Völkerrecht

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2. Das Recht auf freien Verkehr

Um einer diplomatischen Mission die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, sieht Art. 25 WÜD die allgemeine Verpflichtung vor, dass der Empfangsstaat der diplomatischen Mission jede Erleichterung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zukommen lassen muss. Näher konkretisiert wird diese Vorgabe in den Art. 26 f. WÜD. Nach Art. 26 WÜD verfügen die Missionsmitglieder über eine umfassende Bewegungs- und Reisefreiheit im Empfangsstaat, die lediglich in Bezug auf sicherheitspolitisch sensible Gebiete eingeschränkt werden kann. Nach Art. 27 Abs. 1 WÜD ist der freie Verkehr für sämtliche amtliche Zwecke geschützt, hierzu zählen insbesondere das Recht auf Kontakt zu den Organen des Empfangsstaates und auf freien Umgang mit den Staatsangehörigen des Entsendestaates. Weiterhin sind die amtliche Korrespondenz, der Einsatz von Kurieren und das diplomatische Kuriergepäck vor einem Zugriff des Empfangsstaates geschützt, Art. 27 Abs. 2 – 7 WÜD.

Im Einzelfall kann der Empfangsstaat allerdings ein Interesse an der Öffnung von diplomatischem Kuriergepäck auch ohne die Zustimmung von Vertretern der diplomatischen Mission haben, vor allem wenn ihm konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, dass in dem Gepäckstück nicht amtlichen Zwecken dienende Gegenstände, wie z. B. Drogen, Waffen oder Sprengstoff, transportiert werden. Anders als Art. 35 des WÜK enthält das WÜD für ein solches Vorgehen jedoch keine Ermächtigungsgrundlage. Bereits der Einsatz von Durchleuchtungsgeräten wird wegen der Möglichkeit, Zugriff auf geheime Informationen zu erhalten, kritisch gesehen.

3. Persönliche Vorrechte und Immunitäten der Diplomaten

Neben der diplomatischen Mission als Einheit werden auch die einzelnen Missionsmitglieder, soweit sie über einen diplomatischen Status verfügen (s. zur Abgrenzung oben II.1.), völkerrechtlich nach Art. 29 ff. WÜD durch umfangreiche Privilegien und Immunitäten geschützt. Dieser Schutz gilt sowohl im dienstlichen als auch im privaten Bereich des Diplomaten. Selbst die zum Haushalt des Diplomaten gehörenden Familienangehörigen werden vom Schutzumfang miterfasst, Art. 37 WÜD. Auf diese Weise soll die ungestörte Ausübung des diplomatischen Mandats der einzelnen Missionsmitglieder gewährleistet werden. Dem Schutz des Diplomaten dient neben den relevanten Vorschriften des WÜD das Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Diplomatenschutzkonvention, Sart. II, Nr. 330), aus dem Jahr 1977, das von mehr als 160 Staaten ratifiziert wurde.

a) Vorrechte des Diplomaten

Zu den besonderen Vorrechten des Diplomaten gehört die Unverletzlichkeit seiner Person, Art. 29 WÜD. Dem Empfangsstaat ist es somit untersagt, gegen den Diplomaten Zwangsmaßnahmen wie eine Festnahme, Ausweisung oder Auslieferung durchzuführen. Weiterhin hat der Empfangsstaat den Diplomaten vor Angriffen auf seine Person, Freiheit oder Würde zu schützen, Art. 29 S. 3 WÜD. Der Schutz erstreckt sich auch auf die Privatwohnung und das Vermögen des Diplomaten, Art. 30 WÜD. Weiterhin ist der Diplomat von der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und der Entrichtung von Steuern im Empfangsstaat nach Maßgabe der Art. 33 bis Art. 36 WÜD befreit.

b) Immunitäten des Diplomaten

Der Diplomat genießt eine völlige Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des Empfangsstaates und ist nur in Ausnahmefällen dessen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit unterworfen, Art. 31 Abs. 1 WÜD. Die Gewährung von Immunität entbindet den Diplomaten allerdings nicht von der Verpflichtung, die Gesetze des Empfangsstaates zu beachten, Art. 41 Abs. 1 WÜD. Lediglich wenn der Entsendestaat einen ausdrücklichen Verzicht auf die Immunität seines Diplomaten erklärt oder der Diplomat selbst ein Gerichtsverfahren gegen eine andere Person im Empfangsstaat in Gang gesetzt hat, besteht keine Immunität für das konkrete Verfahren, Art. 32 Abs. 1 – 3 WÜD.

Bei der Gewährung der Immunität wird danach unterschieden, ob der Diplomat einen Gesetzesverstoß im Rahmen seines dienstlichen Aufgabenbereichs (sog. funktionelle Immunität) oder bei privatem Handeln (sog. persönliche Immunität) begangen hat. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, so z. B. wenn der Diplomat einen Verkehrsunfall während einer Dienstfahrt verursacht. Eine sachgerechte Lösung dürfte sich in der Regel aus dem Gedanken ergeben, ob ein enger Zusammenhang zu den Aufgaben der diplomatischen Mission (s. oben II.2.) besteht. Während seiner Dienstzeit im Empfangsstaat besteht die Immunität des Diplomaten sowohl für dessen amtliche Tätigkeiten als auch für Handlungen in seiner Freizeit, da ihn ein Gerichtsverfahren unabhängig von dem zugrunde liegenden Anlass in der ungestörten Ausübung seines diplomatischen Mandats behindern würde. Nach der Beendigung der Tätigkeit als Diplomat in dem Empfangsstaat, entweder durch Ausreise oder den Ablauf einer hierfür gesetzten angemessenen Frist, wirkt die Immunität dagegen nur für dienstliche Handlungen weiterhin fort, die persönliche Immunität wird hinfällig, Art. 39 Abs. 2 WÜD. Ab diesem Zeitpunkt ist somit die Aufnahme von Zivil- und Strafverfahren für Privathandlungen möglich, die während der Dienstzeit begangen wurden.

Obwohl der Diplomat somit während seiner Dienstzeit über eine umfassende Immunität für seine Handlungen im Empfangsstaat verfügt, sind dem Empfangsstaat nicht sämtliche Reaktionsmöglichkeiten versagt. Er kann insbesondere jederzeit die Aufhebung des diplomatischen Status dadurch bewirken, dass er den Diplomaten zur persona non grata erklärt, Art. 9 Abs. 1 WÜD (s. bereits oben II. 4.). Weiterhin hat der IGH im Teheraner Geiselfall angedeutet, dass es Ausnahmefälle geben kann, in denen die Verhaftung eines Diplomaten zulässig sei. Sollte ein Diplomat z. B. bei der Begehung einer Straftat angetroffen werden, könne eine kurze Inhaftierung zulässig sein, wenn hierdurch die Begehung des Verbrechens verhindert werden würde (Urt. v. 24.5.1980, ICJ Rep. 1980, 3 Rn. 86 – Case Concerning U.S. Diplomatic and Consular Staff in Tehran). Allerdings darf sich an das Vorgehen nach den zuvor genannten Grundsätzen nicht die Durchführung eines Strafverfahrens anschließen.

c) Der Schutz von Mitgliedern der Mission ohne diplomatischen Status

Die oben beschriebenen Privilegien und Immunitäten stehen nur den Mitgliedern der diplomatischen Mission mit diplomatischem Status in vollem Umfang zu. Das Verwaltungspersonal und die technischen Mitarbeiter sowie das Hauspersonal der Mission genießen dagegen nur eine eingeschränkte Immunität nach Maßgabe der Art. 37 und 38 WÜD.

Soweit die Mitarbeiter nicht Staatsangehörige des Empfangsstaates sind, besitzen sie im Wesentlichen dieselben Vorrechte und Immunitäten wie die Mitglieder mit diplomatischem Status. Allerdings sind Rechtsverstöße im privaten Bereich der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Empfangsstaates unterworfen, Art. 37 Abs. 2 WÜD; das Hauspersonal unterliegt zusätzlich auch der Strafgerichtsbarkeit, Art. 37 Abs. 3 WÜD. Für Angehörige des Empfangsstaates bestehen dagegen keine besonderen Vorrechte nach dem WÜD. Sie sind lediglich insoweit geschützt, als die Ausübung der Hoheitsgewalt des Empfangsstaates nicht zu einer ungebührlichen Behinderung der Arbeit der diplomatischen Mission führen darf, Art. 38 Abs. 2 WÜD.

IV. Spezialmissionen

Neben den ständigen diplomatischen Missionen können von dem Entsendestaat diplomatische Repräsentanten in einen Empfangsstaat auch für eine zeitlich befristete Tätigkeit entsendet werden, um z. B. über spezielle Fragen in einem direkten Gespräch zu verhandeln oder einen besonderen Auftrag auszuführen. Diese sog. Spezialmissionen (auch Ad-hoc-Diplomatie genannt) haben in den letzten Jahren im Rahmen von Staatenkonferenzen oder bei der Krisenbewältigung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Stellung einer Person als Sonderbotschafter setzt ein beiderseitiges Einverständnis der beteiligten Staaten über die Funktion der Spezialmission voraus. Weiterhin muss der Zweck der Reise gerade in der Repräsentanz des Entsendestaates bestehen; private Reisen von Vertretern des Entsendestaates erfüllen diese Voraussetzung nicht.

Die Rechtsgrundlage für die Spezialmissionen bilden in der Regel bilaterale Verträge zwischen den beteiligten Staaten, in denen der Status des Diplomaten und der Umfang der Vorrechte und Immunitäten geregelt werden. Dagegen ist das Übereinkommen über Spezialmissionen von 1969, welches im Wesentlichen auf die Vorschriften des WÜD verweist, bislang nur von wenigen Staaten ratifiziert worden und daher nur von geringer Bedeutung. Der Versuch, aus dem Übereinkommen und den bilateralen Verträgen Normen des Völkergewohnheitsrechts herzuleiten, wird durch den Umstand erschwert, dass die bilateralen Verträge in der Regel nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Dennoch hat der BGH (NJW 1984, 2048) in dem Tabatabai-Fall, bei dem ein iranischer Sonderbotschafter wegen Drogenbesitzes verhaftet worden war, die Zulässigkeit einer Strafverfolgung mit dem Argument verneint, es bestehe eine völkergewohnheitsrechtliche Regel, nach der im Falle einer Einigung von Entsende- und Empfangsstaat über eine bestimmte Aufgabe eines Diplomaten diesem Immunität verliehen und er insoweit den geschützten Mitgliedern der ständigen Mission eines Staates gleichgestellt werden könne.

V. Diplomatische Beziehungen zwischen Staaten und Internationalen Organisationen

Der Austausch von diplomatischen Vertretern erfolgt längst nicht mehr nur zwischen Staaten. Um die Funktionsfähigkeit der → Internationalen Organisationen sicherzustellen und den ständigen Kontakt zwischen den Mitgliedstaaten sowie eventuell auch zu Nichtmitgliedstaaten aufrechtzuerhalten, entsenden Staaten regelmäßig Delegationen zu Internationalen Organisationen. Die Rechtslage ist komplizierter als im bilateralen Verhältnis zwischen zwei Staaten, da die Internationalen Organisationen über kein eigenes Staatsgebiet verfügen. Sie können daher Privilegien und Immunitäten an die Repräsentanten eines Staates nur im Einvernehmen mit ihrem jeweiligen Sitzstaat verleihen. In der Regel ist zu diesem Zweck in dem Sitzabkommen, das eine Internationale Organisation mit ihrem Sitzstaat abschließt, eine Regelung enthalten, die den staatlichen Vertretern bei der Internationalen Organisation dieselben Rechte und Pflichten zusichert, wie sie den diplomatischen Missionen im bilateralen Bereich zustehen. In der Vergangenheit wurde zwar darüber hinaus der Versuch unternommen, die Regelungen der einzelnen Sitzabkommen zu vereinheitlichen. Allerdings ist der entsprechende völkerrechtliche Vertrag, das Wiener Übereinkommen über die Vertretung von Staaten in ihren Beziehungen zu Internationalen Organisationen universellen Charakters von 1975, aufgrund des Fehlens der benötigten Anzahl an Ratifikationen noch nicht in Kraft getreten.

 

D › Diplomatischer Schutz (Burkhard Schöbener)

Diplomatischer Schutz (Burkhard Schöbener)

I. Allgemeines

II. Rechtliche Natur des diplomatischen Schutzes

III. Voraussetzungen des diplomatischen Schutzes

1.Völkerrechtswidriges Verhalten

2.Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit

3.Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs

IV. Ausgewählte Sonderfälle der Ausübung diplomatischen Schutzes

1.Mehrstaatigkeit

2.Staatenlosigkeit

3.Bestimmung der Staatszugehörigkeit juristischer Personen

4.Übertragung des Rechts auf diplomatischen Schutz

5.Internationale Organisationen

V. Art und Umfang der Schutzausübung

VI. Anspruch auf diplomatischen Schutz in der BR Deutschland

Lit.:

C.F. Amerasinghe, Diplomatic Protection, 2008; L. Gramlich, Diplomatic Protection against Acts of Intergovernmental Organs, GYIL 27 (1984), 386; ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries, 2006; Th. Kleinlein/D. Rabenschlag, Auslandsschutz und Staatsangehörigkeit, ZaöRV 67 (2007), 1227; G. Ress/T. Stein (Hrsg.), Diplomatischer Schutz im Völker- und Europarecht, 1996; G. Ress, Der internationale diplomatische Schutz und die Grund- und Menschenrechte, HGR VI/2, 2009, § 179; M. Ruffert, Diplomatischer und konsularischer Schutz, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 206.

I. Allgemeines

Unter diplomatischem Schutz versteht man eine Handlung zugunsten von natürlichen oder (privatrechtlichen) juristischen Personen gegenüber völkerrechtswidrigem Verhalten fremder Hoheitsgewalten (→ Verantwortlichkeit, völkerrechtliche) durch den → Staat, dessen → Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit die betroffene Person innehat (Heimatstaat). Das Ziel des diplomatischen Schutzes besteht darin, einen anderen Staat zur Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen sowie ggf. eine Wiedergutmachung für die entstandenen Schäden zu erlangen. In der Regel wird zwar von diplomatischem Schutz durch bzw. gegenüber Staaten gesprochen, allerdings können auch andere Völkerrechtssubjekte, wie etwa → Internationale Organisationen, an der Ausübung von diplomatischem Schutz beteiligt sein.

Die Regeln des diplomatischen Schutzes sind noch immer eines der Gebiete im Völkerrecht, die am meisten vom Gewohnheitsrecht und somit von der Staatenpraxis geprägt sind. Von der International Law Commission (ILC) wurde der Versuch unternommen, die geltenden Regeln zu kodifizieren. Der von ihr 2006 vorgelegte und von der → UN-Generalversammlung zur Kenntnis genommenen Entwurf (Draft Articles on Diplomatic Protection; im Folgenden: ILC-Entwurf), kann in weiten Teilen als Ausdruck des momentan geltenden → Völkergewohnheitsrechts angesehen werden.

II. Rechtliche Natur des diplomatischen Schutzes

Die rechtliche Natur des diplomatischen Schutzes ist insbesondere in der neueren Völkerrechtslehre umstritten.

Nach der traditionellen und bis heute herrschenden Auffassung wird das Individuum (jedenfalls im Grundsatz) nicht als Träger subjektiver Rechte anerkannt, sondern ausschließlich als Objekt der Völkerrechtsordnung (→ Individuum, Rechtsstellung). Ein Völkerrechtsverstoß, den ein Staat in Bezug auf einen fremden Staatsangehörigen begeht, wird deshalb in der Regel nicht als Verstoß gegen im Völkerrecht begründete Rechte des Individuums angesehen, sondern als Verletzung der Rechte des Heimatstaates. Bei der Ausübung diplomatischen Schutzes handelt es sich folglich um ein originäres Recht des Staates. Dieser Ansicht folgten sowohl der StIGH im sog. Mavrommatis-Fall (Mavrommatis Palestine Concessions [Greece v. United Kingdom], PCIJ Ser. A, No. 2 (1924), 12) als auch der → IGH im Nottebohm-Fall (Nottebohm Case [Liechtenstein v. Guatemala], ICJ Reports 1955, 4).

An der tradierten Vorstellung wird seit geraumer Zeit Kritik geübt. Der Grund hierfür ist, dass das moderne Völkerrecht in zunehmendem Maße Individuen eigene Rechtspositionen einräumt, insbesondere in menschenrechtlichen Verträgen (→ Menschenrechte, allg.). Während das Völkerrecht in früherer Zeit dem Einzelnen keine Rechte zuerkannte und die Ausübung diplomatischen Schutzes dogmatisch somit nur durch die Mediatisierung des Individuums erklärt werden konnte, ist diese Notwendigkeit angesichts der gestärkten Rechtsstellung des Individuums nach einer im Vordringen begriffenen Ansicht mittlerweile entfallen. Daher sei zumindest in all denjenigen Fällen, in denen ein Staat gegen eine Rechtsnorm verstößt, die gerade dem Individuum Rechte verleihen soll, davon auszugehen, dass der Heimatstaat des Betroffenen bei der Ausübung diplomatischen Schutzes ein Recht seines Staatsangehörigen in Prozessstandschaft wahrnehme. Diese Auffassung kann sich u. a. auf die Aussage des IGH im LaGrand-Fall (LaGrand Case [Germany v. USA], ICJ Reports 2001, 446) stützen, wonach Art. 36 Abs. 1 b) WÜK ein eigenes Recht des Beschuldigten darstellt.

Praktisch relevant werden die unterschiedlichen Auffassungen insbesondere bei der Frage, wer auf das Recht des diplomatischen Schutzes verzichten kann. Geht man davon aus, dass der Heimatstaat bei der Gewährung diplomatischen Schutzes ein eigenes Recht wahrnimmt, kann auch nur der Heimatstaat auf dieses Recht wirksam verzichten. Sollten sich z. B. ein Gaststaat und ein ausländischer Investor darauf geeinigt haben, dass der private Vertragspartner auf diplomatischen Schutz durch seinen Heimatstaat verzichtet (sog. Calvo-Klausel, → Fremdenrecht, völkergewohnheitsrechtliches), könnte diese Vereinbarung dem Heimatstaat des Investors nicht entgegengehalten werden. Nimmt man hingegen an, der Heimatstaat mache nur ein Recht seines Staatsangehörigen in Prozessstandschaft geltend, dann wäre ein Verzicht durch den Staatsangehörigen grundsätzlich möglich.

III. Voraussetzungen des diplomatischen Schutzes

Die Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat ist völkergewohnheitsrechtlich an drei Voraussetzungen geknüpft, sofern nicht vertraglich anderweitige Vereinbarungen getroffen wurden.

1. Völkerrechtswidriges Verhalten

Zunächst bedarf es eines völkerrechtswidrigen Verhaltens eines Staates bzw. eines anderen Völkerrechtssubjektes, damit diplomatischer Schutz gewährt werden kann. Das völkerrechtswidrige Verhalten kann in einem Handeln, aber auch in einem Unterlassen bestehen. Bei dem Verstoß kann es sich sowohl um eine Missachtung des Völkergewohnheitsrechts oder Allgemeiner Rechtsgrundsätze als auch von völkervertraglichen Verpflichtungen handeln, die eine durch das Völkerrecht verpflichtete Hoheitsgewalt gegenüber fremden Staatsangehörigen einzuhalten hat. Praktisch am bedeutsamsten sind Verstöße gegen den fremdenrechtlichen Mindeststandard.

2. Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit

Weitere Voraussetzung ist, dass die natürliche oder juristische Person, zu deren Gunsten ein Staat diplomatischen Schutz ausüben möchte, dessen → Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit besitzt. Während bei natürlichen Personen in diesem Zusammenhang das Staatsangehörigkeitsrecht des Heimatstaates den Ausschlag gibt, sind als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Staatszugehörigkeit juristischer Personen die Gründungs- und die Sitztheorie im Völkerrecht gleichermaßen anerkannt. Die natürliche oder juristische Person muss die Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit grundsätzlich vom Zeitpunkt der Verletzungshandlung bis zur Geltendmachung durch den Heimatstaat ununterbrochen beibehalten haben; Art. 5 Nr. 1 und Art. 10 Nr. 1 ILC-Entwurf. Sollte im Zeitraum zwischen der Verletzungshandlung und der Geltendmachung des Anspruchs ein Wechsel in der Staatsangehörigkeit/Staatszugehörigkeit eintreten, sieht der ILC-Entwurf in Art. 5 Nr. 2 – 4 und Art. 10 Nr. 2 – 3 Sonderregelungen vor.

3. Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs

Aufgrund der sog. local remedies rule (Art. 14, 15 ILC-Entwurf) muss die natürliche bzw. juristische Person im Fall einer vermeintlichen Verletzung ihrer Rechte zunächst alle innerstaatlichen Möglichkeiten im Verletzerstaat ausgeschöpft haben, um den Rechtsverstoß auszuräumen. Nur wenn dieses Vorgehen erfolglos geblieben ist, ist der Heimatstaat zur Ausübung diplomatischen Schutzes berechtigt. Die wichtigste Ausnahme von dieser Regel ist der Fall, in dem die Erlangung entsprechenden Schutzes durch die innerstaatlichen Behörden aussichtslos erscheint, etwa weil die Gerichte entsprechende Klagen regelmäßig ablehnen (Art. 15 lit. a ILC-Entwurf). Darüber hinaus ist die Einhaltung der local remedies rule nicht erforderlich, wenn entsprechender Rechtsschutz nur nach einer unzumutbar langen Verzögerung erreicht werden kann und diese Verzögerung dem betreffenden Staat zuzurechnen ist (Art. 15 lit. b ILC-Entwurf).

 

Art. 15 ILC-Entwurf listet weitere Ausnahmen auf: Wird die verletzte Person offenkundig daran gehindert, den innerstaatlichen Rechtsweg zu beschreiten, obwohl ein solcher theoretisch besteht, muss der innerstaatliche Rechtsweg ebenfalls nicht eingehalten werden, damit der Heimatstaat diplomatischen Schutz ausüben kann (Art. 15 lit. d ILC-Entwurf). Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der betreffenden Person die Einreise zur Führung eines entsprechenden Prozesses verweigert wird oder diese bei der Rückkehr in den betreffenden Staat physischen Gefahren ausgesetzt wäre. Art. 15 lit. e ILC-Entwurf stellt darüber hinaus klar, dass der Heimatstaat auch dann unmittelbar diplomatischen Schutz ausüben darf, falls der Staat, demgegenüber dieser ausgeübt werden soll, auf die Einhaltung der Regel verzichtet hat.

Eine nicht unumstrittene Ausnahme von der Regel zur Einhaltung des innerstaatlichen Rechtswegs findet sich in Art. 15 lit. c ILC-Entwurf. Hiernach ist die Einhaltung der local remedies rule nicht erforderlich, wenn die verletzte Person und der Staat, dem die Verletzung vorgeworfen wird, zum Tatzeitpunkt in keiner relevanten Beziehung miteinander standen. Mit dieser wenig verständlichen Formulierung soll sichergestellt werden, dass nur solche Fallkonstellationen der local remedies rule unterliegen, in denen eine verletzte Person durch ihr eigenes zurechenbares Verhalten eine Situation geschaffen hat, die es rechtfertigt, dass sich die verletzte Person zunächst der Jurisdiktionsgewalt eines fremden Staates unterwerfen muss. An einer derartigen Sachlage fehlt es etwa dann, wenn der Rechtsverstoß des betreffenden Staates außerhalb seines Hoheitsgebietes stattfand, wenn z. B. Umweltverschmutzungen, die ihren Ursprung in einem Staat haben, zu Beeinträchtigungen in einem anderen Staat führen. Ob diese Ausnahme auch in der Staatenpraxis und der Judikatur bereits Niederschlag gefunden hat, wird allerdings selbst von den Verfassern des ILC-Entwurfs in ihrer Kommentierung des Artikels angezweifelt.