Handbuch des Aktienrechts

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Die Höchstgrenze von 50 % des Nennbetrags des Grundkapitals gilt nach der Neuregelung in § 192 Abs. 3 S. 3 AktG in Fällen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht, denn in einer solchen Notsituation wäre eine Höchstgrenze für das bedingte Kapital sanierungsfeindlich.[46] Für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sieht § 192 Abs. 3 S. 4 AktG eine noch weitergehendere Ausnahme von der Höchstgrenze vor, um diesen Gesellschaften die Erfüllung der (neuen) bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen zu erleichtern.[47]

Daneben existieren Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden (Gewinnschuldverschreibungen). Auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte haben die Aktionäre ein Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 AktG). Die Aktien, die bei Wandlung dieser Wertpapiere ausgegeben werden, stammen gewöhnlich aus einer bedingten Kapitalerhöhung.

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Daneben besteht die Möglichkeit, einen Optionsschein (warrant) auszugeben, der das Recht verbrieft, Aktien des Unternehmens innerhalb einer bestimmten Frist zu einem bestimmten Preis zu beziehen. Neben Anleihen können auch Genussscheine in Verbindung mit einem Bezugsrecht als Optionsgenussscheine emittiert werden. Eine Optionsanleihe ist rechtlich eine Schuldverschreibung (§ 793 BGB). Versprochen wird einerseits ein Zins für den zurückzuzahlenden Geldbetrag und zugleich ein Aktienbezugsrecht.[48] Inhaber einer Optionsanleihe sind nach Ausübung ihres Bezugsrechtes sowohl Gläubiger und Anteilseigner zugleich.[49] Der von der Anleihe getrennte Optionsschein (warrant) kann an der Börse gehandelt werden.[50]

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Darlehensverträge und Anleihen, die mit eigenkapitalspezifischen Zusatzregelungen verbunden sind, werden hybriden Finanztiteln zugeordnet. Hierzu gehören partiarische Darlehen, für die eine gewinnabhängige Verzinsung typisch ist.[51] Dabei ist eine Beteiligung an den Verlusten des Unternehmens allerdings ausgeschlossen. Bei Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 AktG) handelt es sich um verbriefte Forderungen, deren Rückzahlung zu einem festgelegten Termin erfolgt. Die Verzinsung ist zumindest teilweise an den Unternehmenserfolg gekoppelt; eine Verlustbeteiligung ist auch hier ausgeschlossen. Vergleichbar sind equity-linked zerobonds (Discount-Zertifikate), wobei die gewinnabhängigen Zinszahlungen dem Investor mit der Tilgung erst am Ende der Laufzeit zufließen.[52]

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Der hybride Charakter kann auch durch einen Rangrücktritt zum Ausdruck kommen. In diesem Fall willigt der Darlehensgeber in eine gegenüber anderen Gläubigern nachrangige Bedienung seiner Forderungen ein.[53] Denkbar ist auch, dass der Gläubiger unter bestimmten Bedingungen seine Zins- und Tilgungsansprüche durch Forderungsverzicht (§ 397 BGB) aufgibt. Der Forderungsverzicht kann mit einer Besserungsvereinbarung verbunden werden. In diesem Falle verpflichtet sich das Unternehmen zur Rückzahlung des ihm überlassenen Kapitals, sobald sich die Vermögenslage verbessert hat. Rangrücktritts- und Forderungsverzichtserklärungen werden oft in Verbindung mit Gesellschafterdarlehen ausgesprochen. Ganz grds. gehören Gesellschafterdarlehen zu den hybriden Finanzinstrumenten, weil sie sich unter bestimmten Voraussetzungen in Eigenkapital verwandeln können (dazu vertiefend unten Rn. 175).

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Die stille Gesellschaft (§ 230 HGB) gehört zum Mezzanine-Kapital.[54] Der stille Gesellschafter leistet die Einlage so, dass sie in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht (§ 230 Abs. 1 HGB). Dafür erhält er einen Anteil am Gewinn; eine Beteiligung am Verlust darf ausgeschlossen werden (§ 231 HGB). Ebenso wie bei einem Genussrecht ist die Vergütung des stillen Gesellschafters gewinnabhängig – beide Finanzinstrumente ähneln sich sehr.[55] Bei bloßer Kapitalüberlassung liegt eher ein Genussrecht vor; die Vereinbarung von Mitwirkungsrechten und Mitwirkungspflichten spricht für eine stille Gesellschaft.[56]

2.4 Nebenverpflichtungen der Aktionäre

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Ist die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden (vinkulierte Namensaktie: § 68 Abs. 2 AktG), so kann die Satzung Aktionären die Verpflichtung auferlegen, neben den Einlagen auf das Grundkapital wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen zu erbringen (§ 55 Abs. 1 AktG). Dabei hat sie zu bestimmen, ob die Leistungen entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sind. Die Verpflichtung und der Umfang der Leistungen sind in den Aktien und Zwischenscheinen anzugeben (§ 55 Abs. 1 AktG). Die Satzung kann Vertragsstrafen für den Fall festsetzen, dass die Verpflichtung nicht oder nicht gehörig erfüllt wird (§ 55 Abs. 2 AktG).

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Die Regelung geht auf die genossenschaftsrechtlich organisierte Zuckerrübenindustrie zurück und soll den Aktionär verpflichten, eine bestimmte festgelegte Menge an Zuckerrüben (wiederkehrend) gegenüber der AG zu erbringen.[57] Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nicht begrenzt – sämtliche Wirtschaftsbereiche können davon Gebrauch machen. Die Zuckerrübenindustrie soll aber auch heute noch der Hauptanwendungsfall sein.[58] Damit wird eine schuldrechtliche Vertragsbeziehung (vertikale Lieferverpflichtung) auf die Ebene einer korporativen Pflicht (Nebenleistung eines Aktionärs) gezogen. Gesellschaftsrechtlich ist das nicht überzeugend, noch dazu, wenn man bedenkt, dass das Austrittsrecht in der Genossenschaft zwingend vorgesehen ist (§ 65 GenG).[59] Vor allem aber bestehen kartellrechtliche Bedenken. Der Gesetzgeber erlaubt über § 55 AktG den Unternehmen die Bildung eines sternförmigen Kartells, ähnlich dem Zementkartell im ZVN-Fall.[60] Im Einzelfall kann ein solches Sternkartell zulässig sein, wenn es die Spürbarkeitsgrenze (unter 5 % Marktanteil) nicht überschreitet. Oberhalb der Spürbarkeitsgrenze würde es im deutschen Recht an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen nach § 1 GWB fehlen, weil das Gesetz (§ 55 AktG) die satzungsrechtliche Vereinbarung ausdrücklich erlaubt. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wäre allerdings das europäische Kartellverbot (Art. 101 AEUV) verletzt, das gegenüber einer nationalen Norm (hier: § 55 AktG) Vorrang hat. Die Vereinbarungen zwischen den Unternehmen wären somit nichtig (Art. 101 Abs. 2 AEUV). Im Einzelfall ist eine Rechtfertigung über Art. 101 Abs. 3 AEUV möglich. Unternehmen, die Vereinbarungen i.S.d. § 55 AktG schließen, müssen diese Vereinbarung folglich im Rahmen der Selbsteinschätzung (VO 1/2003) daraufhin untersuchen, ob sie mit dem europäischen Primärrecht (Art. 101 AEUV) zu vereinbaren sind. Diese Selbsteinschätzung ist Teil der Compliance und des Risikomanagementsystems, das Unternehmen nach § 91 Abs. 2 AktG schulden.

37

Angeknüpft wird an wiederkehrende Leistungen. Das sind solche, die nach dem Vorbild der Rübenlieferverpflichtungen weder einmalig noch andauernd sind.[61] Einmalig ist z.B. die Pflicht, ein bestimmtes Grundstück zu verschaffen.[62] Andauernd soll die Pflicht sein, Wettbewerb generell zu unterlassen[63] oder einem Berufsverband anzugehören.[64]

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Die Satzung hat zu bestimmen, ob die Nebenleistungen entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sind (§ 55 Abs. 1 S. 2 AktG). Eine unzulässige verdeckte gemischte Sacheinlage (§ 27 AktG) liegt, solange die Voraussetzungen des § 55 AktG eingehalten sind, darin nicht. Das Austauschgeschäft ist folglich nicht unwirksam und somit auch nicht nach Bereicherungsrecht unter Anwendung der Saldotheorie rückabzuwickeln.[65] Mischformen sind möglich („Geld für die Rüben, nichts für geschuldete Entsorgung von Abfällen“).[66] Die satzungsgemäß festgelegte Vergütung darf allerdings den Wert der Leistung nicht übersteigen (§ 61 AktG). Diese Höchstgrenze entspricht den zur Vergütung von Drittgeschäften entwickelten Grundsätzen bei § 57 AktG.[67] Maßgeblich ist grds. der Marktpreis im Zeitpunkt der Leistung.[68]

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Haltepflichten im Rahmen von Aktienoptionsprogrammen zur Steigerung der Mitarbeitermotivation fallen nicht unter den Leistungsbegriff des § 55 AktG. Sie betreffen nicht den Inhalt der Mitgliedschaft, sondern den Zeitpunkt und die Umstände unter denen der Mitarbeiter seine Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft beenden kann.[69]

Anmerkungen

[1]

Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-1, Quelle: Deutsche Bundesbank.

[2]

Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-1.

[3]

Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-2.

[4]

Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-1.

[5]

Die Daten stammen aus der Unternehmensdatenbank des Deutschen Aktieninstituts; die Basis bildeten die Geschäftsberichte. Die Statistik befindet sich in Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-1.

[6]

J. Beer Der Funktionswandel der Deutschen Wertpapierbörsen in der Zwischenkriegszeit (1924-1939); wiedergegeben in Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-1.

 

[7]

Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 1997, S. 32; wiedergegeben in: Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-03.

[8]

OECD; eigene Berechnungen; wiedergegeben in: Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-2.

[9]

Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-2.

[10]

Handelsblatt, 11.8.1992, 13; wiedergegeben in: Deutsches Aktieninstitut, DAI-Factbook 2012, 04-2.

[11]

Modigliani/Miller AER 1958 (Vol. 48), Nr. 3.

[12]

Kruschwitz 2. Aufl. 1999, S. 241.

[13]

Kruschwitz 2. Aufl. 1999, S. 235 ff.; Spremann/Gantenbein S. 97, 110 ff.

[14]

Spremann/Gantenbein S. 111.

[15]

Spremann/Gantenbein S. 107 ff.

[16]

Spremann/Gantenbein S. 109 ff.

[17]

Kruschwitz 2. Aufl. 1999, S. 241.

[18]

Reich Private-Equity-Markt bleibt weit unter seinen Möglichkeiten, Börsen-Zeitung, 27.4.2005, Sonderbeilage: Eigenkapital.

[19]

Bundesnetzagentur, Festlegungsbeschluss BK4-11-304, S. 3.

[20]

Boß Die Rolle der Zweckgesellschaft im (globalen) Finanzmarkt der Zukunft – Eigenkapitalunterlegung, internationale Kontrolle, Rechtsschutz, 2012, passim; Köhler Die Zulässigkeit derivativer Finanzinstrumente zur Unternehmensfinanzierung – eine ökonomisch-rechtliche Analyse, 2012, passim.

[21]

Hierzu im Einzelnen 2. Kap. Rn. 55.

[22]

Zu Hypothekenanleihen vertiefend Matthias, Die Hypothekenanleihe als Finanzinstrument des deutschen und europäischen Kapitalmarktrechts, 2013, passim.

[23]

Schwintowski/Glaß § 15 Rn. 6.

[24]

Vertiefend unten ab Rn. 214.

[25]

Dazu aus der Sicht des § 32a Abs. 3 GmbHG a.F. Schwintowski/Dannischewski ZIP 2005, 840 ff.; vertiefend unten Rn. 216.

[26]

Schrecker S. 18.

[27]

Der griechische Begriff Hybrid beschreibt eine Kombination oder Mischung und in der Biologie die Kreuzung zweier Arten. Vertiefend Schrecker S. 19 m.w.N.

[28]

Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks. 22/15.

[29]

So die Zielbeschreibung im Gesetzentwurf, BR-Drucks. 22/15 unter A.

[30]

So Gesetzesbegründung in BR-Drucks. 22/15, 24 zu Nr. 16.

[31]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[32]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[33]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[34]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[35]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[36]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 25.

[37]

BR-Drucks. 22/15 v. 23.1.2015 S. 26.

[38]

Vertiefend Münch. Hdb. GesR IV/Scholz § 64 Rn. 5 ff.

[39]

Gesetzentwurf BR-Drucks. 22/15.

[40]

BR-Drucks. 22/15, 1 f., Zielbeschreibung.

[41]

BR-Drucks. 22/15, 27 ff.

[42]

BR-Drucks. 22/15, 27.

[43]

BR-Drucks. 22/15, 28.

[44]

BR-Drucks. 22/15, 28.

[45]

BR-Drucks. 22/15, 28.

[46]

BR-Drucks. 22/15, 28.

[47]

BR-Drucks. 22/15, 29.

[48]

Lüdicke/Sistermann/Johannemann § 10 Rn. 35 ff.

[49]

Schrecker S. 35 m.w.N.

[50]

Schrecker S. 35 m.w.N.

[51]

Bösl/Sommer/Schneider/Sommer/Wagner S. 271.

[52]

Gratz BB 2005, 2678, 2699.

[53]

Bösl/Sommer/Wagner/Lehmann S. 245.

[54]

Lüdicke/Sistermann/Johannemann § 10 ab Rn. 1.

[55]

Schrecker S. 33 f. m.w.N.

[56]

BFH BStBl II 2008, 852, 855; FG Köln EFG 1998, 1214 f.; Schrecker S. 34 f. m.w.N.

[57]

RegBegr. bei Kropff S. 72; Hüffer/Koch § 55 Rn. 1.

[58]

MünchKomm AktG/Bungeroth § 55 Rn. 3; Hüffer/Koch § 55 Rn. 1.

[59]

Ebenfalls zweifelnd Kölner Kommentar/Drygala § 55 Rn. 5 m.w.N.

[60]

BGHZ 65, 30.

[61]

Hüffer/Koch § 55 Rn. 4.

[62]

Hüffer/Koch § 55 Rn. 4.

[63]

MünchKomm AktG/Bungeroth § 55 Rn. 16.

[64]

RGZ 49, 77, 79.

[65]

Weiterführend zur verdeckten gemischten Sacheinlage: BGHZ 173, 145 (Lurgi); 175, 265 (Rheinmöve); BGH NJW 2009, 2886 (Lurgi II).

[66]

Hüffer/Koch § 55 Rn. 5.

[67]

MünchKomm AktG/Bayer § 61 Rn. 5.

[68]

Hüffer/Koch § 55 Rn. 5; zur Verrechnung von Sachleistungen der AG an den Aktionär: RGZ 48, 102, 105.

[69]

Fach S. 72.

6. Kapitel Finanzierung der Aktiengesellschaft, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung › II. Kapitalaufbringung

II. Kapitalaufbringung

6. Kapitel Finanzierung der Aktiengesellschaft, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung › II. Kapitalaufbringung › 1. Grundsätze

1. Grundsätze

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Die Kapitalaufbringung wird über verschiedene Vorschriften des Aktienrechts gesichert.[1] Im Vordergrund stehen die Vorschriften über die Einlagepflicht (§ 54 AktG). In § 63 AktG werden die Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung geklärt. Für bestimmte Fälle ist der Ausschluss säumiger Aktionäre möglich (§ 64 AktG). Für jeden im Aktienregister verzeichneten Vormann kann es eine Zahlungspflicht für rückständige Beträge geben (§ 65 AktG). In § 66 AktG wird klargestellt, dass die Aktionäre und ihre Vormänner von Ihren Leistungspflichten nicht befreit werden können. Dem gleichen Zweck dient das Verbot der Gesellschaft, eigene Aktien zu zeichnen (§ 56 AktG). Das gilt auch für noch nicht voll eingezahlte Aktien. Der damit verbundenen Gefährdung der Kapitalaufbringung wirkt § 71 Abs. 2 S. 3 AktG entgegen, indem der Erwerb nicht eingezahlter eigener Aktien untersagt wird. Die Vorschriften über die Kapitalaufbringung werden durch eine Reihe von Vorschriften ergänzt, die der Kapitalerhaltung dienen. Zu diesen Vorschriften gehören die §§ 57, 61, 62, 66, 71 ff. AktG – sie werden unter Rn. 178 im Zusammenhang dargestellt.

6. Kapitel Finanzierung der Aktiengesellschaft, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung › II. Kapitalaufbringung › 2. Einlagepflicht

2. Einlagepflicht

41

Nach § 54 Abs. 1 AktG sind die Aktionäre zur Leistung der Einlagen verpflichtet. Diese Einlagepflicht ist die Hauptpflicht der Aktionäre. Sie wird durch den Ausgabebetrag der Aktien begrenzt (§ 54 Abs. 1 AktG). Diese Obergrenze der Einlagepflicht findet sowohl auf Geld als auch auf Sacheinlagen Anwendung.[2] Erweist sich beispielsweise bei einer gemischt-verdeckten Sacheinlage eine Kapitalerhöhung als rechtlich unwirksam, so ist der Aktionär verpflichtet, den Ausgabebetrag der Aktie (erneut) einzuzahlen.[3] Die Einlagepflicht kann von den Parteien des Aktienkaufes zum Preisbestandteil gemacht werden.[4]

42

Die Verpflichtung der Aktionäre zur Leistung der Einlagen entsteht bei der Gründung der AG mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer der Gesellschaft (§ 29 AktG). Gründer der Gesellschaft sind nach § 28 AktG die Aktionäre, die die Satzung festgestellt haben. Indem die Aktionäre die Satzung feststellen, übernehmen sie zugleich alle Aktien. Eines zusätzlichen Übernahme-Aktes bedarf es nicht.[5] Da die Leistungspflicht der Aktionäre mit der Übernahme aller Aktien durch Satzungsfeststellung erfolgt, hängt die Entstehung dieser Hauptpflicht des Aktionärs nicht von der Entstehung der Aktiengesellschaft als Kapitalgesellschaft ab. Der Aktionär schuldet also seine Einlage auch vor Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister (§ 41 Abs. 1 AktG). Er ist verpflichtet, seine Einlage zu erbringen, auch wenn vor Eintragung der Gesellschaft Aktien nicht ausgegeben werden können und dennoch vorher ausgegebene Aktien nichtig sind (§ 41 Abs. 4 AktG).

 

43

Bevor die AG zum Handelsregister angemeldet wird, ist, soweit nicht Sacheinlagen geschuldet sind, auf jede Aktie mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Überpari-Emission auch der Mehrbetrag über den Nennbetrag hinaus (Agio) vollständig einzuzahlen (§§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG).[6] Der vor der Anmeldung der Gesellschaft eingeforderte Betrag muss in den in § 54 Abs. 3 AktG genau beschriebenen Formen gezahlt werden. Der Betrag muss dem Vorstand zur freien Verfügung stehen (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 AktG).[7]

44

Bei Kapitalerhöhungen entsteht die Einlagepflicht des Zeichners mit dem Zustandekommen des Zeichnungsvertrags nach § 185 AktG. Im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung hat die Bezugserklärung die gleiche Wirkung wie die Zeichnungserklärung (§ 198 Abs. 2 AktG). Bei der Ausgabe neuer Aktien im Rahmen genehmigten Kapitals gilt § 185 AktG entsprechend (§ 203 Abs. 1 AktG). Das bedeutet, dass bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§§ 182 ff. AktG) und bei dem genehmigten Kapital die Einlageverpflichtung unverbindlich wird, wenn die Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals nicht bis zu einem bestimmten festgesetzten Zeitpunkt im Handelsregister eingetragen ist (§§ 185 Abs. 1 Nr. 4, 188 AktG). Bei der bedingten Kapitalerhöhung hängt die Einlagepflicht nicht von der Eintragung in das Handelsregister ab, da das Grundkapital mit Ausgabe der Bezugsaktien wirksam erhöht ist (§ 200 AktG).

45

Die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister darf nach § 36 Abs. 2 AktG erst erfolgen, wenn auf jede Aktie der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 Abs. 3 AktG). Dies gilt allerdings nur, „soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind.“ Daraus folgt, dass das Gesetz im Normalfall von der Geldeinlage ausgeht und die Sacheinlage nur insoweit akzeptiert, wie sie vereinbart ist. Die Bareinlage genießt also Vorrang. Dies ergibt sich auch aus § 54 Abs. 2 AktG, wonach die Aktionäre den Ausgabebetrag der Aktien einzuzahlen haben, soweit in der Satzung nicht Sacheinlagen[8] festgesetzt sind. Das Prinzip des Vorrangs der Bareinlage wird auch in § 27 Abs. 1 AktG deutlich, wonach Sacheinlagen oder Sachübernahmen in der Satzung ausdrücklich festgesetzt werden müssen. Der Gegenstand der Sacheinlage oder Sachübernahme, die Person, von der die Gesellschaft den Gegenstand erwirbt, und der Nennbetrag, bei Stückaktien die Zahl der bei der Sacheinlage zu gewährenden Aktien oder die bei der Sachübernahme zu gewährende Vergütung müssen ebenfalls in der Satzung festgesetzt werden.

46

Soll die Gesellschaft einen Vermögensgegenstand übernehmen, für den eine Vergütung gewährt wird, die auf die Einlage eines Aktionärs angerechnet werden soll, so gilt dies als Sacheinlage (§ 27 Abs. 1 S. 2 AktG). Die gleichen Grundsätze – mit Ausnahme der Sachübernahme, bei der es sich um ein Gründungsspezifikum handelt – gelten für die Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§ 183 Abs. 1 AktG), für die bedingte Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen (§ 194 Abs. 1 AktG) und für die Ausgabe neuer Aktien im Rahmen des genehmigten Kapitals gegen Sacheinlagen (§ 205 Abs. 2 AktG). Die Sacheinlagen müssen auf ihre Werthaltigkeit geprüft werden (§§ 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, 183 Abs. 3, 194 Abs. 4, 205 Abs. 3 AktG).

47

Wenn und soweit eine Sacheinlage unwirksam ist, entsteht eine Verpflichtung des Aktionärs, den Ausgabebetrag der Aktie in bar einzuzahlen (§§ 27 Abs. 3, 183 Abs. 2, 194 Abs. 2, 205 Abs. 4 AktG). Das unwirksame Austauschgeschäft ist, soweit nicht dingliche Ansprüche eingreifen, nach Bereicherungsrecht (§§ 812, 818 BGB) unter Anwendung der Saldotheorie rückabzuwickeln – die §§ 67, 62 AktG sind nicht anwendbar.[9] Die Vorschriften über die Sacheinlagen werden von denen über die Bareinlage überlagert – wenn und soweit Sacheinlagen unwirksam sind, setzt sich die Verpflichtung zur Zahlung einer Bareinlage durch.[10]

48

Die Verpflichtung der Aktionäre zur Leistung der Einlagen wird durch den Ausgabebetrag der Aktien begrenzt (§ 54 Abs. 1 AktG). Darüber hinausgehende Nachschusspflichten hat der Aktionär nicht. Eine satzungsrechtlich verankerte Pflicht der Aktionäre, bei Beendigung/Kündigung eines Maklerunterstützungsvertrages, erworbene Aktien an die AG (unentgeltlich) zurück zu übertragen, wäre eine weitere Leistungspflicht und damit mit § 54 Abs. 1 AktG nicht zu vereinbaren.[11] Bei Nennbetragsaktien bezieht sich der Ausgabebetrag auf den Nennbetrag. Dieser muss auf mindestens 1 EUR lauten (§ 8 Abs. 2 AktG). Aktien über einen geringeren Nennbetrag sind nichtig (§ 8 Abs. 2 AktG). Höhere Aktiennennbeträge sind zulässig (§ 9 Abs. 2 AktG) – sie müssen auf volle EUR lauten (§ 8 Abs. 2 AktG).

49

Bei Stückaktien ist Ausgabebetrag der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals (§ 8 Abs. 3 AktG) oder ein nach § 9 Abs. 2 AktG höher festgesetzter Betrag. Bei Gründung der AG muss der Ausgabebetrag in der Satzung festgelegt sein (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG). Bei Kapitalerhöhungen wird der Ausgabebetrag entweder von der HV (Kapitalerhöhungsbeschluss) oder von der Verwaltung festgelegt.

50

Der geringste Ausgabebetrag, also der Betrag, der in der Satzung nicht unterschritten werden kann, ist der Nennbetrag oder der auf die einzelne Stückaktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals (§ 9 Abs. 1 AktG). Für die Anmeldung der Aktiengesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister genügt es, wenn mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch der Mehrbetrag eingefordert wird (§ 36a Abs. 1 AktG). Die tatsächliche Einziehung der geschuldeten Einlagen kann also – auf unbestimmte Zeit – hinausgezögert werden. Nur bei der bedingten Kapitalerhöhung ist die vollständige Leistung aller Einlagen spätestens bei Ausgabe der neuen Aktien erforderlich (§ 199 Abs. 1 AktG). Wirtschaftlich entstehen auf diese Weise Nachschusspflichten – für die Unternehmen bilden die noch offenen Einlageverpflichtungen eine Art Notreserve.[12]

51

Die Satzung muss den Ausgabebetrag und die Gattung der Aktien, die jeder Gründer übernimmt, angeben (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 AktG). Schuldner der Geldeinlageverpflichtung ist also der Übernehmer von Aktien – im Falle von Kapitalerhöhungen der Zeichner (§§ 185, 198 Abs. 2 S. 1, 203 Abs. 1 AktG). Gläubigerin ist die Gesellschaft – im Gründungsstadium die Vorgesellschaft. Die Verpflichtung zur Geldeinlage geht als mitgliedschaftliche Pflicht ohne weiteres auf jeden Erwerber der Aktie über.[13] Bei Namensaktien kann dies anders sein, weil im Verhältnis zur AG nur der im Aktienregister Eingetragene als Aktionär gilt (§ 67 Abs. 2 AktG). Folglich kann die Gesellschaft nur ihn und nicht den Erwerber auf Zahlung der Einlage in Anspruch nehmen. Ebenso kann die Gesellschaft vom Erwerber keine Einlage verlangen, wenn ein Dritter eine entgegen § 10 Abs. 2 S. 1 AktG vor Volleinzahlung ausgegebene Inhaberaktie gutgläubig rechtsgeschäftlich erworben hat (§§ 932, 936 BGB analog).[14] Das gilt auch für den Erwerber, der die noch offene Einlageverpflichtung ohne grobe Fahrlässigkeit nicht kennt.[15] Wer dagegen im Rahmen einer Kapitalerhöhung Inhaberaktien in Ausübung eines mittelbaren Bezugsrechts erwirbt, steht einem originären Aktienerwerber gleich und genießt keinen Gutglaubensschutz.[16]

52

Für Zahlungen vor Eintragung der AG bestimmt § 54 Abs. 2 S. 1 AktG in welcher Weise der „vor der Anmeldung der Gesellschaft eingeforderte Betrag“ gezahlt werden muss. Damit wird an die §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG angeknüpft, wonach bei Bareinlagen der eingeforderte Betrag mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch den Mehrbetrag umfassen muss. Eingefordert wird der Betrag vom Vorstand, der in diesem Stadium der Gründung für die Vorgesellschaft handelt. Die Höhe des einzufordernden Betrages sollte sich aus der Gründungssatzung ergeben. Ist in dieser der einzufordernde Betrag nicht festgelegt worden, so hat der Vorstand den in § 36a Abs. 1 AktG vorgeschriebenen Mindestbetrag einzufordern. Der Vorstand kann darüber hinausgehend auch einen höheren Betrag einfordern, da § 54 Abs. 3 AktG auf alle vom Vorstand wirksam eingeforderten Beträge anwendbar ist, auch soweit sie die Mindestbeträge (§ 36a Abs. 1 AktG) überschreiten.[17]

53

Die in § 54 Abs. 3 AktG genannten Zahlungsarten sind abschließend aufgezählt, wie sich aus dem Wort „nur“ und der Tatsache ergibt, dass die Norm zwingendes Recht enthält.[18] Folglich ist die Leistung an einen Gesellschaftsgläubiger, auch mit Einverständnis des Vorstands, ebenso unzulässig, wie jede Aufrechnung oder eine Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 BGB), sodass eine Befreiung von der Einlageschuld nicht eintritt.[19] Führt die unzulässige Leistung dazu, dass der AG frei verfügbare Mittel in gesetzlich zugelassener Form zufließen, so bewirkt dies allerdings nachträglich die Tilgung der Einlageforderung.[20] Andernfalls steht dem Einlageschuldner möglicherweise ein Bereicherungsanspruch gegen die AG zu, der allerdings nicht zur Aufrechnung gegen die Einlageforderung verwendet werden darf (§ 66 Abs. 1 S. 2 AktG).[21]

54

Der vor der Anmeldung der Gesellschaft eingeforderte Betrag kann in gesetzlichen Zahlungsmitteln eingezahlt werden (§ 54 Abs. 3 AktG). Gemeint sind gesetzliche Zahlungsmittel, die im Inland zugelassen sind[22] – ausländische Zahlungsmittel genügen den Anforderungen des Gesetzes nicht.[23]

55

Der eingeforderte Betrag kann auch durch Gutschrift auf ein Konto der Gesellschaft oder des Vorstands (zu seiner freien Verfügung) eingezahlt werden (§ 54 Abs. 3 AktG). Da die AG vor Eintragung (§ 41 Abs. 1 S. 1 AktG) noch nicht besteht, ist das Konto der Vorgesellschaft gemeint, die partiell rechts- und kontofähig ist.[24]

56

Einzahlungen sind auch auf ein Konto des Vorstands zulässig. Forderungen des Vorstands aus diesen Einzahlungen gelten als Forderungen der Gesellschaft (§ 54 Abs. 3 S. 2 AktG). Im Verständnis der Rechtspraxis gilt das Konto der Vorgesellschaft als „Konto des Vorstands“, das lediglich eine abweichende Bezeichnung trägt.[25] Gemeint sind Geschäftskonten des Vorstandes – Einzahlungen auf ein Privatkonto des Vorstands fallen nicht unter § 54 Abs. 3 AktG.[26]

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Die Gutschrift kann nach dem missverständlichen Wortlaut des § 54 Abs. 3 S. 1 AktG bei einem inländischen Kreditinstitut oder bei einem ausländischen Institut erfolgen, soweit es Bankgeschäfte i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 2 KWG betreibt.[27] Das Kreditinstitut, das sich an der Gründung der Aktiengesellschaft möglicherweise beteiligt hat, kann trotzdem Kontoführer sein – das AktG verbietet das nicht.[28] Streitig ist dies lediglich für die Gutschrift des Kreditinstituts selbst. Bungeroth weist darauf hin, dass das Urt. des BGH im Fall „Beton- und Monierbau“[29] den Schluss nahelege, dass der BGH grds. von der Möglichkeit der Einlagezahlung der Bank durch Gutschrift auf einem von ihr selbst geführten Konto ausgehe.[30] Gleichwohl lehnt Bungeroth eine Einzahlung durch Erteilung einer Gutschrift der kontoführenden Bank ab. „Es wäre mit dem Sinn und Zweck des § 54 Abs. 3 AktG, die reale Kapitalaufbringung zu sichern, nicht vereinbar, wenn die Möglichkeit bestünde, eine Einlageforderung bereits durch das Eingehen einer neuen Verbindlichkeit zu tilgen.“ Deshalb könne ein nach § 54 Abs. 3 S. 1 AktG als Kontoführer zugelassenes Institut eine eigene Einlagepflicht nicht durch Erteilung einer Gutschrift erfüllen. Es fehle an dem für eine Einzahlung im Sinne dieser Vorschrift wesensbestimmenden Erfordernis der endgültigen Aussonderung des Einlagebetrages aus dem eigenen Vermögen.[31] Dies dürfte aber nur für den (seltenen) Ausnahmefall gelten, dass die Bank den Einlagebetrag zwar dem Konto der Gesellschaft oder des Vorstands gutschreibt, ohne eine äquivalente Gegenbuchung auf einem ihrer eigenen Konten vorzunehmen. Das wird wohl kaum in der Praxis vorkommen, schon weil die Grundsätze der doppelten Buchführung eine solche Buchung ohne Gegenbuchung nicht zulassen, aber auch deshalb, weil die Bank daran interessiert sein muss, einen Betrag, über den sie nicht mehr verfügen will und kann, auszubuchen, zumal sie der BaFin nach dem Grundsatz I keine Aktiva melden darf, über die sie in Wirklichkeit nicht mehr verfügt.

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