Wacken Roll

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Mit Deutschlands Rock-Lady Nummer eins Doro Pesch und Band, den holländischen Thrashern Gorefest, den von Frauen angeführten Berliner Combos Jingo DeLunch und Skew Siskin (die beide zu der Zeit als „Bands der Stunde“ gehandelt werden), den US-Hard-Rockern Riverdogs, den Schweizer Avantgarde-Metallern Samael und den auf Solopfaden wandelnden Psychotic-Waltz-Frontmann Buddy Lackey bieten Hübner, Jensen & Co. darüber hinaus ein allein von der Papierform her in künstlerischer Hinsicht anspruchsvolles Billing auf, das Wacken nachdrücklich ins Gespräch bringt.

Die Besucherzahlen legen im Vergleich zum Vorjahr um knapp 50 Prozent zu: Über 3.500 Metalheads bängen in der Kuhle um die Wette. Erneut lassen es sich aber auch auf dem Campingplatz jede Menge Gäste gut gehen, die keinen Eintritt für die Kuhle entrichten, aber dafür zum mächtigen Anwachsen der Müllberge auf Bauer ­Tredes Koppel beitragen. Doch das soll noch das geringste Problem sein.

Denn je mehr das Festival allmählich Konturen annimmt und Erfolg verspricht, setzt man sich an anderer Stelle wieder gehörig in die Nesseln: Der Versuch, sich neben Wacken als lokaler Promoter zu profilieren, der mit Flensburg sogar noch eine neue feste Anlaufstation für Hard-Rock- und Metal-Veranstaltungen auf der Landkarte fest etabliert, mutiert zunehmend zu einem finanziellen Desaster. Zwar besuchen die von Stone Castle Promotion veranstaltete Motörhead-Show in der Wiking-Halle immerhin 2.000 Fans – aber entschieden zu wenige, um damit die aberwitzigen Kosten für die Vorab-Promotion einzuspielen. Zum Super-GAU ufert allerdings die in Pahlen organisierte Show von Dio/Freak Of Nature aus: Mit dem Erlös von nur 167 verkauften Tickets können nicht einmal die Kosten für das Catering bezahlt werden – Thomas Jensen muss sich bei seinem Kumpel Fiete Geld leihen, um den für die Sicherstellung der Verpflegung verantwortlichen guten Mann milde zu stimmen.

Bis zum Jahresende summiert sich ein Minus von 350.000 DM auf – womit sich die wackeren Wackeraner heute locker für die Privatinsolvenz qualifiziert hätten. In einem Krisentreffen kurz vor Weihnachten werden die Eltern der fünf Hauptbetroffenen – neben Hübner und den Gebrüdern Jensen noch Andy Göser und Jörn-Ulf Goesmann – mit eingebunden. Weil Göser und Thomas Bruder sofort aussteigen, Goesmann zwei Jahre später das Handtuch werfen wird, kristallisieren sich als letzte Mohikaner das Duo Hübner/Jensen heraus – ihre Eltern übernehmen Bürgschaft für die Schulden (Ausnahme: Jörn-Ulf kommt selbst für die Verbindlichkeiten auf; er wirkt noch zweieinhalb Jahre im W:O:A-Team mit, steigt dann aber im Juni 1996 endgültig aus). Damit ist zumindest die Durchführung des fünften Wacken:Open:Airs im nächsten Jahr vorerst gewährleistet.

1994

Neben den Planungen zum fünften Event – dem ersten Jubiläumsfestival – nimmt das Duo Hübner/Jensen alle nur erdenklichen Aufträge an, um Geld einzuspielen: Holger legt unter anderem als DJ bei Biker-Partys auf, beide verdingen sich als Stagehands, gemeinsam werden weiterhin Konzerte veranstaltet. Zudem schweißt man Absperrgitter zusammen, weil sich die angemieteten für eine Motörhead-Show als zu teuer erwiesen – mit den eigenen Gestellen in der Hinterhand lassen sich so schon mal in Zukunft weitere Kosten sparen, zudem weitere Gelder durch Vermietung einspielen.

Für das Billing des eigentlichen Festivals fällt eine weitere wichtige Grundsatzentscheidung: Der Versuch, die Biker für das Wacken:Open:Air zu begeistern und sie mit einem adäquaten musikalischen Programm anzulocken, wird ad acta gelegt. „Biker sind ein sehr spezielles Publikum mit noch spezielleren Wünschen“, bringt Holger die in den vergangenen vier Jahren gewonnenen Einsichten auf den Punkt. „Sie setzen ihre Prioritäten bei möglichst preiswerten Getränken, wollen unter sich bleiben, über ihre Maschinen fachsimpeln – Musik spielt da eher eine untergeordnete Rolle.“ Deswegen fällt das Billing ab sofort mehr Heavy Metal-orientiert aus – Szene-Größen wie Gamma Ray, Skyclad, die Riverdogs, The Tea oder Ex-Iron-Maiden-Sänger Paul Di’Anno und seine Killers finden sich daher ebenso im Aufgebot wie derbe Kapellen à la U.K. Subs, Atrocity, Chemical Breath und Deceased oder Fun-Punker vom Schlage der Prollheads. Finanziell wird das Festival ein kleiner Erfolg, zumal aus dem Park- und Campingplatz-Desaster des Vorjahrs die richtigen Konsequenzen gezogen wurden und dieser ab sofort ebenfalls nicht mehr ohne ein gültiges Festivalticket betreten werden darf: Man zahlt zumindest nicht drauf, zumal mit 4.500 Zuschauern immerhin 1.000 mehr als in den beiden Vorjahren ihren Weg nach Wacken finden. Es scheint also aufwärts zu gehen mit den geschäftlichen Belangen, zumal auch mit der ersten in Eigenregie veranstalteten Tournee – der der Riverdogs – sich ein erster kleiner Erfolg und somit der Weg aus der Krise einstellt.

In Sachen Marketing schwingen sich die W:O:A-Organisatoren zudem zu den Vorreitern einer innovativen Idee auf: 1994/95 werden erstmals, quasi als Dankeschön vom Weihnachtsmann, den bestellten Tickets Gratis-T-Shirts mit beigelegt – ein Marketing-Tool, das von den meisten Festival-Verantaltern gerne adaptiert wurde, um so den frühen Vorverkauf der Tickets zusätzlich anzukurbeln. Denn eine Faustregel besagt zumindest bis Ende der neunziger Jahre: Die Anzahl der an der Abendkasse verkauften Tickets hält sich in etwa die Waage mit den im Vorverkauf abgesetzten Karten. Nach der Millenniumswende verschiebt sich dieses Verhältnis nach und nach zu bis zu 90 Prozent im Vorverkauf abgesetzten Tickets. Inzwischen können die W:O:A-Veranstalter – wie im Jahre 2008 – bereits im Frühjahr auf einen hundertprozentigen Verkauf ihrer Tickets verweisen; das W:O:A 2009 ist bereits seit dem 31. Dezember 2009, also sieben Monate im Voraus mit 65.000 Tickets restlos ausverkauft.


Die legendäre Kuhle, wo 1990 das erste W:O:A stattfand. © Rita Mitzkatis


Die Crew des ersten W:O:A in Wacken.


Die Bühne des ersten W:O:A 1990. © Christine Besser


Ein Blick auf die Technik 1990.


Skyline live auf der Bühne 1991. © Christine Besser


Hansi von Blind Guardian live in Wacken 1992


Doro mit Band live in Wacken 1993. © Rita Mitzkatis

1995–1997: Die Medien werden aufmerksam

1995

Endlich! Jetzt werden auch die Medien auf das Wacken:Open:Air verstärkt aufmerksam: Über den gerade gegründeten Kölner Musiksender VIVA, und da im Speziellen im Rahmen der Sendung „Metalla“, flimmern Ankündigungen zum diesjährigen W:O:A direkt auf die heimischen Mattscheiben der Headbanger. Und auch die Redakteure des Dortmunder Rock-Magazins „Rock Hard“ zeigen in der Kuhle Präsenz.

Und obwohl sich Holger wieder einigermaßen von seinen Unfallfolgen erholt zeigt, engagiert sich Bauer Uwe Trede, der die Organisatoren in der Leidenszeit der letzten 18 Monate maßgeblich unterstützte und entlastete, weiterhin als „Park- und Campingplatz-Manager“, akquiriert darüber hinaus von den benachbarten Bauern weitere Flächen, um die dringend notwendige Erhöhung der Aufnahmekapazitäten des Veranstaltungsgeländes zu gewährleisten.

Einen kleinen Rückschlag gibt es allerdings bei der Besetzung des Billings: Die Böhsen Onkelz – Wunschkandidaten als Headliner – organisieren in diesem Jahr ihr eigenes Festival in Northeim und sagen für das W:O:A ab. Dafür erweisen sich die schwedischen Gothic-Metaller Tiamat als Glücksgriff: Dank ihres am 10. Oktober 1994 auf Platz 29 in die deutschen Albumcharts eingestiegenen Albums Wildhoney (die Scheibe hielt sich für die damalige Zeit sensationelle neun Wochen in den Albumcharts) gelten die Mannen um Mastermind Johan Endlund auch im Sommer 1995 immer noch als Band der Stunde und bescheren den Organisatoren mit 5.000 Zuschauern einen erfreulich starken Zulauf. Aber auch Szene-Pro­tagonisten wie die dänischen Pretty Maids und ihre Landsleute von D-A-D sowie die brasilianischen Progressive-Metaller Angra gelten unter den Traditionsmetallern als sehenswürdige Attraktionen, während die Fraktion der ganz auf hart programmierten Headbanger das Debüt von Temple Of The Absurd, der neuen Band von Holy-Moses-Frontfrau Sabina Classen, und den Brutalo-Thrashern Hate Squad bestaunen. (Mehr dazu ab Seite 170)

Auch wenn die restlichen Unternehmungen von Stone Castle Promotion – zum Beispiel die organisierten Konzerte im Schenefelder Club High Noon, aber auch die Kooperation mit örtlichen Veranstaltern in Schwerin – nicht unbedingt den Karren aus dem finanziellen Dreck ziehen: Die Kriegskasse vermeldet zumindest keine neuen Löcher.

1996

Zu Jahresbeginn sieht es nicht im Geringsten danach aus, dass sich das W:O:A 1996 zum Wendepunkt in der Wacken-Historie entwickeln würde. Im Gegenteil: Mit den deutschen Trash-Protagonisten Kreator als Headliner hoffte man zwar, das Niveau der Zuschauer wenigstens auf das Level des Vorjahres hieven zu können. Doch noch Anfang Juni stockte der Ticketvorverkauf mal gerade so bei 1.000 Eintrittskarten – ein weiteres Desaster bahnte sich an. Hektisch wird nach weiteren zugkräftigen Acts gesucht, die mit ihrem Auftauchen im Billing den Vorverkauf ankurbeln könnten – auch das Management der Böhsen Onkelz ereilt eine neuerliche Anfrage aus Wacken.

 

Diesmal erhalten die Norddeutschen zum Glück das Okay aus Frankfurt/Main. Allerdings bereits derart kurzfristig, dass der neue Headliner eher schlecht als recht in der kurzfristig neu organisierten Plakatierung berücksichtigt werden kann.

Dennoch: Knapp 10.000 Schwermetaller zieht es letztlich nach Wacken – das Dorf wird förmlich von den in schwarz gekleideten Gestalten überrannt. Kilometerlange Staus entstehen, in denen sich plötzlich auch neben ganzen Hochzeitsgesellschaften Dorfbewohner wiederfinden, die die verhältnismäßig wenigen „langhaarigen Bombenleger“ dort in der Kuhle bisher kaum zur Kenntnis nahmen. Doch jetzt stehen die 1.850 Dörfler verdutzt in ihren Vorgärten, beobachteten, wie sich eine dunkle Menschenmasse zu Fuß und in fahrbaren Untersätzen Magma gleich der Hauptstraße entlang wälzte – und fragen sich: „Watt’n datt?“

Vor der Bühne das gleiche Bild wie im Dorf: Chaos allenthalben, überall dicht an dicht gedrängte Fans, die es in erster Linie der Onkelz wegen in die Kuhle zog. Doch auch das – ziemlich harte – „Beiprogramm“ sagt den Metallern zu: Allen voran Kreator, die U.K.-Punk-Institution The Exploited, Gorefest und Crematory bieten derbsten Stoff vom Feinsten, während aufstrebende Bands wie einmal mehr Temple Of The Absurd, Theater Of Tragedy und die Holländer The Gathering verstärkt auf sich aufmerksam machen. Und eine weitere Tradition wird 1996 geboren: Der Wacken-Kehraus mit Onkel Tom, der zum Ausklang noch einmal Sauflieder vom Feinsten bietet.(Mehr dazu ab Seite 164)

So schwarz sich die Endabrechnung am 10. August 1996 auch gestalten soll, so schwarz bleibt der Stern, unter dem die „Nebenaktivitäten“ von Stone Castle Promotion stehen. So muss das Duo Hübner/Jensen bereits im Frühjahr erkennen, dass sich im nahen Rendsburg ein weiterer Veranstalter aufschwingt, ein Open Air in der unmittelbaren Nachbarschaft zu etablieren – das „SuperCrash Festival“. Holger und Thomas suchen ihr Heil in der Flucht nach vorne – sprich: auf den Mann zugehen und seine Firma mit der eigenen fusionieren und so in Zukunft gemeinsam an einem Strang zu ziehen, statt sich gegenseitig die Kundschaft abspenstig zu machen. Kaum dass aber die neue Partnerschaft besiegelt ist, müssen die beiden Wackener erkennen, dass das SuperCrash Festival nur rote Zahlen schreibt und sie jetzt einen Partner im Boot haben, der sie nur Geld kostet.

1997

Nach dem großen Erfolg des Vorjahres, der in der Kuhle chaotische Verhältnisse mit sich brachte, musste eine neue Grundsatzentscheidung fallen: Denn es ist abzusehen, dass der Platz – sollten in diesem Jahr auch nur erneut wieder die Zuschauerzahlen aus dem Vorjahr erreicht werden – an bisher bewährter Stelle nicht ausreicht. Doch eine Entscheidung in dieser Angelegenheit wird dem W:O:A-Team quasi abgenommen: Nach dem Ansturm des Vorjahres stellen sich nämlich einige Gemeindeobere quer und legen ihr Veto ein gegen eine weitere Nutzung der Kuhle als Festivalaustragungsort. Aber eine Lösung des Dilemmas ist – dank Uwe Trede – schnell in Sicht: Es wird auf die gegenüberliegende Seite der Straße ausgewichen – eben auf die Koppel von Bauer Trede. Doch auch seine etwa fünf Hektar reichen für die gesamte Logistik nicht aus. Trede unterstützt das Duo Hübner/Jensen mehr denn je, indem er sich um die Akquirierung weiterer Flächen von benachbarten Bauern kümmert. (Mehr dazu ab Seite 00)

Seit 1997 übernimmt zudem Thomas Hess, der im Vorjahr als Tourmanager der Böhsen Onkelz wie ein Fels in der Brandung ruhig Blut bewahrte und somit maßgeblich dazu beitrug, dass das Chaos nicht überhand nahm und das Festival bis auf die Verkehrssituation nahezu komplikationslos über die Bühnen lief, die Produktionsleitung. Zudem wirkt in diesem Jahr erstmals Thomas Freundin Sheree mit, sorgt im Backstage-Bereich für das leibliche Wohlergehen der Musiker, V.I.P.s und Journalisten.

Und last, but not least: Eine dritte Bühne wird etabliert – die W.E.T. Stage. „W.E.T.“ steht dabei für „Wacken Evolution Tent“ und soll Newcomern und Bands ohne Plattenvertrag eine Plattform bieten, sich mit den „Großen“ direkt zu messen und ihrerseits eine realistische Standortbestimmung vornehmen zu können. Und schließlich lassen sich auch immer mehr Talente-Scouts der Plattenfirmen in Wacken akkreditieren – die so ihrerseits vielleicht die neuen Super-Stars von Morgen entdecken.

Als musikalische Attraktionen räumen insbesondere Motörhead und Rage mit dem Lingua-Mortis-Orchester, gestandene Recken wie Overkill, Sodom, Tank, Raven und U.D.O. ab. Doch auch neuere Acts präsentieren sich hier das erste Mal: HammerFall, die gerade ihr Debüt Glory To The Brave veröffentlichten, gehen dabei nach 45 Minuten Spielzeit die Songs aus; die norwegischen Black-Metal-Protagonisten Dimmu Borgir präsentieren sich das erste Mal außerhalb ihrer Heimat, und die Mittelalter/Folk-Rocker Subway To Sally demonstrieren eindrucksvoll ihre Mischung aus mittelalterlichen Weisen und Hard Rock – alle drei Bands legen hier in Wacken in diesem Jahr den Grundstein für ihre weltweiten Karrieren.

Zum Aufreger jedoch avancieren Rock Bitch – eine Sex-Kommune weiblicher Möchtegern-Musikerinnen, die nahezu nackt auftreten und mit allerlei auf der Bühne praktizierten Sexspielchen über ihr arg überschaubares musikalisches Talent hinwegtäuschen. Da die Chicks mit ihrer Hardcore-Show selbst bei den eigentlich offenen Holländern nicht im Rahmen des Dynamo Open Airs auftreten durften, spricht sich ihr zweifelhafter Ruhm schnell nach Deutschland herum – und drängen zu ihrem Auftritt derart viele Fans in das Party-Zelt, dass dort tumultartige Zustände herrschen. Der gordische Knoten wird von den Veranstaltern gelöst, indem die Mädels auf die große Bühne umgebucht werden – und Subway To Sally in das Party-Zelt. Und schon hat das W:O:A seinen ersten Eklat … (Mehr dazu ab

Seite 195)

Im Endeffekt können Holger, Thomas und Sheree – sie verstärkt das Duo ab sofort und entlastet die Beiden bei organisatorischen und administrativen Arbeiten – ein durchweg positives Resümee ziehen: Der neue Platz und die neuen Strukturen haben sich bewährt; das Festival fand mit über 10.000 Zuschauern einen noch größeren Zuspruch als im Vorjahr. Frohen Mutes schauen die Drei dem neuen Jahr entgegen …


Die Onkelz live in Wacken 1996. © Christine Besser


Pressekonferenz von Rockbitch 1997. © Rita Mitzkatis

1998–2000: 4 Bühnen mit 100 Bands

1998

Dieses Jahr soll zum vielleicht wichtigsten in der Wacken-Geschichte avancieren. Nicht alleine deswegen, weil die Stone Castle Promotion GmbH vor allem dank des Pleite-Partners vom Rendsburger Super Crash Festivals in die Insolvenz hineingezogen wird und sich die Jungs in Wacken in geschäftlicher Hinsicht zum zweiten Mal neu organisieren müssen, wobei ihnen Sheree Hesse als neue Dritte im Bunde unschätzbare Dienste erweist. Sondern vielmehr deswegen, weil auf der Basis der Organisation des Vorjahres jetzt weiter an der Festigung und Entwicklung von Strukturen gearbeitet wird, wie wir sie im Wesentlichen noch heute kennen. Bestes Beispiel: die zweite Hauptbühne. Zusammen mit der Party- und der W.E.T. Stage gibt es ab sofort vier Bühnen, auf denen sich 1998 um die 70, in den Folgejahren bis zu 100 Acts tummeln.

Derweil ist Bauer Trede damit beschäftigt, den angrenzenden Landwirten weitere Ackerflächen aus dem Kreuz zu leiern, damit die über 18.000 Metalheads ausreichende Campinggelegenheiten vorfinden. Dieser Quantensprung der Besucherzahlen – immerhin fast eine Verdopplung im Vergleich zu Vorjahr – resultiert unter anderem daraus, dass sich die Qualitäten des W:O:A im Vergleich zu internationalen Konkurrenzveranstaltungen langsam in der Metal-Szene herumsprechen: gemütliche, familiäre Party-Atmosphäre, Fan-freundlich Preise, tolle Acts, die das gesamte Spektrum des Genres bedienen. Alleine vom Billing in diesem Jahr werden noch eine Dekade später die Augenzeugen schwärmen: Blind Guardian, Savatage, Iced Earth, Virgin Steele, Gamma Ray, Nevermore, Edguy und Doro auf einer Bühne – hier bin ich Metalhead, hier darf ich’s sein!

1999

Nach der Trennung vom defizitären Rendsburger Partner arbeiten Holger und Thomas zusammen mit Sheree verstärkt an der Organisation der Unternehmensstruktur: So entsteht in Dörpstedt ein neues Hauptquartier, das bis in die heutigen Tage als Schalt- und Verwaltungszentrale dient. Darüber hinaus wird MetalTix als eigenständiges Ticketvorverkaufssystem gegründet – eine Firma, die zunehmend auch den Kartenvorverkauf von selbst veranstalteten Tourneen übernimmt. Über die ebenfalls neu gegründete Konzertveranstalter- und Management-Firma ICS hingegen werden über das Jahr hinweg kontinuierlich eigenverantwortlich Gastspielreisen mit nationalen und internationalen Metal-Bands organisiert.

Sheree wiederum übernimmt neben dem Catering-Management während des Festivals die Betreuung der internationalen Presse. Und da hat sie alle Hände voll zu tun: Denn gerade zu der Zeit boomt das WorldWideWeb mit all seinen Internet-Magazinen. Dementsprechend sieht sich die stets auf beste Kontakte zu den Journalisten bedachte Wackener Presse-Abteilung einer regelrechten Schwemme von Akkreditierungswünschen ausgesetzt. Dabei erweist sich weniger der Bereich der Print-Magazine als problematisch – hier gibt es in den letzten zwei Dekaden gewachsene und etablierte Fanzine- und Magazin-Publikationen mit übersichtlichen Dimensionen. Vielmehr avancieren die Online-Redaktionen zu den Sorgenkindern: Oft lassen sich zu Jahresbeginn Mitarbeiter von Internet-Journalen akkreditieren, die im Sommer bereits wieder ihre Dienste eingestellt haben. Dank der kontinuierlichen Pressebetreuung seitens Sheree über das Jahr hindurch lässt sich da die Spreu vom Weizen – die kurzlebigen Eintagsfliegen von den seriösen, langlebigen Publikationen – trennen.

Darüber hinaus veröffentlichen die W:O:A-Organisatoren in Zusammenarbeit mit der Hannoveraner Plattenfirma SPV ihren ersten Wacken-Sampler mit Live-Mitschnitten von Bands, die beim Festival auftraten – hier entsteht ebenfalls eine wegweisende Kooperation, die den Metal-Fans auch in Zukunft mit so manch tollem audiovisuellen Rückblick auf das jeweilige Event beglücken soll.

Und ausgehend von den Erfahrungswerten des Vorjahres gewinnen die Struktur der Bühnenanordnungen auf dem Festivalgelände sowie der Campingplätze – von ständigen Nachjustierungen (Bühnenanordnungen) und notwendigen Erweiterungen (Campingareal) abgesehen – das im Prinzip bis heute gültige Aussehen.

Um die 22.000 Metalheads – also etwas mehr als im Vorjahr – schütteln dann auch begeistert ihre Mähnen zu den Vorstellungen solcher Acts wie U.D.O., Saxon, Metal Churchs, HammerFall, Destruction, In Extremo, Subway To Sally und weiteren 80 Combos (mehr zu den Bands ab Seite 137). Traditionsgemäß beendet Tom Angelripper in der Nacht vom 7. auf den 8. August eine überaus gelungene Jubiläumsveranstaltung, die unter der Überschrift „10 Years Louder Than Hell“ steht. Doch dieses Jubiläum ist für Holger, Thomas, Sheree und ihr Team kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen – auch wenn das Wacken:Open:Air inzwischen den Ruf genießt, weltweit zu den ersten Adressen in Sachen Heavy Metal-Open-Airs zu zählen …

2000

Erstmals treibt sich Frank Mangelsen heuer nicht als „normaler“ Besucher auf dem Festivalgelände herum: Seit diesem Jahr betreut er den offiziellen Wacken-Fanclub – eines Fanclubs, dessen Gründung ihm schon seit drei Jahren vorschwebte. Mit dieser Idee rennt Mangelsen bei Holger, Thomas und Sheree offene Scheunentore ein – bis zu 400 Mitglieder zählt der Fanclub in den folgenden Jahren, die sich fortan über eine kontinuierliche wie exklusive Betreuung freuen.

Zudem warten Holger, Thomas und Sheree mit einer konzeptionellen Neuerung auf: Erstmals findet am Wacken-Vorabend, dem Donnerstag, eine Warm-up-Party auf der Hauptbühne statt. Molly Hatchet, Krokus und The Company Of Snakes laden zum gepflegten Rocken – der Motto-Abend „A Night To Remember“ ist seitdem fester Bestandteil des W:O:A.

 

Um die 25.000 Headbanger wollen im letzten Jahr des Millenniums in Wacken Party feiern. Mit ihnen feiern Twisted-Sister-Frontmann Dee Snider, die australischen Riff-Rocker Rose Tattoo, die Black-Metal-Urgesteine Venom sowie die New-Wave-of-British-Heavy Metal-Veteranen Grim Reaper, Demon und Praying Mantis ihr Comeback. Ob Iced Earth, Stratovarius, Morbid Angel, Doro, Gamma Ray, Nightwish, Testament, Rhapsody, Overkill oder Annhihilator – auf den vier Bühnen von Wacken gibt sich einmal mehr die Creme de la Creme der Metal-Szene ein Stelldichein.

Zwar können Holger, Thomas und Sheree bilanzieren, dass sich die „im Vorjahr geschaffenen Strukturen bewährt haben“. Doch das gilt in erster Linie für das Geschehen auf dem Festivalgelände. Verkehrstechnisch erreicht die Infrastruktur des Großraums Itzehoe/Wacken langsam das Maximum ihrer Belastbarkeit – die ersten kilometerlangen Staus bei der An- und Abreise sind ein beredtes Indiz dafür.

Zudem trudeln immer mehr Headbanger immer früher zu ihren „Metal-Holidays“ in Wacken ein, obwohl die offiziellen Campingplätze frühestens Mittwochnachmittag geöffnet werden. Oft strotzen die Feld- und Waldwege in und um Wacken bereits zehn Tage vor Festivalbeginn nur so vor wild parkenden Campingwagen und Wildcampern. Dieser Problematik stehen die Einwohner von Wacken – inzwischen selbst immer mehr vom „Wacken-Metal-Virus“ infiziert – mit einem Lächeln auf den Lippen gegenüber. Ärgerlicher hingegen ist ein anderes, zunehmend problematischeres Phänomen: der Klau der Ortseingangsschilder. Obwohl das W:O:A-Team Nachbildungen dieses gefragten Souvenirs in das Merchandise-Angebot aufnimmt – für die Problematik der dennoch immer wieder entwendeten Originale findet Bürgermeister Axel Kunkel erst acht Jahre später eine zufrieden stellende Lösung …


Holger Hübner Backstage 1998. © Powertrip, Jürgen Both


Das W:O:A 1999. © Rita Mitzkatis


Sheree, Thomas und Holger.