Handbuch des Strafrechts

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[428]

So KK-StPO-Diemer, § 154c Rn. 5.

[429]

BeckOK-StPO-Beukelmann, § 154c Rn. 7; Löwe/Rosenberg-Beulke, § 154c Rn. 8; KK-StPO-Diemer, § 154c Rn. 5; verteidigend hingegen MK-StPO-Teßmer, § 154c Rn. 13.

2. Abschnitt: Schutz der persönlichen Freiheit › § 6 Freiheitsberaubung und Nachstellung

Jörg Eisele

§ 6 Freiheitsberaubung und Nachstellung

A.Einführung1

B.Rechtshistorische Grundfragen2, 3

C.Freiheitsberaubung4 – 34

I.Geschütztes Rechtsgut5 – 10

1.Inhalt der körperlichen Fortbewegungsfreiheit6

2.Anforderungen an den Fortbewegungswillen7 – 10

II.Tatbestandliche Voraussetzungen11 – 26

1.Tatopfer: Anderer Mensch11, 12

2.Tathandlungen13 – 17

a)Einsperren14

b)Freiheitsberaubung auf andere Weise15, 16

c)Unterlassen17

3.Taterfolg: Freiheitsberaubung18, 19

4.Normative Korrekturen20 – 24

a)Gewalt22

b)Drohungen23

c)Psychischer Zwang und List24

5.Tatbestandsausschließendes Einverständnis25

6.Subjektiver Tatbestand26

III.Rechtswidrigkeit27

IV.Beteiligung28

V.Vollendung und Versuch29

VI.Strafrahmenverschiebungen und Strafzumessung30 – 33

1.Freiheitsberaubung von über einer Woche (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB)31

2.Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung oder des Todes (§ 239 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 StGB)32, 33

VII.Konkurrenzfragen34

D.Nachstellung35 – 79

I.Allgemeine Grundlagen36 – 44

1.Kriminologische Aspekte36

2.Kriminalpolitische Aspekte37 – 40

a)§ 238 StGB als symbolisches Strafrecht?37

b)Vorrangige Regelung im Gewaltschutzgesetz?38

c)Rechtspolitische Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung39, 40

3.Verfassungsrechtliche Aspekte41 – 44

II.Geschütztes Rechtsgut45

III.Tatbestandliche Voraussetzungen46 – 72

1.Grundtatbestand der Nachstellung47 – 68

a)Fälle der Kontaktaufnahme (§ 238 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StGB)49 – 57

aa)Aufsuchen der räumlichen Nähe (Nr. 1)50 – 52

bb)Versuch der Kontaktherstellung (Nr. 2)53, 54

cc)Mittelbare Kontaktherstellung unter missbräuchlicher Verwendung personenbezogener Daten (Nr. 3)55 – 57

b)Bedrohen des Opfers, eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB)58, 59

c)Auffangtatbestand für vergleichbare Handlungen (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB)60

d)Beharrlichkeit der Nachstellung61

e)Unbefugtheit der Nachstellung62 – 64

aa)Dogmatische Bedeutung62

bb)Inhaltliche Bedeutung63, 64

f)Eignung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers65 – 67

g)Subjektiver Tatbestand68

2.Strafschärfungen des § 238 Abs. 2 und Abs. 3 StGB69 – 72

a)Strafschärfende Folgen69, 70

b)Opferkreis71

c)Erfordernis eines gefahrspezifischen Zusammenhangs72

IV.Bezüge zum Allgemeinen Teil73 – 77

1.Versuch und Vollendung73 – 75

2.Beteiligung76

3.Verhältnis zu anderen Tatbeständen77

V.Bezüge zum Strafverfahrensrecht78, 79

 

Ausgewählte Literatur

2. Abschnitt: Schutz der persönlichen Freiheit › § 6 Freiheitsberaubung und Nachstellung › A. Einführung

A. Einführung

1

Der Straftatbestand der Freiheitsberaubung ist ein „klassisches Freiheitsdelikt“,[1] das die körperliche Fortbewegungsfreiheit als eines der zentralen Rechtsgüter schützt.[2] Der Tatbestand der Nachstellung des § 238 StGB (sog. Stalking) schützt hingegen die Handlungs- und Entschlussfreiheit des Opfers hinsichtlich seiner persönlichen Lebensgestaltung.[3] Der Gesetzgeber wollte mit der systematischen Stellung des Nachstellungstatbestandes vor der Vorschrift des § 239 StGB die Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Opfers in den Vordergrund stellen. Er verwies explizit darauf, dass Eingriffe in diese Freiheitssphäre mit solchen in die Fortbewegungsfreiheit i.S.d. § 239 StGB vergleichbar seien.[4]

2. Abschnitt: Schutz der persönlichen Freiheit › § 6 Freiheitsberaubung und Nachstellung › B. Rechtshistorische Grundfragen

B. Rechtshistorische Grundfragen

2

Der Grundtatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) ist seit dem Inkrafttreten des StGB nahezu unverändert geblieben und lässt sich in seinem Wortlaut auf § 210 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 zurückführen.[5] Die früher in § 341 StGB a.F. normierte „Freiheitsberaubung im Amt“ wurde durch das EGStGB 1970 aufgehoben, weil gegenüber dem Grundstrafrahmen kein Bedarf mehr für eine höhere Strafe gesehen wurde.[6] Leichtere textliche Änderungen wurden mit dem 6. StrRG 1998 vorgenommen, ohne dass damit inhaltliche Änderungen des Grundtatbestandes verbunden wären.[7] In diesem Zusammenhang wurde auch die Versuchsstrafbarkeit eingeführt, die bereits im Entwurf von 1962 vorgeschlagen wurde. Während § 239 StGB heute die körperliche Fortbewegungsfreiheit des Individuums schützt, hatte die Freiheitsberaubung historisch betrachtet teilweise eine andere Zielrichtung. So wurde in ihr vor allem die unberechtigte Gefangenenhaltung durch Privatpersonen in einem Privatgefängnis und damit die Anmaßung obrigkeitlicher Rechte gesehen.[8] Besonders deutlich bringt dies das Österreichische Strafgesetzbuch von Joseph II. von 1787 („Josephina“) zum Ausdruck, wo § 145 des „Ersten Theils“ folgende Regelung traf: „Derjenige, dem vermöge Gesetze, und Landesverfassung, die obrigkeitliche Gewalt, und das hieraus fließende Recht, unter der Gerichtsbarkeit Stehende gefänglich einzuziehen, nicht zukömmt, wenn er jemanden wider dessen Willen eigenmächtig in ein Gefängniß setzt, die Person desselben verschlossen hält, oder ihn auf welche Art immer in dem Gebrauche der Freyheit hindert, was auch für eine Absicht ihn hierzu veranlasset habe, ist eines Criminal-Verbrechens schuldig.“[9] Spätestens im 19. Jahrhundert löst sich dann der Zusammenhang mit dem Festhalten in einem Privatgefängnis, so dass sich das Delikt von nun an nur noch gegen die individuelle Fortbewegungsfreiheit richtete.[10] Teilweise belegt die historische Entwicklung auch die Nähe zum Nötigungstatbestand, die heute zum einen für die präzise Bestimmung des Schutzgutes und zum anderen für Konkurrenzfragen von Bedeutung ist.[11] So findet sich im Preußischen Allgemeinen Landrecht etwa folgende Vorschrift:[12] „Wer außer diesen Fällen (§. 1075. und 1076.) und außer seinem Amte, einen Menschen, der seines Verstandes mächtig ist, mit Gewalt festhält, einsperret, oder Wider seinen Willen zu etwas nöthiget, oder die Vorschriften des §. 1076. übertritt, hat, wenn auch keine in den folgenden Gesetzen bestimmte erschwerende Umstände eintreten, dennoch eine Gefängniß-, Zuchthaus- oder Festungsstrafe von vierzehn Tagen bis zu sechs Monathen verwirkt.“

3

Der Tatbestand der Nachstellung, der durch das 40. StrÄndG vom 22. März 2007 eingefügt wurde, ist ein vergleichsweise junges Delikt. Mit der Vorschrift sollten bestehende Strafbarkeitslücken in Fällen des Stalkings geschlossen und so ein besserer Opferschutz gewährleistet werden.[13] Während bei der klassischen Freiheitsberaubung die Legitimation der Strafvorschrift unstreitig ist und nur einige wenige Probleme diskutiert werden, wirft der Tatbestand der Nachstellung zahlreiche verfassungsrechtliche, rechtspolitische und kriminologische Fragestellungen auf und bereitet auch bei der Auslegung nicht unerhebliche Schwierigkeiten.

2. Abschnitt: Schutz der persönlichen Freiheit › § 6 Freiheitsberaubung und Nachstellung › C. Freiheitsberaubung

C. Freiheitsberaubung

4

§ 239 StGB regelt in systematischer Hinsicht in seinem Abs. 1 den Grundtatbestand der Freiheitsberaubung, der lediglich verlangt, dass ein (anderer) Mensch eingesperrt (Var. 1) oder auf andere Weise der Freiheit beraubt wird (Var. 2). § 239 StGB stellt damit ein Dauerdelikt dar,[14] das mit Beginn der Freiheitsentziehung vollendet und mit der Freilassung des Opfers beendet ist. Über Abs. 2 wird seit dem 6. StrRG aus dem Jahre 1998 auch die versuchte Freiheitsberaubung unter Strafe gestellt. Abs. 3 und Abs. 4 enthalten Strafschärfungen, für die in Abs. 5 ein minder schwerer Fall vorgesehen ist.

I. Geschütztes Rechtsgut

5

§ 239 StGB schützt unstreitig die körperliche Fortbewegungsfreiheit. Verbunden damit sind aber zwei Fragen: Zum einen gilt es zu klären, was unter dem Begriff der körperlichen Fortbewegungsfreiheit konkret zu verstehen ist. Zum anderen ist auf den Streit einzugehen, ob die Beeinträchtigung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit von einem aktuellen oder zumindest aktualisierbaren Fortbewegungswillen abhängt.

1. Inhalt der körperlichen Fortbewegungsfreiheit

6

Die körperliche Fortbewegungsfreiheit stellt nur einen Ausschnitt aus den Freiheitsrechten der Person dar. Sie ist deutlich enger als die allgemeine Handlungsfreiheit, die von Art. 2 Abs. 1 GG verbürgt wird. Aber selbst die von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG garantierte Unverletzlichkeit der „Freiheit der Person“, die ebenfalls (nur) auf die körperliche Fortbewegungsfreiheit bezogen ist,[15] gewährleistet einen weitergehenden Schutz. Ungeachtet verschiedener verfassungsrechtlicher Detailfragen wird darunter nämlich die Möglichkeit verstanden, jeden Ort aufzusuchen, um sich dort aufzuhalten und diesen wieder zu verlassen.[16] Im Unterschied hierzu richtet sich § 239 StGB – im Einklang mit Art. 5 EMRK[17] – lediglich gegen Beschränkungen, einen Ort zu verlassen, während keine Freiheitsberaubung vorliegen soll, wenn jemand lediglich daran gehindert wird, einen Raum zu betreten oder einen bestimmten Ort aufzusuchen.[18] Aussperrungen, Sitzblockaden und Platzverweise sind daher nur unter den Voraussetzungen des § 240 StGB strafbar, der weitergehend die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit schützt.[19] Ebenfalls nicht von § 239 StGB erfasst sind Maßnahmen, die den Betroffenen dazu bewegen sollen, einen bestimmten Ort zu verlassen.

2. Anforderungen an den Fortbewegungswillen

7

§ 239 StGB schützt die körperliche Fortbewegungsfreiheit, soweit der Betroffene sich von einem Ort wegbewegen möchte. Umstritten ist jedoch, ob die Vorschrift bereits die potenzielle oder nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit schützt. Bedeutung erlangt der Streit für drei Fallgruppen:[20] Zunächst einmal geht es um Personen, die wie Kleinstkinder gar nicht in der Lage sind, einen Fortbewegungswillen zu bilden. Dann geht es um Personen, die wie Schlafende oder Bewusstlose zwar grundsätzlich, nicht aber zum Zeitpunkt der Freiheitsberaubung einen Fortbewegungswillen bilden können. Und schließlich geht es um Personen, die gar nicht bemerken, dass sie eingesperrt werden und den Raum auch nicht verlassen möchten.

8

Die h.M. spricht sich seit langem für Einbeziehung der potenziellen Fortbewegungsfreiheit aus.[21] Demnach ist es unerheblich, ob sich das Opfer tatsächlich fortbewegen möchte, d.h. ein tatsächlicher Fortbewegungswille vorliegt. Für diese Ansicht wird angeführt, dass in die Freiheitssphäre des Einzelnen auch dann (objektiv) eingegriffen wird, wenn der Einzelne sich nicht fortbewegen möchte. Es geht nach dieser Ansicht um die normative Garantie der „Verfügbarkeit“ eines „elementaren Bewegungsraums“ für den Einzelnen.[22] Eine weite Auslegung entspreche auch der zentralen Bedeutung der Fortbewegungsfreiheit als verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut.[23] Zudem werde ansonsten die Strafbarkeit des Täters von dem Willen des Opfers abhängig gemacht.[24] Auch schlafende oder aufgrund körperlicher Einschränkungen zur Fortbewegung nicht fähige Personen müssten in die verfassungsrechtliche geschützte Fortbewegungsfreiheit einbezogen sein.[25] Dafür spreche ferner, dass volltrunkene, schlafende oder bewusstlose Personen auch Gewahrsam i.S.d. § 242 und § 249 StGB haben können, wofür ein genereller Gewahrsamswille genüge.

9

Teilweise wird in der Literatur die Theorie der potenziellen Fortbewegungsfreiheit dahingehend modifiziert, dass der potenzielle Fortbewegungswille nur genüge, wenn er auch aktualisierbar sei.[26] Wenn gar kein Fortbewegungswille gebildet werden könne, könne die Fortbewegungsfreiheit auch nicht eingeschränkt werden. Da § 239 StGB auf den persönlichen Willen des Betroffenen abstelle, könne dieser auch nicht durch Vertretungspersonen ersetzt werden. Daher seien insbesondere Kleinstkinder nicht einbezogen. Entsprechendes gelte für Betrunkene, Schlafende oder Bewusstlose, da in diesem Zustand der Wille nicht aktualisierbar sei. Hingegen sollen solche Personen in den Schutzbereich einbezogen sein, die sich zwar aktuell nicht fortbewegen möchten, aber jederzeit diesen Willen bilden können.[27]

10

Beide Ansichten überzeugen nicht, so dass mit der zunehmend vertretenen Gegenansicht ein aktueller Fortbewegungswille beeinträchtigt werden muss.[28] Hierfür spricht die Nähe des Delikts zu § 240 StGB, bei dem es ebenfalls auf den aktuellen und nicht den potenziellen Willen ankommt[29] sowie der Wortlaut, nach dem die Freiheit „beraubt“ sein muss. Zudem ist auch für die Frage eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses auf den tatsächlichen und nicht nur potenziellen oder mutmaßlichen Willen des Opfers abzustellen.[30] Die Parallele zum Gewahrsam bei § 242 und § 246 StGB, die die Gegenansicht für sich anführt, trägt nicht, da es hier um die Sachherrschaft an Sachen geht; der Gewahrsamsinhaber möchte selbstverständlich die Sachherrschaft an seinen Gegenständen auch ohne jederzeit aktuellen Willen dauerhaft ausüben, während der Fortbewegungswille auf eine konkrete Situation bezogen ist.[31] Ebenso ist es nicht zutreffend, wenn behauptet wird, der Gesetzgeber habe im Zuge des 6. StrRG 1998 die Streitfrage im Sinne eines potenziellen Fortbewegungswillens entschieden, weil er aus der Wendung „auf andere Weise des Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt“ die Worte „des Gebrauchs“ gestrichen habe und es daher auf ein Gebrauchmachen des Willens nicht ankomme.[32] Denn ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien handelte es sich lediglich um eine redaktionelle Streichung, weil diese Worte als „entbehrlich“ angesehen wurden.[33] Zudem kann man geltend machen, dass die vorgenannten Ansichten die Strafbarkeit nach vorne verlagern und somit bloße Gefährdungen der Fortbewegungsfreiheit pönalisiert werden. Sofern sich das Opfer überhaupt nicht fortbewegen möchte und der Täter damit nicht gegen den Willen des Opfers handelt, liegt nur geringeres Unrecht vor, das mit den Versuchsvorschriften sachgerecht erfasst wird. Mag man früher durch die Ausklammerung der potenziellen Fortbewegungsfreiheit eine Strafbarkeitslücke gesehen haben,[34] so ist diese seit dem 6. StrRG 1998 mit der Aufnahme der Versuchsstrafbarkeit in Abs. 2 in weiten Teilen beseitigt.[35] Letztlich stützt sich die h.M. auch auf ein zweifelhaftes Verständnis der Entwicklung der Rechtsprechung.[36] Das Reichsgericht vertrat nämlich zunächst in einem Fall, in dem sich die eingeschlossene Person gar nicht entfernen wollte, den Standpunkt, dass der Tatbestand einen Fortbewegungswillen der eingeschlossenen Person voraussetzt.[37] Später hatte es über einen Fall zu entscheiden, in dem das Opfer in rechtswidriger Weise nach § 127 StPO festgenommen wurde und deshalb mit zur Polizeiwache ging; das Reichsgericht nahm an, dass für die Verwirklichung des Tatbestandes der Fortbewegungswille keine entscheidende Bedeutung haben könne, da dessen Realisierung bei einem Festgenommenen von vornherein scheitern würde.[38] Dies überzeugt aber nicht: Vielmehr kann auch bei einem Festgenommenen der Fortbewegungswille beeinträchtigt sein, wenn dieser aufgrund der Zwangssituation nicht freiwillig mit zur Wache kommt und daher die von der Polizei veranlasste Fortbewegung nicht von einer freien Willensentscheidung getragen wird.[39] Zu beachten bleibt, dass auch nach der hier vertretenen Ansicht eine vollendete Freiheitsberaubung vorliegt, wenn der Defektzustand vom Täter gerade zum Zwecke der Freiheitsberaubung verursacht wurde, d.h. das Opfer etwa betäubt wurde, um es an der Fortbewegung zu hindern.[40]

 
II. Tatbestandliche Voraussetzungen

1. Tatopfer: Anderer Mensch

11

Eine Freiheitsberaubung kann grundsätzlich gegenüber jedem Menschen begangen werden. Erforderlich ist jedoch, dass der Betroffene zunächst einen natürlichen Fortbewegungswillen überhaupt bilden kann,[41] was auch bei Kindern oder psychisch Kranken der Fall ist.[42] Hingegen sind Säuglinge[43] oder Wachkomapatienten nicht in den Tatbestand einbezogen; für diese kann auch nicht auf den gesetzlichen Vertreter abgestellt werden, weil der natürliche Fortbewegungswille höchstpersönlicher Natur ist. Wird freilich etwa ein kleiner Säugling entgegen dem Willen der Eltern eingeschlossen, so ist zu prüfen, ob hierin nicht eine Nötigung liegt.[44] Sofern man – wie hier vertreten – einen tatsächlichen Fortbewegungswillen fordert oder ein solcher zumindest aktualisierbar sein muss, liegt dieses Ergebnis auf der Hand. Aber auch wenn man einen potenziellen Fortbewegungswillen genügen lässt, ist nicht anders zu entscheiden, weil solche Personen überhaupt keinen entsprechenden Willen haben.[45]

12

Unterschiede ergeben sich aber bei der Frage, wie bei Personen zu entscheiden ist, die zwar grundsätzlich, nicht aber zum Zeitpunkt der Freiheitsberaubung einen Fortbewegungswillen haben.[46] Nach der hier vertretenen Ansicht sind auch solche Personen – Schlafende, kurzfristig Bewusstlose oder Volltrunkene – nicht mit einbezogen, solange sie nicht aufwachen usw. und sich tatsächlich fortbewegen wollen. Sofern man einen potenziellen Fortbewegungswillen genügen lässt, gelangt man konsequenterweise zur Bejahung des Tatbestandes;[47] teilweise wird auch darauf abgestellt, ob die Möglichkeit des Erwachens während des Einsperrens nicht sicher ausgeschlossen ist.[48] Fordert man einen aktualisierbaren Fortbewegungswillen, hängt die Entscheidung im Wesentlichen davon ab, welche Anforderungen man an die Aktualisierung stellt. Soweit die Person nicht bemerkt, dass sie eingesperrt wurde bzw. sich nicht fortbewegen wollte, liegt nach der hier vertretenen Ansicht – Erfordernis eines aktuellen Fortbewegungswillens – keine vollendete Freiheitsberaubung vor, während auf Grundlage eines nur aktualisierbaren oder potenziellen Fortbewegungswillens der Tatbestand verwirklicht ist.

2. Tathandlungen

13

Der Tatbestand setzt voraus, dass ein anderer eingesperrt (Var. 1) oder auf andere Weise der Freiheit beraubt wird (Var. 2). Durch die Formulierung „auf andere Weise“ wird deutlich, dass das Einsperren nur ein vom Gesetzgeber herausgehobener Beispielsfall ist. Wie bereits dargelegt, muss sich die Tathandlung gegen die körperliche Fortbewegungsfreiheit richten, so dass bloßes Aussperren oder Blockaden – etwa der Garageneinfahrt – einzelner Wege nicht tatbestandsmäßig sind.[49] Wird das Opfer allerdings gezwungen, einen bestimmten Weg zu nehmen bzw. einen Ort auf bestimmte Art und Weise zu verlassen, so dass es faktisch einen bestimmten Ort aufsuchen muss, kann § 239 StGB verwirklicht sein, wenn keine zumutbare Alternative besteht.[50]

a) Einsperren

14

Nach herkömmlicher Definition liegt ein Einsperren dann vor, wenn das Opfer in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen so festgehalten wird, dass es objektiv daran gehindert ist, diesen Raum zu verlassen.[51] Typischerweise geschieht dies durch das Verschließen der Ausgänge des Raumes. Ein Einsperren kann aber auch dann vorliegen, wenn die Tür so schwer ist, dass der Betroffene diese nicht allein öffnen kann, die Öffnungsmechanismen nicht bedient werden können oder ein Ausgang zwar vorhanden ist, der Betroffene diesen jedoch überhaupt nicht kennt.[52] Welche Maßnahmen das Opfer vorzunehmen hat, ist nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu beurteilen.[53] Unterlässt es das Opfer hingegen, einen ihm bekannten und objektiv leicht zu benutzenden Ausgang zu öffnen, so liegt eine Freiheitsberaubung auch dann nicht vor, wenn das Opfer irrig annimmt, dass sich der Ausgang nicht öffnen lasse.[54] Da es allein auf die Beeinträchtigung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit des Opfers ankommt, ist eine „räumliche Trennung“ zwischen Täter und Opfer nicht erforderlich. Der Tatbestand ist demgemäß auch verwirklicht, wenn sich der Täter mit dem Opfer in demselben Raum mit einschließt.[55]