Völkerrecht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

I. Begriff

Dabei ist also zunächst der bewaffnete Angriff die zentrale Tatbestandsvoraussetzung. Wie der → Internationale Gerichtshof in seinem Urteil im Nicaragua-Fall im Jahre 1986 (ICJ Reports 1986, 14/103 f.) deutlich gemacht hat, zeichnet sich ein bewaffneter Angriff dadurch aus, dass er sowohl von seinem Ausmaß als auch von seinen Wirkungen her erhebliches Gewicht besitzt. Aus diesem Grund ist noch nicht jede Verletzung des → Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. als bewaffneter Angriff anzusehen. Denn Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. soll präventiv und umfassend die Anwendung von Gewalt vermeiden. Die Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Ch. stellt ihrerseits eine Anwendung von grundsätzlich zu vermeidender Gewalt dar, sodass die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung entsprechend eng gefasst werden müssen. Einigkeit besteht insofern, als dass der Angriff mittels Waffengewalt gegen einen anderen → Staat bzw. dessen Streitkräfte durchgeführt werden muss. Bei der Frage der Zurechnung deuten sich angesichts des internationalen Terrorismus Veränderungen an.

1. Bewaffnung

Erforderlich ist ein Vorgehen mit militärischen Mitteln. Klassischerweise wird hierunter die Verwendung von Streitkräften und ihren Waffengattungen zu verstehen sein. Sinn von Art. 51 UN-Ch. ist es, das Selbstverteidigungsrecht auf besonders gravierende Fälle zu beschränken. Wenn ein solcher Fall vorliegt, spielt es allerdings keine Rolle, mit welcher Art von Mitteln der Angriff durchgeführt wird. Daher dürften auch zivile Mittel, die zur Waffe pervertiert werden, dann einen bewaffneten Angriff auslösen, wenn sie in ihrer Wirkung militärischen Waffen gleichkommen. Das Lenken zweier ziviler Luftfahrtzeuge in ein Gebäude etwa erfüllt unproblematisch dieses Kriterium.

2. Angriffshandlungen

Der IGH wie auch die herrschende Meinung ziehen zur Konkretisierung dessen, was die Qualität des Angriffs ausmacht, regelmäßig die Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung (UN GA Res. 3314 (XXI) vom 14.12.1974) heran. Dabei ist freilich zu beachten, dass der dort benutzte Begriff der „Aggression“ nicht ganz deckungsgleich mit dem des „bewaffneten Angriffs“ in Art. 51 UN-Ch. ist. Indes bietet die Aggressionsdefinition starke Indizien für die Auslegung auch von Art. 51 UN-Ch. und ist vorbehaltlich einiger Modifikationen jüngst auch im IStGH-Statut zur Definition des Verbrechens der → Aggression aufgenommen worden. Insofern sind die in Art. 3 der Resolution genannten Angriffshandlungen signifikant: Invasion oder Besetzung durch fremde Streitkräfte, Beschießung oder Bombardierung fremden Gebiets, Blockade von Häfen und Küsten durch fremde Streitkräfte, direkter militärischer Angriff auf fremde Streitkräfte, Einsatz von Streifkräften, die sich zulässigerweise auf fremdem → Staatsgebiet befinden, unter Verstoß gegen Aufenthaltsbedingungen, Dulden einer Angriffshandlung fremder Streitkräfte von eigenem Territorium aus, Entsenden bewaffneter Banden, Freischärler und Söldner, wenn deren Handlungen mit den genannten Handlungen vergleichbar sind. Insbesondere kleinere Grenzgefechte dürften die Schwelle zum bewaffneten Angriff noch nicht überschreiten. Diskutabel scheint eine Einschränkung auch für die gezielte Befreiung eigener → Staatsangehöriger, möchte man eine solche Aktion ihrerseits nicht als gerechtfertigte Selbstverteidigung ansehen. Ferner entschied der IGH im Oil Platforms Case (ICJ Reports. 2003, 161/191 ff.), dass mehrere ungezielte Angriffe in Form von Seeminen und ungelenkten Raketen auf zivile Schiffe auch zusammengenommen noch keinen bewaffneten Angriff darstellten. Er deutete allerdings an, dass die (im Fall dem Iran nicht nachweisbare) Verminung eines Militärschiffes durchaus einen bewaffneten Angriff darstellen könnte (ICJ Reports. 2003, 161/195 f.).

II. Besondere Problemfelder

1. „Safe havens“ und terroristische Angriffe

Nach den Attentaten auf das World Trade Center am 11.9.2001 stellte sich unvermeidlich die Frage, wie mit Staaten zu verfahren ist, die internationalen Terroristen einen sicheren Rückzugsort („save haven“) bieten. Die schnelle Feststellung des UN-Sicherheitsrates, wonach die damals über Afghanistan herrschenden Taliban durch die Unterstützung der Al Quaida für deren bewaffneten Angriff auf die USA verantwortlich waren, kann insofern als richtungsweisend gelten. Der → Sicherheitsrat stellte fest, dass die Anschläge eine Bedrohung des Weltfriedens ausgelöst haben und verwies auf das Recht zur Selbstverteidigung (Res. 1368). Res. 1368 bildete aus Sicht der Alliierten die Grundlage für die „Operation Enduring Freedom“ in Afghanistan. Die Entsendung und Aufnahme von Terroristen können daher zu der Zurechnung eines bewaffneten Angriffs führen. Voraussetzung für eine Zurechnung des bewaffneten Angriffs der Terroristen ist aber, dass zwischen diesem und dem sie beherbergenden Staat eine dichte Verbindung besteht. Entsprechend zu den Feststellungen des IGH im Teheran-Hostage-Fall (ICJ Reports 1980, 106/35) könnte eine solche Verflechtung wohl auch dann angenommen werden, wenn sich ein Staat die Handlungen der Terroristen durch positive Äußerungen zu eigen macht. Diskutabel scheint zudem, einen bewaffneten Angriff dann anzunehmen, wenn etwa ein Staatsoberhaupt oder bedeutendes Regierungsmitglied mittels eines einem Fremdstaat zurechenbaren Anschlags angegriffen wird. Zu beachten ist in diesem Rahmen, dass die Zurechnungsschwelle bei Taten des internationalen Terrorismus aufgrund dessen weltweiter Ächtung und des daraus resultierenden Unterstützungsverbots niedriger anzusetzen ist als bei der Unterstützung bewaffneter Gruppen in einem anderen Staat.

2. Cyber Attacks

Schließlich wird heute intensiv diskutiert, ob sog. cyber attacks, also computergestützte Angriffe, auch einen bewaffneten Angriff darstellen können. Solche Angriffe dürften in Zukunft zunehmen, da sie im Vergleich zu kriegerischen Angriffen wenig Aufwand erfordern, aber erheblichen Schaden anrichten können. Als Beispiel mag das Computervirus „Stuxnet“ dienen, welches 2010 erfolgreich iranische Nuklearanlangen sabotierte. Die Schwelle zum bewaffneten Angriff ist bei einem solchen Vorgehen wohl überschritten, wenn in einem Vergleich zu einem Angriff mit konventionellen Waffen eine solche Handlung hinsichtlich der Auswirkungen als bewaffneter Angriff anzusehen wäre. Dies dürfte der Fall sein, wenn wichtige zivile oder militärische Infrastruktur erheblich betroffen ist, etwa die militärische Computersteuerung oder die Versorgung mit Elektrizität lahmgelegt wird. Rein netzintern bleibende Aktionen, wie etwa das sog. hacking, werden in aller Regel nicht als bewaffneter Angriff anzusehen sein.

3. Unterstützungshandlungen

Zudem können Formen indirekter Aggression, also die Unterstützung bewaffneter Angriffe durch Andere in einem fremdem Staat, dann einen bewaffneten Angriff darstellen, wenn dies nach Ausmaß und Wirkung einem direkten Angriff gleichkommt. Die Unterstützungshandlung muss damit eine höhere Schwelle überschreiten als die Zurechnung von Gewalt im Sinne von Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. Es geht regelmäßig um das Entsenden bewaffneter Banden oder Gruppen bzw. Söldner, die im Staatsauftrag Gewaltakte gegen andere Staaten oberhalb einer gewissen Erheblichkeitsschwelle durchführen (IGH, ICJ Reports 1986, 14/103 f.). Nicht ausreichend seien – so der IGH – jeweils die bloße Finanzierung und Ausrüstung der Rebellen bzw. entsprechender bewaffneter Banden. Vielmehr müssten diese als „verlängerter Arm“ des Staates in Erscheinung treten.

Der Staat im Hintergrund muss also eine Form von Tatherrschaft über die Aktionen der privaten Täter (sog. effective control) innehaben, was der IGH im Nicaragua-Fall für das Handeln der Kontrarebellen unter Anwendung dieses Kriteriums in Bezug auf die Vereinigten Staaten von Amerika ablehnte. Es sei für eine effective control nämlich erforderlich, dass die unterstützende Partei als ein Organ des Unterstützerstaates erscheine, etwa in der Form, dass eine vollständige Abhängigkeit bestehe. Für die Erfüllung dieses Kriteriums genügt es nicht, dass wesentliche Aktivitäten der Unterstützten ohne die Hilfestellung nicht möglich wären. Eine solche Kontrolle kann deswegen insbesondere dann abzulehnen sein, wenn die Beendigung der Unterstützung nicht zu einem Ende der Aktivitäten der unterstützten Gruppe führt. Natürlich kann eine Unterstützung unterhalb dieser Schwelle eine Verletzung des → Interventionsverbots darstellen. Der vom ICTY in der Rs. Tadic angewandte overall control-Test, dessen Voraussetzungen weniger streng sind, als die des effective control-Tests, dürfte auf die Zurechnung im Rahmen des Art. 51 UN-Ch. nicht angewandt werden können. Wie der IGH in dem Fall → Völkermord in Bosnien (ICJ Reports 1996, 595) verdeutlicht hat, ist dieser Test wegen seiner erheblichen Breite auf Fragen der Staatenverantwortlichkeit nicht übertragbar.

III. Fazit

Ein bewaffneter Angriff bedeutet die gegen einen anderen Staat oder dessen Streitkräfte gerichtete Handlung, die mit militärischen zumindest gleichkommenden Mitteln durchgeführt wird und von erheblichem Ausmaß bzw. mit Wirkungen von erheblichem Gewicht ist.

 

B › Bundesstaat (im Völkerrecht) (Burkhard Schöbener)

Bundesstaat (im Völkerrecht) (Burkhard Schöbener)

I. Begriff des Bundesstaates

II. Völkerrechtssubjektivität des Gesamtstaates

III. Völkerrechtssubjektivität der Gliedstaaten

Lit.:

R. Bernhardt, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge im Bundesstaat, 1957; D. Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge, 1972; B. Fassbender, Der offene Bundesstaat, 2007; W. Graf Vitzthum, Der Föderalismus in der europäischen und internationalen Einbindung der Staaten, AöR 115 (1990), 281.

I. Begriff des Bundesstaates

Unter einem Bundesstaat versteht man einen Gesamtstaat, der sich aus mehreren Gliedstaaten zusammensetzt. Aus staatsrechtlicher Sicht besitzen sowohl der Gesamtstaat (Bund) als auch die Gliedstaaten (Länder) eine eigene, originäre Staatlichkeit. Das bedeutet, der Bund und die Länder sind zur Ausübung von Hoheitsgewalt über die Bevölkerung innerhalb ihres Territoriums berechtigt, ohne dass diese Kompetenz zunächst von den Gliedstaaten auf den Gesamtstaat bzw. vom Gesamtstaat auf die Gliedstaaten delegiert werden müsste. Es kommt zu einer Auffächerung der → Staatsgewalt in eine Zentral- und eine Gliedstaatengewalt (doppelte Staatlichkeit), die allerdings nicht unabhängig voneinander bestehen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Die Abgrenzung der Aufgabenbereiche und Kompetenzen obliegt der jeweiligen Verfassung des Bundesstaates. Die genaue Aufteilung wird in jedem Bundesstaat anders vorgenommen, so dass die Bundesstaatlichkeit jeweils unterschiedlich geprägt ist. Dennoch sind einige Regelungen typischerweise in Bundesverfassungen enthalten. Die Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen wird in der Regel dem Bund übertragen. Zudem werden dem Bund gewöhnlich gewisse Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtslage in den Ländern gegeben, um einen Mindeststandard an Homogenität, nicht aber eine Uniformierung innerhalb des Gebietes des Gesamtstaates gewährleisten zu können. Für eine bundesstaatliche Staatsform haben sich u. a. die Bundesrepublik Deutschland, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Schweiz entschieden.

Abzugrenzen ist der Typus des Bundesstaates zum Einheitsstaat auf der einen und zum Staatenbund auf der anderen Seite. Der Einheitsstaat bzw. Zentralstaat verfügt nur über eine einheitliche Staatsgewalt. Zwar können auch in einem Einheitsstaat viele Aufgaben von rechtlich selbstständigen Körperschaften mit Selbstverwaltungsbefugnissen wahrgenommen werden (sog. Dezentralisation). Die entsprechenden Kompetenzen werden den Körperschaften aber vom Einheitsstaat verliehen und können daher theoretisch auch wieder zurückgeholt werden. Ein „klassisches“ Beispiel für einen Einheitsstaat bildet die Republik Frankreich. Ein Staatenbund wird wie ein Bundesstaat (→ Staatenverbindungen) aus mehreren → Staaten gebildet, ohne dass diese einen Gesamtstaat schaffen. Der Staatenbund erlangt keine übergeordnete Staatsgewalt, sondern verfügt lediglich über von seinen Mitgliedstaaten abgeleitete Kompetenzen. Die wichtigste Erscheinungsform einer Staatenverbindung bilden heute die → Internationalen Organisationen; historisch war vor allem der Deutsche Bund (1815 – 1866) typusprägend.

II. Völkerrechtssubjektivität des Gesamtstaates

Aus der Perspektive des Völkerrechts wird der Bundesstaat wie ein Einheitsstaat behandelt und prinzipiell nur der Gesamtstaat als Völkerrechtssubjekt angesehen. Die → Völkerrechtssubjektivität des Bundesstaates besteht originär und absolut, also unabhängig von einer Anerkennung durch andere Staaten (h.M.). Als natürliches Subjekt des Völkerrechts ist er zur Wahrnehmung sämtlicher völkerrechtlich anerkannter Rechte und Pflichten berechtigt. Er ist auf völkerrechtlicher Ebene u. a. der Inhaber der → Gebietshoheit über das gesamte Gebiet des Bundesstaates und übt die Personalhoheit über seine Staatsangehörigen aus. Für die völkerrechtliche Rechtsordnung ist die innerstaatliche Rechtslage in der Regel ohne Bedeutung; die umfassende Völkerrechtsfähigkeit des Bundesstaates erfährt z. B. keine Minderung, wenn die Bundesverfassung dem Gesamtstaat innerstaatlich Beschränkungen auferlegt hat. Dementsprechend kann ein Bundesstaat gegenüber seinen Vertragspartner auch nicht die Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung unter Berufung auf sein innerstaatliches Recht verweigern (vgl. Art. 27 S. 1 WVRK). Das gilt auch für die Fälle, in denen der Gesamtstaat die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtung nicht selbst gewährleisten kann, weil sie innerstaatlich dem Zuständigkeitsbereich der Gliedstaaten unterfällt. Die innerstaatliche Rechtslage findet allerdings ausnahmsweise Berücksichtigung, wenn eine sog. Bundesstaatsklausel in einen völkerrechtlichen Vertrag aufgenommen wurde. Eine solche Klausel kann z. B. eine Reduktion der völkerrechtlichen Verpflichtungen des Gesamtstaates im Falle einer innerstaatlichen Zuständigkeit der Gliedstaaten auf eine bloße Unterrichtungspflicht vorsehen. Eine solche Regelung enthält z. B. Art. 34 des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (Welterbekonvention, Sart. II, Nr. 410).

III. Völkerrechtssubjektivität der Gliedstaaten

Die Gliedstaaten besitzen hingegen grundsätzlich keine Völkerrechtssubjektivität. Sie können allerdings in der Bundesverfassung dazu ermächtigt werden, als selbstständige Träger von Rechten und Pflichten am Völkerrechtsverkehr teilzunehmen, indem ihnen die Befugnis zur eigenständigen Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten zugewiesen ist. Auf der Grundlage dieser Ermächtigung können sie eine partielle Völkerrechtssubjektivität erlangen, nicht jedoch eine umfassende Völkerrechtsfähigkeit wie sie der Gesamtstaat besitzt.

Eine solche Ermächtigung sieht z. B. das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art. 32 Abs. 3 GG vor. Danach sind die Bundesländer mit Zustimmung des Bundes zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge berechtigt, wenn der Vertragsinhalt innerstaatlich dem Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfällt (→ auswärtige Gewalt). Sollten die Länder auf der Grundlage dieser Vertragsschlusskompetenz einen völkerrechtlichen Vertrag mit Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten geschlossen haben, erlangen sie eine von ihren Vertragspartnern abgeleitete Völkerrechtssubjektivität. Die Völkerrechtssubjektivität wirkt allerdings nur relativ im Verhältnis zu den Vertragspartnern und nicht gegenüber am Vertragsschluss nicht beteiligten Staaten. Der Umfang der Völkerrechtsfähigkeit ist zudem auf die Wahrnehmung der im Vertrag konkret verliehenen völkerrechtlichen Rechte und Pflichten beschränkt. Der Gliedstaat ist somit z. B. nicht berechtigt, sich gegenüber seinem Gesamtstaat auf das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten zu berufen.

D Inhaltsverzeichnis

De facto-Regime, stabilisiertes

Diplomatenrecht

Diplomatischer Schutz

D › De facto-Regime, stabilisiertes (Christian Raap)

De facto-Regime, stabilisiertes (Christian Raap)

I. Beispiele

II. Rechtliche Einordnung

III. Völkerrechtliche Rechte und Pflichten

Lit.:

J.A. Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Rechtsstellung „nichtanerkannter Staaten“ und ähnlicher Gebilde, 1968; ders., De facto Régime, EPIL I, 1992, 966; ders., De Facto Regime, EPIL II, 2012, 1052; S. Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten: Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern, 2006; S. Turmanidze, Status of the De Facto State in Public International Law. A Legal Appraisal of the Principle of Effectiveness, Diss. Hamburg, 2010.

Ein stabilisiertes de facto-Regime ist ein Gemeinwesen, das ein Territorium über einen längeren Zeitraum effektiv beherrscht, ohne → Staat im Sinne des Völkerrechts zu sein. Es wird als beschränktes → Völkerrechtssubjekt angesehen.

I. Beispiele

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es de facto-Regime nur vereinzelt (z. B. die „Konföderierten Staaten von Amerika“ [1861 – 1865], das „Kaiserreich Mandschukuo“ in Nordostchina [1932 –1945], von der nationalen Koalition beherrschte Gebiete im Spanischen Bürgerkrieg [1936 – 1939]). Seither tritt dieses Phänomen vermehrt auf. Als wichtige Beispiele sind die „Republik China“ auf der Insel Taiwan (seit 1972), die DDR auf dem Gebiet des 1945 nicht untergegangenen Deutschen Reiches (von 1949 bis zu ihrer Aufnahme in die → Vereinten Nationen 1972), die „Demokratische Republik Vietnam“ (Nordvietnam, 1954 – 1976), die „Türkische Republik Nordzypern“ (seit 1983) und die „Republik Somaliland“ (seit 1991) zu nennen. Hinzugekommen sind auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion die „Republik Abchasien“ (seit 2008) und die „Republik Südossetien“ (seit 2008), die „Republik Bergkarabach“ (seit 1991) und die „Transnistrische Moldauische Republik“ (Transnistrien, seit 1992). Schließlich war das sog. Taliban-Regime, das von 1996-2001 weite Teile Afghanistans beherrschte, ein stabilisiertes de facto-Regime.

II. Rechtliche Einordnung

Ein stabilisiertes de facto-Regime kennzeichnet, dass es ein bestimmtes Territorium beherrscht und sein Anspruch, Staat zu sein, nicht oder nicht allgemein anerkannt wird (daher findet sich in der Literatur auch die Bezeichnung „nichtanerkannter Staat“). Es entsteht infolge eines Bürgerkrieges (→ Kriegsrecht [Recht der bewaffneten Konflikte]) oder durch eine tatsächliche Abspaltung von einem anderen Staatsverband.

Das de facto-Regime genügt nicht vollumfänglich den an einen Staat gestellten Anforderungen, weil zumindest einzelne der für einen Staat konstitutiven drei Elemente (→ Staatsgebiet, → Staatsvolk, → Staatsgewalt) nur unzureichend ausgeprägt sind. Dies liegt zumeist daran, dass ein Großteil anderer Staaten die Staatlichkeit des Herrschaftsverbandes bestreitet. Die anderen Staaten verurteilen die Abspaltung und missbilligen sonst die Art der Entstehung. Auf die → Anerkennung als Staat kommt es indes nicht an. Wenn ein Herrschaftsverband vollumfänglich die Staatsmerkmale nach der Drei-Elementen-Lehre erfüllt, ist er Staat im völkerrechtlichen Sinn. Die Anerkennung, zu der keine Pflicht besteht, wirkt daher nur deklaratorisch (h.M.). Die Staatspraxis zeigt, dass ein de facto-Regime unbeschadet der kollektiven Nichtanerkennung durch die → Staatengemeinschaft keinesfalls als juristisches nullum angesehen werden kann; es steht nicht im rechtsfreien Raum. Ihm kommt deshalb eine beschränkte Völkerrechtssubjektivität zu.

 

Ein de facto-Regime endet, wenn es die Herrschaft über das Territorium wieder verliert oder sich im Laufe der Zeit zu einem Staat im Rechtssinne entwickelt.