Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962)

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Warum genau es im Jahre 1930 nicht zu der Probegrabung kam, ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Die im Privatnachlass zu den Ohridgrabungen befindliche und von Reiswitz chronologisch durchnummerierte Korrespondenz beginnt mit der Seite 11 (04.05.20) und endet vorläufig mit der Seite 23 (22.12.29). Dann klafft eine Lücke in der Überlieferung. Es geht weiter mit Seite 59 (22.03.31) bis 141 (28.07.32). In seiner handschriftlichen Übersicht des Ohridengagements von 1928–1930 meinte Reiswitz, dass sich zunächst die Vertragsunterzeichnung verzögert habe wegen „Bummelei“ des Auswärtigen Amtes und „Unverzagts Reise nach Algier“. Dennoch kann klar von einem Erfolg der Bemühungen von Reiswitz gesprochen werden, dem es binnen kurzer Zeit gelungen war, das DAI und das Belgrader Nationalmuseum zum Abschluss eines bilateralen Grabungsvertrages zu mobilisieren.

3.2. Die Gesellschaft zum Schutz der Altertümer

Reiswitz lebte dann aber 1930 doch nicht ganz so „still“, wie er es Petković gegenüber angedeutet hatte. Am 08.04.30 erschien ein Artikel in „Vreme“ unter dem Titel „Die Gründung der Gesellschaft der Freunde der Altertümer hat auch im Ausland Interesse hervorgerufen“ („Osnivanje ‘Društva prijatelja starina’ izazvalo interesovanje i u inostranstvu“). Dort wird im Wortlaut der Inhalt eines Briefes von Reiswitz an Petković wiedergegeben, in welchem sich ersterer nach Lektüre eines „Vreme“-Artikels erkundigt, ob auch Deutsche Mitglied der Gesellschaft werden können. Reiswitz wird vom Verfasser des Artikels als „deutscher Archäologe“ vorgestellt, der „sich für unsere mittelalterliche Kunst interessiert und der ganze sechs Monate in Ohrid zugebracht hat“. Der Hinweis auf sein Interesse an der mittelalterlichen Kunst lässt sich auf die Bogumilen beziehen, hinsichtlich des sechsmonatigen Ohridaufenthaltes ist es seitens des Schreibers wahrscheinlich zu einer Verwechslung mit Reiswitz’ Gesamtaufenthalt in Jugoslawien im Jahre 1928 gekommen. Am Ende des zweispaltigen Textes wird Reiswitz noch als „großer Freund“ bezeichnet und als „entschlossener Kämpfer für jugoslawisch-deutsche Annäherung“.418

Es war sicherlich kein Zufall, dass „Vreme“ den privaten Brief von Reiswitz an Petković im Wortlaut veröffenlichte. Zwei Monate vorher, am 09.02.30, hatte in den Redaktionsräumen dieser Zeitung eine Versammlung von Freunden des Denkmalschutzes stattgefunden, über welche „Vreme“ ausführlichst und in großer Aufmachung auf der Titelseite und Seite drei berichtete. Zum Versammlungsleiter wurde der Juraprofessor Dragoljub Aranđelović (1873–1950) gewählt. Er hob hervor, dass besonders die mittelalterlichen Kunstschätze des Landes der Zerstörung anheimzufallen drohen. Es enstpann sich dann eine Diskussion darüber, wer für die drohende Vernichtung des Kulturerbes verantwortlich sei. Für viele der Redner war die orthodoxe Kirche der Hauptschuldige, die sich nicht für die Erhaltung alter Fresken oder Mosaiken in ihren Liegenschaften interessiere. Im Zentrum der Kritik stand der Ohrider Bischof Nikolaj, welcher besonders von Stanislav Krakov (1895–1968), der zu diesem Zeitpunkt der Chefredakteur von „Vreme“ war, angegriffen wurde. Vor einigen Jahren habe ihm Nikolaj in Ohrid erläutert, dass er beabsichtige die Kirche Sv. Sofija durch russische Maler in Ölfarbe neu anstreichen lassen zu wollen. Krakov sei entsetzt gewesen und habe den Bischof daran erinnert, dass dadurch die wertvollen Fresken im Innenraum ausgelöscht würden. Doch Nikolaj sei ungerührt geblieben und hätte hinzugefügt, dass die Gemeindemitglieder „eine schöne, helle, neue Kirche“ sehen wollten und dass „alte Fresken, die schon seit langer Zeit beschädigt seien“ keinen guten Eindruck hinterließen.

Auch der Geschichtsprofessor Viktor Novak (1889–1977) griff die Kirche und ihr mangelndes Interesse an der Denkmalpflege an – allerdings war seiner Ansicht nach die katholische ebenso schuldig wie die orthodoxe. Er wies darauf hin, dass in Agram bereits auf Anregung des Führers der südslawisch-illyrischen Bewegung, Ivan Kukuljević Sakcinskis (1816–1889), im Jahre 1850 eine „Gesellschaft zum Schutz der Altertümer“ – gemeint war die „Družtvo za povestnicu jugoslavensku“ – gegründet worden sei.

Zur Verteidigung der orthodoxen Kirche brachte ein Militärgeistlicher namens Božidar Lukić vor, dass er wisse, dass einige der Anwesenden sich selbst durch den Verkauf von Ikonen ins Ausland bereicherten. Die Kirche akzeptiere gerne Hilfe, aber wolle sich nicht auf der Anklagebank sehen. Auch der ehemalige Religionsminister und Parlamentsabgeordnete, der promovierte Theologe Dr. Vojislav Ranić (1889–1944), welcher 1921 in englischer Sprache eine Hagiographie serbischer Heiliger herausgebracht hatte419, nahm den Anwesenden gegenüber die Kirche in Schutz. Diese habe als Instititution bis 1912 gänzlich dem Kultusministerium unterstanden, also keinen eigenständigen Handlungsspielraum in Sachen Denkmalschutz gehabt. Seither aber genieße sie rechtliche Autonomie, und die Kirchenleitung sei durchaus willens, ein dem Patriarchat zuarbeitendes Gremium bestehend aus der neuzugründenden Gesellschaft zu akzeptieren, ohne dessen Anhörung keine baulichen Veränderungen in den orthodoxen Klöstern erfolgen würden. Voraussetzung sei allerdings eine einvernehmliche Zusammenarbeit. Dieser Ansicht schloß sich am Ende auch Aranđelović an, der in seinem Schlusswort betonte, dass man keinen Krieg mit der Kirche wünsche.

Die auf der Versammlung konkret gemachten Vorschläge zur Förderung der Denkmalpflege in Jugoslawien waren vielfältig. Der ebenfalls anwesende Direktor des Nationalmuseums, Petković, riet, dass man vor allem flächendeckend Lehrer mobilisieren sollte, die dann Meldung machen sollten an die Zentrale der zu gründenden „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“. Er wollte generell Priester als Freiwillige vor Ort ausschließen, während dies Branko Popović (1882–1944), Professor für Architekturgeschichte an der Technischen Fakultät in Belgrad, durchaus befürwortete. Novak war für die Einbeziehung von Priestern, Lehrern und Professoren als ehrenamtliche Helfer, zudem müssten Konservatoren geschult werden und eine parallel zur Regierung arbeitende Instititution geschaffen werden mit beratender Funktion. Dies wiederum ging Popović nicht weit genug, der ein Institut für Denkmalpflege mit weitreichenderen Vollmachten forderte, welches auch als Kontrollinstanz fungieren sollte, nur aus Fachleuten bestehend. Dieses sollte dann eine „künstlerische Topographie“ des gesamten Landes erarbeiten, von lokalen „Stationen“ zusammengestellt. Die finanziellen Mittel müssten vom Staat und der Kirche bereitgestellt werden. Der frischgebackene Direktor des vom Prinzen Paul von Jugoslawien eingerichteten Museums für zeitgenössische Kunst, welches sich im Konak Knegine Ljubice befand, Milan Kašanin (1895–1981), der 1928 seine Doktorarbeit bei Petković verteidigt hatte, forderte ein Denkmalschutzgesetz. Dafür sollte sich die neue Gesellschaft einsetzen, 50.000 Mitglieder anwerben, eine Zeitschrift ins Leben rufen und ein Forschungs- und Ausbildungsinstitut für Restauratoren aus der Taufe heben, zudem in den Schulen Werbung für die Denkmalspflege betreiben und eine Kommission schaffen, die Denkmäler vor Ort auf ihre Schutzbedürftigkeit untersucht. Nach der Abfassung eines Grußtelegramms an den König wurde eine Kommission zur Ausarbeitung der Satzung der neuen Gesellschaft bestimmt. Dieser gehörten neben zwölf weiteren Mitgliedern auch Vladimir Ćorović, Stanoje Stanojević420 und Vladimir Petković an, mit denen Reiswitz bereits bekannt war. Ein weiteres Kommissionsmitglied war der Architekt Aleksandar Deroko (1894–1988), welcher ab 1941 von Reiswitz für den Kunstschutz geworben werden sollte.

Es ist nicht klar, ob und inwieweit Reiswitz über den weiteren Verlauf der Geschichte der „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“ informiert war. Es befinden sich im Nachlass keine Zeitungsausschnitte dazu, die Tagebuchblätter und die überlieferte Korrespondenz schweigen auch dazu. Die weitere Berichterstattung erfolgte zunächst fast ausschließlich in „Vreme“. So erfuhren die Leser am 21.03.30, dass Aranđelović, Novak, Kašanin, Đurđe Bošković (1904–1990), welcher 1928 sein Architekturstudium in Belgrad beendet hatte und ab 1930 als Kustos im Nationalmuseum arbeiten sollte, der Militärgeistliche Lukić, der Architekt Bogdan Nestorović (1901–1975) und der Direktor des Volkskundemuseums, Borivoje Drobnjaković (1890–1961) in den Vorstand berufen wurden, ebenso wie Deroko und ein weiterer Bekannter von Reiswitz: Miodrag Grbić. Am 10.05. berichtete dann „Vreme“ über das nunmehr fixierte Programm der Gesellschaft.421 Man wollte die Liebe zu jeder Art Altertümer verbreiten, die Öffentichkeit über deren religiöse, kulturelle, nationale und künstlerische Bedeutung informieren, die von Popović angeregte „topographische Karte“ aller Altertümer erstellen, Aufklärung betreiben über die Pflege der Denkmäler, Vorschläge unterbreiten hinsichtlich der Denkmalspflege seitens ausländischer Experten, Ausflüge und Vorlesungen organisieren, eine Zeitschrift herausgeben – wie von Kašanin angemahnt –, und nicht zuletzt intensive Gespräche mit der Kirche über die Erhaltung von Kulturgütern führen. Um für alle Bürger Jugoslawiens offen zu sein, wurde der Jahresbeitrag auf 30 Dinar festgelegt. Vom Ziel der Einführung einer Denkmalschutzgesetzgebung ist im Zielkatalog nicht die Rede, dafür aber wurde dem Wunsch Ausdruck verliehen, dass im ganzen Land Zweigstellen entstehen sollen.

In den nächsten Monaten berichtete „Vreme“ regelmäßig über Ausflüge und Vorlesungen der Gesellschaft, auch außerhalb Belgrads. Unter dem Hinweis, dass die Gesellschaftsgründung von „Vreme“ initiiert wurde, schrieb das Blatt auf der Titelseite am 23.02.31 über die tags zuvor abgehaltene erste Jahreshauptversammlung nach der Gründung. Hier wurde allerdings erwähnt, dass die Gesellschaft den Kultusminister gebeten habe, ein Denkmalschutzgesetz zu veranlassen. Als ersten großen Erfolg wird feierte man, dass das orthodoxe Patriarchat sich zur Renovierung des Klosters Dečani entschlossen habe. Als ein neues Projekt tauchte die Restauration der Stadtfestung Belgrads, des Kalemegdan auf. Auf sich aufmerksam machte der Kustos am Nationalmuseum, Đorđe Mano-Zisi (1901–1995), der anregte, dass die Gesellschaft sich auch der Pflege und Erhaltung des einheimischen Brauchtums annehme. Er warnte zudem davor, sich in Jugoslawien zu sehr an westlichen Vorbildern in Sachen Industrialisierung, Architektur und Kunst zu orientieren. Er rief dazu auf, mehr Museen zu gründen und die Aufklärungsarbeit in den Schulen zu intensivieren. 422 Danach brach die Berichterstattung über die Gesellschaft aus ungeklärten Gründen ab. Lediglich im August 1931 wurde noch einmal auf die Gesellschaft Bezug genommen bei namentlicher Nennung von Deroko in Zusammenhang mit deren Einsatz für die Rettung bedrohter Kirchen.423

 

„Pravda“ berichtete dann am 06.03.33 über die „zweite“ Jahreshauptversammlung, woraus hervorgeht, dass 1932 keine stattgefunden hatte. Referiert wurde, dass ein Gesetz über Museen und Altertümer auf die Initiative von Aranđelović vor den „gesetzgebenden Ausschuss“ gebracht worden sei. Ein anderes Mitglied der Gesellschaft, der Senator Emil Gavrila (1861–1933), habe sich dafür eingesetzt, dass das Gesetz dem Senat vorgelegt wurde. Zu einer Verabschiedung einer solchen gesetzlichen Regelung aber sollte es bis zum Kriegsausbruch 1941 nicht mehr kommen. Ein Grund dafür könnte die ablehnende Haltung der serbisch-orthodoxen Kirche gegenüber dem Denkmalschutz sein, wie sie sich in der Person des Ohrider Bischofs Nikolaj Velimirović manifestierte.424

Noch am 14.09.40 forderte auch der Autor eines Artikels in „Vreme“ ein Denkmalschutzgesetz ein. Anlass war die Entdeckung einer römischen Büste bei Straßenbauarbeiten in der Takovksa-Straße in Belgrad. Zwar wurde darüber sofort das Nationalmuseum – zu diesem Zeitpunkt firmierend als Prinz-Paul-Museum – informiert, und der Kustos Jozo Petrović, den Reiswitz 1928 kennenlernte, versuchte eine erste Datierung. Eine Sicherstellung der kopflosen Marmorskulptur konne allerdings nicht erfolgen, da unsicher war, wer der Eigentümer des Fundes war. Sowohl die Straßenbauarbeiter als auch der Stadtbezirk erhoben Ansprüche, sodass letztlich das Fundstück vor Ort gelassen werden musste, nur notdürftig geschützt – so der aufgebrachte Journalist – vor dem zerstörerischen Zugriff vorbeiziehender Trunkenbolde.425

Schließlich grüßte bei der zweiten Hauptversammlung der Gesellschaft noch als Gastredner und Regierungsvertreter Dr. Josip Barić, Vizepräsident des Obersten Verfassungsgerichts (Državni Savet), mit unverbindlichen Worten die Anwesenden. Der Student Konstantin Končar-Đurđević rief dazu, dass sich die Gesellschaft bei der sichtbaren Kennzeichnungen von Altertümern einbringen sollte.

Der Vorstand unter seinem Vorsitzenden Aranđelović bestand fast unververändert fort. Mano-Zisi wurde nach seinen aufrüttelnden Bemerkungen bei der letzten Hauptversammlung nun in den Vorstand berufen. Neben Mano-Zisi und Grbić wurde noch ein dritter Kustos in den Vorstand gewählt: Zorka Simić-Milovanović (1901–1973), die seit 1930 als erster weiblicher Kustos im Nationalmuseum arbeitete. Eine weitere Frau wurde in den Aufsichtsrat gewählt.

Am 15.09.33 veröffentlichte „Pravda“ einen längeren Artikel über die Denkmalpflege und lobte die Rolle der „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“, deren Aufgabe es auch sei, gerade bei der sich voll im Gang befindlichen Modernisierung Belgrads dafür einzusetzen, dass die Standorte der dem Fortschritt weichenden, aber historisch wichtigen Bauten zumindest markiert werden. Wann werde sonst, so der Autor „Mil. A. Kostić“, noch überhaupt jemand wissen, wo sich der Palast des Prinzen Eugen von Savoyen befand, der 1717 Belgrad einnahm? Somit war die Gesellschaft dem Aufruf des Studenten Končar gefolgt.

Neben Mano-Zisi, den Reiswitz 1931 kennenlernte426, tauchte am 02.09.1933 noch ein weiterer späterer Kunstschutz-Mitarbeiter Reiswitz’ auf als Mitglied der Gesellschaft: Graf Adam Oršić-Slavetić (1895–1968), der „tüchtige und energische Kustos“427 des am 01.04. desselben Jahres gegründeten Musems in Niš.428

Zum letzten Mal fand die „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“ Presseniederschlag am 23.04.1934 in einer kurzen Notiz in „Pravda“ über die offensichtlich dritte Jahreshauptversammlung, weiterhin unter dem Vorsitz von Aranđelović und dessen Stellvertreter Milan Kostić, einem pensionierten Gymnasialdirekor, welcher wohl auch der Autor des „Pravda“-Artikels vom 15.09.33 war. Hervorgehoben wurde im Jahresbericht der im vergangenenen Jahr durchgeführte Kurs für 17 Lehrer, die über die Wichtigkeit der Altertümer informiert wurden, um diese Botschaft in die Schulen weiterzutragen. Erwähnt wurden auch die beiden Kloster-Publikationen der Gesellschaft, die von Đurđe Bošković aus dem Jahre 1930/31 zu Gračanica (14 Seiten) und die von Mano-Zisi über Dečani (24 Seiten), die 1934 publiziert wurde. Zwei Anträge wurden angenommen, zum einen rief man auf zur Gründung eines „Rats zur Pflege der Altertümer“ (Savez za čuvanje starina), an welchem alle Gesellschaften zur Altertumspflege und alle neuen Museen beteiligt sein sollten, und zum anderen bot man allen Bezirksämtern (opštine) des Landes, aber insbesondere denen in der Hauptstadt, die Mithilfe bei der Kennzeichnung historischer Bauwerke an. In den Vorstand gewählt wurden wieder der Jurist Aranđelović, der Schulleiter Kostić, der Architekt Popović, der Priester Lukić, die Kustoden Bošković, Gbrić und Mano-Zisi sowie der pensionierte General Aleksandar Daskalović, (1880–1942). Hinzu kam wieder eine Frau in das Leitungsgremium der Gesellschaft, die Leiterin der Belgrader Stadtbibliotek und Mitbegründerin des dortigen Stadtmuseums, Dr. Marija Ilić-Agapova (1895–1984), welche Zora Simić ersetzte. Ein Jahr zuvor hatte eine Abgesandte der „Frauengesellschaft“ (Žensko Društvo) der Hauptversammlung persönlich Grüße ausgerichtet und in einer kurzen Ansprache hervorgehoben, wie wichtig es sei, die Klöster instand zu setzen und gemeinschaftliche Exkursionen durchzuführen.

Im Januar 1929 hatte Reiswitz in seinem „Vorschlag einer Organisation der Denkmalforschung“ gefragt, wann Südslawien damit begönne. Ein Jahr später war seitens der „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“ zumindest der Versuch gemacht worden, wenngleich das wichtigste Ziel, die Verabschiedung eines Gesetzes zum Denkmalschutz, nicht erreicht werden konnte. Viele von Reiswitz’ Beobachtungen vor Ort, insbesondere die Zustände in Ohrid betreffend, wurden von der Gesellschaft geteilt, viele der Arbeitsschwerpunkte glichen den von Reiswitz vorgeschlagenen, wie zum Beispiel die Einbindung von Laien zur Bestandserhebung der Altertümer und die Miteinbeziehung ausländischer Ressourcen. Allerdings hatte die Gesellschaft in ihrer nach außen vorgetragenen Programmatik nie an eine Bezuschussung aus Steuermitteln gedacht, wie Reiswitz es zumindest in Erwägung gezogen hatte. Bei der Gesellschaft stand sicherlich die Schärfung des Bewußtseins der heimischen Öffentlichkeit im Vordergrund, was sie durch ihre Lesungen, Exkursionen und Schulung der Lehrerschaft bewirken wollte. Für Reiswitz hingegen war die Schaffung einer „fachmännischen Organisation“ sehr wichtig, die die Arbeit vor Ort koordinieren und kontrollieren konnte. Die Gesellschaft verfolgte also gewissermaßen einen „Bottom-up“-Ansatz, wohingegen Reiswitz die „Top-down“-Variante bevorzugte. Dazu gehörte natürlich auch die auf Regierungsebene erwirkte Grabungskonzession für das DAI.

3.3. Die Ohridgrabung 1931

Nachdem Reiswitz’ zweijährige Bemühungen, eine gemeinsame jugoslawisch-deutsche Grabung am Ohridsee in die Wege zu leiten, durch das Grabungsabkommen zwischen dem DAI und dem Belgrader Nationalmuseum von Erfolg gekrönt waren, ging es als nächstes darum, die Arbeiten auch tatsächlich vor Ort durchzuführen. Würde es aber zudem gelingen, die archäologische Arbeit auch zur nachhaltigen Harmonisierung des bilateralen Konnexes zu instrumentalisieren?

Am 04. und 05.07.1930 kam in Berlin die siebzehnköpfige Zentraldirektion des DAI zusammen. Unter dem Tagesordnungspunkt „Vertiefung der Beziehungen zu den Balkanländern“ referierte Rodenwaldt persönlich – in Anwesenheit auch von Schuchardt – zunächst über einen neuen Grabfund von Filow, der vom DAI publiziert werde. Danach sprach er kurz über Jugoslawien: „Ausgrabung am Ohrida-See durch Herrn Unverzagt geplant. Dazu soll Langsdorff von Athen entsandt werden.“429 Alexander Langsdorff (1898–1946) hatte in Marburg Archäologie studiert, im Jahre 1927 promoviert430 und sollte von Februar 1944 bis Mai 1945 den deutschen Kunstschutz in Italien leiten.431 Im Frühsommer 1930 hielt er sich in Griechenland auf in Zusammenhang mit dem Reisestipendium des DAI, welches ihm für 1929/30 gewährt worden war. Saalmann zufolge war es im Jahre 1938 Langsdorff, der 1932 als Kustos im Museum für Völkerkunde bei Unverzagt arbeitete, der seinen früheren Chef dazu bewegen sollte, Mitglied der NSDSAP zu werden.432

Zwei Wochen später kam es zu einer überraschenden Wende. Vulić war noch nicht einmal einen Kilometer von den Gräbern entfernt, die 1918 die bulgarischen Soldaten entdeckt hatten, beim Dorf Gorenci, welches unmittelbar südlich des Dorfes Trebenište liegt, auf ein weiteres Grab gestoßen, reich ausgestattet mit Beigaben, unter anderem einer goldenen Maske. Seither werden die Gräberfunde von 1918 und 1930 mal Gorenci und mal Trebenište zugeordnet.433 Darüber äußerte Vulić sich in einem Interview mit „Politika“ am 21.07.30. Er erwähnte in diesem Zusammenhang auch den bulgarischen Archäologen Filow, kurioserweise allerdings nicht namentlich, kritisierte aber bereits dessen These, dass es sich bei der von Filow untersuchten Nekropole um Söldnergräber handele. Er hingegen sprach von indigenen Fürstengräbern, da das neue Grab, welches offensichtlich im gleichen Zusammenhang wie die 1918 geöffneten entstanden sei, nicht so aussehe, als sei es „auf die Schnelle“434 angelegt worden.

Zudem hatte er in der Nähe steinerne Feldeinfassungen ausgemacht, die auf eine bedeutende vorchristliche Siedlung (naselje) schließen ließen. Er glaubte ferner, die der Siedlung zugehörige Burganlage (utvrđenje) ausgemacht zu haben, welche er als „Gradište“ bezeichnet. Diese sei nördlich von Gorenci gelegen und habe einen unregelmäßig angeordneten Umfang von rund 200 x 400 Meter.

Es sei hier daran erinnert, dass Reiswitz’ Gradište jedoch nicht nördlich von Gorenci, sondern mehrere Kilometer südlich davon liegt. Die Erwähnung des Stichwortes „Gradište“ wirkte indessen elektrisierend auf Petković, der sich noch am Erscheinungstag des Artikels brieflich an Reiswitz wandte und um Klarstellung bat, da er augenscheinlich befürchtete, dass Vulić an einer Stelle zu graben begonnen hatte, die unter die Bestimmungen der Grabungskonzession für das DAI fiel. Konnte es sein, dass Vulić schlicht in Unkenntnis dieser Vereinbarung vorgegangen war?

In seiner Antwort an Petković vom 28.07.30 versuchte Reiswitz Klarheit zu schaffen. Er meinte – wie sich herausstellen sollte zu Unrecht –, dass es sich bei Vulićs „Gradište“ tatsächlich um das von Reiswitz selbst 1928 in Augenschein genommene handelte. Doch sei dies nur ein „bedauerlicher Zufall“, und er glaubte nicht, dass „irgendwelche Unannehmlichkeiten“ daraus entstünden, da die geplanten „Ausgrabungen am Ohridsee ja in erster Linie dazu dienen sollten, eine deutsch-südslawische wissenschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.“435 Mit anderen Worten, Vulić werde der force majeure des internationalen Abkommens wohl nicht im Wege stehen.

Reiswitz hatte offensichtlich nicht auf die Details der Fundortbeschreibung von Vulić geachtet, weil sonst gerade er hätte merken müssen, dass die Burganlage „Gradište“ von Vulić bei Gorenci bzw. Trebenište gar nicht mit „seiner“ oberhalb des Klosters des Heiligen Erasmus identisch war.

Kurz darauf gab auch Rodenwaldt „Politika“ ein Interview.436 In Berlin befragte ihn Predrag Milojević zu dem Grabfund, den Nikola Vulić am Ohridsee in der unmittelbaren Umgebung der von den Bulgaren 1918 zufällig entdeckten und 1927 von Filow beschriebenen Trebenište-Gräber gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Milojević wahrscheinlich schon mit Reiswitz bekannt, da Reiswitz ihn in einem Brief an Böckschen vom 04.11.33 als „alten Freund“ bezeichnete. Einleitend sprach Milojević von einem „Gefühl der Freundschaft gegenüber unserem Volk und unseren Wissenschaftlern“, welches er in den Darlegungen Rodenwaldts erkenne.

 

Im folgenden Textteil drückte Rodenwaldt seine „große Freude“ über Vulićs Entdeckung aus. Vulić sei der deutschen Fachöffentlichkeit bereits seit längerem bekannt, und seine Funde stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit der geplanten DAI Grabung, die lediglich aufgrund der momentan schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland zurückgestellt worden sei. So war erst zehn Tage vor Erscheinen des Interviews der Reichstag aufgelöst worden, weil SPD, KPD und NSDAP zwei Notverordnungen der Regierung Brüning, mit welchen die Finanzlage der öffentlichen Kassen hätte stabilisiert werden sollen, abgelehnt hatten.437 Im Interview erwähnte dann Rodenwaldt einen „jungen deutschen Historiker“ – Reiswitz –, welcher im Mai und Juni 1928 unweit der Stelle, an der nun Vulić fündig geworden war, einen Hügel namens „Gradište“ ausgemacht habe, „mit interessanten Überresten einer archaischen Festungsanlage, die aus der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christus stammen müsse“. Der weiterhin namentlich nicht ausdrücklich als Reiswitz identifizierte Historiker habe dann seinen Freund Petković kontaktiert, sodass zu guter Letzt am 30.09.1929 der Konzessionsvertrag abgeschlossen wurde, welcher am 17.06.30 nochmals ausdrücklich in Bezug auf „Gradište“ vom jugoslawischen Kultusministerium bestätigt worden sei. Im übrigen, so Rodenwaldt, handele es sich bei diesem „Gradište“ nicht um die Überreste der „Siedlung“ (naseobina), die Vulić in der Umgebung von Trebenište, also in unmittelbarer Nähe des neuen Grabfundes, erforschte. Er erläuterte dann – endlich – zutreffend, dass „sein“ Gradište eine Festung sei, gelegen an der Hauptverkehrsader zwischen Ohrid und Struga, also direkt am Ohridsee. Er fügte bescheiden hinzu, dass das DAI keine sensationellen Funde erwarte. Die Grabungskonzession sei nicht zuletzt zurückzuführen auf die Arbeit des kürzlich verstorbenen Gesandten Köster, der wärmstens an der deutsch-jugoslawischen archäologischen Zusammenarbeit interessiert gewesen sei und sich für die entsprechende Mittelbeschaffung engagiert habe.438

Zum Schluss erwähnte er dann Reiswitz und Unverzagt als auf deutscher Seite bei der „bald“ stattfindenden Grabung Beteiligte und drückte seine Hoffnung aus, dass die archäologische Zusammenarbeit am Ohridsee einem weiteren Schritt in Richtung noch engerer und freundschaftlicherer Tuchfühlung der deutschen und jugoslawischen Wissenschaft gleichkommen werde.

In Reiswitz’ zusammenfassender Übersicht seiner Ohrid-Aktivitäten von 1928 bis 1930 im Nachlass erscheint allerdings er selbst als die treibende Kraft der Schlichtung um Gradište. Zunächst habe er in der ersten Julitagen davon gehört, dass Vulić zu Grabungen nach Ohrid gehe. Da das Grabungsabkommen zu diesem Zeitpunkt noch nicht unterzeichnet war, wandte er sich an Unverzagt, um die Paraphierung zu beschleunigen. Unverzagt jedoch habe nicht reagiert. Dann habe Vulić tatsächlich „unglaubliche Dinge“ gefunden und sich „das Primat von Ohrid“ genommen. Dazu habe Vulić seinerseits nun auch „ein Gradište auf einmal entdeckt“. Um den drohenden Konflikt zu lösen, hätten sich nun Rodenwaldt und er selbst, Reiswitz, eingeschaltet und durch das Rodenwaldt-Interview mit „Politika“ und durch einen von Reiswitz initiierten Brief von Balugdžić an den Unterrichtsminister Maksimović die Kuh vom Eis geholt.

Allerdings, wenn man den Ausführungen Reiswitz’ folgt, gab es dann im August und September noch eine weitere Komplikation, durch niemanden sonst als den Reiswitz ohnehin wenig genehmen Babinger. Die geplante deutsch-jugoslawische Grabung am Ohridsee sei durch dessen „unverantwortliches Gewäsch“ auf einem Byzantinistenkongress in „Unordnung gebracht“ worden. Diesmal sei es der deutsche Archäologe Georg Karo (1872–1963), welcher von 1910–1919 und dann wieder ab 1930 Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen war, der schließlich die Unterzeichnung des Abkommens im September 1930 erreichte.

Es sollte dann allerdings trotz allem noch bis zum Frühjahr 1931 dauern, bevor Reiswitz und Unverzagt endlich nach Ohrid reisen konnten. Laut Unverzagt lag es daran, dass der für die Grabung als Helfer in Aussicht genommene Langsdorff an Malaria erkrankt war.439 Als dieser wieder genesen war, nahm er aber an einer wohl prestigeträchtigeren Grabung mit seinem Freund, dem Bauforscher Hans Schleif, in Ägypten teil.440 An Langsdorffs Stelle brachte Unverzagt dann noch Kurt Bittel (1907–1991) ins Gespräch, der allerdings auch ausfiel, da er in Ägypten grub.441 Letztlich mussten Unverzagt und Reiswitz auf einen dritten Mann verzichten.

Doch selbst unmittelbar vor Beginn der Arbeiten am Ohridsee waren die Ungereimtheiten in Bezug auf die exakte Lokalisierung des unter die deutsche Konzession fallenden Gradište – zumindest was Unverzagt anbelangt – nicht ganz ausgeräumt. In einem Brief an Bersu vom 23.03.31 schrieb Unverzagt, nachdem er seinen Abreisetag in Richtung Jugoslawien auf den 09.04. festgelegt hatte: „Zu einer Grabung wird es diesmal noch nicht kommen, da sich inzwischen herausgestellt hat, dass es mehrere Gradista [sic] am Ochrida-See gibt und der Boden Privateigentum ist. Eine Mitwirkung Bittels kommt daher einstweilen noch nicht in Frage. Ich fahre bloss hinunter, um an Ort und Stelle alles so vorzubereiten, dass im gegebenen Augenblick sofort mit der Grabung begonnen werden kann.“442 Es ist erstaunlich, dass Unverzagt offenbar erst zu diesem späten Zeitpunkt vom Verwirrspiel hinsichtlich der mehreren „Gradista“ erfuhr, zu einem Zeitpunkt, als die Lokalisierungsfrage eigentlich schon geklärt war. Auch ist es unzutreffend, dass sich das von Reiswitz entdeckte „Gradista“ auf privatem Grund befand. Hier scheint es sowohl ein erhebliches Kommunikationsproblem zwischen allen Beteiligten gegeben zu haben, ebenso ein gerüttelt’ Maß an Unprofessionalität bei Unverzagt.

Der spätere Zeitpunkt des Grabungs- bzw. Prospektionsbeginns sollte sich dann aber als durchaus günstig erweisen, da es in jenem Jahr ohnehin zu einem „bedeutsamen Anstieg der Aktivitäten im Zusammenhang mit der deutsch-jugoslawischen Annäherung“ kam: „Im Laufe dieses Jahres hat Deutschland große Anstrengungen unternommen, den Markt für seine Produkte zu sichern und im Allgemeinen seinen Einfluss [in Jugoslawien] zu steigern“.443 So eröffnete am 01.04. Prinz Paul im Pavillon Cvijeta Zuzorić auf dem Kalemegdan die erste Ausstellung deutscher Kunst in Belgrad – die Rede des deutschen Gesandten Ulrich von Hassell (1881–1944) wurde sogar im Radio übertragen.444 Am 23.04. verabredeten diverse Industrie- und Handelsvertreter die Gründung einer Deutsch-Jugoslawischen Gesellschaft in Berlin445, während zeitgleich in Belgrad die „Jugoslovensko-Nemačko Društvo“ aus der Taufe gehoben wurde.446 Am Ende des Monats trat zum ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg die Berliner Oper im Belgrader Nationaltheater auf. Zeitgleich war eine Delegation deutscher Handelskammervertreter in Jugoslawien zu Besuch.

Reiswitz selbst hielt sich laut seiner Reisekostenabrechnung vom 10.04. bis 08.05.1931 in Jugoslawien auf.447 Am 25.04.31 erschien in „Politika“ ein kurzer Artikel mit der Überschrift „Deutsche Archäologen entdeckten bei Ohrid drei prähistorische Anlagen“.448 Unter Nennung von sowohl Reiswitz und Unverzagt als auch von Grbić449, dem jugoslawischen Vertreter, dessen Reisespesen deutscherseits getragen wurden, heißt es weiter: „In den letzten Tagen ist es der Expedition geglückt, in dem Bergmassiv drei sehr wichtige prähistorische Anlagen zu finden, die schon in vorgeschichtlicher Zeit den Zugang nach Ohrid verteidigten“. Die Bedeutsamkeit der Anlagen sei so immens, dass im Herbst desselben Jahres bereits mit der Freilegung der Anlage oberhalb des Klosters des Heiligen Erasmus begonnen werden soll. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um Reiswitz’ Gradište. Unklar ist allerdings, um welche zwei weiteren Anlagen es gehen könnte.