Handbuch des Strafrechts

Tekst
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

c) Nötigungen im Rechtsverkehr

100

Zu einer Kollision von Freiheiten verschiedener Personen kommt es naturgemäß auch im Rechtsverkehr, wenn typischerweise eine Partei von einer anderen etwas begehrt und mitunter Druckmittel einsetzt, um dieses Anliegen zu unterstreichen. In solchen Konstellationen gerät zunehmend der Nötigungstatbestand in den Blick. Insoweit bleibt zunächst festzuhalten, dass die Beitreibung bestehender Forderungen ein legitimes Ziel darstellt. Erfolgt dies auf dem gesetzlich vorgesehenen Wege, sei es zunächst durch ein Forderungsschreiben mit ggf. Fristsetzung oder schließlich durch Einreichung einer Klage oder zur Durchsetzung eines bereits erwirkten Titels durch Betreibung der Zwangsvollstreckung, kann weder in der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe noch in deren Androhung eine Nötigung erblickt werden. Gleiches gilt für die Ankündigung, bestehende Einwendungen und Einreden gegen einen geltend gemachten Anspruch zu erheben. Um dieses naheliegende wie einleuchtende Ergebnis zu begründen, wird häufig auf die Sozialadäquanz solcher Verhaltensweisen oder jedenfalls auf die fehlende Verwerflichkeit verwiesen.[327] Zu wenig beachtet wird hierbei, dass das tatbestandliche angedrohte Übel empfindlich sein muss. Dies ist aber gerade dann nicht der Fall, wenn von dem Nötigungsadressaten erwartet werden kann, der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standzuhalten (Rn. 52).[328] Dieses Maß an Selbstbehauptung kann aber von jedermann verlangt werden, der sich der Beitreibung einer bestehenden Forderung ausgesetzt sieht. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der säumige Schuldner dazu beigetragen hat, dass der Inhaber eines Anspruchs diesen im Klagewege verfolgen muss, stellt die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe in dem einschlägigen Verfahren gerade den gesetzlich für die Beitreibung von Forderungen vorgesehenen Weg dar und kann schon aus diesem Grund nicht als empfindliches Übel begriffen werden. Eines Rückgriffs auf die unbestimmte wie nicht unumstrittene Rechtsfigur der Sozialadäquanz oder auf das Korrektiv der Verwerflichkeitsklausel bedarf es in diesen Fällen nicht.

101

Mitunter beschränkt sich die Drohung nicht nur auf die Beitreibung einer Forderung „vor Gericht“ als solche, sondern wird darüber hinaus eine Strafanzeige in Aussicht gestellt, falls der Genötigte den geltend gemachten Anspruch nicht erfüllen sollte. Ähnlich kann Beamten mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder mit dem Gang an die Öffentlichkeit gedroht werden. Wegen der deutlich umfassenderen Nachteile, die insbesondere mit einer Strafanzeige einhergehen, nicht zuletzt die ungleich größere Belastung durch das Strafverfahren wegen des ggf. drohenden Freiheitsentzugs sowie etwaige negative Auswirkungen auf das gesellschaftliche Ansehen, kann insoweit die Empfindlichkeit des Übels nicht abgestritten werden. Zwar sind Strafanzeigen durchaus ebenso ein gesetzlich vorgesehenes Mittel. Sie dienen allerdings nur der Einleitung eines Strafverfahrens und gerade nicht der Beitreibung von Forderungen, so dass der Inhaber eines Anspruchs hierauf gerade nicht zwingend angewiesen ist und das Beschreiten dieses Weges nicht schon aus diesem Grund als tatbestandslos angesehen werden kann. Ob die Drohung mit einer Strafanzeige als Druckmittel bei der Geltendmachung eines Anspruchs eine strafbare Nötigung darstellt, bestimmt sich daher maßgeblich nach der Verwerflichkeit eines solchen Verhaltens. Hierbei ist sodann zunächst zu beachten, dass es sich bei einer berechtigten Strafanzeige um ein für sich gesehen zulässiges Mittel handelt, gleichfalls die Beitreibung einer bestehenden Forderung ein legitimes Ziel bildet. Bei der notwendigen Gesamtabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls rückt daher insbesondere die Konnexität von Mittel und Zweck in den Vordergrund. Nicht verwerflich ist es demnach, mit einer Strafanzeige gerade wegen derjenigen Tat zu drohen, aus der die verfolgten Ansprüche herrühren (näher Rn. 78).

102

Kontrovers wird die Drohung mit einer Strafanzeige hingegen beurteilt, wenn dadurch zweifelhafte Forderungen beigetrieben werden sollen. Exemplarisch kann auf einen vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt eines massenhaft versendeten anwaltlichen Mahnschreibens verwiesen werden, in dem den Adressaten – neben der gerichtlichen Geltendmachung der laut Mahnschreiben „berechtigten Forderung“ – auch eine Strafanzeige wegen Betrugs in Aussicht gestellt wurde, falls das Entgelt für die telefonisch vereinbarte Anmeldung für Gewinnspiele nicht gezahlt werde; die versprochenen Eintragungen erfolgten in Wahrheit aber nicht.[329] Die Forderungen waren demzufolge zumindest dubios, was dem Anwalt allerdings gleichgültig war.[330] Zunächst ordnete der BGH der Androhung einer Strafanzeige grundsätzlich als Drohung mit einem empfindlichen Übel ein. Entgegenstehende besondere Umstände des Einzelfalls (z.B. in der Person des Bedrohten), die eine besonnene Selbstbehauptung des Nötigungsadressaten forderten, seien nicht ersichtlich. Vielmehr erhöhe die berufliche Stellung des Anwalts das Gewicht der Drohung.[331]

103

Diskussionswürdig erscheinen allerdings die Ausführungen des BGH zur Verwerflichkeit eines solchen Verhaltens. Hierbei hat das Gericht unter anderem auf die Gleichgültigkeit des Anwalts gegenüber dem Bestehen der von ihm gemahnten Ansprüche verwiesen, wenngleich es insoweit einen bedingten Vorsatz des Anwalts nicht als nachgewiesen ansah.[332] Das Kriterium der Gleichgültigkeit wird mitunter als „systemfremd“ bezeichnet, weil es beim Vorsatzdelikt nicht hierauf ankomme.[333] Dem bleibt indessen bereits zu entgegnen, dass es sich bei den Umständen, die in die im Rahmen der Verwerflichkeit erforderliche Gesamtabwägung einfließen, um keine vorsatzbedürftigen Tatbestandsmerkmale handelt. Zu bemängeln bleibt indessen, dass die Konnexität als sonst maßgebliches Kriterium bei der Verwerflichkeit der Drohung mit Strafanzeigen in den Entscheidungsgründen jedenfalls nicht näher aufgegriffen wird.[334] Schließlich standen hier Mittel und Zweck durchaus in einem Zusammenhang. Stattdessen stützte sich der BGH auf einen Umstand, den er bereits im Rahmen der diskutierten Empfindlichkeit des Übels angeführt hatte, und verwies darauf, dass der Angeklagte seine Berufsbezeichnung als Anwalt eingesetzt habe, um durch die so vermittelte Autorität eines Organs der Rechtspflege die Position der Adressaten als faktisch aussichtslos erscheinen zu lassen.[335] Dem wird wiederum entgegengehalten, dass es dem anwaltlichen Usus entspreche, mit weiteren rechtlichen Konsequenzen zu drohen, um die Erfüllung der Forderungen der eigenen Mandanten zu erreichen.[336] Dieser Einwand gerät freilich in die Nähe eines Sein-Sollens-Schlusses, veranlasst aber jedenfalls zu Vorschlägen, den Tatbestand der Nötigung für Anwälte einschränkend auszulegen.[337]

104

Außer mit einer Strafanzeige wird mitunter auch mit sonstigen Aktionen gedroht, um die Begleichung von Forderungen durch den Schuldner oder auch andere Verhaltensweisen zu erreichen. So musste unter anderem über die Strafbarkeit der Ankündigung eines Pflichtverteidigers als Nötigung entschieden werden, nicht mehr an der laufenden Hauptverhandlung teilzunehmen, wenn der Vorsitzende eine bestimmte prozessuale Anordnung treffe.[338] Als probates Mittel wird vor allem die Weitergabe oder Veröffentlichung von Umständen, die den Nötigungsadressaten in ein schlechtes Licht rücken oder ihm Nachteile zu bringen drohen, angesehen. Ein empfindliches Übel ist in solchen angekündigten Maßnahmen zwar durchaus zu erblicken. So zieht der Weg an die Öffentlichkeit stets schädigende Nachwirkungen nach sich, seien es Beeinträchtigungen des Rufs oder auch finanzielle Einbußen.[339] Entscheidend ist in diesen Fällen allerdings, ob das Inaussichtstellen der angekündigten Übel verwerflich ist. Dies bestimmt sich wiederum maßgeblich nach der Konnexität von Mittel und Zweck. Nicht verwerflich soll demnach die bei Vereinen weit verbreitete Drohung sein, Beitragsrückstände eines Mitglieds in der Vereinszeitung zu veröffentlichen.[340] Die Ankündigung, sich an die Öffentlichkeit zu wenden und etwa in Veröffentlichungen in der Presse auf tatsächliche oder auch nur vermeintliche Missstände aufmerksam zu machen, ist nicht als verwerflich zu erachten, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, die Missstände zu beseitigen.[341] Sollte es an diesem Zusammenhang indessen fehlen und Mittel und Zweck in einem inkonnexen Verhältnis stehen, legt diese nicht sachgerechte Verknüpfung die Verwerflichkeit der Nötigung wiederum nahe. Dies wurde in der Rechtsprechung etwa bejaht für die Drohung eines Chefredakteurs mit einer wahrheitsgemäßen Pressemitteilung, um einen Anzeigenauftrag zu erhalten,[342] sowie für die Drohung, (vermeintliche) Unregelmäßigkeiten in der Bilanz einer Bank offenzulegen, um die Einstellung eines rechtmäßig betriebenen Zwangsversteigerungsverfahrens zu erreichen.[343] Gleiches gilt für die Drohung mit der Veröffentlichung von Informationen aus dem Privatleben, um den Betroffenen zur Begleichung einer Forderung zu veranlassen.[344]

III. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen

1. Online-Demonstrationen

105

Der Straftatbestand der Nötigung sieht sich ebenso aufgrund des ständigen gesellschaftlichen Wandels und technologischen Fortschritts stetig neuen Herausforderungen gegenüber. Nicht zuletzt bringt die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung neue Möglichkeiten mit sich, um auf die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit anderer einzuwirken. Exemplarisch aufzeigen lässt sich dies an sog. Online-Demonstrationen, mit denen sich die Teilnehmer wie bei dem analogen Vorgänger einer Sitzblockade für bestimmte Belange einsetzen wollen. Das unmittelbare Ziel solcher auch als Cyber-Sit-ins bezeichneter Aktionen ist aber nicht mehr die körperliche Blockade vor Gebäuden und Plätzen, sondern die Verhinderung des Zugangs zu einer Webseite mittels organisierter massenhafter Parallelzugriffe, die zur Überlastung des Webservers und dadurch zur fehlenden Erreichbarkeit der Webseite führen. Ein prominentes Ziel einer Online-Demonstration war die Lufthansa AG. Ein Täter stellte Software zur Verfügung, mit der massenhaft in winzigen zeitlichen Abständen auf die Webseite der Lufthansa zugegriffen werden konnte, über welche zunehmend geschäftliche Aktivitäten wie Online-Flugbuchungen abgewickelt wurden. Mit dieser Aktion sollte die Lufthansa dadurch gebracht werden, von dem sog. Abschiebegeschäft mit der Beförderung abzuschiebender Personen auf dem Luftweg Abstand zu nehmen. Trotz Ankündigung der Demonstration und Vorkehrungen der Lufthansa kam es während der zweistündigen Demonstration zu einem erheblich verzögerten Aufbau der Seite von drei bis zehn Minuten bis hin zum Totalausfall. Der Lufthansa entstand dadurch – neben der nicht gerade positiven öffentlichkeitswirksamen Werbung – ein materieller Schaden von knapp 48 000 €.[345] Solche sog. Denial-of-Service-Attacken können insbesondere eine strafbare Datenunterdrückung gemäß § 303a Abs. 1 StGB sowie eine Computersabotage nach § 303b Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklichen. Zur Diskussion steht darüber hinaus aber – anlehnend an die Debatte um die strafrechtliche Relevanz von Sitzblockaden – eine Strafbarkeit wegen Nötigung.

 

106

Als problematisch erweist sich insoweit – wie schon bei dem klassischen Vorgänger der Sitzblockaden –, ob bei der Blockade einer Webseite von „Gewalt“ im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB gesprochen werden kann. Diese Frage wird – ebenso wie bei den traditionellen Demonstrationen – kontrovers diskutiert und mit divergierender Begründung unterschiedlich beantwortet.[346] Zwar dürfte die für den Gewaltbegriff notwendige Kraftentfaltung des Täters etwa bereits in einem Mausklick gesehen werden, deren Wirkung durch die ausgelösten technischen Abläufe ein deutlich größeres Ausmaß einnehmen kann.[347] Auch bei dem Aufruf einer Webseite wäre demnach zu berücksichtigen, welche Auswirkungen die mit Eingabegeräten wie Maus und Tastatur übermittelten Befehle nach sich ziehen (z.B. das Abschalten des Stroms in einem Gebäude oder das Aktivieren einer Bombe). Allerdings erscheint fraglich, ob auf das Opfer irgendein physischer Zwang ausgeübt wird, wenn es aufgrund der Überlastung des Servers die gewünschte Webseite nicht mehr aufrufen kann. Weder wird dadurch nämlich auf das Opfer körperlich eingewirkt noch werden dessen Verhaltensmöglichkeiten irgendwie physisch eingeschränkt und bleibt ihm somit etwa unbenommen, die Adresse der Webseite in einen Browser einzugeben, um auf die Seite zuzugreifen. Vereitelt wird lediglich der gewünschte Erfolg dieses Verhaltens, wenn die aufgerufene Webseite wegen Überlastung des Servers nicht angezeigt wird.[348] Die fehlende Erreichbarkeit einer Webseite mit dem Entzug einer Sache zu vergleichen,[349] vermag ebenso wenig eine Nötigung zu begründen, da der reine Sachentzug als solcher ohne damit einhergehende körperliche Einwirkung auf das Opfer keine Gewalt darstellt (Rn. 45).[350] Selbst wenn die fehlende Möglichkeit, eine Webseite aufzurufen, als körperlicher Zwang eingeordnet werden sollte, bliebe zu beachten, dass sich diese Wirkung erst aus der Addition der Folgen einer Vielzahl von Aufrufen der entsprechenden Webseite ergibt und sich nicht allein auf eine einzelne Anfrage zurückführen lässt. Die Annahme des Nötigungsmittels „Gewalt“ setzte daher voraus, dass die Zugriffe anderer Teilnehmer an der Online-Demonstration dem einzelnen Nutzer zugerechnet werden könnten. Dies erscheint aber fraglich, leisten die einzelnen Beteiligten doch nur einen geringfügigen Tatbeitrag, mit dem sie sich in einen Gesamtkomplex einordnen, ohne sich der anderen Mitwirkenden und deren Tatbeitrag bewusst zu sein.[351]

107

Auch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel dürfte in der Regel bei Online-Demonstrationen abzulehnen sein. Schließlich lässt sich der bloßen Teilnahme an einer solchen Aktion doch zumeist nur das Eintreten für ein bestimmtes Anliegen, jedoch keine Äußerung entnehmen, die ein Übel für einen konkreten Betroffenen in Aussicht stellt. Zwar stellt die Blockade einer Webseite durchaus ein empfindliches Übel dar, auf dessen Eintritt zumindest der Veranstalter eines Cyber-Sit-ins bei entsprechender Mobilisationsfähigkeit der Massen Einfluss haben könnte.[352] Allein die Durchführung eines Cyber-Sit-ins indiziert jedoch keine Wiederholungsgefahr und enthält zumindest in der Regel nicht die konkludente Drohung gegenüber dem Betreiber der blockierten Webseite, in Zukunft weitere Cyber-Sit-ins zu veranstalten.[353] Auch an diesem Beispiel zeigt sich im Übrigen die Diskrepanz der Nötigungsmittel, stellte die explizite Ankündigung einer Online-Blockade doch eine strafbare Nötigung (mit einer Drohung mit einem empfindlichen Übel) dar, während deren Durchführung keine Nötigung (mit Gewalt) verwirklicht (siehe schon Rn. 55).

2. Mobbing

108

Auch das gesellschaftliche Phänomen des sog. Mobbing, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Universität, wird zunehmend im strafrechtlichen Kontext und im Zusammenhang mit Freiheitsdelikten beleuchtet. Häufig wird bei solchen Angriffen mittlerweile auf die Kommunikationsdienste des Internets zurückgegriffen. Ein solches Cybermobbing findet etwa auf eigens hierfür eingerichteten Mobbing-Portalen, Webseiten oder durch die Verbreitung peinlicher (ggf. unwahrer) Tatsachen und herabsetzender (ggf. gefälschter) Bild- und Videoaufnahmen in sozialen Netzwerken statt.[354] Mobbing kann – in Anlehnung an eine verbreitete Definition im Arbeitsrecht – verstanden werden als fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Verhaltensweisen, die Anfeindungen, Schikanen oder Diskriminierungen dienen sollen, nach ihrer Art und ihrem Ablauf in der Regel ein übergeordnetes, von der Rechtsordnung nicht gedecktes Ziel fördern und in ihrer Gesamtheit das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen.[355] Mobbing zieht nicht nur mitunter gravierende Folgen nach sich und kann unter anderem in Angriffen auf die Opfer oder auch in deren Suizid enden.[356]

109

Charakteristisch für das Mobbing ist, dass es aus einer Vielzahl mitunter in Art und Intensität recht unterschiedlicher Belästigungen besteht, die erst in ihrer Gesamtheit das Opfer erheblich beeinträchtigen. Durch die Mitwirkung mehrerer kann sich zudem eine Eigendynamik entwickeln und können sich die Beteiligten einfacher zu weiteren schikanierenden Verhaltensweisen hinreißen lassen.[357] Im Einzelfall können diese Aktionen zwar durchaus als Ehrverletzungsdelikt (§§ 185 ff. StGB), als Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) bzw. des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB), Nachstellung (§ 238 StGB), Nötigung (§ 240 StGB) oder Bedrohung (§ 241 StGB) strafbar sein.[358] Gerade eine Strafbarkeit wegen Nötigung im Speziellen scheidet in der Regel jedoch aus. Zwar können Mobbingmaßnahmen gerade am Arbeitsplatz auch dem Ziel dienen, das Opfer zur Kündigung seiner Arbeitsstelle zu veranlassen.[359] Hierbei handelt es sich indessen zumeist um ein Endziel, das mit der konkreten schikanierenden Maßnahme nicht unmittelbar verfolgt wird. Die einzelnen Mobbingaktionen geschehen daher zumeist um ihrer selbst willen. Zudem müsste insoweit auf die Nötigungsmittel der Gewalt oder der Drohung mit einem empfindlichen Übel zurückgegriffen werden. Häufig wird es sich bei den einzelnen Belästigungen aber „nur“ um straflose Unhöflichkeiten und Taktlosigkeiten handeln. Eine eigene Strafvorschrift, die das Mobbing in seiner Gesamtheit und somit dessen spezifischen Unrechtsgehalt erfasst, existiert in Deutschland bislang nicht.

110

Mit dem Mobbing vergleichbare Einwirkungen auf das Opfer gehen mit der sog. Zersetzung einher. Mit der Zersetzung sollte die Psyche von Regimegegnern in der DDR durch das Ministerium für Staatssicherheit systematisch beeinträchtigt werden, um staatsfeindliche Handlungen zu unterbinden. Zu den Mitteln der Zersetzung zählten unter anderem das heimliche Umstellen von Gegenständen in der Wohnung, Einwirkungen auf das Umfeld des Opfers, um dessen Beziehung zu Ehepartnern oder Kindern zu zerrütten, die organisierte Diskreditierung und Inszenierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge. Die besondere Gefährlichkeit solcher Aktionen beruhte nicht zuletzt darauf, dass hierfür ein Machtgefälle zwischen staatlichen Tätern und privaten Opfern ausgenutzt wurde. Zersetzungen zogen nicht nur aus diesem Grund ebenfalls gravierende Folgen für das Opfer nach sich und endeten mitunter in dessen Suizid.[360] Gleichwohl lassen sich auch die einzelnen Maßnahmen der Zersetzung, deren Gefährlichkeit in ihrer Gesamtwirkung liegt, häufig strafrechtlich nicht erfassen. Einzelne Zersetzungshandlungen können allenfalls als Hausfriedensbruch, Urkundenfälschung, Ehrverletzungsdelikt oder Nachstellung geahndet werden. Eine Vorschrift, die das spezifische Unrecht der Zersetzung in ihrer Gesamtheit erfasst, existiert wiederum nicht.[361]

111

Dass erst die Gesamtheit einzelner, für sich gesehen nicht strafbarer und ggf. sogar noch sozialadäquater Handlungen erhebliche Beeinträchtigungen von Rechtsgütern des Opfers nach sich zieht, ist kein unbekanntes Phänomen. Eine ähnliche Konstellation ist vielmehr bei der Nachstellung, dem sog. Stalking gegeben, bei welcher der Täter sich wiederholt unmittelbar oder mittelbar (insbesondere durch Kontaktaufnahmen) dem Opfer nähert und dadurch in dessen persönlichen Lebensbereich eingreift, um die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Zielperson zu beeinträchtigen. Für die Nachstellung ist ebenso wie für das Mobbing eine Vielzahl einzelner Belästigungen charakteristisch, die für sich gesehen vielfach nicht erheblich sind, aber in ihrer Gesamtheit den persönlichen Lebensbereich des Opfers gravierend beeinträchtigen.[362] Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich Nachstellung und Mobbing mit der Zeit verselbstständigen und eine Eigendynamik (Rn. 109 zum Mobbing) entwickeln können. Insbesondere bei der Nachstellung lässt sich häufig eine Eskalationsspirale beobachten, d.h. die einzelnen Belästigungen gewinnen zunehmend an Intensität und können unter Umständen in tödlichen Angriffen auf das Opfer enden.[363]

112

Wegen dieser Gemeinsamkeiten wird vereinzelt vorgeschlagen, in Anlehnung an den Nachstellungstatbestand des § 238 StGB auch einen eigenständigen Straftatbestand des Mobbings einzuführen.[364] Vergleichbare Überlegungen werden zur Zersetzung angestellt.[365] Bei der Ausgestaltung solcher Strafvorschriften würden sich ähnliche Probleme wie bei § 238 StGB ergeben. Insbesondere sind zahl- wie variantenreiche Handlungen denkbar, die erst in ihrer Summe den persönlichen Lebensbereich des Opfers beeinträchtigen oder es zu einem bestimmten Verhalten nötigen. Dies zieht zum einen Schwierigkeiten nach sich, einen umfassenden Straftatbestand des Mobbings zu formulieren, was – ähnlich wie bei § 238 StGB – nur mit Hilfe eines Auffangtatbestandes gelingen dürfte, der indessen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in Konflikt gerät (zur Diskussion bei § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB → BT Bd. 4: Eisele, § 6 Rn. 43).[366] Zum anderen müsste auch beim Mobbing zum Ausdruck gebracht werden, dass die einzelnen Belästigungen erst in ihrer Gesamtheit die zu verhindernden Auswirkungen auf das Opfer annehmen, müsste folglich ein gewisses „Massenelement“ in den Wortlaut der Norm Eingang finden, wie dies etwa bei § 238 StGB durch das Merkmal „beharrlich“ geschehen ist.[367] Insoweit ist aber auf den wesentlichen Unterschied zwischen Nachstellung und Mobbing hinzuweisen, dass bei der Nachstellung sämtliche Angriffe in der Regel durch ein und dieselbe Person erfolgen, während bei dem Mobbing mehrere Personen die einzelnen Belästigungen vornehmen. Daher ist es durchaus möglich, dass zwar die Summe aller Mobbingmaßnahmen in die Rechtsgüter des Betroffenen eingreift und insbesondere dessen persönlichen Lebensbereich erheblich beeinträchtigt. Die Beiträge der einzelnen Mitwirkenden können aber jeweils für sich gesehen als noch nicht erheblich anzusehen sein. Erwägenswert ist nur, die Aktionen der einzelnen Beteiligten untereinander wechselseitig zuzurechnen. Dies dürfte aber nicht selten ausscheiden, da die Beteiligten unabhängig voneinander und jeweils aus eigenem Antrieb agieren und somit schon mangels eines gemeinsamen Tatentschlusses Nebentäter sind.[368]