Völkerrecht

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5. Autoritative/authentische Auslegung der UN-Charta



Im Übrigen besitzt die Generalversammlung auch keine Befugnis zur

autoritativen Auslegung

 (der einzelnen Prinzipien) der UN-Charta. Eine solche Befugnis zur einseitigen und für alle anderen Rechtsanwender verbindlichen Norminterpretation durch ein Vertragsorgan sieht das Völkerrecht nur selten vor (z. B. Art. IX Abs. 2 S. 1 WTO-A) und ergibt sich im vorliegenden Zusammenhang weder unmittelbar aus dem Wortlaut der UN-Charta noch aus der organschaftlichen Stellung oder der Funktion der Generalversammlung als einziges alle Mitglieder repräsentierendes Organ der Vereinten Nationen. Irrelevant ist zudem die

authentische Auslegung

 gem. Art. 31 Abs. 1 lit. a und b WVRK, da es regelmäßig an einer späteren Übereinkunft oder späteren Übung bei der Anwendung des Vertrages durch alle Vertragsparteien fehlen wird. Eine rechtlich unverbindliche Resolution der Generalversammlung erfüllt diese Voraussetzungen nicht.





IV. Ausblick



Der IGH hat mehrmals die FRD zur Rechtserkenntnis herangezogen. Im Nicaragua-Fall (ICJ Rep. 1986, 14, Abs. 188, 191, 193, 202, 264; Nicaragua v. USA) hat der IGH sie zum Nachweis der opinio iuris für den Inhalt des universellen Gewaltverbots und des Interventionsverbots im Völkergewohnheitsrecht bemüht. Im Urteil Kongo v. Uganda (ICJ Rep. 2006, 168, Abs. 162, 300) hat der IGH einzelne in der FRD aufgeführte Grundsätze (bzw. Teile derselben) als deklaratorischen Ausdruck von Völkergewohnheitsrecht bezeichnet. In diesen Anwendungsmaßgaben spiegelt sich die Tatsache, dass gerade die FRD in der Praxis des Völkerrechts oftmals wie ein rechtlich allgemein verbindlicher Normtext angewendet wird. Eine nähere Begründung für dieses Vorgehen ist der IGH bisher allerdings schuldig geblieben bzw. lässt sich aus einzelnen Argumentationsfragmenten kaum erschließen. Letztlich wird man davon auszugehen haben, dass der FRD, soweit ihr Regelungsbereich betroffen ist, die tatsächliche Vermutung zugrunde liegt, geltendes Völkergewohnheitsrecht inhaltlich zutreffend wiederzugeben. Diese Vermutung steht allerdings der Widerlegung offen. Unter welchen Voraussetzungen im Hinblick auf den Abstimmungsmodus und die Mehrheitsverhältnisse sowie die inhaltliche Gestaltung der Resolution diese Vermutungsregel eingreift, ist aber nach wie vor ungeklärt.






G Inhaltsverzeichnis




Gebietserwerb, staatlicher




Gebietshoheit




Gegenmaßnahmen (Repressalien)




Generalversammlung




Gewaltverbot, universelles




Gleichheitsprinzip




Globale Staatengemeinschaftsräume





G

 › Gebietserwerb, staatlicher (Marten Breuer)





Gebietserwerb, staatlicher (Marten Breuer)





I.



Allgemeines







II.



Gebietserwerbstitel






1.

Okkupation




2.

Zession




3.

Ersitzung




4.

Adjudikation




5.

Naturereignisse




        III.

        Nicht anerkannte Erwerbstitel





1.

Annexion




2.

Kontiguität





Lit.:



R. Lesaffer

, Argument from Roman Law in Current International Law: Occupation and Acquisitive Prescription, EJIL 16 (2005), 25;

A. Proelss/T. Müller

, The Legal Regime of the Arctic Ocean, ZaöRV 68 (2008), 651.





I. Allgemeines



Das Territorium ist nach der Jellinekʼschen Drei-Elemente-Lehre (

→ Staat

) eine der drei Grundvoraussetzungen für Staatlichkeit überhaupt. Zudem markiert das Territorium denjenigen Raum, innerhalb dessen ein Staat zum Setzen von Hoheitsakten grds. befugt ist. Fragen des Erwerbs oder Verlusts von

→ Staatsgebiet

 sind daher völkerrechtlich von zentraler Bedeutung. Entsprechend zivilrechtlichen Grundsätzen ist zwischen originärem und derivativem Gebietserwerb zu unterscheiden. Der originäre Gebietserwerb betrifft die Erlangung territorialer

→ Souveränität

 hinsichtlich eines bislang herrenlosen Gebiets (

terra nullius

). Derartige Fälle kommen heutzutage allerdings nur noch ausgesprochen selten vor. Im Vordergrund steht daher heute der derivative, d. h. von einem vorherigen Souverän abgeleitete Gebietserwerb.





II. Gebietserwerbstitel



Insgesamt kennt das Völkerrecht die folgenden Erwerbstatbestände:





1. Okkupation



Bei der Okkupation erfolgt der Gebietserwerb durch die Inbesitznahme eines nicht zum Territorium eines anderen Staates gehörenden Landgebiets mit Aneignungswillen. Die Okkupation ist damit ein Fall originären Gebietserwerbs. Das anzueignende Gebiet muss herrenlos sein, d. h. es war bislang entweder unbekannt oder aber ist vom bisherigen Souverän aufgegeben worden (sog. Dereliktion). Eine Okkupation ist nur möglich hinsichtlich eines Landgebiets; der über einer Landmasse befindliche Luftraum, die dem Land vorgelagerten Küstengewässer sowie der Kontinentalschelf können nicht gesondert okkupiert werden, sondern folgen in ihrer Zuordnung dem jeweiligen Landgebiet. Teilweise ist vertreten worden, die Okkupation des Küstenstreifens erfasse automatisch auch das angrenzende Hinterland, allgemein durchgesetzt hat sich diese sog. Hinterland-Doktrin jedoch nicht. Einem Okkupationsverbot unterliegen staatsfreie Räume (

res communis omnium

), also die

→ Hohe See

 (Art. 89 SRÜ; Sart. II, Nr. 350) sowie der Weltraum einschließlich dortiger Himmelskörper (Art. II des Weltraumvertrags von 1967; Sart. II, Nr. 395) (

→ Weltraumrecht

); zu den Polargebieten s.

III. 2

.



In objektiver Hinsicht verlangt die Okkupation die tatsächliche Ausübung von Hoheitsgewalt über ein bestimmtes Gebiet. Die Okkupation folgt damit dem

→ Effektivitätsprinzip

. Die daran zu stellenden Anforderungen sind im Laufe der Jahrhunderte gestiegen. Zwar führte die bloße Entdeckung auch im 16. Jh. nicht als solche zum Gebietserwerb, ausreichend waren aber Akte eher symbolischer Art wie das Hissen einer Flagge oder das Verlesen einer Erklärung. Im Zeitalter des Kolonialismus führten hingegen konkurrierende Gebietsansprüche der Kolonialmächte dazu, dass die Anforderungen an die effektive Inbesitznahme stiegen. Dies kommt etwa in Art. 35 der Berliner Kongo-Akte von 1885 (RGBl. 1885, S. 215) zum Ausdruck, wo von der Verpflichtung die Rede ist, in den besetzten afrikanischen Gebieten „das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte und, gegebenenfalls, die Handels- und Durchgangsfreiheit zu schützen“. In demselben Sinne stellte der Präsident des StIGH, Max Huber, als Schiedsrichter im Palmas-Fall auf das Prinzip der „continuous and peaceful display of the functions of State within a given region“ ab (ZaöRV 1 (1929), Teil 2, S. 3 ). Die vormalige Entdeckung eines Gebiets blieb zwar auch weiterhin nicht völlig bedeutungslos, aus ihr folgte jedoch lediglich eine Art Anwartschaftsrecht (sog.

inchoate title

), welches nachfolgend durch die effektive Inbesitznahme ausgeübt worden sein musste. Allgemein bestimmt sich das Ausmaß der erforderlichen Herrschaftsausübung nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. So sind bei einem nur schwer zugänglichen oder nur dünn besiedelten Gebiet geringere Anforderungen zu stellen als in sonstigen Fällen. Die Abgabe einer Okkupationserklärung ist grds. nicht erforderlich (siehe aber Art. 34 der Berliner Kongo-Akte), zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten jedoch sinnvoll.



In subjektiver Hinsicht verlangt die Okkupation das Vorliegen eines Aneignungswillens (

animus occupandi

) auf Seiten des Staates. Die Inbesitznahme eines Gebiets durch die eigenen Staatsangehörigen genügt als solche hierfür nicht, erforderlich ist vielmehr, dass die betreffenden Individuen oder Handelsgesellschaften im Auftrag des Staates gehandelt haben. Der staatliche Wille muss ferner auf Gebietserwerb ausgerichtet sein, so dass der Wille, ein Protektorat, eine Interessensphäre oder eine Treuhandgebiet zu errichten, ebenfalls nicht genügen.

 



Nicht zu verwechseln ist die Okkupation als Erwerbstitel mit der kriegerischen Besetzung (

occupatio bellica

), aus ihr folgt gerade kein Recht zum Gebietserwerb.





2. Zession



Bei der Zession handelt es sich um die Abtretung eines Gebiets von einem Staat an den anderen. Die Zession ist damit ein Fall derivativen Gebietserwerbs. Angesichts der Nähe zum Zivilrecht mag es naheliegen, zivilistische Grundsätze ins Völkerrecht zu übertragen. Das gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen der Zession als solchen und dem ihr zugrunde liegenden Grundgeschäft, also etwa einem Kauf (z. B. Verkauf Alaskas von der Sowjetunion an die USA für 7,2 Mio. US-$ im Jahr 1867), Tausch (z. B. Übertragung der Insel Helgoland vom Vereinigten Königreich an das Deutsche Reich im Tausch für die Insel Sansibar im Jahr 1890) oder einer Schenkung (z. B. Schenkung der Lombardei von Frankreich an Italien im Jahr 1859). So betrachtet, erscheint die Zession als ein Verfügungsgeschäft, im Gegensatz zu dem der Verfügung zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft.



Angesichts einer diesbezüglich wenig ausgeprägten Dogmatik im Völkerrecht ist gegenüber der unbesehenen Übernahme zivilistischer Vorstellungen, die ja stets auch wesentlich von nationalen Rechtstraditionen beeinflusst sind, allerdings Zurückhaltung geboten. Vielmehr erscheint es vorzugswürdig, nach allgemeinen Auslegungskriterien im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln, ob mit dem Zessionsvertrag eine Abtretung im Sinne einer Verfügung oder eine bloße Verpflichtung hierzu vereinbart werden sollte. Bedeutung gewinnt diese Frage bei der Ermittlung des Zeitpunkts, zu welchem die territoriale Souveränität hinsichtlich des zedierten Gebietsteils auf den Erwerberstaat übergeht. Während einige Autoren auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zessionsvertrags abstellen, verlangen andere entsprechend dem

→ Effektivitätsprinzip

, dass zusätzlich zum Vertrag noch die tatsächliche Übertragung erfolgt sein muss. Nach der hier vertretenen Auffassung ist, je nach Vertragsauslegung, beides möglich.



Ist ein Zessionsvertrag praktisch ins Werk gesetzt worden, besteht die Besonderheit, dass er Wirkungen auch gegenüber Nichtvertragsparteien entfaltet. Diese sind nämlich verpflichtet, die territoriale Neuzuordnung des zedierten Gebiets zu respektieren. Das stellt freilich nur auf den ersten Blick eine Abweichung vom generellen Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter (Art. 34 WVRK; Sart. II, Nr. 320) dar. Bei näherer Betrachtung erweist sich, dass durch den Abtretungsvertrag keine neuen Rechtspflichten für die Nichtvertragspartei begründet werden. Was sich ändert, ist – allenfalls – die rechtliche Zuordnung bereits bestehender Ansprüche zu einem Rechtssubjekt. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen mittelbaren Nachteil. Dieser ist angesichts der mit der territorialen Souveränität verbundenen Verfügungsmöglichkeit des Zedenten von den betroffenen Drittstaaten zu respektieren.



Die Zession hat regelmäßig einen Staatsangehörigkeitswechsel für die im abgetretenen Gebiet lebenden Angehörigen des Zedenten zur Folge. Diese Rechtsfolge tritt allerdings nicht schon von Völkerrechts wegen mit dem Gebietswechsel ein, sondern ist abhängig von etwaigen vertraglichen Vereinbarungen und/oder dem jeweiligen nationalen Staatsangehörigkeitsrecht. Sofern eine völkervertragliche Vereinbarung besteht, wird der betroffenen Bevölkerung typischerweise ein Optionsrecht zugunsten der bisherigen Staatsangehörigkeit eingeräumt. Ob ein solches Recht auch unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen auf gewohnheitsrechtlicher Basis existiert, ist allerdings nach wie vor umstritten (siehe diesbezüglich Art. 20 der ILC (Sart. II, Nr. 6) Draft Articles on Nationality of Natural Persons in relation to the Succession of States, der aber von der ILC selbst als eine Fortentwicklung des Völkerrechts bezeichnet wird ).



Fraglich erscheint, ob die Zession abhängig ist von der vorherigen Durchführung eines Plebiszits. Das könnte mit Rücksicht auf das

→ Selbstbestimmungsrecht der Völker

, dem nach heutiger Auffassung gewohnheitsrechtliche Geltung zukommt, bejaht werden. Während die Durchführung von Plebisziten insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg propagiert wurde, bietet die jüngere Staatenpraxis keine Hinweise auf ein diesbezügliches

→ Völkergewohnheitsrecht

.





3. Ersitzung



Der Erwerbstitel der Ersitzung (engl.

prescription

) entstammt dem römischen Recht (

usu capio

) und ist von dort in das Völkerrecht übernommen worden. Die rechtliche Qualifikation der Ersitzung ist allerdings umstritten. Teilweise wird das Institut als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut angesehen, teilweise als ein Rechtssatz des Völkergewohnheitsrechts (Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut; Sart. II, Nr. 2). Letzterem wird entgegengehalten, dass weder StIGH,

→ IGH

 noch

→ internationale Schiedsgerichte

 ausdrücklich die Ersitzung anerkannt hätten, so dass es an einer nachweislichen Staatenpraxis fehle. Andere Autoren wiederum schlagen vor, die im Zusammenhang der Ersitzung diskutierten Fallgestaltungen über das Institut der

acquiescence

 als stillschweigende Übereinkommen (Art. 38 Abs. 1 lit. a IGH-Statut) zu lösen. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass das Völkerrecht die Ersitzung zumindest als allgemeinen Rechtsgrundsatz kennt.



Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Gebiet mittels Ersitzung erworben wird. Erforderlich ist (1.) die ungestörte, ununterbrochene und unbestrittene Herrschaftsausübung (2.) über geraume Zeit (3.) mit entsprechenden Herrschaftswillen (

animus domini

). Von der Okkupation unterscheidet sich die Ersitzung dadurch, dass die Okkupation die Herrenlosigkeit eines Gebiets voraussetzt, während die Ersitzung gerade im Hinblick auf fremdes Staatsgebiet erfolgt. Wenngleich die Ausübung von

→ Staatsgewalt

 auf fremdem Territorium zunächst völkerrechtswidrig ist, trägt das Völkerrecht im Interesse des Rechtsfriedens der unwidersprochen gebliebenen Verfestigung der tatsächlichen Verhältnisse über einen langen Zeitraum hinweg durch Legalisierung Rechnung. Der für die Ersitzung erforderliche Zeitraum lässt sich abstrakt nicht bestimmen, Besitz seit unvordenklichen Zeiten ist jedenfalls nicht nötig. Dass das Völkerrecht diesbezüglich keine exakten Vorgaben macht und machen kann, wird teilweise als weiteres Argument gegen das Rechtsinstitut der Ersitzung angeführt. Demgegenüber ist auf das

common law

 zu verweisen, das ebenfalls keine präzisen Fristen für die Ersitzung kennt. Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalls. In subjektiver Hinsicht ist das Vorliegen eines Erwerbswillens, nicht hingegen Gutgläubigkeit des Besitzenden erforderlich. Hierin unterscheidet sich der völkerrechtliche Ersitzungstatbestand von dem des römischen Rechts.





4. Adjudikation



Wenn ein Gebiet mittels Adjudikation erworben wird, so erfolgt dies durch eine konstitutiv wirkende Entscheidung einer internationalen Instanz. Hierbei muss es sich nicht notwendigerweise um ein Gericht oder

→ Schiedsgericht

 handeln, möglich ist auch die Entscheidung einer

→ Internationalen Organisation

 (z. B. Zusprechung der Aaland-Inseln an Finnland durch den Völkerbundrat im Jahr 1921). Da der Adjudikation rechtsgestaltende Wirkung zukommt, sind all diejenigen Fälle auszunehmen, in denen über die Gebietszugehörigkeit allein auf Grundlage des geltenden Völkerrechts entschieden wird. Derartige Urteile des

→ IGH

 oder eines Schiedsgerichts (

→ Schiedsgerichtsbarkeit, internationale

) besitzen lediglich feststellenden Charakter und bilden daher keinen Fall der Adjudikation.





5. Naturereignisse



Unter gewissen Umständen können Naturereignisse einen Gebietserwerb zur Folge haben. Beispiele sind die allmähliche Anschwemmung von Land (

alluvio

) oder das Auftauchen von Inseln in den Territorialgewässern eines Staates. Demgegenüber hat eine durch Naturkatastrophen o.Ä. bewirkte plötzlichen Änderung eines Flusslaufs (

avulsio

), welcher die Grenze zwischen zwei Staaten bildet, keine Auswirkungen auf den Grenzverlauf und damit auf den Gebietsbestand.





III. Nicht anerkannte Erwerbstitel





1. Annexion



Nach klassischem Völkerrecht gehörten zur staatlichen

→ Souveränität

 das Recht zur Kriegführung (

ius ad bellum

) und, damit einhergehend, das Recht, sich das Territorium des unterlegenen Staates im Wege der Annexion einzuverleiben. Im modernen Völkerrecht ist dem Rechtsinstitut der Annexion durch die Etablierung des

→ universellen Gewaltverbots

 (Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch.) der Boden entzogen. Da gemäß den Regeln des intertemporalen Völkerrechts die Rechtmäßigkeit eines Gebietserwerbs nach dem zum jeweiligen Erwerbszeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen ist, kann die Annexion auch heute noch eine Rolle spielen.



Die Wirksamkeit einer Annexion war nach klassischem Völkerrecht von der vollständigen und endgültigen Inbesitznahme des annektierten Gebiets sowie einem entsprechenden Annexionswillen abhängig. An Letzterem fehlte es im Falle der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Bezug auf Deutschland durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, da diese in der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 eine Annexion ausdrücklich ausgeschlossen hatten („

The assumption of the said authority and powers does not effect the annexation of Germany

“).



Die Absolutheit des universellen Gewaltverbots, das neben seiner völkervertraglichen Grundlage nach h.M. zugleich als

→ Völkergewohnheitsrecht

 im Range von

ius cogens

 gilt, bringt es mit sich, dass ein dagegen verstoßender Gebietserwerb nicht allein völkerrechtlich unwirksam ist. Die materielle Nichtigkeit des Gebietserwerbs wird zugleich durch ein Anerkennungsverbot für Drittstaaten flankiert. Diese zunächst vom US-amerikanischen Außenminister Stimson 1932 im Zusammenhang mit der japanischen Besetzung der Mandschurei 1932 als politische Erklärung ausgegebene Doktrin (sog. Stimson-Doktrin) hat sich durch spätere Übernahme im Rahmen des

→ Völkerbund

es sowie anschließend in den

→ Vereinten Nationen

 – insbesondere durch die

→ Friendly Relations-Declaration

 und die Aggressionsdefinition der Generalversammlung – mittlerweile ihrerseits zu Völkergewohnheitsrecht verfestigt. Sie kommt heute in Art. 41 Abs. 2 der ILC-Artikel über die Staatenverantwortlichkeit zum Ausdruck. Durch das Anerkennungsverbot tritt das ansonsten im Völkerrecht dominierende

→ Effektivitätsprinzip

 zugunsten des Legalitätsprinzips in den Hintergrund. Je länger eine faktisch verfestigte Lage andauert, umso schwieriger wird es allerdings für die Staatengemeinschaft, an der Rechtsfolge der Unwirksamkeit strikt festzuhalten.



Das Annexionsverbot wird in der Literatur bisweilen dadurch relativiert, dass es nur für den rechtswidrigen Aggressor, nicht hingegen für den sich rechtmäßig Verteidigenden (Art. 51 UN-Ch.) gelten soll. Der Gedanke, dass ein potentieller Aggressor durch das Risiko etwaiger Gebietsverluste von einem Angriff abgehalten werden soll, vermag indes nicht zu überzeugen. Der zentrale Rang des Gewaltverbots in der heutigen Völkerrechtsordnung spricht vielmehr dafür, auch dem Angreifer den Schutz des Annexionsverbots zugute kommen zu lassen.

 





2. Kontiguität



Die geographische Nähe (insbesondere) von dem Küstenmeer vorgelagerten Inseln zum Festland bietet für sich genommen keinen Gebietstitel. Die Gültigkeit dieser sog. Kontiguitätstheorie ist schon von Schiedsrichter Max Huber im Palmas-Schiedsspruch zurückgewiesen worden (ZaöRV 1 , Teil 2, S. 3 ). Später hat die Kontiguitätstheorie vor allem im Zusammenhang mit Ansprüchen in Bezug auf die Arktis oder Antarktis Bedeutung erlangt, und zwar in der Unterspielart der sog. Sektorentheorie. Auf dieser Grundlage haben einige Anrainerstaaten der Antarktis Gebietsansprüche geltend gemacht, während die h.L. die Antarktis als

terra nullius

 betrachtet. Im Antarktis-Vertrag (Sart. II, Nr. 390) wird diese Frage offen gelassen (Art. IV). Hins