Völkerrecht

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

II. Erga omnes-Pflichten (im Sinne einer Berechtigung aller)



Pflichten aus erga omnes-Normen, so der

→ IGH

 im insoweit grundlegenden Barcelona Traction-Fall (ICJ Reports 1970, 3 (32, Rn. 33)), bestehen gegenüber der

→ Staatengemeinschaft

 als ganzer. Sie sind eine Angelegenheit aller Staaten. Demnach haben, so der IGH, alle Staaten ein rechtliches Interesse am Schutz der Rechte, die durch solche Normen begründet werden. Es besteht also anders gesagt eine Pflicht gegenüber allen Staaten. Der IGH zählt zu diesen Pflichten das Aggressionsverbot (

→ Aggression

,

→ Angriff, bewaffneter

), das Verbot des

→ Völkermordes

 und die grundlegenden

→ Menschenrechte

, einschließlich des Schutzes vor Sklaverei und Rassendiskriminierung. Nicht aber – darauf kam es im konkreten Fall an – wirken die Regeln des diplomatischen Schutzes erga omnes. Später hat der IGH die Achtung des

→ Selbstbestimmungsrechts

 der Völker als erga omnes-Pflicht angesehen (ICJ Reports 1995, 90 (102) – Ost-Timor).



Die praktische Bedeutung der erga omnes-Wirkung von Normen kann anhand der multilateralen Menschenrechtspakte veranschaulicht werden. Verletzt ein Vertragsstaat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, ist jeder andere Vertragsstaat, und zwar unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen Rechtsgütern, berechtigt,

→ Gegenmaßnahmen

 einzuleiten (sofern nicht der Vertrag selbst spezielle Vorschriften über die Normendurchsetzung enthält,

self-contained regimes

). Diesen Gegenmaßnahmen gegenüber kann sich der betroffene Staat nicht darauf berufen, es läge eine Einmischung in innere Angelegenheiten (

→ Interventionsverbot

) vor. Eine andere Frage ist freilich, mit welchen Mitteln interveniert werden kann. Wirkt eine Norm hingegen nicht erga omnes, kann die mit ihr verbundenen Rechte nur ein Staat geltend machen, der in eigenen Interessen berührt ist. Im Falle des

→ diplomatischen Schutzes

 etwa ist dies ein Staat nur dann, wenn er den Schutz gerade für einen eigenen Staatsbürger beansprucht. Wird die Verletzung einer erga omnes-Norm gerichtlich geltend gemacht, kann der erga omnes-Charakter allerdings nicht das Fehlen der Einwilligung des Verletzerstaates in die Jurisdiktion des Gerichts ersetzen (so der IGH in dem Urteil Ost-Timor, a.a.O.).





III. Verpflichtungen erga omnes?



Verträge zu Lasten Dritter sind unzulässig (Art. 34 WVRK; Sart. II, Nr. 320). Verträge wirken nur

inter partes

, nicht erga omnes

im Sinne von „zu Lasten aller“. Diese Grundregel kennt nur scheinbar Ausnahmen. So wirken die Normen des

ius cogens

 nicht nur erga omnes in dem Sinne, dass ihre Verletzung von allen Staaten geltend gemacht werden kann. Sie binden auch alle Staaten und sonstigen Völkerrechtssubjekte. Diese Wirkung haben die Normen des

→ ius cogens

 aber nicht deshalb, weil sie zwingenden Charakter haben, sondern umgekehrt setzt die Entstehung von ius cogens voraus, dass die jeweilige Norm als Vertrags- oder Gewohnheitsrecht alle Staaten bindet, vgl. Art. 53 WVRK. Ähnliches gilt für sog. Statusverträge, d. h. Verträge, die den Status eines bestimmten Gebiets verbindlich regeln sollen (Beispiel: internationaler Status des Suez-Kanals). Über die Vertragsparteien hinaus kann diesen Verträgen eine – gewohnheitsrechtliche – Bindungskraft für all diejenigen zugesprochen werden, die nicht ausdrücklich widersprechen (

acquiescence

,

→ Völkergewohnheitsrecht

). Nur in diesem eingeschränkten Sinne lässt sich dann von einer erga omnes-Verpflichtung sprechen. Ähnliches gilt schließlich auch für die Völkerrechtssubjektivität von

→ Staat

en und

→ Internationalen Organisationen

. Ist ein Staat von einigen Staaten als solcher anerkannt worden oder ist eine Internationale Organisation von einigen Staaten ins Leben gerufen worden, so besteht die damit je verbundene Rechtssubjektivität nicht in dem Sinne erga omnes, dass die nicht beteiligten Staaten diese gegen sich gelten lassen müssten, sondern nur im Verhältnis des anerkennenden Staates zum anerkannten Staat bzw. im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Internationalen Organisation untereinander.





IV. Abschließende Bewertung



Das Konzept der erga omnes-Pflichten ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des modernen Völkerrechts. Auch wenn es strukturell das Konsensprinzip nicht verlässt, zeigt es auf, dass sich die Staaten im Wege der Vereinbarung auf gemeinsam geteilte Werte und Überzeugungen eingelassen haben (

→ Konstitutionalisierung

).






E

 › Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) (Angelika Nußberger)





Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) (Angelika Nußberger)




        I.

        Entstehungsgeschichte





1.

Geschichte der Ausarbeitung der Konvention




2.

Aufbau der Konvention



 3.Vertragliche Weiterentwicklung des Konventionstextes




a)

Ergänzung der substantiellen Garantien durch Zusatzprotokolle




b)

Änderung der substantiellen Garantien durch Zusatzprotokolle




c)

Verfahrensänderungen durch Zusatzprotokolle




        II.

        Inhaltliche Schwerpunkte





1.

Vergleich zu anderen internationalen Menschenrechtsverträgen




2.

Vergleich zu den Grundrechtskatalogen nationaler Verfassungen




3.

Hierarchisierung der Schutzbestimmungen




4.

Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der EMRK




        III.

        Auslegungsmethoden





1.

Restriktive Interpretation von Vorbehalten und Erklärungen




2.

EMRK als „lebendiges Instrument“




3.

Ermessensspielraum




4.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit





IV.



Wirkung der Entscheidungen des EGMR zur EMRK







Lit.:



E. Bates

, The Evolution of the European Convention on Human Rights: From its Inception to the Creation of a Permanent Court of Human Rights, 2010;

C. Grabenwarter/K. Pabel

, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012;

A. Nußberger

, Europäische Menschenrechtskonvention, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. X, 3. Aufl. 2012, § 209.



Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; Sart. II, Nr. 130) ist ein von allen Mitgliedstaaten des Europarats ratifizierter regionaler Menschenrechtsvertrag (

→ Menschenrechte, allg.

;

→ Völkervertragsrecht

), der aufgrund des darin vorgesehenen effektiven gerichtlichen Kontrollmechanismus Vorbildfunktion für den internationalen Menschenrechtsschutz hat.





I. Entstehungsgeschichte





1. Geschichte der Ausarbeitung der Konvention



Bereits kurze Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Überlegungen, parallel zu der Ausarbeitung der

→ Allgemeinen Menschenrechtserklärung

 von 1948 auch für Europa ein regionales Instrument zum Schutz der Menschenrechte zu schaffen, das einen Rückfall in Diktatur und Totalitarismus zu verhindern helfen und zugleich den Kern für die Entwicklung einer europäischen Verfassungsordnung bilden würde. Nachdem die Satzung des Europarats am 5.5.1949 in Kraft getreten war, war die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten der erste wichtige völkerrechtliche Vertrag, der unter der Ägide des Europarats ausgearbeitet wurde. 1950 wurde die Konvention von 13 Staaten gezeichnet, 1953 trat sie nach der zehnten Ratifikation in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings eine verpflichtende Kontrolle lediglich durch die Europäische Kommission für Menschenrechte vorgesehen; eine Unterwerfung unter das Individualbeschwerdeverfahren vor dem

→ Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

 war dagegen lediglich eine Option. Dies änderte sich erst 1998 mit dem Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls, das die Zuständigkeit des Gerichtshofs für alle Vertragsstaaten der EMRK verpflichtend vorschrieb.

 



Während die Konvention zu Zeiten des Kalten Krieges nur von westeuropäischen Staaten ratifiziert wurde, traten nach der Wende 1989/1990 auch alle mittel- und osteuropäischen Staaten bei, wenn auch zum Teil – etwa die Nachfolgestaaten Jugoslawiens – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Gegenwärtig sind alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Weißrussland und Vatikanstaat Vertragsstaaten der Konvention.





2. Aufbau der Konvention



In der Konvention sind in den ersten 18 Artikeln alle geschützten Rechte und Freiheiten sowie auch besondere Einschränkungsmöglichkeiten festgelegt. Im zweiten Abschnitt werden Zusammensetzung und Funktionsweise des EGMR sowie die einzelnen Verfahren, insbesondere das Individualbeschwerdeverfahren, beschrieben. Im dritten und letzten Abschnitt finden sich allgemeine Regelungen zur Abgrenzung zu anderen Verfahren der Streitbeilegung, zu Vorbehalten und zur Kündigung. Während die im ersten Abschnitt enthaltenen materiellen Menschenrechtsgarantien bisher keinen Änderungen unterzogen wurden, wurden die Regelungen des zweiten Abschnitts der geänderten Rolle des EGMR entsprechend mehrfach angepasst.





3. Vertragliche Weiterentwicklung des Konventionstextes





a) Ergänzung der substantiellen Garantien durch Zusatzprotokolle



Bei der Ausarbeitung des ursprünglichen Textes der Konvention konnte man sich nicht auf eine Einbeziehung eines

→ eigentumsrechtlichen Schutzes

 einigen. Eine entsprechende Bestimmung wurde zusammen mit einem Recht auf Bildung und der Verpflichtung, freie und geheime Wahlen durchzuführen, in das 1. Zusatzprotokoll vom 20.3.1952, in Kraft getreten am 18.5.1954, aufgenommen. Mit Ausnahme der Schweiz und Monacos haben alle Mitgliedstaaten des Europarats das 1. Zusatzprotokoll ratifiziert, wenn auch teilweise unter Vorbehalten oder verbunden mit bestimmten Erklärungen, die insbesondere Restitutionsfragen betreffen.



Zusätzliche Garantien enthält darüber hinaus Protokoll Nr. 4 vom 16.9.1993, so vor allem das Freizügigkeitsrecht (Art. 2), das Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger (Art. 3) und das Verbot der Kollektivausweisung (Art. 4), wobei letzteres aufgrund des ersten Staatenbeschwerdeverfahrens von Georgien gegen Russland besondere Bedeutung erlangt hat; das Verfahren, bei dem es um die Ausweisung georgischer Bürger aus Russland geht, ist seit 2008 vor dem Gerichtshof anhängig. Das Zusatzprotokoll wurde von allen Mitgliedstaaten des Europarats mit Ausnahme der Türkei, des Vereinigten Königreichs, Griechenlands und der Schweiz ratifiziert.





b) Änderung der substantiellen Garantien durch Zusatzprotokolle



Obwohl der Text der in der EMRK enthaltenen materiell-rechtlichen Garantien noch keiner Änderung unterzogen wurde, hat sich die Substanz des in Art. 2 enthaltenen Rechts auf Leben grundlegend geändert. In der ursprünglichen Fassung von 1953 war die Todesstrafe auf der Grundlage eines rechtsstaatlichen Urteils noch zugelassen worden. Mit dem 6. Zusatzprotokoll vom 28.4.1983 wurde ein Reformweg gewählt, der es den Mitgliedstaaten ermöglichte, mit der Ratifikation diese Änderung als verbindlich anzunehmen, ohne, wie es bei einer Änderung des Konventionstextes selbst nötig gewesen wäre, das Inkrafttreten von der Ratifikation aller Mitgliedstaaten abhängig zu machen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt (April 2013) haben alle Mitgliedstaaten außer Russland das 6. Zusatzprotokoll ratifiziert. Inhaltlich noch weiter geht das 13. Zusatzprotokoll vom 3.5.2002, das das Verbot der Todesstrafe auch auf Kriegszeiten erstreckt. Außer Russland, Polen, Armenien und Aserbaidschan haben es alle Vertragsstaaten der Konvention ratifiziert.



Im Gegensatz dazu wurde das 12. Zusatzprotokoll, das den Gleichheitssatz allgemein fasst und damit über die in der Konvention garantierten Rechte hinaus auch auf andere Rechtspositionen anwendet, nur von einer Minderheit von 18 Vertragsstaaten ratifiziert und spielt damit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine eigenständige Rolle.





c) Verfahrensänderungen durch Zusatzprotokolle



Auch nach der entscheidenden, durch das 11. Zusatzprotokoll herbeigeführten Änderung des Verfahrens, mit der der EGMR als für Individualbeschwerden unmittelbar zuständiges und dauerhaft tätiges Kontrollorgan eingerichtet wurde, gab es eine Vielzahl von weiteren Verfahrensänderungen, die vor allem der Steigerung der Effektivität des Kontrollmechanismus dienen sollten. Besonders wichtig war die Einführung von Einzelrichterentscheidungen bei offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Beschwerden mit dem 14. Zusatzprotokoll.





II. Inhaltliche Schwerpunkte





1. Vergleich zu anderen internationalen Menschenrechtsverträgen



Inhaltlich entsprechen die von der EMRK garantierten Rechte den auf universeller Ebene im

→ Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte

 enthaltenen Rechten im Wesentlichen; die Europäische Grundrechte-Charta, die deutlich jünger ist, ist umfassender und ergänzt den Katalog der allgemein als „politisch“ verstandenen Rechte um eine Reihe von sozialen Rechten. Die EMRK zeichnet sich dadurch aus, dass die Bestimmungen knapp gefasst und damit interpretationsoffen sind; sie spiegeln im Wesentlichen die auf der Aufklärung basierende europäische Menschenrechtstradition wider. Anders als speziellere Menschenrechtsverträge, die auf bestimmte schutzbedürftige Personen wie etwa Frauen oder Kinder zugeschnitten sind, versteht sich die EMRK als ein umfassender und thematisch nicht fokussierter Vertrag. Für das Menschenrechtsschutzkonzept des Europarats ist die EMRK das entscheidende Instrument; weitere Verträge wie insbesondere die Europäische Sozialcharta sind als komplementär anzusehen.





2. Vergleich zu den Grundrechtskatalogen nationaler Verfassungen



Die EMRK als früher Text des internationalen Menschenrechtsschutzes greift auf die in älteren nationalen Verfassungen enthaltenen Menschenrechtsverbürgungen zurück, dient ihrerseits aber auch wiederum für eine Vielzahl von neueren Verfassungen, insbesondere in den Ländern Mittel- und Osteuropas, als Vorbild (

→ Menschenrechtlicher Mindeststandard

). Im Vergleich zum Grundgesetz fallen Unterschiede in zweierlei Hinsicht auf: Zum einen sind in der EMRK die Verfahrensgarantien bei Freiheitsentziehungen und Gerichtsverfahren („fair trial“) wesentlich stärker ausdifferenziert (

Art. 5

 und

Art. 6 EMRK

). Auch ist eine Besonderheit, dass in Art. 8 nicht nur ein Recht auf Familien-, sondern auch auf Privatleben garantiert wird; letzteres wurde vom EGMR als eine der Regelung des

Art. 2 GG

 vergleichbare Auffangbestimmung für Eingriffe in verschiedene Rechte interpretiert. Zum anderen ist der Schutz von Arbeit und Berufsleben in

Art. 12 GG

 stärker hervorgehoben und findet keine kongruente Entsprechung in der EMRK. Allerdings werden die Unterschiede im Wortlaut durch die jeweilige umfassende Auslegungspraxis einerseits des EGMR, andererseits des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Bedeutung relativiert.





3. Hierarchisierung der Schutzbestimmungen



Als besonders schwerwiegende Konventionsverstöße werden Verletzungen von Art. 2 (Recht auf Leben), Art. 3 (Verbot der Folter und unmenschlichen Behandlung) und Art. 4 (Verbot der Zwangsarbeit) angesehen. Auch dem in Art. 5 geschützten Freiheitsrecht kommt eine große Bedeutung zu. Dagegen werden Verletzungen der nachfolgenden Artikel in der Regel nicht als prioritär angesehen, es sei denn, es handelt sich um massenhafte Verstöße und damit um ein systemisches Problem in einem bestimmten Mitgliedstaat.





4. Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der EMRK



Nach

Art. 34 EMRK

 kann sich jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe mit Beschwerden über eine Verletzung der in der Konvention enthaltenen Rechte an den EGMR wenden, wenn sie alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft hat. Der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz der Subsidiarität ist von zentraler Bedeutung für die Rechtsprechung des EGMR, da jedem Staat erst die Gelegenheit gegeben werden muss, bei einem menschenrechtlichen Problem selbst Abhilfe zu schaffen, bevor er sich der internationalen Kontrolle unterziehen muss. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im Einzelnen in der Konvention konkretisiert. Mit Blick auf die Überlastung des Gerichtshofs mit Beschwerden werden sie zunehmend strenger ausgelegt.



Neben den Individualbeschwerdeverfahren gibt es auch noch Staatenbeschwerdeverfahren (

Art. 33 EMRK

), bei denen die Vertragsstaaten vor dem Gerichtshof ein konventionswidriges Verhalten anderer Vertragsstaaten rügen können.





III. Auslegungsmethoden





1. Restriktive Interpretation von Vorbehalten und Erklärungen



Die Interpretation der Konvention durch den Gerichtshof folgt grundsätzlich dem Ziel, einen möglichst umfassenden und effektiven Menschenrechtsschutz zu gewährleisten. Daher werden die von den Staaten abgegebenen Vorbehalte und Erklärungen sehr restriktiv ausgelegt. Im Zweifel wird eine territoriale, zeitliche oder inhaltliche Beschränkung des Schutzumfangs nicht anerkannt und der Staat als vollumfänglich an die Bestimmungen der Konvention gebunden angesehen (ständige Rechtsprechung seit Belilos v. Schweiz).





2. EMRK als „lebendiges Instrument“



Bereits sehr früh in der Rechtsprechung hat der EGMR anerkannt, dass – den allgemeinen Interpretationsregeln im Völkerrecht entsprechend (vgl. Art. 31, 32 WVRK) – bei der Auslegung der Konvention das historisch Gewollte nicht im Vordergrund stehen kann, sondern vielmehr eine Auslegung mit Blick auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen erforderlich ist, da die Konvention andernfalls nicht Schrittmacher im Bereich der Menschenrechte wäre, sondern Gefahr liefe, tradierte Restriktionen zu konservieren. Die Auslegung der EMRK als lebendiges Instrument („living instrument“) ist in allen Bereichen der Konvention prägend. Besonders deutlich ist dies etwa bei der Auslegung des Diskriminierungsverbots, das offen interpretiert und über den Wortlaut hinaus auch auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder des familienrechtlichen Status angewandt wird. In ähnlicher Weise hat sich auch das, was als „unmenschliche Behandlung“ im Sinne von

Art. 3 EMRK

 angesehen wird, verändert; beispielsweise wird die noch in den 1950er Jahren allgemein akzeptierte Prügelstrafe als Teil der Erziehung mittlerweile als „unmenschliche Behandlung“ und damit als Konventionsverstoß erachtet.



Um zu ermitteln, in welche Richtung die Konvention als „lebendiges Instrument“ fortzuentwickeln ist, greift der Gerichtshof häufig auf rechtsvergleichende Gutachten zurück, um das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines „europäischen Konsenses“ festzustellen. Je nachdem wird der den Mitgliedstaaten zu gewährende Ermessensspielraum als weiter oder enger angesehen.

 





3. Ermessensspielraum



Aufgabe des EGMR ist, die Anwendung der EMRK in den 47 Mitgliedstaaten zu garantieren, nicht aber eine Rechtsangleichung oder Harmonisierung der sehr verschiedenen Rechtsordnungen durchzusetzen. Der Grundsatz der Subsidiarität wird für so wesentlich erachtet, dass auf der letzten Reformkonferenz in Brighton im Jahr 2012 erreicht wurde, ihn in die Präambel der Konvention aufzunehmen. Dementsprechend hat der Gerichtshof die Konvention so auszulegen, dass den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum bei der Umsetzung bleibt. Lässt sich aus der Konvention kein eindeutiger Standard zur Regelung eines bestimmten Problems ableiten, so sind die Staaten konventionsre