Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt

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Erlebnisorientierung

ErlebnisorientierungIm Zusammenhang mit der nachfrageorientierten Gestaltung von touristischen Angeboten wird in den letzten Jahren dem Besuchererlebnis ein wachsendes Augenmerk gewidmet. Auch wenn retrospektiv seit der Zeit der Vaganten (vgl. Kap. 1.2.1) das persönliche Erlebnis als relevantes Motiv angesehen wird, ist dessen Operationalisierung, Erfassung und genauere Analyse erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts in den Fokus der sozialwissenschaftlichen Analyse gerückt. Dies hängt damit zusammen, dass in den letzten Jahrzehnten (vgl. auch die Ausführungen zu MASLOWS Bedürfnispyramide in diesem Kapitel) die individuelle Selbstverwirklichung und damit auch das individuelle Erlebnis an Bedeutung für die Individuen zugenommen haben.

Die zunehmende Bedeutung des individuellen Erlebnisses wurde von SCHULZE (1992) in seinem Buch über die Erlebnisgesellschaft auf einen Wandel der Lebensauffassungen zurückgeführt. Lange Zeit galt für den Großteil der Gesellschaft eine sog. außenorientierten Lebensauffassung, die in einer klar sozial strukturierten und geschichteten Gesellschaft externe Vorgabe von Zielen und Normen für das Individuum (z. B. Reproduktion der Arbeitskraft, Beschaffung von lebensnotwendigen Ressourcen, Aneignung von Qualifikationen, Altersvorsorge) bedeutete. Diese ist abgelöst worden von einer stärker innenorientierten Lebensauffassung, bei der die Gestaltungsidee eines „schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens“ (SCHULZE 2005, S. 37) in den Vordergrund trat. Die damit verbundene Betonung des subjektiven Erlebnisses in weiten Teilen der Gesellschaft führt zu einer Ästhetisierung des Alltagslebens und einer Höherbewertung der Selbstverwirklichung.

Die Freizeit- und Erlebniswelten des ausgehenden 20. Jahrhunderts (vgl. z. B. STEINECKE 2000) haben genau diese subjektive Erlebnisorientierung angesprochen, indem Sie dem Individuum ein positives Erlebnis versprachen. Damit war dieses Versprechen von unverwechselbaren, einmaligen Erlebnissen als der zentrale Erfolgsfaktor für den im letzten Kapitel thematisierten Boom der Freizeit- und Erlebniswelten in den 1990er Jahren anzusehen.

KAGELMANN hat die Erfolgsfaktoren der Freizeit- und ErlebnisweltenFreizeit- und Erlebniswelten der 1990er Jahre wie folgt zusammengefasst:

1 die Tatsache, dass die Besucher in eine Kontrastwelt zur Alltagswelt eintauchen können,

2 eine größere Zahl von Erlebnissen auf hohem und verlässlichem Niveau vermittelt werden,

3 immer wieder neue Angebote mit wechselnden Attraktionen und Events geboten werden,

4 die professionelle Organisation auf einen perfekten ungestörten (Konsum-) Genuss ausgerichtet ist,

5 multifunktionale Angebote den multioptionalen Ansprüchen der Nachfrager entsprechen,

6 ein thematisches Leitmotiv, das idealerweise dem Grundprinzip des Storytellings folgt, und ein unverwechselbares Erlebnis verspricht (nach KAGELMANN 1998, S. 79ff.).

Dabei zeigte sich aber, dass der Erfolg von auf oberflächliches Erlebnis ausgerichteten Angeboten oftmals nur kurzfristig war. Ein einmal gemachtes Erlebnis kann bei der Wiederholung als nur noch begrenzt attraktiv empfunden werden. Diesem Abnutzungseffekt wurde lange Zeit über eine Intensivierung bzw. Erneuerung der gebotenen Effekte entgegengewirkt. OPASCHOWSKI (2000) prägte dabei den Begriff der „ErlebnisspiraleErlebnisspirale“, bei der immer ausgefeiltere Angebote nachgefragt werden. Das kontinuierliche „Nachrüsten“ in den Freizeitparks und Konsumwelten der 1990er Jahre kann als Anzeichen dafür angesehen, dass in Teilen des Marktes auch heute noch dem Leitbild des „schneller, höher, weiter“ gefolgt wird.

Auch wenn die 1990er Jahre von einer intensiven Beschäftigung mit den sog. Erlebniswelten geprägt waren, sind bis heute unsere Kenntnisse über die Erlebnisse induzierende und auslösende Aspekte sowie die unterschiedlichen Arten von Erlebnissen relativ überschaubar. Viele Ansätze beziehen sich auf die von PINE & GILMORE identifizierten Dimensionen der Besucheransprache.

PINE & GILMORE (1999) versuchen, bei der von ihnen ausgerufenen sog. „ErlebnisökonomieErlebnisökonomie“ neue Wege zur Ansprache der Kunden zu finden. Bei diesem in sich recht stimmigen und auch intensiv rezipierten Definitionsversuch wird die soziale Dimension der Interaktion nicht aufgeführt. PINE & GILMORE unterscheiden dabei zwei Dimensionen des Erlebnisses, die durch die beiden Achsen Passive-Aktive Teilnahme (Passive-Active Participation) und Aufnahme-Eintauchen (Absorption-Immersion) gekennzeichnet sind (vgl. Abb. 11). Traditionelle touristische Angebote sind stark auf die Aufnahme/Rezeption ausgerichtet. Im Bereich der klassischen Kultur- und Bildungsreise erfolgt diese durch eine aktive Beteiligung, während im Bereich der Freizeitparks eher passive Beteiligung dominiert. Als Zwischenform kann der Edutainment-Ansatz angesehen werden (teils aktiv, teils passiv).

Abb. 11:

Dimensionen der erlebnisorientierten Besucheransprache nach PINE & GILMORE (Quelle: eigene Darstellung nach PINE & GILMORE 1999, S. 32)

Mit den sich abzeichnenden Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen bei den klassischen Angeboten rückt der vierte von PINE & GILMORE formulierte Quadrant zur Generierung von Erlebnissen in den Fokus, der „Escapist“. Dieser zielt auf die aktive Einbeziehung und das Eintauchen in das Erlebnissetting ab. Neben den sportlichen Angeboten, bei denen dieser Aspekt schon immer eine wichtige Rolle spielte, wird nun versucht, die Aufbereitung von kulturellen Angeboten nicht nur durch eine aktive Einbeziehung der Besucher attraktiver zu gestalten, sondern auch auf das Eintauchen in das spezifische Setting ausgerichtete Inszenierungansätze zu verfolgen (genauer z. B. bei ARLETH & KAGERMEIER 2009). Auch GÜNTHER (2006, S. 57) betont die aktive Rolle des Besuchers bei der Aneignung von angebotenen Erlebnis-Settings und propagiert den Rollenwechsel vom Erlebnis-Konsumenten zum Erlebnis-Produzenten.

Eine theoretische Basis für die Rolle der Aktivierung im Zuge von Erlebnis-Settings bietet das Flow-KonzeptFlow-Konzept von CSIKSZENTMIHALYI (1990 & 1991). Als Flow wird ein mentaler Zustand verstanden, in dem die Person vollständig in die Aktivität eintaucht und in einer Tätigkeit aufgeht, die klare Ziele aufweist und dem Individuum eine unmittelbare Rückmeldung vermittelt. Zielsetzung touristischer Erlebnisinszenierungen ist daher oftmals die Erzeugung eines Flow-Gefühls bei den Gästen. Das als positiv empfundene Flow-Erlebnis stellt sich dann ein, wenn die gestellten Anforderungen in Einklang mit den Möglichkeiten des Individuums stehen, d. h. weder Über- noch Unterforderung besteht (vgl. Abb. 12). Traditionelle Urlaubsangebote zielten lange Zeit auf reine Entspannung (= Relaxation) ab. Demgegenüber war Kennzeichen der für das ausgehende 20. Jahrhunderts charakteristischen Freizeit- und Erlebniswelten die Generierung von Erlebnissen, die vor Allem einen kurzzeitigen „Nervenkitzel“ oder „Kick“ (= Arousal) erzeugten.

Unter dem Blickwinkel des Flow-Konzepts (vgl. Abb. 12) bedeutet dies, dass beim typischen Entspannungsurlaub, wie dem Badeurlaub, nur relativ geringe Anforderungen an die Urlauber gestellt werden. Für viele Angebote der „Erlebnis 1.0-Phase“ ist typisch, dass auf den Arousal-Effekt, d. h. Stimuli gesetzt wurde, die das Individuum stark fordern (egal ob mit dem sog. Roller-Coaster-Effekt, überwältigenden Sinneseindrücken in thematisierten Erlebniswelten bis hin zu den großen physischen oder psychischen Herausforderungen bei Extremsportarten). Grundprinzip des Flow-Ansatzes ist eine Ausgewogenheit zwischen den Fähigkeiten des Individuums und den durch die externen Stimuli gegebenen Heraus- und Anforderungen. Nicht Über- und nicht Unterforderung ist damit das Ziel. Weder Langeweile noch extreme Adrenalinkicks scheinen die Erlebnisangebote der 2. Generation zu Beginn des 21. Jahrhundert zu markieren (genauer bei KAGERMEIER 2013).

Abb. 12:

Flow als Ausgewogenheit von Anforderungen und Fähigkeiten (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an CSIKSZENTMIHALYI 1997, S. 31)

Allerdings können Erlebnisse aufgrund ihrer Individualität nicht wirklich produziert werden. Anbieter von touristischen Angeboten können lediglich versuchen, in Form eines spezifischen Settings günstige äußere Rahmenbedingungen zu schaffen. Letztendlich beschränken sich die von der Angebotsseite konzipierten Settings auf eine Kontextsteuerung, welche das Entstehen von Erlebnissen begünstigt und damit „Mood Management“ betreibt. In diesem Sinne stellt die Entsprechung von angebotsseitigen Rahmenbedingungen und den individuellen Erwartungen der Besucher eine Herausforderung dar, welche für den Erfolg von Erlebnisangeboten ausschlaggebend ist.

Zur Konstruktion touristischer Erlebnisse sind bislang kaum empirisch validierte Konzepte vorhanden. Ein – bislang noch nicht vollständig empirisch umgesetzter – umfassender Ansatz zur Erfassung der unterschiedlichen Erlebnisdimensionen im Sinne einer Synthese der vorliegenden konzeptionellen Komponenten zur Entstehung von Vorstellungsbildern über touristische Erlebnisse, der insbesondere der Wirkung erlebnisvermittelnder Settings nachspürt, müsste die in Abbildung 13 dargestellten Dimensionen beinhalten:

1 KognitionskomponenteKognitionskomponente: mit aktiver (Bildungsaspekt) und passiver Rezeption (Entertainmentaspekt)

2 EmotionskomponenteEmotionskomponente: sensorisch oder ästhetisierend induziert

3 Explorative Komponenteexplorative Komponente: kognitiv oder konativ ausgerichtet

 

4 Soziale Interaktionsoziale Interaktion zwischen Anbietern und Nachfragern bzw. soziales Miteinander unter den Nachfragern.

Die Qualität des Angebotes sowie der Grad der Nichtinszenierung (= Authentizität) bzw. Inszenierung (wobei das oberste Ziel der Inszenierung letztendlich die Generierung einer „Staged Authenticity“ darstellt) beeinflussen als Rahmenbedingungen des Settings die Art und die Ausprägung der jeweiligen Erlebniskomponenten. Diese werden bei der Perzeption durch die subjektive (situative) Disponiertheit und den Erfahrungshintergrund der Nachfrager, ebenso wie die daraus resultierenden Erwartungen und Images quasi „gefiltert“, sodass identische Stimuli und Settings zu individuell unterschiedlichen Erlebnissen führen (vgl. auch Kap. 2.3.2).

Insgesamt gesehen stehen die unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Ansätze zu Annäherung an das Konstrukt „Erlebnis“ aber trotz langjähriger Auseinandersetzung mit dem Phänomen immer noch in einem Stadium des nur sehr partiellen Verständnisses von Erlebnisgenerierung, auch im touristischen Kontext. Hier bestehen noch deutliche Forschungsdefizite.

Abb. 13:

Synopse der zentralen Dimensionen von Erlebnisgenerierung im touristischen Kontext (Quelle: eigener Entwurf)

Zusammenfassung

 In diesem Kapitel wurde Tourismus als Phänomen eingeführt, das unterschiedliche Dimensionen berührt und daher von unterschiedlichen Disziplinen, die aktuell unter dem Überbegriff „Tourismuswissenschaften“ zusammengefasst werden, aus einer Vielzahl von Blickwinkeln analysiert wird. Die disziplinübergreifende, transdisziplinäre Herangehensweise ist eines der zentralen Charakteristika in diesem Arbeits- und Forschungsfeld.

 Grundparadigma der tourismusgeographischen Herangehensweise ist eine integrative, übergeordnete Perspektive auf das Handeln der Menschen im Raum. Damit stellen die sozialwissenschaftlichen Ansätze zur Analyse und Deutung von menschlichem Handeln sowie das Wechselspiel desselben mit der räumlichen Umwelt die beiden Säulen der Tourismusgeographie dar.

 Der Begriff Tourismus beschreibt ein Phänomen, zu dessen Grundcharakteristika Ortsveränderung, zeitliche Befristung und ein breites Spektrum an Zwecken/Motiven gehört. Die Motive für Reisen sind stark subjektiv geprägt und einem steten Wandel unterworfen.

 Auch der Freizeitbegriff, verstanden als freie Dispositionszeit ist nicht vollständig intersubjektiv fassbar, sondern ebenfalls stark von subjektiven Perzeptionen der Individuen geprägt.

 Die touristische Nachfrage kann als Resultat von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen angesehen werden. Dementsprechend handelt es sich um kein statisches Phänomen. Vielmehr ist die touristische Nachfrage in einem steten Wandel begriffen, sodass die Angebotsgestaltung einem permanenten Adaptions- und Innovationsdruck ausgesetzt ist, um die Nachfrage adäquat zu adressieren.

 Für die Analyse der nachfrageseitigen Dispositionen wird auf eine Reihe von sozialwissenschaftlichen Ansätzen, wie der Bedürfnispyramide von Maslow, dem Lebensstilkonzept zur Zielgruppensegmentierung oder den unterschiedlichen Ansätzen zur Deutung der Erlebnisorientierung zurückgegriffen.

Weiterführende Lesetipps

STEINECKE, Albrecht (2010): Populäre Irrtümer über Reisen und Tourismus. München

Einführung in den Tourismus der etwas anderen Art. Anhand von Stereotypen und Klischees über den Tourismusmarkt und deren Dekonstruktion wird scheinbar nebenbei und mehr indirekt eine Vielzahl an Grundlagen vermittelt. Gleichzeitig steht das Lesevergnügen im Mittelpunkt.

MUNDT, Jörn W. (2014): Thomas Cook – Pionier des Tourismus. Konstanz & München

Nicht nur eine Biographie eines der Pioniere des modernen Tourismus, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit einer Legende, die dann 2019 Insolvenz anmelden musste und von der aktuell nur mehr die Marke erhalten ist und von anderen Investoren weitergeführt wird.

2 Grundlagen Nachfrageseite

Lernziele

In diesem Kapitel werden folgende Fragen beantwortet:

 Welche Faktoren beeinflussten den Reiseboom in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts?

 Wie haben sich die quantitativen Kenngrößen der touristischen NachfrageNachfrageseite entwickelt?

 Welche Motive beeinflussen die Nachfrage nach touristischen Angaben?

 Welche Tendenzen auf der Nachfrageseite lassen sich für die künftige Entwicklung erkennen?

 Wie können subjektive Dispositionen auf der Nachfrageseite erfasst werden?

2.1 Quantitative Entwicklung des Volumens und der Orientierungen auf der Nachfrageseite

Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus erscheint es auf den ersten Blick etwas verwunderlich, dass insgesamt gesehen über touristische Aktivitäten nur relativ wenig flächendeckende und längere Zeitspannen abdeckende offizielle Zahlengrundlagen vorliegen. Von der amtlichen Statistik werden im Wesentlichen auf der Angebotsseite Daten erhoben, insbesondere die Übernachtungszahlen in gewerblichen Unterkünften (vgl. Kap. 3). Zur Nachfrageseite finden sich in der amtlichen Statistik vor allem Zahlen zu den Grenzübertritten, sprich den Einreisen von Ausländern. Diese werden von der UNWTO weltweit nach ähnlichen Kriterien zusammengestellt. Allerdings basieren auch diese Zahlen – vor allem bei Grenzübertritten ohne Visumspflicht und damit keiner zentralen Registrierung von grenzüberschreitenden Reisen, wie dies z. B. innerhalb der Europäischen Union der Fall ist – oftmals auf Schätzungen. Damit ist insgesamt gesehen, die statistische Erfassung im Bereich der Tourismuswirtschaft deutlich ungenauer als in anderen Wirtschaftsbereichen.

2.1.1 Boomfaktoren des Reisens

Die zentralen Driving Forces für die dynamische Entwicklung des Reisens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind übergeordnete gesamtgesellschaftliche Entwicklungstendenzen. An erster Stelle sind die ökonomische Entwicklung und die Wohlstandvermehrung in breiten Teilen der Bevölkerung sowie die technische Entwicklung – insbesondere im Transportwesen zu nennen.

Die bundesrepublikanische Gesellschaft war – wie auch diejenige der meisten sog. Industrieländer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer Zunahme der verfügbaren Einkommen in allen Teilen der Bevölkerung gekennzeichnet (vgl. Abb. 14). Der Soziologe BECK (1986, S. 122) bezeichnete dieses Phänomen der Wohlstandszunahme der gesamten Gesellschaft als „FahrstuhleffektFahrstuhleffekt“, sprich allen Teilen der Bevölkerung geht es besser, auch wenn die Unterschiede bestehen bleiben.

Abb. 14:

Reallohnentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950 (Quelle: eigene Darstellung nach Daten Statistisches Bundesamt div. Jg.)

In den letzten Jahren zeichnet sich allerdings ein Einpendeln bzw. eine Stagnation auf einem hohen Wohlstandsniveau ab. Gleichzeitig lassen sich Anzeichen für eine zunehmende innergesellschaftliche Polarisierung und teilweise Marginalisierung von Bevölkerungsteilen in prekären Lebenssituationen finden. Allerdings gilt nach wie vor, dass insgesamt gesehen, ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland und den übrigen Industrieländern über Einkommen verfügt, die deutlich über dem Subsistenzniveau liegen und damit Ausgaben für nicht lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen ermöglicht.

Im Zusammenhang mit dem steigenden WohlstandsniveauWohlstandsniveau der Bevölkerung, aber auch der technischen Entwicklung steht die Verfügbarkeit von Transportmitteln. Neben der Eisenbahn als wichtigstes Transportmittel in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das private Automobil eine weite Verbreitung, sodass heute in etwa auf 2 Einwohner rechnerisch 1 Pkw kommt (vgl. Abb. 15).

Abb. 15:

Entwicklung der Zahl der zugelassenen PKW in der Bundesrepublik Deutschland seit 1950 (Quelle: eigene Darstellung nach Daten Statistisches Bundesamt div. Jg.)

In den letzten Jahren hat dann die technische Entwicklung im Flugzeugbau sowie seit den 1990er Jahren das Aufkommen von Low Cost CarriernLow Cost Carrier (vgl. Kap. 3.1.3) dazu geführt, dass dieser Verkehrsträger zunehmend an Bedeutung für Reisen gewonnen hat und sich damit auch die Reisereichweiten auf inzwischen 1.600 km pro Urlaubsreise signifikant erhöht haben (vgl. FUR 2014, S. 64).

In den letzten Jahren hat auch die Verbreitung des Internets zu einer Erleichterung der Reisebuchung geführt und kann damit als weiterer Facilitator für die touristische Nachfrageentwicklung angesehen werden (vgl. Kap. 3.1.4).

2.1.2 Nationale Nachfragekenngrößen

In der Bundesrepublik Deutschland stellt – mangels vergleichbarer, offizieller statistischer Informationen – die inzwischen von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und ReisenForschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FURFUR) jährlich durchgeführte ReiseanalyseReiseanalyse (RA) eine der wichtigsten Quellen für die Fassung des Reiseverhaltens der Bundesbürger dar.

Box 6 | Die Reiseanalyse Reiseanalyse (RA) der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR)

Die Reiseanalyse der FUR stellt aktuell sicherlich eine der wichtigsten Quellen für die Fassung von nachfrageseitigen Informationen zum Reisen der Bundesbürger dar.

Der zentrale Vorteil dieser ursprünglich vom Studienkreis für Tourismus in Starnberg durchgeführten Erhebung liegt darin, dass für manche Parameter Zeitreihen bereits seit 1954 vorhanden sind, und seit 1970 die Erhebung weitgehend nach dem gleichen Design durchgeführt werden, sodass viele Zeitreihen zumindest bis zu diesem Datum zurück reichen. Zusätzlich werden immer wieder ergänzende Aspekte (wie z. B. seit 2000 hinsichtlich der reisebezogenen Internetnutzung) in die Erhebung aufgenommen.

Die RA basiert seit 1970 auf Face-to-Face-Befragungen (inzwischen auch ergänzt durch Online-Befragungen) an einer für die Wohnbevölkerung in Deutschland repräsentativen Zufallsstichprobe von 7.000 bis 8.000 Personen (ab 14 Jahre, deutschsprachig). Unabhängig von manchen methodischen Fragen, wie z. B. der Abgrenzung von „deutschsprachiger“ Wohnbevölkerung bietet sie, da Fragenthemen und -formulierungen weitgehend stabil geblieben sind, umfassende Analysemöglichkeiten.

Die Erfassung der Reisetätigkeit des zurückliegenden Jahres wird jeweils im Januar/Februar des Folgejahres erhoben. Dabei wurden ursprünglich nur Urlaubsreisen mit mindestens 4 Übernachtungen (= 5 Reisetage) erfasst. Seit einigen Jahren werden darüber hinaus auch Kurzreisen unter 5 Tagen sowie Geschäftsreisen miterfasst.

Auch wenn sich bei dieser retrospektiven Erfassung für ein ganzes Jahr möglicherweise – z. B. im Vergleich zu einer monatlichen oder quartalsweisen Erhebung – systematische Unterschätzungen der erinnerten und dann bei der Befragung genannten (Kurz‑)Reisen vermuten lassen, stellt die RA zwar eine sicherlich nicht 100-prozentig genaue, aber eben die beste vorhandene Quelle für die Analyse der Nachfrageseite dar.