Handbuch Medizinrecht

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6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › D. Berufsrecht der Heilberufe

D. Berufsrecht der Heilberufe

6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › D. Berufsrecht der Heilberufe › I. Geschichte

I. Geschichte

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Einige wenige Regelungen im Codex Hammurabis (ca. 1700 v. Chr.) gelten gemeinhin als früheste berufsrechtliche Normen bezogen auf die Ausübung der Heilkunde. Straf- und Gebührenbestimmungen stehen somit am Beginn des ärztlichen Berufsrechts im Sinne eines rechtswissenschaftlich und rechtspraktisch ordnenden Sammelbegriffs für alle Normen, die sich auf den Berufszugang wie auch die Berufsausübung richten.[1] Dagegen beinhaltet das Standesrecht in erster Linie jene Regeln, die sich der jeweilige Berufsstand selbst schafft.[2] Allerdings sind die Übergänge fließend, weshalb in der Literatur ebenso danach differenziert wird, wer Normgeber ist. Auch diese Differenzierung scheint aufgrund der Interaktion zwischen Standesrecht und staatlichem Recht unbefriedigend.

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Von der Antike bis weit in die Neuzeit bestand keine einheitliche Auffassung des Berufsrechts der Gesundheitsberufe, zumal weder von homogenen Berufsständen noch von abgrenzbaren Berufstätigkeiten des Medizinalpersonals, die Rede sein konnte.[3] Erst um die Zeitenwende fand ein Übergang statt von der ärztlichen Familienzunft[4] zur Berufsgenossenschaft, Korporation, Zunft oder Gilde. Bereits diese primitiven Standesvertretungen besaßen Disziplinar-Regeln, „die trotz einiger Unterschiede als die Urform des heutigen Standesrechts verstanden werden können.“[5]

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Der hippokratische Eid ist die wohl bekannteste Standesregel, der sich Ärzte seit dem frühen 4. Jahrhundert v. Chr. im Hinblick auf ihre künftige Berufsausübung unterwarfen. Ethische Regeln und (wirtschaftliche) Standesinteressen waren dort gleichermaßen angesprochen.[6] Einige sehen im Eid des Hippokrates den Versuch einer ärztlichen Monopolbildung[7] und in dem Leitsatz „salus aegroti suprema lex“ zunächst einen binnenrechtlichen Selbstschutz ohne Außenwirkung.[8] Unter Vespasian wurde in Rom den Ärzten das Korporationsrecht gewährt;[9] bezweifelt wird (Taupitz), ob es bereits Standesorganisationen oder -vereine gegeben hat, die den heutigen Verbänden im Gesundheitswesen vergleichbar waren.

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Auch in Deutschland fehlte es bis ins Mittelalter an umfassenden Normen für die ärztliche Berufsausübung. Als frühe Kodifizierungen des Rechts der Heilberufe gelten am Übergang des 12. auf das 13. Jahrhundert Ärzte- und Apothekerordnungen in Arles sowie das Edikt von Salerno (1240) des Stauferkaisers Friedrich II.

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Die erste Medizinalordnung wurde unter Karl IV. erlassen; sie enthält eine Taxe für ärztliche Leistungen, ein Verbot der Arzneimittel-Zubereitung durch Ärzte und untersagte jede geschäftliche Gemeinschaft zwischen Arzt und Apotheker.[10] Bei der Berufsausübung wurde zwischen Kunstärzten, die Hochschulstudium und Examen nachweisen mussten, und Wundärzten, die über eine rein praktische Ausbildung verfügten, unterschieden.[11]

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Neben den Ärzten galten die Bader seit dem Mittelalter als eigener Berufsstand, der sich vor allem auf die Wundbehandlung spezialisiert hatte und zünftig – häufig gemeinsam mit anderen Berufsgruppen – als Lebensgemeinschaft organisiert war. Deren Zunftordnungen kann man als eine weitere Quelle des Standesrechts bezeichnen.[12] Dabei ging es gleichermaßen – im heutigen Sprachjargon – um Verbraucher- wie Standesinteressen. Dementsprechend finden sich dort auch Werbebeschränkungen und Appelle an kollegiales Verhalten. Auch andere – heute in den Musterberufsordnungen der Heilberufe angesprochene Themenkomplexe – finden dort ihren Ursprung.

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Taupitz[13] sieht nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Übereinstimmungen zwischen der mittelalterlichen Zunft als „Korporation“ und den späteren berufsständischen Assoziationen: das Zusammenwirken zwischen der Obrigkeit und den Berufsständen bei der Fassung von Satzungen, die teils als autonome („reine Willküren“), teils als bestätigte „Willküren“ sowie als rein obrigkeitsrechtliche und angeregte Normen entstanden, belegt den „Interaktionsprozess“ zwischen Standes- und Berufsrecht. Man kann von einem Nebeneinander, Miteinander oder durchaus auch Gegeneinander von „berufsständischen“ Ordnungen öffentlich-rechtlichen Charakters einerseits und privatrechtlicher Provenienz andererseits sprechen.[14]

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Für die wissenschaftlich ausgebildeten Ärzte schufen auch die Universitäten eine Art Standesorganisation, welche die von ihr promovierten und (bis 1725)[15] approbierten Ärzte beaufsichtigte und sich darüber hinaus auch um Wettbewerbs- und Honorarangelegenheiten kümmerte.[16] In den Statuten der medizinischen Fakultäten finden sich darüber hinaus Bestimmungen zur Schweigepflicht, zur Werbung wie auch zum Kollegialitätsgebot. Neben Zünften und Fakultäten waren es seit dem 15. Jahrhundert die vereinsmäßigen und freiwilligen Vereinigungen von Ärzten in Gestalt der collegia medica und später dann Berufsvereinigungen, die berufliche Verhaltensregeln erließen.

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Die Zunahme legal oder illegal außerhalb der klassischen „Überwachungsorganisationen“ (Taupitz) tätiger Behandler rief schließlich die Obrigkeit auf den Plan; die Folge war eine zunehmende „Verstaatlichung“ des Gesundheitswesens. Neue collegia medicorum entstanden – wie etwa im Rahmen des Medizinal-Edikts vom 12.6.1685 – zur „Remedierung angezogener Mängel und Ungelegenheiten und zur fleißigen Aufsicht und sorgfältigen Beobachtungen des Arzneiwesens und aller dazu gehörigen Leute, die Apotheker, Barbiere, Wundärzte, Hebammen, Okkultisten, Bruch- und Steinschneider, Bader und dergleichen“, diesmal jedoch in Gestalt staatlicher Überwachungsorgane, denen Examination und Approbation ebenso oblag, wie Berufsaufsicht und Streitschlichtung.[17]

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Regeln autonomer Standesvertretungen wurden im Absolutismus von der Staatsgewalt okkupiert und mit autoritativ gesetzten Medicinalordnungen ausgefüllt.[18] Auch hier ging es um Regeln der Werbung, der Zusammenarbeit, der Kollegialität, der Honorierung und des Behandlungsverhältnisses. Die akademisch gebildeten Ärzte[19] mussten sich dem obrigkeitlichen System anpassen, bei dem „die amtliche Instruktion (. . .) an die Stelle der sittlichen Pflicht des Arztes“[20] trat. Diesen staatlichen Einfluss zurück zu drängen, war eines der tragenden Motive jener Ärzte, die sich bei der Diskussion über die preußische Gewerbeordnung im Jahr 1869 für die Freigabe der Heilbehandlungen aussprachen. Mit Einführung der Gewerbefreiheit gelangte die Berufsgruppe damit unter das „allgemeine Rechtsregime“, ohne dass damit jedoch eine vollständige Aufgabe der eigenständigen Berufsordnung erfolgte.[21]

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Zunehmende Professionalisierung, eine Verwissenschaftlichung der Medizin und die darauf zurückzuführende Entstehung eines abgeschlossenen Expertenstandes führten im 19. Jahrhundert zu einer starken Gegenbewegung der Ärzteschaft hin zur berufsständischen Interessenvertretung. In der Folge „entstand damit zum ersten Mal in der Entwicklung des Berufsrechts eine bewusste und gewollte Verlagerung von Entscheidungskompetenz auf Rechtsbildungs- und Rechtsanwendungsinstanzen des Berufsstandes“.[22] Als politische Revolutionäre forderten die Ärzte einen einheitlichen Ärztestand mit Selbstverwaltungsrechten. Dennoch erfolgte formal die „Rückkehr zu einem vollständig eigenen Berufsrecht“[23] erst durch die Reichsärzteordnung 1935 und eine in der Folge erlassene Berufsordnung. Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde das „vom Staat abgetrotzte“ Recht (Taupitz) zur Gestaltung des („sublegalen“) Berufsrechts in den Heilberufe-Kammergesetzen der Bundesländer verankert. Mit der Formulierung von Berufsausübungsregeln und dem Führen der Berufsaufsicht sorgen die Kammern mit dafür, dass die jeweiligen Berufsträger ihre Leistungen im Gemeinwohlinteresse kompetent und zuverlässig erbringen.[24] Angesichts einer stark kasuistisch ausgeprägten Rechtsprechung muss jedoch bezweifelt werden, ob dem selbst gestalteten Berufsrecht der Kammern noch jener „machtbeanspruchende“ Charakter zukommt, von dem Taupitz spricht.[25]

6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › D. Berufsrecht der Heilberufe › II. Aktuelle Entwicklungen

II. Aktuelle Entwicklungen

1. Europäisches Recht

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Auch die Europäische Union formuliert Berufsrecht. Mit der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen erfolgte eine Angleichung bei der gesetzlichen Anerkennung bestimmter Berufsqualifikationen für den (leichteren) Berufszugang und dessen Ausübung in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Bislang bestehende sektorale Richtlinien wurden damit ersetzt, was auf Kritik gestoßen ist.[26] Betroffen sind Selbstständige oder abhängig Beschäftigte, einschließlich der Angehörigen der Freien Berufe, die einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihre Berufsqualifikationen erworben haben, ausüben, Art. 2 Abs. 1 Berufsanerkennungs-Richtlinie. Von Bedeutung ist die Richtlinie insbesondere für jene reglementierten Berufsgruppen, die bislang nicht von einer sektoralen Richtlinie erfasst waren.[27]

 

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Hinweis

Reglementierte Berufe sind gekennzeichnet durch berufliche Tätigkeiten, die bei der Aufnahme oder Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an bestimmte Berufsqualifikationen gebunden sind, wobei zur Berufsausübung auch die Führung einer Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen, zählt.[28]

2. Qualitätssicherung, Verbraucherschutz

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Die Entwicklung des Wettbewerbsrechts, die Diskussionen innerhalb der Europäischen Union (EU) über Gemeinschaftsmaßnahmen im Gesundheitswesen und freiberufliche Dienstleistungen[29] sowie die Formulierungen im 16. Hauptgutachten der Monopolkommission aus dem Jahr 2006 ließen bereits erwarten, dass sich die Tendenz zur (weiteren) Liberalisierung des Berufsrechts verstärken würde. Diese Prognose wurde durch die Mitteilung der EU-Kommission vom 2. Oktober 2013 zur Bewertung der nationalen Reglementierungen des Berufszugangs [KOM(2013) 676] unterstrichen. Dabei erscheint das Verhalten der Kommission in sich widersprüchlich, will sie doch auf der einen Seite Marktzugangsbarrieren abräumen, auf der anderen Seite jedoch durch eine noch stärkere Orientierung an der Qualität von Dienstleistungen im Gesundheitswesen sowie am Patientenschutz zusätzliche Regulierungsmaßnahmen vornehmen.[30] Für Aufregung hat die Initiative der EU-Kommission im Jahr 2017 hinsichtlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen gesorgt.[31] Nach zum Teil heftigen Reaktionen der Verbände billigt Brüssel den Heilberufen einen Sonderstatus zu. Die Kommission hat offenbar erkannt, dass diese ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherstellen und unterstreicht daher die Notwendigkeit, die Qualität heilberuflicher Leistungen in beruflicher Unabhängigkeit zu sichern.

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Die Diskussion über die Einbeziehung der Gesundheitsberufe in die Binnenmarktstrategie der EU hat gezeigt, dass die Frage, wer Normgeber von Regelungen zur Berufsausübung sein soll, Selbstverwaltungskörperschaften oder Staat, keinesfalls einfach zu beantworten ist. Kluth hat Möglichkeiten und Grenzen des Verbraucherschutzes durch Berufsrecht aufgezeigt und hervorgehoben, dass die Einbeziehung des Schutzes von Auftraggebern, Kunden, Mandanten, Klienten und Patienten bei den Freien Berufen eine lange Tradition hat. Diese Orientierung behält das Berufsrecht der Heilberufe bei.[32] Der offenkundige Wandel des Verständnisses von Verbraucherschutz, bei dem die bisherige „treuhänderische Konzeption durch eine privatautonome Konzeption“ (Kluth) ersetzt wird, hat das Werberecht der Freien Berufe bereits nachhaltig verändert. Die Antwort auf das gewandelte Verständnis im Bereich des Patientenschutzes heißt Qualitätssicherung, heißt auch Ausgleich von wirtschaftlichen und informatorischen Ungleichgewichten. Auf diesen Feldern ergänzt das Berufsrecht europäisches und staatliches Wettbewerbsrecht.

6. Kapitel Berufsrecht der Gesundheitsberufe unter Einschluss der Darstellung des Rechts der Selbstverwaltung › D. Berufsrecht der Heilberufe › III. Berufsrecht der Ärzte

III. Berufsrecht der Ärzte

1. Berufszugang

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Um zum Arztberuf zugelassen zu werden, muss nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Bundesärzteordnung (BÄO)[33] ein mindestens 6-jähriges Studium der Medizin absolviert werden, das entsprechende praktische Ausbildungsinhalte aufweist. Näheres ist in der Approbationsordnung (ÄAppO)[34] geregelt.

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Die Approbation als Arzt ist gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2–5 BÄO auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt, nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist, nach einem Studium der Medizin an einer wissenschaftlichen Hochschule von mindestens sechs Jahren, von denen mindestens acht, höchstens zwölf Monate auf eine praktische Ausbildung in Krankenhäusern oder geeigneten Einrichtungen der ärztlichen Krankenversorgung entfallen müssen, die ärztliche Prüfung im Geltungsbereich dieses Gesetzes bestanden hat, sowie über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

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Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen – BQFG“[35] wurde das bis dahin geltende Staatsangehörigkeitsprinzip aufgegeben; eine (gewollte ?) deutliche Zunahme an Bewerbern aus sog. Drittstaaten ist die Folge.

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Die bereits in einer voran gegangenen Auflage[36] erhobene Frage, wie denn mögliche Ausbildungsdefizite ausländischer Bewerber durch berufspraktische Kenntnisse ausgeglichen werden können, unabhängig davon, in welchem Staat der Antragsteller tätig war, bleibt nach wie vor offen.

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Wer die Approbation beantragt, darf weder „unwürdig“ noch „unzuverlässig“ sein. Beides sind auch Widerrufsgründe gem. § 5 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO. Unwürdigkeit im vorgenannten Sinne ist dann anzunehmen, wenn der Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen besitzt. Ob die Öffentlichkeit von dem Verhalten des Arztes Kenntnis erlangt hat, ist nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist, ob das Verhalten objektiv geeignet ist, einen Ansehens- und Vertrauensverlust der Ärzteschaft zu begründen.[37] Die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung[38] geht davon aus, dass bei einem Arzt, der wegen Abrechnungsbetrugs strafrechtlich verurteilt worden ist, regelmäßig das Merkmal der Unwürdigkeit und damit der zwingende Widerruf der Approbation vorliegt. Von einem Arzt erwarte man wegen des Vertrauensverhältnisses zu seinen Patienten in aller Regel nicht nur eine sorgfältige, ordnungsgemäße Behandlung, sondern auch eine ansonsten integre Berufsausübung; hierzu gehört es auch, dass der Arzt den vermögensrechtlichen Interessen des Patienten keinen Schaden zufügt.[39] Im Übrigen muss für die Annahme der Unwürdigkeit kein unmittelbarer Berufsbezug vorliegen.[40] Dies ist ein ganz anderer Ansatz als für das strafrechtliche Berufsverbot, das zwingend einen Zusammenhang zwischen der Straftat und dem ausgeübten Beruf voraussetzt.[41] Insbesondere unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit[42] ist es allerdings geboten, die zwingende Folge des § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO („ist zu widerrufen“) von der Schwere des Vergehens abhängig zu machen. Es ist nicht einzusehen, weshalb ein Arzt bei einem relativ geringen Schaden und Aburteilung mittels Strafbefehls, nach Wiedergutmachung des Schadens – womöglich noch nach entzogener Kassenzulassung – zusätzlich die Approbation verlieren soll. Eine derartige Auslegung, die jede strafgerichtliche Verurteilung im Abrechnungsverkehr mit der Kasse bzw. dem Patienten ohne Einschränkung für den Widerruf einer Approbation ausreichen lässt, wirft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf. Das Bundesverwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang auf den Aspekt der Gefahrenabwehr hin; insoweit stelle der Approbationsentzug keine „doppelte“ Bestrafung dar.[43] Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist, dass der Widerruf der Approbation wegen Abrechnungsbetrügerei nicht mit einem Sofortvollzug versehen werden muss.[44] Wie häufig gibt es allgemeine Kriterien, an denen der Einzefall zu messen ist[45], wie z.B.: das verhängte Strafmaß, Zahl, Art und Dauer der Verstöße, Vorbelastung des Arztes, Berufsbezug des Fehlverhaltens, Schadenshöhe und Schadenswiedergutmachung, Einsicht und Reue, Bekanntwerden der Vorwürfe und Reaktion der Öffentlichkeit, Zeitablauf.

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Der Begriff der „Unzuverlässigkeit“ unterscheidet sich vom Begriff der „Unwürdigkeit“ dadurch, dass hierbei nicht auf den Unrechtsgehalt eines Verhaltens abgestellt wird, sondern auf einen charakterlichen Mangel, der befürchten lässt, dass der betreffende Arzt seinen Beruf nicht durchgehend ordnungsgemäß ausüben wird. Dabei ist für die Frage des Widerrufes der Approbation nicht nur auf das Verhalten in der Vergangenheit abzustellen, es muss auch eine Prognose hinsichtlich des künftig zu erwartenden Verhaltens erfolgen.[46] Wenn die berufsunwürdige Handlung bereits einige Zeit zurück liegt, kann ein Widerruf ebenfalls entbehrlich sein.[47] Der Widerruf ist auch dann möglich, wenn der Berufsträger altersbedingt seinen Beruf nicht mehr sachgerecht ausüben kann und es daher z.B. zur missbräuchlichen Abgabe von Schmerz- und Betäubungsmitteln kommt.[48]

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Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, u.a. wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Diese Vorschrift ist mit § 3 Abs. 5 BÄO strukturell vergleichbar. Sie soll der Behörde eine Handhabe geben, den Schutz des Publikums vor unzuverlässiger Berufsausübung durch eine vorsorgliche Maßnahme sicherzustellen, wenn das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Arztes durch einen schwerwiegenden, wenn auch noch nicht völlig erhärteten Verdacht erschüttert ist.[49] Zugleich soll die Behörde unter Entlastung von eigenen Ermittlungen auf die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen können.[50] Die strafgerichtliche Verurteilung muss wahrscheinlich sein. Es genügt allerdings bereits ein schwerwiegender, wenn auch noch möglicherweise ausräumbarer Verdacht, z.B. wegen des Verdachts unzulässiger Sterbehilfe.[51] Das Ruhen der Approbation kommt auch dann in Betracht, wenn zunächst nur eine strafrechtliche Würdigung als fahrlässige Tötung vorliegt, jedoch gewichtige Gründe im Raum stehen, dass der Arzt zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat.[52] Selbst wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt, können die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse für die Anordnung des Ruhens der Approbation relevant sein, wenn sie ein Berufsvergehen begründen.[53] Andererseits kann sich die Sofortvollziehung durchaus als unverhältnismäßig erweisen, wenn dem Täter eine gute Prognose attestiert wird.[54] Das Ruhen der Approbation kommt schließlich dann in Betracht, wenn der Arzt sich weigert, seinen Gesundheitszustand überprüfen zu lassen[55] oder schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen bestehen, § 6 Abs. 1 Nr. 2 BÄO.[56] Die Feststellungslast für die Ungeeignetheit des Arztes und den Sofortvollzug der Ruhensanordnung trägt die Approbationsbehörde.[57] Um unzumutbare Nachteile für den Betroffenen zu vermeiden, kann z.B. seine Praxis für die Schwebezeit von einem anderen Arzt weitergeführt werden (§ 6 Abs. 4 BÄO). Im Übrigen wird die Befugnis eines EU-Bürgers zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen (oder zahnärztlichen) Berufs in Deutschland durch das Ruhen der ihm erteilten deutschen Approbation nicht berührt (§ 2 Abs. 3 BÄO, § 1 Abs. 2 ZHG).[58]

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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Unzuverlässigkeit bzw. Unwürdigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides.[59] Während des gerichtlichen Verfahrens gezeigtes Wohlverhalten, auch wenn es sich hierbei auf einen verhältnismäßigen langen Zeitraum erstreckt, rechtfertigt nicht die Annahme, der Betroffene habe einen Persönlichkeitswandel vollzogen.[60] Die erneute Erteilung der Approbation setzt einen „längeren Reifeprozess“ voraus.[61]