Völkerrecht

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2. Berechtigter

Zur Verhängung einer Gegenmaßnahme ist grundsätzlich nur der Staat berechtigt, der selbst in einer sich aus dem Völkerrecht ergebenden Rechtsposition verletzt wird. Handelt es sich bei der verletzten Völkerrechtsnorm um eine solche, die → erga omnes-Pflichten normiert, dann dürfen auch die insoweit nicht unmittelbar betroffenen Staaten Gegenmaßnahmen ergreifen. Die GV-Res. 56/83 zur Staatenverantwortlichkeit räumt in Art. 48 dem Dritten aber lediglich das Recht ein, von dem Verletzerstaat die Einstellung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und die Erfüllung seiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung zu fordern.

3. Adressat

Gegenmaßnahmen dürfen nur gegen den das Völkerrecht verletzenden Staat und in der Absicht vorgenommen werden, diesen zur Erfüllung der sich aus seiner Völkerrechtsverletzung ergebenden Pflichten zu veranlassen.

III. Grenzen (Repressalienverbot)

Grundsätzlich kommen als Gegenmaßnahmen alle staatlichen Handlungen in Betracht. Art. 50 enthält allerdings eine Auflistung bestimmter Verpflichtungen, deren Beeinträchtigung im Zuge von Gegenmaßnahmen nicht erlaubt ist. Diese Verpflichtungen ergeben sich insb. aus dem → universellen Gewaltverbot (Art. 50 Abs. 1 lit. a), der Verpflichtung zum Schutz fundamentaler Menschenrechte (Art. 50 Abs. 1 lit. b, → menschenrechtlicher Mindeststandard) und den anderen zwingenden Normen des Völkerrechts (Art. 50 Abs. 1 lit. d, → ius cogens), die Werte und Interessen schützen, deren Erhaltung wichtiger ist als das Interesse eines Staates an der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Verletzerstaat.

Daneben kennt v.a. das humanitäre Völkerrecht besondere Repressalienverbote (vgl. Art. 50 Abs. 1 lit. c), die den Schutz bestimmter Personen – z. B. Zivilpersonen und Kriegsgefangene (vgl. nur Art. 51 Abs. 6 ZP I zu den Genfer Abkommen, Art. 13 Abs. 4 des III. Genfer Abk.) – sowie spezifischer Objekte und Rechtsgüter (vgl. dazu Art. 52 Abs. 1, Art. 53 lit. c, Art. 54 Abs. 4, Art. 55 Abs. 2 ZP I zu den Genfer Abk.) bezwecken.

Zudem sind einzelne Teilbereiche des Völkerrechts als → self contained régime ausgestaltet, was ausnahmsweise zu einer Beschränkung auf die nach dem besonderen Regelwerk zur Verfügung stehenden spezifischen Sanktionsformen führt. Art. 55 erfasst diese Rechtskonstruktion unter dem Aspekt des lex specialis-Grundsatzes. Als self contained régime ist insbesondere das → Diplomatenrecht (Art. 50 Abs. 2 lit. b) anerkannt. Dasselbe gilt für die in Menschenrechtsabkommen enthaltenen rechtsförmigen Streitbeilegungsverfahren (vgl. Art. 50 Abs. 2 lit. a, z. B. Anrufung des → EGMR), die einen Rückgriff auf das allgemeine Recht der → völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ausschließen. Eine Anwendung des allgemeinen Repressalienrechts bleibt jedoch bei Subsystemen möglich, die keine umfassenden und abschließenden Regeln zur Staatenverantwortlichkeit enthalten.

IV. Abgrenzung

Die Gegenmaßnahme (Repressalie) ist abzugrenzen von der Retorsion, einem weiteren Mittel der staatlichen Selbsthilfe. Die Retorsion stellt keinen rechtswidrigen, wohl aber einen „unfreundlichen Akt“ dar. Sie setzt mithin kein völkerrechtliches Delikt des Retorsionsadressaten voraus, sondern kann als Reaktion auf jede unfreundliche, also auch völkerrechtskonforme Handlung eines anderen Staates erfolgen. Sie ist deshalb erst recht zulässig, wenn sie darauf gerichtet ist, den anderen Staat zur Beendigung seines völkerrechtswidrigen Handelns zu veranlassen. Retorsionsmaßnahmen sind nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Ein klassisches Beispiel ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

G › Generalversammlung (Martin Winkler)

Generalversammlung (Martin Winkler)

I. Zusammensetzung

1.Mitgliedschaft

2.Beobachterstatus

II. Verfahren

III. Grundsatz der umfassenden Zuständigkeit

1.Allgemeines

2.Entwicklung sowie Kodifizierung des Völkerrechts

3.Verwirklichung der Menschenrechte

4.Generalversammlung und Friedenssicherung

IV. Organisationsrechtliche Aufgaben

V. Rechtliche Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung

VI. Organisatorische Struktur

Lit.:

S. D. Bailey, The General Assembly of the United Nations, 2. Aufl. 1978; G. Nolte (Ed.), Peace through International Law: The Role of the International Law Commission, 2009; M. Payandeh, Einführung in das Recht der Vereinten Nationen, Jus 2012, 506.

I. Zusammensetzung

1. Mitgliedschaft

Die Generalversammlung ist das Repräsentativorgan der UNO. Gemäß Art. 9 Abs. 1 UN-Ch. besteht die Generalversammlung aus allen Mitgliedern der → Vereinten Nationen. Nach Art. 18 Abs. 1 UN-Ch. hat jeder Mitgliedstaat in der Generalversammlung eine Stimme („one state, one vote“). Allerdings hat jedes Mitglied höchstens fünf Vertreter in der Generalversammlung (Art. 9 Abs. 2 UN-Ch.). Jede Delegation von Staatenvertretern muss zu Beginn einer Tagung ihr Mandat nachweisen, wobei die Prüfung nach Regel 27 der Verfahrensordnung der Generalversammlung anhand formaler Kriterien durch den Mandatsprüfungsausschuss erfolgt. Obwohl diese formalen Kriterien im Fall der Staatenvertreter Südafrikas während der Apartheid-Ära erfüllt waren, weigerte sich die Generalversammlung deren Mandat anzuerkennen mit der Begründung, dass das Mandat von einer rassistischen Minderheitsregierung ausgestellt worden sei. Die Zulässigkeit dieser Praxis ist umstritten. Entscheidend spricht dagegen, dass die Generalversammlung nach Art. 5 UN-Ch. nur auf Empfehlung des → UN-Sicherheitsrates und nur unter bestimmten Voraussetzungen einem Mitgliedstaat die Rechte aus seiner Mitgliedschaft, zu denen auch die Entsendung von Vertretern in die Generalversammlung zählt, zeitweilig entziehen darf. Ein ohne vorherige Empfehlung des UN-Sicherheitsrats beschlossener Entzug von Rechten eines Mitgliedstaates ist dagegen in der UN-Charta nicht vorgesehen.

2. Beobachterstatus

Die Generalversammlung gewährt einer Reihe von nicht-staatlichen → Völkerrechtssubjekten den Beobachterstatus in ihren Sitzungen, z. B. der Europäischen Union und der Arabischen Liga. Die Befreiungsbewegung PLO (Palestine Liberation Organization) erhielt von der Generalversammlung durch die Resolution 67/19 vom 29.11.2012 den Status eines nichtmitgliedschaftlichen Beobachter-Staates. Dabei dürfte es sich um eine politisch motivierte Vorgehensweise handeln, die von der rechtlichen Anerkennung des Staates Palästina zu unterscheiden ist.

II. Verfahren

Nach Art. 18 Abs. 2 UN-Ch. bedürfen Beschlüsse der Generalversammlung über wichtige Fragen einer Zweidrittelmehrheit. Zu den wichtigen Fragen zählen insbesondere organisationsrechtliche Beschlüsse und Empfehlungen im Bereich der Friedenssicherung. Beschlüsse über andere Fragen bedürfen gemäß Art. 18 Abs. 3 UN-Ch. einer einfachen Mehrheit.

III. Grundsatz der umfassenden Zuständigkeit

1. Allgemeines

Nach Art. 10 UN-Ch. kann die Generalversammlung alle chartarelevanten Fragen und Angelegenheiten erörtern und dazu Empfehlungen abgeben, wobei dies nach Art. 2 Ziff. 7 UN-Ch. nicht für Fragen und Angelegenheiten gilt, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören (→ Interventionsverbot). Diese umfassende Zuständigkeit der Generalversammlung wird in den Art. 11, 13 und 14 UN-Ch. näher konkretisiert.

 

2. Entwicklung sowie Kodifizierung des Völkerrechts

Besonders hervorzuheben ist die in Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Ch. verankerte Aufgabe der Generalversammlung, die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts sowie seine Kodifizierung zu begünstigen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedient sich die Generalversammlung der UN-Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC). Als Nebenorgan der Generalversammlung besteht diese aus 34 unabhängigen Völkerrechtsexperten und befasst sich vorwiegend mit Themen, die noch wenig normiert sind. Ihre Entwürfe in Form von Artikeln (draft articles) werden der Generalversammlung vorgelegt und dann oftmals von dieser den Mitgliedstaaten zur Zeichnung und Ratifikation empfohlen. So ist beispielsweise die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK; Sart. II, Nr. 320) entstanden.

3. Verwirklichung der Menschenrechte

Weiterhin ist der Generalversammlung nach Art. 13 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 iVm. Art. 55 ff. UN-Ch. die Aufgabe übertragen, zur Verwirklichung der Menschenrechte beizutragen. Ein wesentlicher Meilenstein ihrer Arbeit im Bereich der Menschenrechte ist insbesondere die → Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948.

4. Generalversammlung und Friedenssicherung

Schließlich stellt Art. 11 Abs. 1 UN-Ch. klar, dass sich die Generalversammlung mit den „allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einschließlich der Grundsätze für die Abrüstung und Rüstungsregelung befassen“ und „in Bezug auf diese Grundsätze Empfehlungen an die Mitglieder oder den Sicherheitsrat oder an beide richten“ kann. Eine Ausnahme davon und von der oben beschriebenen umfassenden Zuständigkeit der Generalversammlung sieht Art. 12 UN-Ch. zugunsten einer primären, aber nicht ausschließlichen Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats für den Fall vor, dass dieser in einer Streitigkeit oder einer Situation die ihm zugewiesenen Aufgaben der Friedenssicherung wahrnimmt. In diesem Fall darf die Generalversammlung nach Art. 12 Abs. 1 UN-Ch. keine Empfehlungen mehr abgeben, es sei denn auf Ersuchen des UN-Sicherheitsrats. Die in Art. 12 Abs. 1 UN-Ch. enthaltene Formulierung der „Wahrnehmung der Aufgaben“ lässt dabei mehrere Interpretationen zu: Eine formale Sichtweise lässt es genügen, dass der UN-Sicherheitsrat die Streitigkeit oder Situation auf seine Agenda setzt. Demgegenüber überwiegt in der Praxis der Generalversammlung in Abweichung vom geltenden Text des Art. 12 UN-Ch. eine eher enge Sichtweise der Aufgabenwahrnehmung des Sicherheitsrates, wonach die Generalversammlung befugt ist, auch zu Gegenständen, die der Sicherheitsrat aktiv behandelt, Empfehlungen abzugeben. Proteste des UN-Sicherheitsrates gegen diese Praxis sind nicht bekannt geworden. Weiterhin hat die Generalversammlung in der → Uniting for Peace-Resolution die Ansicht vertreten, dass die Verhinderung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats aufgrund des Vetorechts seiner ständigen Mitglieder als Nichtwahrnehmung seiner Aufgaben iSv. Art. 12 UN-Ch. anzusehen sei, mit der Folge, dass die darin enthaltene Sperrwirkung nicht eintrete.

IV. Organisationsrechtliche Aufgaben

Im organisationsinternen Bereich ist die Generalversammlung zusammen mit dem UN-Sicherheitsrat für die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern sowie die Suspendierung ihrer Rechte zuständig (Art. 4 – Art. 6 UN-Ch.). Weiterhin wählt die Generalversammlung die nichtständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (Art. 23 UN-Ch.), die Mitglieder des → Wirtschafts- und Sozialrats (Art. 61 UN-Ch.) und einen Teil der Mitglieder des Treuhandrates (Art. 86 UN-Ch.) sowie gemeinsam mit dem UN-Sicherheitsrat die Mitglieder des → IGH (Art. 8 IGH-Statut). Schließlich prüft und genehmigt die Generalversammlung nach Art. 17 Abs. 1 IGH-Statut den Haushaltsplan der UNO.

V. Rechtliche Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung

Die in Wahrnehmung der Aufgaben nach Art. 10 – Art. 14 UN-Ch. ergangenen Resolutionen der Generalversammlung haben als bloße „Empfehlungen“ für die Mitgliedstaaten keinen verbindlichen Charakter. Nichtsdestotrotz sind diese Resolutionen der Generalversammlung rechtlich nicht bedeutungslos, sofern sie eine entsprechende Rechtsüberzeugung dokumentieren. Demzufolge können sie durchaus, sofern die übrigen Entstehungsvoraussetzungen erfüllt sind, zur Entstehung von → Völkergewohnheitsrecht beitragen. (Zur rechtlichen Einordnung der Resolutionen der Generalversammlung vgl. → Uniting for Peace-Resolution).

VI. Organisatorische Struktur

Um die aus ihrer umfassenden Zuständigkeit fließenden vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, hat die Generalversammlung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2, Art. 22 UN-Ch. Nebenorgane in Form von sechs Hauptausschüssen eingesetzt. Diese Hauptausschüsse haben den Auftrag, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu behandeln und die endgültige Entscheidung der Generalversammlung vorzubereiten. Es sind dies: der Ausschuss für Abrüstung und internationale Sicherheit (Erster Ausschuss); der Wirtschafts- und Finanzausschuss (Zweiter Ausschuss); der Ausschuss für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen (Dritter Ausschuss); der Ausschuss für besondere politische Fragen und Entkolonialisierung (Vierter Ausschuss); der Verwaltungs- und Haushaltsausschuss (Fünfter Ausschuss) sowie der Rechtsausschuss (Sechster Ausschuss). Außerdem existieren zwei Ständige Ausschüsse in Form des Beratenden Ausschusses für Verwaltungs- und Haushaltsfragen und des Beitragsausschusses. Weiterhin gibt es zwei Verfahrensausschüsse: den Präsidialausschuss und den Mandatsprüfungsausschuss. Schließlich hat die Generalversammlung eine große Zahl sonstige Spezialorgane. Dazu zählen u. a. die UN-Völkerrechtskommission (ILC) und die Kommission für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL).

G › Gewaltverbot, universelles (Burkhard Schöbener)

Gewaltverbot, universelles (Burkhard Schöbener)

I. Allgemeines

II. Historische Entwicklung

III. Anwendungsbereich

1.Normadressaten

2.Anwendung/Androhung von Gewalt

a)Beschränkung auf Waffengewalt

b)Direkte/indirekte Gewalt

c)Intervention auf Einladung

d)Androhung von Gewalt

3.Problemfälle des Gewaltbegriffs

a)Wirtschaftlicher/politischer Zwang

b)Nichtmilitärischer physischer Zwang

c)„Cyber attacks“

4.Zwischenstaatliche Dimension

5.Irrelevanz der Merkmale „territoriale Integrität“ und „politische Unabhängigkeit“

IV. Ausnahmen

Lit.:

O. Corten, The Controversies over the Customary Prohibition on the Use of Force: A Methodological Debate, EJIL 16 (2005), 803; R.M. Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, 1970; V. Epping, Die Evakuierung deutscher Staatsbürger im Ausland, AöR 124 (1999), 423; C.D. Gray, International Law and the Use of Force, 2008; J. Green, The Threat of Force as an Action in Self-defense under International Law, VJTL 44 (2011), 285; W. Heintschel von Heinegg, Informationskrieg und Völkerrecht – Angriffe auf Computernetzwerke in der Grauzone zwischen nachweisbarem Recht und rechtspolitischer Forderung, FS für K. Ipsen, 2000, 523; C. Kreß, Die Rettungsoperation der Bundeswehr in Albanien am 14. März 1997 aus völker- und verfassungsrechtlicher Sicht, ZaöRV 57 (1997), 329; D. Schindler, Die Grenzen des völkerrechtlichen Gewaltverbots, 1986.

I. Allgemeines

Das universelle Gewaltverbot konkretisiert die Pflicht zur Erhaltung des Weltfriedens. Es verbietet weltweit, Konflikte mit militärischer Gewalt auszutragen. Völkerrechtlich verbindlich normiert wurde das Verbot mit der Gründung der → Vereinten Nationen in Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch.; es gilt auch als → Völkergewohnheitsrecht. Zudem ist es Bestandteil des → ius cogens und begründet eine → erga omnes wirkende Verpflichtung.

II. Historische Entwicklung

Das Gewaltverbot hat sich als Ergebnis einer längeren Entwicklung des Völkerrechts herausgebildet. War im Mittelalter nur der „gerechte Krieg“ (bellum iustum), d. h. die Kriegführung aus „gerechtem Grund“ (iusta causa) und in „rechter Absicht“ (intentio recta) erlaubt, sahen die Fürsten der nach dem Westfälischen Frieden von 1648 aufkommenden → Staaten die freie Kriegführung als Ausdruck staatlicher → Souveränität und damit als ihr jederzeitiges Recht an (ius ad bellum). Erste Beschränkungen des freien Kriegführungsrechts enthielten die 1899 und 1907 entstandenen Haager Abkommen (benannt nach dem Ort ihres Abschlusses, Den Haag). Sie schafften das „Recht zum Krieg“ zwar nicht ab (eine Ausnahme bildet das II. Haager Abkommen, betreffend die Beschränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden, sog. Drago-Porter-Konvention, von 1907); insbesondere die im Anhang des IV. Haager Abkommens von 1907 enthaltene Haager Landkriegsordnung kodifizierte aber Regeln der Kriegsführung (ius in bello). Durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges sahen sich die Staaten dazu veranlasst, die Eindämmung zwischenstaatlicher Gewalt voranzutreiben. Die Völkerbundsatzung von 1919 unterwarf das staatliche Kriegführungsrecht dann bestimmten Verfahrensregeln, enthielt aber noch kein allgemeines Kriegsverbot. Ein solches wurde erst in das sog. Genfer Protokoll von 1924 aufgenommen; das Protokoll trat aber nie in Kraft. Eine revolutionäre Neuerung brachte der Briand-Kellogg-Pakt vom 27.8.1928, in dem die Vertragspartner erstmals erklärten, auf ihr souveränes Recht der Kriegführung als Werkzeug nationaler Politik verzichten zu wollen. Ihr Recht auf → Selbstverteidigung blieb selbstverständlich erhalten. Das damit normierte, von fast allen Staaten der Welt völkerrechtlich verbindlich akzeptierte ius contra bellum bezog sich jedoch allein auf den „Krieg“, nicht auf sonstige Formen der militärischen Gewaltanwendung. Das ermöglichte es den an der jeweiligen Auseinandersetzung beteiligten Staaten – wie etwa Japan und China im Mandschurei-Konflikt 1931/32 –, ihren unter Anwendung von Waffengewalt ausgetragenen Konflikt als „bewaffnete Repressalie“ zu deklarieren, die aber nicht von einem Willen zum Krieg (animus belli gerendi) getragen war. Außerdem sah der Briand-Kellogg-Pakt keine expliziten Sanktionen für den Fall vor, dass ein Staat den Pakt verletzen sollte.

 

III. Anwendungsbereich

Ein umfassendes Gewaltverbot ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. aufgenommen worden. Die Vorschrift lautet: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

1. Normadressaten

Das Verbot aus Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. gilt vertragsrechtlich ausdrücklich nur für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Aus dem völkergewohnheitsrechtlichen Verbot sind hingegen alle Staaten verpflichtet, d. h. auch solche, die nicht UN-Mitglieder sind. Auf eine → Anerkennung des Staates kommt es nicht an. Es macht zudem keinen Unterschied, wenn mehrere Staaten ihre Gewaltaktion gemeinsam im Rahmen einer → Internationalen Organisation (z. B. der → NATO) durchführen; neben die Verantwortlichkeit der einzelnen Staaten tritt dann allerdings zusätzlich die Verantwortlichkeit dieser Organisation. Das völkergewohnheitsrechtliche Gewaltverbot bindet zudem ein → stabilisiertes De facto-Regime; auch dieses kann sowohl gegen das Gewaltverbot verstoßen als auch Opfer eines Verstoßes werden. Nichts anderes gilt grundsätzlich für den failed state (→ Staatsgewalt), da dessen → Völkerrechtssubjektivität weiterhin besteht. Allerdings ist bei einer vom Territorium des failed state ausgehenden militärischen Aktion genau zu differenzieren, welche Gruppierung die Maßnahme zu verantworten hat – die noch residual vorhandenen staatlichen Einheiten oder organisierte nicht-staatliche Einheiten (Warlords). Nur für erstere ist die Zurechnung ihres Handelns zum (gescheiterten) Staat eindeutig. Bei Aufständischen, deren Rebellion letztlich erfolgreich durch Übernahme der Staatsgewalt oder Gründung eines eigenen Staates abgeschlossen wird, kommt es nach den Grundsätzen der → völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zu einer „nachträglichen“ Zurechnung zu dem jeweiligen Staat (vgl. Art. 10 der GV-Res. 56/83 zur Staatenverantwortlichkeit).

Private (Personen und Organisationen) sind nicht Verpflichtete des universellen Gewaltverbotes. Das hat vor allem historische Gründe, da das (vorherige) Kriegsverbot an eine militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten (Krieg) anknüpfte; die Handlungen Privater sind nur dann völkerrechtlich relevant, wenn sie einem Staat zugerechnet werden können. Die Zurechnung erfolgt grundsätzlich nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit (→ Verantwortlichkeit, völkerrechtliche). Im Nicaragua-Fall (Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Reports 1986, 14) hat der → IGH eine derartige Zurechnung unter der Voraussetzung vorgenommen, dass der Staat die „effektive Kontrolle“ über die Guerillakämpfer hatte. Angesichts der Terroranschläge vom 11.9.2001, die in ihrer Qualität durchaus einem militärischen staatlichen Angriff gleichkamen, ist zudem eine Zurechnung auf den Staat erfolgt, der den Terroristen einen „sicheren Hafen“ (safe haven) zur Vorbereitung ihrer Aktionen geboten oder ihnen nach den Gewaltmaßnahmen eine Rückzugsmöglichkeit und Unterschlupf gewährt hat. In diesem Fall sind die terroristischen Handlungen dem „Hafen-Staat“ zudem als → „bewaffneter Angriff“ zuzurechnen, so dass das → Recht zur Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Ch.) des angegriffenen Staates ausgelöst wird. Die zunehmende Gewaltausübung im internationalen Bereich durch nichtstaatliche oder parastaatliche Organisationen, insbesondere durch Terrorgruppen, wirft vor dem Hintergrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Handlungszurechnung allerdings die Frage auf, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen auch Private als Verpflichtungsadressaten des universellen Gewaltverbotes in Betracht kommen sollten.