RL nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 13 SGB V sektorenübergreifend für alle Versorgungsbereiche. Dazu hat der Gesetzgeber dem G-BA im Zuge der Neuregelung der Qualitätssicherung durch das KHSG in § 137 Abs. 1 SGB V ein Instrumentarium zur Durchsetzung und Kontrolle seiner Qualitätssicherungsanforderungen an die Hand gegeben. Die Einzelheiten dazu sind in Richtlinien festgelegt.[39]

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Nach § 92 Abs. 8 SGB V sind die Richtlinien Bestandteile der Bundesmantelverträge. Sie haben daher dieselbe Rechtsnormqualität wie diese Verträge. Anders als die Verträge werden die Richtlinien erst mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger wirksam, § 94 Abs. 2 SGB V. Ihre tragenden Gründe sind aus Transparenzgründen im Internet zu veröffentlichen.[40] Zuvor sind sie dem BMG vorzulegen, das nach § 94 Abs. 1 SGB V das Recht zur Beanstandung und Ersatzvornahme hat.

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Gewichtige Stimmen in der Literatur halten die Richtlinien des G-BA u.a. wegen unzureichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen und fehlender demokratischer Legitimation des G-BA selbst bzw. der Entsendekörperschaften für verfassungswidrig.[41] Das BSG ist, anders als einige LSG, diesen Einwänden bisher nicht gefolgt.[42] Der Gesetzgeber hat inzwischen in § 91 Abs. 6 SGB V die Verbindlichkeit der Beschlüsse des G-BA für alle Beteiligten in der vertragsärztlichen Versorgung angeordnet.[43] Damit steht für die Praxis die Normverbindlichkeit der Richtlinien außer Frage. Die gerichtliche Nachprüfbarkeit beschränkt sich somit auf die Frage der Beachtung der Grenzen der einschlägigen gesetzlichen Ermächtigung innerhalb des normativen Gestaltungsspielraumes, der dem G-BA zuzubilligen ist.[44]

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Von den Richtlinien des G-BA zu unterscheiden sind die auf Basis von § 75 Abs. 7 SGB V erlassenen Richtlinien der KBV/KZBV. Diese haben für die Durchführung der Bundesmantelverträge bedeutsame Sachverhalte zum Gegenstand.[45] Sie erhalten ihre Verbindlichkeit gegenüber den Vertragsärzten durch eine nach § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V gesetzlich verpflichtende Implementierung in die Satzungen der KV. Ebenfalls in einer Richtlinie sollen die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in der vertragsärztlichen Versorgung geregelt werden.[46] Nach § 75 Abs. 7a SGB V ist auch der Fremdkassenausgleich zwischen den KV durch eine Richtlinie der KBV im Benehmen mit dem Spitzenverband Bund zu regeln.

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Mit dem DVG wurde ein neuer § 75b SGB V geschaffen, der KVB und KZVB verpflichtet, in einer Richtlinie bis zum 30.6.2020 die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung festzulegen. Diese Anforderungen sind notwendig, weil der Gesetzgeber die Kommunikation mit Hilfe digitaler elektronischer Medien massiv ausbauen möchte. KBV und KZVB erhalten dazu auch die Aufgabe, ab dem 30.6.2020 zusammen mit dem BSI Diensteanbieter auf Antrag zertifizieren. Eine Verpflichtung zur Nutzung dieser Diensteanbieter ist damit laut Gesetzesbegründung nicht verbunden.[47] Sie werden aber unentbehrlich notwendig sein, da die Telematikinfrastruktur selbst obligatorisch zu nutzen ist, sobald die technischen Möglichkeiten nach § 291a SGB V geschaffen sind, vgl. §§ 86, 87 Abs. 1 S. 8–12, 291 Abs. 2b S. 3 und 4, 295 Abs. 4 SGB V.

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Mit dem GMG wurde noch eine dritte Variante von zwischen KBV und Spitzenverband Bund zu vereinbarenden Richtlinien eingeführt, nämlich die mit dem TSVG wieder abgeschafften Richtlinien zur Zufälligkeitsprüfung nach § 106 Abs. 2b SGB V a.F.[48] und Richtlinien nach § 106d Abs. 6 SGB V zur Abrechnungsprüfung.[49] Diese Richtlinien binden zunächst nur die Partner der Gesamtverträge, die auf Landesebene nach § 106d Abs. 5 SGB V Vereinbarungen über die Abrechnungsprüfungen abschließen müssen, deren Bestandteil die Richtlinien sind. Die Richtlinien werden damit der Teil eines Normsetzungsvertrages und erhalten dadurch ihre Verbindlichkeit gegenüber den Vertragsärzten.

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Mit der Neugestaltung des Vergütungssystems durch das GKV-VStG kam in § 87b Abs. 4 SGB V noch die Variante einer „verbindlichen Vorgabe“ ins Gesetz.[50] Danach hat die KBV im Einvernehmen mit dem Spitzenverband den regionalen KV Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung sowie Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze als Rahmenvorgabe für Richtlinien zu machen. Diese Vorgaben stellen somit nur den Rahmen für noch im Detail auszuarbeitende Richtlinien zur Verfügung. Wesentlich größere Bedeutung haben die von der KBV herzustellenden Vorgaben an die regionalen HVMs, vor allem weil die Verweisung auf die in § 87b Abs. 2 S. 1 bis 3 SGB V aufgeführten Anforderungen durch die Voranstellung des Wortes „insbesondere“ nicht abschließend ist und daher der KBV eine weitreichende Befugnis zukommt, die Regionalisierung der Honorarverteilung durch detaillierte Vorgaben zu vereinheitlichen. Die KBV ist dieser Aufgaben erstmals am 15.12.2011 nachgekommen.[51] KV Diese Vorgaben wurden seit dem jedes Jahr aktualisiert. Inhaltlich ist das Benehmen mit dem Spitzenverband Bund herzustellen.[52]

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Die Vorgaben sind keine kollektivvertraglichen Vereinbarungen und beruhen mangels Rechtsgrundlage auch nicht auf einem Weisungsrecht der KBV gegenüber ihren Mitglieds-KV. Sie hätten daher dem Grunde nach nur Empfehlungscharakter. Deshalb ordnet § 87b Abs. 4 S. 3 SGB V ihre Verbindlichkeit für die KV an. Da der KBV auch keine Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung steht, blieb die anfängliche Nichtumsetzung durch einige KV folgenlos. Deren Mitglieder können allerdings inzident die Rechtswidrigkeit des jeweiligen HVM rügen, wenn die zwingenden Vorgaben nicht umgesetzt worden sind.

6. Normenhierarchie

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Unterhalb der gesetzlichen Vorschriften ergibt sich aus der Systematik der auf Bundesebene bzw. auf Landesebene zu treffenden Vereinbarungen mit Normwirkung folgende Rangfolge:

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Zunächst beanspruchen die Richtlinien des G-BA allgemeine Gültigkeit für die gesamte vertragsärztliche Versorgung.[53] Sie sind Bestandteil der Bundesmantelverträge, welche wiederum den allgemeinen Inhalt aller Gesamtverträge vorgeben. In den Gesamtverträgen werden die regionalen Besonderheiten mit verbindlicher Wirkung gegenüber den der vertragsschließenden KV angehörenden Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und MVZ geregelt. Die Satzungen dieser KV enthalten gem. § 81 Abs. 3 SGB V Bestimmungen, mit denen die Verbindlichkeit der Vereinbarungen auf Bundesebene und der Richtlinien des G-BA im Verhältnis zu den Mitgliedern der KV hergestellt wird.[54] In der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V und in der besonderen Versorgung nach § 140b SGB V kann von den Richtlinien abgewichen werden, wobei die Richtlinien zur Qualitätssicherung als Mindeststandard zu übernehmen sind.

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Der Leistungserbringer (Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeut) wird per Verwaltungsakt (Zulassung) Mitglied der KV bzw. KZV seines Bezirks und untersteht damit deren Satzungshoheit, über die die Verbindlichkeit der vertraglichen Regelungen und Richtlinien hergestellt ist. Ergänzend ordnet § 95 Abs. 3 S. 3 SGB V die Verbindlichkeit der untergesetzlichen Vorschriften an. Besondere Bedeutung hat diese für die ermächtigten Ärzte insoweit gleich lautende Vorschrift des § 95 Abs. 4 S. 2 SGB V, weil die ermächtigten Ärzte nicht Mitglied der KV werden.[55]

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Die Richtlinien der KBV/KZBV nach § 75 Abs. 7 und 7a SGB V zählen zum autonomen Satzungsrecht dieser Körperschaften und entfalten daher nur Verbindlichkeit gegenüber den ihrer Satzungsgewalt unterworfenen Mitglieds-KV/KZV.[56] Über diese Zwischenstufe wirken die Richtlinien aber auch gegenüber den diesen angehörenden Vertragsärzten, weil diese im Rahmen der Normenhierarchie Anspruch auf Einhaltung übergeordneten Rechts haben. Zusätzlich haben die KV/KZV nach § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V über ihre Satzungen die Verbindlichkeit herzustellen. Das gilt nicht für die nach §§ 106 Abs. 2b, 106a Abs. 6 SGB V vereinbarten Richtlinien, die auch nicht Bestandteile der Bundesmantelverträge sind. Diese binden unmittelbar nur die Partner der Vereinbarung und mittelbar deren Mitgliedskörperschaften.

 

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Gibt es einen Widerspruch im Regelungsgefüge, haben bundeseinheitliche Regelungsvorgaben grundsätzlich Vorrang gegenüber Regelungskompetenzen auf Landesebene. Dieses Problem tritt z.B. auf, wenn die auf Basis der Aufgabenzuweisungen in den §§ 85 ff. SGB V vom Bewertungsausschuss getroffenen Regelungen auf Landesebene in den Honorarverteilungsregelungen der KV nicht deckungsgleich umgesetzt werden.[57]

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Die Selektivverträge im Rahmen der neuen Versorgungsformen binden dagegen nur die in den Vertrag einbezogenen Vertragspartner untereinander. Inwieweit innerhalb des Vertragssystems die gesetzlichen Vorgaben und die kollektivvertraglichen Regelungen fortgelten, ergibt sich aus den Ermächtigungsgrundlagen der §§ 73b und 140a ff. SGB V und den hierzu geschlossenen Verträgen.

8. Kapitel Vertragsarztrecht › D. Rechtsgrundlagen des Vertragsarztrechts › II. Die Verträge auf Bundes- und Landesebene

II. Die Verträge auf Bundes- und Landesebene
1. Die Bundesmantelverträge

a) Vertragspartner

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Die Bundesmantelverträge werden nach § 82 Abs. 1 SGB V von der KBV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen abgeschlossen, der nach § 217f Abs. 1 SGB V i.d.F. d. GKV-WSG ab dem 1.7.2008 die Aufgaben der früheren Spitzenverbände/Bundesverbände der Krankenkassen als deren Rechtsnachfolger übernahm und damit auch Vertragspartner der schon abgeschlossenen Bundesmantelverträge wurde, § 83 S. 1 SGB V i.d.F. d. GKV-WSG (siehe auch Rn. 32). Entsprechend der verschiedenen Kassenarten, die durch eigene Spitzenverbände repräsentiert waren, wurden traditionell für die Regionalkassen und für die Ersatzkassen getrennte Verträge abgeschlossen, nach Einführung des SGB V im Jahre 1989 erstmals mit Wirkung zum 1.10.1990.[58] Nach langen Verhandlungen konnten sich die Vertragspartner mit Wirkung zum 1.10.2013 auf einen einheitlichen Bundesmantelvertrag für alle Kassenarten einigen.[59] Für die vertragszahnärztliche Versorgung schloss die KZBV noch bis ins Jahr 2018 mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen ebenfalls getrennte Verträge für die Regionalkassen[60] und für die Ersatzkassen[61] ab. Erstmals im Jahre 2018 gelang es den Vertragspartnern, diese in einem einheitlichen Vertragswerk mit Wirkung ab dem 1.7.2018 zusammenzuführen.[62]

b) Inhalt

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Nach § 82 Abs. 1 SGB V enthalten die Bundesmantelverträge den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge. Nach § 87 Abs. 1 S. 2 SGB V sind auch Regelungen, die zur Organisation der vertragsärztlichen Versorgung notwendig sind, insbesondere Vordrucke und Nachweise, aufzunehmen. Ferner ist die Gestaltung der Arzneiverordnungsblätter vorzunehmen. Die Bundesmantelverträge nebst deren Anlagen (derzeit 33, abrufbar über die Homepage der KBV http://www.kbv.de/html/bundesmantelvertrag.php), die ihrerseits wichtige Regelungen enthalten, konkretisieren die zur vertragsärztlichen Versorgung gehörenden Behandlungsleistungen und grenzen diese gegenüber den anderen Versorgungssektoren ab. Es werden ferner die Behandlungspflichten der Ärzte und die Anspruchsberechtigung der Versicherten festgelegt. Auch werden der Umfang der Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung, wie auch die Kriterien der Beschäftigung eines Vertreters oder eines Assistenten, sowie die Tätigkeit außerhalb der Praxisräume und die stationäre belegärztliche Behandlung definiert. Zentrale Bedeutung hat die Definition des Behandlungsfalles[63] bzw. des Krankheitsfalles.

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Weitere Vorschriften regeln die von den Versicherten zu leistenden Zuzahlungen (Praxisgebühren), die Verwendung der Krankenversichertenkarte und die Überweisung zu anderen Leistungserbringern. Daran knüpfen Vorschriften über das Abrechnungsverfahren und die Datenverarbeitung einschließlich der Verwendung der Vordrucke an. Weitere Kapitel regeln das Verordnungswesen und die Prüfung der Abrechnungen und Wirtschaftlichkeit einschließlich Schadenersatz. Die Anlagen haben teilweise den Umfang eigenständiger Vertragswerke angenommen. Sie enthalten teils technische Regelungsgegenstände z.B. Formularwesen (Anlagen 2 und 3), Gestaltung und Inhalt der Krankenversicherungskarte bzw. elektronischen Gesundheitskarte (Anlagen 4, 4a und 20). Einige Anlagen definieren den Umfang und die Anforderungen an spezielle Versorgungsaufträge, z.B. die Psychotherapie (Anlage 1), die hausärztliche Versorgung (Anlage 5), die onkologische Versorgung (Anlage 7), die Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten (Anlage 9.1). Anlage 3 enthält die Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V. Den technischen Fortschritt im Behandlungsalltag behandeln die Anlagen 31 (Telemedizinische Leistungen), 31a (Vereinbarung Telekonsil), 31b (Videosprechstunde) und 32 (Telematikinfrastruktur).

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Im BMV-Z sind nach § 87 Abs. 1a SGB V das Abrechnungsverfahren für Zahnersatz entsprechend der Regelversorgung nach § 56 Abs. 2 SGB V zu vereinbaren, ferner die Verpflichtung zur Erstellung eines Heil- und Kostenplanes für eine Zahnersatzversorgung und deren Abrechnung einschließlich der formalen Anforderungen an die Rechnungslegung für die zahntechnischen Laborleistungen.

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Die Richtlinien des G-BA werden über § 92 Abs. 8 SGB V in die Bundesmantelverträge und über diese in die Gesamtverträge einbezogen.

c) Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V

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Unabhängig von der Möglichkeit, Qualifikationsanforderungen auf der Grundlage von §§ 72 Abs. 2, 82 Abs. 1 SGB V direkt im BMV-Ä oder nach § 82 Abs. 2 SGB V im EBM festzulegen, können die Partner der Bundesmantelverträge auch nach § 135 Abs. 2 SGB V besondere Anforderungen für die Ausübung und Abrechnung von Leistungen vereinbaren, die wegen der Anforderung an ihre Ausführung oder der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen, einer besonderen Praxisausstattung oder andere Anforderungen an die Versorgungsqualität bedürfen.[64]

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Auf dieser Grundlage bestimmt § 11 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä, dass die in § 135 Abs. 2 S. 1 SGB V beschriebenen Leistungen nur ausgeführt und abgerechnet werden dürfen, wenn die unter Berücksichtigung des Weiterbildungsrechts jeweils in den Anlagen des BMV-Ä vereinbarten Voraussetzungen erfüllt werden. Die Erbringung von Leistungen, für die besondere Qualifikationsanforderungen vereinbart worden sind, bedarf gem. § 11 Abs. 2a S. 1 BMV-Ä einer Genehmigung der KV, wenn in der speziellen Anlage zum BMV-Ä nichts anderes vorgegeben ist.

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Auf dieser Basis wurden einheitliche Fachkundenachweise für ärztliche Sachleistungen und hoch spezialisierte technische Leistungen geschaffen, mit denen die Erbringung und Abrechnung dieser Leistungen von bestimmten personellen Qualifikationen und apparativen Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Die Fachkunde ist als gegeben anzunehmen, wenn sie Bestandteil der vom Arzt absolvierten landesrechtlichen Weiterbildung ist. Ist das nicht der Fall, können weitere fachärztliche Qualifikationen verlangt werden, wenn die Leistungen definitionsgemäß noch dem Fachgebiet zurechenbar sind. Es können auch andersherum Fachärzte von diesen Leistungen ausgeschlossen werden, wenn deren Qualifikationen nicht zum Kernbereich ihres Fachgebietes gehören. Qualifikationen, die nicht zu dem Fachgebiet gehören, für die die Zulassung erteilt worden ist, sind generell nicht berücksichtigungsfähig und berechtigen nicht zur Erbringung vertragsärztlicher Leistungen.[65] Das führt in der Realität zu eigentümlichen Ergebnissen, bei denen nicht klar ist, ob damit die Versorgung verbessert oder eher die interdisziplinäre Behandlungsweise behindert wird. In manchen Fällen kann auch die Priorisierung bestimmter Leistungen zum Vorteil einer Fachgruppe ein Motiv gewesen sein.[66]

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Ein Kardiologe darf trotz anerkannter Zusatzbezeichnung „Magnetresonanzthomographie“ keine Leistungen nach der „Kernspinvereinbarung“ erbringen.[67] Wer Leistungen nach der Kernspintomographie-Vereinbarung erbringen will, braucht eine Weiterbildung in diagnostischer Radiologie.[68] Ein Facharzt für Radiologische Diagnostik/Diagnostische Radiologie erfüllt anders als der Facharzt für Radiologie nach früherem Weiterbildungsrecht nicht die fachlichen Anforderungen der Strahlendiagnostik-Vereinbarung.[69] Auch Laborärzte benötigen eine Genehmigung nach der Vereinbarung zu den Laboratoriumsuntersuchungen.[70] Der im Weiterbildungsrecht gegebene Trend zur Aufspaltung traditioneller Fachgebiete und die Einführung neuer Zusatzweiterbildungen losgelöst von bestimmten Fachgebieten, wurde von den meisten Qualitätsvereinbarungen, die sich auf die traditionellen Fachgebiete beziehen, bisher nicht nachvollzogen. Qualifikationen außerhalb des eigenen Fachgebietes können in der vertragsärztlichen Versorgung in der Regel nicht genutzt werden.

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Verlangt werden dürfen ferner besondere Praxisausstattungen, z.B. in Form von bauartzertifizierten Geräten und spezielle Anforderungen an die Strukturqualität der Leistungen. Die wichtigsten Qualitätsvereinbarungen, teilweise auch besondere Versorgungsaufträge genannt, die in der Anlage 3 zum BMV zusammengefasst sind, betreffen u.a. Akupunktur, arthroskopische Untersuchungen, Blutreinigungsverfahren (Dialyse), Herzschrittmacherkontrolle, invasive Kardiologie, Kernspintomographie, Langzeit-EKG-Untersuchungen, Strahlendiagnostik und -therapie, und die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger.

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Auf eine genaue Bestimmung der Grenzen der Ermächtigung des § 135 Abs. 2 SGB V kommt es nicht an, so lange die vertragliche Bestimmung durch die insoweit weit gezogene Grenze der Generalermächtigung für Verträge in § 72 Abs. 2 SGB V gedeckt ist. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Stands der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist. Infolgedessen hat das BSG den Vertragspartnern einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum mit weit reichender Kompetenz zugebilligt. Folge davon ist, dass auch spürbare Eingriffe und Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit hingenommen werden müssen.[71]

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Vereinbarungen auf Basis von § 135 Abs. 2 SGB V gibt es inzwischen zu 37 besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.[72] Kaum ein ärztliches Fachgebiet ist davon nicht betroffen. Leistungen, für die nach diesen Vereinbarungen spezielle Anforderungen bestehen, sind für den Vertragsarzt erst ab Vorliegen der entsprechenden Genehmigung auf Basis einer Qualifikationsprüfung abrechenbar. Es handelt sich um Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. Die Genehmigung ist von der KV nach § 11 Abs. 2a BMV-Ä bei Nachweis der in der maßgeblichen Qualitätssicherungsvereinbarung geforderten Qualifikation zu erteilen. Ohne Genehmigung ist die Abrechnung der dem Qualifikationserfordernis unterliegenden Leistungen unzulässig und kann nach § 106d SGB V berichtigt werden.[73] Die rückwirkende Zuerkennung der aus der Qualifikation resultierenden Befugnisse ist unzulässig.[74] Begründet wird dies damit, dass zum Schutz der Versicherten zu Beginn der Behandlung feststehen muss, ob GKV-Leistungen oder privatärztliche Leistungen erbracht werden.[75] Das ist anders als bei status-zuerkennenden Genehmigungen[76] nicht einleuchtend, weil es bei Qualifikationsanforderungen nach § 11 Abs. 1 BMV-Ä auf deren objektives Vorhandensein ankommt[77] und daher die Genehmigung auch rückwirkend auf den Zeitpunkt des Nachweises erteilt werden könnte, in jeden Fall aber zum Beginn des Abrechnungsquartals, das auf den Nachweis folgt und noch nicht abgerechnet ist. Andernfalls hätte es die KV in der Hand, durch Verzögerung einer Genehmigung Honorar einzusparen. Der Versicherte wird durch das Fehlen einer nur spezielle Leistungen betreffenden Genehmigung nicht belastet, weil diese ohne die Genehmigung erbrachten Leistungen immer noch Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung bleiben, auf die er einen Anspruch hat. Weder § 3 Abs. 1 S. 3 noch § 18 BMV-Ä erlauben dem Vertragsarzt für solche Einzelleistungen Zuzahlungen zu verlangen.

 

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Praxistipp

Zur Vermeidung von Honorarverlusten ist darauf zu achten, dass alle auf besonderen Qualifikationen beruhende Abrechnungsbefugnisse zeitgleich mit der Zulassung/Ermächtigung beantragt und genehmigt werden. Die meisten KV halten hierfür spezielle Formulare vor.