Handbuch des Strafrechts

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a) Medizinisch-soziale Indikation (Abs. 2)

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Ein Schwangerschaftsabbruch im Sinne der medizinisch-sozialen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB ist nicht rechtswidrig, „wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“.[175] Mit der medizinisch-sozialen Indikation soll folglich verhindert werden, dass eine Schwangere gesetzlich verpflichtet wäre, trotz Lebensgefahr oder anderweitigen gesundheitlichen Risiken ein Kind auszutragen.[176] Eine Lebensgefahr wird gemeinhin sowohl bei physischen (z.B. Gebärmutterhalskrebs) wie auch psychischen Gefahren (z.B. Selbstmordgefährdung) angenommen.[177] Die Annahme einer Gefahr für eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes bedingt, dass eine solche das Maß der üblicherweise mit einer Schwangerschaft verbundenen Belastungen wesentlich übersteigt.[178] Zudem soll ein medizinisch-sozial indizierter Schwangerschaftsabbruch als ultima ratio nur dann zulässig sein, wenn die schwerwiegende Gesundheitsgefährdung nicht auf andere Art und Weise abwendbar ist bzw. andere Maßnahmen als unzumutbar erscheinen.[179] Anders als der Tatbestandsausschluss in § 218a Abs. 1 StGB ist ein auf einer medizinisch-sozialen Indikation beruhender Schwangerschaftsabbruch zeitlich an keine Frist gebunden und somit bis zum Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen möglich.[180]

b) Kriminologische Indikation (Abs. 3)

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Die kriminologische Indikation stellt einen Unterfall der medizinisch-sozialen Indikation dar und setzt gemäss § 218a Abs. 3 StGB voraus, dass die Schwangere Opfer einer rechtswidrigen Tat nach den §§ 176–178 StGB wurde.[181] Darüber hinaus müssen dringende Gründe, d.h. ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad, darauf schließen lassen, dass die Schwangerschaft die Folge dieser rechtswidrigen Tat darstellt.[182] Gleichsam wie unter Abs. 2 erfolgt die Beurteilung des Vorliegens der Indikationsvoraussetzungen nach ärztlicher Erkenntnis.[183] Ebenso müssen auch die allgemeinen Rechtfertigungsvoraussetzungen von § 218a Abs. 2 StGB vorliegen, d.h. eine Einwilligung der Schwangeren sowie eine Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs durch einen Arzt (sog. Arztvorbehalt).[184] Zudem ist der Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer kriminologischen Indikation innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis vorzunehmen.[185] Sind die soeben erläuterten Voraussetzungen erfüllt, so ist der aufgrund einer kriminologischen Indikation durchgeführte Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig.[186]

c) Exkurs: Embryopathische Indikation

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Die ehemals bis im Jahre 1995 geltende embryopathische Indikation sah vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer Behinderung, d.h. einer nicht behebbaren Gesundheitsschädigung des ungeborenen Kindes, bis zum Ende der 22. Schwangerschaftswoche zulässig war.[187] Dabei musste die zu erwartende Gesundheitsschädigung eine Unzumutbarkeit für die Schwangere zur Austragung des Kindes darstellen.[188] Im Unterschied zur geltenden medizinisch-sozialen Indikation war allerdings nicht erforderlich, dass auch eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren bestehen musste.[189] Die embryopathische Indikation stellte demzufolge eine Sonderregelung zu den weiteren Indikationen dar, entscheidend war somit lediglich die Frage der Zu- bzw. Unzumutbarkeit für die Schwangere.[190] Mit der Änderung des Strafgesetzbuchs im Jahr 1995 wurde die embryopathische Indikation allerdings verworfen und ist seither in der medizinisch-sozialen Indikation aufgegangen, da auch diese Indikation einen Schwangerschaftsabbruch zu rechtfertigen vermag, wenn der Abbruch angezeigt ist, um die „Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ abzuwenden.[191]

d) Exkurs: Schwangerschaftsabbruch bei minderjährigen Schwangeren

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Fraglich ist, ob minderjährige Schwangere rechtsverbindlich in einen Schwangerschaftsabbruch einwilligen können. Gemäss § 218a StGB setzt der straflose Schwangerschaftsabbruch die Einwilligung der Schwangeren voraus. Der Begriff der Einwilligung muss dabei im strafrechtlichen Sinne verstanden werden, d.h. verlangt wird nicht die volle Geschäftsfähigkeit, jedoch die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Schwangeren.[192] In der Lehre finden sich allerdings unterschiedliche Ansichten zur Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Schwangeren. So wird einerseits die Meinung vertreten, dass die Einsichtsfähigkeit ab dem 16. Altersjahr zu vermuten und die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung ab diesem Zeitpunkt folglich nicht mehr erforderlich sei.[193] Andererseits wird vor allem seitens der Rechtsprechung durchwegs festgehalten, erst ab dem 18. Lebensjahr die Einwilligungsfähigkeit einer Schwangeren in einen Schwangerschaftsabbruch anzunehmen, da bis dahin die Einwilligung dem gesetzlichen Vertreter bzw. dem Inhaber der elterlichen Sorge obliegt.[194] Dagegen wird zu Recht angeführt, dass betreffend die Einwilligung minderjähriger Schwangeren ein Abstellen auf deren Alter eine unzutreffende Pauschalisierung bewirke; vielmehr bedürfe es diesbezüglich einer entsprechenden Einzelfallbetrachtung.[195] Entgegen dem jeweiligen Alter der Schwangeren sollte demnach vielmehr die Einwilligungsfähigkeit als Kriterium hinzugezogen werden. Denn solange eine Schwangere einsichtsfähig ist sowie begreifen und einschätzen kann, welche Konsequenzen mit einem Schwangerschaftsabbruch verbunden sind, muss auch die Einwilligung einer minderjährigen Schwangeren Gültigkeit erlangen können.[196] Zusammenfassend konkurriert das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entstammende Selbstbestimmungsrecht der minderjährigen Schwangeren mit dem in § 1626 BGB normierten elterlichen Sorgerecht der Erziehungsberechtigten.[197] Die Rechtsprechung scheint sich dabei allerdings grundsätzlich für einen Vorrang des elterlichen Personensorgerechts auszusprechen.[198] Konkret wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass allein eine Verweigerung der Zustimmung des Sorgerechtsinhabers zu einem Schwangerschaftsabbruch bei einer minderjährigen Schwangeren grundsätzlich noch keine missbräuchliche Ausübung des Sorgerechts zu begründen vermag, denn dadurch, dass ein Inhaber der elterlichen Sorge von einer minderjährigen Schwangeren das Austragen des Kindes verlangt, wird noch nicht das Wohl der minderjährigen Schwangeren gefährdet.[199] Eine Stütze findet diese Argumentation zweifelsohne in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach die staatliche Rechtsordnung grundsätzlich von einer Pflicht der Schwangeren zur Austragung des Kindes ausgeht.[200] Darüber hinaus hält § 107 BGB fest, dass eine minderjährige Person zu einer Willenserklärung, so auch zur Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff, worunter auch die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zu zählen ist, grundsätzlich der Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters bedarf.[201] Allerdings kann das Verhalten der Sorgeberechtigten, also die Verweigerung der Zustimmung zu einem Schwangerschaftsabbruch, fehlerhaft bzw. missbräuchlich sein, nämlich dann, „wenn die Heranwachsende nicht die notwendige Unterstützung bei der Betreuung des Kindes und seinem eigenen Vorwärtskommen (z.B. berufliche Ausbildung) für die Zukunft nach der Geburt erhält“.[202] Denn auch die Entscheidungskompetenz des Sorgeberechtigten wird nicht zuletzt durch das Kindeswohl begrenzt.[203] Demzufolge können bei einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge und einer damit verbundenen Gefährdung des Kindeswohls gerichtliche Maßnahmen im Sinne von § 1666 BGB verhängt werden.[204] Im Zusammenhang mit einer missbräuchlichen Verweigerung der Einwilligung zu einem Schwangerschaftsabbruch kommt insbesondere § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB in Frage, indem die Erklärung des Inhabers der elterlichen Sorge ersetzt wird, namentlich durch die Errichtung einer Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis der Ersetzung der Einwilligung zum Schwangerschaftsabbruch.[205] Bei dieser Fragestellung sollte sich die Auslegung in Zukunft stärker an der reproduktiven Autonomie der einwilligungsfähigen Minderjährigen orientieren.[206]

e) Exkurs: Schwangerschaftsabbruch bei einer einwilligungsunfähigen Schwangeren

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Gleichsam wie bei einer minderjährigen Schwangeren, der unter Umständen noch keine vollständige Einsichts- und Urteilsfähigkeit zukommt, so ist auch bei einer volljährigen einwilligungsunfähigen Schwangeren, beispielsweise bei einer medizinischen Notfallsituation, die Einwilligungsfähigkeit in einen ärztlichen Eingriff beeinträchtigt bzw. zeitweilig oder gar dauernd aufgehoben.[207] Auch bei der Schwangerschaft einer geistig stark beeinträchtigten Frau stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wer rechtsverbindlich in einen Schwangerschaftsabbruch einwilligen kann. Gemäss § 1896 Abs. 1 BGB hat das Betreuungsgericht auf Antrag oder von Amtes wegen eine Betreuung zu bestellen, wenn „ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen“ kann. Da die Frage nach der Einwilligung eines Betreuers in einen Schwangerschaftsabbruch keine gesonderte Regelung erfahren hat, finden die Normen von §§ 1904 ff. BGB grundsätzlich Anwendung.[208] In der Lehre und Rechtsprechung besteht allerdings Uneinigkeit darüber, ob im Falle der Einwilligungsunfähigkeit einer Schwangeren ein Betreuer im Sinne von § 1896 BGB die Einwilligung zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs geben kann und darf.[209] Deshalb kann die Frage, ob ein Betreuer innert den ersten zwölf Schwangerschaftswochen entgegen dem Wortlaut von § 218a Abs. 1 StGB, welcher ein „Verlangen der Schwangeren“ erfordert, zur Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch berechtigt ist, mangels Konsens in der Lehre nicht abschließend beantwortet werden.[210] Allerdings muss bei einer medizinischen Notlagenindikation im Sinne von § 218a Abs. 2 StGB eine Einwilligung des Betreuers in einen Schwangerschaftsabbruch trotz der generellen höchstpersönlichen Natur der Einwilligung zulässig sein.[211] Generell bleibt im Falle der Einwilligungsunfähigkeit einer Schwangeren zu beachten, dass ein allfälliger Betreuer den Entscheid über einen Abbruch der Schwangerschaft primär nach Maßgabe des Wohls der Schwangeren und im Sinne ihres mutmaßlichen Willens zu fällen hat.[212]

 

f) Spätabbruch

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Als Spätabtreibungen gelten Schwangerschaftsabbrüche, welche in der Spätphase der Schwangerschaft vorgenommen werden, d.h. nach der 20. Schwangerschaftswoche.[213] Die große Problematik bei Spätabbrüchen stellt die extrauterine Lebensfähigkeit des Fötus dar.[214] Denn die extrakorporale Lebensfähigkeit eines Kindes tritt in der Regel ab der 22. Schwangerschaftswoche, teilweise auch früher, ein.[215] Die Hauptindikation für die Vornahme eines Spätabbruchs ist eine zu erwartende Behinderung des ungeborenen Kindes, womit die Schwangere ohne Erleiden eines Gesundheitsschadens nicht leben könnte.[216] Während früher zur Vornahme eines Spätabbruchs eine Frühgeburt eingeleitet wurde, wird das Ungeborene heutzutage meistens bereits im Mutterleib, sei es durch Injektion von Kalium-Chlorid in die Herzmuskulatur des Ungeborenen bzw. durch eine Injektion der genannten Substanz in die Nabelschnur, abgetötet (sog. Fetozid).[217] Wird im Rahmen eines Spätabbruchs ein mithilfe ärztlicher Maßnahmen überlebensfähiges Kind geboren, so stellt sich die Frage, ob ein Verzicht auf Hilfsmaßnahmen, welcher den Tod des Neugeborenen bewirkt, als Schwangerschaftsabbruch oder aber als Tötungshandlung zu qualifizieren sei.[218] In der Lehre wird diese Problematik wie folgt gelöst: Ein Schwangerschaftsabbruch wird angenommen, wenn die Abbruchshandlung zu einer Frühgeburt des Kindes führt, dieses jedoch aufgrund der mangelnden Ausreifung oder aber als unmittelbare Folge des Eingriffs nach der Geburt stirbt.[219] Ist das aufgrund eines Schwangerschaftsabbruchs zu früh geborene Kind jedoch lebensfähig und wird es nach der Geburt durch eine weitere Handlung, welche auch in einem Unterlassen bestehen kann, getötet, so liegt nebst einem versuchten Schwangerschaftsabbruch eine vollendete Tötungshandlung (durch Unterlassen) in Tatmehrheit vor.[220] Der den Abbruch durchführende Arzt ist gegenüber dem lebenden Frühgeborenen „zur Sicherstellung einer intensiv-neonatologischen Versorgung verpflichtet.“[221]

3. Persönlicher Strafausschlussgrund der Schwangeren (Abs. 4)

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Wird die Schwangerschaft innerhalb von 22 Wochen seit der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen, macht sich eine Schwangere im Sinne eines persönlichen Strafausschließungsgrundes gemäss § 218a Abs. 4 S. 1 StGB nicht nach § 218 StGB strafbar.[222] Der abbrechende Arzt verstößt allerdings gegen die Strafnorm von § 218 StGB, da ein Arzt mangels Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB) nur innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen darf (§ 218a Abs. 1 StGB).[223] Die Straflosigkeit der Schwangeren setzt zudem voraus, dass im Vorfeld ein Schwangerschaftsberatungsgespräch stattgefunden hat, wobei anders als in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB keine dreitägige Karenzfrist zwischen der Beratung und dem Schwangerschaftsabbruch eingehalten werden muss.[224]

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Selbst wenn ein Schwangerschaftsabbruch ohne Vorliegen einer Indikation nach Ablauf von 22 Wochen seit der Empfängnis ohne jegliches Beratungsgespräch oder ohne ärztliche Durchführung stattfindet, kann gemäss § 218 Abs. 4 S. 2 StGB von einer Bestrafung der Schwangeren nach § 218 StGB abgesehen werden, wenn sie sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.[225] Kurz gefasst greift § 218 Abs. 4 S. 2 StGB dann, wenn keine anderweitigen Straffreistellungsgründe im Sinne von § 218a Abs. 1–3 StGB zur Anwendung gelangen können.[226] Da dieser persönliche Strafausschlussgrund der Schwangeren eine Kann-Vorschrift darstellt, muss im Sinne einer Einzelfallbetrachtung abgewogen werden, ob eine Subsumption unter die besagte Gesetzesnorm angezeigt ist.[227] Um eine mögliche „Aushöhlung“ des in § 218 StGB festgehaltenen Schwangerschaftsabbruch-Verbots vorzubeugen, wird eine restriktive Auslegung von § 218a Abs. 4 S. 2 StGB gefordert.[228] Was unter einer besonderen Bedrängnis zu verstehen ist, wird gesetzlich nicht definiert, doch vermag eine Schwangerschaft als solche kaum einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 4 S. 2 StGB zu rechtfertigen.[229]

V. Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung oder mit unrichtiger ärztlicher Feststellung (§ 218b StGB)

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§ 218b StGB zielt darauf ab, die Einhaltung des Verfahrens zur Indikationsfeststellung sicherzustellen.[230] Mittelbar wird durch diese Gesetzesnorm aber auch das ungeborene menschliche Leben geschützt.[231] In § 218b StGB wird daher eine Entscheidungshilfe, welche in der Indikationsfeststellung durch einen weiteren Arzt besteht, normiert.[232]

1. Verstoß gegen das Feststellungsverfahren (Abs. 1)

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Vorweg sei erwähnt, dass sich nach § 218b Abs. 1 StGB grundsätzlich nur ein Arzt strafbar machen kann.[233] Basierend auf dem Gesetzeswortlaut trifft dies zwar lediglich für § 218b Abs. 1 S. 2 StGB zu, doch auch für § 218b Abs. 1 S. 1 StGB kann als unmittelbarer Täter nahezu ausnahmslos nur der Arzt in Betracht gezogen werden.[234] Die Schwangere wird gemäss § 218b Abs. 1 S. 3 StGB im Sinne eines persönlichen Strafausschließungsgrundes nicht von der Strafnorm in § 218b StGB erfasst.[235] § 218b Abs. 1 S. 2 StGB (und faktisch auch § 218b Abs. 1 S. 1 StGB) stellt demzufolge ein echtes Sonderdelikt dar.[236] Aufgrund der gesetzlich normierten Subsidiaritätsklausel kann sich jemand nach § 218b StGB nur dann strafbar machen, sofern die Handlung nicht bereits durch § 218 StGB mit Strafe bedroht ist.[237] Allerdings ist ein Täter nach § 218b StGB zu bestrafen, wenn er irrigerweise davon ausgeht, dass eine Indikation im Sinne von § 218a Abs. 2 oder 3 StGB vorliegt.[238]

a) Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung (Abs. 1 S. 1)

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Laut § 218b Abs. 1 S. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen von § 218a Abs. 2 und 3 StGB (Indikationenregelung) eine Schwangerschaft ohne eine schriftliche Indikationsfeststellung durch einen anderen bzw. dritten Arzt abbricht. Inhaltlich hat die Indikationsfeststellung gewissen Mindestanforderungen zu genügen.[239] In der schriftlichen Feststellung sind deshalb die wesentlichen Gründe festzuhalten, weshalb das Vorliegen einer Indikation zu bejahen bzw. zu verneinen ist.[240] Wurde wider besseres Wissens eine unrichtige Feststellung getroffen, so ist diese als unwirksam zu qualifizieren.[241] Sofern ein Arzt trotz der Unwirksamkeit einer Indikationsfeststellung einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, macht er sich nach § 218b Abs. 1 S. 1 StGB strafbar.[242] Darüber hinaus hat die Indikationsfeststellung durch einen nach deutschem Recht approbierten Arzt zu erfolgen, wobei gerade keine Personenidentität mit dem den Schwangerschaftsabbruch durchführenden Arzt bestehen darf.[243] Schließlich muss der abbrechende Arzt spätestens im Zeitpunkt des Eingriffsbeginns schriftlich über die Indikationsfeststellung durch einen dritten Arzt in Kenntnis sein.[244] Anzumerken bleibt, dass der den Schwangerschaftsabbruch vornehmende Arzt nicht an die Indikationsfeststellung des Zweitarztes gebunden ist.[245] Ist demzufolge eine Indikation zu bejahen, wurde diese aber in der Indikationsfeststellung verneint, macht sich der abbrechende Arzt trotz negativem Feststellungsentscheid nicht strafbar.[246] Ein Verstoß gegen § 218b Abs. 1 S. 1 StGB erfordert schließlich Vorsatz, wobei eventualvorsätzliches Handeln seitens des abbrechenden Arztes ausreicht.[247] Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs unter Umständen trotz Fehlen eines Indikationsgutachtens in Fällen eines rechtfertigenden Notstandes im Sinne von § 34 StGB gerechtfertigt sein kann.[248]

b) Unrichtige ärztliche Indikationsfeststellung (Abs. 1 S. 2)

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Ein Arzt, welcher wider besseres Wissen eine unrichtige Indikationsfeststellung schriftlich ausfertigt, macht sich nach § 218b Abs. 1 S. 2 StGB strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.[249] Wider besseres Wissen handelt dabei derjenige Arzt, der sich seiner unzutreffenden Indikationsfeststellung bewusst ist, aber auch derjenige, welcher ohne jegliche Untersuchung eine Feststellung schriftlich aushändigt.[250] Da es sich um ein echtes Sonderdelikt handelt, kommt als Täter nur ein Arzt in Frage.[251] Die Indikationsfeststellung kann dabei inhaltlich oder formal unzutreffend sein.[252] Als inhaltlich unrichtig gilt eine Indikationsfeststellung, in der eine Indikation fälschlicherweise bejaht oder aber unzutreffenderweise verneint wird.[253] Von der formalen Unrichtigkeit einer Indikationsfeststellung ist auszugehen, wenn auf eine Untersuchung der Schwangeren vollständig verzichtet wurde oder diese nur mangelhaft erfolgte.[254] In der Lehre herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, ob sowohl die positiv (Bejahung einer Indikation) als auch die negativ (Verneinung einer Indikation) unrichtige Indikationsfeststellung zu bestrafen ist.[255] Nach der ratio legis sollte alleine die fälschlicherweise positive, unrichtige Indikationsfeststellung strafbar sein, da lediglich diese Form der unzutreffenden Indikationsfeststellung einen Schwangerschaftsabbruch begünstigt.[256] Als „getroffen“ gilt eine Feststellung bereits dann, wenn die Feststellung aus dem Herrschaftsbereich des feststellenden Arztes weggegeben bzw. entäußert wird.[257] In subjektiver Hinsicht muss der Arzt (eventual-)vorsätzlich handeln.[258] Betreffend die Konkurrenzfrage ist anzumerken, dass § 218b Abs. 1 S. 2 StGB gleichsam wie § 218b Abs. 1 S. 1 StGB eine Subsidiaritätsklausel darstellt, welche gegenüber § 218 StGB zurücktritt.[259]