Maria - Fräulein der Friesen

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4

Rimberti stand vor der rußgeschwärzten Ruine, die einmal ein stattliches Bauernhaus mit großem Scheunenanbau gewesen war. An der Stelle der Nebengebäude waren nur noch verkohlte Holzreste zu sehen, die trübsinnig vor sich hin qualmten. Ewert Owelacker und seine Männer hatten ganze Arbeit geleistet. Noch schlimmer. Vor dem Hof hatte man die Leichen von zwei Knechten gefunden. Sie waren so töricht gewesen umzukehren und ihre wenige Habe retten zu wollen.

Zornig und ohnmächtig fühlte sich Rimberti. Er sah sich um. Warmes und helles Sonnenlicht schien auf das weite Land. Leuchtend gelbe Getreidefelder, Wiesen und Weiden in sattem Grün, und darin ein qualmender, rußiger Haufen. Das war die Welt, die Gott geschaffen hatte, und mitten darin befand sich, was die Menschen schufen: Mord und Zerstörung.

Ein Offizier und Keno Middens standen abseits und sprachen mit dem Bauern. Zur Sicherheit hatten sie bewaffnete Reiter mitgebracht, obwohl nicht damit zu rechnen war, dass Owelacker und seine Männer noch einmal an diesen verwüsteten Ort zurückkehren würden.

Rimberti hatte seine Zweifel, ob Isko Onninga und seine Männer wirklich bereit gewesen wären, gegen die Landsknechte zu kämpfen. Ein Mann kam auf sie zu. Folkert Hedden.

»Wir waren bereit, als sie kamen«, sagte er. »Wir haben Tag und Nacht jemanden auf dem Kirchturm postiert. Gut zwei Dutzend Mann kamen. Sie dachten, sie kämen in ein leeres Dorf, dessen Einwohner davongelaufen wären, und dann schlugen wir los. Wir waren doppelt so viele wie sie, und wir haben sie völlig überrumpelt. Fünf von uns sind verletzt worden, einer wird es vielleicht nicht überleben. Dafür haben wir acht von ihnen erschlagen, und drei Verletzte mussten sie zurücklassen. Aber hier konnten wir nichts mehr tun. Bartels Hof ging in Flammen auf, und die beiden Knechte hier wollten ihre Sachen retten. Wir konnten sie nicht aufhalten. Und als Owelackers Männer vertrieben waren, war es zu spät. Wir konnten das Feuer nicht mehr löschen, und die beiden fanden wir hier tot. Wir werden alle helfen, wenn hier wieder aufgebaut wird. Das ist das Mindeste.«

Hedden zeigte mit der Hand in die Ferne. »Steffens und seine Familie auf dem Hof da draußen haben nicht so viel Glück gehabt. Er wollte ihnen nicht verraten, wo er sein Geld versteckt hat. Ihn und seine Frau haben sie umgebracht, nur die Kinder ließen sie am Leben.«

Hedden ballte die Faust, bis sie weiß wurde. »Ich weiß, was ich mit den drei Gefangenen machen werde. Ihre Köpfe werde ich in der Brandruine aufspießen.«

»Das werdet Ihr nicht tun«, brummte plötzlich eine Bassstimme. Sie drehten sich um. Häuptling Fockena stand hinter ihnen.

»Daran werdet Ihr uns nicht hindern«, erwiderte Hedden.

»Und wie ich das werde«, antwortete Fockena angriffslustig. »Gleich neben den drei Halunken werde ich persönlich noch einen vierten Pfahl aufstellen. Und ratet mal, welches hübsche Köpfchen dort aufgespießt wird. Aber bitte lasst Euch vorher noch Euren Bart stutzen.«

Hedden wollte sich auf den Häuptling stürzen, aber er sah plötzlich einen Dolch auf sich gerichtet. »Der gefällt mir gut, der Mann hier«, sagte Fockena gut gelaunt und wandte sich an Rimberti. »Der ist mir vorgestern schon aufgefallen. Es war übrigens klug von Euch, unsere Bekanntschaft verborgen zu halten. So war es mir ein wenig leichter, wieder einmal Euer Leben zu retten, mein lieber Rimberti.«

»Ihr kennt …?«, stieß Hedden hervor.

»Sehr gut sogar«, antwortete Rimberti. »Ihm würde ich mein Leben blind anvertrauen, und das Eure noch gleich mit dazu.«

Fockena grinste Hedden an.

»Frieden?«, fragte er und steckte den Dolch wieder weg. Hedden nickte. »Ich gönne Euch die Rache gern, aber lebendig nützen uns die drei vielleicht mehr. Wir wissen nicht, wo die Landsknechte ihr Lager haben. Dies wird nicht der letzte Überfall gewesen sein. Ich gratuliere Euch übrigens zu Eurem Sieg, Hedden. Viel besser hätte ich das vermutlich auch nicht hinbekommen. Wie viele Leute hatte Owelacker bei sich? Was schätzt Ihr?«

»Es waren etwa zwei Dutzend, jetzt natürlich weniger«, antwortete Hedden.

»Keine Sorge, die wachsen von selbst wieder nach. Bestimmt waren nicht alle dabei. Es ist das erste Mal, dass Owelacker mit seinen Männern ein Dorf überfallen wollte.«

»Es wird ihm eine Lehre sein«, erwiderte Hedden.

»Das wird es«, stimmte Fockena zu. »Das nächste Mal wird er es geschickter anstellen und mehr Männer mitbringen. Wo haben sie ihr Lager? So viele Männer können sich nicht einfach verstecken. Und so groß ist der Wald auch nicht, dass für mehr als ein Versteck Platz wäre.« Er sah Hedden durchdringend an.

Bestürzt starrte Hedden den Häuptling an. »Ihr wisst …?«

»Ich bin vorgestern Eurer Spur nachgeritten. Geht das nächste Mal getrennte Wege. Sonst macht Euch sogar ein Trottel wie Isko Onninga irgendwann ausfindig.«

»Habt Ihr nun endlich Euren Willen, Hedden?« Keno Middens’ schneidende Stimmte tönte zu ihnen herüber. Schnellen Schrittes kam er auf die drei Männer zu. Mit zornigem Blick starrte er auf Folkert Hedden. »Ist es das, was Ihr wollt? Die Männer, die gekommen sind, Euch zu schützen, jagt Ihr davon, und so ist alles den Plünderern preisgegeben. Dies ist allein Euer Werk, Folkert Hedden. Andere mussten mit ihrem Leben und ihrem Gut bezahlen, was Ihr angerichtet habt. Seid Ihr nun zufrieden?«

»Nur ruhig Blut!« Fockena sah ihn durchdringend an. »Isko Onninga wäre hier kein Schutz gewesen. Er kann nur wehrlose Dörfler überrumpeln und ausplündern. Ihr glaubt doch wohl nicht, dass Onninga den Mut gehabt hätte, gegen Owelacker und seine Männer zu kämpfen.«

Keno Middens war verunsichert. »Nun«, erwiderte er, »als Mann in Graf Ennos Diensten scheint Ihr ja keine hohe Meinung von seinen Offizieren zu haben. Ich werde das bei nächster Gelegenheit ansprechen, wenn ich mit Graf Enno zusammentreffe.«

»Das müsst Ihr nicht, das werde ich mit Vergnügen selber tun. Organisiert Ihr lieber Hilfe für die Unglücklichen hier vor Ort.«

»Zunächst werden wir die drei Männer von Owelacker hängen«, entschied Middens. »In dieser Sache werden wir uns ja wohl einig sein.«

»Ich kann dazu nichts sagen«, bemerkte Fockena. »Hedden und seine Leute haben die drei gefangen genommen. Er soll entscheiden, wie wir mit ihnen verfahren sollen.«

»Das steht ihm nicht zu«, stellte Middens gereizt fest.

»Euch steht es auch nicht zu«, erwiderte Hedden. »Wir bringen sie zur Burg nach Jever. Dort sollen sie eingesperrt werden, und der Drost soll gemeinsam mit den Fräulein entscheiden, was aus ihnen wird.«

»Gut.« Middens schien beruhigt zu sein. Er nickte und ging davon.

»Stimmt es, Hedden, dass Euer Haus und Hof verschont geblieben sind?«, erkundigte sich Fockena.

Hedden nickte. »So ist es. Dem Himmel sei Dank.«

»Dann spricht sicher nichts dagegen, dass Ihr meinen Freund Rimberti und mich zu einem anständigen Essen einladet.«

Es war schon Abend, als sie nach Jever zurückkehrten. Die Fräulein hatten sich bereits zurückgezogen, und der Drost war noch nicht wieder zurück. Fockena gab Anweisung, die Gefangenen gut zu bewachen. Rimberti suchte unterdessen die Kanzlei auf, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.

Der Burgschreiber war ein schmaler, übellauniger Mann, der Rimberti für einen Moment misstrauisch beäugte. Augen und Mund waren verkniffen und seine Schultern hochgezogen, als Rimberti sein Anliegen vorbrachte. Er antwortete mit einem kurzen Kopfnicken und führte seinen Besucher in die Kanzlei.

Vor den beiden bleiverglasten Fenstern stand ein großer Tisch mit einem wackeligen Stuhl davor. Die Tischplatte war leer. An der hinteren Wand waren zwei große Truhen aufgestellt, an den anderen beiden Wänden standen riesige Schränke aus schwerem dunklem Holz. Sonst befand sich nichts in diesem Raum.

Rimberti forderte den Burgschreiber auf, die Schränke aufzuschließen, aber der hob die Achseln noch höher und bemerkte kurz: »Das geht nicht.«

»Warum geht das nicht?«, fragte Rimberti nach und gab seiner Stimme einen ungeduldigen Ton.

»Der Rentmeister hat die Schlüssel«, antwortete der Burgschreiber kurz.

»Und? Wo ist der Rentmeister?«

Der Burgschreiber schien sich vor jeder Antwort zu sträuben. Er räusperte sich und sagte dann: »Rentmeister Scriver ist nach Hause gegangen. Wann er morgen wiederkommt, weiß ich nicht.«

Für einen Moment überlegte Rimberti, ob er den Gefangenen einen Besuch abstatten sollte. Aber er wollte nicht hinter dem Rücken des Drosten handeln.

Er hob ein Buch auf, das unter einem der Schränke lag und beschloss, es mit in sein Quartier zu nehmen.

In dem Moment, in dem er sich in sein Bett legte, schlief er auch schon und wurde erst wach, als es schon heller Morgen war.

5

»Unser lieber und verehrter Doktor Rimberti, der Rechtsgelehrte der kaiserlichen Statthalterin. Welche Ehre und Freude, Euch wiederzusehen!«

Lübbert Rimberti erstarrte, als er den Speiseraum der Burg betreten wollte. Er blieb im Türrahmen stehen. Zwischen Fräulein Anna und Fräulein Maria saß niemand anders als Graf Enno von Ostfriesland. Zwei Offiziere Ennos saßen mit ihnen an der Tafel. Neben Fräulein Maria saß ein griesgrämig blickender älterer Mann, den seine schlichte, aber teure Kleidung als Persönlichkeit von Rang auszeichnete. Trotz seines Alters wirkte er kraftvoll. Er warf einen kurzen misstrauischen Blick auf Rimberti und wandte sich dann wieder den Fräulein zu.

Rimberti verneigte sich und überbrachte seine Ehrerbietung und die Grüße von Königin Maria. Diese ritualisierte Begrüßung verschaffte ihm den Augenblick, den er benötigte, um klar zu denken.

 

Mit ausladender Geste forderte Enno ihn auf, Platz zu nehmen. Die Tafel war reich gedeckt mit frisch gebackenem Brot, Bratenfleisch, Schüsseln mit Grütze, Käselaiben, Kuchen und Obst. Dazu standen Kannen mit Wein und Bier auf dem Tisch.

»Ihr seht, lieber Rimberti, Ihr seid hier bei Freunden, und auch Ihr dürft Euch in dieser Runde als ein solcher fühlen«, sagte Graf Enno. »Auch wenn wir nicht immer eines Sinnes sind, so vergesse ich Euch nicht, dass Ihr mein Leben gerettet habt, als der Mörder mit der Armbrust auf mich schoss. Und den Verkauf der Herrlichkeit Hillersum an meine Widersacher habt Ihr ebenfalls verhindert. Das bisschen Ungemach, das Ihr mir bereitet habt, soll darüber vergessen sein. Ich bin kein nachtragender Mensch.«

Rimberti antwortete nicht und nahm ihm gegenüber Platz. Das Gesicht des älteren Mannes neben Fräulein Maria verfinsterte sich noch mehr.

Graf Enno fuhr fort: »Jetzt müssen wir beide, Ihr und ich, gute Freunde für unsere beiden Fräulein sein. Von Westen droht Junker Balthasar mit Krieg, und aus dem Oldenburgischen kommen Plünderer, ohne dass ihnen dort Einhalt geboten wird. Nun, ich habe Soldaten mitgebracht, die die Burg Jever beschützen. Und mein treuer Diener Isko Onninga wird morgen mit seiner Reitertruppe eintreffen, um die Landgemeinden zu schützen.«

Enno hielt seinen leeren Weinpokal einem Diener hin, der ihn auffüllte. »Gieß er gefälligst mehr ein! Sei er nicht so geizig!«, herrschte der Graf den Diener an. »Ich habe alles aus eigener Tasche bezahlt, was wir hier essen und trinken.« Fräulein Maria sah auf ihre gefalteten Hände. Der ältere Mann neben ihr schaute noch finsterer drein. Ihre Schwester Anna kaute gedankenverloren und schaute in den Raum, ohne dass Rimberti feststellen konnte, wohin ihr Blick schweifte. Auf dem Teller hatte sie kandierte Ingwerstücken. Enno trank den Pokal in einem Zug leer und stieß heftig auf.

»Ich hörte, es gab Ärger?«, fragte Graf Enno und taxierte dabei Rimberti.

»Grootewarden wurde angegriffen«, antwortete Fräulein Maria mit leiser, aber fester Stimme.

»Gestern wurde das Dorf von Owelackers Landsknechten geplündert, und vorgestern wurde es von Isko Onninga und seinen Leuten überfallen«, erklärte Rimberti und bemühte sich, dabei ruhig zu bleiben.

Graf Enno warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. »Wie ich hörte, habt Ihr dafür gesorgt, dass Isko sich mit meinen Männern zurückziehen musste. Hättet Ihr ihn nicht in seinen Aufgaben behindert, hätte er die Plünderer vertrieben.«

»Ich glaube nicht, dass Isko Onninga den Schneid gehabt hätte, gegen Owelacker und dessen Leute anzutreten. Das sind gut ausgebildete Kämpfer. Männer wie Isko kämpfen nur gegen Schwächere.« Rimberti sah Enno herausfordernd an.

Graf Enno hielt seinem Blick stand. »Doktor Rimberti, Ihr seid nicht von der Königin geschickt worden, um Euch in die Geschicke unseres Landes einzumischen. Eure Aufgabe ist es, Papiere zu lesen, Paragrafen zu reiten und mit Tinte zu klecksen. Verseht Ihr Euren Dienst und lasst uns das Unsrige tun.«

Graf Enno winkte mit der Hand, um Rimberti zu entlassen. Der jedoch tat, als hätte er die beiläufige Geste nicht bemerkt und erklärte: »Die Statthalterin persönlich schickt mich, um die Urkunden und die Situation vor Ort zu prüfen. Ihr werdet erstaunt sein, wie genau die junge Königin alles und alle im Blick hat. Es ist noch nicht lange her, da hat Herzog Karl die Reichsacht gegen Euch gefordert. Hätte er es durchgesetzt, würde er selbst statt Eurer vermutlich als neuer Herr von Ostfriesland regieren oder Junker Balthasar. Ich habe die Königin beruhigt und ihr versichert, dass sie auf Euch als treuen Lehensmann setzen kann, und dass ich hier alles in wohlgeordneten Verhältnissen vorfinden werde.«

Für einen Moment war Enno verunsichert. Dann grinste er und hielt dem Diener seinen Pokal hin. Als der nicht sofort einschenkte, funkelte Enno ihn wütend an und zischte: »Will Er hier Maulaffen feilhalten? Schenk Er ein!«

Der Alte neben Fräulein Maria sah Rimberti aufmerksam an. Er kniff die Augen zusammen, als könne er nicht mehr gut sehen.

Nachdem der Diener rasch vorgetreten und den Pokal aufs Neue gefüllt hatte, stürzte Graf Enno den Wein hinunter. »Bestellt der Statthalterin, dass wir hier alles im Griff haben. Plünderer gibt es überall, und Isko Onninga wird sie aus dem Verkehr ziehen, sobald ihr Versteck gefunden ist.«

Rimberti wollte die Gefangenen erwähnen, entschied sich aber anders. Die Befragung der drei Männer würde er selber vornehmen.

»Ich hörte, wir haben drei von den Plünderern gefangen genommen«, erklärte Fräulein Maria und sah dabei auf den Tisch. »Sie befinden sich unten im Verlies. Wir werden sie verhören und erfahren, wo sich ihr Lager befindet.«

»Bestens«, erwiderte Graf Enno und stopfte sich ein Stück Weißbrot in den Mund. »Isko soll sich die drei vornehmen. Stellt eine Wache auf und sorgt dafür, dass niemand mit den Männern spricht. Und mit niemand meine ich genau, was ich gesagt habe.«

Auf seinen Wink erhob sich einer der Offiziere diensteifrig und verließ den Raum.

»Ist es nicht klüger …«, wollte Fräulein Maria einwenden.

Graf Enno unterbrach sie: »Ihr zweifelt nicht im Ernst an meiner Klugheit?« Er räkelte sich in seinem Stuhl mit den ausladenden Armlehnen und drehte sich wieder Rimberti zu.

»Seht, Rimberti, die Sache ist doch sehr einfach«, erklärte er. »Vor 20 Jahren verstarb Häuptling Edo Wiemken. Einige Jahre später erfolgte dann der unglückliche Tod seines Sohnes, Junker Christoph. Im gleichen Jahr haben die fünf Regenten, die noch von Häuptling Edo ernannt worden waren, meinem Vater die Treue geschworen und ihn als Bewahrer des Jeverlandes und als Beschützer der Fräulein von Jever anerkannt.«

Fräulein Anna steckte sich ein großes Stück von dem kandierten Ingwer in den Mund, während Maria den Grafen mit großen Augen ansah.

»Nun«, fuhr Enno fort, »seitdem haben mein Vater, mein Bruder Johann und ich unser Bestes getan, um diesem Amt gerecht zu werden. Wir lassen das Land durch unseren Drosten verwalten und durch unsere Soldaten beschützen. Und ich werde nicht aufhören, nach einer passenden Partie für unsere Fräulein Anna und Maria zu suchen. Rimberti, Ihr verfügt doch über so glänzende Verbindungen zum kaiserlichen Hof. Könnt Ihr da nicht etwas in die Wege leiten?«

Fräulein Anna sah zuerst den Grafen und dann Rimberti an. Dann senkte sie den Blick und sagte, während sie auf dem Ingwer kaute: »Habt Ihr da nicht etwas vergessen?«

Graf Enno brummte. »Nach dem Willen meines Vaters würden Maria und ich heute Morgen nicht als gute Freunde, sondern als Mann und Frau am Tisch sitzen. Aber es hat sich anders ergeben. Das ändert jedoch nichts an der engen Verbindung zwischen Eurem und unserem Haus.«

»Gibt es darüber einen Vertrag?«, erkundigte sich Rimberti.

Enno schüttelte den Kopf. »Nein!«

»Ja!«, hielt Fräulein Maria dagegen. »Graf Edzard hatte drei Söhne, und wir waren drei Schwestern. So sollten die beiden ältesten Kinder verheiratet werden. Würde aus dieser Ehe nichts, so sollten, dann …«

»Die Wünsche der Eltern werden nicht immer erfüllt«, unterbrach Enno. »Vor allem war es der Wunsch unserer Väter, Ostfriesland und Jever zu vereinigen, damit daraus ein einiges Friesland wird.«

»Ich glaube nicht, dass mein Vater derartige Pläne hatte.«

»Ihr wart noch ein Kind, als Euer Vater starb. Unsere Väter waren sich einig, und mein seliger Vater war immer ein treuer Freund und Beschützer des Jeverlandes.«

»Gibt es eine schriftliche Vereinbarung?«, hakte Rimberti noch einmal nach.

»Graf Edzard hat uns ein schriftliches Eheversprechen gegeben«, erklärte Fräulein Maria. »Darin ist alles genau geregelt.«

»Könnt Ihr es vorlegen?«, fragte Graf Enno lauernd.

»Natürlich nicht«, antwortete Maria mit leiser, aber klarer Stimme. »Euer Vater hat uns das Dokument vor einigen Jahren weggenommen.«

»Es war eher ein Brief«, wollte Enno richtigstellen und wandte sich wieder an Rimberti. »Ein Brief, in dem mein Vater seine Wünsche für eine gemeinsame Zukunft unserer Familien formuliert. Er wollte nicht, dass er in falsche Hände gerät und gegen ihn verwendet wird.«

Enno fasste Fräulein Anna in den Blick, die so damit beschäftigt war, mit einem kleinen Messer zu großes Stück Ingwer in winzige Stücke zu zerschneiden, dass es den Anschein hatte, dass sie von dem Gespräch nicht viel mitbekam. »Das wollt Ihr doch auch nicht, oder Fräulein Anna?«, fragte er mit Nachdruck.

»Maria und Ihr sollt ein Paar werden«, sagte Fräulein Anna, ohne ihren Blick von dem Teller vor sich zu nehmen. »Ihr beide seid die zweitältesten Geschwister. Ihr seid füreinander bestimmt. Enno, Ihr seid Marias rechtmäßig versprochener Ehemann.«

Für einen Moment wurde es still. Ennos Offizier sah betreten auf seinen Teller.

Enno sah Fräulein Anna scharf an. Dann drehte er sich zu Fräulein Maria hin. »Das schwere Essen und der süße Wein am frühen Morgen bekommen Eurer Schwester nicht. Ihre Rede ist genauso wirr wie ihr Blick. Lasst sie in ihre Räume begleiten.«

»Ich finde meinen Weg allein«, sagte Anna. Sie nahm ihren kleinen Teller mit den Ingwerstücken und verließ den Raum.

»War das nötig?«, fragte Maria verhalten.

»War das nötig?«, polterte Enno und fegte mit einer Handbewegung seinen Pokal und die Reste seiner Mahlzeit von Tisch. »Muss ich mich von dieser Irren beleidigen lassen?« Er sah beiläufig zu Rimberti. »Das könnt Ihr auch Eurer Königin melden, was ich mir hier bieten lassen muss.«

Der ältere Mann neben Maria schnappte nach Luft und wollte sich erheben, aber Maria umfasste sein Handgelenk, und er blieb auf seinem Platz.

Rimberti saß weiter unbeweglich aufrecht. »Euer Durchlaucht, ich werde der Stellvertreterin Eures Kaisers und Lehensherrn alles berichten, was ich höre und sehe. Die Sache mit dem Eheversprechen lässt sich ja überaus leicht klären.«

Enno sah ihn misstrauisch an, und aus Marias Blick war alle Skepsis verschwunden.

»Nun«, fuhr Rimberti fort, »wenn ich die Sache richtig verstanden habe, ist es etwa 14 Jahre her, dass Euer Vater dieses Heiratsversprechen …«

»Dieses vorgebliche Heiratsversprechen!«, unterbrach ihn der Graf.

»Umso besser«, erwiderte Rimberti. »Dann steht ja nichts zu befürchten. 14 Jahre sind eine lange Zeit, aber auch nicht so lang, dass sich niemand mehr finden lassen würde, der diese Ereignisse miterlebt und bezeugen kann. Es muss doch eine ganze Reihe von Personen geben, die dieses Schriftstück gesehen haben oder dabei waren, als alles so abgesprochen wurde. Diese Zeugen werde ich finden und befragen. Und dann werden alle Missverständnisse aus dem Weg geräumt sein.«

Graf Enno sah ihn verdutzt an, und der finstere Blick des älteren Mannes neben Maria erhellte sich für einen Moment.

»Verzeiht mir«, sagte Rimberti, »nun muss ich mich an meine Geschäfte begeben.«

Maria schenkte ihm die Andeutung eines sanften Lächelns.