Handbuch Medizinrecht

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Anmerkungen

[1]

BGBl. I 2000, 1045 ff.

[2]

VG Köln Beschl. v. 20.3.2020 – 7 L 510/20; Rixen NJW 2020, 1097, 1100 für Zulässigkeit; ebenso VG Bayreuth Beschl. v. 11.3.2020 – B 7 S 20.223; VG Schleswig Beschl. v. 22.3.2020 – 1 B 17/20; VG Freiburg Beschl. v. 25.3.2020 – 4 K 1246/20; VG Stuttgart Beschl. v. 14.3.2020 – 16 K 1466/20; Beschl. v. 21.3.2020 – 7 L 230/20; VGH Baden-Württemberg Beschl. v. 9.4.2020 – 1 S 925/20, präventive Schließung von Einrichtungen zulässig, auch wenn dort noch niemand erkrankt ist; BVerfG Beschl. v. 10.4.2020 – 1 BvQ 26/20, „causa Bahner“; BVerfG Beschl. v. 7.4.2020 – 1 BvR 755/20, Beschränkung der Bewegungsfreiheit in Bayern zulässig; so auch VGH München Beschl. v. 30.3.2020 – 20 NE 20.612, Ausgangsbeschränkungen aufgrund VO Bay. Staatsministerium für Gesundheit v. 24.3.2020 rechtmäßig; ebenso BayVerfGH Entsch. v. 26.3.2020 – Vf.6-VII-20; OVG Niedersachsen Beschl. v. 29.7.2020 – 13 MN 244/20, Schließung Discotheken zulässig; siehe aber auch BVerfG Beschl. v. 15.4.2020 – 1 BvR 828/20, kein Demonstrationsverbot, wenn Gefährdung durch Auflagen begegnet werden kann; OVG NRW Beschl. v. 6.7.2020 – 13 B 940/20 NE, Außervollzugssetzung der VO zum Schutz vor Neuinfizierungen NRW v. 20.6.2020 (Kreis Gütersloh) wegen Unverhältnismäßigkeit; OVG Niedersachsen Beschl. v. 27.7.2020 – 13 MN 272/20, Verbot Shisha-Bars unverhältnismäßig; OVG NRW Beschl. v. 6.7.2020 – 13 B 940/20 NE, räumliche Ausdehnung VO v. 30.6.2020 unverhältnismäßig; Bay. VGH Beschl. v. 28.7.2020 – 20 NE 20.1629 , Beherbergungsverbot für Gäste aus inländischen Risikogebieten unverhältnismäßig; a.A. OVG Mecklenburg Beschl. v. 27.5.2020 – 2 KM 439/20 OVG.

[3]

Gesetz v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 587.

[4]

Kingreen Süddeutsche Zeitung v. 26.3.2020, der diese Verordnungsermächtigung als „Hindenburg-Klausel“ bezeichnet.

[5]

Beschl. des Bundestags v. 25.3.2020. Der Bundesrat hat am 27.3.2020 zugestimmt; zustimmend Rixen NJW 2020, 1097, 1102.

[6]

Kluckert § 9 Rn. 28 ff.; Klafki Infektionsschutz: Verpflichtende Corona-Tests für Reiserückkehrer?, Legal Tribune Online v. 3.8.2020, https://www.lto-de/persistent/a_id/42391/, abgerufen am 3.8.2020.

[7]

Kluckert/Ritgen § 12 Rn. 16 ff.; Klafki Infektionsschutz: Verpflichtende Corona-Tests für Reiserückkehrer?, Legal Tribune Online v. 3.8.2020, https://www.lto-de/persistent/a_id/42391/, abgerufen am 3.8.2020, Fn. 6; das BVerfG hat einen Eilantrag gegen die Testpflicht abgelehnt, Beschl. v. 27.8.2020 – 1 BvR1981/20.

[8]

BAnz AT v. 7.8.2020.

[9]

BayIfSG v. 26.3.2020, Bay. Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 7, 174 ff.; andere Länder folgen mit zum Teil abweichenden Regelungen; Kluckert/Rixen S. 135 ff., 143 ff.

[10]

NRW hat nach Protesten der Ärzteschaft auf diese Regelung verzichtet.

[11]

Der Bundesrat hat am 15.5.2020 zugestimmt.

5. Kapitel Infektionsschutzrecht › II. Koordinierung und Früherkennung

II. Koordinierung und Früherkennung

21

Gemäß § 4 IfSG hat das Robert-Koch-Institut (RKI) die Aufgabe, Konzeptionen zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen zu entwickeln. Dies schließt die Entwicklung und Durchführung epidemiologischer und laborgestützter Analysen sowie Forschung zu Ursache, Diagnostik und Prävention übertragbarer Krankheiten ein. § 4 Abs. 2 IfSG enthält einen detaillierten Aufgabenkatalog. § 4 Abs. 3 IfSG regelt die Zusammenarbeit zwischen dem RKI und supranationalen sowie internationalen Stellen wie z.B. der WHO.[1] § 5 IfSG regelt das Bund-Länder-Informationsverfahren.

Anmerkungen

[1]

Kluckert/Gassner S. 23 ff. zum Internationalen und Europäischem Infektionsschutzrecht.

5. Kapitel Infektionsschutzrecht › III. Überwachung und Meldewesen

III. Überwachung und Meldewesen

22

Ein zentraler Regelungskomplex des IfSG ist das Überwachungs- und Meldewesen. § 6 IfSG enthält den Katalog der meldepflichtigen Krankheiten. § 6 Abs. 1 sieht in den Nr. 1, 2 und 3 bereits die Meldung von Verdachtsfällen vor, in Nr. 1a jedoch nur tatsächliche Erkrankungen. § 7 IfSG enthält die meldepflichtigen Nachweise von Krankheitserregern und § 8 IfSG die zur Meldung verpflichteten Personen. Es handelt sich im Wesentlichen um Ärzte, Leiter von Medizinaluntersuchungsämtern, sowie falls keine ärztliche Behandlung gegeben ist (z.B. in Heimen und Pflegeeinrichtungen) Angehörige der Heil- und Pflegeberufe. Der Katalog der gem. § 9 IfSG zu meldenden Informationen ist umfangreich. Die Meldung an das zuständige Gesundheitsamt muss unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnis der meldepflichtigen Umstände erfolgen, auch wenn noch nicht alle der in § 9 IfSG aufgeführten Informationen vorliegen. Diese sind unverzüglich nachzumelden. Der Meldepflichtige ist darüber hinaus zur ergänzenden Auskunftserteilung verpflichtet. Die weiteren Meldevorschriften betreffen die nicht namentlichen Meldungen und insbesondere die Befugnisse zur Datenweitergabe und Datenverarbeitung. Diese Befugnisse sind weitreichend und schränken das Recht auf informationelle Selbstbestimmung[1] nachhaltig ein. Auf § 203 StGB kann sich der Melde- und Auskunftspflichtige nicht berufen.

Anmerkungen

[1]

BVerfGE 65, 1 ff.

5. Kapitel Infektionsschutzrecht › IV. Verhütung übertragbarer Krankheiten

IV. Verhütung übertragbarer Krankheiten

23

Schutzimpfungen i.S.v. § 2 Nr. 9 IfSG sind grundsätzlich freiwillige Maßnahmen (zu den Ausnahmen s. Rn. 26 f.). Die STIKO gibt regelmäßig Empfehlungen zu den unterschiedlichsten Schutzimpfungen und auch die erwartenden Impfrisiken und Impfreaktionen heraus. Die Empfehlungen der STIKO gelten als Standard im Rechtssinne. Die obersten Landesgesundheitsbehörden können diese Empfehlungen der STIKO für ihre eigenen öffentlichen Empfehlungen übernehmen, sind aber nicht an ihre Inhalte gebunden (§ 20 Abs. 3 IfSG). Gem. § 20i SGB V haben gesetzlich krankenversicherte Personen einen Anspruch auf Schutzimpfungen i.S.v. § 2 Nr. 9 IfSG. Die Einzelheiten sind in Richtlinien des G-BA (i.d.F. v. 17.10.2019)[1] gem. § 92 SGB V auf Grundlage der Empfehlungen der STIKO festgelegt. In der Anlage 1 zu diesen Richtlinien sind die einzelnen Impfungen mit Erläuterungen u.a. zu den Indikationen und Hinweisen, ob sie Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV sind, beschrieben. Der normative Charakter der STIKO-Empfehlungen spiegelt sich in § 13 der Richtlinie wider, wonach der G-BA innerhalb von drei Monaten nach einer Änderung der Empfehlungen die Richtlinie zu aktualisieren hat. Im Rahmen der PKV übernehmen die meisten Unternehmen ebenfalls die Kosten für die von der STIKO empfohlenen Impfungen.

24

Regelmäßig gibt es immer wieder Diskussionen um den Sinn und die Rechtmäßigkeit einer Impfpflicht. Durch das Präventionsgesetz[2] wurde 2015 das Infektionsschutzgesetz geändert. Eltern mussten seitdem bei der Kita-Anmeldung nachweisen, dass eine ärztliche Beratung über einen ausreichenden Impfschutz vorliegt. Wenn der Nachweis nicht erbracht wird, benachrichtigt die Kita-Leitung das Gesundheitsamt. Das wiederum nimmt Kontakt mit den Eltern auf und mahnt sie, diese Beratung in Anspruch zu nehmen. Das BMG wurde ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann insoweit eingeschränkt werden.[3] Solange das BMG von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass dieser Rechtsverordnung ermächtigt. Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung erkrankt ist, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der STIKO entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliche Bescheinigung nachweisen können, Tätigkeiten untersagen, bei denen Kontakte zu den dort Betreuten bestehen sowie Betreuten Betretungs-, Benutzungs- und Teilnahmeverbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist (§ 28 Abs. 2 IfSG). Auch Nichtstörer können zu diesen Maßnahmen herangezogen werden. Ziel ist es, die Infektionskette zu unterbrechen. Maßnahmen nach § 28 IfSG werden auf Vorschlag des Gesundheitsamts von der zuständigen Behörde angeordnet. Bei Gefahr im Verzug kann das Gesundheitsamt auch selbst handeln. Widerspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. §§ 33–35 IfSG beinhalten besondere Vorschriften für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen, wie Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Kinderhorten oder sonstigen Ausbildungsorten tätig sind. Diese besonderen Vorschriften richten sich auch an die Besucher/Nutzer dieser Einrichtungen. So können etwa auch Schulbesuchsverbote ausgesprochen werden.[4]

 

25

Anfang 2019 stieß der SPD Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Diskussion um eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern angesichts des weltweiten Anstiegs der gemeldeten Erkrankungen erneut an. Gesundheitsminister Jens Spahn nahm die Initiative auf. Am 1.3.2020 ist das Gesetz für den Schutz vor Masern zur Stärkung der Impfprävention in Kraft getreten. Die Regelungen finden sich jetzt in § 20 Abs. 8–14 IfSG. Darin wird u.a. für bestimmte Personenkreise, z.B. Kindergartenkinder und Schüler, eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern eingeführt (dazu unten Rn. 26 f.). Das Meinungsbild hierzu ist sehr unterschiedlich.[5] In der früheren DDR gab es eine entsprechende Impfpflicht. Dies schlägt sich auch in Umfragen nieder. Die ostdeutsche Bevölkerung steht der (Wieder-)Einführung einer Impfpflicht wesentlich offener gegenüber als der Rest der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Aber auch in der „alten“ Bundesrepublik gab es bis weit in die siebziger Jahre hinein – von vielen vergessen – eine Impfpflicht gegen Pocken, die im Übrigen vom Bundesverwaltungsgericht als mit dem GG vereinbar eingestuft wurde.[6] Sie wurde formell erst 1982 aufgehoben[7], nachdem die WHO Pocken weltweit als ausgerottet deklariert hat. Andere Länder in Europa, wie etwa Tschechien oder Italien, haben eine entsprechende Impfpflicht zum Schutz vor Masern, aber deshalb keineswegs eine bessere Durchimpfungsrate als Deutschland. Während die organisierte Ärzteschaft einer Impfpflicht wohl eher positiv gegenübersteht, sehen es einige Gesundheitspolitiker eher zurückhaltend, so etwa die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Hummel „Überzeugung ist besser als Zwang“. Ähnlich zurückhaltend äußert sich der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme v. 27.6.2019.

26

Das Grundgesetz können Impfgegner wohl nicht für ihre Position in Anspruch nehmen.[8] Das gilt sowohl für Art. 2 Abs. 2, Art. 4 und Art. 6 Abs. 2 GG. Hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 GG ist zunächst der Parlamentsvorbehalt gewahrt. Der Schutz der Bevölkerung vor aggressiv ansteckenden und gefährlichen Infektionskrankheiten, der nur mit einer Steigerung der Impfquote zur Herbeiführung der sog. „Herdenimmunität“ erfolgreich gewährleistet werden kann, hat auch verfassungsrechtlich einen hohen Stellenwert.[9] Die Impfung ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Das Risikopotential der Masernimpfung ist nachweislich verschwindend gering.[10] Das Grundrecht auf elterliche Sorge schützt nicht nur die Entscheidungshoheit der Personensorgeberechtigten, i.d.R. der Eltern, sondern verpflichtet sie auch, gesundheitliche Gefahren von ihren Schutzbefohlenen abzuwenden.[11] Vor dem Hintergrund des unbestreitbaren individuellen Nutzens der Impfung für den Impfling, gerade im Kleinkindalter, lässt die Verweigerung von Eltern, ihren Kindern diesen Schutz zuzubilligen und sich dabei auch noch auf Art. 6 Abs. 2 GG zu berufen, als rechtsmissbräuchlich einordnen.[12] Art. 4 GG wäre durch die Einführung einer Impfpflicht ebenfalls nicht verletzt. Dieses Grundrecht steht zwar nicht unter einem Gesetzesvorbehalt, ist jedoch keineswegs schrankenlos. So kann sich wohl niemand auf Art. 4 GG berufen, wenn seine Handlungen offensichtlich dem deutschen ordre publique widersprechen, wie etwa das Schächten von Tieren oder die Diskriminierung von Frauen oder die Vielweiberei[13]. Dies gilt im Hinblick auf die Impfdiskussion erst recht, wenn sie insoweit mit längst widerlegten Argumenten, Verschwörungstheorien und Leugnung epidemiologischer Erkenntnisse geführt wird.

Anmerkungen

[1]

BAnz. AT v. 27.12.2019, in Kraft seit 28.12.2019.

[2]

BGBl. I 2015, 1368; Welti Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention – was bringt das Präventionsgesetz?, GuP 2015, 211 ff.

[3]

Zustimmend Schaks/Krahnert Die Einführung einer Impfpflicht zur Bekämpfung der Masern – Eine zulässige staatliche Handlungsoption, MedR 2015, 860 ff.

[4]

BVerwG Urt. v. 22.3.2012 – 3 C 16.11, BVerwGE 142, 205; VG München Beschl. v. 24.3.2009 – 18 E 09.1208; VG Berlin Beschl. v. 11.3.2015 – 14 L 35.15 und 14 L 36.15; VG Hamburg Beschl. v. 18.2.2009 – 2 E 345/09; a.A. VG Gera Beschl. v. 16.4.2019 – 6 E 557/19, es gebe keine allgemeine Impfpflicht, aber einen Anspruch auf Gestellung eines Platzes in einer Kindertageseinrichtung.

[5]

Der SPIEGEL 14/2019 v. 30.3.2019, 13 ff.; für besondere Personengruppen z.B. Soldaten gab es schon bisher eine Impfpflicht, BVerwG Beschl. v. 24.9.1969 – I WDB 11.68, BVerwGE 33, 339.

[6]

BVerwG Urt. v. 14.7.1959 – I C 170, 56, BVerwGE 9, 78 ff.; so auch BGH Gutachten v. 25.1.1952 – VRG 5/51, BGHSt 4, 375.

[7]

Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung v. 24.11.1982, BGBl. I, 1529.

[8]

Schaks MedR 2020, 201; a.A. Rixen NJW 2020, 647, der allerdings nicht erwähnt, dass er Eltern und Impfgegener als Verfahrensbevollmächtigter im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die Neuregelung vertritt; BVerfG Beschl. v. 11.5.2020 – 1 BvR 469/20, NJW 2020, 1946, Ablehnung einer einstweiligen Anordnung von Eltern, die ihre Kinder ohne Masernschutzimpfung in einer Gemeinschaftseinrichtung unterbringen wollen, allerdings ohne Vorwegnahme der Hauptsache.

[9]

Schaks/Krahnert MedR 2015, 860, 864, 865 m.w.N.; Sachs/Murswick/Rixen GG, Art. 2 Rn. 186.

[10]

Wahrscheinlichkeit 1:1.000.000.

[11]

Amhaouach/Kießling MedR 2019, 853 eher zurückhaltend.

[12]

So auch für die notwendige Blutübertragung bei unter 14 Jahre alten Kindern von Zeugen Jehovas OLG Hamm Urt. v. 10.10.1967 – 3 Ss 1150/67, NJW 1968, 212, Weigerung der Eltern ist unterlassene Hilfeleistung; siehe auch Ulsenheimer Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 396.

[13]

Neudeutsch „Polygamie“.

5. Kapitel Infektionsschutzrecht › V. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten

V. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten

27

Die §§ 16 ff. IfSG sind seuchenpolitische Sondervorschriften der sog. Eingriffsverwaltung zur Gefahrenabwehr. Die zuständige Behörde wird nach Landesrecht bestimmt. Sie hat ein (weites) Entschließungs- und Auswahlermessen. Der Handlungsrahmen ist in § 16 IfSG umschrieben. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) kann eingeschränkt werden (§ 16 Abs. 4 IfSG), Widerspruch und Klage gegen Maßnahmen gemäß § 16 Abs. 1–3 IfSG haben keine aufschiebende Wirkung (§ 16 Abs. 8 IfSG). Bei Gefahr im Verzug kann das Gesundheitsamt anstelle der zuständigen Behörde handeln. § 25 IfSG enthält eine spezielle Ermittlungskompetenz für Gesundheitsämter, die Personen vorladen und auch zwangstesten können. Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 Abs. 1 GG werden insoweit eingeschränkt. § 28 IfSG ermöglicht ein Versammlungs- und Betretungsverbot[1] sowie die Schließung bestimmter Einrichtungen. Milde Maßnahmen wie etwa die Maskenpflicht im öffentlichen Raum werden ganz überwiegend für zulässig erachtet.[2] Umstritten sind Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen („Social-Distancing“)[3] sowie die Schließung oder Beschränkung von Gewerbebetrieben und Dienstleistungsunternehmen.[4] § 30 IfSG ist die Ermächtigungsnorm für die Anordnung von Quarantäne, die auch zwangsweise angeordnet und vollstreckt werden kann.[5] Je einschneidender die Maßnahme ist, desto höher sind die Anforderungen der Verwaltungsgerichte an die Begründungspflicht sowohl des Verordnungsgebers wie auch der anordnenden Behörde unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit.[6] Bei der Quarantäne oder Absonderung handelt es sich schließlich um eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, insbesondere auch bei der häuslichen Quarantäne.[7] Umstritten ist, ob die Zwangsmaßnahmen u.a. in § 30 IfSG verfassungsmäßig sind, weil z.B. das Zitiergebot gem. Art. 19 Abs. 1 GG lediglich in § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG nicht jedoch in § 30 Abs. 1 S. 1 IfSG erfüllt wird.[8] Dass der Richtervorbehalt gem. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG für die zwangsweise Durchsetzung lediglich in § 30 Abs. 2 IfSG, nicht jedoch in § 30 Abs. 1 IfSG und/oder § 28 IfSG genannt wird, wird ebenfalls kritisch gesehen.[9] Auf der anderen Seite ist Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes Recht, so dass der Verweis in § 30 Abs. 2 IfSG auf § 415 Abs. 1 FamFG ausreichen könnte.[10] Soweit ersichtlich gingen die bisherigen Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte davon aus, dass es zur zwangsweisen Durchsetzung zwar eines richterlichen Beschlusses des örtlich zuständigen Amtsgerichts bedarf, die Norm als solche jedoch gültig ist. § 31 IfSG ermöglicht die Anordnung eines beruflichen Tätigkeitsverbots. § 34 i.V.m. § 33 IfSG enthält besondere Tätigkeitsverbote für Beschäftigte in Gemeinschaftseinrichtungen wie z.B. Kindertagesstätten, Schulen oder auch Heimen und Ferienlager.

Anmerkungen

[1]

Kämmerer/Jischkowski GesR 2020, 341, 348.

[2]

Kämmerer/Jischkowski GesR 2020, 341, 344.

[3]

Kämmerer/Jischkowski GesR 2020, 341, 345 m.w.N.

[4]

Kämmerer/Jischkowski GesR 2020, 341, 349 m.w.N.

[5]

Kämmerer/Jischkowski GesR 2020, 341, 346.

[6]

OVG Niedersachsen Beschl. v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20, Rückkehr deutscher Rechtsanwalt aus Schweden ohne Risikoerhöhung.

[7]

Bals/Kuhn GesR 2020, 213, 217.

[8]

Klucker § 2 Rn. 184 ff., 204 ff.; OVG Niedersachsen Beschl. v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20; dagegen OVG Schleswig Beschl. v. 7.4.2020 – 3 MB 13/20 Verhältnismäßigkeit bejahend.

 

[9]

Kluckert § 2 R. 214 ff.; BVerfG Urt. v. 24.7.2018 – 2 BvR 309/15, BVerfGE 149, 293, 333.

[10]

Kluckert § 2 Rn. 216.; Mers 2019, 212, 234.

5. Kapitel Infektionsschutzrecht › VI. Entschädigung

VI. Entschädigung

28

Die zentrale Entschädigungsnorm ist § 56 IfSG .[1] Sie gilt für Arbeitnehmer, Selbstständige und Betriebe. Voraussetzung ist, dass der Betroffene als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern gem. § 31 S. 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.[2] Keinen Anspruch hat, wer sich „freiwillig“ in häusliche Quarantäne begibt. Keinen Anspruch hat auch derjenige, der die behördliche Maßnahme durch eine Schutzimpfung (z.B. Masern) oder andere empfohlene Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe hätte vermeiden können. Die zeitliche Dauer des Entschädigungsanspruchs richtet sich nach § 56 Abs. 2 IfSG, die Höhe nach § 56 Abs. 3 IfSG. Die Auszahlung erfolgt über den Arbeitgeber, der seinerseits dann den Erstattungsanspruch geltend machen kann. Bei Selbstständigen richtet sich die Höhe nach einem Zwölftel des angemeldeten Vorjahreseinkommens aus beruflicher Tätigkeit pro Monat (§ 56 Abs. 3 S. 4 IfSG). Unterstützungsansprüche bei Existenzgefährdung für Betriebe und Praxen von Selbstständigen richten sich nach § 56 Abs. 4 IfSG. Nach h.M. sind die Entschädigungsregelungen im IfSG abschließend.[3] Sie entfalten gegenüber anderen Ansprüchen z.B. aus enteignendem oder enteignungsgleichen Eingriffen eine Sperrwirkung. Ausgenommen hiervon sind Ansprüche wegen Amtshaftung.

29

Entschädigungspflichtig ist grundsätzlich das (Bundes-)Land, in dessen Bereich die Anordnung erfolgte; in Fällen § 34 Abs. 1–3 und § 42 IfSG hiervon abweichend allerdings das Land, in dem die untersagte Tätigkeit ausgeübt wurde (§ 66 Abs. 1 S. 1 2. Hs. IfSG). Diese Unterscheidung ist weitgehend unbekannt und kann zum Anspruchsverlust führen, wenn z.B. die Anmeldefrist deshalb verpasst wird. Diese Anmeldefrist betrug für Erstattungsansprüche des Arbeitgebers (§ 56 Abs. 5 IfSG) drei Monate nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder Beendigung der Absonderung (§ 56 Abs. 11 IfSG). Durch das zweite Pandemiegesetz v. 14.5.2020 wurde diese Frist auf zwölf Monate verlängert. Hinsichtlich der Verjährung enthält das IfSG keine eigenen Regelungen, so dass nach Auffassung des BVerwG auf die Vorschriften des BGB verwiesen wird,[4] Daneben können landesrechtliche Regelungen eine Rolle spielen.[5] Ein Problem bestand bisher für diejenigen Eltern oder Alleinerziehenden, die für die Kinderbetreuung zuhause bleiben mussten und deshalb jenseits der hierfür zur Verfügung stehenden fünf Arbeitstage mit Verdienstausfällen rechnen mussten. Deshalb wurde § 56 IfSG am 27.3.2020 um einen neuen Abs. 1 Buchst. a ergänzt:

1Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. 2Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. 3Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. 4Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.“

30

Diese Regelung gilt zunächst vom 30.3.2020 bis zum 31.12.2020. Der Anspruch ist auf die Dauer von sechs Wochen befristet und der Höhe nach auf 67 % des Verdienstausfalls beschränkt und auf maximal 2016 € monatlich gedeckelt. Gem. § 56 Abs. 3 S. 4 IfSG gilt der Anspruch auch für Selbstständige.

31

Die §§ 60, 61 IfSG enthalten gesonderte Entschädigungsregelungen für solche Personen, die durch öffentlich empfohlene oder gesetzlich angeordnete Schutzimpfungen oder Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe, eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Die Höhe der Ansprüche richtet sich nach den Regeln des Bundesversorgungsgesetzes. Gem. § 61 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schutzimpfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies ist eine deutliche Beweiserleichterung. Die Impfkomplikation und auch der Impfschaden selbst unterliegen allerdings nach wie vor dem Vollbeweis (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit).[6]